Mephisto - Eine Karriere


Seminararbeit, 2008

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Mitläufer, Mächtige und Migranten im Nationalsozialismus

3. Goethe, Gründgens, Göring, Mann: ein faustsches Who’s Who

4. Des Pudels Kern: Wirklichkeitsbrechung und Fiktionalität

5. Schlusswort

1. Vorwort

Die Geschichte von Mephisto ist die einer beispiellosen Karriere. Die Karriere eines der berühmtesten Romane der Nachkriegszeit, mit seiner bedeutungsschwangeren Aufladung eines deutschen Künstlerdiskurses durch eines der düstersten Kapitel der jüngsten Geschichte sowie deutlichen Bezügen zu realen Personen. Die Karriere des Protagonisten Hendrik Höfgen, der in der Rolle von Mephisto seinen endgültigen Durchbruch erzielt, damit aber auch ein für allemal selbst mit dem Teufel paktiert. Die Karriere eines gefeierten Films, durch den auch der Hauptdarsteller Klaus Maria Brandauer ironischerweise internationale Bekanntheit erlangte. Die Karriere von Gustaf Gründgens, die in ihrer Art in Deutschland gewiss einzigartig ist. Aber auch nicht zuletzt die Karriere von „Mephisto“ selbst: dieses personifizierte Prinzip des Bösen, des Gegenspielers, aber auch des Verführers und Paktierers ist mindestens so alt wie die Menschheit.

Diese Untersuchung möchte sonach einerseits den charakteristischen Werdegang eines Künstlers beleuchten, der immensen Erfolg hat, doch dafür auch einen hohen Preis zahlt. Die Persönlichkeit, die Klaus Mann in seinem Roman Mephisto zeichnet, ist dabei zunächst ein Typus: des Opportunisten, des Erfolgsmenschen, des Karrieristen. Anhand dieser Typik soll ein Lebens- und Künstlerdiskurs im Verhältnis von Mitläufern, Mächtigen und Migranten während des Dritten Reiches und seiner Entstehungszeit aufgezeigt werden. In diesem Spannungsfeld kondensiert der Roman in literarischer Form die gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen, seine eingenommene bzw. aufgezwungene Stellung innerhalb einer bestimmten Machtkonstellation, sein Vermögen und seinen Willen, „die Dinge zum Guten zu wenden.“ Die Thematik des Paktes, also dem Aufbau und der Fruchtbarmachung blutbefleckter Beziehungen, die weit über der reinen Duldung des Machtapparates anzusiedeln ist und damit der – inneren wie äußeren – Emigration diametral entgegensteht, nimmt dabei einen zentralen Aspekt ein.

Andererseits geht dieser Themenkomplex weit über das literarische Spiel hinaus. Damit ist keineswegs ein platter Hinweis auf den Realitätsbezug, den (auto)biographischen oder gesellschaftlichen Einschlag usw. in der Literatur gemeint. Vielmehr erreicht das Verhältnis von Wirklichkeitsbrechung und Fiktionalität im und mit Mephisto eine einzigartige Qualität. Zum einen ist da natürlich die Frage nach dem „Schlüssel“: über die Typik hinaus zeichnet Klaus Mann in seinem Roman unverkennbar ganz reale Personen. Gustaf Gründgens, Hermann Göring, Erika Mann sind nur einige derjenigen, die im Roman mal mehr, mal weniger deutlich porträtiert werden. Dass es sich dabei um Berühmtheiten oder zumindest gesellschaftlich exponierte Persönlichkeiten handelt, problematisiert die Lesart zusätzlich, wie nicht zuletzt die Editionsgeschichte des Romans deutlich zeigt.

Diese Problematik möchte ich aus folgender – zugegebenermaßen sehr subjektiver – Sicht illustrieren: als ich als Jugendlicher zum ersten Mal den Mephisto las, erkannte ich zwar den „Diktator mit der bellenden Stimme“ oder den „dicken Fliegergeneral“. Da ich aber nichts von Gustaf Gründgens wusste, hielt ich den Roman für ein – im Übrigen trefflich gezeichnetes – Bild eines versessen ehrgeizigen und dabei ruchlosen Emporkömmlings. Als ich mich aber ein Jahrzehnt später näher mit dem Werk beschäftigte, und das ist der springende Punkt, fiel es mir zusehends schwer, das Charakterbild, das ich mir vom Protagonisten Hendrik Höfgen machte, nicht mit der Vorstellung über das Wesen Gustaf Gründgens zu vermischen. Persönliche Grenzziehungsschwäche oder unvermeidlicher Zwischenton?

Auch jenseits dieser Schlüsseldebatte ist die Figuration alles andere als eindeutig: natürlich ist es Höfgen, der den Mephisto spielt, auch trägt er deutliche Züge sowohl des „inkorporierten Bösen“ als auch der literarisch bzw. kulturell codierten Teufelsfigur. Der Pakt aber wird wiederum mit dem „Ministerpräsidenten“, den Nationalsozialisten, dem System eingegangen. Deutlich wird hier ein faustsches Kräfteverhältnis aufgespannt; rekurriert man jedoch auf Goethes Figurenkonstellation, ist sie auch dort ambivalent. Die Deutung des Mephisto als Gegenprinzip, als Jungscher Schatten Fausts ist durchaus annehmbar. Der Antagonismus des Fausts als „Weltbürger“ mit seinem Widersacher, der zugleich Partner ist, lässt sich ebenfalls teilweise auf den Mannschen Mephisto übertragen. Ich werde daher versuchen, die Figuration des Mephisto durch implizite Bezüge zum Goetheschen Faust, sowie zum ganz realen Lebens- und Gesellschaftsdiskurs, der den Roman begleitete, aufzuschlüsseln.

Dies führt uns direkt zu einem anderen Problem: in der Matrix aus literarischer Reflexion, filmischer Umsetzung, realgesellschaftlichen Phänomenen und nicht zuletzt der gewaltigen semantischen Aufladung des „Mephistotelischen“ selbst, die um den Komplex der Rolle, des Schauspiels kreist, tut sich ein äußerst interessantes Feld auf. Etwa der Schauspieler Klaus Maria Brandauer, der den (fiktionalen) Schauspieler Hendrik Höfgen spielt, der (tatsächlich?) den Schauspieler Gustaf Gründgens inkarniert, der den Mephisto spielt, usw. Diese Konstellation ist in einzigartiger Weise geeignet, das komplizierte Verhältnis von Fiktionalität und Wirklichkeitsbrechung zu beleuchten, angewandt auf ein Sujet, das Deutschland wie kein anderes in seinen Bann zieht: die Stellung der Kunst, sowie der Nationalsozialismus. Welch hohe Wellen dabei der Mephisto von Klaus Mann schlug, werden wir im Folgenden sehen.

2. Mitläufer, Mächtige und Migranten im Nationalsozialismus

Am 27. Januar 1934 erscheint in der Zeitschrift Das neue Tagebuch (Erscheinungsort Paris und Amsterdam) der Aufsatz „Zahnärzte und Künstler“. In diesem klagt Klaus Mann, der bereits Anfang 1933 zunächst in die Schweiz emigriert ist, über diejenigen, die sich mit den neuen Machthabern „arrangiert“ haben.

Ein Zahnarzt, der früher auf die Nazis geschimpft hat, tritt jetzt in eine ihrer Berufsorganisationen ein. Ist das Verrat? Er will leben. Nicht jeder Zahnarzt kann ein Märtyrer sein. – Das Leben derer, die sich Künstler nennen, ist in vielem angenehmer als das Leben der Zahnärzte und Geschäftsreisenden. Dafür hat es aber auch andere Verpflichtungen. Es geht nicht, daß einer, der unter allen Umständen – auch unter den bescheidensten – für mehr einzustehen hätte als nur für seine Geschäftsinteressen, einfach sagt: Man will leben – nein, es geht nicht, es ist ungehörig. Wenn ich erfahre, daß ein sehr bekannter Regisseur, der leidenschaftlich linksgerichtet war, heute noch bei der Ufa arbeitet, und daß ein berühmter Schauspieler, der sich zum Kommunismus bekannte, noch am Berliner Staatstheater ist, werde ich mißtrauisch. Milde Freunde solcher Künstler sagen mir dann: Ja, er macht scheinbar ein bißchen mit. Im Grunde aber ist er anständig geblieben. Er kämpft bei der Ufa, bzw. beim Staatstheater, für einen relativ vernünftigen Geist. So erfüllt er doch auch eine Art von Mission. Nein, mein Lieber – belehren mich die gerechten Freunde – „gleichgeschaltet“ ist der nicht. Gleichgeschaltet ist der nicht? Im Grunde anständig geblieben? – Wie sieht denn das aus?

Gustaf Gründgens [1] , Schauspieler und Regisseur, tat sich viel auf seine linksradikale Gesinnung zugute […], so sehr, daß es entschieden schon nach Kulturbolschewismus roch. […] Man konnte hoffen, die etwas skandalöse Vergangenheit würde ihn noch vor dem Schlimmsten bewahren. Aber nicht doch, so einer ist geschickt. Als ich erfuhr, daß er im Staatstheater mit Görings Freundin, einer gewissen Sonnemann, theatralisch tändelte, gab ich ihn eigentlich schon verloren. Aber ein kleiner Schock war es doch, als ich unlängst mal eine deutsche Illustrierte aufschlug und da sah ich dann natürlich gleich Bildchen von einem Staatsempfang zu Ehren des [italienischen Staatssekretärs] Suvich – eine ganze Serie. Man bemerkte […] allerlei Würdenträger in charmanten Posen – sie können auch elegant sein–; und inmitten: der stets angeregte Minister Goebbels in […] intimer Konversation mit dem Schauspieler Gründgens […]. Wenn das „scheinbar“ gleichgeschaltet ist, möchte ich wissen, was man ernsthaft so nennen kann.[2]

Zu diesem Zeitpunkt ist der Roman noch nicht einmal geplant; doch diese Zeilen beinhalten eigentlich schon alle Punkte, die hier von Belang ist. Zunächst verdeutlicht Klaus Mann den klaren Unterschied, den er zwischen der gesellschaftlichen Verantwortung in gewöhnlichen Berufen und in der Kunst sieht. Die Aufgabe, ja die „Mission“ des Künstlers wird von ihm, der schon sehr früh emigriert ist, vehement eingefordert. Doch die Daheimgebliebenen heben sich nicht etwa wenigstens moralisch aus der Masse hervor, die „gleichgeschaltet“ ist, schlimmer noch: perfide stricken sie an ihrer Karriere, denn „so einer ist geschickt.“

Für Klaus Mann begeht sein ehemaliger Jugendfreund und Schwager Gründgens[3] damit einen unerträglichen Verrat. Verrat an ihren gemeinsam geteilten Überzeugungen im aufblühenden Europa, von der Freiheit des Menschen und der Kunst; aber auch von der Überzeugung selbst, schwimmt doch Gründgens, der sich zuvor schon des „Kulturbolschewismus“ verdächtig gemacht hat, offensichtlich ganz oben im braunen Strom mit.

Dabei denkt Gründgens durchaus über Emigration nach:[4] als 1936 der Völkische Beobachter einen „ganzseitigen ungeheuerlichen Angriff auf [ihn] vom Stapel [lässt]“[5], fährt er „am selben Abend in die Schweiz […] mit dem festen Entschluß, nicht mehr zurückzukehren.“[6] Er setzt Göring davon schriftlich in Kenntnis. Am nächsten Tag erreicht ihn jedoch ein Telefonat Görings, der ihn bittet, „gegen die Zusicherung ehrenwörtlichen freien Geleites, zu einem Gespräch noch einmal nach Berlin zu kommen.“[7] Gründgens nimmt an und wird prompt zum Staatsrat ernannt; dieser Titel ist bedeutungslos, aber „die Staatsräte [sind] insofern immun […], als ihre Verhaftung oder Absetzung nur durch den Preußischen Ministerpräsidenten, zumindest nicht ohne sein Wissen, erfolgen konnte.“[8]

Wie man sieht, lässt sich diese Anekdote, die fast schon karikaturhaften Charakter hat, nicht wirklich mit dem bitteren Schicksal vieler anderer vergleichen, die in die Emigration gingen. „Angesichts der mehr als 2000 Schauspieler, die nach 1933 Deutschland verlassen haben und – meist in großer wirtschaftlicher Not –fern der Heimat leben mussten, mutet das Wort ‘emigrieren’ hier seltsam an. Gründgens war wohl der einzige Emigrant, der die Ehre hatte, vom Ausland aus mit Göring zu telefonieren.“[9] Auch das abschließende Urteil Gründgens, warum er nicht ausgewandert sei, klingt etwas eigenartig: „Es ist damals über den Rahmen meiner inneren Möglichkeiten hinausgegangen, nach dieser Publikation und mit diesem Titel ins Ausland zu gehen. Das schien mir alles so unernst und eine solche Köpenickiade, daß ich mich dazu nicht entschließen konnte.“[10]

Klaus Mann nimmt derweil im Juli 1935 einen Romanauftrag an – hat aber noch kein Thema. Auf Drängen seines Auftraggebers schreibt ihm der Lektor Hermann Kesten einen Brief, in dem er vorschlägt, „den Roman eines homosexuellen Karrieristen im dritten Reich [zu] schreiben, und zwar schwebte mir die Figur des von Ihnen künstlerisch (wie man mir sagt) so bedachten Herrn Staatstheaterintendanten Gründgens vor.“[11] Aber: Mann soll „einen unpolitischen Roman, Vorbild der ewige ‘Bel Ami’ des Maupassant“[12] schreiben.

Hier liegt in nuce der Anspruch des Romans vor. „Klaus Mann hatte von vornherein nicht die Absicht, Gründgens biographisch zu porträtieren.“[13] Es geht um den Typus des Aufsteigers, des Mitläufers, des Künstlers ohne Rückgrat und Überzeugung; aber ganz bewusst auch als Spiegel im Kontext des Nationalsozialismus konzipiert, und zwar im übrigen nicht ausschließlich aus ideeller, sondern auch aus rein wirtschaftlicher Überlegung heraus: derartige Thematik musste zu dieser Zeit einfach reizen.[14] Klaus Mann nimmt denn auch, um den Bogen zurückzuschlagen, die Bilder, die ihn zu dem Aufsatz „Zahnärzte und Künstler“ bewegt haben, neben vier weiteren Zeitungsausschnitten als direkte Anregung für das „Vorspiel“ des Romans.[15]

Die Emigrationsthematik wird ebenso aufgenommen, und zwar bezeichnenderweise zu Beginn des Kapitels Der Pakt mit dem Teufel. „Der Schauspieler Hendrik Höfgen befand sich in Spanien, als […] jener Mann mit der bellenden Stimme […] Reichskanzler wurde.“[16] Höfgen erschrickt, aber nicht etwa aus politisch-ideologischen oder gar philanthropischen Beweggründen, sondern rein persönlichen: „Zahlreiche Personen, denen er immer nur Böses angetan, würden jetzt vielleicht die Möglichkeit haben, sich an ihm zu rächen. Cäsar von Muck zum Beispiel: Ach, hätte er sich doch nur ein wenig besser mit dem Blut-und-Boden-Dichter gestellt!“[17] So wägt er denn auch nach dem Genuss einer halben Flasche Champagner dazwischen ab, ob „[d]ie Sozialdemokraten und die Kommunisten würden Widerstand leisten – vielleicht bewaffneten Widerstand – […] und dann würde sich herausstellen, daß der Schauspieler Höfgen ungemein schlau und weitblickend spekuliert hatte. – Angenommen aber sogar, die Nazis blieben an der Regierung: was hatte er, Höfgen, schließlich von ihnen zu fürchten? Er […] war kein Jude. […] Was für ein unverhoffter und bedeutender Vorteil, man hatte es früher gar nicht so recht bedacht!“[18]

[...]


[1] Im Original hervorgehoben (kursiv).

[2] Zit. n. Eberhard Spangenberg: Karriere eines Romans. Mephisto, Klaus Mann und Gustaf Gründgens. München 1982; S. 55 f.

[3] Erika Mann und Gustaf Gründgens hatten 1926 geheiratet, sich jedoch 1929 bereits wieder geschieden.

[4] vgl. a. Spangenberg, S. 48 f.

[5] Gustaf Gründgens: Briefe. Aufsätze. Reden. Hrsg. Rolf Badenhausen und Peter Gründgens-Gorski. München 1970; S. 17.

[6] ebd.

[7] ebd.

[8] ebd., S. 18

[9] Spangenberg, S. 83

[10] Gründgens, S. 18

[11] Spangenberg, S. 67

[12] ebd.

[13] ebd., S. 68

[14] vgl. ebd.; vgl. a. ebd. S. 81 f.

[15] vgl. ebd., S. 56 u. S. 68 f. Die entsprechende Seite der Illustrierten ist als Anhang beigefügt.

[16] Klaus Mann: Mephisto. Roman einer Karriere. Berlin und Weimar 1983; S. 187.

[17] ebd. f.

[18] ebd. f.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Mephisto - Eine Karriere
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Faust-Dichtungen des 20. Jahrhunderts
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V112876
ISBN (eBook)
9783640125548
ISBN (Buch)
9783640126408
Dateigröße
3145 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mephisto, Eine, Karriere, Faust-Dichtungen, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Bruno Desse (Autor:in), 2008, Mephisto - Eine Karriere, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112876

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Mephisto - Eine Karriere



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden