Fußball als ästhetischer Gegenstand – didaktische und methodische Anregungen für den Deutschunterricht


Bachelorarbeit, 2008

40 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

1. Der ästhetische Gegenstand „Fußball“ in Prosa
1.1 Peter Handke – „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“
1.2 Friedrich Christian Delius - „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“

2. Der ästhetische Gegenstand „Fußball“ in Lyrik
2.1 Eckhard Henscheid - „Hymne auf Bum Kun Cha“
2.2 Jörg Fauser – „Fat City Fußball Blues“

3. Der ästhetische Gegenstand „Fußball“ im Film
3.1 Filmdidaktik und Filmanalyse im Deutschunterricht
3.2 Sönke Wortmann – „Das Wunder von Bern“

4. Der ästhetische Gegenstand „Fußball“ beim kreativen Schreiben
4.1 Einführung in die Theorie des kreativen Schreibens
4.2 Der ästhetische Gegenstand „Fußball“ als inhaltlicher Gegenstand kreativer Schreibübungen

5. Die didaktische Eignung des ästhetischen Gegenstands „Fußball“ für den Deutschunterricht
5.1 Zur Didaktik des Deutschunterrichts
5.2 Zur didaktischen Relevanz des ästhetischen Gegenstands „Fußball“

6. Methodische Vorschläge zum ästhetischen Gegenstand „Fußball“ für den Deutschunterricht
6.1 Methodische Vorschläge zu inhaltlichen Aspekten des ästhetischen Gegenstands „Fußball“
6.2 Methodische Vorschläge zu sprachlichen und weiteren Aspekten des ästhetischen Gegenstands „Fußball“

7. Schlussbemerkung

8. Literatur

0. Einleitung

„König Fußball“ ist in unserer Alltagskultur unzweifelhaft allgegenwärtig. Auch Literatur und Film nehmen sich seiner gerne und oft an und repräsentieren ihn in Form verschiedenster literarischer Gattungen oder Filmgenres. Aufgrund des inzwischen breit gefächerten, diesbezüglichen Spektrums und der großen Relevanz und Popularität des Fußballsports in unserer Gesellschaft, bietet es sich an, Fußball auch als ästhetischen Gegenstand im Rahmen des Deutschunterrichts zu behandeln.

Neben medienkritischen, historischen und sprachlichen Ansätzen bietet er zahlreiche weitere Aspekte, deren nähere Untersuchung lohnend erscheint.

Diesem Thema soll sich die vorliegende Arbeit widmen.

Die ersten vier Kapitel behandeln dabei jeweils ein Feld, in welchem der ästhetische Gegenstand „Fußball“ auftaucht und das für den Deutschunterricht relevant ist. Hierbei handelt es sich um Prosa, Lyrik, Film und kreatives Schreiben. Im fünften und sechsten Kapitel sollen dann didaktische bzw. methodische Anregungen zu den einzelnen Feldern gegeben werden.

Im ersten Kapitel werden die Erzählungen „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ von Friedrich Christian Delius und „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ von Peter Handke thematisiert. Das zweite Kapitel befasst sich mit den Gedichten „Hymne auf Bum Kun Cha“ von Eckhard Henscheid und „Fat City Fußball Blues“ von Jörg Fauser. Kapitel drei soll eine kurze Einführung in die Filmdidaktik geben und den Film „Das Wunder von Bern“ vorstellen.

An kurze Inhaltsangaben anschließend, sind dabei jeweils zentrale Motive und Bedeutungsgehalte der Werke herauszuarbeiten. Danach soll jeweils beantwortet werden, worin die konkrete Relevanz der einzelnen Erzählungen, Gedichte bzw. Filme für den Deutschunterricht besteht.

Das vierte Kapitel widmet sich dem Thema „Kreatives Schreiben“. Auf eine kurze Einführung bezüglich der Möglichkeiten zur Förderung kreativen Schreibens im Deutschunterricht sollen konkrete Vorschläge eingebracht werden, welche den ästhetischen Gegenstand „Fußball“ als Ausgangspunkt der kreativen Schreibförderung einbeziehen.

Diesen Vorüberlegungen schließen sich dann im fünften Kapitel didaktische Betrach-

tungen, im sechsten Kapitel methodische Anregungen zur Aufarbeitung des Gegen-stands „Fußball“ für den Deutschunterricht an. Im Mittelpunkt dieser Erwägungen sollen Delius’ Erzählung und der Film „Das Wunder von Bern“ stehen.

Die Vermittlung aktueller, wie auch historischer Bezüge, sowie von Aspekten, welche im Kontext des Deutschunterrichts die gesellschaftliche Bedeutsamkeit des Fußball-sports aufzeigen, stehen hierbei besonders im Fokus.

1. Der ästhetische Gegenstand „Fußball“ in Prosa

Beabsichtigt man, den ästhetischen Gegenstand „Fußball“ im Deutschunterricht zu thematisieren, so fällt ein erster Blick fast unweigerlich auf das vielfältige Gebiet der Prosa.

Insbesondere im Bereich der Romane und Erzählungen haben sich bereits die unter-schiedlichsten Autoren an Werken versucht, die in verschiedensten Formen das Motiv Fußball einbeziehen.

„Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ ist dabei nicht nur Titel einer Erzählung von Peter Handke, sondern auch zum geflügelten Wort geworden.

Ebenso ist Friedrich Christian Delius’ „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ dem Genre der Erzählungen zuzurechnen.

Beide Werke sollen in diesem Kapitel zunächst jeweils kurz vorgestellt und anschließend hinsichtlich ihrer Relevanz für den Deutschunterricht untersucht werden.

1.1 Peter Handke – „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“

„Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ ist heute zu einer Phrase geworden, die selbst nicht allzu aufmerksamen Beobachtern der Fußballberichterstattung nur zu bekannt erscheinen dürfte. Geprägt wurde sie durch die gleichnamige Erzählung Peter Handkes, welche die Geschichte des ehemaligen Fußball-Torhüters Josef Bloch schildert. Dabei handelt es sich auf einer ersten Ebene um eine kurze Kriminalgeschichte, auf einer zweiten, tiefgründigeren und bedeutsameren Ebene aber um eine Art Charakterstudie,

die Blochs verzerrtes Bewusstsein und seine Ängste thematisiert. Scheiternde Kommunikation, übersteigerter Interpretationsdrang und daraus resultierend, die Ent-fremdung des Individuums von der Gesellschaft sind zentrale Motive in Handkes Erzählung. Schon die erste Szene und somit der Ausgangspunkt des weiteren Geschehens basiert auf diesen Motiven.

„Dem Monteur Josef Bloch, der früher ein bekannter Tormann gewesen war, wurde, als er sich am Vormittag zur Arbeit meldete, mitgeteilt, daß er entlassen sei. Jedenfalls legte Bloch die Tatsache, daß bei seinem Erscheinen in der Tür der Bauhütte, wo sich die Arbeiter gerade aufhielten, nur der Polier von der Arbeit aufschaute, als eine solche Mitteilung aus und verließ das Baugelände“[1]

Die Kommunikation zwischen Bloch und seinen Arbeitskollegen scheitert, er interpretiert dies scheinbar über und entfremdet sich durch seine Rückschlüsse von ihnen, indem er seine Arbeitsstelle verlässt.

Anschließend irrt Bloch durch die Stadt, bei der es sich, obwohl namentlich in der Erzählung nie genannt, allem Anschein nach um Wien handelt, lebt einige Tage in einem schlechten Hotel, lernt schließlich die Kassiererin des Kinos kennen, das er in den Tagen nach seiner Kündigung mehrfach besucht hat, schläft mit ihr und ermordet sie am nächsten Morgen. Offenbar fürchtet er sich davor, emotionale Bindungen zu ihr entwickeln zu können und so anderen Menschen Einblick in sein Inneres zu gewähren.
Mit dem Bus flüchtet er dann zur Grenze, um bei Hertha, einer alten Bekannten, die dort Pächterin einer Gaststätte ist, Unterschlupf zu finden. In dem Grenzdorf irrt er ähnlich unmotiviert umher, wie zuvor in Wien, entwickelt eine immer stärkere Skepsis gegenüber Menschen, deren Sprache, Ereignissen und Gegenständen und bleibt, von seinen Ängsten getrieben, nahezu ständig in Bewegung. Schließlich findet er sein eigenes Fahndungsfoto in der Tageszeitung wieder und begibt sich dann zum örtlichen Sportplatz, wo er während eines Spiels des lokalen Amateurteams mit einem reisenden Vertreter ins Gespräch kommt. Die beiden diskutieren über Fußball und als der Schiedsrichter plötzlich auf Elfmeter entscheidet, beschreibt Bloch aus seiner eigenen Erfahrung die Gedanken eines Torhüters in Elfmetersituationen. Dann läuft der Schütze an, schießt den Ball genau in die Arme des Torwarts, der völlig unbeweglich geblieben war und die Erzählung endet abrupt. Dass Bloch von der Polizei gefasst wird, erscheint zwar wahrscheinlich, bleibt aber wie so Vieles in „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ offen. Der Titel der Erzählung steht dabei symbolisch für Blochs Scheitern,
denn normalerweise hat nicht der Tormann, sondern der Schütze Angst vor der Ausführung eines Elfmeters, wie auch die Schlussszene beweist, in welcher der ruhige, unbewegliche Keeper den Schützen entscheidend verunsichert. Hiermit steht er im Gegensatz zu dem ängstlich-nachdenklichen und sich stets in Bewegung befindlichen Bloch. Er ist erfolgreich und hält den Elfmeter, Bloch scheitert im Leben. In der Erzählung ist es also tatsächlich der Torwart Bloch, der von seiner Angst bestimmt wird und der Elfmeter dient als Symbol für Herausforderungen, welche das Leben stellt.

Josef Bloch weist Anzeichen von Schizophrenie auf, die sich stetig steigern. Er fühlt sich zumeist getrieben und bezieht sämtliche Vorkommnisse um ihn herum auf sich selbst:

„Die Gendarmen, die die vertrauten Bewegungen machten, schienen dennoch damit etwas ganz anderes zu meinen; jedenfalls betonten sie Wörter wie ‚Geh weg!’ und ‚beherzigen’ absichtlich falsch als ‚Gehweg’ und ‚Becher-Ziegen’ und versprachen sich ebenso absichtlich, indem sie ‚zur rechten Zeit fertig’ statt ‚rechtfertigen’ und ‚ausweißen’ statt ‚ausweisen’ sagten. Denn welchen Sinn sollte es haben, daß ihm die Gendarmen von den Ziegen des Bauern Becher erzählten, die, als die Tür einmal offen gelassen worden war, in das noch gar nicht eröffnete Gemeindebad eingedrungen waren und dort alles, sogar die Wände des Bad-Cafés beschmutzt hatten, so daß man die Räume wieder ausweißen mußte und das Bad nicht zur rechten Zeit fertig wurde; weshalb Bloch die Tür auch verschlossen lassen und auf dem Gehweg bleiben sollte?“[2]

In dieser aus Blochs Perspektive erzählten Passage zeigen sich nicht nur sein schlechtes Gewissen, seine verzerrte Wahrnehmung, seine Angst und übersteigerte Selbstreflexi-vität, sondern auch Peter Handkes Wortgewandtheit, welche die Erzählung neben der sprachlichen Experimentierfreude des Autors besonders auszeichnet.

Das erwähnte Motiv der scheiternden Kommunikation, hier im Sinne der missver-standenen Alltagssprache, ist für die Behandlung der Erzählung im Deutschunterricht wesentlicher als die eigentliche Handlung. Unter anderem können Perspektivwechsel analysiert und Sprachreflexion betrieben werden.

Aber auch eine Charakterisierung der komplexen Figur Bloch kann im Unterricht zu einer anspruchsvollen Aufgabe werden.

Ferner ist das Motiv „Entfremdung zwischen Individuum und Gesellschaft“ von nicht zu unterschätzender Bedeutung in der Lebenswelt, sich in der Pubertät befindlicher Jugendlicher und sollte daher in der Schule aufgegriffen werden, wenn Peter Handkes Erzählung behandelt wird.

1.2 Friedrich Christian Delius - „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“

Friedrich Christian Delius beschreibt in seiner Erzählung „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ einen Tag im Leben eines elfjährigen Pfarrerssohnes aus dem hessischen Dorf Wehrda. Dabei handelt es sich um den Sonntag, an dem das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 stattfindet. Nachdem er von läutenden Kirchenglocken geweckt wird, beginnt der Tag für den Jungen mit einem durch strenge christliche Regeln geprägten Frühstück. Auf den sonntäglichen Kirchgang folgt ein ebenfalls von christlichen Ritualen dominiertes Mittagessen. Zwischen den Mahlzeiten findet der Junge die Gelegenheit, sich in der Zeitung - wie auch schon am Tag zuvor - über das bevorstehende Weltmeisterschaftsfinale zu informieren. In diesen Handlungsablauf werden von Delius reflektierende Gedanken des Jungen bezüglich der Religion, seiner Familie, Herkunft und persönlichen Leiden bzw. Schwächen wie Schuppenflechte, Stottern oder Schüchternheit eingeflochten.

Die beiden verbleibenden Stunden zwischen Mittagessen und Radioübertragung über-brückt dieser mit einem Spaziergang durch sein Heimatdorf, wobei er immer wieder in Gedanken an das Finale verfällt. Nach der Rückkehr ins Elternhaus beginnt dann endlich das Spiel. Im Amtszimmer des Vaters fiebert der Junge vor dem Radiogerät in äußerster Anspannung mit, fühlt sich durch den zwischenzeitlichen Aufenthalt des Vaters im Raum gestört und irritiert und erlebt schließlich durch den deutschen Erfolg ungeahnte Glücksgefühle, die er nach kurzem, einsamem Warten auf dem Kirchplatz gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern ausleben kann.

Bei einem Blick auf den Lebenslauf Friedrich Christian Delius’ wird schnell deutlich, dass es sich bei „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ um eine – wenn auch fiktionale – autobiografische Erzählung handelt. Auch der Autor lebte 1954 als elfjähri-ger Pfarrerssohn in Wehrda. So erscheint es nahe liegend, dass die beschriebenen Gefühle und Erlebnisse durchaus authentischer Natur sind.

Als zentrales Motiv kann die Gegenüberstellung von Enge und Befreiung, Zwängen und Glücksmomenten angesehen werden. So fühlt der Junge sich zum einen durch die streng religiöse und wenig auf ihn individuell abgestimmte Erziehung der Eltern und Einstel-lung der restlichen Familie, sowie durch seine körperlichen Defizite stark eingeschränkt und beklemmt. Zum anderen bietet ihm der Fußballsport jedoch die Gelegenheit, am Spielfeldrand oder vor dem Radio mitzufiebern, aber gleichzeitig auch zu entspannen, in andere Welten zu flüchten und sich mit neuen Vorbildern zu identifizieren. Nicht nur die späteren Weltmeister stellen für ihn nämlich Idole dar, sondern auch die ortsansässigen Amateurfußballer des FC Wehrda: „Ich wollte so schnell und geschickt sein wie sie, ich stand an der Barriere, die um das Spielfeld gesetzt war, und feuerte sie an […]. Ich hätte es nie gewagt, einen dieser Helden anzusprechen, die unter dem Namen Wehrda auftraten“[3]. Fühlt er sich im Beisein der Familie noch stumm und schuppig wie „ein Fisch und schon gefangen“[4] und stellt fest, „daß die Verbindung zwischen mir und der Welt gestört war“[5], so versetzt ihn der Titelgewinn der deutschen Nationalmannschaft „in einen Zustand des Glücks, in dem ich Stottern, Schuppen und Nasenbluten vergaß und das Gewissen und alle Gotteszangen von mir abließen“[6]. Trotz seiner sonst so präsenten Schamgefühle und aller Schüchternheit möchte er nun plötzlich „meinen Stolz, meine Freude, meinen Dank in die Welt, ins Haus, ins Dorf hinausrufen“[7].

Überträgt man das Motiv „Enge vs. Befreiung“ auf einen übergeordneten Kontext, so fallen deutliche Gemeinsamkeiten zwischen der Bedeutung des Weltmeistertitels im Leben des Jungen und der Bedeutung des sportlichen Erfolges für Deutschland in der Nachkriegszeit auf. Wie der an der Schwelle zur Pubertät stehende Ich-Erzähler, so befindet sich auch die Nation in dem Prozess, eine neue Identität finden und entwickeln zu müssen. Beide tragen „Altlasten […], die sie nicht einfach abwerfen“[8] können, mit sich umher. Darüber hinaus lässt sich für beide feststellen, dass alte Vorbilder abgelegt werden und eventuell neuen weichen müssen, „da sie nicht die Erlösung bringen“[9] konnten. Sind es einerseits ein gescheitertes politisches System, das durch ein anderes ersetzt wurde und ein kollektives Selbstwertgefühl, das sich genau wie die Infrastruktur der Nation im Neuaufbau befindet, so stehen dem andererseits der schleichende Prozess der Abkapselung von elterlichen und religiösen Wertvorstellungen, sowie eine typisch pubertäre Umorientierung und Identitätssuche gegenüber. Der Erfolg der von ihm favo-risierten Fußballmannschaft gibt dem Jungen das Gefühl, „dem Vaterkäfig, den unsicht-baren Gottesfallen entronnen zu sein“[10], was nicht nur auf die besonderen familiären Umstände, unter denen er aufgewachsen ist, zu beziehen ist, sondern auch den Ausdruck eines für die beginnende Pubertät charakteristischen Strebens nach indivi-dueller Autonomie darstellt.

So werden weitere Motive deutlich, denen sich Delius widmet. Dem übergeordneten Thema „Enge und Befreiung“ gehören Aspekte wie Umgang mit Religion und mit Sehnsüchten, die Pubertät, Identitätsfindung und Orientierung an Vorbildern, ein unterschwelliger Vater-Sohn-Konflikt und nationaler Aufschwung an.

Abgesehen von dem nationalen Aufschwung, spielen all diese Themen auch in der Lebenswelt heutiger Jugendlicher eine zentrale Rolle und prädestinieren Delius’ Erzählung so für die Behandlung im Schulunterricht. Neben den Bezügen zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit stellt die Möglichkeit, die Perspektive des Jungen auf den Zustand Deutschlands in der Nachkriegszeit zu transferieren eine geeignete Gelegenheit dar, historisches Wissen im Deutschunterricht interdisziplinär zu vermitteln. Ferner können in der Schule anhand der eingebundenen Zitate aus Herbert Zimmermanns Radioreportage und deren Weiterverwendung durch Delius „Mündlichkeit und gestaltetes Sprechen“[11] vorgestellt, sowie „eine praktische Einführung in rhetorische Mittel“[12] gegeben werden.

2. Der ästhetische Gegenstand „Fußball“ in Lyrik

Wer an die Abhandlung des Themas „Fußball“ in Gedichtform denkt, dem fallen spontan wohl zunächst einmal Verballhornungen wie Heinz Erhardts „Fußball (Vier-undvierzig Beine)“ oder auch „Fußball (nebst Abart und Ausartung)“ von Joachim Ringelnatz ein.

Weniger bekannt ist hingegen seriösere Lyrik zum ästhetischen Gegenstand „Fußball“, wie etwa der melancholische „Fat City Fußball Blues“ von Jörg Fauser oder Eckhard Henscheids satirische „Hymne auf Bum Kun Cha“.

Zweifelsohne eignet letztere Art des Fußballgedichts sich jedoch besser für die Besprechung im Deutschunterricht. Aus welchen Gründen dem so ist, soll im Folgenden nach einer kurzen Vorstellung der beiden Gedichte diskutiert werden.

2.1 Eckhard Henscheid - „Hymne auf Bum Kun Cha“

Titelheld der „Hymne auf Bum Kun Cha“, verfasst von Eckhard Henscheid, ist ein ehemaliger Fußballprofi aus Südkorea, der in den 1980er Jahren unter anderem für Eintracht Frankfurt in der Bundesliga spielte. Henscheid ist als bekennender Fan des Klubs aus Hessen bekannt[13], sodass angenommen werden darf, dass er den Spieler tatsächlich bewunderte und sein Lob des Leistungsvermögens Chas durchaus nicht nur ironisch zu verstehen ist. Dennoch fällt dem Leser unwillkürlich auf, dass es sich bei dem Gedicht um eine bewusst überspitzt formulierte Satire handelt. 121 der 125 ungereimten Verse und 10 der 11 Strophen von sehr unterschiedlicher Länge werden inhaltlich dazu verwendet, die fußballerischen und menschlichen Vorzüge des Südkoreaners, sowie seine Herkunft und seine gelungene Integration in Deutschland zu würdigen. Einerseits ist dies wohl als Parodie auf die formalen Eigenschaften einer Hymne und der ihr eigenen, oftmals etwas übertrieben wirkenden Feierlichkeit zu verstehen, andererseits aber auch als Versuch, eben diese Form auf moderne Gescheh-nisse zu transferieren und ihr somit einen gewissen Zauber zu nehmen.

Die überraschende Wendung in der letzten Strophe, in der Bum Kun Cha empfohlen wird, seine Absicht zu verwerfen, nach der „Aktiven-Laufbahn Deutsche/Predigend zu Gott bekehren“[14] zu wollen, deutet darüber hinaus an, dass es mit der bedingungslosen Verehrung Henscheids und der Fans im Allgemeinen für den Spieler doch nicht ganz so weit her ist, wie es zunächst den Anschein hat: „Sein Charakter, seine Persönlichkeit spielen nämlich – bei aller Verehrung – gar keine Rolle. Nur so lange er Leistung zeigt, bleibt der von Außen erzeugte Kult bestehen. Kurzum: Keine Tore, keine Hymnen“[15].
So wird ersichtlich, dass die „Hymne auf Bum Kun Cha“ dem Fußballer nicht nur huldigt, sondern gleichzeitig eben durch diese übertriebene Huldigung auch „die völlig überzogene Glorifizierung eines Fußballprofis“[16] spöttisch kritisiert. Hieraus lässt sich wiederum der Ansatz einer Medienkritik ableiten, die darauf abzielt, die Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit in der Berichterstattung über Sport- und Showstars anzuprangern, welche diesen häufig zum einen nahezu jegliche Privatsphäre entzieht, zum anderen aber keinerlei Interesse an ihren persönlichen, möglicherweise nur abseits der Öffentlichkeit zu Tage tretenden Charaktereigenschaften und Befindlich-keiten zeigt und stattdessen oft ein Zerrbild zeichnet, das einzig auf gute Vermarktungs-möglichkeiten angelegt ist.

[...]


[1] Handke, Peter: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Erzählung. 1.Auflage 1978. Frankfurt am Main, 1970. S.7.

[2] ebd., S.42.

[3] Delius, Friedrich Christian: Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde. Erzählung. 4.Auflage 2006. Reinbek bei Hamburg, 1994. S.34, f.

[4] ebd., S.25

[5] ebd.

[6] ebd., S.117

[7] ebd., S.114

[8] teHeesen, Sabine: Jesus ist kein Fußballspieler. Friedrich Christian Delius’ Hörspiel „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“. http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=6259&ausgabe=200308 [Stand: 27.02.2008]

[9] ebd.

[10] Delius, 2006. S. 115.

[11] Pflugmacher, Torsten: Was ist es, das in uns stürmt und drängt? In: Praxis Deutsch 196 (2006), S.52-55. Hier: S.53

[12] ebd.

[13] vgl. Henscheid, Eckhard: Von Frankfurt nach Freiburg. http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1996/1996-07-a-451.pdf [Stand: 28.02.2008]

[14] Hsnscheid, Eckhard: Hymne auf Bum Kun Cha. In: Riha, Karl: Fußball literarisch oder Der Ball spielt mit dem Menschen. Erzählungen, Texte, Gedichte, Lieder, Bilder. Frankfurt/Main 1981. S.51-54. Hier: V. 123, f.

[15] vom Schemm, Axel: Dichter am Ball. Untersuchungen zur Poetik des Sports am Beispiel deutschsprachiger „Fußball-Literatur“. http://herkules.oulu.fi/isbn9514283023/isbn9514283023.pdf [Stand: 28.02.2008]

[16] ebd.

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Fußball als ästhetischer Gegenstand – didaktische und methodische Anregungen für den Deutschunterricht
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
2,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
40
Katalognummer
V112694
ISBN (eBook)
9783640120499
ISBN (Buch)
9783640120802
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fußball, Gegenstand, Anregungen, Deutschunterricht
Arbeit zitieren
Florian Reifenrath (Autor:in), 2008, Fußball als ästhetischer Gegenstand – didaktische und methodische Anregungen für den Deutschunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112694

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