Jazz in Deutschland

Blütezeit und Tiefpunkte in der Zeit von 1919 – 1945


Vordiplomarbeit, 2008

32 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Jazz in der Weimarer Republik
1.1 Die Verbreitung des Jazz
1.2 Musikbolschewismus und Entartung
1.3 Jazz zum Zeitpunkt des Machtwechsels

2 Schlussfolgerung:

3 Jazz im Nationalsozialismus
3.1 Zur Musikpolitik im Dritten Reich
3.1.1 Die Reichsmusikkammer
3.1.2 Die Düsseldorfer Reichsmusiktage
3.2 Nicht Jazz – sondern Swing!
3.3 Die Swing-Jugend – Swing als Form des Widerstandes

4 Warum der Jazz trotz massiver Boykotte am Leben blieb
4.1 Die widersprüchliche „Anti-Jazz-Politik“ des Dritten Reichs
4.2 Erwünschter Jazz in den Konzentrationslagern

5 Fazit

6 Anhang

7 Quellenverzeichnis:
Zeitschriften
Quellen aus dem Internet
Besuchte Ausstellung

8 Bildquellen

Anschauungsmaterial

Vorwort

»Sie wollen keine Walzer, weder langsame noch schnelle. Das Publikum, namentlich die jungen modernen Leute, wollen ausländische Musik und Schlager, 'heiße Foxtrotts' und Swing hören![1] «

Diese Aussage tätigte Tanzlehrer Fred Dieselhorst 1939 – in einem Jahr, als der National-sozialismus seine Blütezeit erreichte.

In dieser Ausarbeitung möchte ich mich mit der Jazzmusik im Nationalsozialismus auseinandersetzen - einer Musikform, die seit ihrer Entstehung Anfang des 20. Jahrhunderts schon immer mit Boykotten und Missachtung zu kämpfen hatte. Nichtsdestotrotz hatte sie auch viele Anhänger und wurde eine wichtige und lukrative Musikform für die Musik-industrie. Den Ursprung der Aversionen gegen Jazzmusik findet man allerdings in Deutschland schon in der Weimarer Republik, weshalb ich auch auf diese Epoche eingehen werde.

Der Swing als eine besondere Unterform des Jazz war wohl die beliebteste Form und setzte sich Mitte der 30er Jahre auch in Deutschland als Musikstil, Tanz und auch als Widerstands-bewegung durch. So kann man behaupten, dass Swingmusik Jazz ist, welcher Erfolg bei der breiten Masse genoss. Diese These wird durch eine Definition von Wolfram Knauer bestätigt:

»Der Jazz ist eine aus dem Zusammentreffen afrikanischer und afro-amerikanischer sowie europäischer Musiktraditionen entstandene Musik vornehmlich improvisatorischen Charakters. Seine direkten Wurzeln liegen in geistlichen und säkularen Musizierformen des 19. Jahrhunderts. Der Jazz entwickelte sich im 20. Jahrhundert von einer im Brauchtum verwurzelten mehr oder weniger regional bedeutsamen Musik (New Orleans) über seine Funktion als Popularmusik (Swing) hin zu einer Kunstmusik mit mehr oder weniger breitem Publikumsverständnis (Bebop, Free Jazz). Die unterschiedlichen Stilrichtungen innerhalb dieser Entwicklung weisen einzelne musikalische und ästhetische Charakteristika auf, die sie als Stile des Jazz identifizieren. Solche Charakteristika sind beispielsweise: Improvisation, swing, eine spezielle Art der Tonbildung und Instrumentenbehandlung, stilistische Indivi-dualität einzelner Musiker, sowie ein Traditionsbezug auf vorhergegangene Stile der Jazzgeschichte.«[2]

Der Swing entstand in den 1920er Jahren als eine Form des Jazz in den schon damals bestehenden Jazzorchestern. „Die stilbildenden Bands – das schwarze Fletcher Henderson Orchestra bzw. die weißen Orchester von Paul Whiteman (1890-1967) und Jean Goldkette (1899-1962) – spielten eine stark durcharrangierte Musik, in der solistischer Freiraum für Jazzmusiker gelassen wurde. ... Solche Orchester der 1920er Jahre, die in der Tradition der Theaterorchester und Bands für große Tanzveranstaltungen standen, waren der eigentliche Ursprung des typischen Swingorchesters der 1930er Jahre. Namen wie Benny Goodman (1909-1986), Duke Ellington, Count Basie (1904-1984), Jimmie Lunceford (1902-1947) u. a. bezeichnen die Ära, in welcher der Jazz die Rolle der populären Musik Amerikas einnahm. Die Swingmusik war in erster Linie ein kommerzieller Erfolg.“[3]

1 Jazz in der Weimarer Republik

1.1 Die Verbreitung des Jazz

Jazz wurde in Deutschland erst nach dem 1. Weltkrieg bekannt. Als Gründe kann man sicherlich den Krieg und die damit verbundenen Wirtschaftssanktionen gegenüber Deutschland nennen. »Der Krieg verhinderte zunächst, daß die ersten Schallplatten mit Jazzmusik aus den Jahren 1917 und 1918 nach Deutschland kamen.«[4] So war es das Jahr 1919, das den Startschuss zu einer regelrechten Tanzwut gab. »Nie wieder ist in Berlin so viel, so rasend getanzt worden.«[5] Jazz war ein geeignetes musikalisches Ausdrucksmittel der Nachkriegsgeneration, welche mit dieser neuartigen Musik auch den Demokratiegedanken und einen Neuanfang verbanden. Nach Jahren der Entbehrung wollten sich viele Menschen wieder vergnügen und hörten, tanzten und lebten Jazz.

Dennoch dauert es bis etwa 1923, bis echter Jazz in Deutschland gespielt wurde. Die angesagten Tanz- und Unterhaltungsorchester knüpften nahtlos an die Art Musik an, die sie vor und während des Krieges gespielt hatten. So wurde beispielsweise an Ragtime und Modetänzen wie Cakewalk, One Step und Pasodoble festgehalten.[6] Hinzu kamen neue Tänze wie Foxtrott und Shimmy, die, vor allem in der damaligen Kulturhauptstadt Europas Berlin, als Jazz empfunden wurden, jedoch es aus heutiger Sicht natürlich nicht sind.

Als ersten deutschen Jazzpionier kann man Eric Borchard (1886 – 1934) nennen. Er engagierte für seine Jazz-Band Musiker aus dem In- und Ausland, um diesen Musikstil in Deutschland voranzutreiben. Ihm nutzen seine amerikanischen Beziehungen, durch die er Noten und Schallplatten erhielt und die ihn schon frühzeitig zum Jazz hinführten. Nach der Gründung seiner „Yankee Jazz Band“ 1920, reiste er 1923 in die USA, um echte amerikanische Jazzmusiker zu verpflichten. Und so schreibt Horst H. Lange in seiner Chronik „Jazz in Deutschland“: »Mit dieser Band begann der Jazz in Deutschland,[...].«[7] Ab diesem Zeitpunkt – 1923, bedingt durch die Währungsreform – wurden dann auch Engagements für aus-ländische Jazz-Musiker lukrativer, so dass sie nun auch in Deutschland zahlreich auftraten, und „echten Jazz“ erklingen ließen, z. B. 1924 Alex Hyde and his New York Orcherstra in Berlin oder das Sam Wooding Orchestra ein Jahr später. Auch Erich Borchard und die Weintraubs Syncopators machten sich einen Namen und spielten als eine der wenigen deutschen Jazzformationen „richtigen“ amerikanischen Jazz auf höchstem Niveau, im Unterschied zu vielen deutschen „Nachahmern“, bei denen sich die Musik eher wie Krach anhörte. So schreibt Heinz Pollack in seinem Werk „Die Revolution des Gesellschaftstanzes“ von 1922: »Tanzmeister und Orchester verbrannten schämig ihre alten Noten[...]kauften sich Kindertrompeten, Kuhglocken, Gitarren und Zündplättchenpistolen und ließen sich frohgemut und heiter als Original-Yazz- oder Shimmy-Band zu hunderten engagieren. Treulichst wurde die Devise befolgt: Keine Destille ohne Jazz-Band![...]Die Melodie ist nebensächlich, Taktschlagen die Losung. Die Wahl der Mittel zum Taktschlagen ist grotesk: Trommeln, Klingeln, Trompeten, Schreckschußpistolen, Posaunen, Blechbüchsen, Pauken, Holzklötze, Gitarren, Kinderquarren, kurz jeder Gegenstand, der beim Draufschlagen oder sonstiger Bearbeitung ein recht durchdringendes Geräusch erklingen läßt, ist ein willkommenes Instrument der Yazz-Band.«[8]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zur Verbreitung des Jazz trug auch maßgeblich die Musikindustrie in Gestalt der Platten-firmen bei. Nachdem 1920 die deutsche Firma Homokord den populären „Tiger Rag“ auf-nahm und die Platte mit einem Etikett mit der Aufschrift Jazz versah, war es die Lindström AG, die 1922 die ersten Platten aus den USA importieren konnte, auf denen wirklicher Jazz zu hören war. Um 1924 begann ein richtiger Konkurrenzkampf, in dem kleinere Firmen wie Acme und USA aber machtlos gegen die großen Plattenlabels Lindström AG und den Eisner-Konzern (beinhaltete die Marken Artiphon, Rensie, Hermaphon, Goldora u. a.) waren. Ab 1925 nahmen dann auch erste Jazz-Besetzungen wie die Ohio Lido Venice Band erste Platten in Berlin auf.[9]

Aber nicht nur die Schallplatte verschaffte dem Jazz in Deutschland einen regelrechten Boom, auch der erste Radiosender ging im Oktober 1923 aus dem Berliner Voxhaus auf Sendung. Und knapp ein halbes Jahr später am 24. Mai 1924 strahlte Radio München die erste Jazzsendung mit dem Titel „Jazzmusik aus dem Regina-Palasthotel“ aus.[10] Es war somit üblich, Jazzkonzerte aus diversen Aufführungsstätten live im Rundfunk zu übertragen. Es muss allerdings angemerkt werden, dass sich nicht der „Hot-Jazz“, sondern eine Mischform aus Tanzmusik, Schlager, Operette und Jazz etablierte. Der für den Jazz musikalisch niveau-vollere „Hot-Jazz“, der vornehmlich von schwarzen Musikern interpretiert wurde, war aufgrund vorhandener rassistischer Geschäftspraktiken der amerikanischen Schallplatten-firmen selten im Radio zu hören.[11]

Das alles führte zu einem regelrechten ersten Jazz-Boom in Deutschland zwischen 1924 und 1929, indem Salonorchester ihr Repertoire amerikanisierten und oftmals die Geige gegen das Saxophon eintauschten, welches von nun an als Symbol für den Jazz stand. Jazz war fortan sowohl in der Oberschicht als auch in der Mittelschicht zugegen, da sowohl Hotels als auch Cafés und Tanzsäle diese Form der Unterhaltung anboten.[12]

1.2 Musikbolschewismus und Entartung

»Nach dem Ende des 1. Weltkriegs und der Niederlage des Deutschen Reichs entwickelte sich zur Zeit der Weimarer Republik ein neuer begrifflicher Gegner – der Bolschewismus.«[13] Dieser Begriff war namensgebend für den Ausdruck „Musikbolschewismus“, »(...) der in seinem inhaltlichen Bezug allerdings nicht die musikalischen Phänomene in Rußland ansprach, sondern sich gegen alle Neuerungen in der deutschen Musik wandte. Futurismus, Expressionismus und Atonale Musik wurden mit Anarchismus, Chaos, Sozialisierung, Im-potenz, Kommunismus und Katzenmusik gleichgesetzt. [...] So war in einer der renommiertesten Musikzeitschriften im Jahre 1919 über Schönbergs Kammersinfonie zu lesen: „Das Werk des Wiener Musikbolschewisten aber erschien völlig ungenießbar, als veritable Katzenmusik“ (Schrader 1919, S. 110)«[14]

Am Beispiel Hans Pfitzners wird deutlich, wie der 1. Weltkrieg dazu führte, dass Musik nationalisiert wurde und Begriffe wie undeutsche oder internationale Musik in Kritiken über entstandene Werke angeführt wurden. So beschrieb Thomas Mann in seinem Werk „Betrachtungen eines Unpolitischen“ aus dem Jahre 1918 zur Uraufführung Hans Pfitzners „Palestrina“:

»Der Komponist . . ., der bis zum Hochsommer 1914 sich um Politik den Teufel mochte gekümmert haben, der ein romantischer Künstler, das heisst: national, aber unpolitisch gewesen war, erfuhr durch den Krieg die unausbleibliche Politisierung seines nationalen Empfindens... Wahrhaftig, dieser Zarte, Inbrünstige und Vergeistigte nahm Stellung gegen den ‹Geist›, erwies sich als ‹Machtmensch›, ersehnte den kriegerischen Triumph Deutschlands, widmete demonstrativ . . . ein Kammermusikwerk dem Grossadmiral von Tirpitz; mit einem Worte: der nationale Künstler hatte sich zum antidemokratischen Nationalisten politisiert.«[15]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Neben dem Begriff Kulturbolschewismus (Musikbolschewismus) festigte sich nach 1918 auch der Begriff „Entartung“, wobei dieser Terminus auch schon früher auftauchte.[16] Später verwendeten nationalsozialistische Theoretiker diesen Begriff dann auf die Norm der Rassengesetze. Hans Werner Henze hingegen definierte den Begriff „entartete Musik“ wie folgt: »Entartete Musik, die ist außer Art geschlagen. Die hat sich von der eigenen Art abgelöst. Ist wie Phönix aus der Asche der Art aufgestiegen. (Den Begriff einer arteigenen Musik assoziieren wir auf Grund von Erfahrungstatsachen und auch unwillkürlich mit blonden Zöpfen, Gaskammern, Mördern, schlechthin mit der Norm). In der Kunst gilt nur die Überwindung der Norm, also die Nicht-Norm, die Entartung: mit ihr fängt Kunst überhaupt erst an zu tönen, zu leuchten, zu sein.«[17]

So setzte sich ab ca. 1928 anstatt „Bolschewismus“ der Begriff „entartet“ langsam durch. Erste Anzeichen für nationalsozialistische Säuberungsaktionen gegenüber „entarteter Kunst“ gab es bereits im Jahr 1930, nachdem die NSDAP mit einem Wahlsieg in Thüringen die Landesregierung übernahm. Paul Schultze Naumburg, der auf Initiative des neuen Volksbildungsminister Thüringens Wilhelm Frick Direktor der Weimarer Kunsthochschule wurde, sowie Hans Severus Ziegler, von 1925 –1031 stellvertretender NSDAP-Gau-Leiter und NSDAP-Theaterreferent in Thüringen, ließen etwa 70 Werke aus dem Weimarer Museum vernichten. Später wurde diese „Säuberung“ ein Vorbild für reichsweite Aktionen ab 1933. Frick selber erließ sogar 1930 das erste lokale „Jazzverbot“ gegen die „von der Republik geförderte entartete Kultur, wie sie sich auch in der Jazzmusik, Juden- und Negerkunst äußert...“ in seinem „Zuständigkeitsbereich“ Thüringen.[18]

Ernst Krenek (* 23. August 1900 in Wien; † 22. Dezember 1991 in Palm Springs, Kalifornien), der 1927 seine Jazz-Oper „Jonny spielt auf!“ in Wien uraufführen ließ, welche in den darauf folgenden Jahren ein Riesenerfolg wurde, musste schon 1928 erste öffentliche Anfeindungen durch Nationalsozialisten ertragen, die seine Musik als „bolschewistisch“ bezeichneten. Jonny, die Hauptfigur der Oper, ist ein schwarzer Musiker. Jonny sollte, obwohl er noch mehr Instrumente beherrschte, durch den Gebrauch des Saxophons den Bezug zum Jazz verdeutlichen. Außerdem stand in der damaligen Zeit das Saxophon als Synonym für Erotik und für das Neue - für den Jazz. Die Oper wurde bis 1928 in nahezu fünfzig Spielstätten Deutschlands und Österreichs aufgeführt und zog auch im fremdsprachigen europäischen Ausland Tausende von Menschen an.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für die Partei Adolf Hitlers geriet sie später zum Sinnbild für die „Verniggerung der abendländischen Kulturwerte“ und den Aufstieg der „schwarzen Rasse“. Wenige Jahre nach dem sensationellen Erfolg der Oper "Jonny spielt auf" wurde das Aufführungsplakat in entstellter Form als Plakat für die Ausstellung "Entartete“ Musik missbraucht.[19]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In einem Flugblatt vom Januar 1928, in dem die „Nationalistische Arbeiterpartei Groß-Deutschlands“ zu einer Protestkundgebung aufrief, war folgendes zu lesen:

»Wiener und Wienerinnen! Die Zersetzung und Vergiftung unserer bodenständigen Bevölkerung durch das östliche Gesindel nimmt einen gefahrdrohenden Umfang an. Nicht genug, daß unser Volk durch die Geldentwertung einer durchgreifenden Ausplünderung zugeführt wurde, sollen nun auch alle sittlich kulturellen Grundfesten unseres Volkstums zerstört werden. Unsere Staatsoper, die erste Kunst- und Bildungsstätte der Welt, der Stolz aller Wiener, ist einer frechen jüdisch-negerischen Besudelung zum Opfer gefallen. Das Schandwerk eines tschechischen Halbjuden, ‚Jonny spielt auf’, in welchem Volk und Heimat, Sitte, Moral und Kultur brutal zertreten werden sollen, wurde der Staatsoper aufgezwungen. Eine volksfremde Meute von Geschäftsjuden und Freimaurern setzt alles daran, unsere Staatsoper zu einer Bedürfnisanstalt ihrer jüdisch-negerischen Perversitäten herabzuwürdigen. Der Kunst-Bolschewismus erhebt frech sein Haupt. Die Schamröte muß jedem anständigen Wiener ins Gesicht steigen, wenn er hört, welch ungeheure Schmach und Demütigung der berühmten Musikstadt Wien durch volksfremdes Gesindel angetan wurde. [...] Christliche Wiener und Wienerinnen, Künstler, Musiker, Sänger und Antisemiten, erscheint in Massen und protestiert mit uns gegen diese unerhörten Schandzustände in Österreich.«[20] Massive Anfeindungen und wüste Proteste verhinderten in Freiburg sogar eine Aufführung.[21]

Ende der 20er Jahre wurde in Frankfurt am Hoch´schen Konservatorium 1928 die erste Jazz-Klasse eingerichtet. Initiator war der Hochschullehrer Bernhard Sekles. In seinem Buch „Musikbolschewismus“ beschreibt Eckhard John die Meinung der Gegner dieser Jazz-Klasse als einen »bittere[n] Einbruch in heiliges Terrain deutscher Musikkultur«.[22] Vor allem seitens der Presse – der Zeitschrift für Musik und der Allgemeinen Musikzeitung – hagelte es scharfe Kritiken. Sicherlich war dies auch ein Produkt der allgemeinen Stimmung in der Musik-kritikerszene, da in dieser Zeit häufig klassisch-romantische Musik in Jazzarrangements verpackt wurde. Der Höhepunkt wurde mit der Verjazzung des Pilgerchors aus Wagners Oper „Tannhäuser“ erreicht.[23] Die Jazz-Klasse blieb jedoch zunächst bestehen.

Die Anfeindungen gegenüber dem Jazz (bzw. der bolschewistischen Musik) fanden ihren Höhepunkt in der Gründung des Kampfbundes für deutsche Kultur (KfdK) im Oktober 1928. Diese „Kulturorganisation“ wurde von Alfred Rosenberg geleitet, der von Hitler den Auftrag zur Gründung erhalten hatte. Zielsetzung war dem abschreckenden Image der NSDAP als einer »putschistischen Radau- und Krawallpartei« entgegenzutreten, um damit den bildungs-bürgerlichen Wählern attraktiver zu erscheinen.[24] »Die Anziehungskraft dieser Organisation im Lager der Völkischen und kulturell unzufriedenen Bildungsbürger entspross – im Gegensatz zu Bekundungen anderer, ähnlich gesinnter Verbände – der (damals) glaubhaften Verheißung, auf kulturellem Gebiet die Initiative zu ergreifen, um eine „reine deutsche Kultur“ wiederherzustellen. Erreicht werden sollte das durch die Installierung von Ortsgruppen, geschickt inszenierten nationalen Feier- und Gedenktagen, vor allem aber durch zahlreiche Agitations- und Vortragsveranstaltungen, bei denen der „Kulturverfall“ scharf anzuprangern war.«[25] »Bis zum Zeitpunkt der Machtübernahme durchzog der Haß auf den Jazz allmählich die Organisationen der NSDAP und wurde folglich im Parteiprogramm fest verankert»[26]

[...]


[1] Zitiert nach Bernd Polster, (Hg): „Swing Heil“ - Jazz, Berlin 1989 S.113

[2] Ludwig Finscher, (Hg), Die Musik in Geschichte und Gegenwart , 2., vollst. neubearb. Ausg. , Stuttgart 2002

[3] Wolfram Knauer, „Jazz“ http://www.jazzinstitut.de

[4] Horst H. Lange, JAZZ in Deutschland – Deutsche Jazz-Chronik bis 1960; 2. Aufl. – Hildesheim; Zürich; New York 1996

[5] Zitiert nach: Cornelius Partsch, Schräge Töne – Jazz und Unterhaltungsmusik in der Kultur der Weimarer Republik, Stuttgart 2000. S. 64

[6] Vgl.: Horst H. Lange, JAZZ in Deutschland – Deutsche Jazz-Chronik bis 1960; 2. Aufl. – Hildesheim; Zürich; New York: Olms- Presse 1996. S. 13

[7] Ebda. S. 13

[8] Heinz Pollack, Die Revolution des Gesellschaftstanzes, Dresden 1922. S. 73 f.

[9] Vgl.: Horst H. Lange, JAZZ in Deutschland, – Deutsche Jazz-Chronik bis 1960; 2. Aufl. – Hildesheim; Zürich; New York. S. 23

[10] Vgl.: Cornelius Partsch, Schräge Töne – Jazz und Unterhaltungsmusik in der Kultur der Weimarer Republik, Stuttgart,. S. 120

[11] Vgl.: Martin Lücke, Jazz im Totalitarismus, Münster 2004. S. 55

[12] Vgl.: Albrecht Dümling, (Hg.), Das verdächtige Saxophon „Entartete Musik im NS-Staat. S. .30

[13] Martin Lücke, Jazz im Totalitarismus, Münster 2004. S. 58

[14] Erika Funk-Hennings/Johannes Jäger: Rassismus und Musik in der Jugendkultur der Skinheads. In: Diss.: Rassismus Musik und Gewalt. Ursachen Entwicklungen Folgerungen, Münster 1995

[15] Zitiert nach: Jens Malte Fischer, Hans Pfitzner und die Zeitgeschichte, Artikel vom 5. Januar 2002 erschienen in der Neuen Züricher Zeitung

[16] Max Nordau beschrieb schon 1892 in seinem Buch Entartung kulturelle Phänomene, Vgl.: Albrecht Dümling, (Hg.), Das verdächtige Saxophon „Entartete Musik im NS-Staat“, 4. Auflage. S. 13

[17] Zitiert nach: Albrecht Dümling (Hg.) Das verdächtige Saxophon „Entartete Musik im NS-Staat“, 4. Auflage. S. 7

[18] Zitiert nach: Horst H. Lange, Jazz in Deutschland – Deutsche Jazz-Chronik bis 1960, 2. Aufl. – Hildesheim; Zürich; New York. S. 72

[19] Vgl.: Ausstellung „Besondere Kennzeichen: Neger“ Schwarze im NS-Staat, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

[20] Zitiert nach: Alenka Barber-Kersovan, Gordon Uhlmann , Getanzte Freiheit; Hamburg 2002. S.29 f.; Vgl. auch: Albrecht Dümling, (Hg.), Das verdächtige Saxophon „Entartete Musik im NS-Staat“, 4. Auflage. S. 18

[21] Vgl.: Albrecht Dümling, (Hg.), Das verdächtige Saxophon „Entartete Musik im NS-Staat“, 4. Auflage, S. 32

[22] Eckhard John, Musikbolschewismus, Weimar 1994. S. 293; Vgl. auch: Martin Lücke, Jazz im Totalitarismus; Münster 2004. S. 59

[23] Vgl.: Martin Lücke, Jazz im Totalitarismus, Münster 2004. S. 59

[24] Vgl.: Rolf Düsterberg 2004: Kampfbund für deutsche Kultur; http://www.polunbi.de/inst/kfdk.html

[25] Zitiert nach: „ Die Saalecker Werkstätten und Paul Schultze-Naumburg“;
http://www.saaleck-werkstaetten.de/paul_schultze_naumburg/radikalisierung.html

[26] Cornelius Partsch, Schräge Töne, 1. Auflage, Stuttgart 2000. S. 221

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Jazz in Deutschland
Untertitel
Blütezeit und Tiefpunkte in der Zeit von 1919 – 1945
Hochschule
Robert Schumann Hochschule Düsseldorf
Note
1,6
Autor
Jahr
2008
Seiten
32
Katalognummer
V112167
ISBN (eBook)
9783640107957
ISBN (Buch)
9783640109722
Dateigröße
1778 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jazz, Deutschland
Arbeit zitieren
Markus Lütticke (Autor:in), 2008, Jazz in Deutschland , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112167

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