"Der Welt Lohn"

Christentum und Angst bei Konrad von Würzburg


Seminararbeit, 2007

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Deutung des Werks

3. Eine kurze Geschichte der Angst
3.1. Gefühl, Emotion, Affekt? – Zur terminologischen Einordnung der Angst
3.2. Contemptus Mundi

4. Angst als Motiv?
4.1. Flucht oder Buße – Abkehr vs. Umkehr
4.2. Frauenbild Wirnts
4.3. Christentum und Angst

5. Wirnt – ein Erlöster?

6. Fazit

1. Einleitung

Kann das Christentum als Angstreligion bezeichnet werden? Diese Frage umfassend und differenziert beantworten zu wollen, würde zweifellos den Rahmen einer Arbeit wie der hier vorliegenden bei Weitem sprengen. Zunächst müsste im Zusammenhang mit einer solchen Fragestellung geklärt werden, was denn überhaupt unter Christentum verstanden werden will, mit welcher Auffassung von Christentum in seinen vielgestaltigen Erscheinungsformen und Ausprägungen also gearbeitet werden soll, bevor eine eventuelle Verbindung zum Thema Angst untersucht werden könnte.[1]

Auch wenn eine vollständige Beantwortung der Eingangsfrage an dieser Stelle nicht zu leisten ist und ein zu ehrgeiziges Anliegen wäre, soll zumindest ein Teilaspekt derselben auf den folgenden Seiten aufgegriffen werden. Als Untersuchungsgegenstand wird hierfür ein Werk aus der Kleinepik Konrads von Würzburg herangezogen – die Erzählung[2] „Der Welt Lohn“. Diese soll unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Konnexes zwischen Christentum und Angst genauer in Augenschein genommen werden, um somit einen Ausschnitt im weitaus größeren Komplex des Themas zu beleuchten.

2. Deutung des Werks

Der Erzähler des hier behandelten „mære“ macht gleich zu Beginn deutlich, an wen sich seine Erzählung richtet – „ir werlte minnære“ –, bevor er ab Vers 4 mit der descriptio des vermeintlich idealen Ritters beginnt.[3] Darin ist u.a. die Rede von einem „ritter […] der nâch der werlte lône […] ranc beidiu spâte unde fruo“[4] und „hæte werltlîchiu werc gewürket alliu sîniu jâr“.[5] Dieser „hôchgelobte“ sitzt in „einer kemenâten“, vertieft in die Lektüre eines Buches „dar an er âventiure vant von der minne geschriben“[6] als ihm der weibliche Inbegriff seiner Träume begegnet, „ein wîp nâch sînes herzen ger ze wunsche“.[7] Der Ritter ist bereit, ihr mit „herze“ und „lîp […] ze dienste“ zu sein, „ûf“ seines „tôdes zil“.[8] Auf seine Frage nach ihrer Identität gibt sie ihm zu verstehen: „diu Werlt bin geheizen ich“[9] und dreht ihm den Rücken zu. Der eben noch zu allen Diensten bereite Ritter gelangt ob des Anblicks, der sich ihm darbietet zu der Erkenntnis, „er wære gar verwâzen, swer sich wolte lâzen an ir dienste vinden“[10] – in seiner Abneigung unterstützt durch die erzählende Instanz: „daz si von mir verbannen und aller cristenheite sî!“[11] –, verlässt Frau und Kind, nimmt das Kreuz und zieht in den Kampf gegen die Heiden. Der Erzähler fügt noch hinzu: „dâ wart der ritter tugenthaft an stæter buoze funden“, womit er sein Seelenheil gerettet habe und richtet sich in einem abschließenden dringenden Appell an alle, „die nu sint, dirre wilden werlte kint“, sich in gleicher Weise von der Welt abzuwenden, da „der werlte lôn […] jâmers vol“ sei.[12]

Dem heutigen Leser bleiben einige Fragen und im Mindesten ein gewisses Maß an Irritation. Rölleke spricht gar von Befremden, das der Text zunächst auslöse. Es wirke u.a. widersprüchlich, dass die Welt, deren Wesen doch Verblendung sei, selbst als erleuchtende Instanz in Erscheinung trete.[13] Hinter der anfänglich als Feier eines ritterlichen Idealbildes anmutenden Schilderung des Protagonisten wird im Verlauf des Geschehens zunehmend ein kritischer, fast schon ironischer Unterton spürbar, der sich im Nachhinein als Diskreditierung weltlich-höfischer Lebensinhalte erweist.[14] Bleck hat herausgearbeitet, dass Wirnt als scheinbar tugendhaft dargestellt wird, aber keine der religiösen Kardinaltugenden besitze, ja möglicherweise gar mit den Todsünden der Superbia, Luxuria, Cupiditas und Fornicatio in Verbindung gebracht werden müsse[15] und durch seinen Dienst an der Welt in die Nähe des Teufels gerate.[16] Brandt stellt fest, dass das Auftauchen von Minne und Ehe zumindest ungewöhnlich sei.[17]

Es drängt sich die Frage auf, inwiefern das Erkennen von Frau Welts bis dahin verborgener Gestalt mit einer Erkenntnis Wirnts einhergeht und um was für eine Form von Erkenntnis es sich denn handeln mag, ja zu welcher Erkenntnis der Rezipient selbst möglicherweise gelangen soll. Diese Frage scheint angesichts der klaren Schlussbotschaft des Textes unnötig: „daz ir die werlt lâzet varn, welt ir die sêle bewarn“. So zumindest formuliert der Erzähler sein Anliegen. Doch was heißt das, die Welt fahren lassen, sich von der Welt abkehren? Eine Abkehr von etwas beinhaltet auch zugleich eine Hinkehr zu etwas. Wohin kehrt sich Wirnt, wohin soll sich der Rezipient kehren? Konrad deutet das in den Schlussversen an: „swer an ir dienste funden wirt, daz in diu fröude gar verbirt die got mit ganzer stætekeit den ûzerwelten hât bereit“.[18] Es wird also eine Hinwendung zu Gott angedeutet, jedoch nicht näher konkretisiert. Was wäre das Motiv für eine solche Hinwendung? Angst?

3. Eine kurze Geschichte der Angst

Was ist Angst? Wo kommt sie her? Verrät sich niedere Geburt durch Furcht, wie Vergil behauptet und auch Montaigne und La Bruyère nahelegen?[19] Ist sie also nur auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht beschränkt? Oder wurde sie in „grauer Vorzeit zusammen mit dem Menschen geboren“?[20] Was ist das Geheimnis dieses Phänomens, das Angst genannt wird? Delumeau nähert sich dem Gegenstand aus der Perspektive des Geschichtswissenschaftlers und bezeichnet die Angst als eine „natürliche Erscheinung“, von der Menschen zu allen Zeiten betroffen waren.[21] Er schildert an der Figur Ludwigs des XI., der „sich dessen bewußt ist, ein Sünder zu sein, und der das Fegefeuer fürchtet“ exemplarisch „die aufsteigende Angst im Abendland an der Schwelle zur Neuzeit“.[22] Er setzt der Angst „das Bedürfnis nach Sicherheit“ entgegen und bezeichnet dieses als „ein Grundbedürfnis [...] die Basis des menschlichen Gefühlslebens und der menschlichen Moral“ und ergänzt, dass die Unsicherheit den Tod, die Sicherheit dagegen das Leben symbolisiere. Die Persönlichkeit dessen, der der Angst ausgesetzt sei, zersetze sich und der tröstliche Eindruck, der durch die Zustimmung zur Welt entstehe, verschwinde.[23] Ist das vorliegende Werk Konrads in einem solchen Kontext des Verlustes von Sicherheit und Trost zu sehen und manifestiert sich dies in Wirnts Zustand nach Welterkenntnis und -abkehr?

3.1. Gefühl, Emotion, Affekt? – Zur terminologischen Einordnung der Angst

Delumeau spricht in seinen Betrachtungen zur Geschichte kollektiver Ängste in Europa vom „Gefühl“ der Angst und im selben Zusammenhang von einem „Gefühlskomplex“.[24] An anderer Stelle heißt es bei ihm: „Im strengen und engen Sinne des Wortes ist die (individuelle) Angst ein Affekt, dem oftmals ein Gefühl der Überraschung vorangeht und der durch die bewußte Wahrnehmung einer gegenwärtigen, großen Gefahr hervorgerufen wird, die unserer Meinung nach unser Leben bedroht.“[25] Eine einheitliche Begriffsverwendung ist nicht unbedingt zu erkennen. Was also ist Angst und wie ist sie terminologisch einzuordnen – als Affekt, Gefühl oder doch als Emotion? Wo liegen die Unterschiede? Welchen Sinn machen solche Differenzierungen? Es soll hier nicht zu tief in die Versuche und Probleme der Wissenschaft, Gefühle zu beschreiben und begrifflich zu unterscheiden, eingedrungen werden. Stattdessen sei u.a. auf Hartmann verwiesen,[26] der auf Schwierigkeiten in dieser Angelegenheit hingewiesen hat und eine Begriffsverschiebung des altgriechischen „pathos“ als Vorläufer des späteren „Affektes“ zum neuzeitlichen „Gefühl“ sieht, das wiederum zur umfassenden definitorischen Kategorie geworden sei. Die Begriffe „Gefühl“ und „Emotion“ würden im Deutschen synonym verwendet.[27] Es wird daher in dieser Arbeit von der Angst als Gefühl gesprochen. Dieses Gefühl scheint zu Konrads Zeiten in gewisser Weise mit einer spezifischen Weltsicht verknüpft gewesen zu sein.

[...]


[1] Vgl. Schnell, Rüdiger (1992): Suche nach Wahrheit. Gottfrieds »Tristan und Isold« als erkenntniskri-

tischer Roman. Tübingen. S.115f., wo die Vielfalt allein schon im Gottesbegriff des Mittelalters ange-

deutet wird.

[2] Brandt hält den Terminus „Erzählung“ für problematisch, schlägt aber keine Alternative vor (vgl.

Brandt, Rüdiger (1987): Konrad von Würzburg. Darmstadt. S.112f.).

[3] Vgl. Brandt 1987: 114.

[4] Konrad von Würzburg (2004): Heinrich von Kempten. Der Welt Lohn. Das Herzmaere. Stuttgart.

V. 1-5.

[5] Ebd. V. 48-49.

[6] Ebd. V. 52-57.

[7] Ebd. V. 64-65 ob diese Stelle bildhaft zu verstehen ist oder ob es sich um ein Wunder bzw. eine

Vision handelt, ist umstritten (vgl. Brandt, Rüdiger (2000): Konrad von Würzburg. Kleinere epische

Werke. Berlin. S. 106, Fußnote).

[8] Ebd. V. 172-175.

[9] Ebd. V. 212.

[10] Ebd. V. 245-247.

[11] Ebd. V. 240-241.

[12] Ebd. V. 254-Ende.

[13] Ebd. S. 157.

[14] Vgl. Brandt 1987: 115.

[15] Bleck, Reinhard (1991): Konrad von Würzburg: Der Welt Lohn. In Abbildung der gesamten

Überlieferung, synoptische Edition, Untersuchungen. Göppingen. S.124.

[16] Ebd. S.130.

[17] Vgl. Brandt 2000: 109.

[18] Konrad 2004: V. 267-270.

[19] Vgl. Delumeau 1985: 13f.

[20] Ebd. S. 20.

[21] Ebd. S. 19f.

[22] Ebd. S. 18.

[23] Ebd. S. 20f.

[24] Ebd. S. 11.

[25] Ebd. S. 26.

[26] Kühne, Anja (2004): Vom Affekt zum Gefühl. Konvergenzen von Theorie und

Literatur im Mittelalter am Beispiel von Konrads von Würzburg „Partonopier und

Meliur“. Göppingen.

[27] Hartmann, Martin (2005): Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären. Frankfurt/New York.

S.28f.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
"Der Welt Lohn"
Untertitel
Christentum und Angst bei Konrad von Würzburg
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Veranstaltung
Gefühlsmanagement in der Kleinepik Konrads von Würzburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
14
Katalognummer
V113290
ISBN (eBook)
9783640138135
ISBN (Buch)
9783640138357
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Welt, Lohn, Gefühlsmanagement, Kleinepik, Konrads, Würzburg
Arbeit zitieren
Fritz Hubertus Vaziri (Autor:in), 2007, "Der Welt Lohn", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113290

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