Die Erzeugung von Lokalität in einer globalen Welt

Global Cultural Flows (Appadurai) und Habitus (Bourdieu)


Seminararbeit, 2007

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Global-lokal – Lokal-global: Herausforderungen in einer globalisierten Welt

2. Globalisierung - Glokalisierung

3. Global Cultural Flows

4. „The production of Locality“ – die Erzeugung von Lokalität in einer deterritorialisierten globalisierten Welt
4.1. Global Production of Locality
4.1.1. Nationalstaatliche Kontrolle der Nachbarschaften
4.1.2. Auseinanderbrechen von spatialem und sozialem Raum
4.1.3. Virtuelle Nachbarschaften durch elektronische Medien
4.2. Kontexte im Fluss der Landschaften

5. Habitus – sozialisierter und sozialisierender Körper „Ich bin in der Welt enthalten, aber die Welt ist auch in mir enthalten“

6. Habitus und Globalisierung: Zusammenhänge, Widersprüche, Folgen, Fragen

7. Nachtrag zum ersten Teil: Globalisierung einer Krise – Wie sich die Dimensionen der Globalisierung äußern können Beispiel: Birma

8. Literatur

1. Global-lokal – Lokal-global: Herausforderungen in einer globalisierten Welt

Globalisierung ist überall. Alle reden davon. Die Medien sind voller Berichte über Globalisierungsfolgen. Eine kurze aktuelle Auswahl:

„Süßigkeiten werden teurer. […] Hintergrund seien massiv gestiegene Rohstoffpreise, sagte ein Sprecher des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) in Köln. Die Globalisierung mache auch vor dem Süßwarenregal nicht halt.“ (Focus online, 26.9.2007, 11.33 Uhr)

„Globalisierung kommt nach Mecklenburg-Vorpommern. ’Wir in Deutschland können uns nicht aussuchen, ob wir die Globalisierung wollen oder nicht. Wir können jedoch die großen Chancen, die sie bietet, aktiv nutzen. Das Projekt 'Parchim International Airport' ist solch eine Chance. Machen wir etwas daraus’, sagte IHK-Präsident Jörgen Thiele anlässlich der Eröffnung der Frachtfluglinie zwischen Parchim und China am heutigen Montag.“ (MVregio, 24.09.2007)

„Vatikan: Nachdenken über Globalisierung.“ (Radio Vatikan, 24.09.2007)

Ob Süßigkeitenregal, die Mecklenburg-Vorpommern’sche Provinz oder der Vatikan, der Diskurs der Globalisierung schreibt sich in alle Bereiche ein und hat auch konkrete Auswirkungen:

Die Bevölkerungsstruktur ändert sich, weil Menschen in der globalisierten Welt gezwungener Maßen oder freiwillig wandern. Entweder zieht es sie in andere Räume, weil diese attraktiver erscheinen (vielleicht gibt es mehr Geld für gleiche Leistung oder es gibt überhaupt etwas zu tun), oder ihr ursprünglicher Raum ist unbewohnbar geworden (sei es wegen kriegerischer Handlungen, ethnischer Auseinandersetzungen oder Umwelteinflüssen). (Vgl. dazu: Office of Official Publications of the European Communities: Push and Pull Factors of International Migration.[1] )

Wie Globalisierung mittlerweile in politischen Kreisen diskutiert wird, zeigt der Anfang der Berliner Rede des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler am 1. Oktober 2007:

„Hier in Berlin prangt auf einigen Stadtbussen die Werbung: ‚Incredible India - nur sieben Stunden entfernt’. In Wahrheit liegt Indien natürlich viel näher, denn die sieben Stunden sind ja nur die Flugzeit für Reisende. In Wahrheit ist uns Indien längst so nah wie die meisten anderen Länder: bloß einen Mausklick entfernt, eine Tastenfolge auf dem Telefon, eine E-Mail von Kontinent zu Kontinent. Im 21. Jahrhundert sind fast alle Nationen füreinander Nachbarn geworden. Sie werden verbunden durch rasch wachsende Ströme von Menschen, Wissen, Bildern, Waren und Geld.“
(Bundespräsident Horst Köhler)

Um einen differenzierten Blick auf Globalisierung bzw. die Auswirkungen der Prozesse der Globalisierung auf das Lokale zu erhalten, wird diese Arbeit versuchen, Globalisierung zunächst zu definieren ohne auf die umfangreiche Diskursgeschichte des Begriffs tiefer einzugehen. Im Anschluss wird das Modell der Global Cultural Flows des Globalisierungstheoretikers Arjun Appadurai ausgebreitet.

Mit dem bereits durch die weitreichende Definition vorbereiteten Zusammenhang zwischen Globalen und Lokalen in der globalisierten Welt untersucht diese Arbeit die Produktion von Lokalität unter den von Appadurai beschriebenen Bedingungen der globalisierten Welt.

Im Anschluss daran soll untersucht werden, inwieweit ein Zusammenhang zwischen dem Habitus, wie er durch den französischen Soziologen Pierre Bourdieu beschrieben wurde, herstellbar ist.

2. Globalisierung – Glokalisierung

Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definiert Globalisierung als

„Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden – dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegung von Kapital und Technologie.“ (in: von Plate.)

Eine Reduzierung der Globalisierung auf rein wirtschaftliche und evtl. technologische Aspekte ist gängig und weit verbreitet. Doch Globalisierung ist weitreichender. Dies ergibt sich aus den wirtschaftlichen Veränderungen und aus den technischen Möglichkeiten moderner Verkehrs- und Kommunikationstechnologie, die gesellschaftliche und politische Veränderungen nach sich ziehen. Entsprechend hat sich auch die Soziologie mit dem Thema Globalisierung beschäftigt.

Die Zunahme weltweiter Vernetzung als Globalisierung versteht Anthony Giddens als

„eine Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen und umgekehrt“ (Giddens: 24f.)

Bei Ulrich Beck findet sich die Unterscheidung zwischen Globalität, der Vorstellung, dass wir längst in einer Weltgesellschaft leben, in der die Vorstellung geschlossener Räume fiktiv wird und der Globalisierung, als Kumulation von Prozessen, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure unterlaufen werden und so zu Globalität führen. Außerdem den Globalismus als Ideologie, dass Globalisierung ein Sachzwang sei. An Robertson anknüpfend bringt Beck den Zusammenhang zwischen Globalität und Lokalität mit dem Begriff Glokalisierung zum Ausdruck (vgl. Beck: 26ff.).

Die Globalisierung durchkreuze, so Robertson, durch transnationale Interdependenzen und Bewegungen von Personen und Dingen die Gleichsetzung von Nationalstaat und Nationalstaatsgesellschaft (vgl. Beck: 88), deswegen müsse das „Lokale als Aspekt des Globalen verstanden werden“ (Beck: 90, 19f.), es schließe sich keinesfalls gegenseitig aus. „Globalisierung heißt auch: das Zusammenziehen, Aufeinandertreffen lokaler Kulturen, die in diesem ‚clash of localities’ (Robertson) inhaltlich neu bestimmt werden müssen“ (Beck: 90, 21ff.). Mit dieser Bestimmung geht ein Perspektivenwechsel einher.

„‚Globale Kultur’ kann nicht statisch, sondern nur als kontingenter und dialektischer (und gerade nicht ökonomisch auf seine scheinbar einsinnige Kapitallogik reduzierbarer) Prozess verstanden werden – nach dem Muster ‚Glokalisierung’, in dem widersprüchliche Elemente in ihrer Einheit begriffen entschlüsselt werden.“ (Beck: 91, 11ff.)[2]

Das in anderen Ansätzen außerhalb der bestehenden symbolischen Systeme[3] entstehende und in die Systeme eindringende Globale wird konkret vor Ort in seinen Auswirkungen sichtbar, mehr noch: erst durch die Äußerung im Lokalen wird das Globale existent.

3. Global Cultural Flows

Der Globalisierungstheoretiker Arjun Appadurai benennt fünf Dimension der Global Cultural Flows (in etwa: „weltweite kulturelle Strömungen“): ethnoscapes, technoscapes, financescapes, mediascapes und ideoscapes. In Anlehnung an den englischen Begriff landscape für Landschaften enden die Dimensionen mit dem Suffix -scape[4].

„These terms […] indicate that these are not objectively given relations that look the same from every angle of vision but, rather, that they are deeply perspectival constructs, inflected by the historical, linguistic, and political situatedness of different actors.“ (Appadurai: 33,14ff.)

Diese Global Cultural Flows mit ihrem fließenden Charakter tauchen in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf, sie verdecken sich, verdichten sich im individuellen Akteur[5].

In Anlehnung an das Konzept der imagined communities von Benedict Andersson[6] formen diese Landschaften

„a blocks of what […] [Appadurai] would like to call imagined worlds, that is the multiple worlds that are constituted by the historical situated imaginations of persons and groups spread around the globe”[7] (Appadurai: 33, 25ff.).

An anderer Stelle spricht Appadurai von „landscapes of images“ (Appadurai: 35, 14), was als Konkretisierung des Begriffs hilfreich erscheint. Dies verdeutlicht, dass es sich weniger um konkrete gegebene Tatsachen, als um (diskursive) Konstruktionen von Personen oder Gruppen handelt.

Die im Folgenden beschriebenen Dimensionen enthalten Elemente der Vorstellung („Images“), die die sozialen Praktiken der Menschen im Alltag antreiben:

„Imagination gewinnt eine einzigartige Macht im Alltag der Menschen […]. Mehr Personen in mehr Teilen der Welt erträumen, erwägen eine größere Spannbreite ‚möglicher’ Leben, als sie dies jemals zuvor taten. Eine zentrale Quelle dieser Veränderung sind die Massenmedien, die ein reichhaltiges, dauernd sich veränderndes Angebot für solch ‚mögliches Leben’ bereithalten.“ (Beck: 99, 6ff.)

Ethnoscapes sind die Landschaften, die durch den weltweiten Fluss von Personen die Welt verändern. Die Personengruppen sind z.B. Immigranten, Flüchtlinge, Gastarbeiter, Exilanten und Touristen, aber auch Diplomaten, Politiker und zeitweilig im Ausland arbeitende Personen, die alle ihre Vorstellungen mitbringen und durch diese Vorstellungen zum Reisen animiert werden/wurden/ worden sind. Dieser Fluss der Menschen beeinflusst die Beziehungen von Staaten untereinander und kann politische Entscheidungen hervorrufen. (Vgl. Appadurai: 33, 33 – 34, 11.) Appadurai betont, dass er dieses Konzept gegen die Idee konstruiert hat, dass Gruppenidentitäten „imply that cultures need to be seen as spatially bounded, historically unselfconscious, or ethnically homogenous forms“ (Appadurai: 183, 13ff.).

Technoscapes entstehen durch die „global configuration […] of technology and the fact that technology […] moves at high speeds across various kinds of previously impervious boundaries“ (Appardurai, 34, 11ff.). Technologien fließen über Grenzen hinweg in andere Räume; das beginnt mit dem Fluss (oder besser: der Verbreitung) von Maschinen (z.B. Computer) und geht bis zum weltweiten Fluss der Software bzw. deren Entwicklung, die

„increasingly driven not by any obvious economies of scale, of political control, or of market rationality but by increasingly complex relationships among money flows, political possibilities, and the availability of both un- and highly skilled labor“ (Appadurai: 34, 18ff.).

Eng mit dieser Dimension hängt die nächst Dimension zusammen. (Vgl. Appadurai: 34, 11-36.)

Financescapes entstehen durch den globalen Kapitalfluss, der immer mysteriöser, schneller und schwieriger nachvollziehbar wird, da der Zugang zu Geld-, Aktien- und Rohstoffmärkten in der ganzen Welt möglich wird und an den Kapitalmärkten alles mit allem zusammenzuhängen scheint. Durch moderne Kommunikationsmedien können innerhalb von Sekunden ungeheure Geldmengen überall auf dem Globus bewegt werden[8]. (Vgl. Appadurai: 34, 37 - 35, 2.)

[...]


[1] Anhand dieser Publikation könnte deutlich gemacht werden, inwieweit ein entscheidender Pull-Faktor die medialen Bilder sind, die über Zielregionen von Migration erzeugt werden. Auch Push-Faktoren können mediale Imaginationen sein, insoweit, als dass aus einer medial-vermittelten imagined community geflüchtet wird. Vgl. dazu auch: Fn. 6.

[2] Hervorhebungen im Original.

[3] Wenn hier von System gesprochen wird, ist kein in sich geschlossenes, sondern ein offenes System, eher ein symbolisches Gefüge zu verstehen. Ein geschlossenes System widerspräche dem fließenden Charakter von Kultur, wie er in dieser Arbeit beschrieben wird.

[4] Wenn im Folgenden von den fünf Dimensionen der Global Cultural Flows gesprochen wird, werde ich – wie Appadurai den englischen Begriff landscapes benutzt – teilweise von Landschaften sprechen, teilweise werde ich sie als Dimensionen bezeichnen.

[5] „[…] the individual actor is the last locus of this perspectival set of landscapes“ (Appadurai: 33, 21f.).

[6] Benedict Anderson identifiziert vier Eigenschaften, des Konzepts Nation: (1) Die Nation ist „vorgestellt [...] weil die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen [...] werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert. [...] In der Tat sind alle Gemeinschaften, die größer sind als die dörflichen mit ihren Face-to-face-Kontakten, vorgestellte Gemeinschaften.“ (Anderson: 15, 30ff.). Hier hebt er den durch Imagination einer über die konkrete Nachbarschaft (um Appadurais Begriff aufzugreifen) hinausgehenden Charakter hervor. Jedem Konzept von Nation liegt eine Vorstellung, ein (mentales) Image zugrunde, das als ordnende Kraft die Praktiken der Akteure national ausrichtet bzw. das als ordnende Kraft in die – um wieder Appadurais Begriff der face-to-face-communities aufzugreifen – Nachbarschaften eindringt und für Ordnung im Sinne der Imagination von Nation sorgt. Die Nation wird als „begrenzt vorgestellt [...], weil selbst die größte von ihnen [...] in genau bestimmten, wenn auch variablen Grenzen lebt, jenseits derer andere Nationen liegen. [...] Selbst die glühendsten Nationalisten träumen nicht von dem Tag, da alle Mitglieder der menschlichen Rasse ihrer Nation angehören werde“ (Anderson: 16, 27ff.). Dadurch unterscheidet sie sich von anderen Gemeinschaften – wie religiösen Gemeinschaften. Gleichzeit ist mit dieser Dimension verbunden, dass es einen Raum gibt, mit dem die gegrenzte Nation verbunden ist, bzw. einen Raum, der eine Nation beinhaltet. Weiter wird die Nation als „(…) souverän (vorgestellt), weil ihr Begriff in einer Zeit geboren wurde, als Aufklärung und Revolution die Legitimität der als von Gottes Gnaden gedachten hierarchischdynastischen Reiche zerstörten.“ (Anderson: 16, 36ff.). Schließlich ist das Konzept Nation so angelegt, dass sie nicht nur vorgestellt ist, sondern als Gemeinschaft vorgestellt ist, „weil sie, unabhängig von realer Ungleichheit und Ausbeutung, als ‘kameradschaftlicher’ Verbund von Gleichen verstanden wird.“ (Anderson: 17, 10ff.). Die beschriebene Vorstellung einer Gemeinschaft wurde möglich durch den „Print-Kapitalismus“ (Anderson): Um die Auflage zu maximieren, wurden Druckwerke in den Volkssprachen produziert, sodass den Leser bewusst wurde, dass sie eine Sprache sprechen. (vgl. Dazu auch: Jonson)

[7] Hervorhebung im Original.

[8] Diverse Börsencrashs belegen, wie der Abzug von Kapital aus den Kapitalmärkten bestimmter Länder und Regionen auch gesellschaftliche Auswirkungen haben kann.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Erzeugung von Lokalität in einer globalen Welt
Untertitel
Global Cultural Flows (Appadurai) und Habitus (Bourdieu)
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Institut für Kultur und Medien)
Veranstaltung
Grundlagen der vergleichenden Medienkulturanalyse
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
31
Katalognummer
V112256
ISBN (eBook)
9783640110773
ISBN (Buch)
9783640110834
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erzeugung, Lokalität, Welt, Grundlagen, Medienkulturanalyse, Globalisierung, Appadurai, Glokalisierung, ethnologie
Arbeit zitieren
BA Michael Kempmann (Autor:in), 2007, Die Erzeugung von Lokalität in einer globalen Welt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112256

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