Der soziotechnische Ansatz und Gruppenarbeit


Zwischenprüfungsarbeit, 2002

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Historische Entwicklung

3. Das primäre Arbeitssystem
3.1 Organisatorischer Handlungsspielraum
3.2 Aufgabenorientierung
3.3 Teilautonome Gruppen

4. Studien zur industriellen Demokratie

5. Gruppenarbeit in der PKW-Montage bei Volvo
5.1 Montagewerk Kalmar:
5.2 Montagewerk Uddevalla:

6. Kritik

7. Abschließende Bemerkungen

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorgelegte Arbeit befasst sich mit der Entstehung, Entwicklung und Anwendung des soziotechnischen Ansatz und der Gruppenarbeit als dessen elementarer Bestandteil.

Antwort gegeben werden soll auf die Frage nach der Bedeutung der Gruppenarbeit für soziotechnische Systeme. Hierzu werden Beispiele aus der Automobilindustrieindustrie beschrieben, die Verbindungen zum soziotechnischen Ansatz deutlich machen. Zu diesem Zweck ist eine Darstellung der Entstehung und Entwicklung dieses Modells notwendig, da sich Gruppenarbeit als Arbeitsform in größeren Umfang erst durch die soziotechnische Systemgestaltung in industriellen Großbetrieben etablierte.

Von Interesse ist zudem, in welchem Umfang Veränderungen, die durch Einführung der Arbeitsform Gruppenarbeit eine Humanisierung der Arbeit bewirken sollen, tatsächlich erreicht werden. Bedeutsam ist diese Form der Gestaltung von flexiblen Arbeitssystemen in Hinblick auf immer komplexer werdende technische Systeme, die zunehmend höhere Anforderungen an Arbeitskräfte stellen.

Ob und in welchem Maß der soziotechnische Ansatz und die Gruppenarbeit als dessen wesentliche Arbeitsform diese Forderungen erfüllen kann, soll in dieser Arbeit betrachtet werden.

2. Historische Entwicklung

Die Entstehung des soziotechnischen Ansatzes steht im Zusammenhang mit der Gründung des Tavistock Institute for Human Relations im Jahr 1946. Das Institut sollte die Industrie beraten auf der Grundlage von industriesoziologischen Erkenntnissen. Die Untersuchungen des Instituts wichen vom Human Relations Ansatz ab, der das soziale System zum Gegenstand hatte. Die Tavistockstudien bezogen das technische System ein. Erstmals verwendet wird der Begriff soziotechnisches System in der Kohlebergbaustudie von 1950 – 58 von Eric Trist und Ken Bamforth[1].

Im englischen Kohlebergbau wurde eine neue halbmechanische Methode zum Abbau von Kohle eingeführt: Die „Longwall Method of Coal Getting“. Durch dieses neue technisches System sollte die Kohleproduktion gesteigert werden. Folge der Veränderung war eine Vergrößerung der Arbeitsgruppen. Waren bei der alten Methode, der „Shortwall Method of Coal Getting“ nur zwei bis sechs Bergleute pro Schicht in einer Gruppe zusammengefasst, bestanden die neuen Gruppen beim mechanisierten Abbau aus 40 bis 50 Arbeitern unter Leitung eines Vorgesetzten.

Nach Einführung des neuen technischen Systems traten Probleme auf. Absentismus- und Fluktuationsraten stiegen, die Zahl der Arbeitsunfälle und Arbeitskämpfe nahm zu, die Arbeitsmotivation sank. Die Produktivität, die nach der Mechanisierung hätte steigen sollen, nahm unerwartet ab.

Trist und Bamforth untersuchten die Ursachen für dieses Arbeitsverhalten. Schließlich wurde die Zerstörung der traditionellen Form der Arbeitsorganisation

dafür verantwortlich gemacht. Die Angst der Bergleute vor der gefährlichen Arbeit im Bergwerk wurde durch Zusammenarbeit in kleinen Gruppen reduziert. Bei der alten Form der Arbeitsorganisation kannten sich die Kumpel und konnten sich auf die sichere Arbeit der vorherigen Schicht verlassen. Die Bezahlung der Minenarbeiter war in allen drei Schichten gleich.

Bei der neuen Methode kontrollierten die Berglaute häufig die Arbeit der Vorgänger, um sicher zu gehen, dass diese nicht die Kohleförderung und damit ihre Löhne auf Kosten der Sicherheit gesteigert hatten.

Ken Bamforth, selber ehemaliger Mininarbeiter, kannte die mechanische Massenproduktion Untertage und deren negative Folgen. Er hatte aber spontane Verbesserungen erlebt, als die Bergleute die Gelegenheit hatten die Arbeitsgruppen selbst zu organisieren. Die wiedereingeführte, traditionelle Arbeit in kleinen Gruppen, in denen die Arbeiter wechselnde Tätigkeiten übernahmen und nur geringfügig extern reguliert wurden, steigerte die Arbeitsmotivation. Die Abwesenheitsrate sank. Ebenso die Zahl der Unfälle. Die Produktivität hingegen stieg.

Die Erfahrungen von Ken Bamforth wurden berücksichtigt, als die Forscher in den Durham Kohlenbergwerken die Arbeitsformen reorganisierten. Es wurden zwei verschiedene Formen angewendet: 1) Das konventionelle Longwall System

2) Das reorganisierte Longwall System mit

relativ autonomen Arbeitsgruppen

In letzteren Fall stieg die Arbeitszufriedenheit. Die positiven Effekte die Bamforth beschrieben hatten stellten sich erneut ein. Die neue Arbeitsform (zusammengesetzte Methode) erwies sich als überlegen gegenüber des alten sozialen Systems mit konventioneller Arbeitsteilung.

Tabellen: Abwesenheitsraten, Produktivität und Vielfalt der Arbeitstätigkeit[2]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der Bergbaustudie wurde erstmals die starke Wechselwirkung zwischen dem technischen und dem sozialen System deutlich.

Die Ergebnisse werden von Trist beschrieben: „ Bei der ersten Tavistock-Untersuchung von Produktionssystemen im Kohlebergbau zeigte sich, dass die Beziehung zwischen diesen beiden Aspekten nur im Zusammenhang mit ausführlichen technischen Daten und der Arbeitsweise des gesamten technologischen Systems unter Tage verstanden werden konnte. Wir haben daher mit der damaligen Tradition der Sozialforschung in diesem Bereich gebrochen und uns hinfort systematisch um die Klärung der Beziehungen zwischen sozialem und technologischen System – beide jeweils als Ganzes betrachtet – bemüht, auf welcher Ebene auch immer die Untersuchung durchgeführt worden ist.[3]

3. Das primäre Arbeitssystem

In den Studien des Tavistockinstituts wurde die Wechselwirkung und die enge Beziehung zwischen technischen und sozialen System untersucht, die als

Subsysteme des primären Arbeitssysteme bezeichnet werden.

Das technische Arbeitssystem (Cummings und Srivasta zufolge)[4] umfasst alle in einer Einheit zusammengefassten Arbeits- und Betriebsmittel, Methoden zur Aufgabenerfüllung, Organisations- und Führungswissen. Zusätzlich zu der primären Arbeitsaufgabe gehören ebenfalls indirekt-produktive Aufgaben, wie beispielsweise Instandhaltung und Materialversorgung zum technischen Subsystem.

Das soziale Teilsystem besteht aus einer Kleingruppe von Arbeitenden, die miteinander kooperieren, um die primäre Arbeitsaufgabe zu erfüllen. Es umfasst auch die Bedürfnisse der Mitglieder und ihre Beziehungen zueinander. Die Bedürfnisse der Arbeitenden sind bei Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen. Dazu gehören unter anderem ein Mindestmaß an Variation der Arbeitsaufgaben, die Möglichkeit der weiteren Qualifizierung für die Arbeit, sowie ein Minimum an sozialer Unterstützung und Anerkennung. Der Arbeitende wird als ganze Persönlichkeit betrachtet. Die Mitarbeiter, die eine oder mehrere Aufgaben ausführen, sind Träger von betrieblich festgelegten Arbeitsrollen, die als Verbindung zum Technischen System dienen.

Abbildung des Primären Arbeitssystems:[5]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das soziale Subsystem ist ein offenes System im Gegensatz zum sozialen System des Human Relation Ansatzes.

Dem soziotechnischen Ansatz geht es um das Aufzeigen der Wechselwirkung zwischen dem sozialen und dem technischen System, die jeweils als eigengesetzliche Systeme aufgebaut sind.

Das grundlegende Kennzeichen des soziotechnischen Ansatzes ist die Unterscheidung zwischen technischen und sozialen Teilsystem, die eigenen Gesetzen folgen. Die Bedingungen in beiden Systemen sind so zu gestalten und aufeinander abzustimmen, dass eine optimale Effektivität erreicht wird. Vorherrschender Maßstab für die erreichte Effizienz ist die Produktivität, also eine Bewertung nach hauptsächlich ökonomischen Kriterien.[6]

Jörg Sydow zitiert die Forscher Trist, Higgins, Murray, Pollock (1963) und Emmery (1959), die folgende Kriterien für die gemeinsame Optimierung beschreiben : „Selbstverständlich sind die sozio-psychologischen (die Menschen) und die technologischen (die Dinge) die substantiellen Dimensionen. Die ökonomische Dimension misst die

Effektivität, mit der menschliche und technische Ressourcen zur Bewältigung der Primäraufgabe benutzt werden.“[7]

Der Grundsatz der gemeinsamen Optimierung kann aber nur selten in die Praxis umgesetzt werden. So führt Sydow die Untersuchungsergebnisse von Pasmore, Haldeman, Francis und Shani (1982) an, die 134 Experimente zur Humanisierung des Arbeitslebens untersuchten[8]. Der größte Teil der Experimente beruhte auf dem soziotechnischen Ansatz. In nur 16% der Experimente wurde das technische System verändert. Der Tavistockforscher Herbst berichtete bereits 1974 über die soziotechnischen Versuche in denen das technische Teilsystem häufig als gegeben akzeptiert wurde.

Dies trifft meiner Ansicht nach ebenfalls auf die grundlegende Kohlebergbaustudie in den Durham Kohlegruben zu. Die Longwall Method of Coalgetting als technisches System wurde nicht verändert. Das soziale System wurde dem technischen System angepasst.

Die Erkenntnis zum organisatorischen Gestaltungsspielraum, der als zentrale Vorraussetzung für die gemeinsame Optimierung angesehen wird[9], wurde erst im späteren Verlauf der Bergbaustudien gewonnen.

3.1 Organisatorischer Handlungsspielraum

Die organisatorische Wahlmöglichkeit ist auch bei gegebenem technischem System vorhanden. Sie beschreibt die Wahlmöglichkeit der Form der Arbeitsorganisation, die aber von der Technik eingeschränkt wird. Das soziale System ist abhängig von der Technik aber veränderbar. Sydow zufolge werden die Wahlmöglichkeiten von Eric Trist (1971) als begrenzt beschrieben, da die Technik der bestimmende Faktor für die Art der Arbeit und die Anforderungen der Arbeitenden ist. So scheiterten auch mehrere Projekte des Tavistockinstituts an der gegebenen, einschränkenden Technologie. Die Forscher Davies und Herbst halten den technischen Entwicklungsstand für den bestimmenden Faktor für die Flexibilität eines

Arbeitssystems. Je höher das technische System ist, desto größer ist die Möglichkeit einer begrenzten Anpassung an das soziale System.[10]

Gertrude Mikl-Horke beschreibt die Zielsetzung bei der Nutzung der organisatorischen Wahlmöglichkeiten als Suche nach der Arbeitsform, die neben dem vorhandenen technischen System auch die Bedürfnisse der Beschäftigten berücksichtigt.[11]

[...]


[1] Vgl. Jörg Sydow, Der soziotechnische Ansatz der Arbeits- und Organisationsgestaltung, Frankfurt/Main, 1985, S. 16f.

[2] Albert Cherns, Die Tavistockuntersuchung und ihre Auswirkungen, in: Arbeits- und Organisationspsychologie, herausgegeben von Siegfried Greif, Heinz Holling, Nigel Nicholson, München, 1989, S. 485

[3] Eric Trist, Sozio-technische Systeme, zit. n. Mikl-Horke, Industrie- und Arbeitssoziologie, München, 2000, S.165 f.

[4] Vgl. Jörg Sydow: Der soziotechnische Ansatz... , S.28

[5] Jörg Sydow: Der soziotechnische Ansatz... ,, S.29

[6] Vgl. Gertrude Mikl-Horke, Industrie- und Arbeitssoziologie, S. 166f.

[7] Trist, Higgins, Murray, Pollock, Emmery, zit. n. Jörg Sydow: Der soziotechnische Ansatz... , S.29

[8] Vgl. Jörg Sydow: Der soziotechnische Ansatz... , S.75

[9] Vgl. Wolfgang Weber, Analyse von Gruppenarbeit, Bern, 1997, S.26

[10] Vgl. Jörg Sydow: Der soziotechnische Ansatz... , S.31

[11] Vgl. Gertrude Mikl-Horke, Industrie- und Arbeitssoziologie, S.167

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der soziotechnische Ansatz und Gruppenarbeit
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Der Betrieb als soziales System
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V11283
ISBN (eBook)
9783638174855
ISBN (Buch)
9783638723077
Dateigröße
690 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ansatz, Gruppenarbeit, Betrieb, System
Arbeit zitieren
Diplom-Berufspädagoge Maik Bauer (Autor:in), 2002, Der soziotechnische Ansatz und Gruppenarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11283

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