Architektur als Zeichen am Beispiel von Daniel Libeskinds Museumsbauten


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff des Dekonstruktivismus

3. Architektur als Text am Beispiel des Jüdischen Museums Berlin
3.1 Architektur als Erfahrung des Anderen
3.2 Der architektonische Text
3.3 Das architektonische Zeichen nach Umberto Eco

4. Grundlegende Gestaltungselemente Libeskinds Museumsbauten
4.1 Die Chaos und Ordnungs-Dichotomie
4.2 Der Form und Funktions-Zusammenhang
4.3 Die Symbole Leere und Labyrinth
4.3.1 Das Felix Nussbaum-Haus – form follows memory

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis.

1. Einleitung

Mitte des 18. Jh. schuf Giambattista Piranesi die wahrscheinlich ersten dekonstruktivistischen Zeichnungen - „skurrile frühe Vorformen autonomer Architektur“ (Pahl 1999: 186). Da er die Begriffe Dekonstruktion und Dekonstruktivismus nicht kannte, wird ihm nachgesagt, im Unterbewusstsein bereits „das ‚Abbauen’ vertrauter baulicher Elemente und ihr Wiederauf-

bauen in veränderter, ungewisser Bedeutung“ voraus gedacht zu haben (vgl. ebd.). Mitte der 80er Jahre des 20. Jh. etablierte sich eine neue Formensprache, die Charles Jencks als „neuer Expressionismus“ bezeichnete (Stöbe 1999 zit. n. Jencks 1988: 93). Frei von einheitlichen und konventionellen Codes entstanden fragmentierte und chaotisch wirkende Formen. Erste Strukturen architektonischer Dekonstruktion wurden in den USA in der zweiten Hälfte der 70er Jahre, z.B. durch Frank O. Gehry und Peter Eisenmann, entwickelt. So fand 1988 die erste und sehr umstrittene Ausstellung Deconstuctivist Architecture im New Yorker Museum of Modern Art statt, an der auch Daniel Libeskind teilnahm (vgl. Pahl 1999: 196).

Libeskind, 1946 in Lódz, Polen, geboren, gilt als international renommierter Architekt und Stadtplaner jüdischen Glaubens. Sein Schaffen reicht von kulturellen Einrichtungen wie Museen und Konzertgebäuden über Landschafts- und Stadtplanungen bis hin zum Entwurf von Bühnenbildern, Installationen und Ausstellungen. Er studierte Architektur an der Cooper Union for the Advancement of Science and Art in New York und erhielt 1970 sein Diplom. Zu seinen Lehrvätern zählten u. a. Peter Eisenmann, Richard Meier, Charles Gwathmey und Steven Holl. An der Universität von Essex, Großbritannien, erhielt er 1971 einen Postgraduierten-Abschluss in Architekturgeschichte und -theorie. Nachdem er 1989 schließlich den Wettbewerb für die „Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum“ gewonnen hatte, eröffnete er 1990 sein Architekturbüro in Berlin. Mittlerweile existieren drei Hauptsitze in New York, Zürich und Mailand. Weltweit arbeiten ca. 140 Angestellte für Libeskinds Architektur. Libeskind erhielt bereits zahlreiche Architektur-Preise und Ehrendoktorwürden und gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Dekonstruktivismus. Weltweite Berühmtheit erlangte er mit seinem Entwurf für den Freedom Tower in New York, mit dem er den Wettbewerb zur Gestaltung des Ground Zero gewann.[1]

Wenn Libeskinds Bauten dekonstruktivistische sind, was sind dann die Zeichen dekonstrukti-vistischer Architektur?[2] Da Libeskinds Architektur zwar als jene deklariert, insbesondere jedoch als textuelle Architektur in architekturtheoretischen Diskurs interpretiert wird, sollen dafür bezeichnende Gestaltungselemente der Museumsbauten Jüdisches Museum Berlin und Felix Nussbaum-Haus in Osnabrück mittels der Theorie der textuellen Architektur nach Peter Eisenmann und des semiotischen Ansatzes nach Umberto Eco betrachtet werden. Die als Zeichen abstrahierten Elemente der Architektur wie Türen, Fenster oder Materialien werden von Daniel Libeskind ganz bewusst eingesetzt. Wie können Zeichen und Symbole des Gebauten deren beabsichtigte Wirkung unterstützen? Was kommunizieren darüber hinaus der grundlegende Zusammenhang von Form und Funktion sowie die Chaos und Ordnungs-Dichotomie über die Gesellschaft bzw. über den Architekten?

2. Der Begriff des Dekonstruktivismus

Der Dekonstruktivismus ist, in Anlehnung an Pahl, keine Epoche, die sich durch einen bestimmten Stil auszeichnet oder eine Gegenbewegung gegen die Moderne und Postmoderne.[3] Vielmehr ist es „eine Möglichkeit zur Darstellung einer geistigen Haltung“ (Pahl 1999: 188).

Der Begriff Dekonstruktion - ein Hybrid aus den binären Oppositionen Konstruktion und Destruktion - wurde von dem französischen Philosophen Jacques Derrida (1930) begründet und aus der Philosophie in den Architekturdiskurs übersetzt. Seit Bernard Tschumi gemeinsam mit Jacques Derrida in den 80er Jahren des 20. Jh. am Projekt „Parc de la Villette“ in Paris zusammenarbeitete, gibt es neben einer textlichen Referenz auch einen persönlichen Austausch zwischen philosophischer Dekonstruktion und architektonischen Dekonstruktivismus. Dekonstruktion gilt als wichtigstes Element des Poststrukturalismus[4] und beruft sich v.a. auf den sprachlich-textuellen und ideologisch-metaphysischen Aspekt von Kultur. Nach Derrida unterliegt Dekonstruktion keiner eindeutigen Bestimmung. Ohne seine Konzepte[5] detailliert zu betrachten, schreibt der Dekonstruktivismus im Wesentlichen zentrale westliche Konzepte und Positionen neu. (Vgl. Nünning 2004: 105)

Dekonstruktion meint nicht die Verneinung von Konstruktion, wie es die Vorsilbe ‚De’ in ihrer sprachlichen Deutung nahe legt. Neben dem Moment der De -struktion enthält er auch einen der Kon -struktion. Dekonstruktion bezeichnet die Ambiguität, Überliefertes zu demontieren mit dem gleichzeitigen Bewusstsein, nicht ohne dieses auszukommen.

Der Annahme, dass Dekonstruktion die Moderne kritisiert und zerstört, setzt Stöbe entgegen, dass Dekonstruktion deren Hintergründe und Strukturen aufdeckt (vgl. Stöbe 1999: 155). Betroffen sind die vorherrschend klassischen Werte, wie z.B. Ordnung, Harmonie, Wahrheit und Schönheit. Eine wirklich moderne Architektur müsse an den Zeitgeist anschließen und so Erfahrungen wie Chaos, Unsicherheit und Entfremdung reflektieren (vgl. ebd.).

Dekonstruktivistische Architektur, so Jacques Derrida, befreit sich von einer vorherrschenden Ästhetik, Schönheit, Nützlichkeit und der Funktionalität der Gebäude (vgl. ebd. zit. n. Derrida: 191). Indem sie Konflikte artikuliert und ästhetisiert, revolutionieren Dekonstrukti-visten die ästhetische Wahrnehmung. Ziel der Dekonstruktion sei es, klassische Bedeutungs- Einheit ab zubauen, um Bedeutungs- Vielheit auf zubauen (vgl. Pahl 1999: 190f). Friesen spricht von einer neuen Ästhetik der Differenz: Dissonante Ordnungen führen zu neuen Ganzheiten in der gesamten Kunstwelt in der ersten Hälfte des letzten Jh.[6] Treffendere Bezeichnungen für den dekonstruktivistischen Stil wären demzufolge De-harmonisierung, De-komposition oder Ent-be-deutung (vgl. Pahl 1999: 191).

3. Architektur als Text am Beispiel des Jüdischen Museums Berlin

Die neue De-konstruktion, so Pahl, erscheint gegenüber der Postmoderne konsequenter[7] und greift in neue Möglichkeiten ein, nämlich, die Architektur als Text zu lesen (vgl. Pahl 1999 zit. n. Eisenmann: 188). Der Dekonstruktivismus ist nach Peter Eisenmann nicht lediglich eine Tätigkeit seitens der Architekten, sondern auch derjenigen, die lesen, die die Gebäude betrachten und den Raum betreten (vgl. Pahl 1999: 195). Es geht dabei um Vieldeutigkeit und dessen, was ‚zwischen’ den unterschiedlichen Bedeutungen möglich ist[8] (vgl. Pahl 1999: 191f). Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in Berlin habe weniger mit Dekonstruktion als mit der Entfaltung der Architektur als Text (dazwischen) zu tun (vgl. ebd.: 272). Den Entwurf betitelte der Architekt mit „Between the Lines“ (Zwischen den Linien). Der Baukörper - ein zerstörter Davidstern bzw. ein einschlagender Blitz - eröffnet den Text, der sowohl von außen als auch von innen zu lesen ist. Der Text teilt die Geschichte der Berliner Juden mit, indem er von deren Leben und Untergang im Holocaust erzählt. Er ist dabei offen im Sinne der Eisenmanschen Theorie. (Vgl. ebd.: 285)

3.1 Architektur als Erfahrung des Anderen

Wie schon Derrida konstatierte, so legt auch Eisenmann Wert auf den Rezipienten. „Der Text wird, was er sein kann, erst mit der Wahrnehmung durch den Rezipienten - beide stehen im Dialog miteinander“ (Pahl 1999: 273). Das Subjekt der Architektur-Betrachtung wird beim Lesen der Architektur zum Objekt des Architektur-Prozesses (vgl. ebd.). Der Besucher wird selbst Teil des Museums.

Fundamentale Ungewissheit, Unsicherheit und Entfremdung des Menschen konstituieren ein neues Weltgefühl. Dadurch führt, so Eisenmann, die Verlagerung des Menschen aus dem Zentrum seiner Welt zu einem veränderten Verhältnis zur Welt der Objekte (vgl. Schwarz 1995: 17). Die Architektur wird nicht mehr durch Bedeutungszuschreibung von den Architekten beherrscht (der normativen Idee eines Ursprungs von Architektur), sondern steht dem Subjekt fremd und schweigend (ohne Beginn und Ende) gegenüber. „Schweigende Objekte“ sind nach Eisenmann autonom und selbstreferentiell (vgl. ebd.: 18). Des Künstlers Rolle ist es nicht mehr, in den Objekten einen zentralen Sinn oder eine zentrale Struktur zu erzeugen. Konventionelle Bedeutungszuschreibungen werden zugunsten eines „neuen Sehens“ durch verfremdende, dislozierende und reduktive Verfahren abgetragen. (Vgl. Schwarz 1995: 18) Eisenmanns post-anthropozentrische Deutung von Subjekt und Objekt interpretiert Schwarz nicht als Verlust, sondern als Erfahrung von neuem. Der Rezipient erfährt ein Gebäude über dessen Nutzung hinaus auch als ein ästhetisches und damit kommunizierendes Objekt. Mit der Einführung von Fiktionen stellt Eisenmann die traditionelle Vorstellung einer stabilen Identität des Ortes in Frage und macht Architektur damit zu einem Ort der Erfindung. Er erfordert einen Leser, der nicht ein „Bedeutungs-zentrum“ zu rekonstruieren versucht, sondern Architektur tatsächlich als „Textfeld differentieller Zeichen“ liest (ebd.: 20).

[...]


[1] Der Entwurf wurde vom Chefarchitekten David Childs inzwischen modifiziert. Zum World Trade Center-Wiederaufbau siehe Christiner P.: http://www.egghof.com/NewYork/wtcneu.htm (Stand: 16.01.2008).

[2] Die Einteilung von Architektur erfolgt in Anlehnung an Schäfers nach verschiedenen Kriterien wie dem vorherrschenden Baustil, der Kunst- und Kulturepoche, dem Zweck und den Funktionen der Gebäude, den vorherrschenden Baumaterialien, den Formen der Raumauffassung sowie nach der Lage und Verbundenheit des Gebäudes mit anderen Gebäuden (vgl. Schäfers 2006: 17f). In der vielschichtigen Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Architekturströmungen kann von Klassifizierungen nicht abgesehen werden. Im 20. Jh. werden Stile durch die Konfrontation des einen Stils mit anderen Stilen bestimmt. Ein festes Zentrum der Stilorientierung existiert nicht mehr. Stile sind vielmehr Systeme der äußeren Differenzierung (zwischen verschiedenen Stilen) und der inneren Differenzierung (innerhalb eines Stils) geworden. (Vgl. Friesen 2006: 2f)

[3] Auf die formalen Ähnlichkeiten dekonstruktivistischer Architektur zum russischen Konstruktivismus, zum italienischen Futurismus und zum deutschen Expressionismus wird in dieser Arbeit kein Bezug genommen.

[4] Der Poststrukturalismus entwickelt sich in den 1960er-1980er Jahren aus der Neudefinition des Struktura-lismus. Bedeutend dabei ist der Rekurs auf die linguistische Wende (linguistic turn), die eine Beeinflussung vieler Wissenschaften von der Linguistik und Semiotik bedeutet.

[5] Derrida wendet sich mit seinen Schlüsselkonzepten der Schrift („écriture“) und der Differenz („différance/

différence“) gegen die logozentrischen Illusionen des abendländischen Denkens. Er wendet sich damit gegen die ‚Präsenz’ einer unmittelbar gegebenen und in der Sprache vergegenwärtigten Wirklichkeit. (Vgl. Nünning 2004: 105)

[6] Während in der Metaphysik die Geschichte der menschlichen Kultur als Einheit gedacht wird, führen Forschungen von Nietzsche und Foucault zu der Erkenntnis, dass das Heterogene Wahrheit bedeute. Mit der Säkularisierung der Ursprungs der Menschheit durch die Abstammungslehre, nicht Gott stehe am Ursprung der Menschheit, sondern die Affen, offenbart sich die angenommene Einheit der Geschichte als eine Vielheit. Eine neue Ästhetik der Vielheit bestimmt das 20. Jh. (Vgl. Friesen 2006: 4)

[7] Während in der Postmoderne bereits die Ganzheit als die zentrale Idee der klassischen Architektur angegriffen wurde, stellt die dekonstruktivistische Architektur alle Ideen der klassischen Architektur in Frage. Sie radikalisiert insofern den Angriff auf das Ganzheitsprinzip, womit in der postmodernen Architektur begonnen wurde.

[8] Die Mannigfaltigkeit kann dabei als neue Dimension von Freiheit gelten oder jedoch problematisch werden. Die Regeln der Einheit, von denen unsere Kultur geprägt ist, erschweren es, Mayne zufolge, die Erfahrung von Unterschiedlichkeit als positiv zu bewerten. (Vgl. Pahl 1999: 193)

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Architektur als Zeichen am Beispiel von Daniel Libeskinds Museumsbauten
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V112160
ISBN (eBook)
9783640107919
ISBN (Buch)
9783640109708
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausgehend von dem Begriff des Dekonstruktivismus, zeigt die semiotische Untersuchung der architektonischen Bauwerke Libeskinds, dass Architektur als Zeichen im Sinne eines polysemen Textes zu einem kulturellen Kommunikationsmedium wird. Anhand des Jüdischen Museums Berlin und des Felix Nussbaum Hauses in Osnabrück wird das Phänomen auf interessante Weise erklärt.
Schlagworte
Architektur, Zeichen, Beispiel, Daniel, Libeskinds, Museumsbauten
Arbeit zitieren
Maria Hillegaart (Autor:in), 2008, Architektur als Zeichen am Beispiel von Daniel Libeskinds Museumsbauten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112160

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