Die Stellung der Frau - Sozialkitische Konsequenzen der Eheromane Fontanes am Beispiel von „Effi Briest“


Hausarbeit (Hauptseminar), 1996

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Vom Drama zum sozialen Roman

2. Wesen und Funktion des Gesellschaftsromans

3. Situation der Frau als Gegenstand von Gesellschaftsromanen
3.1. Die Rolle der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jhd.
3.2. Behandlung der Frauenproblematik im Gesellschaftsroman

4. Der Gesellschaftsroman bei Theodor Fontane
4.1. Fontanes Weg zur sozialen Thematik
4.2. Grundzüge der Gesellschaftsromane Fontanes
4.3. Fie Frauenfrage als zentrales Thema bei Fontane
4.4. Der Wandel des Frauenbildes bei Fontane
4.5 Das Bild der „gefallenen“ Frau

5. Literaturverzeichnis

1 Vom Drama zum sozialen Roman

Zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert hat die literarische Gattung des Romans eine besondere Entwicklung und Aufwertung erfahren. Bis ins 18. Jahrhundert besaß der Roman einen geringen Stellenwert gegenüber der Lyrik und dem Drama, in denen Individualprobleme dominierten. Mit dem Zeitalter der Industrialisierung und Technisierung verlagerten sich jedoch Handlungsrahmen und Problemlagen von individuellen zu kollektiven Fragestellungen. Das Drama, das vorwiegend individuelle Schicksale behandelt und dessen Gesellschaftsbegriff sich ausschließlich an adliger und bürgerlicher Gesellschaft orientiert, hat es angesichts dieser Umstände schwer, den sozialen Fragen der Zeit gerecht zu werden. Für eine adäquate Darstellung „des wirklichen und gesellschaftlichen“ Lebens erhält der Roman als eine vorzugsweise dazu ausgebildete „Kunstform der Prosa“ seine neue Berechtigung[1]. Der Roman versteht sich somit als Verschmelzung sowohl lyrischer als auch tragischer Elemente. Während das Tragische allerdings in der Tragödie von „hohem pathetischem Stil“ geprägt war[2], präsentiert es sich im Roman des Realismus als Vermischung von Alltäglichem und tragischem Ernst[3], wobei es wesentlich an Bedeutung verliert.

Im Unterschied zur französischen Literatur, die bedingt durch die politisch-soziale „Vorläuferrolle“ Frankreichs sich schon früh den Problemen der Zeit gestellt hat[4], gewinnt der deutsche Roman als Gesellschaftsroman sehr spät den Anschluß an die Entwicklung der europäischen Literatur. Die Französische Revolution hat eben auch im Bereich der Literatur die Dimension des „Gesellschaftlichen“ entdeckt und zur zentralen Fragestellung erhoben. Erst deren Rezeption sowie die Auseinandersetzung damit in Deutschland (z.B. Jungdeutschen) haben analog zur zeitverzögerten, seit der Reichsgründung sich beschleunigenden sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland auch zu einer entsprechend zeitverzögerten literarischen Ausprägung geführt. Fontane ist in seiner engen Verknüpfung mit diesem Prozeß wohl auch der Schriftsteller schlechthin, der den zeitgenössischen Gesellschaftsroman wohl typischerweise verkörpert.[5]

2 Wesen und Funktion des Gesellschaftsromans

Die oben erwähnte „Entdeckung“ des Gesellschaftlichen, des „Sozialen“ in Folge der französischen Revolution war in der Tat eine neue Denkkategorie, eine Frage des Bewußtseins und als solche eine spezifische Kategorie des 19. Jahrhunderts weit über die allgemeine, zeitlose Bedeutung des Begriffes hinaus: „Die soziale Frage“ wird deshalb zum Schlüsselbegriff des Jahrhunderts schlechthin. Sie ist übrigens nicht auf die sozialen Fragen in Folge der Veränderungen in der Arbeitswelt begrenzt, sondern fragt nach den generellen gesellschaftlichen Veränderungen. Denn „die Gesellschaft im ganzen - in allen ihren Gliedern, Gruppen und Klassen - ist in Bewegung geraten“[6]

Damit werden tradierte Strukturen in Frage gestellt und als überholt erkannt, Strukturen des Denkens und der Denkweisen ebenso wie Strukturen der Gesellschaft als Ganzes und nicht zuletzt Strukturen der Form und Sprache. Der neue Typus literarischer Auseinandersetzung mit diesen Veränderungen, eben der Gesellschaftsroman, der diesen Prozeß spiegelt, kann deshalb auch nicht mit tradierter Form und Sprache operieren, sondern sucht einen Neuanfang künstlerischer Ausdrucksform. Der Handlungsaufbau erfolgt weniger nach dem Prinzip der Steigerung in der zeitlichen Abfolge der Ereignisse, sondern vielmehr nach dem der ausführlichen Darstellung vieler gleichzeitig ablaufender Handlungen. Diese Literatur interessiert eher aus sozialgeschichtlichen als aus ästhetischen Gründen. Der Abkehr vom Individuellen zum „Kollektiven“ als Denkkategorie entspricht der Schritt zum Roman als der Form, die am ehesten die gewünschte umfassende „Abbildung“ und Analyse der Breite gesellschaftlicher Realität und Probleme möglich macht.[7] Die gesellschaftskritische Tendenz wird entweder direkt ausgesprochen oder erschließt sich dem Leser unschwer aus der objektiv gehaltenen Schilderung und Analyse der Gesellschaft. Gerade Fontanes Romanerzählungen „folgen (deshalb) einer analytischen Intention, die nicht nur tatsächliche Zustände genau beschreiben, sondern deren spezifische Entstehungsbedingungen konkret als erzählte Geschichte sowie abstrakt als Paradigma darlegen will“[8],

3 Situation der Frau als Gegenstand von Gesellschaftsromanen

Bedingt durch die vielschichtigen politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts verlieren die bis dahin selbstverständlich akzeptierten Normen und Werte ihre Verbindlichkeit, was unter anderem dazu führt, daß das Selbstverständnis der Familie, insbesondere die Rolle der Frau in Frage gestellt wird.

3.1 Die Rolle der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts

Mit dem Aufkommen des Bürgertums im 18./19. Jahrhundert hat sich die rechtliche und soziale Stellung der Frau zunehmend verschlechtert. Die seit dem Ende des Mittelalters zunehmende gesellschaftliche Arbeitsteilung und die damit verbundene Abdrängung der Frauen aus dem Erwerbsleben in die rein „familiäre“ Sphäre geht einher mit einer Freiheitseinschränkung der Frauen, die durch gesellschaftliche Isolation und verstärkte Abhängigkeit gekennzeichnet ist. Selbst innerhalb der Familie hatte die Frau selten eine so untergeordnete und unselbständige Rolle wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche Briefe und literarische Dokumente liefern Zeugnisse dafür, in welcher Weise die Frau sich zurückgesetzt und geschädigt fühlte, und wie sehr sich Frauen zu dieser Zeit gewünscht hätten, als Mann geboren zu sein.[9]

- Die Ehe war die „natürliche“ Bestimmung des Mädchens. Während der Mann auch als Junggeselle gesellschaftliche Anerkennung erfuhr, war die bürgerliche unverheiratete oder gar geschiedene Frau nicht nur sozial nicht akzeptiert, sondern auch ökonomisch nicht überlebensfähig bzw. abhängig von Verwandten, die sie als Last betrachteten.[10] Somit beruhte die Ehe oftmals nicht auf gegenseitiger Liebe, sondern diente der finanziellen Absicherung der (bürgerlichen) Frau, da es ihr meist versagt war für ihren Lebensunterhalt selbst tätig zu sein. Dem entsprach auch die häufige Praxis einer elternlichen Bevormundung bei der Wahl des Ehepartners: “Der Wert der Frau bemaß sich dabei an ihrer Mitgift und dem, was ihr Vater repräsentierte“[11]

- Das Allgemeine Landrecht sieht den Hauptzweck der Ehe “in der Erzeugung und Erziehung der Kinder“. Während die Ehe ein reines Zweckbündnis darstellt, wird die Liebe als ein rein physisches Erleben gesehen, das vornehmlich außerhalb der Ehe gesucht wird. Diese geläufige Vorstellung des 18. Jahrhunderts, die also eine Trennung von Ehe und Liebe kultiviert, bestätigt J.B. BASEDOW indem er die Umarmung der Ehepartner ohne die Absicht der Zeugung als Verstoß gegen das „Gesetz der Natur“ ansieht.[12]
- Der Wirkungsbereich der Frau war einzig und allein auf das Haus beschränkt. Von Kind an wurde sie für dieses Dasein erzogen. Ihre Pflichten bestanden lediglich darin, „für die Nachkommen zu sorgen, eine heitere Atmosphäre zu schaffen, eine gute Repräsentantin des Hauses zu sein und auf Festivitäten reizend auszusehen“, kurz, sie diente als „Spielzeug des Mannes“.[13] Zu diesem Frauenbild trug entscheidend die Kirche bei, die den Lebens- und Erfahrungsbereich der Frau auf die drei K (Kirche, Küche, Kinder ) beschränkte. Dieser, der Frau zugeschriebenen Objektrolle, entsprach auch die weitverbreitete Ansicht, der Frau jegliche Kreativität, Genie oder Geist abzusprechen.
- Durch den Status der Frau als Nur-Hausfrau wird diese in eine Position völliger wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihrem Ehemann gezwungen. Am stärksten finanziell abhängig war die bürgerliche Hausfrau, die über keinerlei selbständige Basis verfügte. Dagegen standen der Adligen im Falle einer Scheidung eine eigene Rente zu, während die Abhängigkeit der Proletarierin zwar gemildert ist, dadurch daß diese aufgrund ihrer wirtschaftlichen Notlage zur eigenen Berufstätigkeit gezwungen war, sie aber auf der anderen Seite die Mehrbelastung durch Beruf, Hausarbeit und Kindererziehung zu tragen hatte.[14] Die Rolle des Ehemanns, als alleiniger „Ernährer“ der Familie, konstituiert somit auch die hierarchischen Strukturen innerhalb der häuslichen Gemeinschaft. Im Allgemeinen Landrecht ist festgelegt, daß „der Mann das unangefochtete Haupt der Familie darstellt“, wobei der Status dieser Zuordnung auf die „Natur der Geschlechter“ zurückgeführt wird:[15]

„Das Leben des für den Weltsturm erschaffenen und mit unbändigen Leidenschaften ausgerüsteten Mannes in die engen der weiblichen Sittsamkeit gesteckten Schranken einzuzwängen, den Richtersprüchen eines Weibes zu unterwerfen, sey unnatürlich und unausführbar.“

Während der Mann in der Familie die dominierende Verfügungsgewalt innehatte sowohl in Bezug auf das Familienvermögen oder Erziehung und Ausbildung der Kinder, hatte die Frau ihm weitestgehenden Gehorsam zu leisten.[16]

- Da es also feststand, „daß eine junge, schöne Dame lediglich dazu sei, zu gefallen, und zu diesem Zwecke sei wenig wissen besser als viel, wurde ihr nur ein Minimalmaß an Bildung zuteil.“[17] Die Ausbildung der Mädchen in der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts, beschränkte sich auf die praktische Tätigkeit als Hausfrau, der man als schmückende Beigabe die obligatorische musische Ausbildung hinzugibt. So blieben der Frau bis ins 19. Jahrhundert hinein die maßgeblichen Stätten der Bildung verschlossen, der Zugang zu den Universitäten wurde ihnen sogar erst um die Jahrhundertwende gestattet, oft unter diskriminierenden Umständen. Daß die Frauenfrage in einem entscheidenden Umfang zu einer Frage von Bildung wurde und in der Forderung nach Arbeit und freier Berufswahl mündete, korrespondiert mit der Tatsache, daß gerade die Bildungsfrage sich zur Schlüsselfrage gesellschaftlicher Emanzipation entwickelte[18]

- Ab Mitte der 30iger Jahre versuchte der preußische Staat, durch die Formulierung härterer Ehescheidungsgesetze stärkeren Einfluß und Kontrolle auf die Scheidungspraxis zu gewinnen. Dieser staatlichen Einmischung in eheliche Angelegenheiten geht der politische Akt der Säkularisierung der Ehe im Jahre 1803 voraus, d.h. der Überführung von Fragen des Eherechts aus kirchlicher in weltliche Gerichtsbarkeit. Das neue staatliche Eherecht sieht die Ehe als Institution, also als „rechtlich geregelte Grundform“ an, die „nicht der vertraglichen Disposition der Ehepartner unterliegt“.[19] Als einziger Scheidungsgrund war der Ehebruch zugelassen, wobei das Eherecht eine Bestrafung des „schuldigen“ Ehegatten mit Gefängnis oder Festungshaft vorsah, und zwar für die Frau mit doppelt so hohem Strafmaß wie für den Mann. Zwei Gründe liegen einem dahingehenden Gesetzesentwurf zugrunde:[20]

1. Die Überzeugung, daß durch den Ehebruch die Frau tiefer sinkt als der Mann, weil sie vorzugsweise vor dem Manne ihren Lebensberuf in der Familie hat, während der Mann in vielen anderen Beziehungen der Welt angehört.
2. Die allgemein verbreitete Ansicht, daß der Mann in seiner Stellung, in seiner Ehre ungleich tiefer verletzt sei durch den Ehebruch der Frau, als umgekehrt.

[...]


[1] Toth, Johannes: Gestalt und Rolle der Mutter im Roman des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts; Frankfurt a. Main 1986

[2] Dies gilt auch noch für Goethes „Wahlverwandtschaften“, die oftmals als frühe Form des Gesellschaftsroman betrachtet werden.

[3] Müller-Seidel, Walter: Soziale Romankunst in Deutschland; Stuttgart 1975; S. 12- 17

[4] Richter, Karl: Resignation. Eine Studie zum Werk Theodor Fontanes; Stuttgart 1966; S. 10

[5] Müller-Seidel: Soziale Romankunst in Deutschland; S. 22-25f.

[6] Ebda. S. 11

[7] Ebda. S. 12f

[8] Aust, Hugo: Fontane aus heutiger Sicht. Analysen und Interpretationen seines Werkes; München 1980; S. 10

[9] Blinn, Hansjürgen: Die Diskussion um den Status der Frau vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart; in: B.,H. (Hrsg.): Emanzipation und Literatur; Frankfurt a. Main 1984; S. 72

[10] Harnisch, Antje: Keller, Raabe, Fontane. Geschlecht, Sexualität und Familie im bürgerlichen Realismus; Frankfurt a. Main 1994; S. 19

[11] Ebda. S. 20

[12] Müller Seidel: Soziale Romankunst in Deutschland; S. 333

[13] Ellinger Edeltraud: Das Bild der bürgerlichen Gesellschaft bei Theodor Fontane; Würzburg 1970; S. 197, 199

[14] Blinn, Hansjürgen: Die Diskussion um den Status der Frau; S. 57f

[15] Zitiert nach Gerhard, Ute: Verhältnisse und Verhinderungen. Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert; Frankfurt a. Main 1978; S. 421

[16] Harnisch, Antje: Keller, Raabe, Fontane; S. 18

[17] Ellinger, Edeltraud; Das Bild der bürgerlichen Gesellschaft bei Theodor Fontane; S. 197

[18] Müller-Seidel: Soziale Romankunst in Deutschland; S. 156f; vgl. dazu etwa die sog. Arbeiterbildungsvereine

[19] Gerhard, Ute: Verhältnisse und Verhinderungen; S. 168

[20] Verhandlungen des im Jahre 1848 zusammenberufenen Vereinigten ständischen Ausschusses, Berlin 1848; zitiert nach ebda. S. 452

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Details

Titel
Die Stellung der Frau - Sozialkitische Konsequenzen der Eheromane Fontanes am Beispiel von „Effi Briest“
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Germanistsiches Institut)
Veranstaltung
Der Eheroman des 19. Jahrhunderts
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1996
Seiten
24
Katalognummer
V112853
ISBN (eBook)
9783640132003
ISBN (Buch)
9783640134564
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stellung, Frau, Sozialkitische, Konsequenzen, Eheromane, Fontanes, Beispiel, Briest“, Eheroman, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
M.A. Christel Gisch (Autor:in), 1996, Die Stellung der Frau - Sozialkitische Konsequenzen der Eheromane Fontanes am Beispiel von „Effi Briest“ , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112853

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