Frühe Kindheit – Einflüsse, Störungen, Entwicklungsrisiken und daraus folgende Präventions- und Interventionsmöglichkeiten


Magisterarbeit, 2008

93 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Fachlich theoretische Grundlagen
2.1 Allgemeine Entwicklungspsychologie
2.2 Entwicklungspsychopathologie
2.3 Entwicklung durch Anlage oder Umwelteinflüsse
2.4 Die Bindungstheorie nach John Bowlby
2.4.1 Die Entwicklung der sozial-emotionalen Bindung
2.4.2 Ursachen für sichere/ unsichere Mutter-Kind-Bindung
2.4.3 Die Wirkung von Stress auf Bindungen
2.4.4 Ergebnisse aus der Forschung
2.5 Persönlichkeitsentwicklung in der Kindheit und Einflüsse auf das weitere Leben

3. Entwicklungsrisiken in der frühen Kindheit und ihre Auswirkungen
3.1 pränatale Entwicklungsrisiken
3.1.1 Alkohol
3.1.2 Illegale Drogen
3.1.3 Tabak .
3.1.4 Medikamente und Umweltgifte
3.1.5 Psychische Belastungen / Organische Risiken der Mutter
3.1.5.1 psychische Belastungen
3.1.5.2 organische Risiken
3.2 perinatale Risikofaktoren
3.2.1 Geburtstraumata und Asphyxie 3
3.2.2 Frühgeburtlichkeit
3.2.3 Durch operative Maßnahmen geboren Kinder
3.3 Postnatale Entwicklungsrisiken
3.3.1 Krankheiten
3.3.2 Kindesvernachlässigung
3.3.3 Kindesmissbrauch
3.3.4. Erziehungsunfähigkeit

4. Resilienz
4.1 Das Schutzfaktorenkonzept in der Resilienzforschung
4.1.1 Schutzfaktoren

5. Möglichkeiten von Prävention und Intervention von unangepasster Entwicklung
5.1 Prävention
5.1.1. Prävention von kognitiven Entwicklungsstörungen
5.1.2 Prävention von emotionalen Störungen und Bindungsstörungen
5.2 Das System der Frühförderung in Deutschland

6. Resümee

Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Es sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht

des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,

und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht...

Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen. Denn das Leben läuft nicht rückwärts,

noch verweilt es beim Gestern. Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.

(Khalil Gibran)

1. Einleitung

Die vorliegende Masterarbeit zum Thema „Frühe Kindheit – Einflüsse, Störungen, Entwicklungsrisiken und daraus folgende Präventions- und Interventionsmöglichkeiten“ erstreckt sich über Sechs Kapitel und siedelt sich im Bereich der Entwicklungspsychologie an.

Im Verlauf meines Studiums habe ich ein 6-wöchiges Praktikum in einem integrativen Kindergarten absolviert. Dabei ist mir schon hier, der gravierend differenzierte Entwicklungsgrad aufgefallen, den Kinder gleicher Alterstufen aufwiesen. Der Kindergarten befand sich in einem Stadtbezirk, in dem auch viele benachteiligte Familien leben. Allerdings handelte es sich um eine Einrichtung, die ein sehr gutes Konzept und Qualitätsmanagement aufzuweisen hatte. Folglich besuchten Kinder aller sozialen Schichten diesen Kindergarten. Kinder gleicher Alterklassen waren einerseits teilweise massiv entwicklungsverzögert und besuchten verschiede Frühförderungsprogramme. Andererseits gab es eine Menge an Kindern, die auch überdurchschnittlich entwickelt in Ihren Fähigkeiten waren. Allerdings, da ich ja auch die Eltern kennen lernte, konnte ich nicht immer eindeutig einen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Entwicklungsreife der Kinder erkennen. Die Kinder, die aus sozial benachteiligten Familien kamen, hatten in der Regel schon die größeren Defizite, jedoch auch aus augenscheinlich intakten Familien kamen Kinder mit gravierenden Entwicklungsverzögerungen. Schon damals habe ich mir häufig selbst die Frage gestellt, was begünstigt denn nun eine solche unangepasste Entwicklung?

Nach Beginn meines MA-Studiums absolvierte ich ein weiteres Praktikum im Bereich Allgemeiner sozialer Dienst, im Jugendamt A. Hier fiel mir als erstes auf, dass in kaum einer der zu betreuenden Familien Kinder ohne Entwicklungsverzögerungen zu finden waren. Einige der Familien wurden schon über Generationen durch das Jugendamt betreut, andere Fälle haben kaum sozial benachteiligten Hintergrund. Wiederum andere Kinder sind schon als Kleinkinder aus sozialschwachen Familien adoptiert oder in Pflege genommen worden und haben trotz völlig intaktem Umfeld und Vorbildern an ihre ursprünglichen Wurzeln angeknüpft.

Daraus ergab sich auch mein Thema für diese Arbeit. Wo liegen die Risiken für Entwicklungsstörungen, was begünstigt sie und wie kann geholfen werden?

Dabei wird die zentrale Frage, jene nach möglichen Prognosen bezüglich der Entwicklung von Kindern sein. Wenn die Risiken für die kindliche Entwicklung bekannt sind, können sie dann nicht gemindert werden?

Des Weiteren beschäftigen mich auch Phänomene, wie so eine Art Selbstsozialisation, bei der einzelne Mitglieder aus diesem Milieu ausbrechen und ein sozial intaktes Leben führen.

Im ersten Kapitel möchte ich die zugrunde liegenden pädagogischen Fachrichtungen Entwicklungspsychologie und Entwicklungspsychopathologie hinsichtlich ihrer Bedeutung für dieses Thema noch einmal kurz aufgreifen. Angesichts der immer wieder aufkommenden Debatte über die Einflüsse von Genen und Umwelt, möchte ich in diesem Kapitel auch darauf zu sprechen kommen, da sie doch eine Rolle bei der Betrachtung von Risiken der kindlichen Entwicklung spielt. Ferner werde ich mich mit Bowlby Bindungstheorie, welche in Kapitel zwei angesiedelt ist, und ihrer Bedeutung für die frühkindliche Entwicklung auseinandersetzen, das sie für mich eine bedeutende Grundlage in der Auseinandersetzung mit der frühkindlichen Entwicklung, im Hinblick auf das Thema der Arbeit darstellt. Ihre Erkenntnisse werden in weitere Teile der Arbeit einfließen bzw. zu deren Verständnis beitragen.

Die mannigfaltigen Risiken, welche vom Moment der Zeugung bis hin zur Zeit der frühen Kindheit, die kindliche Entwicklung nachteilig beeinflussen können, werden den Hauptteil der Arbeit darstellen. Ich möchte dazu die Bereiche der pränatalen, perinatalen und postnatalen Entwicklungsrisiken hinsichtlich ihrer entwicklungsgefährdeten Potenziale untersuchen und damit darlegen, wie vielfältig diese Einflüsse sich gestalten. Dabei möchte ich, aufgrund der aus den Praktika resultierenden Erfahrungen, besondere Aufmerksamkeit auf das sozial benachteiligte Lebensumfeld legen. Was nicht bedeuten soll, das die Risiken nur aus diesem Kontext heraus betrachtet werden sollen, er soll jedoch im Fokus der Betrachtung immer mit beachtet werden. Er soll quasi immer

„neben her laufen“.

Auf der Grundlage der dann einschlägig behandelten Entwicklungsrisiken, möchte ich in Kapitel vier die Resilienzforschung anordnen. Mit diesem Kapitel soll das „Phänomen“ der Selbstsozialisation aufgegriffen werden und durch das Schutzfaktorenkonzept der Resilienz belegt werden.

Thematisch möchte ich mit Möglichkeiten der Prävention und Intervention von Entwicklungsrisiken abschließen. Auch hier soll der Fokus auf den Bereich der, von Armut und Arbeitslosigkeit gekennzeichneten, sozial benachteiligten Familien, nicht außer Acht gelassen werden.

Abschließend möchte ich meine gewonnen Erkenntnisse in Form eines Resümees zusammenfassen und eigene Reflexionen wagen. Dabei sollen die bereits eingangs erwähnten Fragen aufgegriffen werden.

2. Fachlich theoretische Grundlagen

2.1 Allgemeine Entwicklungspsychologie

Zentrales Thema der Entwicklungspsychologie ist die Entstehung und Veränderung psychischer Funktionen über die gesamte Lebensspanne. Dazu zählt neben dem Säuglings- und Kleinkindalter, welches zentrale Bedeutung in dieser Arbeit hat, mittlerweile auch das Schul-, Jugend-, Erwachsenen- und Greisenalter. Des Weiteren gehören Kenntnisse von biologischen, sozialen, emotionalen und kulturellen Faktoren, welche den Entwicklungsprozess fördern oder hemmen in diesen Forschungsbereich. Die Entwicklungspsychologie betrachtet außerdem Veränderungen im Denken, Erleben und Veralten eines Individuums über die gesamte Lebensspanne. Es werden überdies biologische Abläufe, welche Verhalten und Erleben ermöglichen, auslösen und beeinflussen, beachtet und erforscht. Der Mensch wird hier betrachtet als ein Lebewesen, welches Teil der belebten Natur ist und damit ihren Gesetzen unterliegt. Aber nicht nur das, der Mensch ist auch ein biologischer Organismus und vor allem ein soziales Wesen. (Vgl. Oerter/Montada 2002) Insgesamt ist der Gegenstand der Entwicklungspsychologie komplex und damit schwer erfassbar.

In der Vergangenheit nahm sich die Entwicklungspsychologie lange Zeit, einer beschreibenden und beobachtenden Rolle an. Grundlegende Fragen waren dabei immer „Was ist das Wesen] des Menschen? Was ist das Wesen von Entwicklung?“ (Oerter Montada 2002, S.5). Dabei ging die Entwicklungspsychologie lange Zeit von „normalen“ Entwicklungsprozessen aus. Aus dem 19. Jahrhundert sind viele verschiedene Tagebuch- und Beobachtungsstudien[1], mit der umfassenden Dokumentation von Entwicklungsverläufen bekannt, in denen sich jedoch keine mit einem

„entwicklungsgestörtem Kind“ beschäftigt hat. (Vgl. Deutsch / Wenglorz, 2001, S.9) Der Begriff Entwicklung war aus diesem Grund in der Entwicklungspsychologie auch lange Zeit ausschließlich mit den Vorstellungen von Wachstum und Fortschritt verbunden. (Vgl. Deutsch / Wenglorz, 2001) Die moderne Entwicklungspsychologie hat jedoch auch erkannt, dass der Mensch, besonders das Kind in seiner Entwicklung, nicht nur wehrlos den Einflüssen die auf ihn/es wirken ausgeliefert ist. Das Kind ist Teil einer Umwelt, welche natürlich auf ihn wirkt, aber auch Wirkungen verursacht. Neben der langjährigen Betrachtung der Fähigkeiten, die ein Kind aufweisen sollte, wenn es ein bestimmtes Alter erreicht hat, spielen nun auch anderer Faktoren eine Rolle. Warum wird gefragt, entwickelt sich nicht jedes Kind gleich, welche Bedingungen beeinflussen die Entwicklung, neben den bereits bekannten Risiken? Nicht immer sind allein biologische oder genetische Faktoren die Ursache für Entwicklungsunterschiede.

An dieser Stelle möchte ich auch den Begriff „Entwicklungsstörung“, beziehungsweise dessen Klärung aufgreifen. Ein einheitlicher Gebrauch eines Terminus dazu ist für mich in den verschiedenen, von mir verwendeten Literaturen nicht erkennbar geworden. Oerter/Montada (2002) benutzen ebenso wie Deutsch/Wenglorz (2001), Herzka (1991) und andere, den Begriff „Entwicklungsstörung“ oder „Störung“ und im Synonym den Begriff „normal“. Bei Papoušek u. a. (2004) wird von „Fit“ und „Misfit“ ausgegangen, wobei Misfit eher eine abgemilderte Variante darstellt und sich eher auf Verhaltensstörungen bezieht. „Stimmen das kindliche Verhalten einerseits und die Erwartungen und Anforderungen seiner Umwelt andererseits nicht überein, sprechen wir von einem so genannten Misfit.“ (Papoušek u. a. 2004). Die für mich akzeptabelste Lösung hat Petermann u. a. (2000) gefunden. Sie verwenden neben den Begriffen „normal“ und „abweichend“ (was auch sehr häufig verwendet wird) primär die Begriffe „angepasst“ und „unangepasst“. Zweifelsohne finden sich noch viele weitere Begriffe für Entwicklungsstörungen und nicht immer lassen sie sich vermeiden, aber ich möchte an dieser Stelle für den größten Teil der Arbeit auf den Begriff „unangepasst“ festlegen bzw. ihn als maßgeblich betrachten.

2.2 Entwicklungspsychopathologie

Den Gegensatz zur klassischen Entwicklungspsychologie, welche sich lediglich dem „normalen“ Verlauf der Entwicklung des Kindes widmet und der klinischen Psychologie und auch Psychiatrie, welche die Abweichungen in der Entwicklung beschreibt ohne aber auf die Entwicklung selbst einzugehen, stellt die Entwicklungspsychopathologie dar, obwohl Gegensatz kaum der richtige Terminus ist. Die Entwicklungspsychopathologie vereint die Erkenntnisse beider Forschungsrichtungen und ermöglicht Risiken sowie Chancen zu erkennen und dieses Wissen zu Nutzen. Hierbei kommen „psychologische Sichtweisen zur Entstehung von Entwicklungsrisiken und dem Verlauf abweichender Entwicklung“ zum tragen. (Vgl. Petermann u. a. Vorwort) Die Entwicklungspsychopathologie beschäftigt sich hierbei mit den Ursachen und mit dem Verlauf fehlangepassten Verhaltens wobei das Alter, der Entwicklungstand, vorherige Lebenserfahrungen und individuelle Einflussfaktoren betrachtet werden. (Vgl. Petermann u. a. S.42) Entwicklungspsychopathologische Rahmenkonzepte streben dabei an, angepasste und unangepasste Entwicklung interdisziplinär mit Hilfe biologischer, psychischer und sozialer Faktoren zu betrachten.

Die Grundlage der Forschungserkenntnisse bildet ein Reihe vielfältiger Längsschnittstudien aus dem Bereich der Entwicklungspsychologie und der Entwicklungspsychopathologie.

Ebenso wird der Versuch unternommen, biologische, psychosoziale und psychologische Grundlagen zu vereinen um ein interdisziplinäres Arbeiten zu verbessern. Die Entwicklungspsychopathologie kann auch als „Rahmen“ betrachtet werden, mit dessen Hilfe Theorien der verschiedenen Bereiche koordiniert und kombiniert werden (Vgl. Petermann u. a.). Petermann spricht hier auch von „einem Prozess qualitativer Neuorganisationen innerhalb und zwischen verschiedenen Systemen“. (Vgl. Petermann u. a. S.17) Neue Erkenntnisse in einem Bereich ziehen so auch Fortschritte in den verknüpften Disziplinen nach sich.

2.3 Entwicklung durch Anlage oder Umwelteinflüsse

Ein immer wieder in der Wissenschaft diskutiertes und wohl noch lange beschäftigendes Thema ist die Anlage-Umwelt-Debatte. Da dieses Thema auch für den thematischen Rahmen meiner Arbeit von Relevanz ist, werde ich an dieser Stelle einen Einblick in dieses Gebiet ansetzen.

„Es gibt keine Entwicklung ohne Erbanlagen … Erbanlagen brauchen für ihre Entwicklung eine geeignete Umwelt.“ (Oerter/Montada, 2002, S.22). Mit diesem Satz führt Montada in das Thema ein und drückt damit aus, was immer wieder zu Debatten führt. Welche der beiden Einflüsse sind nun gewichtiger für die Entwicklung und Sozialisation eines Kindes? Faktisch gilt die Frage nach heutigem wissenschaftlichem Stand noch nicht als eindeutig beantwortet. (Vgl. Büttner) Sicher ist, dass sowohl das eine, als auch das andere unsere Entwicklung beeinflusst.

Anlage meint die genetischen Informationen, welche vom Moment der Zeugung an in unserem Genom[2] enthalten sind. Die genetische Ausstattung bleibt während des gesamten Lebens unverändert. Die Aktivierung verschiedener Gene erfolgt jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten und beeinflusst auf diese Weise die Entwicklung des Menschen. Dabei ist kein Mensch einem anderen genetisch ähnlich. Ausnahme bilden hier eineiige Zwillinge. Ihr Erbgut stimmt zu einhundert Prozent überein, während zweieiige Zwillinge die genetische Übereinstimmung von sonstigen leiblichen Geschwistern aufweisen. (Vgl. Büttner)

Die unterschiedliche Entwicklung von eineiigen Zwillingen, zum Bespiel in Temperament oder Intelligenz, wird von verschiedenen Umwelterfahrungen ausgelöst. (Vgl. Büttner) Der Terminus Umwelt[3] beschreibt die materielle und soziale Umgebung in der ein Mensch lebt. Zwischen Geschwistern lassen sich Umwelteinflüsse nach geteilter Umwelt und nicht geteilter Umwelt differenzieren.

„Die Unterscheidung in geteilte und nicht-geteilte Umwelteinflüsse hat sich als sehr fruchtbar erwiesen. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung ist in jüngerer Zeit deutlich geworden, dass nicht-geteilte Erfahrungen wie z. B. das von der Persönlichkeit der Kinder abhängige elterliche Verhalten gegenüber Geschwistern für die Entwicklung von Unterschieden zwischen Kindern bedeutsamer sind als geteilte Umwelterfahrungen wie z. B. das allgemeine Familienklima“ ( Büttner, http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Kindliche_Entwicklung/ s_752.html, vom 03.12.2007) Unumstritten in der Wissenschaft ist jedoch mittlerweile, dass an der kognitiven und sozialen Entwicklung beide Komponenten, also Anlage und Umwelt, beteiligt sind. In welchen Maßstäben jedoch hängt sehr oft vom individuellen Einzelfall ab, eine generelle Aussage ist hier nicht möglich. Zum Beispiel können Intelligenzunterschiede einerseits auf genetische Einflussfaktoren zurückführen, in anderen Fällen auch auf fehlende häusliche oder schulische Förderung.

Verschiedene Forschungsergebnisse zeigen auch, dass Anlage und Umwelt in verschiedenen Lebensphasen eine Unterschiedliche Bedeutung haben.[4]

( Büttner, http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Kindliche_Entwicklung/s_752.html, vom 03.12.2007) Durch eigene Erfahrungen in Praktika konnte ich beobachten, dass Kinder welche mit wenigen Monaten aus der Ursprungsfamilie in eine Pflegefamilie kamen, sich anfangs, mit entsprechender Förderung, auf eine ihrer Umwelt entsprechende Weise entwickelten. Häufig war jedoch zu erkennen, dass im frühen Jugendalter ein Umschwung zu erkennen war. Obwohl diese Kinder zu großen Teilen keinen Kontakt zu Ihren leiblichen Eltern hatten, glichen sie ihnen in Lebensansichten und Verhaltensweisen zunehmend. Auch in Adoptionsstudien wurden ähnliche Effekte beobachtet. Munsinger (1975) hat Adoptivkinder und Familien untersucht und anhand des IQ Zusammenhänge analysiert. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Adoptivkinder zumindest beim Faktor IQ ihren leiblichen Eltern eher gleichen als den Adoptiveltern. Hier wird der Einfluss von Anlagen als erwiesen angesehen. (Vgl. Oerter/Montada, 2002, S.28)

Andere Beispiele zeigten jedoch, dass Kinder aus Multiproblemfamilien sich völlig eigenständig, weg von der Familie entwickelten und ein gesellschaftlich anerkanntes Leben in Angriff nahmen. Hier wird deutlich, das Anlage und Umwelt nie alle sozialen und kognitiven Merkmale in ihrer Gesamtheit beeinflussen. Büttner bringt ebenfalls zum Ausdruck, dass verschiedene Persönlichkeitsmerkmale verschieden stark von Anlage oder Unwelt beeinflusst werden. Und gleichen falls bringt er zum Ausdruck, dass es durchaus möglich ist, dies zu analysieren.

„In ähnlicher Weise ist es auch möglich, Unterschiede in der Ausprägung eines Persönlichkeitsmerkmals (wie z. B. der Intelligenz) darauf hin zu analysieren, ob sie stärker durch genetische Einflüsse von Seiten der Eltern oder stärker durch Umwelteinflüsse (wie z. B. dem intellektuellen Anregungsgehalt der außerfamiliären Umwelt) bedingt sind.“

( Büttner, http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Kindliche_Entwicklung/s_752.html, vom 03.12.2007)

Dennoch sollte die pädagogische Empfehlung an dieser Stelle Mut machen. Kinder sollen gefördert werden. Ihre Umwelt sollte erfahrungsreich gestaltet werden und vielfältige Reize bieten um die individuelle Entwicklung fördern.

2.4 Die Bindungstheorie nach John Bowlby

Vor allem für die frühkindliche Entwicklung ist Bindung von großer Bedeutung, wie John Bowlby, ein Kinderpsychiater und Psychoanalytiker, etwa zeitgleich zu Harlows Affenexperimenten[5] nachweisen konnte. Er beobachtete und beschrieb die Folgen von emotionaler Vernachlässigung bei Heimkindern, speziell die Verzögerung der Entwicklung in geistiger und körperlicher Hinsicht. Seine Untersuchungen werden als der Anstoß der empirischen Bindungsforschung betrachtet, einleitend mit grundlegenden Beobachtungen im Säuglings- und Kleinkindalter bis hin zu längsschnittlichen Studien von Kindern und Familien.

Bowlbys Bindungstheorie „ist im ethologischen Denken der 60er Jahre entstanden und verbindet traditionell entwicklungspsychologisches und klinischpsychoanalytisches Wissen mit evolutionsbiologischem Denken“. (Grossmann et al., 2003, S.223) Sie stellt eine ausgedehnte Konzeption der emotionalen Entwicklung des Menschen als Schwerpunkt seiner lebensnotwendigen sozialen Erfahrungen dar. Bowlby entwickelte diese ursprünglich klinische Annahme, um „die vielen Formen von emotionalen und Persönlichkeitsstörungen, einschließlich Angst, Wut, Depression und emotionale Entfremdung die durch ungewollte Trennung und Verlust ausgelöst werden, zu erklären“. (Bowlby, 1973/1976, zitiert in Grossmann et al., 2003, S. 224) Nach Bowlby liegt das Bindungsbedürfnis in der Evolution begründet und ist biologischer Natur. Als der Mensch sich noch vor Gegnern wie wilden Tieren in Acht nehmen musste, war ein Schutz durch Stärkere oder das Anzeigen der Getrenntheit von der Mutter unentbehrlich. Auch wenn sich diese Gefährdungen vom Mammut hin zu Gefährdungen im Haushalt, sexuellen Straftätern oder unachtsamen Autofahrern verschoben haben, das Prinzip bleibt ähnlich. Drei wesentliche Merkmale machen nach Bowlby eine Bindungsbeziehung aus. Dazu gehört einmal das Suchen der Nähe einer bevorzugten Person. (Vgl. Holmes, 2002). Dabei gibt es einige interindividuelle Unterschiede, vor allem, im Maß der Nähe zu dieser Person. Es hängt von unterschiedlichen Einflüssen ab, zum Beispiel dem Alter des Kindes, seinem Temperament, der Ursache des Bedürfnisses und den äußeren Faktoren. Von zentraler Bedeutung ist auch die Tatsache, dass die Bindungen ein Rangverhältniss aufweisen, wobei die Mutter, dicht gefolgt vom Vater, meist an erster Stelle steht. Es folgen dann Großeltern, Geschwister und andere Verwandte. Ebenso können unbewegte Objekte von Bedeutung sein. Die Bindungstheorie ist jedoch im Grunde eine Zwei-Personen-Theorie und schließt die verschiedenen Rollen von Mutter und Vater oder Sexualität weniger ein. Das zweite gewichtige Kennzeichen ist der Effekt der „sicheren Basis“. Die Aussage dieser Basis ist das zur Verfügung stellen einer Ausgangslage für Neugierde und Erkundungsverhalten. Der Begriff der „sicheren Basis“ wurde von Mary Ainsworth bei der Klassifikation von Bindungstypen zum ersten Mal verwendet.

Als drittes Merkmal einer Bindungsbeziehung wird eine Abwehrhaltung, die bei Trennungssituationen auftritt, angenommen. Bowlby erkannte den Trennungsschmerz als primäre Antwort des Kindes auf eine Trennung von der Bezugsperson und setzte eine vom Kind wahrgenommene Beeinträchtigung der Bindung voraus. „Negatives“ Verhalten wie Weinen, Beißen, Treten und Schreien sind demzufolge völlig normale Reaktionen und haben lediglich die Aufgabe, die Bindung wieder herzustellen.

Die innere Repräsentation dieser Bindungsbeziehung(en) wird als bedeutender Teil der Persönlichkeit angesehen und ist Teil des so genannten internen Arbeitsmodells. Dieses beinhaltet eine Vielzahl von Erwartungen zum Vorhandensein von Bindungspersonen, Interaktionen mit ihnen und Vorstellungen über die Wahrscheinlichkeit, Unterstützung in aufreibenden Zeiträumen zu erhalten. Das interne Arbeitsmodell stellt eine Art Grundriss der Welt dar und beinhaltet auch das spezifische Muster von Bindungsverhalten, welches ein Individuum zeigt. (Vgl. Holmes, 2002). Es wurde von John Bowlby, Mary Ainsworth und Mary Main hergeleitet.

Das Konzept Bindung ist nicht ausschließlich auf Mütter beschränkt, sondern ist ebenso auf Väter, Großeltern, Geschwister etc. anwendbar. Je nach Person kann sich hier jedoch die Bindungsqualität unterscheiden.

2.4.1 Die Entwicklung der sozial-emotionalen Bindung

Ein Kind entwickelt in den ersten beiden Lebensjahren personengebundene Bindungen. Diese Entwicklung läuft nach Bowlby und Ainsworth in den nachstehenden drei Etappen ab.

In der Vorphase (0 – 3 Monate) ist das Kind ohne feststellbaren Unterschied auf Personen ansprechbar und richtet seine eigenen Signale auch ohne Unterschied auf Personen an die Umwelt.

Später (3 – 6 Monate) lernt es durch ausgeübte Interaktionen die Personen von einander zu unterscheiden und seine Signale richten sich gleichzeitig auch immer mehr an favorisierte Individuen. Die tatsächlich erfassbare Bindung entsteht etwa ab dem 6. Lebensmonat, zeitgleich mit der Entwicklung von Lokomotion und Kognition, besonders von Personen- und Objektpermanenz. Erst jetzt kann das Kind Bezugspersonen „vermissen“ und aktiv die Nähe oder den Abstand zu ihnen regulieren. In dieser Phase treten am deutlichsten individuelle Unterschiede auf. Bevor das Kind zu sprechen beginnt, erreicht dieser Entwicklungsschritt seinen Höhepunkt, mit etwa 12 bis 18 Monaten. (Vgl. Holmes, 2002) Mit etwa drei Jahren beginnt das Kind Verhalten von anderen Personen, je nach Situation systematisch zu beeinflussen, was gelegentlich in der Literatur auch als vierte Etappe beschrieben wird.

2.4.2 Ursachen für sichere/ unsichere Mutter-Kind-Bindung

Anscheinend prägt Umgang der Eltern, mit dem Nähebedürfnis des Kindes, wie viel Sicherheit es in seiner eigenen Bindung erwirbt. Widersprüchliches Verhalten, welches von unsicher oder desorientiert gebundenen Kindern gezeigt wird, ist oft auf schwankende, unstetige und daher schwierig vorherzusagende Reaktionsweisen der Eltern zurückzuführen.

Unsicher-vermeidend gebundene Kinder erleben oft kaum einfühlsame Fürsorge und deren Mütter stehen starker emotionaler Aufregung oft ablehnend gegenüber. Mit Hilfe von Längsschnittstudien ließ sich nachweisen, dass sie gelegentlich sogar feindselig auf ihre Kinder reagierten und die eigenständige Regulation der kindlichen Gefühle erwarteten. Sicher gebundene Kinder sind dagegen meist von Geburt an sehr gefühlsstabil oder hatten sehr rücksichtsvolle und aufmerksame Mütter, welche umgekehrt von den Kindern als zuverlässig, freundlich, liebevoll und offen wahrgenommen werden (Keller, 1997, 2000, Oerter/Montada, S. 199). Feinfühligkeit stellt hierbei eine ausschlaggebende Emotion dar und schließt das aufmerksame Wahrnehmen und die richtige Interpretation von kindlichen Signalen, sowie eine prompte und angemessene Reaktion darauf ein. Nach Ainsworth erleben ambivalent- unsicher gebundene Kinder ihre Mutter einerseits als überschwänglich freundlich, andererseits als unerreichbar, so dass hier sicheres Verhaltensmuster ihrerseits abgeleitet werden konnte.

Das Verhalten, wiederum, der Eltern hängt von den selbst erlebten Bindungserfahrungen ab. Wenn Mütter oder Väter noch in ihren eigenen traumatische Erinnerungen verstrickt sind oder sich emotional von der

Bindungsperson distanzieren, ergibt sich für den Nachwuchs ein schwierig zu deutendes Bild, und sie erleben dann oft deutlich weniger Feingefühl als diejenigen Kinder, deren Eltern eine sichere Bindung erfahren haben. (Vgl. Oerter/Montada, 2002, Grossmann, 2003)

2.4.3 Die Wirkung von Stress auf Bindungen

Die physiologische Stressreaktion von Kindern, lässt sich durch eine Messung des Cortisolgehaltes in deren Speichel bestimmen, wobei eine Erhöhung des Spiegels eine höhere Alarmbereitschaft des Körpers bedeutet.

In einer Studie von Ahnert, Gunnar, Lamb und Barthel (2004) wurden siebzig Kinder im alter von 15 Monaten, an unterschiedlichen Zeitpunkten untersucht:

1. im elterlichen Haushalt bevor sie den Kindergarten besuchten
2. während der Eingewöhnungszeit im Kindergarten, wobei die Mutter anwesend war
3. in den ersten neun Tagen, die das Kind ohne die Mutter im Kindergarten verbrachte
4. fünf Monate nach der Eingewöhnung.

Dabei wurde die Bindungsqualität zwischen Mutter und Kind vor dem Eintritt des Kindes in den Kindergarten und drei Monate danach untersucht. In der Trennungsphase war eine Erhöhung des Cortisolspiegels in der ersten Stunde nach dem Gehen der Mutter zu beobachten, dabei ist er etwa 75 – 100 Prozent höher, als er noch zu Hause war. Hier war zu erkennen, dass der Cortisolspiegel, der sicher gebundenen, verglichen mit unsicher gebundenen Kindern, deutlich niedriger in der Anpassungsphase war. Dagegen schrieen sie deutlich häufiger in der Trennungsphase, wobei diese Merkmale deutlich mit der physiologischen Stressreaktion korrelierten. Verbrachten die Mütter aber mehr Zeit damit, ihr Kind an die neue Situation im Kindergarten zu gewöhnen, blieben die Bindungen konstant bzw. wurden gefestigt. Für Eltern, welche die Vermutung haben, die Trennung in Kindergärten oder bei Tagesmüttern ist Stress belastet für ihre Kinder, ist dieses Ergebnis sicher von großer Bedeutung. Interessant ist hier der Aspekt, dass auf außerfamiliäre Betreuung der Kinder nicht verzichtet werden muss, um eine sichere Bindung zu gewährleisten.

2.4.4 Ergebnisse aus der Forschung

An dieser Stelle werden verschiedene empirisch bestätigte Befunde dargelegt, welche auf Verknüpfungen des Bindungsverhaltens mit Sachverhalten in späteren Lebensabschnitten deuten. Gibt man zum Beispiel Fünf- bis Zehnjährigen Aufgabenstellungen zur Konfliktlösung, bleiben die sicher gebundenen Kinder meist ausdauernder konzentriert auf den Sachverhalt gerichtet. (Vgl. Grossmann, 2003) Dabei veranlassen sie in der Regel weniger Streit und gehen zugänglicher mit Problemen um, als die unsicher gebundenen Kinder der Vergleichsgruppe. Ihnen fällt es schwer, um Hilfe zu bitten oder diese anzunehmen. Eine sichere Bindung im Alter von 6 Jahren wirkt sich auch auf den Sprechstil positiv aus; die Unterhaltungen von sicher gebundenen Kindern sind meistens fließender als jene der unsicheren gebundenen.

Jugendliche, welche in ihrer Kindheit sicher gebunden waren, scheinen ebenfalls eine positivere soziale Wahrnehmung zu besitzen, und zeigen außerdem beziehungsorientiertes Verhalten. Angststörungen werden dagegen in diesem Lebensabschnitt zunehmend assoziiert mit einer unsicher- ambivalenteren Bindung in frühester Kindheit. Chaotische Kinder weisen dagegen in ihrer Jugend eine erhöhte Gewaltbereitschaft auf und sind wesentlich aggressiver.

Psychologische Begleiterscheinungen von Bindungsdesorganisation können beispielsweise, Konzentrationsschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsdefizite und Schlafstörungen sein.

Auch wenn Bindung nur ein Merkmal ist, kann sie sich im Verlauf der Entwicklung mit bedeutenden Lebensereignissen verändern.

In zwei bedeutenden Längsschnittstudien im deutschen Raum von Grossmann et al. (2003) zeigte sich, dass „die Mutter-Kind-Bindung mit einem Jahr eine hohe Stabilität zur Bindung mit sechs Jahren, und diese wiederum zu der mit 16 Jahren aufweist. Deutliche Wechsel, besonders von sicherer zu unsicherer Bindungsqualität, können mit schwerwiegenden Lebensereignissen in Verbindung gebracht werden, wie z. B. die Trennung der Eltern. Jedoch bietet die Identitätserarbeitung im Jugendalter eine wesentliche Chance, sich ein stabiles und ausbalanciertes Arbeitsmodell aufzubauen, welches später den eigenen Kindern eine positive und sichere Entwicklungsatmosphäre möglich macht.“ (2001, vgl. Grossmann et al., 2003, S. 202)

2.5 Persönlichkeitsentwicklung in der Kindheit und Einflüsse auf das weitere Leben

Als Mutter oder Vater ist ein Kind schon ab dem Zeitpunkt der Geburt eine kleine Persönlichkeit. In den ersten Wochen seines Lebens, werden dem Säugling dann vielfältige Eigenschaften zugeschrieben, welche die Eltern an ihm schätzen oder sie verzweifeln lassen. ,,Das Alltagsverständnis verbindet mit dem Persönlichkeitsbegriff charakteristische Verhaltenseigenschaften eines Menschen, die ihn oder sie zuverlässig von anderen unterscheiden." (Völker, 2002, S.11) Persönlichkeitsentwicklung in der frühen Kindheit geht jedoch weit über die von Eltern erfahrbaren Eigenheiten hinaus. Tatsächlich sind eben jene Persönlichkeitseigenarten auch wissenschaftlich begründet. Ich erachte die Persönlichkeitsentwicklung als wichtige Betrachtungsgrundlage für weitere Betrachtungen in dieser Arbeit. Anhand des folgenden Modells soll veranschaulicht werden, welche Faktoren die Entwicklung des Kindes und damit einhergehend die Entstehung der Persönlichkeit beeinflussen. (Vgl. Schenk-Danzinger, 1996, S.43f) Nach Schenk-Danzinger (1996) sind dies vor allem drei Faktoren.

Zum einen die genetischen Faktoren, welche vor allem bestimmt sind durch die individuellen genetischen Anlagen, die uns durch Vererbungsvorgänge gegeben sind. Diese wiederum bestimmen, zumindest strukturell, die Reifung zum Menschen. Die genetischen Faktoren sind nur bedingt beeinflussbar. Genau genommen steht hier die Wahl nach einer genetischen Untersuchung und Beratung gegebenenfalls die Entscheidung für oder gegen ein Kind zu treffen.

Wesentlich bedeutsamer, und meiner Meinung nach deutlich prägend, sind die soziokulturellen Faktoren. Nach Schenk-Danzinger bestehen diese aus weiteren drei Faktoren, welche er wie drei ineinander greifende Kreise betrachtet. Hier sind der Kulturkreis, die weitere Umwelt sowie die engere Umwelt zu prüfen.

Der Kulturkreis bildet hierbei den weitesten der drei Kreise. Bestimmend ist hier überwiegend die Religion. Als Betrachtungsgrundlage wird gegenwärtig der christlich abendliche Kulturkreis angegeben. Hier bilden das römische Recht und die zehn Gebote die Grundlage des öffentlichen und individuellen Rechtsbewusstseins. (Vgl. Schenk-Danziger, 1996) Als nächster Kreis wäre die weitere Umwelt zu nennen. Hier sind vor allem die weiteren Lebensumstände von Bedeutung, wie die Zugehörigkeit zu einem Volk, das Leben auf dem Land oder in der Stadt, die Sozialschicht oder die Berufsgruppe der Eltern. Dieser Kreis ist, nach Schenk-Danziger, auch bekannt als die Volks- und Gruppenzugehörigkeit. Darunter zählen unter anderem Traditionen und Welthierarchien in der Religionsgemeinschaft. Genauso werden auch Statussymbole der zugehörigen Sozialschicht und in den meisten Fällen auch die Berufsgruppe der Eltern, vorerst unstreitig und unbewusst übernommen oder als Orientierungsgrundlage genutzt. Zugleich haben Verhaltensmuster, Vorurteile und gültige Meinungen eine Wirkung auf die individuelle Entwicklung, gegebenenfalls auch auf die weitere Zukunft. Es lies sich zum Beispiel untersuchen, dass (begabte) Kinder aus einer soziokulturell tieferen Schicht in vielen Fällen weniger in Begabungen gefördert werden, da Bildung in dieser Schicht kein soziales Prestige aufweist. (Vgl. Schenk-Danziger, 1996) Die engere Umwelt bildet den engsten und auch bedeutendsten und prägensten der drei Kreise. Hierzu zählen die Familie, der Freundeskreis und der Kindergarten (Tagesmutter, andere Einrichtungen) bzw. die Schule. Die Familie bildet hier ihre ganz eigenen Wertvorstellungen, parallel zu den offenen Werten innerhalb einer Gesellschaft.

Besondere Bedeutung haben für die Entwicklung der Persönlichkeit eines Kindes hier vor allem:

- die Art der emotionalen Zuwendung zum Kind
- die Art der Konfrontierung des Kindes mit Wertmaßstäben
- die Art der Lernmöglichkeiten

(Vgl. Schenk-Danziger, 1996, S.45)

Schon vielfältig erwiesen wurden die Auswirkungen der Zuwendungen, die Eltern ihrem Kind entgegenbringen. Während eine positiv-emotionale Zuwendung der Eltern dem Kind Vertrauen und Geborgenheit vermitteln lassen, negative, ambivalent-emotionale Zuwendungen eher Konfliktsituationen entstehen, die für Kinder, besonders in der einflussreichsten Zeit ihres Lebens kräftezehrende und entwicklungshemmende Wirkungen nach sich ziehen. In der Regel stellt die Familie als Konstrukt die erste Erfahrung eines Kindes mit Wertmaßstäben, wie gut-böse, brav-schlimm oder richtig- falsch. Hierdurch werden für das Kind Erfahrungen geschaffen, die Orientierung in sozialen Gefügen ermöglicht und Vorraussetzungen schafft für Regeln und Normen, welche sich ihm im weiteren Lebensverlauf darbieten. Die Lernmöglichkeiten innerhalb der Familie, stellt die Uneingeschränktheit des Kindes, wie zum Beispiel motorische Freiheit, damit verbundene Übungen (greifen, laufen) dar aber auch die Förderungsmöglichkeiten, welche dem Kind zur Verfügung stehen (spielen, kognitive Reize etc.). Durch fehlende Beschäftigung und im schlimmsten falle Verwahrlosung des Kindes treten in diesem Bereich erhebliche Defizite auf, welche sich sowohl auf die kognitiven als auch auf die sozialen Fähigkeiten des Kindes auswirken. Bedeutsam ist besonders hier dem Kind immer wieder neue Impulse[6] zu ermöglichen, welche einen Lernprozess auslösen. (Vgl. Schenk-Danziger, 1996) Auf diesen Umstand soll an anderer Stelle dieser Arbeit noch eingegangen werden.

Als letzten, aber doch sehr bedeutsamen Faktor nennt Schenk-Danziger die innerseelischen dynamischen Faktoren. Einerseits ist an dieser Stelle die bewusste Selbststeuerung zu erwähnen. Die aktive Selbststeuerung hat einen großen Stellenwert für die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes. Bereits im zweiten bis dritten Lebensjahr, ist das selbststeuernde Ich durch Willensbekundungen wahrnehmbar. Hierbei wird die Selbststeuerung nach Dynamik und Richtung unterschieden, wobei die Dynamik durch die so genannte Vitalstärke bestimmt wird. (Vgl. Schenk-Danziger, 1996, S. 46) Die Vitalstärke wiederum wird als eine „angeborene, überdauernde Charakterkostante“ (Schenk-Danziger, 1996, S. 46) angesehen. Während das vitalstarke Kind sich bemüht, Probleme zu bewältigen und sich dabei aktiv an der Wahrnehmung und Nutzung vorhandener Lernmöglichkeiten beschäftigt, weicht das vitalschwache Kind andererseits Schwierigkeiten aus und nimmt nicht selbstständig wahr, in welchen Situationen eine Konfrontation mit Problemen erforderlich wäre.

Des Weiteren werden von Schenk-Danzinger hier die unbewussten dynamischen Prozesse genannt. Beschrieben werden diese als all jene Einflüsse, welche das Kind in seiner Umgebung aufnimmt aber nicht bewusst verarbeitet. Diese werden auch als Leitlinien oder Leitbilder bezeichnet, die durch Erfahrungen entstehen, welche unterbewusst zur Entwicklung bestimmter Lebensgrundsätze und durchaus konstanten Haltungen beitragen. Zum Beispiel kann ein lieblos erzogenes Kind eine gewisse Ängstlichkeit entwickeln. Das Prinzip, das sein Verhalten beeinflusst, ohne das es dies bewusst wahrnimmt, ist einfach. Das Kind nimmt wahr: Niemand hat mich lieb. Also bin ich schlecht. Mich müssen also alle verachten. Ergo entwickelt das Kind daraus eine ängstliche Grundhaltung „dem Leben“ gegenüber. Dieser Zustand trifft meist auf vitalschwache Kinder zu. Bei einem vitalstarken Kind kann eine ganz andere Verlaufsform eintreten. Zum Beispiel kann es eine Feindseligkeit gegenüber „der Welt“ entwickeln. Es sagt sich zum Beispiel „die Welt“ ist schlecht zu mir, ich muss gegen sie ankämpfen. Allerdings werden Leitlinien im umgekehrten Fall eben positiv beeinflusst. Ein Kind, welches in einer liebevollen Umgebung aufwächst und Zuneigung und Aufmerksamkeit erfährt, wird eine ganz andere Leitlinie entwickeln. Diese Kind nimmt wahr „die Welt“ ist gut zu mir, alle haben mich gern. Wenn das Kind selbst freundlich zu anderen ist, wird es erwarten, so positive Resultate zu erhalten. (Vgl. Schenk- Danziger, 1996)

[...]


[1] Preyer,[1882] ; E. und G. Scupin,[1907] /[1910] ; C. und W. Stern,[1907] /[1965] ; Piaget,[1936] /[1937] /[1947] (Vgl. Oerter/Montada,[2002] )

[2] Als Genom wird die Gesamtheit unsrer genetischen Informationen (Gene), welche auf den Chromosomen gespeichert sind, bezeichnet.

[3] „Zur materiellen Umgebung zählen u. a. physikalisch-chemische Einflüsse (z. B. Umweltstoffe, globale Luftverschmutzung), Qualität des Wohnraumes (Größe, Lage), Verfügbarkeit von Ressourcen (Bücher, neue Medien) oder auch die Qualität der Wohngegend (Bildungsstätten, Freizeitmöglichkeiten). Die soziale Umgebung umfasst im weitesten Sinne Einwirkungen durch andere Menschen. Hierzu zählen u. a. Lernangebote und Erziehungseinflüsse (in der Familie, im Kindergarten, in der Schule), Beziehungen zwischen Eltern und Kind, Kontakte zwischen Kind und anderen Kindern (Häufigkeit, Dauer und emotionale Qualität der Kontakte) oder auch Erwartungen von Gleichaltrigen in der sogenannten peer group.“

[4] „Die Bedeutung von Anlage und Umwelt variiert auch mit dem Alter der Personen. Dies hat zum einen damit zu tun, dass bestimmte Gene nur zu bestimmten Zeitpunkten aktiv sind. Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren z. B. bei der Intelligenz herausgestellt, dass der genetische Einfluss mit wachsendem Lebensalter zunimmt. Dies zeigt sich daran, dass Intelligenzunterschiede zwischen eineiigen Zwillingen kleiner werden, je älter die Kinder werden, während bei zweieiigen Zwillingen (deren Erbgut nicht zu [100] Prozent, sondern im Durchschnitt nur zu [50] Prozent übereinstimmt) die Intelligenzunterschiede mit zunehmendem Alter größer werden.“

[5] In den späten Fünfziger Jahren ließ Harry Harlow ([1958] ) in seinem Laborversuch zum „Wesen der Mutterliebe“ kleine Rhesusaffenbabys getrennt von der Mutter aufwachsen. Stattdessen wuchsen einige mit milchspendenden Mutterattrappen aus Draht heran, die anderen mit weich gepolsterten Attrappen, die aber keine Milch gaben. Nach einiger Zeit wurden Angst- und Bindungsreaktionen der Affenkinder überprüft, indem man die Versuchstiere mit einem Angst auslösenden, lärmenden Roboterbären konfrontierte. Diejenigen, die mit der Plüschmutter aufgewachsen waren, suchten bei dieser Schutz. Die bei der „nährenden Drahtmutter“ Aufgewachsenen verkrochen sich in eine Ecke oder erstarrten. Dieser Versuch zeit nicht etwa, wie Harlow zunächst fälschlicherweise schlussfolgerte, dass Mutterliebe eine ständige Verfügbarkeit von sowohl Kuschelmöglichkeit als auch Milchspenden ist, sondern dass die Befriedigung von Bindungsbedürfnissen mindestens genauso bedeutsam wie die Muttermilch und vor allem unabhängig davon ist. Das zeigt auch ein ähnliches Experiment, bei dem die Affenbabys die Stoffmutter der nährenden Drahtmutter deutlich vorzogen. Die Primärbedürfnisse des Menschen, vor allem des Kleinkindes, sind also nicht nur physiologischer, sondern auch psychischer Natur, wobei speziell das Bindungsbedürfnis eine übergeordnete Rolle spielt. (vgl. Harlow et al. in Oerter/Montada[2002], S.[197] f)

[6] Beschäftigungsmaterial, Sprachliche Zuwendung, Beobachtungs- und Erlebnismöglichkeiten

Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
Frühe Kindheit – Einflüsse, Störungen, Entwicklungsrisiken und daraus folgende Präventions- und Interventionsmöglichkeiten
Hochschule
Universität Erfurt
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
93
Katalognummer
V112865
ISBN (eBook)
9783640132027
Dateigröße
2342 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frühe, Kindheit, Einflüsse, Störungen, Entwicklungsrisiken, Präventions-, Interventionsmöglichkeiten
Arbeit zitieren
M.A. Heidi Schuchardt (Autor:in), 2008, Frühe Kindheit – Einflüsse, Störungen, Entwicklungsrisiken und daraus folgende Präventions- und Interventionsmöglichkeiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112865

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