(Keine) Demokratie im Rentierstaat Syrien?


Seminararbeit, 2008

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Rentierstaat
2.1.1 Rohstoffrente
2.1.2 Politische Rente
2.1.3 Sonstige Renten
2.2 Folgen der Rente für das politische System
2.2.1 Rente als ökonomische Basis des Neopatrimonialismus
2.3 Stabilität und Krise des Rentierstaats

3. Rentierstaat Syrien
3.1 Rentenquellen
3.1.1 Politische Rente
3.1.2 Rohstoffrente
3.2 Staat und Gesellschaft unter Asad
3.2.1 Politische Institutionen
3.2.1.1 Rollenwechsel der Baath-Partei
3.2.2 Staatsbürokratie und „crony capitalists“
3.2.3 Funktion des staatlichen Industriesektors
3.3 Begrenzte Reformen durch die Krise des Rentierstaats
3.4 Grenzen der Erklärungskraft des Rentierstaat-Ansatzes für die syrische Außenpolitik
3.5 Demokratisierungspotenziale?

4. Fazit

Literatur:

1. Einleitung

Nachdem sich die Hoffnungen auf eine nachhaltige Demokratisierung im Rahmen der „dritten Welle der Demokratie“ (Huntington 1991) im Nahen und Mittleren Osten nicht erfüllt haben und das Spektrum der politischen Veränderungen eher im Bereich minimaler Liberalisierungen bis hin zu unvollständigen Demokratisierungen anzusiedeln ist, wurden verschiedene Erklärungsmuster für die ausbleibende Demokratisierung entwickelt. Viele Ansätze führen diese politische Entwicklung auf kulturelle und religiöse Faktoren zurück[1]. Ein Gegenentwurf ist der Rentierstaat-Ansatz[2], in dem versucht wird, die politische Realität der Staaten im Nahen und Mittleren Osten auf die polit-ökonomischen Strukturen und die spezielle Ausprägung des Kapitalismus in dieser Region zurückzuführen.[3] Die Debatte hatte zuerst die ölexportierenden Staaten am Persischen Golf (u.a. Saudi Arabien) und ihre Renteneinnahmen im Fokus. Später wurde das Konzept von Semi-Rentierstaaten entwickelt, in denen das staatliche Budget wesentlich von politischen Renten aus den Öl-Rentierstaaten abhängt. Die Öl-Rentierstaaten finanzieren diese politischen Renten über die Rohstoffrenten, die sie selbst erhalten. Die grundlegende These im Rentierstaat-Ansatz ist, dass Staaten gegenüber der Gesellschaft autonomer sind, wenn sie Zugang zu internationalen Renten haben, über die Zuteilung von staatlichen Ressourcen Teile der Gesellschaft an den Staat binden und durch die Umkehrung von „no representation without taxation“ keine Notwendigkeit sehen, die Bevölkerung an den politischen Entscheidungen zu beteiligen („no taxation, no representation“).

Um die These zu überprüfen, dass in Rentierstaaten Strukturen existieren, die der Entstehung und Etablierung von Demokratien hinderlich sind, soll im Folgenden das Fallbeispiel Syrien genauer betrachtet werden. Dabei sollen die Jahre 1970 bis 2000 unter der Herrschaft von Hafiz al-Asad im Zentrum der Betrachtung stehen. Syrien bietet sich aus mehreren Gründen als Fallbeispiel an. Zum Ersten bezieht Syrien sowohl ökonomische (über Erdöl-Exporte) als auch politische Renten. Diese Konstellation ist einzigartig, da die übrigen Rentierstaaten im Nahen und Mittleren Osten entweder ökonomische Renten (wie etwa Saudi Arabien) oder politische Renten beziehen (wie etwa Ägypten). Zum Zweiten erhält Syrien den größten Anteil der politischen Renten, die von den Öl-Rentierstaaten am Persischen Golf zur Verfügung gestellt werden. Zum Dritten können einige Faktoren, die als alternative Erklärungsmuster für die politische Entwicklung aufgeführt werden könnten, wie etwa eine externe militärische Intervention wie im Irak oder ein langjähriger Bürgerkrieg wie im Libanon, für Syrien ausgeschlossen werden.

In einem ersten Schritt soll der Rentierstaat-Ansatz genauer dargestellt werden. Anschließend werden die politischen und ökonomischen Strukturen Syriens im Hinblick auf die Renten und ihre Folgen für das politische System untersucht.

2. Rentierstaat

Ein Rentierstaat ist dadurch gekennzeichnet, dass er sich primär nicht durch die Besteuerung der Staatsbürger, sondern durch internationale Renten finanziert. Es lassen sich zwei unterschiedliche Formen von Renten, die Rohstoff- und die politische Rente, differenzieren.

2.1.1 Rohstoffrente

Die Rohstoffrente basiert darauf, dass externe ökonomische Akteure Rohstoffe verwerten und hierfür an den jeweiligen Staat, in dessen Territorium sich die Rohstoffe befinden, Renten zahlen. In vielen Fällen werden diese externen ökonomischen Akteure (wie etwa multinationale Öl-Konzerne) von ihren Herkunftsstaaten politisch unterstützt, so dass die Rentenzahlungen in solchen Fällen nicht nur von den Öl-Konzernen sondern auch von den jeweiligen Herkunftsländern an die Rentierstaaten erfolgen (Pawelka 1997: 220-224). Ein wichtiges Beispiel für eine Rohstoffrente ist die Erdöl-Rente, die ein relevanter Faktor bei der Gründung der OPEC 1960 war. Hierbei wurden die Preise für Erdöl durch eine Kartellbildung erhöht, was für die Öl-Rentierstaaten auch eine Erhöhung ihrer Renten bedeutete.

2.1.2 Politische Rente

Bei der politischen (oder strategischen) Rente findet kein ökonomischer Austausch statt (wie etwa bei der Rohstoffrente für Ausbeutungsrechte), sondern vielmehr erhält der Staat politische Renten von externen politischen Akteuren, die durch die Rentenzahlung entweder eine innenpolitische Konstellation im Empfängerstaat forcieren oder stabilisieren wollen, oder die Rentenzahlung dient dazu, den Empfängerstaat zu einer bestimmten Außenpolitik zu bewegen oder selbige zu erhalten. Mögliche Ziele der Rentenzahler im Bezug auf die Innenpolitik der Rentenempfänger wären etwa die Konsolidierung der politischen Ordnung, der Machterhalt einer bestimmten Elite sowie die Forcierung von bestimmten normativen Zielen, und im Bezug auf die Außenpolitik etwa die Unterstützung bei Kriegen, die Nichteinmischung in einen Konflikt sowie die politische Unterstützung bei internationalen Konflikten und Verhandlungen (Pawelka 1997: 214-215).

2.1.3 Sonstige Renten

Für den Rentierstaat-Ansatz sind nur unmittelbar an den Staat oder an die politische Elite gerichtete Renten relevant. Gesellschaftlich erzielte Renten, wie etwa Zahlungen von Arbeitsmigranten an ihre Familien in den Herkunftsländern, fallen aus dem Konzept heraus, da der Staat diese Renten nur mittels Besteuerung schöpfen kann (Schmid 1997: 43). Im Folgenden ist unter Rente also die Rohstoff- oder die politische Renten zu verstehen.

2.2 Folgen der Rente für das politische System

Der Zugang zu internationalen Renten sorgt dafür, dass der Rentierstaat gegenüber der eigenen Gesellschaft autonomer ist. Dadurch, dass der Staat auf eine effektive Besteuerung der Bevölkerung verzichten kann, ist auch der Legitimitationszwang für den Staat wesentlich vermindert. Die Besteuerung der Bürger würde nämlich für den Staat mit der Notwendigkeit einhergehen, diese Besteuerung zu legitimieren. Die Legitimität wird über die Bereitstellung der Güter Sicherheit, Wohlfahrt und Partizipation (vgl. Milliken / Krause 2003: 4) herbeigeführt.[4] Legitimität ist dabei eine Voraussetzung für dauerhafte politische Herrschaft.[5]

Sicherheit bedeutet „Schutz des Staatsvolkes gegen Bedrohungen von außen“ und „Friedenssicherung im Inneren“ (Schubert 2005: 29).

Die Bereitstellung von Wohlfahrt kann über zwei unterschiedliche Formen erfolgen. Zum einen über die Bereitstellung eines ökonomischen Rahmens, in dem eine kapitalistische Akkumulation stattfinden kann, etwa durch die Sicherung des Privateigentums und der marktwirtschaftlichen Strukturen (vgl. Milliken / Krause 2003: 4, Schubert 2005: 30). Zum anderen kann Wohlfahrt auch verstanden werden als die Bereitstellung von staatlichen Transferleistungen.

Unter Partizipation sind Strukturen zu verstehen, die es den Staatsbürgern ermöglichen, sich an den politischen Entscheidungen zu beteiligen. Aus staatlicher Perspektive geht es dabei darum, die Bürger an den Staat zu binden und ihre Ressourcen für den Staat zu mobilisieren.[6] Dieser keineswegs linearer Prozess[7] hat in Europa in politische Strukturen wie etwa freie und kompetitive Wahlen, Mehrparteiensysteme, Gewaltenteilung und eine unabhängige Judikative gemündet. Daran anschließend soll hier Demokratie lediglich durch den Indikator der freien und kompetitiven Wahlen (vgl. Nohlen 1997: 119) definiert werden. Eine solche Definition mag für viele politische Systeme im Graubereich zwischen Demokratie und Autoritarismus (vgl. Krennerich 1999) unzureichend sein, für die Benennung des syrischen Systems als Nicht-Demokratie ist es hinreichend.

2.2.1 Rente als ökonomische Basis des Neopatrimonialismus

Der Rentierstaat kann durch den weitgehenden Verzicht auf die Besteuerung der Staatsbürger auch den Legitimationszwang für den Staat verringern und die drei Dimensionen der staatlichen Leistungen getrennt bearbeiten. Die Bürger erhalten Sicherheit und Wohlfahrt im Sinne von staatlichen Transferleistungen. Da aber der Staat nicht finanziell von der eigenen Gesellschaft abhängig ist, wird aus der Idee von „no representation without taxation“ „no taxation, no representation“. Der Staat kann selektiv Ressourcen und Transferleistungen an gesellschaftliche Gruppen vergeben, um so im Gegenteil die Gesellschaft von sich abhängig zu machen.

[...]


[1] Für eine kurze Darstellung und eine Kritik dieser Ansätze vgl. Schlumberger 2008: 91-102.

[2] Der Rentierstaat-Ansatz definiert Renten als Einnahmen, die ohne den Einsatz von Produktionsfaktoren und ohne direkte ökonomische Gegenleistungen erhalten werden. Sie stehen dem Rentenempfänger zur freien Verfügung. Politische Renten sind zwar im strengen ökonomischen Sinne keine Renten, sie können aber als funktionale Renten-Äquivalente gesehen werden (Schmid 1997: 41).

[3] Für eine Darstellung der Theoriegeschichte des Rentierstaat-Ansatzes vgl. Schmid 1997. Anlehnend daran wird im Folgenden der Begriff des Rentierstaats und nicht etwa der Begriff Rentenökonomie (vgl. Zinecker 2004:241) verwendet, um Implikationen der Rente für den Staat und die Möglichkeiten des politischen Wandels zu betonen.

[4] Dabei ist die staatliche Legitimität nicht per se gegeben. Vielmehr muss die Legitimität erst hergestellt werden: „The Weberian state, with its extensive powers and massive bureaucracy can only be legitimized through its provision of public goods to its populations“ (Clapham 2003: 28-29).

[5] „Alle Macht strebt nach Rechtfertigung. Legitimation von Herrschaft ist ein Teil ihrer Bestandsvoraussetzung“ (Trotha 1995: 7).

[6] „The preparation for war [gegen andere Staaten, A.d.A.] forced power holders into a series of compromises with the subject populations, which constrained their power and paved the way for early forms of citizenship right“ (Sorensen 2004: 137-138).

[7] Wie in der Debatte um 'war and state making' (Tilly 1975) deutlich wurde, war die historische Entstehung der politischen Systeme in Europa ein widersprüchlicher und von Konflikten geprägter Prozess, in dem die herrschenden Eliten und die Staatsbürger unterschiedliche Interessen hatten und haben.

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Details

Titel
(Keine) Demokratie im Rentierstaat Syrien?
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Demokratisierung, Governance und Transformation
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V112630
ISBN (eBook)
9783640111107
ISBN (Buch)
9783640111251
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demokratie, Rentierstaat, Syrien, Demokratisierung, Governance, Transformation
Arbeit zitieren
Ismail Küpeli (Autor:in), 2008, (Keine) Demokratie im Rentierstaat Syrien?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112630

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