Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland. Ursachen, Merkmale und Folgen


Seminararbeit, 2001

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Bevölkerungsentwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik (1949-1989)
2.1 Migration
2.2 Geburtenentwicklung
2.2.1. Geburtenförderungspolitik

3 „Die Wende” 1989/90
3.1 Abwanderung
3.2 Geburtenrückgang
3.3 Mortalitätskrise

4 Die demographische Entwicklung Ostdeutschlands seit 1991
4.1 Migration
4.2 Geburtenentwicklung
4.2.1 Warum keine Kinder?
4.3 Mortalität
4.4 Eheschließungen, Scheidungen
4.5 Suburbanisierung
4.6 Die demographische Entwicklung in einzelnen Regionen
4.6.1 Der engere Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg
4.6.2 Die Lausitz-Region
4.6.3 Mecklenburg-Vorpommern

5 Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland

6 Lösungen des Dilemmas

7 Schlußbemerkungen

8 Literaturverzeichnis

9 Abbildungsquellen und Abbildungen

1 Einleitung

"Politisch zu handeln schließt zum einen stets die Möglichkeit des Irrens ein, und zum anderen setzt es die Einlassung auf die bestehenden Verhältnisse voraus - und sei es zum Zweck ihrer Überwindung.

Die Alternative dazu ist apatische Schicksalsergebenheit, das Ausschlagen von Handlungsoptionen, auch wenn sie noch so gering zu sein scheinen."

Wolfgang Thierse, Präsident des Deutschen Bundestages

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Proseminars „Perspektiven der Bevöl- kerungsentwicklung Welt, Europa, Deutschland”, bei dem es im wesentlichen um das enorme Anwachsen der Weltbevölkerung und dessen wirtschaftliche, ökologische aber auch soziale und gesellschaftliche Auswirkungen ging. Parallel zu diesem, hauptsäch- lich die Entwicklungsländer betreffenden, Phänomen wurde auch das vermeindliche Paradoxon des gleichzeitig stattfindenden Bevölkerungsrückgangs in den wohlhabenden Industrieländern diskutiert. Mit diesem letztgenannten Thema wird sich meine Arbeit auseinandersetzen. Es geht dabei im speziellen um ein besonders interessantes und in dieser Form noch nicht dagewesenes Beispiel der demographischen Transformation, um den Bevölkerungsrückgang in Ostdeutschland, insbesondere ab den Wendejahren 1989/ 1990.

Die Grenzöffnung zwischen Österreich und Ungarn im September 1989, der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und die bereits knapp ein Jahr später gefeierte deutsch-deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 zogen nicht nur weitreichende politische, ökonomische und soziale Konsequenzen für Ostdeutschland nach sich, sondern wirkten sich auch nahezu „implosionsartig” auf die Bevölkerungsentwicklung aus. Mehr als zwei Millionen Menschen haben seit Herbst 1989 die Deutsche Demo- kratische Republik beziehungsweise seit der Wiedervereinigung die fünf neuen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie den Ostteil Berlins verlassen, Ziel waren fast ausschließlich die Alten Bundesländer. Neben dieser hohen Zahl an Abwanderern ist der enorme Bevölkerungs- verlust Ostdeutschlands ab Anfang der neunziger Jahre auch auf einen zweiten Aspekt zurückzuführen, den dramatischen Geburtenrückgang. In den achtziger Jahren brachte eine Frau in der DDR noch durchschnittlich 1,7 Kinder zur Welt, heute liegt die TFR (Total Fertility Rate) bei nur noch 1,1.

Die dritte Komponente der Bevölkerungsentwicklung, die Sterblichkeit, hat im Gegen- satz zu Migration und Fruchtbarkeit nur marginalen Einfluß auf die Bevölkerungs- verluste Ostdeutschlands.

Insgesamt (mit Einwanderungen) hat Ostdeutschland von den ca. 16 Millionen Bürgern im Sommer 1989 heute nur noch knapp 15 Millionen Einwohner.1 2

Ich werde mich in dieser Arbeit mit den Ursachen und Merkmalen, Folgen und möglichen Lösungsansätzen der hier bereits angerissenen Phänomene beschäftigen und dabei nicht nur Ostdeutschland als einheitliches Gebilde betrachten, sondern auch auf demographische Besonderheiten in einzelnen Regionen eingehen. Neben den drei Prämissen der Bevölkerungsentwicklung werde ich auch auf andere Indikatoren einer demographischen Transformation in den Neuen Bundesländern zu sprechen kommen,

z.B. die Veränderung der Eheschließungsrate. Die Arbeit soll einige Anregungen geben, wie der Bevölkerungsrückgang in Ostdeutschland, gekoppelt mit dem eigentlichen Problem, der „Überalterung” der Ostdeutschen, zu betrachten ist und wie man mit ihm umgehen sollte. Vorangehend soll ein kurzer Abriß der Bevölkerungsentwicklung in der DDR bis zum Jahr 1989 sowohl den eindrucksvollen Kontrast zur demographischen Situation nach dem Mauerfall als auch erste Indikatoren für die „Nachwende- entwicklung” aufzeigen.

Grafiken und Tabellen zur Veranschaulichung befinden sich am Ende der Arbeit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Migrationsgeschehen in der DDR war im wesentlichen durch Abwanderung, speziell in die Bundesrepublik, gekennzeichnet. Bereits vor der Gründung der beiden deutschen Staaten siedelten 730.000 Menschen aus der sowjetischen in die westlichen Besatzungszonen über.3 In den ersten zwanzig Jahren ihres Bestehens ging die

Bevölkerung der DDR von ursprünglich 18.900.000 auf 17.070.000 Einwohner zurück. Da noch bis zum Jahr 1968 ein Geburtenüberschuß zu verzeichnen war, kann die negative (West-)Wanderungsbilanz für den Rückgang verantwortlich gemacht werden. Absolut verließen 3.850.000 Menschen bis zum Mauerbau am 13. August 1961 die DDR.4 Die Mehrheit dieser Emigranten waren politische Flüchtlinge, die nicht bereit waren, in dem sozialistischen System zu leben, geschweige denn, es zu tragen. Nur ca.

400.000 Menschen wanderten in dieser Zeit zu, Gründe waren hier seltener ideo- logischer Natur, eher waren Familienzusammenführungen ausschlaggebend. Nach dem Mauerbau schwächte sich die Emigration ab. Etwa 220.000 Bürger verließen zwischen 1962 und 1970 die DDR, die Hälfte war über 65 Jahre alt. (Im Gegensatz dazu waren zwischen 1954 und 1961 50% der Abwanderer unter 25 Jahre alt.5) Das gewaltige Wan- derungsdefizit hatte zwei entscheidende demographische Konsequenzen für die DDR: Es führte zu einem Rückgang der Geburtenziffer und trieb den Alterungsprozeß der Bevölkerung voran. Zwischen 1970 und 1990 sank die Einwohnerzahl in der DDR von

17.068.000 auf 16.110.000. Dieser Rückgang war nun aber nicht mehr hauptsächlich auf Abwanderung zurückzuführen (im Durchschnitt 10.000-13.000 Emigranten pro Jahr), sondern gründete sich im wesentlichen auf einen Rückgang der Fruchtbarkeit. Eine

„Lockerung” an den Grenzen war ab 1984 festzustellen, 40.900 Menschen wander- ten in diesem Jahr in den Westen ab, 1988 waren es schon 43.314. Die Zahl der illegalen Emigranten wuchs in den achtziger Jahren stetig, ein Indikator des begin- nenden Zerfalls des DDR-Regimes. Schließlich öffnete sich unter Kontrolle der Tschechoslowakei und Ungarns der Eiserne Vorhang, der Ausreisestrom war nicht mehr aufzuhalten. Was die Zahl der Zuwanderer in die DDR betrifft, so blieb diese stets fast bedeutungslos hinter der Zahl der Ausreisenden zurück. Zwischen 1.000 und 3.000 Bundesbürger emigrierten durchschnittlich im Jahr über die innerdeutsche Grenze. Am 31.12.1989 betrug die Zahl der in der DDR lebenden Immigranten (sowohl West- deutsche als auch vorrangig aus Vietnam, Polen und Mocambique stammende Gast- arbeiter) 16.434, was lediglich 1,2 % der Gesamtbevölkerung entsprach.6

Die Fruchtbarkeit lag in der DDR bis 1971 deutlich über dem Reproduktionsniveau, erst danach fiel sie stetig (mit einer kurzen Ausnahmephase von 1977 bis 1980) auf einen TFR-Wert von 1,52 im Jahr 1990. Bis 1956 und ab 1969 lag die Fruchtbarkeitsrate der DDR über der der Bundesrepublik. In den ersten Jahren nach Gründung des Staates hing diese Tatsache zunächst mit der traditionell höheren Fruchtbarkeit in Mittel- und Ost- deutschland im Gegensatz zu Westdeutschland zusammen. Neue soziale Bestim- mungen, wie z.B. das Recht auf einen freien Kindergartenplatz für jedes Kind, waren jedoch ebenso maßgeblich. Ab 1956/57 machte sich die Emigration fertiler Bevölke- rungskohorten in den Westen bemerkbar, der in den vorhergehenden Jahren vor- herrschende Geburtenüberschuß erreichte 1968 den Nullwert, 1969 war die Bilanz der natürlichen Bevölkerungsbewegung (Geburten - Sterbefälle) zum ersten Mal negativ.7 Zwischen 1960 und 1975 ging die Fruchtbarkeitsziffer in der DDR um 16,5% zurück.8 Interessanterweise ist das hier beschriebene (ähnlich auch in der BRD anzutreffende) Phänomen nach Auffassung vieler Wissenschaftler nichts anderes als ein Anknüpfen an den Prozeß der „demographischen Transformation”, der in Deutschland bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts durch die fortschreitende Industrialisierung, Modernisierung und Urbanisierung begonnen hatte und durch die Weltkriege und die anschließende

„Aufholphase” nur unterbrochen wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ab 1970 verschärfte sich der Geburtenrückgang vorerst weiter, 1975 hatte die DDR das größte Geburtendefizit der Welt (gefolgt von der Bundesrepublik).9 Erst von 1976 bis 1985 war wieder eine Zunahme des natürlichen Bevölkerungswachstums in Folge pronatalistischer Maßnahmen zu verzeichnen. (Diese sogenannte Geburtenförderungs- politik soll im nächsten Abschnitt genauer umrissen werden.) Schließlich folgte auf ein leichtes Geburtendefizit 1986 wieder ein Überschuß in den Jahren 1987/88, gefolgt von einem deutlichen Defizit ab 1989, was eindeutige Folge des beginnenden Zusammen- bruchs der DDR war.10

2.2.1 Geburtenförderungspolitik

Gezielte Maßnahmen zur Geburtenförderung wurden in der DDR ab 1972 ergriffen. Einerseits sollte dem allgemeinen Trend zu weniger Kindern entgegengewirkt, zum an- deren die im gleichen Jahr eingeführte Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs kompensiert werden. Diese Maßnahmen beschränken sich zunächst auf längeren Mutterschaftsurlaub, Arbeitszeitverkürzungen für kinderreiche Mütter sowie eine Auf- stockung von Geburtenprämien plus Ergänzung durch Haushaltskredite, die im Falle weiterer Geburten nicht zurückgezahlt werden mußten. Im wahrsten Sinne des Wortes

„fruchteten” die Maßnahmen nicht in der erhofften Weise. (Die TFR ging zwischen 1972 und 1975 von 1,79 auf 1,54 zurück.) Deshalb wurde 1976 ein weiteres Maß- nahmenbündel beschlossen: beträchtliche Erleichterungen bei der Arbeitszeitregelung sowie ein Jahr zusätzlicher Mutterurlaub, das sogenannte „Babyjahr”, nach Geburt des zweiten und jedes weiteren Kindes. (In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß der Anteil der berufstätigen Frauen in der DDR [1983:82,5%] deutlich über dem der BRD [1983:55%] lag.) Desweiteren wurden neue Kindertagesstätten und eine Vielzahl neuer Wohnungen gebaut. Die Wirkung war nun eindeutig positiv, die durchschnittliche Geburtenzahl lag zwischen 1977 und 1984 um ein Drittel höher als zwischen 1973 und 1975. Anfang der achtziger Jahre stieß die Geburtenförderungspolitik jedoch an ihre Grenzen. Die materiellen Anreize zeigten nicht mehr die gewünschte Wirkung. (Ein Teil der Geburten wurde bloß vorgezogen, um möglichst rasch in den Genuß der staat- lichen Boni zu kommen.)11 1984 wurden Maßnahmen zur Förderung „kinderreicher Familien” ergriffen, 1986 schließlich das Babyjahr schon beim ersten Kind bewilligt.12 Die demographische Entwicklung in den letzten Jahren der DDR zeigt aber die nun vorhandene Resistenz der Bevölkerung gegen diese Politik. (Die TFR fällt stetig auf 1,52 im Jahr 1990.)13

[...]


1 www.statistik-bund.de, 15.12.2000

2 In der Arbeit beziehen Daten für Ostdeutschland Ostberlin mit ein! (ansonsten Kennzeichnung)

3 Vgl. Münz, Rainer, Wolfgang Seifert, Ralf Ulrich: Zuwanderung nach Deutschland - Strukturen, Wirkungen, Perspektiven, Campus Verlag Frankfurt/New York, 2. Aufl., 1999, S. 36

4 Vgl. Hubert, Michel: Deutschland im Wandel - Geschichte der deutschen Bevölkerung seit 1815, Franz Steiner Verlag Stuttgart, 1998, S. 282

5 Diese ausreisenden „Jungen-Kohorten” hatten entscheidenden Einfluß auf die Bevölkerungspyramide und trugen maßgeblich zur allmählichen Überalterung der DDR bei. (vgl. Jentzsch, Klaus: Sterben wir aus? - Der Geburtenrückgang in der BRD, Verlag Ploetz Freiburg/Würzburg, 1979, S. 54f.)

6 Vgl. Hubert, Michel: Deutschland im Wandel - Geschichte der deutschen Bevölkerung seit 1815, Franz Steiner Verlag Stuttgart, 1998, S. 283, 302-304

7 Aufgrund des Altersaufbaus in der DDR wirkte sich auch die Sterblichkeit stark auf die natürliche Bevölkerungsbewegung aus. (vgl. Marschalck, Peter: Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. Und

20. Jahrhundert, Neue Historische Bibliothek, edition suhrkamp, Frankfurt/M., 1984, S. 115)

8 In der DDR sank die Geburtenziffer zwischen 1965 und 1970 von 16,5 auf 13,9 %.

9 Vgl. Jentzsch, Klaus: Sterben wir aus? - Der Geburtenrückgang in der BRD, Verlag Ploetz Freiburg/Würzburg, 1979, S. 53

10Vgl. Hubert, Michel: Deutschland im Wandel - Geschichte der deutschen Bevölkerung seit 1815, Franz

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland. Ursachen, Merkmale und Folgen
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Perspektiven der Bevölkerungsentwicklung: Welt, Europa, Deutschland
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
25
Katalognummer
V11312
ISBN (eBook)
9783638175043
ISBN (Buch)
9783668153981
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bevölkerungsentwicklung, Ostdeutschland, Perspektiven, Bevölkerungsentwicklung, Welt, Europa, Deutschland
Arbeit zitieren
Philipp Kaufmann (Autor:in), 2001, Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland. Ursachen, Merkmale und Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11312

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