Welche Effekte hat die politische Verbraucherartikulation durch Boykott?

Eine beispielhafte Analyse anhand des Shell-Boykotts 1995


Hausarbeit, 2006

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Konsum und politisches Verbraucherhandeln

3. Die Effekte des Boykotts gegen Shell
3.1 Shell vs. Verbraucher
3.2 Greenpeace
3.3 Umweltpolitik
3.4 Medien

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit der Entscheidung des Ölkonzerns Shell die ausgediente Ölplattform

‚Brent Spar’ 1995 im Nordatlantik zu versenken, begann ein beispielloser Kampf zwischen der Umweltschutzorganisation Greenpeace und dem Ölkonzern. Diese Auseinandersetzung führte schließlich zu einem der größten Boykotts in Deutschland seit 1933. Große Teile der deutschen Bevölkerung erklärten sich mit den Zielen von Greenpeace solidarisch und mieden die Tankstellen von Shell. Mit medienwirksamen Aktionen opponierte Greenpeace gegen die umweltverschmutzende Versenkung der Offshore-Anlage und versuchte stattdessen den Rückbau des Ölspeichers an Land durchzusetzen (Klaus 1997: 101). Erst als der Shell-Konzern am 20. Juni 1995 (Schubert 2000: 225) den ursprünglichen Entsorgungsplan verwarf und die Demontage an Land bekannt gab, glätteten sich die Wogen und der Boykott wurde eingestellt.

Das Ziel dieser Hausarbeit ist es, das Phänomen ‚Boykott’ auf seine Effekte hin zu untersuchen, d.h. herauszufinden, welche Konsequenzen der Boykottaufruf gegen Shell hatte. Diese Analyse soll unter der Fragestellung:

‚Welche Effekte hat die politische Verbraucherartikulation durch Boykott? Eine beispielhafte Analyse anhand des Shell-Boykotts 1995’ erfolgen. Um das Thema in einen größeren wissenschaftlichen Zusammenhang zu stellen, wird der Analyse eine Einführung in die Konsumforschung vorangestellt. Hierbei soll neben einer Definition des Begriffs ‚Konsum’ auch eine Darstellung der verschiedenen Formen der Verbraucherartikulation erfolgen. Der Boykott als eine der drei Artikulationsformen wird dann einer eingehenden Betrachtung unterzogen. Im dritten Teil der Arbeit, dem Analyseteil, werde ich die von dem Boykott betroffenen Dimensionen einzeln analysieren. In 3.1 werden die Auswirkungen des Boykotts auf Shell untersucht und die Macht der Verbraucher dargestellt. Zudem wird auf das Image von Shell in Verbindung mit der vorherig lancierten Werbekampagne eingegangen. 3.2 befasst sich mit den Effekten des Boykotts für Greenpeace. Auch hier werden das Image und die Finanzen im Fokus der Analyse stehen. Die langfristigen Auswirkungen des Boykotts werden in 3.3 analysiert. In diesem Abschnitt geht es um die umweltpolitischen Effekte des Shell-Boykotts, mit dem generellen Verbot der Ölplattformentsorgung im Meer. Unter 3.4 wird die Rolle der Medien anhand einer Analyse der Berichterstattungen beleuchtet.

2. Konsum und politisches Verbraucherhandeln

Verbraucherhandeln und Konsum hängen eng miteinander zusammen, da der Konsum den Verbraucher erst zu einem solchen macht. Daher ist die Definition von Konsum als die Befriedigung der „elementaren (Hunger, Durst, Schutz, Liebe) und komplexeren (Anerkennung, Prestige, kulturelle Teilhabe) Bedürfnisse“ (Klein 1993: 149) des Menschen grundlegend. Der Verbraucher konsumiert aber nicht immer gleich. Einige Verbraucher konsumieren unreflektiert zur reinen Bedürfnisbefriedigung. Andere, als politische Verbraucher bezeichnete Konsumenten, drücken mit der Auswahl ihrer Konsumgüter eine politische Meinung und Einstellung aus (Stolle/Micheletti 2005: 41). Ihr politisches Verbraucherhandeln wird definiert als die auf der „Basis politischer, ökologischer und/oder ethischer Kriterien für oder gegen bestimmte Hersteller und Produkte“ (Micheletti/Follesdal/Stolle 2003 zit.n. Stolle/Micheletti 2005: 41) getroffene Kaufentscheidung. Dahinter verbirgt sich der Wille, mit der Kaufentscheidung das „Verhalten von Institutionen oder der Wirtschaft“ (Stolle/Micheletti 2005: 41) verändern zu wollen. Diese Verbraucher konsumieren also sehr bewusst und überdenken ihre Produkt- oder Herstellerwahl sowie die Folgen dieser Wahl für andere vor dem Kauf/Nichtkauf gründlich (Stolle/Micheletti 2005: 48).

Doch welche Formen kann die Verbraucherartikulation annehmen? Wie drückt sich der Wille der politischen Verbraucher konkret aus? In der Literatur finden sich drei Formen der Verbraucherartikulation: Das

‚diskursive Verbraucherhandeln’, eine Thematisierung von „politischen, ethischen und ökologischen Fragen“ (Stolle/Micheletti 2005: 41) auf dem von der Wirtschaft geschaffenen Marktplatz, den ‚Buycott’, eine Entscheidung für bestimmte Produkte sowie den ‚Boykott’. Letzterer wird definiert als die „politisch, ethisch und/oder ökologisch motivierte Entscheidung gegen bestimmte Produkte“ (Stolle/Micheletti 2005: 41). Von den beschriebenen drei Formen der politischen Verbraucherartikulation soll lediglich auf den Boykott näher eingegangen werden. Auch beim Boykott lassen sich verschiedene Formen unterscheiden: der Streik, der soziale Boykott, die Verweigerung sowie der Konsumboykott. Hier ist lediglich die letztgenannte Form maßgebend für die folgende Analyse des Fallbeispiels. Der Konsumboykott richtet sich entweder gegen bestimmte Produkte (sog. Produktboykott) oder generell gegen ein Unternehmen (sog. Kaufboykott) (Schwetz 2005). In vorliegendem Fallbeispiel läge ein Produktboykott bei einem Nichtkauf von Shell-Dieselkraftstoff vor. Da während des Boykotts 1995 aber nicht ein bestimmtes Produkt, sondern das gesamte Unternehmen Shell boykottiert wurde, kann im Fallbeispiel von einem Konsumboykott in der Ausprägung eines Kaufboykotts gesprochen werden. Diese Klassifizierung führt zu dem Ergebnis, dass politischen Verbrauchern eine große Spanne von Möglichkeiten offen steht, ihre Meinung zu äußern. Die Vielfalt zeigt auch, welche Macht der politische Verbraucher hat, wenn er nicht nur als Individuum seine Meinung kundtut, sondern in größeren Gruppen agiert. Ein Beispiel, das die große Macht der Verbraucher illustriert, ist der in den letzten Jahren stark angestiegene Konsum von Biolebensmitteln. Diese Verbraucherartikulation durch Buykott mündete unter anderem in der Einführung eines EU-Biosiegels (WDR 2001) und dem gesteigerten Verkauf von Bioprodukten (ZDF 2006; Fair Feels Good 2006). Welche Macht der Verbraucher bei dem Boykott einzelner Unternehmen oder Produkte hat, zeigte sich 1995 bei dem von mehreren Institutionen angestoßenen Boykott von Shell-Tankstellen.

3. Die Effekte des Boykotts gegen Shell

3.1 Shell vs. Verbraucher

Die erste Analysedimension dieser Hausarbeit ist, wie in der Einleitung beschrieben, der Konzern Shell. Um die Effekte des Boykotts in dieser

Dimension verständlich zu machen, ist ein Basiswissen über den Ölkonzern essentiell. Das Unternehmen besteht aus zwei Teilen, der Royal Dutch Petroleum Company, mit Sitz in Den Haag und der ‚The "Shell" Transport and Trading Company p.l.c.’, London (Shell 2006). Neben diesen schwachen Muttergesellschaften besteht das Gerüst des Konzerns aus starken nationalen Tochtergesellschaften wie Shell U.K. Exploration und Production oder der Deutschen Shell-AG (Schubert 2000: 212). Alle nationalen Töchter arbeiten weitestgehend selbstständig und verfügen über eigene PR-Abteilungen. Da die Brent Spar ca. 190 km ostnordöstlich von Shetland und damit im britischen Teil der Nordsee verankert war, oblag ihre Entsorgung Shell U.K. und den britischen Behörden (Schubert 2000: 211). Doch nicht etwa Greenpeace U.K., sondern Greenpeace Deutschland brachte das Thema in das Licht der Öffentlichkeit und löste so den Boykott in Deutschland aus. Die Boykotts gegen deutsche Filialen des Konzerns waren demnach nur über Umwege gegen den Verursacher gerichtet.

Im März 1995 lancierte die Deutsche Shell-AG eine Werbekampagne „unter dem Motto: Wir kümmern uns um mehr als Autos“ (Johanssen 1997: 257). Diese Kampagne sollte die soziale Verantwortung des Unternehmens betonen und implizierte u.a. ein Engagement für die Umwelt (Johanssen 1997: 262). Das Zusammentreffen der Werbekampagne einerseits mit der geplanten Versenkung der Ölplattform andererseits sorgte für einen großen Imageverlust von Shell. Dem Unternehmen gelang es nicht, die verschiedenen Urheber an die Öffentlichkeit zu kommunizieren und sah sich in Deutschland großen Protesten ausgesetzt, die nach dem ersten Boykottaufruf durch die Junge Union (JU) NRW am 24. Mai 1995 schnell zu flächendeckenden Boykotts ausuferten (Schubert 2000: 218). Den ersten Aufrufen schlossen sich nach und nach fast alle gesellschaftlichen Akteure an: Der Auto Club Europa, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, die evangelische Kirche, der Bundesverband der deutschen Fischereiindustrie, die Deutsche Polizeigewerkschaft und Politiker aller Parteien sowie zahlreiche andere Interessensvertretungen sprangen auf den Boykott-Zug auf (Schubert 2000: 221, 223). Diesem Boykottaufruf folgten zahlreiche Verbraucher. Leider ist eine genaue Analyse der tatsächlichen Umsatzrückgänge durch den Streik nicht

verfügbar, da das Unternehmen lediglich Bilanzen der Muttergesellschaft veröffentlicht und eine Übersicht des Umsatzes der Tochtergesellschaften nicht möglich ist. Aus der Gesamtbilanz lassen sich lediglich Umsatzeinbußen im Bereich „Oil and gas: Refining and Marketing von 3,2 Mio. $ in 1994 auf 2,4 Mio. $ in 1995“ (Shell 1997: 61) ablesen. Höheren Informationswert haben die in den Medien kolportierten und von Shell teilweise bestätigten Zahlen, dass es zu Umsatzeinbußen von 30%, an einzelnen Filialen sogar bis zu 50% gekommen sei (Bennie 1998: 399; Schubert 2000: 215). Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Shell-AG Duncan „sprach von spürbaren Absatzverlusten“ (Schubert 2000: 215) und bezifferte den durchschnittlichen Absatzverlust auf 20% (Börsen-Zeitung 1995 zit. n. Mantow 1995: 93). Neben dem Boykott wurden einige Shell- Tankstellen auch von gewaltsamen Übergriffen heimgesucht. Hier erstreckten sich die indirekten Effekte des Boykotts von Schüssen aus einem fahrenden Auto über Bombendrohungen bis hin zu Brandanschlägen (Mantow 1995: 252 f.). Zahlreiche Umfragen verdeutlichen, dass die negativen Auswirkungen des Boykotts für Shell immens waren. Eine EMNID Umfrage ergab, dass 74% der Bundesbürger Shell boykottieren würden (Schubert 2000: 218). Laut einer Sample-Umfrage waren 82% der Deutschen für häufigere Boykotts (Mantow 1995: 151) und eine Untersuchung von MORI ergab, dass 16% der Menschen in 21 Staaten ein Produkt boykottieren würden, wenn Greenpeace dazu aufriefe (Bennie 1998: 399). Mit der Ausdehnung der Boykotts auf andere europäische Länder (z.B. Spanien, Österreich) spürte Shell letztendlich den Druck und lenkte ein. Hierzu hatte es einer Unterredung zwischen der britischen und deutschen Shell-Führung bedurft. Mit der Begründung, sich in einer

„’unhaltbaren Situation’“ (Mantow 1995: 110) zu befinden, wurde am 20. Juni der Onshore-Rückbau von Brent Spar verkündet (Schubert 2000: 224 f.). Der Konsumboykott hatte also nach ca. einem Monat eine vollständige Positionsänderung von Shell bewirkt. Um das ramponierte Image zu retten, startete die Deutsche Shell-AG anschließend eine Entschuldigungskampagne. Diese sorgte für das Erlöschen der öffentlichen Diskussion und stellte Shell als ein menschliches Unternehmen dar (Vieregge 1997: 310).

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Welche Effekte hat die politische Verbraucherartikulation durch Boykott?
Untertitel
Eine beispielhafte Analyse anhand des Shell-Boykotts 1995
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Einführung in die Konsumsoziologie am Beispiel Internet-Shopping
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
16
Katalognummer
V113390
ISBN (eBook)
9783640141968
Dateigröße
398 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde als die Beste des Kurses bewertet.
Schlagworte
Welche, Effekte, Verbraucherartikulation, Boykott, Einführung, Konsumsoziologie, Beispiel, Internet-Shopping
Arbeit zitieren
Florian Pretz (Autor:in), 2006, Welche Effekte hat die politische Verbraucherartikulation durch Boykott?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113390

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