Mafia und Büro

Gemeinsame organisationale Rollen der Komplementärorganisationen Mafia und Büro innerhalb moderner Gesellschaften aus neomarxistischer Perspektive


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

33 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Kurt Tucholsky: „Das Mitglied“ (Tucholsky 2001: 501f.)
1.2 Vorgehensweise und Vergleich

2. Organisationstheorie als kritische Theorie der Gesellschaft

3. Organisation als Institution

4. Analyseinstrument
4.1 Theoretische Strukturprinzipien der kapitalistischen Produktionsweise
i. Asymmetrische Akkumulation
ii. Auslagerung
iii. Konsensuelle Einbindung
4.2 Empirische Organisationsprinzipien
i. Ordnungsprinzip
ii. Gebildeprinzip
iii. Vergemeinschaftungsprinzip
4.3 Rolle der Organisationsform in der kapitalistischen Gesellschaftsformation
i. Ordnungsprinzip/ Asymmetrische Akkumulation
ii. Ordnungsprinzip/ Auslagerung
iii. Ordnungsprinzip/ konsensuelle Einbindung
iv. Gebildeprinzip/ asymmetrische Akkumulation
v. Gebildeprinzip/ Auslagerung
vi. Gebildeprinzip/ konsensuelle Einbindung
vii. Vergemeinschaftungsprinzip/ asymmetrische Akkumulation
viii. Vergemeinschaftungsprinzip/ Auslagerung
ix. Vergemeinschaftungsprinzip/ konsensuelle Einbindung
4.4 Inkludierende Exklusion
4.5 Klaus Türks organisationaler Herrschaftsbegriff

5. Mafia als Organisation
5.1 Entstehung der organisierten Kriminalität
5.2 Merkmale der Mafia

6. Büro als Organisation
6.1 Genese der Bürokratischen Organisation
6.2 Merkmale der bürokratischen Organisation
6.3 Webers Menschenbild

7. Analyse
7.1 Genese von, und Herrschaft in, Mafia und Büro
7.2 Klaus Türks Rollen von Organisation in einer kapitalistischen Gesellschaftsformation
7.3 Türks Konstrukt der inkludierenden Exklusion

8. Synthese

9. Schluss

Literaturliste

1. Einleitung

1.1 Kurt Tucholsky: „Das Mitglied“ (Tucholsky 2001: 501f.)

In mein´ Verein bin ich hineingetreten,
weil mich ein alter Freund darum gebeten,
ich war allein.
Jetzt bin ich Mitglied, Kamerad, Kollege -
das kleine Band, das ich ins Knopfloch lege,
ist der Verein.

Wir haben einen Vorstandspräsidenten
und einen Kassenwart und Referenten
und obendrein
den mächtigen Krach der oppositionellen
Minorität, doch die wird glatt zerschellen
in mein´ Verein.

Ich bin Verwaltungsbeirat seit drei Wochen.
Ich will ja nicht auf meine Würde pochen -
ich bild mir gar nichts ein ...
Und doch ist das Gefühl so schön, zu wissen:
sie können mich ja gar nicht missen
in mein´ Verein.

Da draußen bin ich nur ein armes Luder,
Hier bin ich ich - und Mann und Bundesbruder
in vollen Reihn.
Hoch über uns, da schweben die Statuten.
Die Abendstunden schwinden wie Minuten
in mein´ Verein.

In mein´ Verein werd ich erst richtig munter.
Auf die, wo nicht drin sind, seh ich hinunter -
was kann mit denen sein?
Stolz weht die Fahne, die wir mutig tragen.
Auf mich könn´ Sie ja ruhig "Ochse" sagen,
da werd ich mich bestimmt nicht erst verteidigen.

Doch wenn sie mich als Mitglied so beleidigen ... !
Dann steigt mein deutscher Gruppenstolz!
Hoch Stolze-Schrey! Freiheit! Gut Holz!
Hier lebe ich!
Und will auch einst begraben sein
in mein`Verein.

Kurt Tucholskys Gedicht „Das Mitglied“ (original verf. 1926) ist in der Hochzeit der demokratisch-kulturellen Entwicklung der Weimarer Republik einerseits und dem Beginn des breitenwirksamen Emporkommens von politischen Massenorganisationen wie der NSDAP andererseits verfasst und dreht sich um die Wechselwirkungen von Individuum und Kollektiv, hier dem Verein[1] und seinem Mitglied. Es zeigt wesentliche Veränderungsprozesse des Menschen innerhalb von Organisation.

Aus dem Menschen wird in Tucholskys Verein ein „Mitglied, Kamerad, Kollege“, der durch ein Abzeichen (Band im Knopfloch) identifizierbar wird (1. Strophe). Das Mitglied bekleidet ein Amt, es ist Verwaltungsbeirat und unterwirft sich dadurch einer Fremddefinition durch den Verein; es kommt zur Identitätsbildung innerhalb dieser Rolle (3. Strophe). Die Mitgliedschaft führt zur persönlichen Aufwertung in der Gruppe („Da draußen bin ich nur ein armes Luder,/ Hier bin ich ich - und Mann und Bundesbruder“; 4.Strophe) und bewirkt eine arrogante Perspektivität auf alle Nicht-Mitglieder („Auf die, wo nicht drin sind, seh ich hinunter –" ; 5. Strophe). Am Ende der Entwicklung und des Gedichts steht die absolute Verschmelzung mit dem Verein bis in den Tod: „Hier lebe ich!/ Und will auch einst begraben sein/ in mein`Verein.“ (5. Strophe).

1.2 Vorgehensweise und Vergleich

Veränderungsprozesse des Menschen durch Organisierung, und speziell deren gesamtgesellschaftliche Bedingtheit, stehen auch im Mittelpunkt dieser Arbeit. Sozialwissenschaften, die diese Bezeichnung verdienen, denken individuelle und organisatorische Phänomene in Bezug auf Gesellschaft. Die Neomarxisten im speziellen begreifen Gesellschaft als Totalität. Konsequenterweise soll aus dieser Perspektive die These vertreten werden, dass auf Grund der gesellschaftlichen Bedingtheit von jeder Organisationsform, egal ob sie jetzt Büro oder Mafia heißt, gemeinsame Rollen dieser beiden Organisationen in Bezug auf die Gesamtgesellschaft und die in ihr lebenden Individuen bestehen, da beide, Organisationen und Individuen, in einer kapitalistischen Gesellschaftsformation gesellschaftlich geprägte Grundmuster reproduzieren. Oder, positiv ausgedrückt, es Gemeinsamkeiten struktureller Art gibt. Diese Extremthese soll, an Hand von Türks ‚Organisationsrollen in einer kapitalistischen Gesellschaft’ (Türk 1997: 124ff.) als Analyseinstrument, verifiziert oder falsifiziert und damit auch in ihren Grenzen aufgezeigt werden.

Als Vergleichsbasis benutze ich eine idealtypische Gegenüberstellung von Mafia und Büro. Es werden also zwei polarisierende Sammelbegriffe, Büro, als heute in unserer Gesellschaft weitverbreitete und stark formalisierte Organisationsform, und Mafia, eine illegale Randerscheinung gesellschaftlicher Organisationsformen, in Bezug auf drei Vergleichskategorien miteinander verglichen. Beide Begriffe werden im weiteren Sinne idealtypisch verstanden. Ich beziehe mich in Bezug auf das Büro auf Max Webers bürokratische Organisation i.w.S. als Form von formaler Organisation. In Bezug auf die Mafia beziehe ich mich auf die Erscheinung organisierter Kriminalität der drei Formen süditalienischer Provenienz; in ihrer Entstehungsgeschichte und ihren Kernmerkmalen herausgearbeitet an Hand von Ciro Krauthausen und Niklas Luhmann (vgl. Kap. 5 und 6). Die Idealtypisierung ist schon aus Gründen der Überbrückung von Historizität und der generellen Vergleichbarkeit notwendig. Ich kann mich dadurch weitestgehend auf eine kurze Genese der beiden Organisationsformen und deren theoretische Strukturmerkmale beschränken.

Als Vergleichskategorien dienen

1. Genese von, und Herrschaft in, Mafia und Büro;
2. Klaus Türks Rollen von Organisation in einer kapitalistischen Gesellschaftsforma- tion;
3. Türks Konstrukt der inkludierenden Exklusion.

2. Organisationstheorie als kritische Theorie der Gesellschaft

Als Soziologe vertritt Klaus Türk die Vorstellung, dass eine institutionalistische Organisationstheorie eine kritische Theorie der Gesellschaft sein soll. Organisationen befinden sich danach innerhalb der Gesellschaft und sind auch nur darin und nicht losgelöst von ihr denkbar. Er denkt Gesellschaft totalitär. Türk vertritt die Ansicht, dass die Organisationstheorie und –Soziologie nicht primär an der Unterstützung der Organisationsherren interessiert sein soll. Er geht von folgenden zwei Thesen aus:

1. „Als Teilkontexte des gesellschaftlichen Ganzen lassen sich Organisationen nur in Relation zu den gesamtgesellschaftlichen Eigenheiten bestimmen und verstehen; in den organisationalen Kontexten selbst müssen die wesentlichen Momente der gesamtgesellschaftlichen Eigenheiten aufweisbar sein.
2. Da Organisationen selbst wesentliche strukturelle Momente der Gesellschaft sind, muss zeigbar sein, worin das strukturierende Moment der Organisationsform (der Organisationen) im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft liegt.“ (Türk 1997: 127)

Aus beiden Thesen zusammen ist die Rekursivität der Türkschen Vorstellung erkennbar. Einerseits finden sich in den Organisationen Merkmale der Gesamtgesellschaft (i.e. bei Türk der kapitalistischen Gesellschaftsformation), andererseits wird die Gesamtgesellschaft durch die Organisationsform ihrer Organisationen strukturiert und reproduziert. Es kann von einer Internalisierung gesamtgesellschaftlicher Gegebenheiten in den Organisationen einerseits und der Institutionalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch Organisationen andererseits gesprochen werden. Es geht um die rekursive Konstitution von Organisationsform (d.h. Form der Organisierung von Organisationen) und kapitalistischer Gesellschaftsformation - die Form des Organisierens in kapitalistischen Gesellschaften (und umgekehrt). Zur Darstellung dieser wechselseitigen Bedingtheit verwendet Türk ein Institutionenkonzept[2].

3. Organisation als Institution

Der Begriff der Institution soll die Zusammenhänge zwischen Organisation und Gesellschaft aufzeigen. Diese ‚institutionalistisch informierte Organisationstheorie’ (Türk 1997: 158) dient als Grundlage für das in dieser Arbeit verwendete Analyseinstrument. Die Institutionenkategorie soll dabei helfen, Organisationen und ihre Aufgaben in der Gesamtstruktur der Gesellschaftsformation des modernen Kapitalismus zu verorten. Die Grundzüge dieser organisationssoziologischen Institutionentheorie werden in diesem Kapitel erläutert.

Der Begriff der Institution soll die wesentlichen Strukturausprägungen der Gesellschaftsformation[3] ‚moderner Kapitalismus’ bezeichnen. Institutionen sind in diesem Zusammenhang ein Typ von die Gesellschaftsformation charakterisierenden dominanten Strukturprinzipien. Beispiele für die Strukturprinzipien der Gesellschaftsformation Kapitalismus ausmachenden Institutionen sind, neben der Organisationsform, die Institution der Unantastbarkeit des Privateigentums, die der Familie die des Amtseides oder die Institution der Beschwörung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Dementsprechend sind Institutionen bei Türk wie folgt definiert: "Institutionen sind relativ erfahrungsresistente gesellschaftlich hegemoniale Beschreibungen 'idealtypischer' Art, die der Konfigurierung und (Re-) Interpretation von Ereignissen, Strukturen und Prozessen dienen, und sie haben insofern eine reproduktive Funktion im Hinblick auf die zentralen Strukturprinzipien und die aus ihnen resultierenden Strukturen". (Türk 1997: 159) Institutionen stellen also ideologische Formen für gesellschaftliche Strukturierung bereit und sind als solche formativ und sinngebend. Sie lassen sich auch als herrschende Dogmen bezeichnen. Die Institutionen sind idealtypisch, d.h. sie lassen sich als ideologische Versprechungen deuten, die immer in einer Differenz zur vorgefundnen Wirklichkeit stehen. Die Differenz zwischen idealtypischer Institution und vorgefundener Wirklichkeit ist erklärungsbedürftig, z.B. durch Anomalie, Versehen oder Irrtum.

Eine institutionelle Analyse durchführen heißt somit für Türk: Gesellschaftliche Sachverhalte durch Rekurs auf Strukturprinzipien und den dahinter stehenden Institutionen der untersuchten Gesellschaftsformation zu erklären. Hierzu benutzt er den Begriff der Institutionen als strukturbildende Ideologie. Die Organisationsform selbst wird als eine wesentliche Institution der kapitalistischen Gesellschaftsformation verstanden. Es wird die Institutionalität von Organisation zum Thema gemacht. Eine institutionalistische Analyse von Organisation fragt danach,

1. ob und inwieweit sich in der Organisationsform wesentliche Prinzipien der Gesellschaftsformation befinden und
2. welche gesamtgesellschaftlich strukturierende Funktion den Organisationen zukommt.

Die Antwort auf die erste Frage stellt das im Folgenden dargestellte Analysekonzept dar, da dieses die Rolle der Organisationsform innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation beschreibt. Die Antwort auf die zweite Frage soll in dieser Arbeit vor allem Aufschluss über den Begriff der Herrschaft im rekursiven Zusammenhang zwischen der Gesellschaftsformation und ihren Organisationen Mafia und Büro samt deren Organisationsformen geben.

4. Analyseinstrument

Wie baut Klaus Türk den Rückbezug der Organisationsform auf die Gesellschaftsformation und umgekehrt? Wie ist es ihm möglich, das wechselseitige Verhältnis von Organisation und Gesellschaft zu beschreiben?

Ausgehend von dem mit dem Institutionenmodell beschriebenen Gedanken zeigt Türk auf der Grundlage zweier Variablen, dass strukturelle Formenkorrespondenzen zwischen der Gesellschaftsformation und deren Organisationen bestehen. Durch die Kreuztabellierung von theoretischen Strukturprinzipien der kapitalistischen Produktionsweise einerseits, und andererseits durch die empirisch am Handeln von Menschen orientierten Organisationsprinzipien, versucht er, zur Rolle von Organisationen innerhalb des kapitalistischen Gesellschaftssystems zu gelangen. Sowohl die aus der neomarxistischen Theorie generierten theoretischen Strukturprinzipien, als auch die an der Empirie orientierten Organisationsprinzipien müssen als gesetzte, sprich unabhängige Variablen gelten. Die abhängige Variable stellt als Ergebnis die Rollen von Organisation in einer kapitalistischen Gesellschaftsformation dar. Diese werden in Kapitel 7 dieser Arbeit an Hand der Empirie der zwei Organisationen Mafia und Büro getestet.

4.1 Theoretische Strukturprinzipien der kapitalistischen Produktionsweise

Türk generiert drei theoretische Strukturprinzipien der Gesellschaftsformation des modernen Kapitalismus: erstens das Phänomen der asymmetrischen Akkumulation; zweitens die Auslagerung und drittens das Phänomen einer spezifischen Form der konsensuellen Einbindung der Subjekte. Allen drei Prinzipien ist gemein, dass sie sich mittels Modi der Trennung manifestieren: der Trennung von Produktion und Aneignung im Falle der asymmetrischen Akkumulation; der Trennung von Lebensbereichen im Falle der Auslagerung; und der Trennung der Subjekte in Segmente von Rollen im Falle der konsensuellen Einbindung. Türk definiert ‚Organisation’ konsequenterweise, in Bezug auf seinen formenkorrespondentischen Ansatz, an Hand ihrer trennenden Funktionen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation: „Organisationen gelten als ausgelagerte legitime gesellschaftliche Orte der funktionalen Spezialisierung, der Akkumulation von Ressourcen und der entlastenden Rollentrennung bzw. Rollendistanz.“ (Türk 1997: 169) Im folgenden werden die drei kapitalistischen Strukturprinzipien einzelnd erläutert.

i. Asymmetrische Akkumulation

Türk geht bei diesem Strukturprinzip von dem neomarxistischen Theorem der kapitalistischen Triade aus. Es besagt, dass es in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise und damit dem System der Warenzirkulation zu expropriierender Bereicherung durch die Akkumulation von Kapital kommt. Dies beruht auf der Ungleichheit der Tauschpartner und deren Möglichkeit, Kredit von einer Drittpartei aufzunehmen. Im Unterschied zur einfachen Warenzirkulation können die Wirtschaftssubjekte grundsätzlich nicht alle den gleichen Status einfacher Warenproduzenten haben. Sie können weder alle Kapitalisten, noch Lohnarbeiter, noch zuschießende Dritte sein. (Türk 1997: 171) „Das kapitalistische System ist insgesamt als eine Struktur aufzufassen, die diese Dreiteilung zwischen aneignender Einheit, ausgebeuteter Einheit und ‚zuschießender Drittpartei’ konfiguriert.“[4] (ebd.) Somit verkörpert Dreistelligkeit ein wesentliches Strukturprinzip der kapitalistischen Produktionsweise. In der Dreistelligkeit liegt auch der Ursprung der organisationalen Funktion der Exklusion. Die Organisationen sind explizit legitimiert, Menschen auszuschließen. Sie bilden personelle Präferenzstrukturen aus und schließen damit Menschen mit davon unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen aus.

ii. Auslagerung

Als zweites Strukturmerkmal der kapitalistischen Gesellschaftsformation führt Türk die Auslagerung ein. Durch Auslagerung sind Staat und Gesellschaft verkoppelt. Dies geschieht über die Organisationen. Diese ermöglichen legale Subsystembildung. Funktionseliten bilden nach Türk durch Organisierung ihrer Interessen institutionelle Arrangements von Staat und nicht-staatlichen Organisationen. Diese Arrangements „erhalten ihre spezielle Legitimation aus der instrumentell-ideologischen Auslagerung wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche in sog. ‚funktionale Subsysteme’“ (ebd.: 169). Erst durch formale Organisierung wird diese Dislokation möglich, gerade weil der größte Teil der Bevölkerung in die Organisationen als Personal, Mitglieder oder Klienten miteingebunden ist.

Hand in Hand mit der Auslagerung durch Organisationen in kleinere gesellschaftliche Teilbereiche gehen monofunktionale Zielspezifizierungen, zuerst in gesellschaftlichen Teilbereichen (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft etc.) und analog dazu in deren Organisationen. Der Mechanismus der Zielspezifizierung/Monofunktionalisierung dient den Organisationen als Legitimation zur Exklusion aller derjenigen Individuen, die nicht mit dem jeweiligen Teilziel in Verbindung stehen. „Organisationen sind diejenigen gesellschaftlichen Modi, über die überhaupt Exklusionen vollzogen werden.“[5] (ebd.: 170)

Türk sieht zusammenfassend die Auslagerung moderner kapitalistischer Gesellschaften über die Organisationsform gewährleistet. „Die Organisationsform ist der strukturell entscheidende Modus der ‚Zivilgesellschaft’.“ (ebd.: 169) Sie verkoppelt Staat und Gesellschaft durch ihre Schaffung von korporatistischen Vernetzungen und qua faktischer konsensueller Einbindung des größten Teils der Bevölkerung. Organisationen sind der Modus, „über den nichtstaatliche Eliten sich Einfluss auf Regierung und Gesetzgebung verschaffen“(ebd.). Türk belegt dies mit der Tatsache, dass alle Organisationen staatlich geregelt sind und es somit keine systemfeindlichen Organisationen gibt. Die Organisation Mafia betrachtet er als parasitär, „sie ‚lebt’ gerade von den legitimen Strukturen des Systems.“ (ebd.: FN 25) und gilt damit als nicht-systemfeindlich.

iii. Konsensuelle Einbindung

Konsensuelle Einbindung ist das Ergebnis der Unterordnung des überwiegenden Teils der Bevölkerung unter die Institutionen von Markt und Organisation. Das Strukturmerkmal der konsensuellen Einbindung stellt den Bezug der kapitalistischen Gesellschaftsformation und ihrer Organisationsformen zum Individuum her. Der Zwang zur institutionellen Subsumption des Individuums unter Organisationen rührt spätestens aus dem Zwang zur Unterhaltssicherung in der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Und diese Subsumption führt zur Herausbildung sog. ‚organisationaler Persönlichkeiten’. Türk rekurriert dabei namedroppend auf Webers ‚Fachmenschentum’, Sombarts ‚Bourgeois’, Foucaults ‚disziplinierte Subjekte’, Fromms ‚kapitalistische Persönlichkeit’ u.s.f. (Türk 1997: 173). Es kommt der Gedanke gesellschaftlicher Totalität auch hier zum Vorschein: Die sich aus den gesellschaftlichen Grundbedingungen ergebende Organisationsform spiegelt sich in der Subjektform wieder und führt zum modernen Habitus. Es bestehen, anders ausgedrückt, Formenkorrespondenzen zwischen Organisations- und Subjektform.

Die Gemeinsamkeit aller von Türk aufgeführten modernen Habiti und deren psychischer Strukturen besteht nach diesem, unter der Bedingung einer kapitalistischen Gesellschaftsformation, in einer bestimmten Form von Trennung. Aufgeführt werden, als speziell kapitalistische Trennungsformen: Distanzformen, Rollentrennungen, Ichspaltungen, Entfremdungen, Rationalisierungen, Regiditäten.

Als Folge der Exklusionsfunktion von Organisationen werden von diesen solche Persönlichkeitsausprägungen favorisiert, die in besonderer Weise mit den Formcharakteristika der Organisation korrespondieren. Diese Selektivität wirkt verstärkend und exkludiert Menschen mit abweichenden Persönlichkeitsstrukturen.

4.2 Empirische Organisationsprinzipien

Die von Türk beschriebenen Organisationsprinzipien sind, im Gegensatz zu den theoretisch generierten Strukturprinzipien, empirisch am Handeln von Alltagsakteuren gewonnene Konzepte. Die handelnden Personen stellen das soziale Muster Organisation durch koordiniertes Verhalten her und reproduzieren es fortwährend, eben durch die wiederholte Orientierung an, und spezifische Kombinierung von den selbstproduzierten Mustern. Als die drei dominanten Muster führt Türk die Organisationsprinzipien Ordnungsprinzip, Gebildeprinzip und Vergemeinschaftungs-prinzip an.

[...]


[1] Die Namen Stolze-Schrey lassen darauf schließen, dass Tucholsky auch einen Mitte der zwanziger Jahre florierenden Kurzschriftverein im Sinne hatte, der nach der Methode von Stolze-Schrey unterrichtete (vgl.: http://www.weiterbildung-mk.de/Uber_uns/Damals/damals.html ).

[2] Es sei hier nochmal darauf verwiesen, dass sich Türk mit diesem theoretischen Konzept klar von den herkömmlichen wirtschaftlichen Institutionentheorien abgrenzt, die in Organisationen koordinative Produktivkräfte gesellschaftlicher Arbeit sehen und die Organisationen als Erfindungen von Organisatoren begreifen. Ich meine damit die drei institutionalistischen Organisationstheorien wirtschaftswissenschaftlicher Prägung (Institutionenökonomie), dies sind: die Theorie der Verfügungsrechte, die Agenturtheorie und die Transaktionskostentheorie. Alle drei Theorien haben die Grundannahme gemeinsam, dass Organisationen notwendig sind, um Verhalten zu steuern und gehen von der Annahme aus, dass Individuen nach Nutzenmaximierung streben.

[3] Der Begriff der Gesellschaftsformation ist nach Türk nur auf bestimmte Sozietätsformen anwendbar: „nämlich nur auf solche, die eine ‚Gesellschaft’ i.e.S. ausbilden, d.h. ausdifferenzierte gesellschaftliche Bereiche, die eine Gestalt, eben eine ‚Formation’ bilden, die gegenüber den Subjekten einen ‚Objektivitätsüberhang’ (Görg) vermitteln und insofern die reale Basis für Verdinglichung bilden (Türk 1997: 158).

[4] Aus dieser Dreiteilung erwächst aus neomarxistischer Perspektive auch das Moment der Herrschaft in kapitalistisch organisierten Gesellschaften und auf weltgesellschaftlicher Ebene.

[5] Vgl. auch Luhmann (2000), bei dem die Paradoxie des Universalprinzips der ‚Inklusion aller’ (i.e. Gleichheit) über die Selektion auf der Ebene der Funktionssysteme durch Organisationen gewährleistet wird. Organisationen statten hier also Gesellschaft mit Diskriminierungsfähigkeit aus. Sie müssen exkludieren, um eine Entscheidungskontrolle über ihre eigene Autonomie zu haben.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Mafia und Büro
Untertitel
Gemeinsame organisationale Rollen der Komplementärorganisationen Mafia und Büro innerhalb moderner Gesellschaften aus neomarxistischer Perspektive
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Neuere Ansätze der Organisationssoziologie
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
33
Katalognummer
V11202
ISBN (eBook)
9783638174244
ISBN (Buch)
9783656627319
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Organisation, Institution, Klaus Türk, Rollen von Organisationen, Herrschaft, Strukturprinzipien, Kapitalismus, Organisationsprinzipien, Tucholsky
Arbeit zitieren
Dominik Sommer (Autor:in), 2003, Mafia und Büro, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11202

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