Haben Bienen wirklich Empfindungen?

Zu Michael Tyes Repräsentationstheorie in seinem Aufsatz „Das Problem primitiver Bewusstseinsformen: Haben Bienen Empfindungen?“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

I. Thomas Nagels Aufsatz Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?
I.1 Nagels Aufsatz
I.2 Kritik an Nagel

II. Phänomenales Bewusstsein bei Michael Tye
II.1 Tyes Aufsatz Das Problem primitiver Bewusstseinsformen
II.2 Kritik an Tye

III. Schluss

IV. Literatur

Einleitung

In der Philosophie des Geistes steht nach Schröder immer die Frage im Hintergrund „Wie verhält sich der Geist zum Rest der Welt?“ oder auch „Wie passt der Geist in eine materielle Welt?“[1]

Da es zwei mögliche Antworten auf diese Fragen gibt, entwickelten sich zwei philosophische Richtungen: der Monismus und der Dualismus. Monisten behaupten, der Geist sei eine besondere Erscheinungsform der Materie und lasse sich auf körperliche Eigenschaften zurückführen. Dualisten sehen in dem Geist etwas Eigenständiges, das in einem bestimmten Sinne von der Materie, vom Körper und dem Nervensystem unabhängig ist.

Thomas Nagels in den 70er Jahren erschienener Aufsatz Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?[2] verhandelt diese Frage. Nach Nagel gebe es noch kein Konzept, die physische Natur mentaler Phänomene, unter die Gedanken und Empfindungen als „paradigmatische Klassen“[3] fallen, zu erklären. Bewusste mentale Phänomene würden derzeit von der Wissenschaft noch nicht verstanden. Nagels Forderung nach einem neuen Zugang zu mentalen Phänomenen, einer „objektiven Phänomenologie“, stieß in der Philosophie eine Debatte an, die bis heute anhält.

Michael Tye macht in seinem Aufsatz Das Problem primitiver Bewusstseinsformen: Haben Bienen Empfindungen?[4] einen Vorschlag, der bewusste Phänomene beschreiben soll. Auf der Grundlage einer Repräsentationstheorie entwirft er eine Theorie des phänomenalen Bewusstseins, also des Bewusstseins, das an die Sinneswahrnehmung gekoppelt ist. Tye behauptet, es lasse sich physikalisch erklären, dass auch primitive Lebensformen wie Fische und Bienen phänomenales Bewusstsein besitzen. Diese These hat, wie gezeigt werden wird, nicht nur Konsequenzen für das phänomenale Bewusstsein primitiver Lebensformen, sondern auch für das phänomenale Bewusstsein des Menschen, und für das Verständnis von Bewusstsein allgemein.

In dieser Arbeit soll zuerst Thomas Nagels Aufsatz dargestellt und dann einer Kritik unterzogen werden. Im Zentrum der Auseinandersetzung wird die Frage nach der Möglichkeit der Aussage stehen, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein. Daran schließt sich die Diskussion darüber an, wie man dem Konflikt des subjektiven Erlebnishorizontes und dessen Beschreibung aus dem Standpunkt der dritten Person begegnen kann. Was sagt eine Beschreibung von Verhalten und Wahrnehmungsapparaten von Tieren über ihre subjektiven Erlebnisse aus?

Teil zwei der Arbeit untersucht Michael Tyes repräsentationstheoretischen Ansatz zum phänomenalen Bewusstsein. Demnach wird die Außenwelt von Lebewesen intern repräsentiert - für Tye stellen auch innere Zustände wie Schmerz und Gefühle Repräsentationen dar. Die Aufgabe der Repräsentationstheorien liegt darin, zu bestimmen, wie genau sich der repräsentierte Gehalt zu dem repräsentierten Gegenstand verhält. Durch welches Repräsentationssystem werden Wahrnehmungen oder Empfindungen bewusst? Dabei unterliegt Tye m.E. einem vereinheitlichenden Verständnis von Intentionalität[5], das die Unterschiede zwischen der Intentionalität von Tieren und Menschen verwischt. Deshalb wird Tyes Theorie mit Ruth G. Millikans differenzierter Version von Intentionalität konfrontiert.

I. Thomas Nagels Aufsatz Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?

Hier soll zuerst Nagels Aufsatz dargestellt und dann mit den kritischen Überlegungen von Daniel Dennett und Daisie Radner konfrontiert werden. Die Kernfrage Nagels ist, wie subjektive Erlebenisse objektiv zu beschreiben sind. Die Kritik diskutiert diese Frage anhand des Problems der Beschreibung eines Zustands aus dem Standpunkt der ersten und der dritten Person.

I.1 Nagels Aufsatz

Nagel wendet sich in seinem Aufsatz gegen aufkommende reduktionistische Theorien, also Theorien, die menschliches Bewusstsein allein auf messbare Körperfunktionen reduzieren. Seine These ist, dass es noch kein Konzept gebe, die physische Natur mentaler Phänomene zu erklären. Deshalb würden bewusste mentale Phänomene noch nicht verstanden.

Da ein Organismus mentale Erfahrungen mache, müsse es irgendwie sein, dieser Organismus zu sein. „Die Tatsache, dass ein Organismus überhaupt bewusste Erfahrung hat, heißt im wesentlichen, dass es irgendwie ist, dieser Organismus zu sein.“[6]

Mentale Erfahrungen könnten unter Umständen Implikationen für die Form der Erfahrung und für das Verhalten von Organismen haben. Wichtig sei, dass die Erfahrung irgendwie ist, dass sie für den Organismus ist, also einen subjektiven Charakter habe. Dieser Charakter könne nicht funktional oder intentional erklärt werden, denn das hieße ja, dass diese Beschreibungsarten auch auf Roboter zutreffen würden. Auch über kausale Beziehungen und hinsichtlich des Verhaltens eines Lebewesens sei der subjektive Charakter einer Erfahrung nicht vollständig zu erfassen. Eine physikalische Theorie des Geistes werfe also die Subjekt-Objekt Problematik auf. Objektivistische Verfahren stünden vor dem Problem, Subjektivität erklären zu müssen.

Vor diesem Problem stehe die objektive Wissenschaft, wenn sie beschreiben wolle, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein. Nagel wählte das Beispiel der Fledermaus, da sie aus phylogenetischer Sicht vom Menschen nicht so weit entfernt ist wie Bienen oder Flundern. Dennoch seien ihre Verhaltensweisen und ihr sensorischer Apparat von dem des Menschen verschieden.

Der Mensch könne mit den derzeitigen Theorien nicht erfassen, wie es ist, eine Wahrnehmung wie den Echolot zu haben und was dieser Sinn für potentielle Erlebnisse des Tieres bedeute. Im Falle der Fledermaus sei nur eine Beschreibung aus der dritten Person möglich: Der Mensch könne sich vorstellen, wie es für ihn ist, sich wie eine Fledermaus zu verhalten, kopfüber von einem Ast herabhängend. Eine Beschreibung aus der ersten Person, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein, sei hingegen nicht möglich. Man könne nur ein schematisches Konzept der subjektiven Erfahrung entwerfen. Genauso ginge es Fledermäusen oder Marsmenschen, wenn sie nachdenken würden, wie es für einen Menschen ist, ein Mensch zu sein. Mentale Erfahrungen gehören für Nagel zu „Tatsachen“, die nicht von schematischen Theorien erfasst oder repräsentiert werden können.

Nagel lehnt objektive Theorien wie den Physikalismus nicht prinzipiell ab, er setzt aber ihre Grenzen fest, die sie im Umgang mit subjektiven Erlebnissen erfahren. Sie befinden sich immer außerhalb des zu beschreibenden Objekts (außerhalb der Fledermaus), wollen aber gerade die Qualität subjektiver Erfahrung oder mentaler Erlebnisse (der Fledermaus) beschreiben. Objektive Theorien, die Phänomene gerade aus unterschiedlichen Standpunkten betrachten, stehen dem spezifischen Standpunkt der subjektiven Erfahrung gegenüber. Sie könnten zwar physische Ereignisse messen und feststellen, wie ein solches Ereignis aber zu einem mentalen Zustand korreliert, ließen sie offen. Diese Lücke wird in der Philosophie des Geistes mit dem Begriff „Erklärungslücke“ („explanatory gap“) beschreiben.

“Es fehlt eine Konzeption davon, wie sich ein mentalistischer und ein physikalistischer Term auf ein und denselben Gegenstand beziehen können, und den gewöhnlichen Analogien mit theoretischen Identifikationen gelingt es nicht, sie zu verschaffen.”[7]

Nagel schlägt vor, eine „objektive Phänomenologie“ zu entwickeln, die nicht auf Empathie und Imagination fuße. Er regt an, eine Theorie auszuarbeiten, die den subjektiven Charakter einer Erfahrung den Menschen erklärt, die diese Erfahrungen nicht machen können: Ein Beispiel dafür wäre die Farbbeschreibung für Menschen, die von Geburt an blind sind.

I.2 Kritik an Nagel

Nagels Aufsatz wurde u.a. von Daniel C. Dennett kritisiert. Dennett sieht eine „offene Inkonsistenz“[8] in Nagels Darstellung. Nagel könne anhand seiner Daten nicht belegen, dass 1. Fledermäuse ein Bewusstsein haben, das 2. von dem des Menschen verschieden ist. Dennett verteidigt eine Beschreibung subjektiver Erlebnisse aus dem Standpunkt der dritten Person. Da Nagel die Annahmen über den Erlebnishorizont der Fledermaus anhand der Beschreibung ihres Wahrnehmungsapparats gewonnen habe, sei es nach Dennett möglich, noch mehr Erkenntnisse zu erlangen, wenn weiter von dem Standpunkt der dritten Person gefragt werde.

„Tatsächlich verlassen wir uns alle ohne Zögern auf Verhaltensbelege aus der Perspektive der dritten Person, um Hypothesen auf das Bewusstsein von Tieren zu stützen oder zu verwerfen.“[9]

Aus Verhaltensbelegen folgert Dennett, dass es einen Unterschied ergebe, wie es ist, ein afrikanischer Geier und ein mittelamerikanischer Truthahngeier zu sein. Ersterer verlasse sich in Bezug auf die Lokalisierung seiner Beute nur auf seinen Gesichtssinn, letzterer auf seine Geruchswahrnehmung – er werde von dem verwesenden Aasgeruch „angezogen“. Nach Dennett würden Truthahngeier also Aasgeruch mögen.

Daisie Radner diskutiert Nagels Aufsatz ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des Standortes aus der ersten und dritten Person.[10] Sie stellt dem Konzept der Autophänomenologie (den Standpunkt aus der ersten Person, entwickelt von Franz Brentano und Edmund Husserl) die Perspektive aus der dritten Person, die von Dennett vorgeschlagene Heterophänomenologie, gegenüber. Sie behauptet, dass es nur eine Innenweltheterophänomenologie gebe, also die Beschreibung der Innenwelt eines Wesens aus dem Standpunkt der dritten Person; eine Beschreibung der Innenwelt eines Wesens aus der ersten Person sei nicht möglich.

„Statt des Versuchs, sich sozusagen in die Haut der Tiere zu versetzen, macht man sich ein Bild davon, was das Tier aufgrund seiner Physiologie, seiner kognitiven Fähigkeiten, seines Verhaltens und des Verhaltenskontextes erleben muss.“[11]

[...]


[1] Schröder, Jürgen: Einführung in die Philosophie des Geistes. Frankfurt/ Main 2004, S.10.

[2] Nagel, Thomas: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? In: Bieri, Peter (Hg): Analytische Philosophie des Geistes. Bodenheim 1993, S.261-276.

[3] Schröder, Jürgen: Einführung in die Philosophie des Geistes, S.12.

[4] Tye, Michael: Das Problem primitiver Bewusstseinsformen: Haben Bienen Empfindungen? In: Esken, F u. Heckmann, H-D (Hg): Bewusstsein und Repräsentation. Paderborn 1999, S.91-122.

[5] Die Begriffe „repräsentational“ und „intentional“ werden in dieser Arbeit synonym verwendet. Sie beschreiben das Gerichtetsein des Subjekts auf externe oder interne Gegenstände.

[6] Nagel, Thomas: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?, S.262.

[7] Nagel, Thomas: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?, S.270.

[8] Dennett, Daniel C.: Das Bewusstsein der Tiere: Was ist wichtig und warum? In: Perler, Dominik u. Wild, Markus (Hg): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main 2005, S.389-407, S.391.

[9] Ebd., S. 392.

[10] Radner, Daisie: Heterophänomenologie: Wie wir etwas über die Vögel und die Bienen lernen. In: Perler, Dominik u. Wild, Markus (Hg): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/Main 2005, S.408-426.

[11] Ebd., S.424.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Haben Bienen wirklich Empfindungen?
Untertitel
Zu Michael Tyes Repräsentationstheorie in seinem Aufsatz „Das Problem primitiver Bewusstseinsformen: Haben Bienen Empfindungen?“
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
HS: Philosophie der Gefühle
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V113256
ISBN (eBook)
9783640136155
ISBN (Buch)
9783640136377
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Haben, Bienen, Empfindungen, Philosophie, Gefühle
Arbeit zitieren
Michael Kunth (Autor:in), 2007, Haben Bienen wirklich Empfindungen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113256

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