Der Klonkönig von Südkorea - Stammzelldiskurs in Deutschland und Südkorea

Der Faktor Kultur als Hindernis einer allgemeingültigen Makroethik?


Diplomarbeit, 2004

131 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Wirbel um Südkorea

2. Begriffsklärung
2.1. Die Klonexperimente in Südkorea
2.2. Grenzziehung mit Hilfe des Klonbegriffs: reproduktives und therapeutisches Klonen
2.3. Embryonale Stammzellen – adulte Stammzellen

3. Chancen und Probleme der neuen Technologien

4. Südkorea und Deutschland: ein Vergleich
4.1. Deutschland
4.1.1. Wirtschaft und Wissenschaft
4.1.2. Gesetzeslage in Deutschland
4.1.3. Religion und „Menschenbild“
4.2. Südkorea
4.2.1. Wirtschaft und Wissenschaft
4.2.2. Gesetzeslage in Südkorea
4.2.3. Religion und „Menschenbild“
4.3. Internationaler Stand: Entwicklungen und Gesetzeslage

5. Theoretischer und methodischer Rahmen
5.1. Kultur im Diskurs – Diskurs der Kulturen
5.1.1. Was ist kulturell am Kulturellen?
5.1.2. Zur Bedeutung von Kultur und Uneindeutigkeit
5.1.3. Die Idee einer „Makroethik“ aufgrund „kultureller Sprecher“
5.1.4. Ethik und Moral
5.1.5. Diskurse: Archäologie und Wissen
5.2. Methode: Diskursanalyse anhand Qualitativer Inhaltsanalyse
5.2.1. Deutsche und koreanische Printmedien als Datengrundlage
5.2.2. Das methodische Vorgehen
5.2.3. Analyseeinheiten: das Jahr 2004 und 2005
5.2.4. Bestimmung von Dimensionen
5.2.5. Diskursanalyse: Grundlagen und Strukturelemente

6. Der Stammzelldiskurs: eine Frage der Ethik
6.1. Analyseeinheit I: das Klonexperiment als Anstoß des Diskurses
6.1.1. Spannung im Diskurs: zum Status des Embryos
6.1.1.1. Deutschland im Konflikt
6.1.1.2. Die Hoffnung Südkoreas
6.1.2. Die Etablierung bestimmter Sprecher
6.1.2.1. Deutschland: Der Zweck heiligt die Mittel?
6.1.2.1.1. Die „Experten“ der Wissenschaft, Forschung oder Medizin: Glaube und Zweifel
6.1.2.1.2. „Experten“ der Ethik: die Trennung des Klonbegriffs
6.1.2.1.3. Vertreter einer Religion: der Mensch im Mittelpunkt
6.1.2.1.4. Politik: Uneinigkeit der Parteien
6.1.2.1.5. Die Sprecherpositionen und ihre „sagbaren“ Sätze
6.1.2.2. Südkorea: Wissenschaft und Religion
6.1.2.2.1. „Experten“ der Wissenschaft, Forschung oder Medizin: Hwang im Mittelpunkt
6.1.2.2.2. „Betroffene“ als „authentische Sprecher“
6.1.2.2.3. Öffentliche Gruppen üben Widerstand
6.1.2.2.4. Politiker als Unterstützer von Hwang Woo-suk
6.1.2.2.5. Religion: Legitimiert der Buddhismus die Forschung?
6.1.2.2.6. Das Auftauchen „kultureller Sprecher“
6.1.3. Erste Bilanz: zur Uneindeutigkeit der Kultur
6.2. Analyseeinheit II: weitere Entwicklungen im Jahr 2005
6.2.1. Der „König des Klonens“ macht neue Schlagzeilen
6.2.1.1. Deutschland: Land der „neuen Möglichkeiten“?
6.2.1.1.1. Politiker im Umschwung
6.2.1.1.2. „Trickreiche“ Forscher in Deutschland
6.2.1.1.3. Welche Zukunft schaffen wir uns?
6.2.1.1.4. Kultur als Thema im Diskurs
6.2.1.2. Südkorea: Konfrontation mit den „anderen Möglichkeiten“
6.2.1.2.1. Buddhismus und die Stammzellforschung
6.2.2. Bilanz 2005: Annäherung und Auseinanderdriften
6.3. Internationale Entwicklungen: globaler Diskurs und Interdependenz
6.3.1. Analyseeinheit I: unversöhnlich angesichts des reproduktiven und therapeutischen Klonens
6.3.1.1. Deutschland als Zünglein an der Waage?
6.3.1.2. Südkorea bangt um den Fortschritt
6.3.2. Analyseeinheit II: eine unverbindliche Deklaration
6.3.3. Zusammenfassung der internationalen Entwicklungen

7. Kultur und Religion im Angesicht neuen Wissens
7.1. Zur Bedeutung der Religion und neuem Wissen
7.2. Die Stabilität der Kultur im Diskurs
7.3. Der Hindernisvorwurf
7.4. Ausblick: der Fall des Klonkönigs

8. Verzeichnis: Literatur und weitere Quellen

9. Anhang
9.1. Empirisches Material: Verzeichnis der Grundgesamtheit
9.1.1. Dossier I: (2004 und 2005):
9.1.2. Dossier II (2004)
9.1.3. Dossier III (2005)
9.2. Praktisches Beispiel zum methodischen Vorgehen

„Der Klonkönig von Südkorea“

Stammzelldiskurs in Deutschland und Südkorea: Der Faktor Kultur als Hindernis einer allgemeingültigen Makroethik?

1. Wirbel um Südkorea

Hwang Woo-suk, der „Klonkönig von Südkorea“. Zu diesem Titel gelangt der südkoreanische Wissenschaftler nach seinem erfolgreichen Klonexperiment im Februar 2004. Bei diesem Experiment klonten er und sein Team Embryos und extrahierten aus diesen Stammzellen. Der eigentlich besonders auf dem Gebiet der Veterinärmedizin versierte Forscher Hwang versetzt damit nicht nur Südkorea, sondern die ganze Welt in ein Wechselbad zwischen Hoffen und Schrecken. Denn die Stammzellforschung gilt als Chance, bisher unheilbare Krankheiten, wie Diabetes oder Alzheimer, in Zukunft heilen zu können. Gleichzeitig entstehen ethische Bedenken, denn bei der Entnahme der Stammzellen werden die Embryos getötet. So lässt diese neue Technologie unheilbar Kranke - egal welcher Nation - auf Heilung ihrer Leiden hoffen und schürt gleichzeitig Ängste vor Missbrauch und Grenzüberschreitungen bei der Forschung am Menschen.

Die Nachricht über das Klonexperiment verbreitet sich Anfang 2004 rasant über die Medien und entfacht die Diskurse erneut. Schon zuvor war das Klonen in Bezug auf den Menschen innerhalb der Länder und auf internationaler Ebene diskutiert worden. Das Stammzell- und das Embryonenschutzgesetz verhindern in Deutschland eine derartige Forschung, in Südkorea bestehen zu diesem Zeitpunkt keine eindeutigen Gesetze. Die Vereinten Nationen konnten keinen Konsens in dieser Frage finden, die Entscheidung über ein allgemeines Klonverbot wurde vertagt.

Ein Jahr nach diesem Klonexperiment in Südkorea gelingt Hwang und seinem Team ein weiterer Durchbruch: Es werden in einem Experiment die Zellen von Erkrankten verwendet und dasselbe Klonverfahren durchgeführt. Es erhebt sich eine zweite Welle der Diskurse und in Deutschland wird über eine Liberalisierung der Gesetze gestritten. Hwang Woo-suk wird mehr und mehr als Nationalheld Südkoreas gerühmt und die ganze Welt debattiert über seine spektakulären Ergebnisse. Doch Ende 2005 bricht die Euphorie plötzlich zusammen: Der bekannte Klonforscher soll alle seine Ergebnisse gefälscht haben.

Es lassen sich zu dem Thema Stammzell- und Embryonenforschung Diskurse beobachten, zum einen innerhalb der Länder, zum anderen auf internationaler Ebene. Die Koreaner hatten 2004 gezeigt, was machbar schien und daran wird im Diskurs der moralische Status von menschlichen Embryonen erörtert, ethische Fragen um Grenzziehungen gestellt.

Es wird debattiert, Stellung bezogen, Gesetze entworfen. Doch auch wenn die Regelungen hinsichtlich einem strikten Klonverbot oder der Erlaubnis des therapeutischen Klonens sehr unterschiedlich sind, die einzelnen Länder zeigen sowohl national als auch international Uneinigkeit, gerade in der ethischen Beurteilung der Experimente. Angesichts der Chancen der Stammzellforschung, die neue Hoffnung und Wunderheilungen verheißen, und der Angst vor Grenzüberschreitungen in Experimenten, geklonten Menschen und Instrumen-talisierungen, werden konsequente Ablehnung oder Zustimmung schwierig.

Deutschland und Südkorea stehen in einem besonderen Gegensatz: In Deutschland herrschen sehr strenge Reglementierungen hinsichtlich der Embryonen- und Stammzellforschung, in Südkorea wird diese Forschung vehement vorangetrieben. Geteilte Welt? Der Westen auf der einen, asiatische Länder auf der anderen Seite?

Ethikdiskurse beschäftigen Mediziner gleichwohl wie Theologen, Politiker und die breite Öffentlichkeit. Es wird leidenschaftlich argumentiert, mit Moral, mit Werten und Normen einer Gesellschaft, mit Religion und Kultur. Der Faktor Kultur wird zu einer scheinbar unbestreitbaren Größe, er funktioniert als beliebtes Argument für die unterschiedlichen Einstellungen und erschwert weitere kommunikative Anschlussmöglichkeiten. Normen wie Menschenrechte und Menschenwürde, für welche die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedstaaten eintreten, sollen gewahrt, Instrumentalisierung und Ausnutzung von menschlichem Leben verhindert werden. Nicht nur im eigenen Land, sondern weltweit. Ein wichtiges Desiderat der Bioethik ist somit die Suche nach einem „kulturübergreifenden, globalen Konsens im Umgang mit den immer brisanter werdenden Fortschritten der biomedizinischen Forschung und Praxis“ (Roetz 2004: 85). Doch ein nationaler Konsens gestaltet sich bereits schwierig, ein kulturübergreifender Konsens fast unmöglich. Eine Abgrenzung des eigenen Landes erscheint kaum mehr haltbar, sind mittlerweile Ländergrenzen meist keine Mobilitäts- oder Informationsgrenzen mehr, rückt das „jeweils andere“, die „andere Kultur“, doch immer näher. Ereignisse, auch aus fernen Ländern, erfahren Resonanz in anderen Ländern. So werden Stimmen laut, die nach Regelungen verlangen, die nicht nur im eigenen Land, sondern kulturübergreifend Gültigkeit besitzen. Die herrschende Uneinigkeit innerhalb der Länder, hinsichtlich der ethischen Beurteilung und angemessenen Reaktion auf die neuen Möglichkeiten, spiegelt sich auch auf der Ebene der Vereinten Nationen wider: Uneinigkeit in grundlegenden Fragen verhindert lange Zeit auch nur eine gemeinsame Richtlinie zu entwickeln.

Inwieweit werden die Würde des Menschen und der Schutz des menschlichen Lebens überhaupt in vergleichbarer Weise von den unterschiedlichen Kulturen als entscheidende Normen anerkannt? Religion und gesellschaftliche Strukturen ergeben unterschiedliche „Menschenbilder“ , seien es durch christliches Schöpfungsdenken oder buddhistischen Glauben an Wiedergeburt geprägte. So kann die Vernichtung von Embryonen als ethisch akzeptabel oder inakzeptabel angesehen werden, je nachdem ob der Embryo bereits als Mensch gilt oder nicht. Verhindert „Kultur“ somit den geforderten globalen Konsens?

Diese Arbeit soll am aktuellen Beispiel der Stammzellforschung zeigen, welche Rolle der Faktor Kultur im Diskurs spielt und inwieweit er tatsächlich als ein Hindernis eines kulturübergreifenden Konsens funktioniert. Kann eine „Makroethik“ als Lösung dienen, eine Ethik, die auf einer übergeordneten Ebene, ungehindert der verschiedenen Kulturen, Gültigkeit besitzt?

Zu diesem Zweck wird der Diskurs um die Stammzell- und Embryonenforschung in Südkorea und Deutschland genauer untersucht und die Diskursentwicklung in den Jahren 2004 und 2005 anhand von Printmedien aus beiden Ländern dargestellt. Die Arbeit ist in sechs Abschnitte unterteilt: Zunächst wird ein einführender Teil auf die Stammzellforschung und die in den Diskussionen aktuellen Begriffe eingehen. Ein weiterer Teil soll die Probleme und Möglichkeiten eines kulturübergreifenden Konsenses aufzeigen. Daraufhin werden die beiden Länder in ihrer Gesetzgebung, ihrer Religion und ihrem „Menschenbild“ miteinander verglichen, die internationale Entwicklung kurz dargestellt. Im vierten Teil wird der Theorie- und Methodenrahmen näher erläutert, in dem das empirische Material betrachtet wird. Dazu wird zum einen auf Kulturtheorien und die Schwierigkeit des Kulturbegriffs eingegangen, zum anderen werden grundlegende Aussagen der Diskurstheorie Michel Foucaults veranschaulicht. Die Methode orientiert sich an der Qualitativen Inhaltsanalyse sowie Hauptelementen der Diskursanalyse. Es werden somit zwei Methoden verwendet, die Inhaltsanalyse dient dabei hauptsächlich der Ordnung und Zusammenfassung des Inhalts, die Diskursanalyse als anschließende methodische Analyse des geordneten Materials. Im darauf folgenden empirischen Teil wird das empirische Material, die gesammelte Berichterstattung zu diesem Thema, in Printmedien aus Korea und Deutschland der Jahre 2004 und 2005, hinsichtlich der Forschungsfrage in Auszügen vorgestellt und analysiert. Am Ende steht als abschließender Teil die Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie unter den zuvor angesprochenen Gesichtspunkten. Doch zunächst ein Überblick der wichtigsten Fakten der Klonexperimente in Südkorea und den Begriffen der Stammzellforschung.

2. Begriffsklärung

Im Diskurs um die Stammzell- und Embryonenforschung werden bestimmte Fachbegriffe verwendet, erklärt und zum Teil auch vorausgesetzt. Auf die Klonexperimente von Hwang Woo-suk und seinem Team wird im Diskurs immer wieder Bezug genommen. Daher zunächst eine kurze Einführung in die Fakten der Klonexperimente von Hwang Woo-suk und in die wichtigsten Begriffe um das Klonen und die Forschung an menschlichen Zellen.

2.1. Die Klonexperimente in Südkorea

Anfang Februar 2004 verbreitet eine koreanische Zeitung (JoongAng Ilbo) die „Klon-Sensation“: Einem südkoreanischen Team von Wissenschaftlern sei es gelungen, menschliche Embryonen zu klonen und daraus Stammzellen zu gewinnen. Allein die Art und Weise der Bekanntmachung sorgt schon für einigen Wirbel, sollten die Fakten doch nicht in einem heimischen Blatt, sondern auf der anberaumten Pressekonferenz in Seattle - auf der Tagung der „American Association for the Advancement of Science“ – und schließlich in deren Wissenschaftsmagazin „Science“ vorgestellt werden. Doch so verbreitet sich die Neuigkeit rasanter als jedes Gerücht.

Unter der Führung des Teams, bestehend aus dem Klonexperten Dr. Hwang Woo-suk und dem Reproduktionsmediziner Moon Shin-yong, entnahmen die Wissenschaftler 16 Frauen aus Südkorea insgesamt 242 Eizellen. Die Eizellen wurden entkernt und stattdessen die Zellkerne[1] von Körperzellen eingesetzt. Diese Körperzellen wurden ebenfalls von den 16 Freiwilligen gespendet. Nach dem erfolgreichen Einsetzen der Zellkerne in die Eizellen wurde die Zellteilung mit Hilfe von Chemikalien beschleunigt und es entstanden 30 Blastozysten. Diese entsprechen fünf Tage alten Embryos, die aus etwas 100 bis 200 Zellen bestehen (vgl. Spiegel online 2004). Die so entstandenen Embryos enthalten den genetischen Code der Frau, deren Körperzelle entkernt wurde. Auch die aus den Embryos gewonnenen Stammzellen besitzen die Erbinformation der Spenderin des Zellkerns und können sich, da sie noch keine spezialisierten Zellen sind, in verschiedene Zelltypen weiterentwickeln. Dieses Klonexperiment kann als „Durchbruch“ gewertet werden. Zwar wurde im Jahr 2001 bereits ein Embryo im US-Unternehmen „Advanced Cell Technology“ in Worcester (Massachusetts) geklont und dieser wuchs auch über das Achtzellstadium hinaus, es konnten aber keine Stammzellen gewonnen werden (vgl. Spiegel online 2004a). Den in Südkorea erfolgreich gezüchteten Blastozysten konnten die Koreaner Stammzellen[2] entnehmen, jedoch konnte nur eine einzige Stammzelllinie[3] gewonnen werden. Aus dieser bildeten sich nun sogar einige Gewebsarten. Wie dies genau biologisch geregelt und angeregt wird, ist noch nicht näher erforscht.

Es besteht somit die Hoffnung, aus den gewonnenen Stammzellen beispielsweise Organzellen züchten zu können und Menschen, die unter einer Organerkrankung leiden, mit diesen Organzellen heilen zu können. Da das so gewonnene Gewebe durch die Klontechnik mit der DNS des Kranken identisch wäre, käme es zu keiner Abstoßung durch das Immunsystem des Patienten[4].

Was bisher nur bei Tieren möglich war, soll nun auch beim Menschen gelungen sein. Die Zeitungen in Korea und Deutschland werden von diesem Thema beherrscht. Die Chance, bisher als unheilbar geltende Krankheiten behandeln zu können und die ethischen Bedenken gegenüber der Klontechnik prallen aufeinander. Könnten Diabetes, Parkinson, Alzheimer oder Querschnittslähmungen geheilt werden? Rechtfertigt diese Chance die Zerstörung von Embryonen durch die Stammzellentnahme? Zudem könnten Versuche gestartet werden, geklonte Babys zu produzieren. Die in vitro erzeugten Embryos müssten dazu einer Frau, ähnlich einer künstlichen Befruchtung, in den Uterus eingesetzt werden.

Im Mai des folgenden Jahres 2005 wird ein weiterer erfolgreicher Schritt des südkoreanischen Teams gemeldet: Elf Patienten mit Krankheiten wie Diabetes oder Querschnittslähmung seien Zellkerne aus Hautzellen entnommen und diese, entsprechend dem ersten Experiment, in entkernte Eizellen transferiert worden. Auch wenn dieses erneute Experiment nicht allzu große Unterschiede zum ersten aufweist, ist es doch Anstoß zu neuen Debatten, die sich immer mehr um tatsächliche Therapiemöglichkeiten drehen. Das so genannte therapeutische Klonen erlangt mehr Fürsprecher, im Gegensatz dazu wird das reproduktive Klonen weitestgehend abgelehnt. Die Klontechnik wird im Diskurs in zwei Begriffe unterteilt: Das therapeutische Klonen, bei welchem die Embryos im frühen Stadium vernichtet werden, und das reproduktive Klonen, mit dem Ziel einen geklonten Menschen zu erzeugen.

2.2. Grenzziehung mit Hilfe des Klonbegriffs: reproduktives und therapeutisches Klonen

Das Klonen wird in der aktuellen Debatte durch zwei Begriffe näher bestimmt und damit ein Unterschied kommuniziert: Das reproduktive und das therapeutische Klonen. Doch der einzige Unterschied besteht faktisch im Ziel oder im Zweck des Klonens. Klonen allgemein „bezeichnet die künstliche Herstellung eines menschlichen Organismus, der mit einem anderen Menschen erbgleich ist. Der Begriff des Klonens umfasst das Verfahren des somatischen Kerntransfers (...) und die künstliche Teilung eines aus Keimzellen entstandenen Embryos (Embryosplitting (...)). Erbgleichheit wird pragmatisch gleichgesetzt mit Gleichheit des Zellkerngenoms“ (Nationaler Ethikrat 2004: 12).

Das koreanische Klonexperiment zählt zum therapeutischen Klonen. Die Intention des therapeutischen Klonens besteht darin, Krankheiten näher zu erforschen und diese besser zu verstehen. Es werden Blastozysten hergestellt, aus denen Stammzellen zu Forschungszwecken gewonnen werden können. Dadurch könnten Krankheiten in der Zukunft geheilt werden, indem zum Beispiel Ersatzgewebe gewonnen wird, das dann durch die genetische Gleichheit mit dem Spender nicht abgestoßen wird. Diese „Klonart“ wird auch als Forschungsklonen bezeichnet.

Das so genannte reproduktive Klonen umfasst dieselben Schritte wie die des therapeutischen Klonens. Jedoch würden in diesem Fall der Blastozyste keine Stammzellen entnommen, sondern der frühe Embryo[5] einer Frau eingesetzt werden. Denn hier würde das Ziel darin bestehen, eine Schwangerschaft herbeizuführen und ein erbgleiches Kind auf die Welt zu bringen. Es herrscht jedoch Skeptizismus, ob es überhaupt möglich ist, dass sich ein geklonter Embryo zu einem „richtigen“ Klon entwickelt und nicht zu viele Fehler im Erbgut bestehen, so dass er nach dem Einsetzen absterben würde. Das reproduktive Klonen wird auch Fortpflanzungsklonen genannt.

Während das reproduktive Klonen in Südkorea und Deutschland abgelehnt und von vielen Experten als unmöglich eingestuft wird, hat das therapeutische Klonen in Südkorea sehr viele, in Deutschland zumindest einige Fürsprecher.

2.3. Embryonale Stammzellen – adulte Stammzellen

In den Diskussionen werden auch Alternativen zur Forschung mit embryonalen Stammzellen angesprochen – die Forschung an und die Therapie durch adulte Stammzellen. Worin liegt also der Unterschied zwischen diesen Begriffen?

Embryonale Stammzellen werden aus Embryonen gewonnen, die erst wenige Tage alt sind. Bei der Entnahme wird der Embryo vernichtet. Die Stammzellen können dabei entweder aus dem Inneren von Blastozysten, die bei einer künstlichen Befruchtung „übrig geblieben“ sind (sog. Surplus-Embryos), aus geklonten Embryonen oder auch aus „den Keimzellen abgetriebener oder spontan abgegangener Embryonen und Föten“ (Tannert/Wiedemann 2004: 141) gewonnen werden. Bei geklonten Embryonen ergibt sich der Vorteil, dass die Erbinformation des Spenders eines Zellkerns mit der des Klons übereinstimmt und die, durch Stammzellen gewonnenen, Gewebszellen vom Immunsystem des Spenders nicht abgestoßen würden. Frühe Embryonen besitzen totipotente[6] und pluripotente Zellen, wodurch der Forschung an embryonalen Stammzellen ein großes Potential zugeschrieben wird, zukünftig Therapiemöglichkeiten zu entwickeln.

Adulte Stammzellen hingegen „entnimmt man geborenen oder erwachsenen Menschen, welche die entnommenen Zellen nachbilden können“ (ebd.: 140). Diese können aus dem Blut, dem Knochenmark, der Leber, der Haut und anderen Gewebearten gewonnen werden. Adulte Stammzellen können auch aus dem Nabelschnurblut von Neugeborenen erhalten werden. Adulte Stammzellen gelten lediglich als multipotent. Ihnen wird das Potential zugeschrieben, die Erforschung bestimmter Abläufe der Zellentwicklung zu ermöglichen, sowie sich wieder zu pluripotenten Zellen zurück zu entwickeln. Somit besteht auch bei adulten Stammzellen die Hoffnung, dass diese sich zur Herstellung verschiedener Gewebsarten und zur Entwicklung von Therapien eignen. Diese ist jedoch geringer als bei der Forschung an embryonalen Stammzellen.

3. Chancen und Probleme der neuen Technologien

Es gibt hinsichtlich der neuen Technologien und Entwicklungen im Bereich der Stammzell- und Embryonenforschung unterschiedliche Regelungen in den Ländern der Welt. Was erlaubt oder verboten ist, ist selbst innerhalb der EU unterschiedlich und umstritten. Viele fordern allgemeingültige Regelungen, um eine Vielzahl von möglichen „Gefahren“ ausschließen zu können. Doch einfach ist dies nicht, stehen den viel zitierten „Gefahren“ auch bemerkenswerte „Chancen“ gegenüber, die viele nicht so einfach aufgeben wollen.

Die größte Chance besteht in der Heilung von bisher unheilbaren Krankheiten. Diese Hoffnung ist ein entscheidender Faktor, der die Forschung vorantreibt. Obwohl diese Möglichkeit, wenn überhaupt, erst in der Zukunft verwirklicht werden kann und somit heutigen Erkrankten kaum helfen wird, ist der Druck von dieser Seite groß. Dies wäre zudem ein entscheidender Fortschritt in der Medizin, Leiden zu heilen, vielleicht eine bessere Zukunft zu schaffen. Strittig ist aber auch die Frage, was die Stammzellforschung tatsächlich ermöglichen kann - sind die grundlegenden Mechanismen doch noch lange nicht hinreichend erforscht.

Südkorea fördert die Grundlagenforschung, ist aber auch Experte, spektakuläre Ergebnisse medienwirksam in der Welt zu verbreiten. Eines ist sicher, hinter dieser Forschung steht ein großes wirtschaftliches Potential , es lässt sich auf diesem Sektor viel Geld verdienen. Doch der Wettbewerb und die Konkurrenz auf dem Wissenschaftsmarkt sind hart und schnell verliert ein Land den Anschluss bei den sich rasant entwickelnden neuen Technologien.

Steckt der „Westen in der Kulturfalle“ (Roetz 2004: 85)? Die in Deutschland herrschenden Vorstellungen und im Grundgesetz verankerten Ideale von Menschenrechten und Menschenwürde begründen Bedenken bei diesen Zukunftstechnologien und der Stammzellforschung. Das christliche „Menschenbild“ herrscht vor und das biblische Schöpfungsdenken kann als „Entwicklungshemmnis“ (ebd.: 85) gesehen werden. Doch was für eine Zukunft möchten wir überhaupt schaffen? Ist es ethisch vertretbar, Embryonen zu vernichten, um vielleicht Kranke in Zukunft heilen zu können? Nach Roetz besagt so in „umgekehrter Pointierung (...) die Kulturthese, dass das christlich fundierte Wertesystem als Bollwerk gegen die zunehmend sich verselbstständigende Biotechnologie nicht aufgegeben werden dürfe und die Suche nach einem globalen Konsens in bioethischen Fragen nur auf die Auflösung der heute geltenden Regelungen hinauslaufen könne“ (ebd.: 85).

Inwieweit ist das Fehlen eines über die Kulturen hinausgehenden globalen Konsens nun ein problematischer Zustand, kann nicht jedes Land selbst entscheiden, was es für Recht hält? Wie das Beispiel des Klonexperiments in Korea zeigt, ist es zu Zeiten der Globalisierung kaum noch möglich, auf dem eigenen Standpunkt zu verharren, denn die Betroffenheit der Menschen geht weit über Ländergrenzen hinaus. Durch Medien wird weltweit informiert, weltweit teilgehabt. Forschung ist mobil geworden, Wissenschaftler binden sich nicht an Landesgrenzen und westliche Genetiker suchen oft ihr Heil vor strikten Reglementierungen in der Flucht. Etwa in asiatische Länder, um dort unter liberaleren Bedingungen und Regeln forschen zu können. „Ein bioethischer Konsens scheint dringend erforderlich, wenn nicht, mit unabsehbaren Folgen, einfach das schlechthin Machbare oder die pure Bedenkenlosigkeit die Standards setzen sollen“ (Universität Bochum 2005).

Das „Menschenbild“ wird zum entscheidenden Kriterium für den Umgang mit diesem Thema und den Regelungen für Genforschung an menschlichen Zellen und Embryos. Denn es vermittelt grundlegende Annahmen über den Beginn und das Ende menschlichen Lebens, erzeugt somit ein Deutungsschema der uns umgebenden Welt. Dabei spielt auch die Religion eine wichtige Rolle, da diese oft die Auffassungen über die Schöpfung und das Leben im jeweiligen Kulturraum prägt. „Für die Völkerkunde ist es ein Gemeinplatz, daß die Arten und Weisen, Mensch zu werden und zu sein, so zahlreich sind wie die menschlichen Kulturen. Menschsein ist sozio-kulturell variabel“ (Berger/Luckmann: 51). Ein Eingriff in die Vollkommenheit göttlicher Schöpfung durch das Klonen erscheint für die christliche Welt schwieriger als für einen Konfuzianer, der sich als Mitschöpfer des Universums versteht (vgl. Roetz 2004: 85). Auch der jetzige 14. Dalai Lama sieht wenig Gefahren im menschlichen Klonen: „Zu dem ihm geschilderten Szenario, es könnten auf diesem Wege vielleicht Wesen entstehen, die alle unsere guten, aber keine unserer schlechten Eigenschaften hätten, antwortete er, dass eine solche technologische Entwicklung zu begrüßen sei, da sie den ‚Prozess der Wiedergeburt und Befreiung’ vereinfachen könnte“ (Schlieter 2002: 3). Doch religiöse Grundregeln können eine sehr unterschiedliche Interpretation erfahren. Zum Vergleich die Einstellung der Deutschen Buddhistischen Union: Die verbrauchende Embryonenforschung wird strikt abgelehnt, da das Leben laut des Buddhismus nicht besitzbar sei und es sich um eine Verrohstoffung menschlicher Lebewesen handele (vgl. ebd.). Auf moralisch-ethische Grundsätze kann somit unterschiedlich Bezug genommen werden. In Ostasien erscheinen zudem Menschenrechte, die als wichtiger Wert westlicher Gesellschaften gelten und das „Menschenbild“ prägen, schnell als eine Erfindung des Westens, die nicht verstanden wird. Menschenrechte könnten als das grundlegende Prinzip gelten, das weltweite Anerkennung erfährt und auf dem – als gemeinsame Grundlage – die Diskurse und schließlich ein Konsens aufbauen könnten. Doch auch in diesem Bereich herrscht ein „Nichtverstehen“, das schnell auf den Faktor Kultur reduziert wird.

Ein weiteres gravierendes Problem, das mit dem Fehlen eines Konsens in bioethischen Fragen zusammenhängt, ist die Ausnutzung anderer Länder, die als permissiver Standort attraktiv sind und bei denen die Gefahr besteht, dass die Bevölkerung als Lieferanten für Eizellen missbraucht werden. Diese Entwicklung ist mit dem Organhandel vergleichbar: Im Westen besteht eine hohe Nachfrage, aber es gibt nicht genug Spender. Menschen aus weniger begünstigten Ländern lassen sich gegen Geld Organe entnehmen, freiwillig oder auch unter Zwang. Die oftmals lockeren Regelungen und Verfolgungen bei derartigen Straftaten lässt ähnliche Vorfälle auch in der Genforschung befürchten: „Nicht nur rechtliche Unterregulierung oder die mangelnde Durchsetzung existierender Rechtsnormen können einen Standort attraktiv machen, sondern gegebenenfalls auch ein niedriger Wissensstand der Betroffenen, mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit oder gar chronische medizinische Unterversorgung“ (Roetz 2004: 86).

Für die Stammzellforschung werden viele Eizellen benötigt. Diese wurden zwar im Falle Südkoreas (angeblich) freiwilligen Spenderinnen entnommen, doch dafür mussten sich die Frauen einer Hormonbehandlung unterziehen, um die Produktion von Eizellen anzuregen. Diese Prozedur ist anstrengend und zudem auch gefährlich. Frauen als Rohstofflieferanten einer neuen Technologie?

Für Forscher sind die permissiven Standorte besonders attraktiv. „Neben dem finanziellen Anreiz ist es das normative Gefälle, das zur Kooperation einlädt“ (ebd.:86). Denn dadurch können sie ihre Forschungsprojekte fern dem Heimatland ohne strenge Regeln und moralischen Einschränkungen durchführen. Diese „Entgrenztheit“ der Forschung zeigt deutlich das Problem eines Dissens` in der bioethischen Debatte und die Notwendigkeit, verbindliche Regelungen zu finden. Gentechnik und Stammzellforschung ist zu einem lukrativen Geschäft geworden. Rechtliche Ungleichheiten führen zu gravierenden Problemen, die eine Ausbeutung der „ärmeren“ Länder und einen Kontrollverlust für den Westen bedeuten.

Doch sowohl die Chancen auf Heilung als auch damit verbundene Verantwortung gegenüber Kranken und deren Angehörigen, gegenüber zukünftigen Generationen , spielen eine wichtige Rolle im Diskurs um die Stammzellforschung. Im Für und Wider der Diskussion wird dabei oft kulturell argumentiert, um die Gültigkeit bestimmter „kulturfremder“ Normen zu entkräften. Es entsteht das Bild von Gesellschaften, die zugleich existieren und sich auf ihrer kulturellen Grundlage nicht verstehen und somit auch zu keinem Konsens, der ein Verstehen voraussetzen würde, gelangen.

Im Diskurs um die Stammzellforschung wird innerhalb und zwischen den Ländern debattiert, es herrscht große Uneinigkeit. Die ethischen Bedenken beziehen sich dabei besonders auf die Menschenwürde , die respektiert werden muss und den Schutz des Lebens . Der Umgang mit menschlichen Embryonen wird dabei als problematisch angesehen. Hinsichtlich der Kranken wird ebenfalls mit dem Schutz des Lebens argumentiert, könnte ihnen diese neue Technologie doch endlich Heilung bringen. Die Chance für eine „bessere Welt“ und Hoffnung bei unheilbaren Leiden – wem gegenüber besteht eine größere Verantwortung, den Embryonen oder den Kranken? Es deutet sich ein ethisches Dilemma an, das nicht unbedingt kulturabhängig zu sein scheint.

4. Südkorea und Deutschland: ein Vergleich

Bevor der Diskurs in Südkorea und Deutschland näher betrachtet werden kann, muss die grundsätzliche Struktur der beiden Länder hinsichtlich Wirtschaft und Politik, aber auch der Religion und des „Menschenbilds“ verglichen werden. Ohne diese Informationen ist eine Analyse kaum denkbar und das Feststellen etwaiger grundsätzlicher struktureller Unterschiede für ein Verstehen der Zusammenhänge nötig.

4.1. Deutschland

Deutschland hat bestimmte Strukturen, seien es wirtschaftliche oder politische. Zudem zeigt sich eine spezifische Prägung diese Landes und seiner Menschen durch Gesetze oder auch durch die vorherrschende Religion.

4.1.1. Wirtschaft und Wissenschaft

Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Politik sind durch starke Interdependenz gekennzeichnet. Um den Diskurs und seinen Hintergrund zu verstehen, ist es nötig, zumindest einen kurzen Einblick in die Struktur und den internationalen Stand der Länder zu geben:

„Die deutsche Wirtschaft gehört zu den leistungsfähigsten innerhalb der Europäischen Union und auf der ganzen Welt. Als hochentwickelte Industrienation kann Deutschland beispielsweise im Fahrzeugbau, im Hochtechnologiesektor oder in der Pharmaindustrie auf weltweit erfolgreiche Unternehmen verweisen“ (Brodocz/Vorländer 2004). So befindet sich Deutschlands Wirtschaft auch im internationalen Vergleich in einer guten Stellung. Zwar tauchen in Deutschland strukturelle Probleme auf, zum Beispiel hinsichtlich der Krankenversicherung oder der Rentenversicherung. Staatsverschuldung und hohe Arbeitslosenzahlen, die auch auf demographische Entwicklung Deutschlands (viele ältere und wenig junge Leute) zurückzuführen sind, belasten die Wirtschaft (vgl. ebd.: 5ff).

Das Bruttonationaleinkommen ist ein Indikator für die Kaufkraft des Landes und gibt daher auch Auskunft über das wirtschaftliche Vermögen eines Landes. Deutschland steht im Länderverhältnis (2003) an siebter Stelle nach Großmächten wie den USA, Frankreich oder auch England. Zum Vergleich: Die koreanische Republik besetzt in dieser Statistik den neunten Platz (vgl. Statistisches Bundesamt 2005: 5). Im Bereich des Exports ist Deutschland sogar führend (vgl. ebd.).

Auch der Wissenschaftssektor ist wichtig für die Wirtschaft. Viele Forscher fühlen sich in Deutschland aber durch wenig finanzielle Unterstützung und strenge Reglementierungen im internationalen Wettbewerb eingeschränkt. Es zeichnet sich eine wachsende Bedeutung der Wissenschaft und Forschung für die Wirtschaft ab und diese zeigt sich unter anderem in den Plänen der neuen Regierung im Jahr 2005: Es soll mehr Geld als je zuvor in die Forschung investiert werden, strenge Reglementierungen die Forschungsfreiheit, die im deutschen Gesetz verankert ist, nicht unnötig behindern. So verkündet die neue Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan, in ihrer Rede anlässlich der Regierungserklärung am 1. Dezember 2005: „Wir werden mehr Geld in Bildung und Entwicklung investieren als jede Bundesregierung zuvor. Sechs Milliarden Euro sind für diese Legislaturperiode zusätzlich vorgesehen. Ich appelliere besonders an die deutsche Wirtschaft, diesem Beispiel zu folgen. Unser Ziel ist, den Anteil der privaten und öffentlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung bis 2010 kontinuierlich zu steigern“ (Schavan 2005: 2/3).

Deutschland möchte mehr Geld in die Forschung investieren, diesen ertragreichen Sektor nicht länger vernachlässigen. In Fragen um die Biowissenschaften zeigt sich Deutschland zwar konservativ und wertegebunden, doch Schavan lässt Forscher wenigstens auf etwas mehr Liberalisierung hoffen: „Wir werden Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland mehr Freiheit einräumen: Freiheit von unnötiger Bürokratie und überflüssiger Reglementierung, die Freiheit, eigene Wege zu gehen (ebd.: 3).

Deutschland behauptet sich im weltweiten Wettbewerb und nimmt eine gute Position ein. Doch besonders auf dem Forschungssektor gerät es immer mehr ins Hintertreffen, Forscher kritisieren die strengen Regelungen für Biowissenschaften in Deutschland. In den Gesetzen spiegeln sich die Werte und Normen einer Gesellschaft wider, zudem sind sie ein wichtiger Bezugspunkt des deutschen Diskurses. Wie sieht die Gesetzeslage in Deutschland genau aus?

4.1.2. Gesetzeslage in Deutschland

„Die für Deutschland maßgebliche Regierungsform, das so genannte parlamentarische Regierungssystem, stellt stärker als andere ebenfalls demokratische Verfassungsordnungen das Parlament in den Mittelpunkt. (...) Das bedeutet, dass die gesamte demokratische Repräsentation des Volkes über den Bundestag in das staatliche Handeln vermittelt wird. Der Bundestag ist es, der seinerseits mit der Mehrheit seiner Mitglieder den Bundeskanzler, also den Regierungschef, wählt“ (Thierse 2003: 8).

In Deutschland gilt das „Gesetz zum Schutz von Embryonen“ (Embryonenschutzgesetz) und das „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen“ (Stammzellgesetz)[7]. Das Embryonenschutzgesetz verbietet das Klonen von menschlichen Embryonen, aber auch jegliche missbräuchliche Verwendung, Chimären- und Hybridbildung wird ausgeschlossen. Das Gesetz ist bereits am 1. Januar 1991 in Kraft getreten. Nach dem Stammzellgesetz dürfen Wissenschaftler keine Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewinnen. Es soll die Menschenwürde und das Recht auf Leben schützen. Nur für hochrangige Forschungsziele dürfen Stammzellen aus dem Ausland importiert werden, welche vor dem 1. Januar 2002 durch künstliche Befruchtung gewonnen wurden. Für dieses Gesetz sprach sich vor knapp drei Jahren eine fraktionsübergreifende Mehrheit aus. Nach dem gelungenen Klonexperiment 2004 ertönt im Bundestag vehemente Abwehr einer Gesetzesänderung. Nur Vertreter der FDP äußern sich für eine Lockerung der Gesetzeslage. Ein Jahr später wird den Debatten innerhalb Deutschlands neuer Anstoß gegeben. Vom amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder persönlich, der sich im Juni 2005 in seiner Rede an der Universität Göttingen für eine Lockerung des Gesetzes ausspricht, „um den Anschluss an ‚die Entwicklungen in den Instituten und Laboren’“ (Berndt/Drobinski 2005) nicht zu verlieren und Deutschland nicht von der internationalen Forschung abzukoppeln. Entrüstung schlägt ihm von Kollegen und Vertretern der Kirche entgegen. Laut einer Umfrage des ZDF-Magazins „Frontal“ sind jedoch 40,6 Prozent für eine Lockerung des Gesetzes und 28,3 Prozent dagegen. Der Rest ist uneins (vgl. NZZonline 2005). Nach einer vorgezogenen Wahl im Bundestag wird eine große Koalition von SPD und der konservativen CDU/CSU eingesetzt, an deren Spitze die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht. Eine Liberalisierung im Bereich der Bioethik und Stammzellforschung ist eher unwahrscheinlich, auch wenn mehr Unterstützung im Forschungsbereich zugesichert wird.

In Deutschland herrschen strenge Reglementierungen, die sich auf die Würde des Menschen und das Recht auf Leben berufen. Diese gelten bereits für den wenige Tage alten Embryo. Doch auch in Deutschland wird gestritten, ob nicht eine Lockerung der Gesetze sinnvoll wäre, ob der Embryo gesetzlich überhaupt als Mensch definiert wird. Der Blick in andere Länder zeigt, dass neben Therapiemöglichkeiten auch ein großes wirtschaftliches Potential in der Stammzellforschung liegt. Doch solch eine Veränderung der Gesetze muss auf eine willige Mehrheit stoßen. In Deutschland scheint die starke Abwehr teilweise zu bröckeln, besonders als Hwang 2005 sein zweites Klonexperiment vorstellt. Doch es dominiert nach wie vor ein „Menschenbild“, das besonders auf dem christlichen Glauben basiert und damit auch den Beginn des Lebens als schützenswert festlegt.

4.1.3. Religion und „Menschenbild“

Das Christentum ist die einflussreichste Glaubensrichtung in Deutschland. So zählen weit über die Hälfte der deutschen Bevölkerung zum evangelischen oder katholischen Glauben (vgl. Statistisches Bundesamt 2005a). Muslime und andere Religionen befinden sich dagegen in einer Minderheitenposition (vgl. REMID 2005). Das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Benedikt der XVI., bezieht klar Stellung gegen die Gentechnik: „‚Ein Leben, das geboren wird, darf nicht unterdrückt oder verletzt werden’ (...). Stattdessen müsse ‚die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende’ neu bekräftigt werden“ (FAZ.net 2005).

Das christliche „Menschenbild“ geht von der Schöpfung Gottes aus. Die Menschen und ihre Welt wurden von Gott geschaffen und es gehört „zum Wesen des Menschen (...), die Welt und das biologisch-menschliche Leben zu gestalten“ (Höver/Eibach 2003: 17). Somit ist Gentechnik an sich zunächst nicht von Anfang an abzulehnen. Doch das Leben, das als Gabe Gottes betrachtet wird, wird damit immer mehr instrumentalisiert und zu menschlichem Besitz gemacht (vgl. ebd.). Der Mensch jedoch soll Gottes Schöpfung bewahren. Das menschliche Leben beginnt mit der „Verschmelzung von Ei- und Samenzelle“ (ebd.: 22), besitzt Würde und verdient Schutz. Somit stellt sich die Mehrheit der kirchlichen Vertreter gegen die verbrauchende Forschung an menschlichen Stammzellen, da hier menschliche Embryonen getötet werden. „In ihren offiziellen Stellungnahmen lehnen die Kirchen jede fremdnützige Forschung an menschlichen Embryonen sowie alle Experimente mit menschlichen Embryonen in grundlegender Weise ab“ (ebd.: 28).

Auch wenn bei einer Vielzahl der deutschen Bevölkerung der Glaube vielleicht eine untergeordnete Rolle spielt, bekennen sich doch über die Hälfte der Deutschen zum Christentum. Unsere Gesellschaft ist von bestimmten Vorstellungen und Werten geprägt, die ihren Ursprung oftmals im Christentum haben, sich in Gesetzen widerspiegeln – Gesetze als Entscheidungen, denen eine gewählte Mehrheit zugestimmt hat, über die diskutiert wurde. Sie besitzen Gültigkeit. Auch die Geschichte prägt eine Gesellschaft und so ergibt sich aus unseren Vorstellungen und unserem Glauben an Demokratie, das Recht auf Leben, an Schutz und Unantastbarkeit der Menschenwürde ein „Menschenbild“, das dem Menschen eine wertvolle Stellung zuschreibt. Das „Menschenbild“ kann dann als Deutungsschema verstanden werden, das durch „Religion“ und „Kultur“ beeinflusst wird und durch das die Welt in einer bestimmten Art und Weise beobachtbar wird. So werden bereits dem Embryo Rechte und Schutz zugesichert, er wird als potentieller Mensch angesehen. Dennoch ist diese Sichtweise auch in Deutschland umstritten, wie der empirische Deutungsteil zeigen wird.

4.2. Südkorea

Südkorea zeigt im Vergleich mit Deutschland unterschiedliche wirtschaftliche und politische Strukturen. Auch die Auffassungen über Beginn und Ende des Lebens und die vorherrschenden Religionen zeigen wenige Übereinstimmungen, wie im Folgenden gezeigt wird.

4.2.1. Wirtschaft und Wissenschaft

Südkorea zählt noch nicht zu den Industrienationen. Dennoch entwickelt es sich rasant in diese Richtung. „Südkorea ist dasjenige Land, das in den vergangenen 15-20 Jahren unter allen Schwellenländern die schnellste und nachhaltigste Entwicklung durchgemacht hat. Das gilt nicht zuletzt auch für sein Bildungs- und Wissenschaftssystem. Die Frage, welchen Beitrag dieses System für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gehabt und weiterhin hat, ist entwicklungs-. bildungs- und wissenschaftspolitisch hochaktuell“ (Weingart 2003: V).

Es gibt dabei zwei Erklärungsansätze zur Bedeutung von Bildung für den erfolgreichen Weg zur Industrialisierung. Die Förderung der Bildung gilt als entscheidend, ebenso eine „wirtschaftspolitische Steuerung der Arbeitskräfte“ (Kim 2003: 91). Als zweiten Ansatz „entdecken heute einige Autoren im Konfuzianismus bzw. Neo-Konfuzianismus ein wichtiges Element, das sowohl zur Bildung individueller Einstellungen, als auch zur gesellschaftlichen Mobilisierung für die Industrialisierung entscheidend beigetragen haben soll“ (ebd.: 91). Doch bevor das heutige Bildungssystem überhaupt möglich war, hatte Korea einen weiten Weg zu gehen:

Korea war vor dem zweiten Weltkrieg von Japan kolonialisiert. Nachdem Japan in diesem besiegt wurde, kam es zu einer Teilung Koreas in Nord- und Südkorea. Nordkorea stand unter sowjetischer Kontrolle, Südkorea erfuhr eine Übergangsregierung unter Amerika und anderen alliierten Staaten. Diese Teilung des Landes wurde zunehmend auch zu einer ideologischen und es bildeten sich zwei unterschiedlich geprägte Räume, die „Republik Korea“ im Süden und die „Demokratische Republik Korea“ im Norden des Landes (vgl. ebd.: 93). Erst nach dem zweiten Weltkrieg erhielt Südkorea somit die Möglichkeit, ein eigenes Bildungssystem unter der amerikanischen Übergangsregierung zu entwickeln. „Die ideologische Basis, die die Bildungspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hat, lässt sich als patriotisch, nationalistisch und nutzenorientiert bezeichnen“ (ebd.: 93). Die Bildung der Bevölkerung ist ausschlaggebend für die wirtschaftliche Entwicklung, so dass die historischen Begebenheiten einen entscheidenden Schritt Südkoreas bedeuteten.

Die Forschung ist in Korea von der gezielten Förderung durch die Politik abhängiger, als es etwa in Deutschland und Amerika der Fall ist. Dies zeigt sich bei vielen Entwicklungsländern im Vergleich mit Industrieländern. Denn „es besteht normalerweise keine ausreichende institutionelle Basis für die heimische Entwicklung der Wissenschaft und Technologie, und deshalb müssen sie von außen erst importiert werden, um die einheimische Entwicklung zu ermöglichen“ (ebd.: 101). Südkorea fördert die Forschung als wichtigen Industriezweig. Dies wird als entscheidender Punkt angesehen, wie sich Südkorea in so kurzer Zeit in diesem Bereich in Konkurrenz mit den großen Industrienationen stellen konnte. So spielt in Korea der Staat eine wichtige Rolle in der Wissenschaft und zeigt „eine enge Koppelung zwischen Forschung und deren industriellen Anwendungen“ (ebd.: 102/103). Diese bemerkenswerte Entwicklung und zunehmende Industrialisierung lenkt die Aufmerksamkeit der Länder nach Korea, besonders nach Südkorea, das immer wieder mit biotechnologischen Erfolgen glänzt. Erscheinen die Experimente von Hwang Woo-suk auch als ethisch bedenklich, es befördert vor allem Südkorea in eine Position auf dem Weltmarkt, die vor ein paar Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte. „Noch vor kurzem galt Südkorea den Bio-Tech- und Wirtschaftexperten als unbeschriebenes Blatt. Das hat sich gründlich geändert. Zielstrebig arbeitet sich das Land an die Weltspitze vor und investiert drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Wissenschaft. Bereits das sichert Korea im internationalen Vergleich eine Spitzenposition“ (Bahnsen/Ulrich 2005).

4.2.2. Gesetzeslage in Südkorea

Südkorea ist eine Republik. Es „ist ein demokratisch regiertes Land mit einer Präsidialverfassung und einem Einkammer-Parlament (Nationalversammlung). Der Präsident ernennt die Minister und - mit Zustimmung der Nationalversammlung - den Premierminister. Er verfügt über ein aufschiebendes Vetorecht gegen Beschlüsse der Nationalversammlung. Gleichzeitig ist er oberster Befehlshaber der Streitkräfte“ (Auswärtiges Amt 2005).

Anfang 2004 gelang es dem südkoreanischen Wissenschaftler Hwang Woo-suk Stammzellen aus geklonten menschlichen Embryos zu gewinnen. Er traf dabei in eine Gesetzeslücke seines Landes hinsichtlich des Klonens am Menschen. Bereits vor dem Experiment versuchte Südkorea ein Gesetz auf den Weg zu bringen, welches das Menschenklonen verbietet. Doch durch die Uneinigkeit verstreichen um die zwei Jahre, in denen kein Gesetz verabschiedet werden kann. 2002 kündigt das „Ministry of Health and Welfare“ ein Gesetz an, das den Transfer des Zellkerns von Körperzellen, mit der Intention menschlichen Klonens, verbieten soll (vgl. Park 2002). Nur nach einer speziellen Prüfung durch ein Ethikkomitee soll die Forschung an Embryonen bis zum 14. Entwicklungstag erlaubt sein. Sofort regen sich Proteste unter den Forschern und Wissenschaftlern im Land. Die Verabschiedung des Gesetzes verzögert sich, da zwischen dem Gesundheits- und dem Wissenschaftsministerium keine Einigung erzielt werden kann. Alle Parteien möchten das reproduktive Klonen verbieten, aber mehr Freiheit beim therapeutischen Klonen.

Mittlerweile (seit dem 1. Januar 2005) existiert ein „law on bioethics“, das die kommerzielle Nutzung von Spermien und Eizellen verbietet. Stammzellforschung ist erlaubt, um Heilmethoden für 18 festgelegte, bisher als unheilbar geltende Krankheiten zu erforschen. Die Gesetzeslage in Südkorea lässt sich, im Vergleich zu anderen Ländern, als liberal bezeichnen. Die Chancen der Forschung, neue Heilmethoden zu entwickeln, aber auch der wirtschaftliche Aspekt, üben Einfluss auf die Politik und die Gesetze aus.

Doch um das in Kraft getretene Gesetz herrscht ebenfalls Uneinigkeit im Lande selbst: „As embryos are recognized as life, it is against the spirit of Constitution regarding respect for human dignity and life to use human embryos for research“ (Bae 2005) [Herv. d. Verf.; Anm. d. Verf.]. Diese Äußerung stammt von Kim Il-su, Professor an der „Korea University“ und Mitglied der „Korean Christian Bioethics Association“. Er verwendet hier als Argument gegen die verbrauchende Embryonenforschung die Würde des Menschen, sowie den Respekt vor menschlichem Leben.

Religiöse Grundsätze bestimmen das „Menschenbild“, es existiert jedoch in Südkorea eine Vielzahl von Religionen nebeneinander, so dass sich eine eindeutige Beschreibung eines „Menschenbildes“ äußerst schwierig gestaltet.

4.2.3. Religion und „Menschenbild“

Korea ist ein Land mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen: Konfuzianismus, Buddhismus und Schamanismus, aber auch Taoismus und das Christentum sind vertreten. Anders als in Deutschland gibt es keine wirkliche Minderheitenposition einer der Religionen. Die wahrscheinlich größte Anhängerschaft in Korea besitzt aber der Buddhismus. Der Buddhismus war vom Jahre 528 bis zum Jahre 1392 n. Chr. Staatsreligion Koreas. Dennoch besitzt diese Religion weniger Einfluss auf die Mentalität der Menschen als es dem Konfuzianismus und Schamanismus zugeschrieben wird (vgl. Kwak 2004: 89). Leben und Tod sind im Buddhismus eng miteinander verknüpft, es lässt sich kaum eine Grenze zwischen diesem Übergang ziehen; sei es der Übergang von Leben zu Tod oder von Tod zu Leben. Das Erreichen des Nirwana ist das höchste Ziel des Buddhismus. Das Nirwana ist der „innere geistige Zustand, den man schon während seines irdischen Lebens durch die geistige Disziplin, nämlich die ‚rechte meditative Konzentration’ erleben kann“ (ebd.: 90). Erst wenn das Nirwana erreicht wurde, hat der Kreislauf von Tod und Wiedergeburt ein Ende, die Seele wird davon erlöst (vgl. ebd.: 91).

Besonders stark geprägt wurde das koreanische Leben durch den Konfuzianismus. Aus ihm lässt sich das Streben nach Bildung und Harmonie in sozialen Beziehungen ableiten. Wichtige Werte sind dabei weniger die Gleichheit, sondern die Anerkennung des zugeteilten Platzes und der Respekt vor den unterschiedlichen Familienbeziehungen (vgl. Aarau/Hur 2001: 24ff). Der Konfuzianismus ist hauptsächlich auf das Diesseits ausgerichtet und beschäftigt sich kaum mit Göttern oder dem Jenseits. Vertreter des Neo-Konfuzianismus äußern sich dagegen eindeutiger zu Leben und Tod. „Sie lehnen (...) ausdrücklich den Glauben an die Weiterexistenz der Toten als Geister bzw. Götter ab. So bringt die Verneinung Gottes selbstverständlich auch die Verneinung geistiger Wesenheiten mit sich, die geistige Unsterblichkeit des Menschen inbegriffen“ (Kwak 2004: 98). Damit unterscheidet er sich vom Schamanismus und Buddhismus, die beide an der „Unsterblichkeit der Seele“ (ebd.: 98) festhalten.

Auch wenn Korea keine Staatsreligion als solche mehr kennt, werden doch die meisten Koreaner von den Religionen, wie Buddhismus und Konfuzianismus, in ihrem Leben geprägt und diese beeinflussen auch die Ethik des Landes bzw. des Einzelnen. Der Schamanismus nimmt innerhalb der Religionen in Korea eine besondere Rolle ein. Er gilt als die älteste Religion in Korea und „bildet seit Urzeiten als Volksglaube der Koreaner ihre religiöse und kulturelle Grundlage. Insbesondere hat er bei der Integration der Fremdreligionen und religiösen Gedanken, nämlich des Buddhismus, Konfuzianismus, Taoismus und Christentums (...) in die koreanische Gesellschaft eine führende Rolle gespielt, wobei er die Basis der Integration bildete“ (ebd.: 86). Spiritualität, Trance, Ekstase und Geisterbeschwörung sind Elemente dieser Religion, es „wird das Verhältnis zwischen Menschen durch den Tod nicht abgebrochen, sondern erhalten, so dass die Lebenden und die Toten wie in ihrem irdischen Leben miteinander verbunden bleiben“ (ebd.: 87).

Der Buddhismus ist vom Glauben an die Wiedergeburt bestimmt. Es stellt sich weniger die Frage nach dem Lebensbeginn, sondern vielmehr wann der Geist , der Bewusstseinstrom, beginnt. Zwar wird das „therapeutische Forschungsklonen (...) von den Buddhisten praktisch durchgängig abgelehnt, (...) wenn sich keine ethische Legitimation (...) findet, können sich Einzelne dennoch, im Wissen um die karmischen Konsequenzen, für eine unheilsame Tat entscheiden (Schlieter 2005: 145). Auch Hwang Woo-suk legt seinen Glauben, den Buddhismus, so aus, dass er ihn in seiner Forschung eher bekräftigt und unterstützt, sein Handeln ethisch rechtfertigt.

Das „Menschenbild“ ist oftmals der Punkt, an dem Konsensbildung kulturübergreifend scheitert. Denn das „Menschenbild“ ist ein Deutungsschema, das durch religiöse und kulturelle Zuschreibungen konstruiert wird. Dabei spielen grundlegende Vorstellung über Beginn und Ende des Lebens und die Einstellung zur Person an sich (z.B. die Beziehung des Individuums zum Kollektiv) eine entscheidende Rolle. Wenn diese folglich divergieren, wird im Diskurs die Bildung eines Konsenses äußerst schwierig. Es herrscht das allgemeine „Nichtverstehen“ des anderen, da die Welt, die uns umgibt, völlig unterschiedliche Beschreibungen erfährt.

Der Umgang mit den Menschenrechten spiegelt oftmals das „Menschenbild“ in einer Gesellschaft wider. Vor allem in asiatischen Ländern werden diese schnell als Erfindung des Westens und als Unterdrückung der eigenen Werte gesehen. „Hyakudai Sakamoto discusses the shape of an ‘Asian bioethics’. He argues that bioethics in the Asian region might be fundamentally different from the Western pattern in its cultural, ethnological and also philosophical basis, reflecting the present day multi-cultural post-modernism. He challenges the universality of human rights for two reasons. First, (...) human rights have neither a theoretical background nor a practical ground in Asia” (Qiu 2004: 3).

In Südkorea verschmelzen somit zum einen mehrere „Menschenbilder“ miteinander, zum anderen können sie auch in Konflikt geraten. Wird die Sicht auf das Menschsein und die Religion zunehmend zu einem individuellen Faktor?

Sich diese unterschiedlichen „Menschenbilder“ und daraus folgenden Deutungsschemata hinsichtlich des Diskurses vor Augen zu halten ist letztlich notwendig, um dessen Strukturen und Entwicklungen in Bezug auf den kulturellen Kontext betrachten zu können. Denn Kultur, Religion und „Menschenbild“ sind aufeinander bezogene und voneinander abhängige Faktoren.

4.3. Internationaler Stand: Entwicklungen und Gesetzeslage

Nicht nur innerhalb der Länder, sondern auch auf internationaler Ebene, wird ein Diskurs über das Klonen und die Stammzellforschung geführt. Die Vereinten Nationen beschäftigen sich bereits seit dem Jahre 1997 mit dem Thema Klonen und versuchen allgemeingültige Regeln zu finden. Dabei teilt sich im Diskurs der Klonbegriff schnell in zwei als sehr different empfundene Begriffe: das reproduktive (Fortpflanzungs-)Klonen und das therapeutische (Forschungs-)Klonen. Es zeigt sich, dass hinsichtlich des reproduktiven Klonens weitestgehend Konsens herrscht, während das therapeutische Klonen strittig ist.

Im Jahre 2003 reichen Amerika und andere Länder eine Konvention gegen das menschliche Klonen ein, eine weitere Gruppe eine Konvention gegen das reproduktive Klonen. Wie sollte man nun weitermachen? Zunächst die Konvention nur über ein Verbot des Fortpflanzungsklonens aufnehmen, später weiter über das Forschungsklonen debattieren, zwei getrennte Konventionen erstellen? Es kam zu einer Vertagung[8].

Ende 2004 wird erneut über zwei Anträge diskutiert. Zum einen der Antrag Costa Ricas („Costa Rica bill“), in dem ein absolutes Klonverbot gefordert wird, zum anderen ein Antrag Belgiens, das reproduktive Klonen zu verbieten. Doch auch hier konnte keine Einigung erzielt werden, da viele Länder einem Teilverbot nicht zustimmen wollten, andere wiederum ein Totalverbot als einzige Verhandlungsbasis ansahen:

„In der ablehnenden Haltung zum Klonen von Säuglingen waren sich die 191 Mitgliedstaaten weitgehend einig; unüberbrückbare Meinungsunterschiede gab es aber zum Klonen von embryonalen Stammzellen für Forschungszwecke. Der Rechtsausschuss der Generalversammlung strebe deshalb nur noch eine allgemeine Erklärung an (...). Seit mehr als einem Jahr konnte der Rechtsausschuss die gegensätzlichen Positionen zu zwei rivalisierenden Vorlagen nicht überbrücken. Ein von 62 Staaten unterstützter Entwurf der Delegation von Costa Rica fordert ein Verbot sämtlicher Formen des Klonens von menschlichem Erbgut. Auch US-Präsident George W. Bush hatte sich im August für ein umfassendes Verbot ausgesprochen. Ein von Belgien eingebrachter Vorschlag wollte das Klonen für wissenschaftliche Zwecke erlauben. Dafür sprachen sich 22 Staaten aus, darunter die meisten europäischen Länder. Als Zünglein an der Waage galten zuletzt die islamischen Länder, die aber ebenfalls nicht zu einer einheitlichen Haltung finden konnten“ (Frankfurter Rundschau online 2004).

So scheitert erneut eine weltweit verbindliche Regelung. Ist ein Konsens überhaupt möglich? Es wird zwar eine Deklaration herausgegeben, um die Regierungen der Länder aufzurufen, alle Formen des menschlichen Klonens zu verbieten, insofern sie der Menschenwürde und dem Schutz menschlichen Lebens entgegenstehen. Doch die Deklaration ist unverbindlich, nicht alle Länder haben dafür gestimmt. Südkorea sieht darin kaum eine Verpflichtung für das eigene Land. Es muss erneut verhandelt werden, legen die einzelnen Länder zudem die Bedeutung etwa vom Schutz menschlichen Lebens und daraus folgende Konsequenzen unterschiedlich aus.

Im Februar 2005 stimmt Südkorea gegen diesen Entwurf einer UN-Deklaration, in welcher die Regierungen dazu aufgerufen werden, alle Formen menschlichen Klonens zu verbieten. Zum einen möchte Korea die Forschung von südkoreanischen Wissenschaftlern schützen, die zu therapeutischen Zwecken durchgeführt wird. Zum anderen wehren sich die Koreaner gegen ein dadurch hervorgerufenes Allgemeinverständnis des menschlichen Lebens: „The South Korean delegation ‚expressed its view that the interpretation of human life lies within each countrie`s discretion,’ read the statementissued by the Foreign Ministry. The ministry said the UN statement has no legal force” (Lee 2005).

Inwieweit bestimmen somit die unterschiedlichen kulturellen und religiösen Auffassungen das Abstimmungsverhalten auf UN-Ebene? Der Antrag von Spanien und Amerika 2003, der ein umfassendes Verbot jeglichen Klonens erhielt, wurde zumindest insbesondere von katholisch geprägten Ländern unterstützt (vgl. Cloning 2005: 3).

5. Theoretischer und methodischer Rahmen

Südkorea und Deutschland unterscheiden sich in ihren wirtschaftlichen Strukturen, in ihrer Gesetzeslage, Religion und ihrem „Menschenbild“. Dennoch haben sie die Uneinigkeit im Land gemeinsam, bei der es um dieselben grundlegenden Themen geht: Die wirtschaftliche Stellung in der Welt, den Status des menschlichen Lebens, Menschenwürde, Vorrang von Forschung oder Schutz des Lebens. Wann beginnt menschliches Leben?

In Deutschland existieren strenge Gesetze, die das Klonen verbieten und Embryos schützen sollen. In Südkorea sollte bereits 2004 ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, um den Missbrauch von menschlichen Zellen und das Klonen von Menschen zu verhindern, es kann aber lange keine Einigung erzielt werden.

Die Frage nach „ethisch“ oder „unethisch“ erscheint im Diskurs als besonders wichtig, sie soll durch den Diskurs geklärt und besonders abgesichert werden. Dafür werden in beiden Ländern bestimmte Institutionen geschaffen, zum Beispiel Ethikkommissionen oder der nationale Ethikrat in Deutschland, um diese Fragen in einem speziellen, angemessenen und kompetenten Forum zu diskutieren. Im empirischen Teil dieser Arbeit werden Fragen der Ethik, der Religion, Wirtschaft und Gesetzeslage noch öfter angesprochen, da sie in den Diskursen immer wieder thematisiert werden. Die Funktion des Faktors Kultur im Diskurs zu ergründen ist dabei die Hauptintention. Daher werden zunächst der theoretische Rahmen und wichtige Begriffe für die Untersuchung näher erläutert, auf den Kulturbegriff und seine Bedeutung eingegangen, sowie entscheidende Begriffe wie Ethik und Moral näher betrachtet. Der Gegenstand der Analyse ist der Diskurs, daher wird anhand Michel Foucaults Diskurstheorie die Bedeutung und Struktur des Diskurses in diesem Zusammenhang vorgestellt (siehe 5.1.), bevor die Methode beschrieben (siehe 5.2.) wird.

5.1. Kultur im Diskurs – Diskurs der Kulturen

Es tauchten bereits Begriffe wie „Kultur“, „Menschenbild“ und „Makroethik“ auf, die nicht als nebeneinander stehende Größen, sondern vielmehr als miteinander verknüpfte und aus einander hervorgehende Elemente verstanden werden müssen. Wie funktioniert deren „Ineinandergreifen“? Um diese Frage klären zu können, die als grundsätzlich für die Fragestellung gesehen werden kann, müssen zunächst theoretische Rahmenbedingungen geklärt werden. Insbesondere der Begriff Kultur ist ein praktisch vielfältig verwendeter, soziologisch jedoch schwer zu fassender Begriff.

5.1.1. Was ist kulturell am Kulturellen?

Der Kulturbegriff ist insoweit problematisch, als dass er begrifflich schwer einzugrenzen ist, er bleibt uneindeutig, beliebig. Luhmann schlägt vor, „Kultur nicht als theoretischen, sondern als historischen Begriff zu führen“ (Nassehi/Saake 2004: 102). Dadurch ermöglicht der Begriff den Vergleich von kulturellen Erscheinungen mit anderen Epochen und somit „sozial-strukturelle Änderungen“ (ebd.: 104) sichtbar zu machen. Die Kultur grenzt von anderen ab, indem verglichen wird, Unterscheidungen getroffen werden. Was ist anders in der „fremden Kultur“, welche Bedeutungsunterschiede von Handlungen, Personen, Gegenständen, Situationen usw. gibt es? Dies ist keine simple Operation. Denn die Plausibilität dieser Vergleiche ist fraglich. Die eigene Kultur wird als Vorlage benutzt, um überhaupt Verbindungen oder Trennungslinien ziehen zu können, wodurch eine verzerrte Perspektive erzeugt wird. Unsere Begriffe entstammen „einem Kontext (...), der dem ‚anderen’ Rahmen nicht gerecht werden“ kann (ebd.: 111). Dadurch kann nur Ähnliches überhaupt verglichen werden, aber etwas völlig Neues , das in unserem Kulturkreis keine Entsprechung hat, kann kaum wahrgenommen oder erfasst werden. Ethnologen benötigen Jahrzehnte, um Bedeutungen in den komplexen Handlungen fremder Völker zu sehen und sie vielleicht im Ansatz zu begreifen.

Das Kulturelle am Kulturellen lässt sich nicht einfach definieren. Einerseits dient der Begriff „Kultur“ in der Praxis des Vergleichs der Abgrenzung, andererseits erscheint auch diese Grenze uneindeutig in ihrer Definition. In der Diskussion um Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbruch oder neuen Technologiemöglichkeiten - wie Embryonenklonen und Stammzellforschung - hat sich die Ethik als Anlaufstation durchgesetzt. Denn in diesen Themengebieten sind Uneindeutigkeiten in Grenzziehungen entstanden sind, die „Experten“ wie Mediziner allein nicht mehr auflösen können, so dass sich ein eigenen bioethischer Diskurs entwickelt hat (vgl. ebd.: 123). Über Ethik und Moral werden Diskurse geführt - wieder in Vergleichen. Im aktuellen Stammzelldiskurs werden zum Beispiel die eigenen Entscheidungen und Regelungen mit den Gesetzen und Argumenten in anderen Ländern verglichen. Immer wieder taucht die Frage nach der „ethischen Richtigkeit“ des Handelns auf.

Das Ethische kann als Medium verstanden werden. In ihm spiegelt sich die Kulturalisierung wider. Denn die Ethik ist ein bestimmter „kommunikativer Erwartungsstil (ebd.: 129). Fremde Völker müssen damit nicht zwingend verstanden werden, sondern nur als Kultur ansprechbar sein. Somit wird die praktizierte Unterscheidung anhand von Kultur gleichzeitig auch wieder vernichtet. Das Problem der kontingenten Anschlussmöglichkeiten wird gelöst, doch gleichzeitig hohe Kontingenz geschaffen: „Verstehen“ bedeutet systemtheoretisch nicht Aufnahme und Weitergabe von Information, sondern die Möglichkeit anzuschließen. „‚Kultur’ zu ‚verstehen’, heißt nur anzuschließen“ (ebd.: 130).

5.1.2. Zur Bedeutung von Kultur und Uneindeutigkeit

Kultur , das ist gewissermaßen der Kitt, der unsere Welt zusammenhält“ (Nassehi 2003: 231) [Herv. d. Aut.; Anm. d. Verf.]. Kultur dient als Bedeutungszuschreibung innerhalb einer Lebenswelt, einer Gesellschaft. Sichtbar wird sie aber erst durch die Konfrontation oder dem „Rechnen“ mit einer „anderen Kultur“ und die Unterscheidung von dieser. Das Bewusstsein, dass beispielsweise gesellschaftliche Strukturen, Bedeutungen und Sinnzuschreibungen jeglicher Gegenstände der eigenen Wirklichkeit auch anders gedacht werden können, macht Kultur als Kultur ansprechbar. Daher erscheint Kultur erst als Kultur, „seit sie gesellschaftliche Erfahrung auch anders möglicher Lebens- und Sozialformen um sich zu greifen begann“ (ebd.: 231). Vielfach bekannt ist die Definition von Kultur und ihrer Bedeutung als ein soziales Vereinfachungsmedium : „Kulturelle Bedeutungssysteme entlasten uns, indem sie uns mit Fraglosem versorgen“ (ebd.: 231). So müssen nicht alle Handlungen und Abläufe in einer Lebenswelt hinterfragt werden, ihre Bedeutung ist den „Zugehörigen“ bekannt, wurde durch die Sozialisation vermittelt. Kultur ermöglicht uns demnach, in einer hochkomplexen Welt den Alltag zu bewältigen, Kontingenz einzuschränken. Doch hier liegt auch die Paradoxie der Kultur. Zum einen dient sie zur Einschränkung von Kontingenz, zum anderen wird durch die Unterscheidung und die „Sichtbarmachung“ anderer Möglichkeiten ständig auf ihre kontingente Grundlage verwiesen. Bezieht man sich nun auf den Vergleich des Diskurses in Südkorea und Deutschland, wird deutlich, dass auch hier durch das Sichtbarmachen des „möglichen anderen“ Kultur konstruiert wird. „Die paradoxe Wirkung des Beobachtungsschemas Kultur liegt in dem Versuch der Kontingenzbewältigung durch Betonung der Kontingenz . Es macht deutlich, dass die Dinge beobachtet werden, d.h. dass man sie auch anders hätte sehen können“ (ebd.: 235) [Herv. d. Aut.; Anm. d. Verf.].

Doch wie wahrt sich Kultur dann ihre Stabilität? Nassehi begründet die Stabilität durch das Ausschließen eines so genannten crossings : „Die andere Seite – der Wilde für den Zivilisierten, der Franzose für den Deutschen, der Prolet für den Bürger, der Protestant für den Katholiken, der Orientale für den Europäer usw. – dient dann dazu, ein crossing auf die andere Seite der Unterscheidung unmöglich zu machen. Das Beobachtungsschema Kultur stabilisiert sich also durch seine Instabilität“ (ebd.: 235) [Herv. d. Aut.; Anm. d. Verf.]. Das heißt, dadurch, dass wir als Deutsche uns als Deutsche sehen und verstehen, uns abgrenzen, indem wir auch die „andere Seite“ sichtbar machen, wird Kultur als Identität erst stabil und das crossing verhindert - durch die Unterscheidung und da gerade die „anderen Möglichkeiten“ notwendigerweise immer „mitlaufen“ (vgl. ebd.).

Im Diskurs um Embryonenforschung lässt sich feststellen, dass beide Kulturen, die sich hier in einem Vergleich gegenüberstehen (Deutschland und Südkorea), sich in „Punkten des Entscheidens“ annähern: Grundlegende Merkmale einer Gesellschaft, wie ihr Wertesystem, das durch Religion mitbestimmt wird und das zu kulturellen Unterscheidungen dienen kann, werden mit neuem Wissen konfrontiert und die Länder sehen sich gezwungen, darauf zu reagieren.. Dieses veränderte Wissen entsteht beispielsweise durch medizinische Neuentdeckungen und Möglichkeiten. Es deutet sich eine Uneindeutigkeit hinsichtlich Grenzziehungen an, die sich als „kultureigen“ beschreiben lassen konnten, nun aber auf beiden Seiten verwischen. Die sich verwischende Grenzziehung bezieht sich hier besonders auf den Beginn des Lebens und dessen zunehmende Uneindeutigkeit per definitionem. Als stringente Argumentation kann nun zum Beispiel auch die Art der Entstehung eines Embryos dienen, sei sie nun „natürlich“ oder „künstlich“. Die natürliche Grenze des Machbaren hebt sich immer mehr auf: „Die Gentechnik destruiert damit die Unterscheidung von Natur und Kultur und zwingt uns dazu, auf Gebieten Entscheidungen zu treffen, die vormals die unverfügbare Grundlage unseres Entscheidens war“ (ebd.: 243). Für Habermas sind Eingriffe in das menschliche Erbgut ebenfalls eine Verwischung der Grenze von Künstlichem und Natürlichem . Verändert Genmanipulation dadurch unsere kulturelle Wahrnehmung? Inwieweit wird unser Selbstverständnis durch das Wissen um die gezielte Veränderung oder Optimierung des eigenen Genoms durch Dritte beeinflusst?

Dies könnte eine Entdifferenzierung unserer Lebenswelt bzw. des „Hergestellten und des von Natur aus Gewordenen“ (Habermas 2001: 83) [Herv. d. Aut.; Anm. d. Verf.] bedeuten. Stammzellforschung verheißt Heilung von Genkrankheiten, doch schnell verschwimmen die Grenzen zwischen negativer und positiver Eugenik. „Mit den humangenetischen Eingriffen schlägt Naturbeherrschung in einen Akt der Selbstbemächtigung um, der unser gattungsethisches Selbstverständnis verändert – und notwendige Bedingungen für autonome Lebensführung und ein universalistisches Verständnis von Moral berühren könnte“ (ebd.: 85).

Eine große Schwierigkeit deutet sich in den Diskursen an, denn wir „sollen genau in den Dimensionen, wo die Grenzen fließend sind, besonders präzise Grenzen ziehen und durchsetzen“ (ebd.: 38). Liegt in der Uneindeutigkeit von Grenzen[9] die scheinbare Unfähigkeit der Länder, sich zu entscheiden, einen Konsens zu finden?

5.1.3. Die Idee einer „Makroethik“ aufgrund „kultureller Sprecher“

Wir haben bereits gesehen, dass der Begriff „Kultur“ ein schwer zu fassender ist. Doch er spielt eine entscheidende Rolle im Diskurs um Bioethik und bei der Notwendigkeit „richtige“ Entscheidungen zu treffen. Insbesondere, wenn im Diskurs kulturübergreifende Entscheidungen gefordert werden. Trotz der Kulturfunktion der Generierung von Erwartbarkeiten und dadurch entstehende Kontingenzeinschränkung, wirkt Kultur als Hindernis für einen Konsens, indem sie als „Letztbegründung“ im Diskurs wirkt. Die Idee einer „Makroethik“ bietet eine Lösung an, die Unterschiede überwinden und eine gemeinsame Grundlage schaffen soll.

Der bioethische Diskurs bringt Sprecher hervor, die ihre je eigene Welt beschreiben. Stellt der Stammzelldiskurs auch einen Diskurs um medizinische Fragen dar, wird doch insbesondere die Ethik als Entscheidungsprinzip benutzt, so dass von einem bioethischen Diskurs gesprochen werden kann. Ethik ist eine wissenschaftliche Disziplin und von Interdisziplinarität geprägt. Dies sind „zwei Gemeinplätze“ (Nassehi 2005: 2), aus denen sich auch eine „praktische Interdisziplinarität ethischen Entscheidens“ (ebd.: 2) ableiten lässt. Das bedeutet, dass gerade Ethik, die sich mit medizinischen und wissenschaftlichen Themen beschäftigt, vielfältige Disziplinen in Anspruch nimmt, um Entscheidungen zu treffen und um diese zu legitimieren. Betrachtet man die Sprecher , die sich hinsichtlich der Embryonenforschung etablieren können, so fällt diese Interdisziplinarität besonders auf: Ob Ärzte, Forscher, Ethikprofessoren, Religionsvertreter oder Politiker: Jede Gruppe besetzt ihre Sprecherposition und so wird das Treffen von Entscheidungen zu einem „interdisziplinären Prozess“ (ebd.: 5). Der Diskurs selbst ermöglicht dabei erst das Auftauchen interdisziplinärer Sprecher.

In Deutschland und Südkorea gehen im Hinblick auf die Vorstellungen über den Menschen an sich, das „Menschenbild“, die Meinungen auseinander. Das „Menschenbild“ entsteht aus den Annahmen über den Beginn und das Ende des Lebens, aber auch durch bestimmte anerkannte Gesetze. So legt Deutschland im Grundgesetz ein „Menschenbild“ fest: Im Artikel 1 zum Schutz der Menschenwürde steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt“ (Grundgesetz 2004: 15). Daraus folgt die Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte (vgl. ebd.).

Nach Nassehi beruhen „ethische Reflexionsformen“ auf bestimmten „Menschenbildern“, die den „Status der jeweiligen Sprecherposition“ (Nassehi 2005: 6) bestimmen. Das „Menschenbild“, auf das ein Sprecher somit Bezug nimmt, generiert die jeweilige Sprecherposition . Die soziologische Forschungsperspektive nimmt dabei das Problem der „Menschenbilder“ zum einen als Frage nach dem „Bild des Subjekts“ (ebd.: 6), zum anderen als die Frage nach den Bedingungen, unter denen „bestimmte Menschenbilder (...) generiert und vorausgesetzt werden“ (ebd.: 6/7) auf. Die Sprecher beziehen sich auf ein bestimmtes Deutungsschema, beschreiben die Welt aus ihrer Perspektive. Dabei spielt das „Menschenbild“, das dieses Deutungsschema widerspiegelt, gerade in Fragen um Embryonenforschung eine wichtige Rolle. Es ergeben sich daraus Gründe für oder gegen diese Forschung. Nassehi sieht als Anknüpfungspunkt ethischer Forschung aber weniger die Gründe, die bei ethischen Problemen relevant werden, sondern vielmehr die empirischen Bedingungen und wie „ethisches Argumentieren und Entscheiden in Praxisformen geschieht, unter welchen Bedingungen welche Formen ethischer Reflexion sich empirisch plausibel behaupten und wer wie und wo als legitimer Sprecher etabliert wird“ (ebd.: 4). Die Sprecher im Diskurs und ihre Legitimität werden durch den ethischen Diskurs erzeugt, in dem nun „Kultur“ als Argument sagbar wird. Es tauchen letztlich Sätze auf, die als kulturelle Sätze bezeichnet werden können, in einem Kontext, der wissenschaftliche Sätze erwarten ließe. Zumindest, wenn ihnen normative Kraft zugeschrieben werden soll. Doch im bioethischen Diskurs etablieren sich Sprecher, die gerade durch kulturelle Sätze Plausibilität erlangen .

Die „Entdeckung der Globalität“ (Beck u.a. 2001: 14) beeinflusst den Diskurs um die Embryonenforschung. „Was früher weiträumig und entfernt erschien, wird im Erfahrungsraum und Erwartungshorizont der Globalität eng, so dass ‚Rechtsverletzungen an einem Ort der Erde an allen gefühlt wird’ (Kant, zum Ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel)“ (Beck u.a. 2004: 15). Wird in Südkorea geklont oder werden in anderen Ländern neue Technologien erprobt, hilft es wenig, sich mit strengen Regelungen und dem Gesetz im eigenen Land zu begnügen. Der Diskurs ist global geworden, Ethik jedoch noch nicht. Nach Nassehi zeigt sich ein Wandel der Bedeutung von Ethik. Diente sie zunächst als „Lösung von Begründungsproblemen“ (Nassehi 2005: 9), wird sie nun zu einer Verfahrensregel bei moralischer Uneinigkeit (vgl. ebd.). Doch funktioniert dies auch auf globaler Ebene, im Sinne einer „Makroethik“? Eine Ethik, die weltweite Gültigkeit besitzt? Eine solche Ethik erscheint nötig, um die „kulturellen Sprecher“ in einem Punkt „zusammen zu führen“. Denn keine Ethik, keine Norm kann sich durchsetzen, wenn sie nicht von allen Betroffenen anerkannt wird. Die Forderung nach einer Makroethik, die ihren Einfluss über Ländergrenzen hinaus ausüben kann, scheint eine gewagte Idee zu sein, um den bestehenden Dissens zu überwinden. Dennoch:

„Keineswegs auf der sicheren Seite, sondern von vornherein auf verlorenem Posten stände aber, wer versuchte, sich gegen den Rest der Welt hinter ‚abendländischen Werten’ einzumauern, im Übrigen unter Ausschluss der utilitaristischen Tradition. Erforderlich wäre (...) eine international zustimmungsfähige Makroethik , die mehr repräsentierte als nur einen kontingenten kleinsten Nenner. Dies gilt um so mehr, als die neuen Technologien in vieler Hinsicht direkt an Fragen des Menschseins rühren, über die schon aus Gerechtigkeitsgründen nicht entschieden werden kann, ohne Zustimmung aller Betroffenen einzuholen. Hierzu zählen nicht nur die heute lebenden Menschen, sondern auch ihre zukünftigen Nachkommen , denen im globalen bioethischen Diskurs advokatorisch eine Stimme gebührt. Das bioethische Prinzip des ‚informed consent’ hätte aus dieser Perspektive nicht nur für individuelle Therapieentscheidungen, sondern auch für die Richtung der Biotechnologie im Ganzen zu gelten“ (Roetz 2004: 87) [Herv. durch Verf.; Anm. d. Verf.].

[...]


[1] Zellkerne enthalten den größten Teil der Erbinformation

[2] Nach der Befruchtung der Eizelle durch ein Spermium beginnt sich die Eizelle zu teilen. In den ersten Tagen bildet sich durch Zellteilung eine runde Zellkugel. Den wenige Tage alten menschlichen Embryo nennt man Blastozyste, eine Hohlkugel aus Zellen. „Sie besteht aus einer äußeren Zellschale, dem Trophoplasten, und der inneren Zellmasse“ (Layer 2005: 1). Diese innere Zellmasse besteht aus pluripotenten embryonalen Stammzellen. D.h., dass aus ihnen fast alle Zelltypen, seien es Muskel-, Nerven- oder Organzellen, entstehen können (vgl. ebd: 1ff).

[3] „Unter geeigneten Bedingungen können sich embryonale Stammzellen in einer Kulturschale unbegrenzt vermehren. Man spricht dann von einer Zelllinie“ (SZ 2005), die bestimmte Charakteristiken aufweist.

[4] Die genetische Übereinstimmung wird durch das Klonen ermöglicht. Theoretisch würde eine solche „Therapie“ wie folgt ablaufen: Dem Patient wird eine Körperzelle entnommen, deren Zellkern in eine gespendete Eizelle eingesetzt wird. Die so entstandene Blastozyste ist damit ein Klon des Patienten und die entnommenen Stammzellen und damit gezüchtetes Gewebe tragen das identische Erbgut des Patienten.

[5] „Als menschlicher Embryo wird der sich aus einer befruchteten Eizelle (Zygote) entwickelnde Organismus bis zum Abschluss der wesentlichen Organentwicklung nach 8 Wochen bezeichnet (Nationaler Ethikrat 2004: 13).

[6] Zur Unterscheidung der Begriffe totipotent, pluripotent und multipotent: „Als ‚totipotent’ werden die ‚Alleskönner’ bezeichnet, aus denen sich ein vollständiger Organismus, ein Individuum entwickeln kann. Die ‚pluripotenten’ Stammzellen gelten als ‚Vieleskönner’, die prinzipiell alle menschlichen Zelltypen entstehen lassen können, jedoch kein Individuum. ‚Multipotente’ Stammzellen schließlich, als sogenannte ‚Mehrfachkönner’, sind in der Lage spezifische Gewebetypen auszubilden“ (Tannert/Wiedemann 2004: 140).

[7] Vgl. Stammzellgesetz 2002

[8] Vgl.: Cloning 2005 und Heimeshoff 2005

[9] Stephan Sellmaier beschreibt in seinem Aufsatz „Entscheidungskonflikte der reflexiven Moderne: Uneindeutigkeit und Ahnungslosigkeit“ die Entstehung von Moralkonflikten und moralischen Dilemmata durch das Phänomen der Uneindeutigkeit am Beispiel der Frage nach dem Todeszeitpunkt: „Die Uneindeutigkeit kommt durch die Plausibilität der verschiedenen Grenzziehungen zustande. Die Frage, wann und ob ein Spender tot ist, so lautet die These, hat keine eindeutige wissenschaftliche Antwort“ (Sellmaier 2004: 151). An dieser Stelle würde auch kein zusätzliches moralisches Wissen weiterhelfen, denn das „Problem besteht in der Unmöglichkeit, die Angemessenheit unseres Handelns festzustellen“ (ebd. 157).

Ende der Leseprobe aus 131 Seiten

Details

Titel
Der Klonkönig von Südkorea - Stammzelldiskurs in Deutschland und Südkorea
Untertitel
Der Faktor Kultur als Hindernis einer allgemeingültigen Makroethik?
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Note
2,00
Autor
Jahr
2004
Seiten
131
Katalognummer
V112233
ISBN (eBook)
9783640120895
ISBN (Buch)
9783640121403
Dateigröße
939 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klonkönig, Südkorea, Stammzelldiskurs, Deutschland, Südkorea
Arbeit zitieren
Tamara Takac (Autor:in), 2004, Der Klonkönig von Südkorea - Stammzelldiskurs in Deutschland und Südkorea, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112233

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