Vorbildfunktionen in mittelalterlicher Epik

Lambrechts Alexanderlied und Hartmanns von Aue Gregorius im Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

28 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Textgrundlagen

3. Vorbildfunktionen geistlicher Art
3.1 Alexander – Instrumentum Dei
3.2 Gregorius – Imitatio Christi

4. Vorbildfunktionen weltlicher Art
4.1 Alexander – mächtiger Eroberer und großer Herrscher
4.2 Gregorius – gerechter Herrscher und Papst

5. Schlussbetrachtung

6. Bibliografie

Primärliteratur

Sekundärliteratur

1. Einleitung

Vorbilder finden sich zu allen Zeiten – so auch im Deutschland des 12. Jahrhunderts. Schillernde Gestalten von großem Mut, großer Weisheit und großer Macht üben damals wie heute eine immense Faszination auf die Menschen aus. Die beiden epischen Werke des 12. Jahrhunderts, die legendenhafte Erzählung Gregorius von Hartmann von Aue und das Alexanderlied des Pfaffen Lambrecht thematisieren derart schillernde Gestalten, die beide durch ihre jeweiligen Verdienste einen Vorbildstatus inne haben und als gutes Beispiel dienen sollen. Dabei gibt es einige Gemeinsamkeiten, aber auch viele Unterschiede in der Bewertung der Vorbildfunktionen. Diese zu erarbeiten und zu vergleichen wird Aufgabe dieser Arbeit sein. Es wird zu zeigen sein, dass sowohl der Makedonenkönig Alexander, als auch der spätere Papst Gregorius in weltlicher und auch geistlicher Art als Vorbilder fungieren. Dabei wird der Analyse ein hermeneutisches Vorgehen zu Grunde gelegt. Vor allem im Hinblick auf die geistlichen Vorbildfunktionen – besonders des Vorauer Alexanders – die oftmals implizit zum Ausdruck kommen, jedoch nicht immer explizit erwähnt werden, scheint die hermeneutische Methode angebracht, um den Intentionen des Autors gerecht zu werden und zu dem Ziel eines adäquaten Verstehens zu gelangen.

2. Textgrundlagen

Es gibt viele literarische Auseinandersetzungen mit Alexander dem Makedonen-könig. „Der erste Text in der langen Reihe deutschsprachiger Alexander-Viten ist das wohl um 1150 entstandene Alexanderlied des moselfränkischen Geistlichen Lambrecht. Es steht am Beginn der deutschsprachigen Großepik des 12. Jahrhunderts, ist der erste deutsche Text, der einen antiken Stoff aufgreift, und zugleich das erste epische Werk, dem eine romanische Quelle zugrundeliegt.“[1] Es wurde in drei Fassungen überliefert (Vorauer – älteste Fassung –, Straßburger und Baseler Fassung), von denen aber vermutlich keine mit Lambrechts Originaltext identisch ist. Vielmehr griffen die Bearbeiter zwar offenbar auf Lambrechts Text bzw. seine Quellen zurück, flochten aber ihre eigenen Überzeugungen und Beweggründe in den von ihnen gestalteten Text mit ein. Die Motivationen konnten dabei ganz unterschiedlich sein. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass die Darstellung Alexanders nicht vom (weltlichen oder geistlichen) Status des Autors abhing, sondern von der jeweiligen Funktion, die Alexander im Rahmen der Erzählung zu erfüllen hatte – so kann er Vorbildfunktionen sowohl in weltlicher, als auch in geistlicher Literatur erfüllen. Möglicherweise ist die Ambiguität in der Figur Alexanders im Vorauer Alexander, worauf an späterer Stelle dieser Ausarbeitung noch eingegangen werden wird, auf die weltlichen Interessen des Laienpublikums einerseits und das biblische Weltbild des geistlichen Verfassers andererseits zurückzuführen.

„Wenn Alexander einmal als Monarch vorgestellt wird, der von Gott beschützt der Welt Frieden und Heil bringt [...], ein anderes Mal zum Tyrannen stilisiert wird, dessen superbia und unmâze Unheil über ihn selbst und die Menschheit gebracht hat, dann sind hierfür nicht so sehr widerspruchsvolle Charakterzüge der porträtierten Person, sondern unterschiedliche bzw. wechselnde Intentionen und Interessen der mittelalterlichen Verfasser verantwortlich zu machen.“[2]

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden die beiden unterschiedlichen Fassungen des Alexanderliedes – der Vorauer und der Straßburger Alexander – auf Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede in der Darstellung des Makedonenkönigs betrachtet werden.

Beim Gregorius von Hartmann von Aue, entstanden um 1190, handelt es sich um eine theologisch-religiös überformte legendenhafte Dichtung, die der Autor aus dem Französischen übernommen hatte (altfranz. Heiligenlegende „Vita Grégoire“). Doch ist das Werk nicht als eine echte Legende zu lesen, wie Alois Wolf anmerkt: „Die Hauptgestalt ist kein offiziell anerkannter, klar umrissener Heiliger.“[3] Gregorius ist also keine echte Legende (diese bestehen in einer Heiligenbiografie, die die Existenz Gottes belegt), folgt keinem biografischen Gerüst, sondern wurde in legendenhafter Weise frei konzipiert und ist im Wesentlichen Dichtung. Es liegt dem Werk eine mythologische Basisgeschichte zu Grunde, die theologisch-religiös überformt wurde, wie es bspw. die religiös motivierten Ausstoßungen belegen auf die an späterer Stelle noch eingegangen werden wird.

3. Vorbildfunktionen geistlicher Art

Vor allem die legendenhafte theologisch-religiös überformte Dichtung Gregorius, aber auch das großepische Alexanderlied weisen den Protagonisten klare Vorbildfunktionen geistlicher Art zu. Diese gilt es im Folgenden herauszuarbeiten und zu analysieren.

3.1 Alexander – Instrumentum Dei

Bereits zu Beginn der beiden Fassungen des Alexanderliedes werden biblische Bezüge und somit geistliche Tendenzen des Werkes deutlich. Dennoch ist festzustellen, dass die Straßburger Fassung in ihrer Gesamtheit eher weltlich orientiert ist, während in der Vorauer Fassung klar die geistlichen Tendenzen dominieren. Deshalb soll im Folgenden unter diesem Punkt vor allem auf den Vorauer Alexander eingegangen werden.

Im Prolog verweist der Erzähler bei der Vorstellung Alexanders auf das 1. Buch Makkabäer, zwecks Beteuerung der Wahrheit seiner Geschichte. Er positioniert zudem Alexander und auch seinen Gegenspieler Darius in der Heilsgeschichte, indem er die Vision Daniels vom Kampf des Widders und des Ziegenbocks (also Alexanders und Darius') zitiert und deren Interpretation als Ankündigung des Untergangs des persischen Königs angibt. Im Buch Daniel selbst heißt es wie folgt:

„Ich schaute, wie er [d.i. der Ziegenbock] den Widder erreichte; er ergrimmte gegen ihn, stieß den Widder und zerbrach ihm die beiden Hörner; der Widder war nicht stark genug, ihm standzuhalten. Jener warf ihn zu Boden und zertrat ihn. Niemand fand sich, der den Widder aus seiner Gewalt befreite. Der Ziegenbock wurde über die Maßen groß.“ (Dan 8, 7)

Das Buch Daniel erwähnt die welt- und heilsgeschichtliche Funktion Alexanders als des Begründers des 3. Weltreiches Hierzu äußert sich Trude Ehlert wie folgt:

„Die Figur des Alexander ist eingefügt in eine Konzeption der Geschichte als Heilsgeschichte. Indem Alexander Darius als den Herrscher des zweiten Weltreiches ablöst, fungiert er als instrumentum Dei (>Werkzeug Gottes<) in Gottes Heilsplan. Diese Konzeption der Alexander-Figur wird sowohl durch textinterne Signale als auch durch die Positionierung des Vorauer Alexander in seiner handschriftlichen Umgebung gestützt.“[4]

Zu letzterem Punkt, der Positionierung der Alexander-Erzählung in der Vorauer Handschrift, ist ergänzend hinzu zu fügen, dass diese in der Mitte der Handschrift steht, eingebettet in Weltgeschichte verarbeitende Werke (Kaiserchronik, Gesta Friderici I) und Episoden der Heilsgeschichte. Die Weltgeschichte wird dabei stets aus der Perspektive der Heilsgeschichte erzählt – die Vorauer Handschrift bindet also weltliche Geschichte in die Heilsgeschichte ein. „Der Vorauer Alexander hat innerhalb der Handschrift genau dort seinen Platz, wo nach der Weltreichetheorie die Ablösung des zweiten durch das dritte Weltreich erfolgen muß.“[5]

Da Alexander Darius als Herrscher des zweiten, persischen Weltreichs ablöst und somit das dritte, griechische Weltreich begründet, erfüllt er – als instrumentum Dei – Gottes Plan der Heilsgeschichte. Für die Erzählung ist es dabei nicht von Bedeutung, dass Alexander ohne eigenes Wissen zum Werkzeug Gottes wird.

Doch trotz seines Status als Gottesgeißel steht der Erzähler Alexander kritisch gegenüber:

Die superbia des Makedonenkönigs, seine Überheblichkeit (ubermûtecheit; VA 714), die ihn dazu verleitet, grôz unreht (VA 940) zu begehen, indem er das dariustreue Tyrus zerstört, trübt das positive Bild. An dieser Stelle kommt wieder einmal Alexanders oft thematisierter Zorn, seine Unbeherrschtheit zur Sprache, wenn es denn heißt:

Harte zurnt sich Alexander duo.

Mit nîde giench er den Porten zuo. [...]

Dâ geschiet er abe mit zorni

des mordes, des er an sînen holden gesach. “ (VA 941 ff.)[6]

Im Zorn stößt bereits der junge Alexander seinen Lehrer von einem Felsen in den Tod und erschlägt er bei den Hochzeitsfeierlichkeiten seines Vaters wahllos Menschen, ausgelöst durch seinen Unmut über des Vaters neue Ehe. Menschlich alles andere als perfekt fungiert Alexander trotz allem als Werkzeug Gottes.

„Zwei Motivationsebenen werden also im Vorauer Alexander miteinander verwoben: zum einen die heilsgeschichtliche, auf der Alexander als instrumentum Dei fungiert, und zum anderen die innerweltliche, auf der Normen richtigen herrscherlichen Verhaltens diskutiert werden, die Alexander im Falle der Stadt Tyrus nicht einhält. [...]

Alexanders Taten führen, da er als instrumentum Dei fungiert, selbst dann zur Erfüllung von Gottes Heilsplan, wenn er aufgrund seiner superbia innerweltlichen Herrschaftsnormen zuwider handelt.“[7]

Um diese seine Funktion als Gottesgeißel zu festigen und zu legitimieren, arbeitet der Erzähler des Vorauer Alexanders verstärkt mit der Rückbindung an biblisches Geschehen. So verweist er – durch die Bibel als absolute Autorität – zum einen auf den Wahrheitsgehalt seiner Erzählung, zum anderen erfolgt so eine deutliche Einbindung in den Kontext der Heilsgeschichte. Doch auch im Straßburger Alexander, der weit weniger geistlich orientiert ist, finden sich einige biblische Anspielungen und geistliches Gedankengut.[8] So bspw. in den Versen 1553 ff., wo von Noahs Arche in Armenien die Rede ist. An anderer Stelle heißt es:

„Di burh, di heizet Sardis,

von ir saget Apocalipsis,

daz si der siben burge ein wêre,

di unser heilêre

in den himelrîche nante

und dâ er ze boten sante

Iohannem, den heiligen man,

apostolum et evangelistam.“ (VA 1465 ff.)

[...]


[1] Trude Ehlert: Der Alexanderroman. In: Interpretationen. Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen. Hrsg. v. Horst Brunner. Stuttgart 2004, S. 21.

[2] Rüdiger Schnell: Der >Heide< Alexander im >christlichen< Mittelalter. In: Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter. Hrsg. v. Willi Erzgräber. Sigmaringen 1989, S. 54.

[3] Alois Wolf: Gregorius bei Hartmann von Aue und Thomas Mann. München 1964, S. 20.

[4] Trude Ehlert: Der Alexanderroman. In: Interpretationen. Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen. Hrsg. v. Horst Brunner. Stuttgart 2004, S. 23.

[5] Ebd. S. 26.

[6] Vgl. im folgenden: Pfaffe Lambrecht: Alexanderroman. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hrsg. v. Elisabeth Lienert. Philipp Reclam jun. Stuttgart 2007.

[7] Ebd. S. 24-28.

[8] Vgl. Rose Beate Schäfer-Maulbetsch: Studien zur Entwicklung des mittelhochdeutschen Epos, Göppingen 1972, S. 405.

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Details

Titel
Vorbildfunktionen in mittelalterlicher Epik
Untertitel
Lambrechts Alexanderlied und Hartmanns von Aue Gregorius im Vergleich
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
28
Katalognummer
V112987
ISBN (eBook)
9783640125579
Dateigröße
592 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vorbildfunktionen, Epik
Arbeit zitieren
Nina Kolmorgen (Autor:in), 2008, Vorbildfunktionen in mittelalterlicher Epik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112987

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