Witz und Wortspiel und das Sprachenlernen


Hausarbeit (Hauptseminar), 1997

29 Seiten, Note: sehr gut +


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Strukturelle Aspekte des Witzes
1.1. Die Bedeutung des Wortes "Witz"
1.2. Unterschied zwischen "Witz"- Erzählungen und Alltagserzählungen
1.3. Funktion von Witzen
(1) Kommunikative Funktion
(2) Interaktive Funktion
1.4. Unterschiedliche Bedingungen der Witzproduktion
1.5. Das Wesen des Witzes
(1) Moment des unerwarteten, überraschenden Zusammenhangs
(2) Moment des Komischen

III. Das Wortspiel als verwandte Textsorte
1.1. Abgrenzung zur Textsorte Witz
1.2. Funktion des Wortspiels
1.3. Markierungen von Wortspielen

IV. Die didaktische Bedeutung von Witz und Wortspiel für den Fremdsprachenunterricht (FU) am Beispiel des Französischen
1.1. Lernzielbestimmung des FU
1.2. Die Anwendbarkeit des Witzes im FU
(1) Der Witz als Unterrichtsgegenstand zur Schulung des Leseverstehens
(2) Der Witz als Unterrichtsgegenstand zur Förderung der Erzählbereit- jjjEEähErzählbereitschaft schaft und -fähigkeit
(3) Der Witz als Unterrichtsgegenstand zur Vermittlung interaktiven Han- delns
(4) Die Anwendung des Witzes im Grammatikunterricht
1.3. Die Anwendung des Wortspiels im FU
(1) Wortspiele und Wortschatzunterricht
(2) Wortspiele in Werbespots
(3) Wortspiele und Ausspracheübungen

V. Das Verlan als wortspielerische Sonderform des Französischen

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Überblickt und untersucht man die gängigen in der schulischen Praxis eingesetzten allgemeinen Unterrichtslehrwerke darauf, inwieweit die Kategorie des Witzes eingesetzt wird, und folgt man den Bestandsaufnahmen unterschiedlicher Autoren, so wird deutlich, daß der Witz in diesen Lehrwerken bisher lediglich eine sehr untergeordnete und bescheidene Rolle spielt.[1]

Dies ist um so erstaunlicher, als daß der Witz ausweislich entsprechender Untersuchungen in unserer gegenwärtigen Gesellschaft ”die wichtigste und am meisten lebendige Gattung der Volkserzählung ist”.[2] Aufgrund seiner Lebendigkeit und großen Beliebtheit ist der Witz geradezu prädestiniert, im Bereich der Didaktik genutzt zu werden.

Die Gründe für diese Abstinenz dürften sehr vielfältig sein und in dieser Vielfalt zusammenwirken. Sicherlich spielte und spielt eine wichtige Rolle die vielfach so empfundene geringe Seriösität und Trivialität des Witzes, die dem an akademischen Maßstäben orientierten Selbstverständnis von Fach und Lehrern in der Regel wenig entspricht.[3]

Andererseits erleichtert die vergleichsweise nur “punktuelle” Einsetzbarkeit die Verwendung in auf längere Abschnitte ausgelegten didaktischen Konzepten auch nicht. Schließlich dürfte die hier besonders geforderte Kreativität und zuweilen auch Aktualität des didaktischen Ansatzes in der schulischen Praxis bremsend wirken.

Trotzdem ist gerade in jüngster Zeit die didaktische Bedeutung des Witzes entdeckt und der Witz als Unterrichtsgegenstand aufgewertet worden. Insbesondere im Bereich des Sprachunterrichts kann der Witz als sprachbedingtes Kulturprodukt den Lernenden mit den Finessen der Sprache und der Kultur vertraut machen und zur Herausbildung schriftlicher und mündlicher Kommunikationsfähigkeiten genutzt werden.

Aber wenn schon in muttersprachlichen didaktischen Konzepten die Verwendung von Witzen eindeutig unterrepäsentiert ist, um wieviel mehr gilt dies für den fremdsprachlichen Unterricht, hier das Französische. Eine entsprechende Bestandsaufnahme derzeit gängiger Unterrichtswerke zeigt dies ganz eindeutig[4].

Erschwerend für die Einsetzbarkeit dürfte zu den oben genannten Gründen hier noch hinzukommen, daß neben der natürlich unabdingbaren fremdsprachlichen Mindestkompetenz auch technische Gründe (Acquisition von französischen Witzen) eine nicht unbedeutende Rolle spielen.

Aber wenn es richtig ist, daß der Witz wie oben formuliert einen spezifischen Zugang zur Fremdsprache und dem durch sie repräsentierten Kulturkreis darstellt, dürfte ein stärkerer Einsatz des Witzes im fremdsprachlichen Unterricht nicht nur ein Gewinn sein, sondern geradezu zu einem Postulat werden, das es auszufüllen gilt.

In den nachfolgenden Ausführungen wird deshalb versucht, auf der Grundlage einer zusammenfassenden Analyse des Witzes als einer “komisch” wirkenden Aussage seine Funktion und die situationalen Bedingungen seiner Realisierung herauszuarbeiten sowie seine Struktur aufzuzeigen, um dann auf dieser Grundlage die didaktische Relevanz des Witzes im fremdsprachlichen Unterricht des Französischen abzuleiten.

II. Strukturelle Aspekte des Witzes

1.1. Die Bedeutung des Wortes ”Witz”

Witze bieten einen vielseitigen Untersuchungsgegenstand. Dabei stehen vor allem im Mittelpunkt die Fragen, was die Gattung der Witze, bzw. des humoristischen Diskurses auszeichnet und worin die Ursachen für die besondere Wirkung des Witzes liegen. Hier geht es insbesondere darum, welche Merkmale es dem Hörer ermöglichen, einen echten Witz von anderen scherzhaften oder spaßigen Erzählung zu unterscheiden.

Nach der neusten Ausgabe des Duden-Wörterbuches kann das Wort ”Witz” sowohl in der Einzahl, als auch in der Mehrzahl gebraucht werden. Mit den jeweiligen Formen verknüpfen sich historisch entstandene Bedeutungsunterschiede.

- ”Witz” in der Einzahl gebraucht meint die ”Gabe, sich geistreich, witzig, in Witzen äußern zu können”[5], also eine individuelle Denk- und Formulierungskompetenz, die beispielsweise in Äußerungen wie ”sie hat echten Mutterwitz” erkennbar wird.
- In der Mehrzahl gebraucht, also im Sinne dessen, was wir als ”Witze” bezeichnen, definiert Duden den Begriff als ”kurze, prägnant und geistreich formulierte Geschichte mit einer unerwarteten Wendung, einem überraschenden Effekt, die zum Lachen reizen soll.”[6]

Witze im hier interessierenden Sinne lassen sich somit definieren als kurzgefaßte sprachliche Gebilde, die mittels verschiedenartiger Tricks Pointen erzeugen und damit den Hörer oder Leser zum Lachen bringen.

Diese Definition bringt klar zum Ausdruck, daß der Witz in allererster Linie ein Sprachgebilde ist, im Unterschied zu “witzigen” Darstellungen, deren Lachanlaß durch eine bestimmte Handlung entsteht, der “witzige” Effekt sich also aus der Situationskomik ergibt, wie beispielsweise in Charlie Chaplin Filmen zu sehen ist. Während bei solchen Darstellungen die komische Wirkung durch die Analyse der Handlungskomik transparent wird, geht es im folgenden um Erscheinungsformen von Textkomik. Der Witz stellt somit einen komischen Text dar, der nicht durch den Gegenstand seiner Aussage definiert ist, sondern allein durch die Art und Weise des Aussagens.

Selbstverständlich läßt sich ein Witz nur auf der Basis einer bestimmten Denk- und Vorstellungsstruktur produzieren, das Witzige an sich aktualisiert sich jedoch durch eine spezifische Aussagetaktik, d.h. es wird allein durch die Sprache konkretisiert. Fehlt diese Aussagetaktik, so ist die Pointe verkorkst.[7] Folgt man den Ausführungen von Marfurt und Preisendanz, so soll das nicht bedeuten, daß bei der Formulierung eines Witzes der Text nicht in abgewandelter Form wiedergegeben werden darf; doch grundsätzlich bleibt auch in den Fällen, wo man den Text verändern kann, ein Idealtext, eine Grundstruktur der Formulierung, die sich nur oberflächlich variieren läßt, und die unbedingt bestimmend bleiben muß, wenn die Pointe erhalten bleiben soll.[8]

Euler dagegen sieht die Festlegung auf einen Idealtext aus linguistischer Sicht nicht gegeben; sie geht davon aus, daß ein ”idealer Text” wegen seiner Bindung an den jeweiligen kommunikativen Kontext und der Individualität des jeweiligen Sprechers nicht wiederholbar ist. Die zur adäquaten Realisierung eines Witzes notwendigen, vorgegebenen Kriterien reduziert sie auf Inhalt, Aufbau und Pointe, während die sprachliche Ausgestaltung dem Erzähler überlassen bleibt.[9]

1.2. Unterschied zwischen “Witz”-erzählungen und Alltagserzählungen

Versucht man die Erzählung von Witzen von sonstigen Alltagserzählungen signifikant zu unterscheiden, so fällt insbesondere die weitestgehende Situationsneutralität auf: Witze sind raum- , zeit- und personenunabhängig[11]. Dabei ist ein großer Teil seiner strukturellen Merkmale von vorne herein festgelegt und kann nicht verändert werden. Der unmittelbare Wahrheitsgehalt des im Witz Ausgesagten ist dabei irrelevant, gerade das Unwahrscheinliche, die Übertreibung oder Überspitzung kann den Witz ausmachen. Der Hörer seinerseits hat die Fiktivität des Witzes als solche akzeptiert.[10]

Die zentrale Funktion des Witzeerzählens ist deshalb in erster Linie die der Unterhaltung, informative Anteile sind dagegen in Witzen nicht enthalten. Aus diesem Grunde ist der Erfolg des vollzogenen Handlungsmusters auch in entscheidender Weise vom Gelingen der Handlung Witzeerzählen abhängig. Dagegen ist bei Alltagserzählungen ein vollständiges Mißlingen schon deshalb ausgeschlossen, weil ihnen immer noch ein bestimmter Informationswert hinsichtlich realer Begebenheiten bleibt.

1.3. Funktion von Witzen

Damit gemeint ist die beabsichtigte bzw. beim Hörer eingetretene Wirkung, die mit dem Erzählen von Witzen verbunden ist.

In Anlehnung an die beiden Grundfunktionen von Sprache: ”Sprache als Repräsentationsmedium von Inhalten und Sprache als Mittel zur Gestaltung sozialer Kontakte, interaktiver Beziehungen”[12] läßt sich die Funktion von Witzen -wie bei allen Textsorten der alltäglichen Erzählung- trennen in:[13]

- kommunikative Funktion
- interaktive Funktion

(1) kommunikative Funktion:

Kommunikative Funktionen im Zusammenhang mit dem Erzählen eines Witzes sind beabsichtigte und/oder eingetretene Wirkungen beim Erzähler selbst oder beim Hörer, die der Sprecher mit der Übermittlung des Inhaltes des Witzes zu erzielen beabsichtigt oder in Kauf nimmt.[14]

Mit dem Erzählen von Witzen ist sowohl eine sprecher - orientierte Funktion, als auch eine hörer - orientierte Funktion verbunden:

(a) Sprecher-orientierte Funktion

- Als primär-sprecher orientierte Funktion des Witze-Erzählens kann die Selbstdarstellungsfunktion angesehen werden. Die Selbstdarstellung ist eine wesentliche Funktion des Geschichte-Erzählens schlechthin, da die Herausbildung eines Selbstbildes nur in und durch die Interaktion mit anderen denkbar ist.[15] Durch das Erzählen von Geschichten, egal ob es sich um reale oder fiktive Geschichten handelt, kann der Erzähler seinem Zuhörer das Bild vermitteln, das er von sich selbst hat, und von dem er möchte, daß der Hörer es teilt.

- Darüber hinaus erlaubt das Erzählen eines Witzes dem Erzähler selbst, sich zu amüsieren und dies häufig auf Kosten des Hörers, indem dieser irregeführt oder geärgert wird (beispielsweise bei Unsinnswitzen)[16]. Grundsätzlich wird jeder, der eine Witzerzählung anhört, mit Hilfe von Worten an der Nase herumgeführt.

(b) Hörer-orientierte Funktion

Eine zentrale kommunikative Funktion des Witzerzählens, die jedoch primär ein Bedürfnis für den Hörer erfüllt, ist in der Unterhaltung bzw. Belustigung des jeweiligen Gegenübers zu sehen. Als kommunikatives Ereignis gelingt der Witz eben nicht schon dadurch, daß er vom Rezipienten verstanden wird, sondern erst dann, wenn der perlokutive Akt des Handlungsmusters “Witzeerzählen” in einer deutlich erkennbaren Erheiterung des Hörers besteht. Der Erzähler erwartet also die Beantwortung des Witzeerzählens mit einem mehr oder minder starken Lachen. Dieses Lachen ergibt sich als Folge

- des überraschenden Zusammenbruches einer im Laufe der Witzerzählung aufgebauten Erwartungshaltung

- und dem Ausgleich von Spannungen, die sich bei der Suche nach der ”Lösung” im Verlauf der Witzerzählung angestaut haben, und sich bei dem Entdecken der Pointe lösen.[17]

Gleichzeitig signalisiert der Rezipient dem Erzähler durch sein Lachen, daß die Pointe erkannt und richtig gedeutet wurde, und er würdigt die sprachliche Gestaltung und den Vortrag als gelungen.

(2) interaktive Funktion:

Unter der interaktiven Funktion, die mit dem Erzählen eines Witzes verbunden ist, versteht man die beabsichtigten Wirkungen, von denen der Sprecher annimmt, daß er sie mit Hilfe eines ganz bestimmten Kommunikationsmodus - hier also mit dem Erzählen von Witzen - erreicht.

Eine typische interaktive Funktion ist die Definition einer Situation als privat, die mit der Durchsetzung von Witzerzählungen - im Gegensatz zum Kommunikationsmodus des Berichtens, Beschreibens usw. - festgelegt werden soll. Wenn man sich Witze erzählt, ist man z. B. nicht mehr innerhalb des Rahmens eines sachlichen Behördengesprächs.[18]

Wie gerade durch das Erzählen eines Witzes eine starke gemeinschaftsbildende Wirkung einsetzen kann, zeigt sich anhand neuester psychotherapeutischer Erkenntnisse: Demnach eignet sich der Witz beispielsweise zum Einsatz in der Psychotherapie im Kampf gegen Neurosen, da durch das gemeinsame Lachen zum einen das Leid relativiert wird, zum andern die Beziehung zwischen Patient und Therapeut verbessert wird und es somit dem Therapeuten erleichtert wird, das emotionale Unbewußte des Patienten zu erreichen.[19]

Es dürfte fraglos auch für den Unterricht ein Gewinn sein, daß solche gemeinschaftsbildenden und das interaktive Verhältnis verbessernden Funktionen des Witzes nachweisbar sind.

1.4. Unterschiedliche Bedingungen der Witzproduktion

Erzählungen in Belustigungs- bzw. Unterhaltungsfunktion kommen besonders häufig in Situationen des geselligen Beisammenseins vor, d.h. in natürlichen Erzählsituationen. Insbesondere für die Wirkung des Witzes, der als kommunikatives Ereignis maßgeblich von einer positiven Ratifizierung durch den Rezipienten abhängig ist, spielt die Kommunikationssituation eine erhebliche Rolle; von ihr hängt es entscheidend ab, ob ein Witz angenommen und mit Lachen quittiert wird.

Darüber hinaus ist die Wirkung eines Witzes nicht nur von den näheren Umständen der Situation abhängig, sondern auch von der Qualität der Äußerung.

Zusammenfassend lassen sich folgende situative und qualitative Voraussetzungen zur erfolgreichen Witzrealisierung festhalten:

- Witzeerzähler brauchen einen Hörer, mit dem sie wenigstens ein Minimum an Vertrautheit verbindet. Daher werden Witze am häufigsten unter Freunden erzählt.[20]
- Witzerzähler und Konsument müssen zu der Erfahrung des Komischen fähig sein, indem sie Humor besitzen, denn dieser stellt die Vorbedingung dar, ”das Komische als das spezifisch Witzige zu erleben und zu gestalten”.[21]
- Der Witzrezipient muß die für das Verständnis des Witzes notwendigen Vorkenntnisse haben, was insbesondere bei Insider - Witzen ( z.B Fachterminus bei Mediziner - Witzen) notwendig ist.
- Der Witz muß dem Anspruchsniveau des Rezipienten Genüge tragen.
- Witze können nicht isoliert erzählt werden. Sie benötigen das umgebende Gespräch, das den Anstoß zum Witzeerzählen liefert.[22]

Im institutionellen Bereich ist es daher sehr schwierig, einen Witz zu initiieren und auch sehr selten anzutreffen.

Wenn überhaupt ein Witz in formellen Gesprächssituationen Anwendung findet, dann hat dieser nur dann eine Chance, realisiert zu werden, wenn er nicht explizit angekündigt wird, da er ansonsten mit ziemlicher Sicherheit vom Berater ”ratifiziert” und unterdrückt würde. In Situationen, in der Witze sich gegen die Widerstände des situationellen Rahmens durchsetzen sollen, muß der Erzähler sich sozusagen in die Diskurseinheit einschmuggeln, durch eine Art der ”Überrumpelungstaktik”.[23] Eine optimale Erzählsituation im Rahmen o.a. Bedingungen wäre in diesem Fall allerdings nicht gegeben, und der Erfolg des Witzes damit auch als äußerst fraglich anzusehen.

Ein Witz, bzw. eine Belustigungserzählung wird häufig mit dem meta-narrativen Satz: ”kennt Ihr schon den?” bzw. ”da fällt mir eine lustige Geschichte ein” angekündigt. Mit einer expliziten Benennung der einzuleitenden Diskurseinheit als lustige Erzählung oder Witz verfolgt der Sprecher folgende Ziele:[24]

- Die Nachfrage bzw. Aufmerksamkeit des Hörers wird provoziert.
- Die Situationsangemessenheit der Erzählung wird markiert; der Erzähler kann davon ausgehen, daß bei ausbleibendem Protest die Bedingungen für den Vollzug der Witzerzählung gegeben sind.
- Der Hörer wird auf ein bestimmtes Rezeptionsverhalten eingestellt, das darin besteht, sich auf die Suche nach einer Pointe zu machen, indem er genau auf den Wortlaut des Textes achtet, ihn mehrfach nach Sinnstrukturen abtastet, um die überraschend eintretende Pointe richtig deuten zu können.
- Dem Hörer wird ein bestimmter Grad der Angemessenheit in der Reaktionsweise vorgegeben. Diese besteht darin, daß die Pointe der Erzählung durch das Lachen der Interaktionsteilnehmer quittiert werden sollte. Gar nicht zu lachen wäre für einen Witzerzähler gesichtsbedrohend, die Rezeption des Witzes wäre dadurch gescheitert; aus diesem Grunde läßt sich in Fällen, in den der Hörer sich vom Inhalt des Witzes distanziert, vielfach eine Art der ”gesichtsschonenden” Reaktion beobachten, die darin besteht, mit seinem Lachen nur bestimmte Aspekte des Witzes zu ”goutieren”, nicht aber den Gesamtwitz.[25]
- Dem Hörer wird von Anfang an der früheste Zeitpunkt signalisiert, an dem er die Rednerrolle übernehmen kann, da der Erzähler für die Dauer der Witzerzählung das Rederecht beansprucht.

Wurde in einer geselligen Situation erst einmal ein Witz meist über inhaltlich-thematische Bezüge zum lokal Kommunizierten eingeleitet und erfolgreich ratifiziert, so scheint dadurch oftmals der Boden geebnet, um weitere Witzerzählungen auch durch andere Diskursteilnehmer zu initiieren.

1.5. Das Wesen des Witzes

Zur Frage nach dem Wesen des Witzes und der Voraussetzung für Erheiterung, unterscheidet die Forschung verschiedene Konzepte, die jeweils unterschiedliche Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt haben[26]. Als wesentliche Kriterien, die vorhanden sein müssen, um den echten Witz von einer witzigen Anekdote abzugrenzen, sind 2 Wesensmerkmale zusammenzufassen:

(1) Moment des unerwarteten, überraschenden Zusammenhanges

Das Wesen des Witzes wird zum einen im Aufdecken unvermuteter, überraschender Zusammenhänge gesucht.[27] Zunächst wird innerhalb der Witzerzählung die Handlung in der Weise dramatisiert, daß dem Hörer eine bestimmte Verstehensebene vorgegeben wird, auf deren Basis er sich dann seine Erwartungen aufbaut. Hat er sich erst einmal eine bestimmte Interpretationsweise zu eigen gemacht, so wird unvermittelt durch die Pointe eine andere Verstehensbasis eröffnet, wodurch sich für den Rezipienten der eigentliche Überaschungseffekt ergibt. Die Pointe zielt auf den richtigen Sachverhalt und trifft ihn durch scharfsinnige und geistreich zugespitzte Formulierung.[28] Selbstverständlich ist diese unerwartete Wirkung nur dann gegeben, wenn der Witz dem Zuhörer neu, bzw. unbekannt ist; es verliert sich mit zunehmender ”Abnutzung” des Witzes.[29]

Aber der unvermutete Zusammenhang macht den Witz allein noch nicht aus, sonst müßten eine Reihe von Abhandlungen, die neuartige Gedanken entwickeln, zugleich witzig sein. Es muß also davon ausgegangen werden, daß nicht jeder treffend und brilliant formulierte Ausspruch als witzig angesehen werden kann. Zum besagten Wesensmerkmal muß also noch ein weiteres hinzukommen, das speziell für die Wirkung des Lachens verantwortlich ist.

[...]


[1] Ulrich, Winfried: Der Witz im Deutschunterricht; Braunschweig, 1980; S. 5 ; sowie : Reger, Harald: Der Witz als Textkategorie und seine didaktische Bedeutung für den Literaturunterricht; in: Muttersprache 85; S. 409

[2] Ders. S. 5

[3] Ders. S. 5

[4] Durchgesehen wurden folgende Lehrwerke: Lebendiges Französisch 1, München 1978; A votre service, Frankfurt a. Main 1977; Espaces 1 u. 2, Paris 1990; Archipel, Bd.1 1982 / Bd.2 1983/ Bd. 3, 1987; Mosaïque 1, Paris 1994; Bonne route 1, Paris 1988; Avec plaisir, Bd.1 1986 / Bd.2 1987; Echanges, Edition longue 2-4, Stuttgart 1984; Découvertes 1, Stuttgart 1994;

[5] Duden. Wörterbuch; Bd. VI, 1981; S. 2894

[6] Ders. S. 2894

[7] Preisendanz, Wolfgang: Über den Witz; Konstanz, 1970; S. 17f

[8] Ders. S. 18f ; sowie Marfurt, Bernhard: Textsorte Witz. Möglichkeiten einer sprachwissenschaftlichen Textsortenbestimmung; Tübingen, 1977; S. 52

[9] Euler, Bettina: Strukturen mündlichen Erzählens: parasyntaktische und sententielle Analysen am Beispiel des englischen Witzes; Tübingen, 1991; S. 27

[10] Schülting, Thomas: ”Soll das ein Witz sein?”. Exemplarische Analyse des Handlungsmusters ”Witzeerzählen”; in: Klein, Eberhard / Pouradier Duteil, Francoise / Wagner, Karl-Heinz (Hrsg.): Betriebslinguistik und Linguistikbetrieb. Akten des 24. Linguistischen Kolloquiums, Universität Bremen. 4.-6. September 1989. Tübingen. Band 2; S. 228

[11] Ausgenommen hiervon sind Witze, die sich auf reelle bzw. historische Personen oder Ereignisse beziehen.

[12] Quasthoff, Uta M.: Erzählen in Gesprächen. Linguistische Untersuchungen zu Strukturen und Funktionen am Beispiel einer Kommunikationsform des Alltags; Tübingen, 1984; S. 146

[13] Ders. S. 147

[14] Ders. S. 147

[15] Ders. S. 151

[16] Marfurt, Bernhard: Textsorte Witz; S. 43

[17] Ulrich, Winfried: Der Witz im Deutschunterricht; S. 63f

[18] Quasthoff, Uta M.: Erzählen in Gesprächen. S. 147

[19] Die Welt; Ausgabe vom 4.3.97; S. 8

[20] Euler, Bettina: Strukturen mündlichen Erzählens; S. 21

[21] Reger, Harald: Der Witz als Textkategorie und seine didaktische Bedeutung für den Literaturunterricht; in: Muttersprache 85; S. 410

[22] Euler, Bettina: Strukturen mündlichen Erzählens; S. 21

[23] Quasthoff, Uta M.: Erzählen in Gesprächen. S. 159

[24] Ders. S. 219, sowie Ulrich, Winfried: 1982. Ansätze zu einer Textsorten-Semantik am Beispiel des Witzes; in: Detering, Klaus / Schmidt-Radefeldt, Jürgen / Sucharowski, Wolfgang (Hrsg.): Sprache erkennen und verstehen. Akten des 16. Linguistischen Kolloquiums; Kiel 1981; Tübingen, Band 2; S. 188

[25] Kotthoff, Helga in Vorb.: Erzählstile von mündlichen Witzen. Zur Erzielung von Komikeffekten durch Dialoginszenierung und die Stilisierung sozialer Typen im Witz; Konstanz, 1995; erscheint in: Selting M./Sandig, Barbara (Hrsg.): Sprach- und Gesprächsstile; Berlin, New York; S. 15

[26] Metz-Göckel, Hellmuth: Witzstrukturen. Gestaltheoretische Beiträge zur Witztechnik; Opladen, 1989; S. 60

[27] Wellek, Albert: Witz, Lyrik, Sprache. Beiträge zur Literatur- und Sprachtheorie mit einem Anhang über den Fortschritt der Wissenschaft; München, Bern, 1970

[28] Euler, Bettina: Strukturen mündlichen Erzählens; S. 47f

[29] Wellek, Albert: Witz, Lyrik, Sprache; S. 17

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Witz und Wortspiel und das Sprachenlernen
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Romanistisches Institut)
Veranstaltung
Witz und Wortspiel / Linguistische Analysen
Note
sehr gut +
Autor
Jahr
1997
Seiten
29
Katalognummer
V112852
ISBN (eBook)
9783640125470
ISBN (Buch)
9783640125043
Dateigröße
633 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Witz, Wortspiel, Sprachenlernen, Witz, Wortspiel, Linguistische, Analysen
Arbeit zitieren
M.A. Christel Gisch (Autor:in), 1997, Witz und Wortspiel und das Sprachenlernen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112852

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