Über Max Webers "Die Stadt"


Seminararbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung: „Die Stadt“, ein Essay der offenen Fragen

2. Eine kurze Zusammenfassung des Essays „Die Stadt“
2.1 „§ 1. Begriff und Kategorien der Stadt“
2.2 „§ 2. Die Stadt des Okzidents“
2.3 „§ 3. Die Geschlechterstadt im Mittelalter und in der Antike“
2.4 „§ 4. Die Plebejerstadt“
2.5 „§ 5. Antike und Mittelalterliche Demokratie“

3. Thematische Einordnung des Essays „Die Stadt“
3.1 „Die Stadt“ als Stadtsoziologie?
3.2 „Die Stadt“ als Herrschaftssoziologie?
3.3 „Die Stadt“ als historische Studie?
3.4 „Die Stadt“ als Religionssoziologie?

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: „Die Stadt“, ein Essay der offenen Fragen

Wohl kein anderer Text Max Webers rief so viele Missverständnisse und Interpretationsschwierigkeiten hervor, wie dessen unvollendeter Aufsatz „Die Stadt“. Über Webers Intention bezüglich dieses Essays wurde viel spekuliert, weit verbreitete Meinung der Weberexperten ist jedoch, dass er in der heutigen Form, als siebtes Kapitel der Herrschaftssoziologie in „Wirtschaft und Gesellschaft“, zumindest in seiner Gesamtheit, thematisch eher fehl am Platz ist.[1] Verschiedene Faktoren erschweren die Interpretation dieses Textes, der in den letzten Ausgaben von „Wirtschaft und Gesellschaft“ unter dem Titel „Die nichtlegitime Herrschaft. (Typologie der Städte)“ zu finden ist, zu Webers Lebzeiten jedoch unveröffentlicht blieb.

Zunächst einmal konnte viele Jahre über die genaue Entstehungszeit des Textes nur gemutmaßt werden, ein Umstand, der die exakte thematische Einordnung in sein Gesamtwerk nicht unerheblich erschwert. Mittlerweile wird jedoch angenommen, dass die Niederschrift in den Jahren zwischen 1911 und 1914 erfolgte.

Zweitens, wenn auch Weber generell dazu tendierte, die „wichtigsten Punkte seiner Argumentation in einem Dschungel von Aussagen zu vergraben“ [2], ist dieser Text für den Leser überdurchschnittlich diffizil. Begründet liegt dies im abrupten Abbrechen, der Neuaufnahme schon behandelter Themen, sowie der Tatsache, dass manche Stellen eher den Charakter von Exzerpten aus der Literatur haben, so dass bisweilen sogar bezweifelt wurde, dass hier überhaupt ein zusammenhängender Text vorläge.[3]

Drittens, der Text wurde im Laufe der Jahre schon in unterschiedlichster Form und unter verschiedenen Überschriften veröffentlicht, diese verlegerische Odyssee steht somit sinnbildlich für die Unsicherheit hinsichtlich der Einordnung in sein Gesamtwerk. Es begann damit, dass Marianne Weber dem Mohr-Verlag mitteilte, dass sie Manuskripte ihres Mannes gefunden habe, darunter einen Aufsatz mit dem Titel „Formen der Stadt“. Erschienen ist dieser Text zunächst jedoch im Jahr 1920 im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik unter dem Titel „Die Stadt. Eine soziologische Untersuchung“, später, unter dem gleichen Titel, in der ersten Ausgabe von „Wirtschaft und Gesellschaft“. Der Privatgelehrte Johannes Winckelmann und zeitweilige Herausgeber von „Wirtschaft und Gesellschaft“ nahm ihn schließlich 1956 unter der, dem Arbeitsplan Webers zum „Grundriß der Sozialökonomik“ entnommenen Überschrift „Die nichtlegitime Herrschaft. (Typologie der Städte)“ als 7. Kapitel in die „Soziologie der Herrschaft“ auf.

Bis heute zählt dieser Essay, den ich im Folgenden aus zweckmäßigen Gründen kurz mit „Die Stadt“ bezeichnen werde, zu den am wenigsten rezipierten Texten Webers, vielleicht auch ein Resultat der Unsicherheit über die eigentliche Absichten, die Weber mit seinen Ausführungen verfolgte. Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, die Essenz seiner Studie über die Stadt herauszuarbeiten um im Anschluss die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten des Textes untereinander abzuwägen.

2. Eine kurze Zusammenfassung des Essays „Die Stadt“

2.1 „§ 1. Begriff und Kategorien der Stadt“

Webers Ausführungen über die Stadt beginnen mit dem Abschnitt „Begriff und Kategorien der Stadt“, in dem er zunächst verschiedene Möglichkeiten einer Begriffsbestimmung von „Stadt“ durchspielt, um sich schließlich schrittweise an eine eigene Definition heranzutasten.

Sein Untersuchungen beziehen sich jedoch nicht auf die Städte der Moderne, er analysiert ausschließlich die Genese der historischen Stadt, wobei Antike und Mittelalter im Zentrum seiner Studie stehen. Bei der Definition von „Stadt“ berücksichtigt Weber sowohl siedlungsgeographische, wirtschaftliche als auch politische Merkmale, betont jedoch, dass nur eine Kombination dieser unterschiedlichen Kriterien eine zufriedenstellende Lösung sei. Eine „Stadt“, heißt für Weber unter anderem eine große Ortschaft, in welcher die „sonst dem Nachbarverband spezifische, persönliche gegenseitige Bekanntschaft der Einwohner miteinander fehlt.“[4] Unter Betrachtung ökonomischer Gesichtspunkte sei die Stadt „eine Ansiedelung, deren Insassen zum überwiegenden Teil von dem Ertrag nicht landwirtschaftlichen, sondern gewerblichen oder händlerischen Erwerbs leben.“[5] Hinzu kommen müsse, laut Weber, eine gewisse Vielseitigkeit der betriebenen Gewerbe und ein regelmäßiger Güteraustausch, also ein „Markt“, auf dem die ortsansässige Bevölkerung einen wesentlichen Teil ihres Alltagsbedarfs befriedigt.[6] Weber unterscheidet hinsichtlich des Merkmals „Markt“ verschiedene Idealtypen von Städten, die sich dadurch unterscheiden, welche Schichten mittels ihrer Kaufkraft die Erwerbschancen der ansässigen Produzenten hauptsächlich bestimmen:

Die Fälle, in denen die Erwerbschancen der Gewerbetreibenden und Händler von Großkonsumenten an Ort und Stelle abhängig sind, fasst er unter dem Typus der „Konsumentenstadt“ zusammen. Dieser Typus kann zwei unterschiedliche Unterformen annehmen, die „Fürstenstadt“, wenn die Einnahmen von patrimonialer bzw. politischer Natur sind, der andere Fall ist die „Beamten- bzw. Rentnerstadt“, in der die Einnahmen aus Gehältern, Pfründen, Rentenquellen etc. stammen.[7] Die entgegengesetzte Möglichkeit, also dass die Kaufkraft für den Markt auf den Erträgen ortsansässiger Erwerbsbetriebe basiert, wird von Weber mit dem Typus „Produzentenstadt“[8] bezeichnet. Eine Sonderform davon ist die „Händlerstadt“, in der die Einkünfte darauf beruhen, dass fremde Produkte am heimischen Markt, oder heimische Produkte nach außerhalb abgesetzt werden.[9] Von all diesen Typen ist die „Ackerbürgerstadt“ abzugrenzen, in denen eine „breite Schicht ansässiger Bürger ihren Bedarf an Nahrungsmitteln eigenwirtschaftlich decken und sogar auch für den Absatz produzieren.“[10] Diese Typologie von Städten bleibt jedoch fragmentarisch. Weber räumt ein, dass er nicht die Absicht hatte, „eine weitere Spezialisierung und Kasuistik, wie sie eine streng ökonomische Städtetheorie zu leisten hätte, vorzuführen.“[11] In den folgenden Abschnitten wird diese Typologie auch nicht wieder aufgegriffen - unvermeidlich für sein methodisches Vorgehen, sein abschließender Hinweis, dass die empirischen Städte fast durchweg als Mischtypen anzusehen sind.[12]

Ferner schreibt er, seine Definition weiterführend, der Stadt eine spezifische Form des Wirtschaftens zu, den Typus der „Stadtwirtschaft“, der idealtypisch im Gegensatz zu den Produktionsverhältnissen des „Oikos“ steht. In der Stadtwirtschaft findet eine Regulierung der Tausch- und Produktionsverhältnisse statt, man findet eine Stadtwirtschaftspolitik, welche die „Stetigkeit und Billigkeit der Massenernährung“ gewährleistet.[13]

Des weiteren sei im Normalfall ein zusätzliches Merkmal von „Stadt“ ursprünglich eine Stadtmauer oder eine Befestigung etwa in Form einer Burg gewesen, womit für Weber die Kennzeichen von „Stadt“, zumindest als universales Phänomen vollständig sind.

Aber: „Nicht jede „Stadt“ im ökonomischen und nicht jede, im politisch-administrativen Sinn, einem Sonderrecht der Einwohner unterstellte, Festung, war eine „Gemeinde“. Eine Stadtgemeinde im vollen Sinn des Wortes hat als Massenerscheinung vielmehr nur der Okzident gekannt.“[14] Als Besonderheit der okzidentalen Stadt kommen nach Weber weitere Merkmale hinzu, der Verbandscharakter, eigenes Gericht und mindestens teilweise Autonomie und Autokephalie, getragen, für Weber besonders wichtig, von einem speziellen Bürgerstand.[15]

Wie es zu dieser okzidentalen Sonderentwicklung kam, skizziert Weber daraufhin jedoch nur in knappen Grundzügen, wesentlich ausführlicher kann man diese Argumente in seinen religionssoziologischen Studien nachlesen. Nach Auffassung Webers gehörten die Stadtinsassen, sowohl rechtlich als auch faktisch, weder in China, Russland, Indien oder im restlichen asiatisch-orientalen Raum, jemals solch einer Stadtgemeinde an. Anhand einiger Beispiele aus Japan, Israel, China und dem vorderasiatisch-ägyptischen Raum beschreibt er die Gründe, warum sich dort keine Stadtgemeinde im okzidentalen Sinne entwickelte. In Japan etwa ließ die Kontrolle durch Beamte der Monarchie eine Selbstverwaltung nur auf Ebene der Berufsverbände oder in Stadtvierteln zu. Besonders Indien und China werden von ihm als Gegenmodelle zur okzidentalen Stadt angeführt, weil hier religiöse Faktoren eine auf „Verbrüderung“ basierende Stadtgemeindebildung im Wege standen. In Indien verhinderte die „erbliche Kastengliederung (...) mit ihrer rituellen Absonderung der Berufe gegeneinander (...) die Entstehung eines Bürgertums (...) ebenso wie die Entstehung einer Stadtgemeinde.“[16] In China blieb der Stadtbewohner durch den dort vorzufindenden Ahnenkult rechtlich der Sippe seines Heimatdorfes an.

2.2 „§ 2. Die Stadt des Okzidents“

In den weiteren Ausführungen über die Stadt vergleicht er nun die antike und die mittelalterliche Stadt und setzt beide gemeinsam zugleich, als spezifische Erscheinungen des Okzidents, vom Orient ab. Eine Reihe von Merkmalen waren ausschließlich im okzidentalen Raum vorzufinden:

Zunächst bildete die persönliche Rechtslage des einzelnen, okzidentalen Stadtbewohners einen Gegensatz zu dem der orientalischen und asiatischen Städte. Alle Städte, soweit die Gemeinsamkeit, entstanden grundsätzlich durch Zuzug und fortwährenden Zustrom Fremder des unterschiedlichsten Standes und sozialen Ansehens. Im Okzident jedoch war die Stadt für diese Menschen, vor allem im Mittelalter, „ein Ort des Aufstiegs aus der Unfreiheit in die Freiheit“[17]. Im Mittelalter zielte eine speziell ausgerichtete Ständepolitik darauf ab das Herrenrecht zu durchbrechen, „ d.h. nach einer verschieden großen, stets aber relativ kurzen Frist verlor der Herr eines Sklaven oder Hörigen das Recht, ihn als Gewaltunterworfenen in Anspruch zu nehmen“[18], der Grundsatz „Stadtluft macht frei“[19] entstand. Aber auch schon in der Antike ermöglichte der geldwirtschaftliche Erwerb in der Stadt dem unfreien Kleinbürger oder Sklaven sich freizukaufen.

[1] Vgl. W. Nippel, Die antike Stadt in Max Webers Herrschaftssoziologie, in: E. Hanke/W. Mommsen (Hg.), Max Webers Herrschaftssoziologie, Tübingen 2001, S. 189.

[2] Vgl. R. Bendix, Max Weber, an intellectual portrait, New York 1962, S.XXI.

[3] Vgl. W. Nippel, Max Weber und die okzidentale Stadt, in: Berliner Journal für Soziologie, Heft 3, 1995, S. 361.

[4] Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (WuG), Frankfurt am Main, 2005, S. 923.

[5] Ebd.

[6] Vgl. WuG, S. 924.

[7] Vgl. WuG., S. 925f.

[8] Ebd.

[9] Vgl. ebd.

[10] WuG, S. 927.

[11] Ebd.

[12] Vgl. WuG, S. 927.

[13] WuG, S. 929.

[14] WuG, S. 934

[15] Vgl. WuG, S. 934f.

[16] WuG., S. 937.

[17] WuG, S.942.

[18] WuG, S. 943.

[19] Ebd.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Über Max Webers "Die Stadt"
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V112141
ISBN (eBook)
9783640107858
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Webers, Stadt
Arbeit zitieren
Thomas Puchta (Autor:in), 2007, Über Max Webers "Die Stadt", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112141

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