Möglichkeiten des Verständnisses von "Wahrheit" im Pluralismus der Religionen


Hausarbeit, 2008

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Biographie von Abdol Karim Sorousch

3. Viele Wege zur Wahrheit
3.1. Der schiitische Weg zur religiösen Erkenntnis
3.2. Religiöse Erkenntnis im Wandel
3.3. Religiöse Wahrheit im Diskurs
3.4 Kritische Würdigung seines Ansatzes

4. Die Wahrheit im Plural aus christlicher Sicht
4.1. Geltungsanspruch der Religionen im positionellen Pluralismus
4.2. Toleranz zwischen den Positionen

5. Vielfalt ohne Beliebigkeit
5.1. Vielfalt als Reichtum
5.2. Vielfalt im Kanon
5.3. Verbindlichkeit aus der Vielfalt

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Wir leben in einer Zeit der Globalisierung, des Zusammenwachsens der Kulturen und Religionen. Wie auf kaum eine andere Religion richtet sich dabei unser Blick auf den Islam. Moscheen verändern das gewohnt westlich geprägte Stadtbild großer Städte in Deutschland. Seit vielen Jahrzehnten schmücken Kopftücher muslimischer Frauen die Märkte. Exotische Früchte in den vielfältigsten Farben und Geschmäckern beleben unsere Sinne. Die Männer lassen sich von iranischen Friseuren mit einem Zwirn den Bart rasieren und Studenten finden sich in den zahlreichen Kebabstuben ein um bei arabischer Musik ihren Hunger zu stillen.

Gerade der Islam beschäftigt seit einigen Jahren auch die Politik dieses Landes. Der islamische Religionsunterricht wird zum aktuellen Thema der deutschen Bildungspolitik und die „Kietzsprache“1 zum Untersuchungsgegenstand einiger Wissenschaftler. Doch neben all dem steht der Schrecken jenes Tages im September 2001. Die schmuckvollen Kopftücher werden zu Symbolen der Unterdrückung und Gegenstand kritischer Karikaturen. Der Iran zählt zu einer ausgemachten Achse des Bösen und die arabische Sprache schürt in Videodrohungen die Angst eines erneuten Schreckens.

Die Frage nach einem friedvollen Zusammenleben paart sich mit Kämpfen um Freiheit und den wahren Glauben. Die in der deutschen Verfassung gesicherte Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Meinung sucht in einer Welt pluraler Glaubensgewissheiten und Bekenntnisse ihre Handlungsfähigkeit. Was verfassungsrechtlich selten Probleme bereitet, erscheint in den Köpfen der Menschen als ein großes Hindernis. Nicht erst seit Lessings „Nathan der Weise“ ruft die Frage nach dem wahren Glauben, dem Anspruch auf den Besitz der göttlichen Wahrheit, nach einer Antwort. Divergierende Glaubens- und Wahrheitsvorstellungen verlangen dem Menschen ein hohes Maß an Toleranz ab.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Überlegungen einiger Wissenschaftler, die sich im Bemühen um einen Dialog der Religionen mit Begriffen wie Wahrheit, Vielfalt und Glaubensgewissheit auseinandergesetzt haben. Die Gedankengänge sind aus je unterschiedlichen Positionen mit unterschiedlichen Fokussierungen vorgenommen. Während Sorousch aus schiitisch-islamischer Sicht nach vielen Wegen zu einer Wahrheit sucht, positionieren sich die nachfolgenden Autoren aus einer christlichen Wahrnehmung zu diesem Thema. Den Schluss findet diese Arbeit mit Jürgen Ebachs Betrachtung auf die rabbinische Auslegungstradition und der Frage nach einer Vielfalt frei von Beliebigkeit.

Hoseyn Hadschdsch Faradschollâh Dabbâq, besser bekannt als Abdol Karim Sorousch, wurde 1945 in Teheran geboren. Er erfuhr in seiner Familie eine schiitische Erziehung, die im Laufe seines Lebens sein Denken prägen sollte. Seine Schulzeit verbrachte er in einer angesehenen Teheraner Privatschule. An dieser erhielt Sorousch eine traditionelle Ausbildung mit der Ergänzung der modernen Wissenschaften. In Iran studierte er Pharmazie und machte sich anschließend in London mit der modernen Welt vertraut. Hier studierte er in den kommenden folgenden 5 ½ Jahren Analytische Chemie, worin er später promovierte, Geschichte und Philosophie. Zu dieser Zeit wurde die politische Lage in Iran zunehmend ernster. Viele in Amerika und Europa lebenden Iraner, wie auch Sorousch, äußerten sich infolgedessen in politischen Kreisen kritisch zu dieser Situation.

Nach der iranischen Revolution im Jahre 1979 kehrte Sorousch zurück in den Iran. Hier setzte er sich für die Wiedereröffnung der nach der Revolution geschlossenen Universitäten ein. Im Zuge der nächsten Jahre wurde Sorousch ein prominenter Kritiker der politischen Verhältnisse in Iran. Er war Mitbegründer des Monatsmagazins Kiyan, das dort schon bald zum wichtigsten Forum der religiösen Intellektuellen wurde. In diesem Magazin veröffentlichte er die meisten seiner Artikel, welche aufgrund ihrer pluralistischen Interpretation des Islams stark unter Kritik standen. Sie stellten die Legitimität der politischen Führung in Iran in Frage, was dazu führte, dass sich Widerstände und Belästigungen gegen ihn häuften. Verurteilungen kamen später auch von Seiten des Staatsoberhauptes Ali Khamenei. Sorouschs Veranstaltungen an den Universitäten wurden von Konservativen gestört, seine Artikel verboten. Einige Zeit später verlor er sogar seine Arbeit und Sicherheit. Auch Regimekritiker äußern sich Sorousch gegenüber bis heute misstrauisch. Viele kennen ihn noch als einen scharfen Kritiker der iranischen Linken und Vorkämpfer einer islamischen Republik. Der Wechsel zu einem großen Kritiker der Republik weckte nicht bei allen sozialistisch orientierten Iranern Vertrauen.

Ab dem Jahr 2000 lehrte Sorousch als Gastprofessor an der Harvard Universität Islam and Democracy, Quranic Studies und Philosophy of Islamic Law. An der Princeton Universität lehrte er Islamic Political Philosophy, auch an der Universität in Yale, sowie beim Wissenschaftskolleg in Berlin war Sorousch tätig.2 3

Sorouschs Denken ist im Besonderen von zwei Seiten her geprägt. Zum einen stützt es sich auf seine schiitische Religiosität und zum anderen auf seine Erfahrungen mit den westlichen Wissenschaften. Beide Seiten werden von mir im Folgenden skizziert.

3.1. Der schiitische Weg zur religiösen Erkenntnis

Mit dem Tod des Propheten Muhammad im Jahre 632 begann die Ära der Kalifen, die in den darauf folgenden Jahren zu blutigen Auseinandersetzungen in der sich spaltenden islamischen Gemeinde (umma) führen sollte. Nach den Kalifen Abû Bakr und Umar bezog Uthmân vom Clan der Umayya das Amt des Kalifen. Der Umayya Clan hatte zur Zeit Muhammads großen Einfluss in Mekka und wurde zunehmend zum Gegenspieler des Propheten. Die Wahl Uthmâns zum neuen Kalifen sollte die alte Macht des Clans zurück bringen, was jedoch nicht jedem Muslim behagte.

So stand zum Beispiel Muhammads Vetter Alî ibn Abî Tâlib in Opposition zu Uthmân. Seine Partei sah ihn als den „einzig legitimen Nachfolger“4. Alî nahm im Gegensatz zu Uthmân sehr früh die Lehre Muhammads an und bekam durch das freiwillige Exil in Medina viel Zuspruch. Der sich anbahnende Konflikt zwischen den Parteien Uthmâns und Alîs, führte Uthmân in den Tod und Alî in das Amt des schiitischen Kalifen. Die Teilung der Umma war nicht mehr aufzuhalten.5

Bei den Schiiten bildete Alî von da an den Anfang einer Kette von zwölf Imame. Der Imam ist „das rechtmäßige Oberhaupt der islamischen Gemeinde“6, wozu alle Muslime in der Welt gezählt werden. Allein diesen zwölf Imamen, sowie Muhammads Tochter Fâtima und dem Propheten selbst wird von den Schiiten Unfehlbarkeit in der Rechtsfindung zugestanden. Der Rest der Menschheit ist dem Irrtum anheim gefallen.7

Eine besondere Stellung nimmt der zwölfte Imam ein. Er ist aus schiitischer Sicht der einzig lebende, legitime Nachfolger des Propheten. Er allein ist Leiter des Ritualgebets (salât), kann die Predigt halten (khutba) und ist Führer des Einsatzes gegen die Feinde des Islams (dschihâd). Der zwölfte Imam ist Oberhaupt aller weltlichen und religiösen Ämter. Doch dieser Imam ist verschwunden und bis zur Zeit seiner Rückkehr im Verborgenen. Seither übernehmen Stellvertretungen diese Aufgaben. Kultische Fragen werden dabei von den Ulamâ geregelt. Sie werden als „Religionsgelehrte“8 von Sunniten, wie Schiiten anerkannt.9 Die Unterschiede werden jedoch bei Entscheidungen deutlich, die nicht direkt aus dem Koran oder den schriftlichen Zeugnissen der Imame abgeleitet werden können. Die Sunniten entscheiden solche Fragen u..a. nach dem Konzept des „Konsens (idschmâ) der Muslime“10. Dieser gilt dann gewissermaßen als ebenso unfehlbar, wie die Handlungen des Propheten. Dahinter steckt eine Glaubensgewissheit der Sunniten, dass Allâh den Weg der Umma vorherbestimmt und nicht in den Widerspruch zu seiner Offenbarung führt.

Dieses Konzept kommt für die Schiiten so nicht in Frage. Der Konsens ist nur dann rechtsgültig, wenn sie der Überlieferung eines Imams entspricht. Können Probleme auch durch derartige Schriften nicht gelöst werden, tritt anstelle der „Tradition (naql)“ der „Intellekt (aql)“ ein.11 Die dadurch erreichte Entscheidung ist Produkt des menschlichen Geistes, der „prinzipiell fehlbar – und damit jederzeit revidierbar“ ist, doch wird der menschlichen Vernunft (vgl.: aql) dadurch nicht das Vertrauen in die Fähigkeit genommen, zur Erkenntnis des Willen Allâhs ihren Teil beitragen zu können. Allâh gab dem Menschen für diese Erkenntnis Vernunft und Offenbarung, so die Überzeugung der Schiiten.

Der Weg, religiöse Erkenntnis mittels der menschlichen Vernunft zu erlangen, ist also tief mit dem schiitischen Glauben Sorouschs verbunden. Der Kontakt mit wissenschaftlichen Arbeiten des Okzidents prägte ihn nicht grundlegend neu. Er fand lediglich westliche Gedanken, die sich mit seinem Glauben überschneiden, und knüpfte an diese an.

3.2. Religiöse Erkenntnis im Wandel

In den 70er Jahren lernte Sorousch die Arbeiten von Karl R. Popper kennen. Dabei stieß er auf die Tradition des kritischen Rationalismus und baute diesen in seine Reflexionen über die „Theorie der Entwicklung religiöser Erkenntnis“12 ein. Der kritische Rationalismus postuliert, dass wissenschaftliche Theorien im Diskurs nur solange als wahr gelten, bis sie widerlegt worden sind. Der Wahrheitsbegriff ist demnach kein endgültiger und absoluter. Wahrheit wird dadurch zeitweilig und besitzt durch ihre Falsifikation ihr zuvor festgelegtes Ende.

[...]


1 Wiese, Heike zit. in: Sattler, Karl-Otto: Eine voll krasse Deutschstunde http://www.bundestag.de/dasparlament/2006/51-52/JugendimDialog/004.html (30.03.2008).

2 http://www.drsoroush.com/Biography-E.htm (17.03.2008).

3 Seidel, Roman: Abdolkarim Sorousch: Viele Wege zur Wahrheit. In: Amirpur, Katajun und Amman, Ludwig (Hg.): Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion. Herder, Freiburg i.Br. 2006, S. 82f.

4 Halm, Heinz: Der schiitische Islam – Von der Religion zur Revolution. Beck’sche Reihe. Beck, München 1994. S. 17.

5 Ebd., S. 15ff.

6 Ebd., S. 101.

7 Ebd., S. 116.

8 Ebd., S. 104.

9 Ebd., S. 102ff.

10 Ebd., S. 112.

11 Ebd., S. 117.

12 Vollständige Bezeichnung: Die theoretische Kontraktion und Expansion der Scharia. Theorie der Entwicklung religiöser Erkenntnis. In: Seidel, Roman: Abdolkarim Sorousch: Viele Wege zur Wahrheit. In: Amirpur, Katajun und Amman, Ludwig (Hg.): Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion. Herder, Freiburg i.Br. 2006, S. 84.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Möglichkeiten des Verständnisses von "Wahrheit" im Pluralismus der Religionen
Hochschule
Universität Rostock  (Religionsgeschichte - Religion und Gesellschaft)
Veranstaltung
QuerdenkerInnen - Progressives Denken im Islam
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V112912
ISBN (eBook)
9783640122127
ISBN (Buch)
9783640124138
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
(Auszüge aus der Begutachtung des Dozenten) Die Arbeit ist auf erfreuliche Weise transparent. [...] Es gelingt mit Härles "positionellen Pluralismus" einen Ansatz zu identifizieren, der in der Tat neue Perspektiven bietet und durchaus als weiterführend betrachtet werden kann.
Schlagworte
Möglichkeiten, Verständnisses, Wahrheit, Pluralismus, Religionen, QuerdenkerInnen, Progressives, Denken, Islam, Ebach, Kulturkontakt, Judentum, Auslegungskultur, rabbinisch, Vielfalt, ohne, Beliebigkeit, Positioneller, Sorousch, Ratschow, Schulz, Glaubensgewissheit, Härle
Arbeit zitieren
Kevin Nitschke (Autor:in), 2008, Möglichkeiten des Verständnisses von "Wahrheit" im Pluralismus der Religionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112912

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