Theorie und Praxis der deutschen Landerziehungsheime unter der Leitung von Hermann Lietz


Seminararbeit, 2002

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Reformpädagogik und Landerziehungsheime
1.2 Biographische und weltanschauliche Einflüsse auf die Theorie und Praxis der Landerziehungsheime von Hermann Lietz

2. Die Theorie und Praxis der deutschen Landerziehungsheime nach den Vorstellungen von Hermann Lietz
2.1 Die Organisation und der Aufbau von Erziehung und Bildung in den Landerziehungsheimen
2.2 Der/Die Erzieher/in im Landerziehungsheim – Aufgaben, Bedeutung und Funktionen
2.3 Die Schülerschaft in den Landerziehungsheimen – Stellung, Rolle und innere Organisation

3. Abschlussbetrachtung

4. Bibliographie

1. Einleitung

Im Mittelpunkt der folgenden Ausarbeitung soll das System der Landerziehungsheime von Hermann Lietz stehen, welches um das Jahr 1900 entstand.

Bereits im voraus möchte ich explizit darauf hinweisen, dass nur die Ideen, die Theorien und das Wirken von Hermann Lietz selbst in die Betrachtungen mit einbezogen werden können. Eine zeitliche Datierung oder Einordnung ist sicherlich sehr gewagt und streitbar, soll aber zur besseren Verständlichkeit und Transparenz dennoch vollzogen werden. Der Zeitrahmen meiner analytischen Darstellung umfasst die Jahre von ca.1890 bis zum Tode von Hermann Lietz im Jahre 1919.

Die Notwendigkeit einer zeitlichen und thematischen Begrenzung liegt in der weiteren Entwicklung des Lietzschen Erziehungsmodells durch seine ehemals „untergebenen“ Mitarbeiter. Zu nennen wären an dieser Stelle z.B. Paul Geheeb, Gustav Wyneken oder Alfred Andreesen. Deren pädagogische Vorstellungen und Theorien ließen die Grundidee des Landerziehungsheimes bis in die heutigen Tage fortleben. Zu beachten ist hierbei aber, dass teilweise gravierende Modifikationen und Veränderungen vorgenommen wurden, die rückblickend nur ein Zerrbild der von Hermann Lietz erschaffenen Landerziehungsheime wiederspiegeln.

Eine Behandlung dieser Thematik oder Entwicklung ist von solch einer Komplexität, dass sie den zur Verfügung stehenden Rahmen einer Hausarbeit im Grundstudium sicherlich sprengen würde – deshalb die chronologische und thematische Beschränkung.

Will man einen „neuen“ Schultypus oder eine „neue“ Schulform beschreiben bzw. darstellen, so eignet sich dafür eine Illustration der Unterschiede zwischen dem Bestehenden und dem Neuen sicherlich am Besten. Diese Vorgehensweise soll auch in der vorliegenden Hausarbeit die Grundlage der Analyse bilden.

Um einen Vergleich zwischen Schulformen zu ermöglichen, ist es nötig, vorab einige Kriterien festzulegen, die das Konstrukt „Schule“ charakterisieren. Für meine Seminararbeit habe ich folgende, nach meiner Meinung typisierende, Kategorien gewählt:

a. Aufbau, Inhalt und Organisation der Pädagogik
b. Die Rolle des Erziehers bzw. Lehrers
c. Die Rolle der Schülerschaft

Mir ist durchaus bewusst, dass diese Kriterien teilweise nicht einzeln oder allein betrachtet werden können, da ein hoher Grad an innerer Abhängigkeit zwischen den Punkten besteht. Dennoch ist für meine Vergleichsabsicht diese Abgrenzung immanent wichtig, weil ansonsten ein Verlust der Nachvollziehbarkeit und Übersichtlichkeit droht. Um aber die Wichtigkeit der inneren Verquickung und Bedingung zu betonen, werde ich in der zusammenfassenden Abschlussbetrachtung (siehe Punkt 3) versuchen, die scharfgezogenen Trennungslinien wieder zu verwischen.

Ziel soll nun zunächst sein, eine Darstellung und Erläuterung der genannten Komponenten innerhalb der Lietzschen Landerziehungsheime zu liefern.

Da aber die Grundsätze und Theorien eines Hermann Lietz ohne die grobe Kenntnis seiner Biographie und seiner Weltanschauung kaum nachvollziehbar und begründbar erscheinen, erfolgt im voraus ein kurzer Exkurs in dessen Werdegang bzw. in die geistigen Strömungen, durch die er und seine Schulform stark beeinflusst wurden.

Auf eine feingliedrige chronologische Darstellung der Entwicklungen in den Landerziehungsheimen (Gründung, Umstrukturierungen etc.) soll in dieser Arbeit verzichtet werden. Zu diesen Aspekten existieren umfangreiche Informationen in der etablierten Fachliteratur, die teilweise in meiner Bibliographie (siehe Punkt 4) aufgeführt sind.

Auf die Behandlung und Lösung einer konkreten Fragestellung, wie es sich eigentlich in einer Hausarbeit dieser Form gehört, muss leider verzichtet werden. Der Grund dafür liegt in meiner mangelnden fachlichen Kompetenz zu dieser Thematik, die ein begründetes und komplett durchdachtes Urteil voraussetzt. Eine objektive Aussage würde die genaue Kenntnis der Abläufe und Atmosphäre innerhalb der Landerziehungsheime verlangen. Da ich eine solche Erfahrung leider nicht vorzuweisen habe, und auch bei der Frage der Literatur nur auf Sekundärquellen zurückgreifen konnte, muss ich mich im Interesse der Glaubwürdigkeit und Wahrheit auf eine kritische Darstellung beschränken.

1.1 Reformpädagogik und Landerziehungsheime

Die Grundgedanken und Grundmotivationen zur Gründung von Landerziehungsheimen in Deutschland entstanden natürlich nicht in einem ideologischen Vakuum. Vielmehr bilden sie ein Puzzleteil im Gesamtbild der sogenannten „Reformpädagogik“.

Dieser ex post vergebene Begriff der „Reformpädagogik“ beschreibt eine geistige Entwicklung im abendländischen Kulturbereich des ausgehenden 19.Jahrhunderts[1], die versuchte die neuen Phänomene einer vormodernen und industriellen Gesellschaft mittels Erziehung zu kompensieren.

Die tiefgreifenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen und Fortschritte als Folge der „Industriellen Revolution“ und des zunehmenden Demokratisierungs- und Liberalisierungsprozesses in ganz Europa sorgten in verschiedenen intellektuellen Kreisen für eine „geistige Selbstkritik“[2] an diesen Errungenschaften und ihren Symptomen. Die moderne Geisteswissenschaft bezeichnete diese Erscheinung allgemein als die „Kulturkritik“ des 19. Jahrhunderts.

Als bedeutende Vertreter der deutschen(!) „Kulturkritik“ seien an dieser Stelle Friedrich Nietzsche, Paul de Lagard und Julius Langbehn genannt[3]. Deren Hauptkritikpunkte betrafen den Rationalismus, Intellektualismus und die Verwissenschaftlichung der Bildung, welche nach ihrem dafürhalten einen „...Verfall des geistigen Lebens des deutschen Volkes...“[4] provozierten.

Eine Ursache für diese dekadenten Tendenzen sahen die zeitgenössischen Vordenker und Kritiker unter anderem im Versagen des deutschen Schulsystems. Eine Anpassung bzw. Abstimmung zwischen der Institution Schule und den realen gesellschaftlichen Zuständen und wissenschaftlichen Erkenntnissen sei nicht erfolgt. Aus dieser Erkenntnis heraus erhielt die geistige Bewegung der „Kulturkritik“ eine besondere und dominierende bildungskritische Akzentuierung. Speziell die alten Lehrmethoden und -inhalte wurden heftig angefochten und verworfen.

Nach den Vorstellungen der geistigen Väter einer Reform auf dem Sektor der Pädagogik sollte die Schule den alleinigen Status einer Bildungseinrichtung verlieren und sich vielmehr zu einer komplexen Erziehungsanstalt wandeln, in der die Kinder und Jugendlichen einen neuen Lebensstil praktizieren und quasi eine Lebensreform vollziehen[5].

Von dieser Diagnose und Absicht ausgehend entwickelten Lehrer und Erzieher eine Unmenge von verschiedenen Pädagogik- und Erziehungsmodellen, in denen man mit den unterschiedlichsten Mitteln und Vorgehensweisen versuchte, in das Wesen des Kindes bzw. Jugendlichen einzudringen und dadurch die Bildungs- und Erziehungsideale umzusetzen.

Die bekanntesten deutschen Pädagogen und Wegbereiter neuer Schultypen im Sinne der „Reformpädagogik“ sind Hermann Lietz, Alfred Lichtwark, Berthold Otto, Georg Kerchensteiner, Hugo Gaudig und Friedrich Wilhelm Foerster[6].

1.2 Biographische und weltanschauliche Einflüsse auf die Theorie und Praxis der Landerziehungsheime von Hermann Lietz

Hermann Lietz, der Sohn eines kleinen Gutsbesitzers, wurde im Jahre 1868 auf der Insel Rügen geboren[7]. Sein Vater zeichnete sich durch „...strengen Konservatismus und seine große Willenstärke, die auch in einer außerordentlichen Härte gegen sich selbst und gegen körperliche Empfindsamkeit zum Ausdruck kam“[8],aus. Diese Eigenschaften hat Hermann Lietz in einem hohen Maße übernommen[9] und in seine pädagogischen Theorien eingebaut. Allgemein spielen die persönlichen Erfahrungen während des Schüler- und Studentendaseins des Hermann Lietz eine große Rolle in dessen späteren Erziehungsvorstellungen.

Besonders prägnant und einschneidend war seine Gymnasialzeit in Greifswald. Herausgerissen aus dem elterlichen Schutz und der natürlichen Inselidylle sah sich der bäuerlich geprägte und erzogene Lietz konfrontiert mit den Symptomen einer prosperierenden Stadt. Bei den städtischen Klassenkameraden und Lehrern fand er wenig Anerkennung[10] ; im Gegensatz dazu entwickelte er in dieser Zeit eine tiefe Abneigung gegen übersteigerte Disziplinlosigkeit, Alkohol- und Nikotingenuss, die Enge der Großstadt sowie gegen unsittliche sexuelle Ausschweifungen. Auch die Unfähigkeit und übertriebene Strenge eines Großteils des Lehrpersonals als auch die Stumpfsinnigkeit der Lehrinhalte selbst blieben Hermann Lietz zeitlebens in schlechter Erinnerung[11].

Nach dem Besuch des Gymnasiums begann Lietz zunächst ein Theologiestudium in Halle, wechselte aber nach 5 Semestern zur Pädagogik, Philosophie, Geschichte und Germanistik an der Universität in Jena. Nach der Promotion und dem Staatsexamen folgten einige Jahre der Lehrertätigkeit an der Universitätsübungsschule in Jena. Diese unterstand der Leitung von Wilhelm Rein. Dieser war es auch, der den engagierten Hermann Lietz für einen längeren Auslandsaufenthalt in England empfahl. Im Jahre 1896 erhielt der junge Lehrer deshalb die Möglichkeit die „New School Abbotsholme“ zu besuchen[12]. Das besondere an der erst 1889 von Cecil Reddie gegründeten Internatsschule war, „...dass nicht nur einseitig der Verstand ausgebildet wird, sondern die gesamte menschliche Natur: Körper, Arm, Bein, Auge, Ohr, Muskeln und Sehnen so gut, wie ästhetische und sittliche Fähigkeiten...“[13]. Stark beeindruckt von den Erfahrungen und Eindrücken aus England verfasste Lietz 1897 die Schrift: „Emlohstobba – Roman oder Wirklichkeit; Bilder aus der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft?“. Darin wird zunächst heftige Kritik am bestehenden deutschen Schulsystem geübt, aber auch die Kontur und Struktur der zukünftigen Lietzschen „Erziehungsschule“[14] skizzierend angedeutet. Kennt man die Biographie eines Hermann Lietz, so wird deutlich, dass erst die Kombination von persönlichen Erfahrungen aus Greifswald, Halle und Jena mit denen aus Abbotsholme einen damals noch visionären Schultypus charakterisieren. Richtungsweisend sind daher Aussagen wie:

[...]


[1] Röhrs, Hermann: Die Reformpädagogik. Ursprung und Verlauf unter internationalem Aspekt. Weinheim 1994, S.21.

[2] Scheibe, Wolfgang: Die reformpädagogische Bewegung 1900-1932. Eine einführende Darstellung. Weinheim / Basel 1994, S.5.

[3] Nietzsche, Friedrich: Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten. In: Flitner, Wilhelm / Kudritzki, Gerhard (Hg.): Die deutsche Reformpädagogik. Die Pioniere der pädagogischen Bewegung. Stuttgart 1995, S.37 ff.

[4] Scheibe, Wolfgang: Die reformpädagogische Bewegung 1900-1932. Eine einführende Darstellung. Weinheim / Basel 1994, S.7.

[5] Röhrs, Hermann: Die Reformpädagogik. Ursprung und Verlauf unter internationalem Aspekt. Weinheim 1994, S.21.

[6] Flitner, Wilhelm / Kudritzki, Gerhard (Hg.): Die deutsche Reformpädagogik. Die Pioniere der pädagogischen Bewegung. Stuttgart 1995, S.24.

[7] Lietz, Hermann: Schulreform durch Neugründung. Ausgewählte Pädagogische Schriften. In: Rutt, Theodor (Hg.): Schöninghs Sammlung Pädagogischer Schriften. Quellen zur Historischen, Empirischen und Vergleichenden Erziehungswissenschaft. Paderborn 1970, S.180.

[8] Bauer, Herbert: Zur Theorie und Praxis der ersten deutschen Landerziehungsheime. Erfahrungen zur Internats- und Ganztagserziehung aus den Hermann-Lietz-Schulen (Diskussionsbeiträge zu Fragen der Pädagogik, Band 28). Berlin 1961, S.24.

[9] Ebd., S.24.

[10] Lietz, Hermann: Auf deutschen Schulen. In: Rutt, Theodor (Hg.): Hermann Lietz. Schulreform durch Neugründung. Ausgewählte Pädagogische Schriften. Paderborn 1970, S.169.

[11] Ebd., S.173.

[12] Scheibe, Wolfgang: Die reformpädagogische Bewegung 1900-1932. Eine einführende Darstellung. Weinheim / Basel 1994, S.112.

[13] Lietz, Hermann: Emlohstobba. Roman oder Wirklichkeit. Bilder aus der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft?. In:

[14] Ebd., S.9.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Theorie und Praxis der deutschen Landerziehungsheime unter der Leitung von Hermann Lietz
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Proseminar Praxis Geschichte – geschichts- und museumsdidaktische Umsetzung schulgeschichtlicher Themen
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V113356
ISBN (eBook)
9783640141289
ISBN (Buch)
9783640141395
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorie, Praxis, Landerziehungsheime, Leitung, Hermann, Lietz, Proseminar, Praxis, Geschichte, Umsetzung, Themen
Arbeit zitieren
Christoph Effenberger (Autor:in), 2002, Theorie und Praxis der deutschen Landerziehungsheime unter der Leitung von Hermann Lietz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113356

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