Kunst als Statthalter unbeschädigten Lebens

Einführung in Adornos Ästhetik


Essay, 2008

22 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort

II. Einleitung

III. Erste Annäherung

IV. Zentrale Begriffe Adornos Ästhetik
1. Was Kunst ist
2. Der Wahrheitsgehalt und der Erkenntnischarakter von Kunst
3. Der Rätselcharakter der Kunst
4. Das Kunstwerk als autonomes Gebilde
5. Entkunstung der Kunst durch die Kulturindustrie
6. Ästhetische Erfahrung
7. Apparition
8. Das Nichtseiende und die Utopie
9. Das Verstummen der Kunst
10. Finsternis, Dissonanz und das Absurde

V. Die Bedeutung Adornos Kunsttheorie heute

VI. Literaturverzeichnis

Anhang: Zur Philosophischen Praxis pro-phil

I. Vorwort

Die vorliegende kleine Einführung in Adornos Ästhetik ist entstanden aus der Überarbeitung und Aktualisierung von Seminarskripten zur „Einführung in die Philosophie der Gegenwart“, eine Veranstaltungsreihe, das ich in 2002 und den folgenden Jahren durchgeführt habe. Wesentliche Impulse für die Veranstaltungen waren Fragen nach der Relevanz zeitgenössischer philosophischer Positionen auf das konkrete Leben jedes Einzelnen in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft: Inwieweit kann Philosophie hier und heute Orientierung bieten, wie kann Philosophie ihrer ursprünglichen Intention als Weisheitssuche, Lebensform und Menschenbildung gerecht werden?

Die Erfahrungen aus den fruchtbaren Diskussionen mit „nichtprofessionell Philosophierenden“ zu Fragen der Kunst haben mich bewogen dieses kleine Büchlein als Einführung in Adornos Theorie der Kunst zu veröffentlichen, wohl wissend um die bereits bestehende und ganze Bibliotheken füllende Literatur zum Thema. Anspruch dieses Buches ist der Spagat zwischen Lebenspraxisbezug und wissenschaftlicher Redlichkeit, zwischen Vereinfachung und Zuspitzung ohne dabei die Komplexität Adornos Denken aus den Augen zu verlieren. Die Einführung schlägt erste Schneisen in das Theoriedickicht und gibt Hilfestellungen an die Hand ohne dabei allzu eng zu führen und auf einseitige Interpretationen festzulegen.

Zielgruppen dieser Einführung sind insofern alle Philosophierende, Menschen, die sich auf den Weg des Selbstdenkens gemacht haben, die in die Bewegung des Denkens hineingefunden haben bzw. hineinfinden wollen. Damit eignet sich das Büchlein besonders für Schüler, Lehrer und Studierende der ersten Semester sowie für die außeruniversitäre Erwachsenenbildung.

Dortmund, im Juni 2008

II. Einleitung

Adornos Reflexionen zur Musik- und Literaturtheorie durchziehen sein Gesamtwerk, den Fixpunkt bildet – nicht nur biografisch bedingt - die „Ästhetische Theorie“, die 1970 als unvollendetes Fragment posthum erschien. Sie enthält keine in sich abgeschlossene deduktive Systematik, sondern ist eher ein offenes, umfassendes Begriffsnetz mit vielen Ein- und Zugängen.[1]

Lüdke[2] und Bergh[3] sehen in dieser parataktischen Denk- und Schreibweise Adornos gewisse Schwierigkeiten für einen üblichen Zugang der Darstellung und Interpretation. Das fehlende Zentrum sowie eine Vielzahl von Schlüsselbegriffen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und eng miteinander verknüpft sind, machen es nicht leicht einen kursorischen Überblick zu geben, der gleichzeitig eine didaktische Einführung in Adornos Ästhetik wäre[4].

Um diesen Problemen gerecht zu werden, erfolgt die Einführung in zwei Schritten: In einem ersten kurzen Durchgang werden die wesentlichen Begriffe eingeführt, der zweite Teil erläutert diese unter der Zuhilfenahme von Zitaten ausführlich[5]. Diese Argumentationsstruktur versucht durch den Zweischritt und kleinere Wiederholungen die oben angesprochene Komplexität und Verwobenheit der einzelnen Theoriebausteine angemessen darzustellen.

Der Schluss geht der Frage nach der Relevanz von Adornos Ästhetik für die gegenwärtige Diskussion um Kunst und Kultur nach.

III. Erste Annäherung

Nach Adorno ist Kunst Utopie, sie verweist auf die Vorläufigkeit der empirischen Realität. Kunst ist dabei der Stachel im Fleisch, der in Erinnerung bringt, dass das Leben und die gesellschaftlichen Zustände auch ganz anders sein könnten als sie es jetzt sind. Damit wird Kunst zum Statthalter unbeschädigten Lebens. Der Kunst ist es in ihrer aufklärerischen Funktion nicht möglich, dieses andere Leben, das sich von der gesellschaftlichen Ausbeutung befreit hat, positiv dar­zustellen, denn sobald sie es tut oder auch nur versucht, trägt sie dazu bei, dass schon für wirklich genommen wird, was doch gerade als Nichtseiendes, als noch zu verwirklichendes, aufgewiesen werden sollte.

Um das Leiden an der gesellschaftlichen Wirklichkeit und die Sehnsucht nach ihrer Veränderung nicht zu untergraben, darf die Kunst nicht den geringsten Anschein der Versöhnung mit den herrschenden Verhältnissen erwecken. Ihre Aufgabe ist es zu zeigen, was ist, aber auf eine Art und Weise, dass die Falschheit der gesellschaftlichen Realität erkennbar wird und damit zugleich deutlich wird, was sein könnte, aber nicht ist. Dies ist nicht leicht, denn die Gesellschaft strebt danach, sich die Kunst einzuverleiben und ihre mögliche Sprengkraft zu neutralisieren. Um sich der Vereinnahmung zu entziehen, ist die moderne Kunst gezwungen, sich immer wieder neu gegen die empirische Realität abzugrenzen und ihre Differenz zu behaupten. Das kann sie aber nur leisten, wenn sie rigoros die Kommunikation verweigert und die Zumutung des Verstandenwerdens abweist. Dazu pocht sie auf ihre Andersheit, ihren Wider­spruch und ihre Rätselhaftigkeit.

Nach Adorno kann in einer Welt, aus der die Farbe verschwunden ist, die Kunst nur noch schwarz und finster sein. Soweit zeitgenössische Kunst noch in farbenfroher Buntheit schwelgt, disqualifiziert sie sich als Kitsch. Mit dem Wahren, Schönen und Guten kann man sich in der pervertierten Welt nur noch beflecken. Kunst muss hässlich sein um eine solche Welt zu denunzieren. Kunst muss grausam sein und wehtun um so die Unwahrheit der gesell­schaftlichen Zustände aufzuzeigen. Für Adorno sind Unverständnis und Wut, die einem Kunstwerk entgegenschlägt, geradezu ein Gradmesser für seinen Wert.

Ein weiteres Merkmal wahrer Kunst ist ihre Unverständlichkeit. Alle Kunstwerke sind Rätsel und je tiefer man in sie einsteigt, desto rätselhafter werden sie. Dies gilt auch für die Kunst der Vergangenheit, die man oft aus Gewohnheit für verständlicher hält als Gegenwartskunst. Kunst bedarf daher der Interpretation, die Anschauung allein zeigt niemals, was ein Kunstwerk ist. Ohne ein Wissen um Zusammenhänge und ohne kritische philosophische Reflexion lässt sich Kunst nicht verstehen.

[...]


[1] Vgl. Brinkämper, S. 101 f.

[2] Adornos „Anspruch, keine Philosophie ü b e r die Kunst, sonder eine d e r Kunst zu liefern, bestimmt die Struktur dieser Schriften: die eigentümliche Verbindung von Detailanalyse und generalisierter Aussage, die assoziativ erscheinenden Reflexionsbewegungen, die den Gegenstand umkreisen, die Auflösung jeder fixierbaren Bestimmung.“ Lüdke, S. 136

[3] „Parataxis formt Adornos ganzes Œuvre, im Mirko- wie im Makrobereich. Wird dies nicht mitbedacht, kann Adornos Werk nicht verstanden werden. Adornos - im strengen Sinn argumentationsloses - Denken in Konstellationen hat auch die vorliegende Arbeit affiziert: eine Beschreibung seines Denkens nach den Maßstäben hierarchisch-deduktiver Logik ist nicht möglich, will sie ihren Gegenstand nicht gänzlich verfehlen.“ Bergh, S. 128

[4] Wesentliche Aspekte, die die Hintergrundsfolie zu Adornos Ästhetik bilden, wie die „Kritische Theorie“ und die daraus resultierende Gesellschaftstheorie und –kritik, können im Rahmen dieser Einführung nur angedeutet werden.

[5] Um für den ersten Zugang, der einen groben Gesamteindruck vermitteln soll, eine bessere Lesbarkeit zu ermöglichen, wird bewusst auf den wissenschaftlichen Apparat verzichtet. Alle Zitate werden im zweiten Teil aufgegriffen und entsprechend nachgewiesen.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Kunst als Statthalter unbeschädigten Lebens
Untertitel
Einführung in Adornos Ästhetik
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V113613
ISBN (eBook)
9783640148035
ISBN (Buch)
9783640148202
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kunst, Statthalter, Lebens
Arbeit zitieren
Michael Niehaus (Autor:in), 2008, Kunst als Statthalter unbeschädigten Lebens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113613

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