Die nichteheliche Lebensgemeinschaft

Die wachsende Attraktivität einer alternativen Lebensform und ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation von Frauen und Kindern


Diplomarbeit, 2008

122 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1. Begriffsklärung
1.1 Lebensformen
1.2 Ehe
1.3 Nichteheliche Lebensgemeinschaft
1.4 Zusammenfassung

2. Geschichte von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft
2.1 Mittelalter und Neuzeit
2.2 Industrialisierung
2.3 Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg bis 1970
2.4 Entwicklungen von 1970 bis heute
2.4.1 Individualisierung
2.4.2 Strukturelle Risiken der Familiengründung für Frauen
2.4.3 Entkopplung von Ehe und Elternschaft
2.4.4 Pluralisierung der Lebensformen
2.4.5 Erfordernisse der postmodernen Arbeits- und Lebenswelt
2.4.6 Abbau sozialer Normen und Kontrollmechanismen im Zusammenhang mit der Ehe
2.5 Zusammenfassung

3. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft – Typen und Charakteristika
3.1 Wer heiratet, wer kohabitiert? Formen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft
3.1.1 Junge Paare
3.1.2 Ehegegner
3.1.3 Geschiedene / Verwitwete
3.2 Weitere Charakteristika von Kohabitierenden und Verheirateten im Vergleich
3.2.1 Religiosität
3.2.2 Partnerschaftliche Bindung („Commitment“)
3.2.3 Bildungsniveau
3.2.4 Berufstätigkeit
3.3 Allgemeine Folgen der spezifischen Charakteristika Kohabitierender
3.3.1 Dauer und Stabilität beider Lebensformen
3.3.2 Lebenszufriedenheit
3.4 Zusammenfassung

4. Die Auswirkungen unterschiedlicher Lebensformen auf die Lebenssituation von Kindern
4.1 Allgemeines
4.2 Auswirkungen des Trennungsrisikos und der Trennung auf Kinder
4.3 Auswirkungen auf die ökonomische Situation
4.3.1 Kohabitation leiblicher Eltern
4.3.2 Nacheheliche Kohabitation
4.4 Einsatz elterlicher Ressourcen für die Kinder
4.5 Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden
4.6 Schulerfolg von Kindern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften
4.6.1 Limitationen zur Aussagekraft deutscher Studien über den Schulerfolg und
den Schulalltag von Kindern in verschiedenen Lebensformen
4.6.2 Schulerfolg von Kindern in Ehen und nichtehelichen
Lebensgemeinschaften in den USA
4.7 Rechtliche Perspektive
4.7.1 Kinder leiblicher Eltern in Ehen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften
4.7.2 Kinder in Stieffamilien
4.8 Zusammenfassung

5. Auswirkungen der unterschiedlichen Lebensformen auf die Lebenssituation von Frauen
5.1 Gesundheitliche Aspekte
5.1.1 Gesundheit und Wohlbefinden von Frauen
5.1.2 Gewalt in der Beziehung
5.2 Änderung der Einkommenssituation nach Trennung und Scheidung
5.3 Rechtliche Aspekte
5.3.1 Gesetzliche Grundlagen im Bezug auf die Ungleichbehandlung von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft
5.3.2 Auswirkung von Trennung und Scheidung im Vergleich
5.4 Internationale Perspektive
5.4.1 Allgemeines
5.4.2 Kategorien und Einteilung internationaler Gesetzgebung
5.4.3 Kritik an der Verrechtlichung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft
5.5 Zusammenfassung

Schluss

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Kohabitierende nach Schulabschluss

Abbildung 2: Verheiratete nach Schulabschluss

Abbildung 3: Kinder nach Schulabschluss der kohabitierenden Eltern

Abbildung 4: Kinder nach Schulabschluss der verheirateten Eltern

Abbildung 5: Beteiligung der Partner am Erwerbsleben in nichtehelichen und ehelichen Lebensgemeinschaften

Abbildung 7: Monatliches Nettoeinkommen Kohabitierender mit Kindern in Gehaltsgruppen

Abbildung 8: Relatives Risiko der Scheidung von Frauen abhängig vom vorehelichen Beziehungsstatus

Abbildung 9: Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften und Ehen im Jahr 2004

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Erwerbstätigkeit der Eltern in Ehen und nichtehelichen

Lebensgemeinschaften

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

„Verliebt, verlobt, verheiratet“

heißt es in einem bekannten Lied aus den 1960iger Jahren, welches das Ideal des gutbürgerlichen Lebens jener Zeit widerspiegelt. Die Ehe galt in den 1950er und 1960er Jahren als die einzig „natürliche, unantastbare und alleintaugliche Lebensform“ (Peuckert 1999, 36), was dazu führte, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung verheiratet war. (vgl. Peuckert 1999, 20). Auch heute noch ist die Ehe eine wichtige Institution in unserer Gesellschaft, jedoch hat sich ihre Bedeutung und Verbindlichkeit gewandelt und sie hat nicht mehr das Monopol der einzig denkbaren Paarbeziehung und Familienform inne.

Unter all den Möglichkeiten der Paarbeziehungen gewinnt eine Lebensform gegenüber der Ehe besonders an Bedeutung – die nichteheliche Lebensgemeinschaft. Würde man eine Reflexion dieser heute immer beliebter werdenden Beziehungsform in einem Lied festhalten wollen, müsste es wohl heißen

„verliebt, zusammenlebend, mit oder ohne Kinder, vor, nach oder anstatt der Ehe“.

Was in 70er Jahren mit den Begriffen „Wilde Ehe“ unterschwellig als „Vehikel sozialer Unordnung“ (Segalen 1990, 196) bezeichnet wurde und somit für das unkonventionelle und unverheiratete Zusammenleben von heterosexuellen Paaren stand, ist heute eine mögliche Lebensform unter vielen. Mit dem Beginn der Studenten- und Frauenbewegung Ende der 1970er Jahre wurden konventionelle Beziehungs- und Lebensformen hinterfragt und es wurde ein Prozess angestoßen, innerhalb dessen neu ausgehandelt werden muss und musste, welche Lebensformen normal, welche abweichend waren, welche Formen des Zusammenlebens als Familie bezeichnet werden können und welche nicht (vgl. Beck-Gernsheim 2000, 9). In den letzten Jahrzehnten kam es daher zu einem rapiden Anstieg der „Ehen ohne Trauschein“, die heute eine moralisch akzeptierte biographische Option sind.

Aus diesem Grunde soll die erste zu bearbeitende Fragestellung dieser Diplomarbeit lauten: Warum wählen immer mehr Paare in der heutigen Zeit die nichteheliche Lebensgemeinschaft im Vergleich zur Ehe als bevorzugte Lebensform?

Obwohl die Beliebtheit der nichtehelichen Lebensgemeinschaft weltweit zunimmt, äußern Wissenschaftler Bedenken über die Auswirkungen dieser Lebensform auf die Familie. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft wird häufig als Repräsentant eines freieren Lebensstils beschrieben, welche mit einem niedrigeren Grad an Verantwortung im rechtlichen, ökonomischen und sogar emotionalen Sinne einhergeht (vgl. Ambert 2005, 5). Die nichteheliche Lebensgemeinschaft scheint dadurch im Vergleich zur Ehe insbesondere für Frauen und Kinder eine weniger günstige Lebensform zu sein und tendenziell nachteilige Auswirkung zu haben.

Zweites Ziel dieser Diplomarbeit ist es daher, anhand internationaler Literatur herauszufinden, ob sich die Lebenssituation von Frauen und Kindern ähnlich, besser oder nachteiliger gestaltet, wenn sie anstatt in einer Ehe, in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben bzw. aufwachsen.

Im Rahmen dieser Arbeit und der umfassenden Betrachtung der Lebensumstände von Frauen und Kindern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften wird es nicht möglich sein, nur auf Daten aus Deutschland zurück zu greifen. Obwohl dieser Lebensform in den 1980er Jahren in der Öffentlichkeit und in der Familiensoziologie große Aufmerksamkeit zuteil wurde, ist in diesem Jahrzehnt wenig Forschung betrieben worden. Daher liegen im internationalen Vergleich nur wenige deutsche Studien vor, um das Thema zu beleuchten (vgl. Schmidt 2002, 297). Das Heranziehen ausländischer Studien birgt in diesem Zusammenhang die Gefahr, dass die Untersuchungen nicht oder nur teilweise übertragbar sind auf die deutsche Gesellschaft. Ungeachtet dessen wird in dieser Arbeit versucht werden, Aussagen über die Lebenssituation von Frauen und Kindern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften in Deutschland zu treffen.

Des Weiteren soll nicht explizit auf die Lebenssituation von Männern in Ehen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften eingegangen werden, um den Rahmen dieser Diplomarbeit nicht zu sprengen. Betrachtungen hierzu werden jedoch an einigen Stellen der vorliegenden Arbeit als Vergleichsgröße im Hinblick auf die Lebenssituation von Frauen herangezogen werden.

Auch soll nicht im Besonderen auf die These der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als unvollständige Institution eingegangen werden (vgl. Nock 1995). Diese geht davon aus, dass der Institutionscharakter der Ehe an sich eine positive Auswirkung auf die Lebenssituation von Menschen hat und demzufolge eine unvollständige Institution wie die nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht die gleichen positiven Effekte wie die Ehe haben kann. Innerhalb dieser Diplomarbeit kann dies nicht überprüft werden, da es nur wenige Forschungsarbeiten gibt, die diese These zum Gegenstand haben.

Aufgrund der genannten Fragestellung begründet sich der Aufbau der vorliegenden Arbeit wie folgt:

Nach einer kurzen Klärung der für das Grundverständnis der zu behandelnden Thematik wichtigen Begriffe, soll im ersten Kapitel die historische Entwicklung von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft herausgearbeitet werden. Um die erste aufgeworfene Fragestellung zu bearbeiten, soll aus dem geschichtlichen Kontext erschlossen werden, welche Gründe Menschen in früheren Zeiten hatten, eine Ehe oder nichteheliche Lebensgemeinschaft einzugehen. Kapitel 2 wird auch aufzeigen, dass sich Ehe, Familie und nichteheliche Lebensgemeinschaft über die Zeiten hinweg in einem steten Wandlungsprozess befunden haben, aber dass besonders seit den letzten 40 Jahren neue gesellschaftliche Dynamiken zu einer starken Zunahme der nichtehelichen Lebensgemeinschaften führten.

Neben den gesellschaftlichen Dynamiken soll betrachtet werden, welche Menschen aus welchen Gründen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben und worin sie sich von Eheleuten unterscheiden. In Kapitel 3 werden daher zuerst die Typen nichtehelich Zusammenlebender untersucht. Da angenommen wird, dass die Auswahl der Lebensform mit den Merkmalen der Personen zusammenhängt, die in ihr leben und nicht mit der Lebensform an sich, sollen des Weiteren die Charakteristika der nichtehelich Zusammenlebenden untersucht werden. Diese Merkmale sind zum Teil auch verantwortlich für die Auswirkungen, die das Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft für Frauen und Kinder hat und ihre Betrachtung ist daher im für die folgenden Kapitel relevant.

Aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Kinder im Haushalt mit kohabitierenden Eltern oder Elternteilen leben, sollen im vierten Kapitel der Diplomarbeit die unterschiedlichen Auswirkungen von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft auf die Lebenssituation von Kindern betrachtet werden. Hierbei wird als Bestimmgröße der Lebenssituation von Kindern neben dem Trennungsrisiko der Eltern auch die ökonomische Situation, in der die Kinder leben, der Einsatz der elterlichen Ressourcen für die Kinder, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden, ihr schulischer Erfolg und ihre rechtliche Situation herangezogen werden.

Im Kapitel 5 wird dann die Lebenssituation von Frauen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften beleuchtet. Neben der Betrachtung von gesundheitlichen Aspekten sowie der Untersuchung von ökonomischen Auswirkungen bei Trennung bzw. Scheidung, soll auch das momentan geltende Recht für eheliches und nichteheliches Zusammenleben für die Lebenssituation von Frauen betrachtet werden. Da einige Länder im Vergleich zu Deutschland bereits Gesetze geschaffen haben, die potentiell ein Mehr an Schutz für Frauen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften bieten, sollen einige Varianten im letzten Punkt vorgestellt werden.

Kapitel 1

1. Begriffsklärung

1.1 Lebensformen

Wie bereits erwähnt, wird sich die vorliegende Diplomarbeit den Lebensformen „Ehe“ und „nichtehelichen Lebensgemeinschaft“ zuwenden und diese vergleichen. Aus diesem Grunde ist es wichtig, vorab zu klären, was Lebensformen eigentlich sind und wodurch sie sich kennzeichnen.

Der Begriff „Lebensform“ wird in soziologischen und politischen Debatten im Zusammenhang mit Paarbeziehungen und Familienkonstellationen verwendet. Doch was oder wen umfasst dieser Begriff genau? Es gibt zwei Kriterien, die zur Bestimmung von Lebensformen heute herangezogen werden: Partnerschaft und Elternschaft. Allgemein gesprochen, gehören zu den Lebensformen alle Paarbeziehungen mit oder ohne Kinder, sowie Alleinstehende und Alleinerziehende (vgl. Lengerer et al. 2005, 9).

Als Alleinerziehende gelten hier Menschen, die mit ihren Kindern in einem Haushalt leben, jedoch ohne Partner. Alleinstehende hingegen teilen sich ihren Haushalt weder mit Kindern noch mit einem Ehe- oder Lebenspartner und sind besser bekannt unter dem Synonym „Singles“ (vgl. ebd.).

Die partnerschaftlichen Lebensformen unterscheiden sich noch einmal nach dem Grad ihrer Institutionalisierung und der Geschlechterkombinationen innerhalb der Partnerschaft. Allein hier sind die Ehe als im höchsten Maße institutionalisierte Lebensform und die nichteheliche Lebensgemeinschaft zu nennen, jeweils mit oder ohne Kinder. Hinzu kommen Partnerschaften von Personen gleichen Geschlechts, von denen die eingetragene Lebenspartnerschaft (in einigen Ländern auch Ehe) den höchsten Grad an Institutionalisierung aufweist.

Die so genannten Living-Apart-Together (LAT) Lebensgemeinschaften komplettieren das Bild, in dem sie eine dritte Dimension einführen, nach der Lebensformen differenziert werden können: das Vorhandensein des Partners im Haushalt. Die Partner in LAT-Beziehungen residieren nicht zusammen in einem gemeinsamen Haushalt, jedoch können sie durchaus verheiratet oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sein. Auch diese Lebensform tritt selbstverständlich jeweils mit oder ohne Kinder auf (vgl. ebd. 10).

Die Familienformen Geschiedener können differenziert werden nach Einelternfamilien (nur einer der beiden Elternteile hat das Sorgerecht) sowie binukleare Familien, wenn beide Eltern nach der Scheidung das Sorgerecht haben. Des Weiteren kann unterschieden werden nach Fortsetzungsehen (Wiederverheiratung einer geschiedenen Person) und, sind Kinder vorhanden, Stieffamilien. Durch die zunehmende Entkopplung von biologischer und sozialer Elternschaft zählen auch Adoptivfamilien zu den Lebensformen (vgl. Schmidt 2002, 279).

Zusammenfassend können Lebensformen als Arrangements bezeichnet werden, die alle persönlichen Beziehungen beinhalten, die auf Intimität, Vertrauen und gegenseitigen Verpflichtungen gründen und auf Dauer angelegt sind. Sie zeichnen sich oft durch ein gemeinsames Ziel aus wie z.B. das Aufziehen von Kindern oder gegenseitige Unterstützung. Einige der Lebensformen sind rechtlich anerkannt und geschützt, während andere keinen rechtlichen Status haben oder bisher haben erreichen können (vgl. Ostner 2001, 91). In einem erweiterten Lebensformenbegriff fehlen die Bestimmgrößen Partnerschaft und Elternschaft. Neben den Wohngemeinschaften nicht miteinander verwandter Personen zählen auch Kinderheime und Kinderdörfer zu den Lebensformen (vgl. Schmidt 2002, 279).

1.2 Ehe

Der Begriff „Ehe“ beschreibt eine auf Dauer angelegte sexuelle, ökonomische und emotionale Zweierbeziehung verschiedengeschlechtlicher[1] Personen (vgl. Lenz / Böhnisch 1997, 50; Ambert 2005, 5; Peuckert 1999, 44). Diese Definition mag jedoch der kleinste gemeinsame Nenner einer Vielzahl von Paarbeziehungen sein. Zusätzlich ist die Ehe eine durch Sitte oder Gesetz anerkannte, auf Dauer angelegte Partnerschaft (vgl. Nave-Herz 2004, 24).

Die Besonderheit der Ehe besteht damit auch in ihrer Verpflichtungserklärung gegenüber Dritten: in unserem gegenwärtigen Kulturkreis gegenüber dem Staat, in anderen Kulturkreisen, in denen es keine Zivilehe gibt, gegenüber der jeweiligen Kirche. Im Umkehrschluss steht die Ehe somit unter dem Schutz von Dritten (vgl. Lenz / Böhnisch 1997, 50).

Seit etwa 130 Jahren wird die Ehe in Deutschland auf dem Weg der standesamtlichen Trauung geschlossen. Dies ist heute im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) im Paragraphen 1310 wie folgt festgehalten: „Die Ehe wird nur dadurch geschlossen, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.“ Bis heute ist das Trauungsmonopol des Staates unangefochten (vgl. Nave-Herz 2004, 24).

Der Staat als Variable in der Paarbeziehung von Verheirateten steht für ein „Paket von Verträgen“ (Matthias-Bleck 2006, 104) und somit also für Pflichten aber auch für Rechte, welche die Verheirateten von Menschen in anderen Beziehungsformen unterscheiden. Hierzu zählen die automatisch mit der Ehe eintretenden vermögens- und unterhaltsrechtlichen Regelungen sowie ein gegenseitiges Vertretungsrecht, Zeugnisverweigerungsrecht, Begünstigungen im Sozialversicherungsrecht sowie ein Recht auf die Auskunft im Krankheitsfalle des Partners (ebd.). Diese Privilegien und Pflichten werden vom Gesetz weitestgehend nur der Ehe zugestanden. Die staatliche Legitimation ist somit das markanteste Kennzeichen der Ehe im Vergleich zu anderen Lebensformen (vgl. Matthias-Bleck 2006, 89).

Die Ehe unterscheidet sich jedoch nicht nur durch das Vorhandensein einer Verpflichtungserklärung von anderen Beziehungsformen, sondern auch durch den rituellen Charakter der Trauung, mit dem diese Verpflichtungserklärung geschlossen wird. Diese Kulturhandlung in Form einer Zeremonie zur Eheschließung fungiert für die Paare als Symbol für die Veränderung familialer Zugehörigkeiten und Loyalitäten, da Verwandtschafts- und Erbschaftslinien neu strukturiert werden (vgl. Lenz / Böhnisch 1997, 50; Nave-Herz 2004, 138).

Ein weiteres Merkmal der Ehe ist, dass sie über die Paarbeziehung hinaus auf die Gründung einer Familie verweist. In der Vergangenheit wie auch heute wird die Ehe überwiegend im Hinblick auf Kinder eingegangen. Aber auch die im vorangegangenen Absatz erwähnte Veränderung familialer Rollen innerhalb der Familien der Ehepartner ist hier eine wichtige Größe im Aufbau einer neuen Familie. Die Mütter der Partner werden zu Schwiegermüttern, die Schwestern zu Schwägerinnen und die Brüder zu Schwagern. Damit entstehen innerhalb der Familie neue Solidaritäten und Kooperationen, die je nach Kultur und Zeitepoche variieren (vgl. Nave-Herz 2004, 109-110).

In der Soziologie bezeichnet man die Ehe aus diesen Gründen auch als eine Institution. Eine Institution ist ein Gefüge „von sozialen Regeln mit Geltungsanspruch“ (Esser 2000, 303; zit. n. Nave-Herz 2004, 137). Die Regeln, die innerhalb einer Institution gelten, beruhen auf unterschiedlichen Legitimationen wie Traditionen, Bräuchen, Religion und – wie bereits erwähnt – dem Gesetz. Tyrell beschrieb 1988 anhand verschiedener Kriterien die institutionelle Struktur der Ehe, wie sie sich zu ihrer Blütezeit mit einem Höchstmaß an Institutionalisierung in den 1950er und -60er Jahren gestaltete: Mit dem Eintritt der Ehe durch Heirat werden bezüglich der Partnerschaft das staatliche Rechtssystem und bei einer kirchlichen Hochzeit auch das Sakrament aktiviert.

Die Gegengeschlechtlichkeit der Paare ist das Organisationsprinzip der Ehe. Die Ehe als Institution besitzt einen Ausschließlichkeitscharakter, der annimmt, dass jeder Mensch nur einmal in seinem Leben eine monogame Ehe eingeht. Diese Ehe ist dann nicht beliebig kündbar, sondern ein verbindliches Lebensmodell bis zum Tode eines Partners. Sexualität ist an die Ehe gebunden und zielt auf die Familienplanung ab. Dies ist insbesondere im Sinne der sozialen Ordnung wichtig, sodass die Legitimität des Nachwuchses gewährleistet ist. Spezifisch für die Institution ist, dass die Ehepartner gemeinsam leben und wirtschaften und sich solidarisch für ihr beiderseitiges Wohlergehen einsetzen (vgl. Hohenester 2000, 42).

1.3 Nichteheliche Lebensgemeinschaft

Wie auch bei der Ehe handelt es sich bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft um eine sexuelle und emotionale Beziehung zwischen zwei erwachsenen Partnern, die zusammen in einem Haushalt leben und gemeinsam wirtschaften, jedoch ohne miteinander verwandt zu sein und ohne eine formale Eheschließung eingegangen zu sein (vgl. Nave-Herz 2004, 103; Peuckert 1999, 70; Matthias-Bleck 2006, 91).

Begriffe für die nichteheliche Lebensgemeinschaft sind vielfältig. In juristischen Kreisen sind die jeweiligen Einstellungen, ob konservativ oder liberal, sehr gut an der jeweiligen Begriffswahl zu erkennen. Während auf der einen Seite Vertreter dieser Berufsgruppe weiterhin am historischen Begriff des „Konkubinats“ festhalten, verwendet eine Minderheit, die eine rechtliche Gleichstellung beider Lebensformen anstrebt, den Begriff der „eheähnlichen Lebensgemeinschaft“. Im Umgangssprachlichen enthalten viele Begriffe immer noch eine wertende Komponente, die die Abweichung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft vom Normalfall Ehe thematisiert (z.B. „wilde Ehe“ oder „freie Lebensgemeinschaft“) (vgl. Peuckert 2005, 75).

Einige Begriffe beziehen sich auch auf die Typisierung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Verhältnis zur Ehe z.B. die Begriffe „Ehe auf Probe“ oder „Ehe ohne Trauschein“, welche suggerieren, dass die nichteheliche Lebensgemeinschaft eine Vorphase zur Ehe darstellt bzw. eine Alternative zur Ehe ist (vgl. Matthias-Bleck 2006, 90; Peuckert 2005, 75).

Im Französischen werden die nichtehelichen Lebensgemeinschaften als „unions libres“ und somit als „freie Zusammenschlüsse“ bezeichnet. Diese Bezeichnung verdeutlicht, dass die nichteheliche Lebensgemeinschaft allgemein als der freiere Lebensstil im Vergleich zur Ehe gilt. Dies bezieht sich sowohl auf die sexuelle Exklusivität der Partner als auch auf die gegenseitige Verantwortung im rechtlichen, ökonomischen und emotionalen Bereich. Inwiefern dies tatsächlich für deutsche und internationale Paare zutrifft, muss im Verlauf der Betrachtungen des vorliegenden Werkes herausgestellt werden (vgl. Ambert 2005, 5).

Neben dem Begriff der nichtehelichen Lebensgemeinschaft hat der Begriff „Kohabitation“ in Anlehnung an die englische und französische Bezeichnung „cohabitation“ für die nichteheliche Lebensgemeinschaft Einzug in den wissenschaftlichen Sprachgebrauch gehalten. Dieser Begriff wird von vielen Autoren heute wegen seiner Wertneutralität präferiert (vgl. Peuckert 2005, 75). Daher möchte auch ich diesen Begriff im Folgenden alternativ in dieser Diplomarbeit verwenden.

1.4 Zusammenfassung

Neben der Ehe im ursprünglichen Sinne gibt es heute eine Reihe weiterer Lebensformen wie z.B. die Einelternfamilien, zusammenlebende homosexuelle Paare innerhalb und außerhalb einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, Adoptivfamilien, Fortsetzungsehen und Stieffamilien. Die partnerschaftliche Lebensform, die der Ehe am ähnlichsten ist, ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft, für die es heute im Recht, in der Fachliteratur und in der Umgangssprache eine Reihe von Begriffen gibt.

Anders als die nichteheliche Lebensgemeinschaft, die sich noch in einem jungen Institutionalisierungsprozess befindet, ist die Ehe eine etablierte Institution, die sich durch ein bestimmtes Merkmalsgefüge von sozialen Regeln und Geltungsansprüchen ausgestaltet. Im Vergleich zu den 1950er und -60er Jahren verliert die Ehe heute zunehmend Strukturmerkmale ihres Institutionscharakters (vgl. Hohenester 2000, 49). Dieser Prozess der Deinstitutionalisierung hängt mit verschiedenen soziokulturellen Veränderungen zusammen, die am Ende des kurzen geschichtlichen Überblicks über die Entwicklung von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft im nächsten Kapitel thematisiert werden sollen. Dies soll insbesondere zeigen, warum sich heute eine wachsende Zahl von Menschen für die nichteheliche Lebensgemeinschaft entscheidet.

Kapitel 2

2. Geschichte von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft

Nachdem im ersten Kapitel die wichtigen Begriffe zum Verständnis der Diplomarbeit geklärt worden sind, will dieses Kapitel die Entwicklung von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft ab dem Mittelalter, über die Industrialisierung und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hinweg zeigen. Insbesondere wird im letzten Punkt auf die Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels ab den 1970er Jahren eingegangen werden. Es soll anhand der Entwicklung beider Lebensformen über die Zeiten hinweg deutlich werden,

- welche Gründe Menschen früher hatten, eine Ehe oder nichteheliche Lebensgemeinschaft einzugehen und

- welche Gründe heute im Vordergrund stehen, wenn sich immer mehr Menschen für die nichteheliche Lebensgemeinschaft als geeignete Lebensform entscheiden.

2.1 Mittelalter und Neuzeit

Die Wurzeln des heutigen Eheverständnisses liegen im römischen und germanischen Recht sowie in den christlichen Vorstellungen der mittelalterlichen Kirche begründet. Bei den früheren germanischen Völkern kam die Ehe zumeist durch einen Vertrag des Vaters mit dem Bräutigam zustande (Muntehe). Durch die Zahlung eines Brautpreises wurde dieser Vertrag ohne die Einmischung der Kirche geschlossen. Nahm ein Mann eine Frau „nichtehelich“ also ohne die Zustimmung ihres Vaters zu sich, brach er das Recht und musste häufig das Vielfache des üblichen Brautpreises zahlen. Es ist war also kaum feststellbar, wie die Grenze zwischen der Ehe und der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu dieser Zeit verlief, denn im Endeffekt konnte das Zusammenleben der Partner nach der Zahlung eines Preises stattfinden (vgl. Matthias-Bleck 2006, 99).

Weitere akzeptierte Formen der Lebensgemeinschaften im alten Germanien waren die Friedelehe und die Kebsehe. Letztere beschrieb eine Ehe zwischen einem freien Mann und seiner Magd. Die Friedelehe wurde lediglich durch eine Willensübereinkunft zwischen Mann und Frau gegründet und galt neben der Muntehe ebenfalls als Vollehe (ebd. 100, vgl. Wagner 2005, 24). Der aus dem Lateinischen stammende Begriff für nichteheliche Lebensgemeinschaften „concubina“ wurde jedoch für Friedel- wie auch für Kebsehen gebraucht. Nach der Christianisierung der Germanen versuchte die Kirche die Muntehe als einzige formelle Form der Ehe durchzusetzen, doch toleriert wurde zu dieser Zeit auch noch das Konkubinat, solange es sich um eine monogame Beziehung handelte (vgl. Venger 2004, 26; Wagner 2005, 27).

Die Kirche bemühte sich seit dieser Zeit zunehmend um den Definitionsanspruch im Hinblick auf die eheliche Lebensgemeinschaft (vgl. Venger 2004, 26). Durch ihren wachsenden Einfluss im Mittelalter änderten sich bald die Voraussetzungen für die Ehe und das geltende Eherecht (vgl. Matthias-Bleck 2006, 100). Im elften Jahrhundert wurde die Klerikerehe, also die Ehe von geistigen Würdenträgern, verboten. Um ein Ausweichen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu verhindern, wurde auch diese unter Androhung der Exkommunikation sowie dem Verlust von Amt und Pfründen unter Strafe gestellt. Aber auch die nichtehelichen Lebensgemeinschaften von Laien gerieten zunehmend in Verruf. Zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts wurden im regionalen Kontext zahlreiche Exkommunikationen durchgeführt und auch von weltlicher Seite verhängten einige Städte Sanktionen gegen überführte „Konkubinarier“ (vgl. Wagner 2005, 28-29).

Im dreizehnten Jahrhundert wurde auch die priesterliche Mitwirkung bei der Eheschließung zur Pflicht. Da dies bis dahin nicht erforderlich gewesen war, kann das dreizehnte Jahrhundert als der Beginn des Institutionalisierungsprozesses der Ehe gesehen werden (vgl. Venger 2004, 27). Die Schließung und Auflösung der Ehe wurden seit dem Hochmittelalter nun durch die Kirche und ihre Gerichte selbst kontrolliert (vgl. Matthias-Bleck 2006, 101, Nave-Herz 2004, 25). Im Zuge dessen legte drei Jahrhunderte später das Konzil von Trient 1563 hierzu verbindlich fest, dass eine Ehe öffentlich vor Zeugen geschlossen werden muss.

Dieser Beschluss verdeutlichte noch einmal den Unterschied zwischen Ehe und Nicht-Ehe und führte dazu, dass die nichteheliche Lebensgemeinschaft als Konkubinat entwürdigt wurde und bestraft werden konnte (vgl. Matthias-Bleck 2006, 101). Die Lebensgemeinschaften außerhalb der Ehe wurden somit durch das Konzil von Trient gesetzlich unter Strafe gestellt. Im Dekret „Tametsi“, was vom Trienter Konzil beschlossen wurde, heißt es dazu (Becker 1978, 28; zit. n. Wagner 2005, 32):

„Es ist eine schwere Sünde, dass unverheiratete Männer Konkubinen haben, [...] Um gegen dieses große Übel mit den geeigneten Mitteln vorzugehen, beschließt die heilige Synode, dass solche Konkubinarier, ledige oder verheiratete, gleich welchen Standes, welcher Würden und welches Berufes, wenn sie diesbezüglich vom Ordinarius dreimal auch amtlich, ermahnt wurden und die Konkubinen dann immer noch nicht hinausgeworfen und das Verhältnis mit ihnen nicht beendet haben, der Strafe der Exkommunikation verfallen müssen, von der es keine Absolution gibt, bis sie tatsächlich der Ermahnung gehorcht haben.“

In diesem Zusammenhang manifestierte sich nun also der Unterschied zwischen ehelichen und nichtehelichen Verbindungen. Eine Gemeinschaft von Mann und Frau außerhalb der Ehe wurde als Verstoß gegen göttliches Recht betrachtet. Aus diesem Grunde kam es im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit zu einer Bekämpfung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. Matthias-Bleck 2006, 100).

2.2 Industrialisierung

Vor der Industrialisierung waren Eheleute ein Teil des Familien- oder Hausverbandes, der eher wirtschaftlich organisiert war. Die typische Familie zu dieser Zeit war die ländliche Großfamilie („ganzes Haus“), in der die Ehe keine persönliche Angelegenheit war, sondern orientiert war an den Interessen des Kollektivs, in dem es um Produktion (beispielsweise Getreidebau oder Viehwirtschaft) und Besitzsicherung ging. Dies bedeutet auch, dass die vorindustrielle Wirtschaft zum größten Teil Familienwirtschaft war, was die Familie zur Produktionsstätte machte. Somit waren die Eheleute mehr durch gemeinsame Produktionsinteressen verbunden als durch die Liebe. Diese Zeit war gekennzeichnet von vielfältigen Heiratsbeschränkungen (vgl. Peuckert 1999, 21; Meyer 1992, 34-35; vgl. Lenz / Böhnisch 1997, 11-15).

Von diesen Heiratsbeschränkungen, die teilweise vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert Gültigkeit besaßen, waren beispielsweise bestimmte Bevölkerungsgruppen betroffen. Ihnen wurde das Recht, eine Ehe zu schließen, vorenthalten. Zu den betroffenen Personengruppen zählten Studenten, Soldaten, Gesellen und Dienstboten. Zusätzlich wurden im späten achtzehnten Jahrhundert immer mehr Voraussetzungen durch die Kirche festgelegt, die ein Paar für eine Eheschließung zu erfüllen hatte. Hierzu zählte insbesondere, dass vor der Eheschließung nachgewiesen werden musste, dass die zukünftigen Eheleute die Versorgung einer Familie gewährleisten konnten. Dieser Umstand wurde somit für viele mittellose heiratswillige Paare zu einem unüberwindbaren Hindernis. Der Schritt in eine nichteheliche Lebensgemeinschaft und damit in die Illegalität war hier oft der einzige Ausweg für diese Paare, was sich auch an den hohen außerehelichen Geburten dieser Zeit mit einer Rate um die 50% in manchen Teilen Deutschlands widerspiegelte (vgl. Venger 2004, 28-29).

Mit dem voranschreitenden Zerfall der bäuerlichen Großfamilie durch die Industrialisierung, kristallisierte sich ab dem späten 18. Jahrhundert mit dem Bürgertum die moderne Familie als ein neues Bild heraus. In dieser Zeit, in der Wohn- und Arbeitsstätte nicht mehr ein und derselbe Ort waren, wurde die Familie zum Inbegriff des Privaten, zum Zufluchtsort und zur Gegenwelt der Arbeit. Die Eheleute waren im Bürgertum folglich nicht mehr durch gemeinsame Produktionsinteressen verbunden, sondern die Liebe wurde zum zentralen Grund der Heirat (vgl. Lenz / Böhnisch 1997, 11-15).

Das Vorläufermodell der modernen Kleinfamilie war besonders dadurch gekennzeichnet, dass dem Mann nun die Rolle des Ernährers zugeschrieben wurde, während die Frau von der Produktion ausgeschlossen wurde. Auch die Kindheit wurde zur eigenständigen Lebensphase, da Kinder nun nicht mehr, wie in vorindustriellen Gesellschaften, als potentielle Arbeitskräfte gesehen wurden. Die Erziehung der Kinder in dieser spezifischen Entwicklungsphase durch Zuwendung und Förderung wurde als „ureigenste“ Aufgabe der Frau zugeschrieben (vgl. Peuckert 1999, 21-22, 25).

Während in Adelskreisen der Ehe die Verpflichtung zur Zeugung legitimer Nachkommen inne lag, galten nebeneheliche Beziehungen für den Mann als selbstverständlich. Im Bürgertum jedoch entwickelte sich dagegen mit der Reformation ein Idealbild der Ehe. Mit dem bürgerlichen Eheideal, was gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch die Arbeiterschichten durchdrang, wurde eine Entwicklung angestoßen, die dem Paar Eigenverantwortung für ihre Beziehung zuwies und eine Tendenz der Gleichheit von Mann und Frau beinhaltete (vgl. Matthias-Bleck 2006, 102; Peuckert 2002, 24).

In der Unterschicht jedoch fehlte es Menschen an finanziellen Mitteln, um eine Ehe schließen zu können. Nichteheliche Lebensgemeinschaften entstanden häufig aus Arbeitszusammenhängen, Dienstverhältnissen, dem Schlafgängerwesen[2] oder dann, wenn Handwerkerfrauen verwitweten und Hilfe für die Geschäftsfortführung bei einem anderen Mann suchten. Frauen waren aufgrund dieser typischen Konstellationen oft älter als ihre Partner. Sie gingen nichteheliche Lebensgemeinschaften häufig ein, um ökonomisch abgesichert zu sein, während Männern die nichteheliche Lebensgemeinschaft eine gute psycho-soziale Versorgung ohne gesetzliche Verpflichtungen bot (vgl. Gröwer 1999, 474-475).

Kinder, die in „wilden Ehen“ geboren wurden, galten als illegitim und wurden nicht getauft, wenn die Eltern keinen Trauschein vorweisen konnten. Trotz allem ging es diesen Kindern besser als Kindern allein stehender Mütter, die eher in nicht gefestigten sozialen Situationen aufwuchsen und höhere Armut litten. Hauptsächlich hatte das Aufwachsen in „wilden Ehen“ zur Folge, dass diese Kinder später auch ungetraut mit ihrem Partner zusammenlebten[3] (ebd. 406). Die Konsequenzen des nichtehelichen Zusammenlebens waren erst deutlich negativ für alle Beteiligten, wenn die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Polizei bekannt wurde. Dann drohte die Zerschlagung der Lebensverhältnisse, welche die Kriminalisierung der Männer und die Verarmung der Frauen und Kinder nach sich zog (vgl. Gröwer 1999, 475).

Durch gesetzliche Änderungen am Ende des 19. Jahrhunderts verringerte sich die Zahl derer, die in nichtehelichen Lebensgemeinschaften zusammenlebten, rapide. Im Jahre 1868 wurde das „Gesetz über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung“ abgeschafft (vgl. Erler 1996, 57) und schließlich wurde 1875 die Ziviltrauung eingeführt, durch die jedermann im Deutschen Reich ohne Einschränkungen die Person seiner Wahl heiraten konnte. Es heirateten nun also Menschen, die keiner großen Konfessionen angehörten oder solche, denen aus anderen Gründen die kirchliche Trauung bisher verwehrt worden war. Erst nach dem Vollzug des zivilen Rituals war es den Ehepartnern dann möglich, zusätzlich eine kirchliche Trauung zu vollziehen (vgl. Nave-Herz 2004, 26).

2.3 Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg bis 1970

Die bisherigen besprochenen Entwicklungen zeigen, dass die Ehe über die Zeiten hinweg immer wieder einen neuen Charakter bekommen hat. Im letzten Jahrhundert war die Ehe zeitweise nicht nur eine „Zweigniederlassung“ (Beck-Gernsheim 1994, 24) der Kirche, sondern auch des Staates. Im Dritten Reich wurde die Ehe abseits der zahlreichen ideologischen Eheverbote stark gefördert, da sie als die Voraussetzung und Ort zur Reproduktion der „deutschen Rasse“ galt (vgl. Venger 2004, 30; Beck-Gernsheim 2000, 150).

Nach dem zweiten Weltkrieg stieg die Zahl derer, die ohne Trauschein zusammen lebten, wieder rapide an. Die Hinterbliebenen der im Krieg Gefallenen und Getöteten hatten gegenüber dem Staat Kriegerrenten- sowie Versorgungsansprüche, die bei einer offiziellen Wiederverheiratung mit einem neuen Partner verloren gegangen wären. In den 1950er Jahren wurden die nichtehelichen Lebensgemeinschaften daher „Onkelehen“ genannt. Trotz des Zulaufs zu dieser Lebensform, erfreute sie sich keineswegs großer gesellschaftlicher Zustimmung. Die Amtssprache betitelte sie als „Rentenkonkubinat“, die zudem noch dem Bild der heilen Familie widersprach. Folglich wurde sie alsbald ideologisch als anstößige Lebensform abgeurteilt (vgl. Barabas / Erler 2001, 127).

Die 1950er und -60er Jahre galten als die Blütezeit der Ehe und Familie, sowohl in der DDR als auch in der BRD. Die Ehe war auf dem Höhepunkt ihrer Institutionalisierung angekommen. Dies zeigte sich besonders durch eine starke normative Verbindlichkeit des bürgerlichen Ehe- und Familienmodells: Ehe und Familiengründung galten nicht nur als selbstverständliches Normalverhalten, sondern jeder Erwachsene war in gewisser Weise nicht nur dazu berechtigt, sondern auch verpflichtet zu heiraten (vgl. Peuckert 2005, 25-26). Dieses so genannte „Golden Age of Marriage“ zeichnete sich also dadurch aus, dass fast alle Paare verheiratet waren. Es wurde zudem sehr früh geheiratet und es gab wenige Scheidungen. Die Familiengründung begann schon im frühen Lebensalter und die Geburtenzahlen lagen über dem Reproduktionsniveau, das zur Erhaltung der Bevölkerung eines Landes notwendig ist (ebd. 381).

Als das vorherrschende Ehe- bzw. Familienmodell dieser Zeit kristallisierte sich in Deutschland und anderen westlichen Industrienationen das männliche Ernährermodell heraus. Durch das Wirtschaftswunder und den Ausbau sozialer Sicherungssysteme kam es zu einer enormen Verbesserung der Lebensverhältnisse, welche die Erwerbsarbeit von Frauen unnötig machte. Hierdurch konnte sich das bürgerliche Leitbild der modernen Kleinfamilie verfestigen. Dieses kennzeichnete sich durch eine lebenslange und monogame Ehe, in der die Frau die Rolle der Ehefrau und Mutter innehatte und sich um die emotionalen Bedürfnisse der Familie sowie das Aufziehen der Kinder und den Haushalt kümmerte. Der Mann war familiäre Autoritätsperson und der Ernährer der Familie (vgl. Peuckert 1999, 25-26).

Durch die hohen Zahlen von Verheirateten, war die nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Minderheitenphänomen. Die allgemeine gesellschaftliche Auffassung war, dass nichteheliches Zusammenleben ein anstößiges und unzüchtiges Verhalten ist. Diese Tatsache spiegelt sich sehr anschaulich in der Gesetzgebung dieser Zeit wider. Im Jahre 1953 beispielsweise wurde vom Oberlandesgericht in Karlsruhe festgestellt, dass die Bestimmungen der einzelnen Länder zur Strafbarkeit der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als anerkannte Sittenwidrigkeit das Grundrecht auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Absatz 1 GG[4] ) nicht verletzten würde. Zusätzlich entschied der Bundesgerichtshof 1954 sogar, dass Geschlechtsverkehr unter Verlobten unter den Kuppeleiparagraphen fiel, der allgemein voreheliche „Unzucht“ verbot (vgl. Venger 2004, 31-32).

Da sich die Ehe heute weitestgehend nicht mehr auf religiösen Dogmen gründet oder der staatlichen Kontrolle unterliegt, wurde die Ausgestaltung der Ehe Aufgabe der Ehepartner, die nun selbst bestimmen konnten, was die Ehe für sie ausmacht, wie lange sie dauert und welche Bedeutung ihr beigemessen wird (vgl. Stich 1988, 156).

2.4 Entwicklungen von 1970 bis heute

Die bisherige geschichtliche Betrachtung von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft zeigt, dass die Ehe als soziales System mit Spezialisierung auf „emotionale Bedürfnislagen“ (vgl. Luhmann 1982; zit. n. Nave-Herz 2004, 104) lange Zeit ein Monopol über die Zweierbeziehung besessen hat. Zudem galt sie als Voraussetzung für die Gründung und Aufrechterhaltung einer Familie (vgl. Lenz / Böhnisch 1997, 50; Barabas / Erler 2001, 128). Während Anfang der 1960er Jahre noch 90% der Männer und Frauen die Ehe für eine unverzichtbare Institution hielten, traf dies Anfang der 1990er Jahre in Westdeutschland jedoch nur noch für 62% der Männer und 54% der Frauen zu. Die Ehe als Institution und Basisvoraussetzung für die Normalfamilie hat Legitimationseinbußen erfahren müssen und als „natürliche, unantastbare und alleintaugliche Lebensform“ (Peuckert 1999, 36) ausgedient. Heute wird die Heirat zu einer Wahlmöglichkeit unter vielen (vgl. Pieper 1994, 19), da sich die Landschaft des Paar- und Familienlebens stark vergrößert hat (vgl. Hoffmann 2000, 63).

2.4.1 Individualisierung

Betrachtet man den Wandel von Ehe und Familie während der letzten vierzig Jahre, kann man aus soziologischer Sicht von einer Individualisierung der Lebensführung und einer Pluralisierung von Lebensformen sprechen. Der Begriff „Individualisierung“ wurde von dem Soziologen Ulrich Beck geprägt, der Folgendes darunter versteht:

„Individualisierung meint zum einen die Auf lösung[5] vorgegebener sozialer Lebensformen – zum Beispiel das Brüchigwerden von lebensweltlichen Kategorien wie Klasse und Stand, Geschlechterrollen, Familie, Nachbarschaft usw.; oder auch (…) der Zusammenbruch staatlich verordneter Biographien und Leitbilder.“ (Beck / Beck-Gernsheim 1994, 11).

Individualisierung bedeutet damit, dass die Gestaltungsmöglichkeiten des Einzelnen im Vergleich zu strukturellen Zwängen zugenommen haben. Ein Anwachsen von Gestaltungsmöglichkeiten bedeutet hier zwar nicht, dass alles möglich ist, aber dass es heute für den Menschen mehr Optionen gibt als in der Vergangenheit. Der Preis eines größeren Handlungsrepertoires geht jedoch Hand in Hand mit neuen Anforderungen und (Entscheidungs)Zwängen, welche Beck „riskante Freiheiten“ nennt (vgl. Schneider et al. 2002, 29; Beck / Beck-Gernsheim 1994, 12).

Doch wie wirkte sich die Individualisierung auf die Ehe aus? Individualisierung im Kontext der Ehe und Partnerwahl umschließt das Recht des Einzelnen auf eine freie Partnerwahl. Hinzu kommt, dass das Streben nach dem Ausleben von Individualität dazu führt, dass Menschen mobiler, flexibler und unabhängiger von den Ideen ihrer Herkunftsfamilien werden. Die traditionell wertgeschätzten Bindungen an Heimat und Familie werden lockerer und ihre Bedeutung weicht innerhalb der Individualisierung zunehmend dem Streben nach Selbstverwirklichung. In diesem Sinne ist eine ganze Reihe von Lebensformen, die als Alternative zur Ehe fungieren, denkbar. Sie bilden wiederum eine Antwort auf eine Vielzahl von möglichen Biographien (vgl. Meyer 1992, 132).

Insbesondere die biographischen Möglichkeiten und die gesellschaftliche Rolle der Frau haben sich innerhalb des zweiten Individualisierungsschubs ab 1960 verändert. Ab diesem Zeitpunkt begannen die Frauen die Erwerbstätigkeit als eine Lebensperspektive in Betracht zu ziehen und stellten verstärkt traditionelle Beziehungs- und Familienmuster in Frage. Das Berufsleben wurde neben dem Ziel „eine Familie zu haben“ zu einer wichtigen Größe in den Lebensentwürfen von Frauen (vgl. Rupp1999, 27).

Dies führte zu einer langsamen Erosion des männlichen Ernährermodells und damit zu einer Verringerung der Abhängigkeit der Frau von Männern, welche traditionell die Familie ernährten. Die Ehe, die stark durch ihre Versorgungsfunktion geprägt war, wurde durch den zunehmenden Eintritt von Frauen in das Erwerbsleben als mögliche Option des Zusammenlebens für diese unattraktiver (vgl. Wu 2000; vgl. auch Beckers Theorie von 1981). Das bedeutet, dass mit dem Wegfall des Versorgungscharakters der Ehe durch die ökonomische Unabhängigkeit der Frau, die Ehe zum Teil an Bedeutung verliert (vgl. Matthias-Bleck 1997, 15).

2.4.2 Strukturelle Risiken der Familiengründung für Frauen

Als weiterer Hauptgrund für eine Eheschließung gilt zudem die Geburt eines Kindes. Immer mehr Frauen entscheiden sich jedoch, kinderlos zu bleiben. Die allgemeine Geburtenrate ist seit dem „Golden Age of Marriage“ um mehr als 38% gesunken, vergleicht man die Jahre 1950 und 2005. Das bedeutet auch, dass die Kinderzahl bereits seit 30 Jahren unter das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern pro Frau gesunken ist. Zum jetzigen Zeitpunkt bekommt eine deutsche Frau durchschnittlich nur noch 1,3 Kinder im Leben. (vgl. DSW 2007, 2, 3; Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ 2001, 27). Doch warum ist das so? Im Hinblick auf die Familiengründung sehen sich Frauen mit vielfältigen Problemen und Zwängen konfrontiert, welche die Ehe perspektivisch als unattraktiv erscheinen lassen. Dazu gehört allgemein, dass immer mehr Ehen scheitern – noch nie waren die Scheidungszahlen in Deutschland so hoch wie jetzt. Dieses Faktum lässt die Ehe als ein unsicheres Unternehmen erscheinen.

Aber auch im Hinblick auf die Familiengründung müssen Frauen bedenken, dass ein Ausstieg aus dem Erwerbsleben gewisse Nachteile für die Erwerbsbiographie mit sich bringt z.B. hinsichtlich möglicher Karrierechancen oder Rentenanwartschaftszeiten. Steigen Frauen nicht aus dem Erwerbsleben aus oder kehren zeitnah an ihren Arbeitsplatz zurück, sehen sie sich häufig mit einer Doppelbelastung von häuslicher Arbeit und Erwerbsarbeit konfrontiert (vgl. Nave-Herz 2004, 106). Obwohl neue Formen der innerfamiliären Arbeitsteilung immer weiter von dem traditionellen Modell abweichen, sind zum großen Teil immer noch Frauen in der Pflicht, denen mit dem Modell der Normalfamilie gesellschaftlich eine Exklusivzuständigkeit für den Haushalt und die Kinder zukommt.

Im Hinblick auf die Familienplanung meint dies die Entscheidung über Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche, die noch heute zum Verantwortungsbereich der Frau gerechnet werden. Pieper fand in ihrer qualitativen Studie heraus, dass für Frauen Reproduktion individuell zu tragende Verantwortlichkeit ist, Männer jedoch bedeutend seltener Verantwortung übernehmen im Hinblick auf Verhütung, Schwangerschaftsabbruch, Behandlung bei Unfruchtbarkeit und für die Kinder im Sinne einer „aktiven“ Väterlichkeit (vgl. Pieper 1994, 27, 32). Immer noch zeichnet sich der „gute Vater“ durch das Sicherstellen der finanziellen Versorgung der Familie aus (vgl. Laing 2006, 178). Das Aufziehen der Kinder fällt weiterhin in den Zuständigkeitsbereich der Frau. Nave-Herz (2004, 106) spricht hier von Entscheidungsdilemmata für Frauen, die dazu führen, dass viele Frauen die Realisierung ihres Kinderwunsches hinausschieben.

Die Zahl der Geburten in Deutschland ist heute nicht nur sehr gering, Kinder werden auch immer später geboren. Um 1970 bekamen Frauen in Westdeutschland durchschnittlich ihr erstes Kind noch im Alter von 24,3 Jahren und in der DDR im Alter von 21,9 Jahren (vgl. Heß-Meining / Tölke 2005, 244). Das Statistische Bundesamt ermittelt jährlich in welchem Alter wie viele Frauen in einem Jahr ihr erstes Kind zur Welt bringen (vgl. Statistisches Bundesamt 2007, 52). Daraus lässt sich das Durchschnittsalter der Erstgebärenden heute errechnen. Im Jahre 2005 betrug das Durchschnittsalter einer Erstgebärenden 30 Jahre. Dabei bekamen verheiratete Frauen deutlich später ihr erstes Kind (30,9 Jahre) als nicht verheiratete Frauen (27,8 Jahre).[6]

Auch dies kann ein Grund für Frauen sein, daher zunächst (oder weiterhin) für die nichteheliche Lebensgemeinschaft zu optieren. Segalen zitiert hier treffend aus Battagliola (Battagliola 1986, 70; zit. n. Segalen 1990, 195):

„Die jungen Frauen haben sich des Konkubinats bemächtigt als Mittel, ihre Position in der Geschlechterbeziehung zu wahren, indem sie den Status ablehnen und zurückweisen, der ihnen durch die Ehe und die Mutterschaft in diesen Beziehungen zugewiesen wird. In eben dieser Gruppe trifft man auf den heftigsten ideologischen Widerstand gegen die Ehe, der vor allem von Frauen geäußert wird, und auf den Gedanken an die Möglichkeit, ein Kind außerhalb der Ehe zu haben.“

2.4.3 Entkopplung von Ehe und Elternschaft

Dies bedeutet also, dass sich Frauen heute nicht mehr nur immer öfter gegen eine Eheschließung entscheiden, weil keine Kinder geplant sind, sondern auch, dass, wenn sie sich für Kinder entscheiden, dies nicht mehr unbedingt mit einer Eheschließung einhergehen muss. Während von den Kindern im Jahre 1950 nur 10% außerehelich geboren wurden und in den 1960er und 1970er Jahren sogar nur etwa 8%, sind es heute etwa 29%. Daher spricht man heute allgemein von einer Entkopplung von Ehe und Elternschaft.

Dies bedeutet auf der einen Seite, dass es eine wachsende Zahl kinderloser Ehen gibt. Im Jahre 2004 lebten nur noch bei 48% aller Ehepaare in Deutschland ledige Kinder, während dies 1996 noch bei 53% der Fall war[7]. Der andere, weitaus bedeutendere Aspekt dieser Entkopplung meint, dass es eine wachsende Zahl an Eltern gibt, die nicht verheiratet oder nicht mit dem leiblichen Elternteil ihrer Kinder verheiratet sind. Das heißt, es gibt eine wachsende Anzahl von Kindern, die in alternativen Lebensformen leben und das insbesondere in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Bereits in 31% aller nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben Kinder (Statistisches Bundesamt 2006b, 13-14). Zwar heiraten junge nichtehelich Zusammenlebende oftmals, wenn Kinder zur Beziehung hinzukommen oder geplant sind (vgl. Manning 2006, 24; Ostner 2001, 92; Müller et al. 1999, 21-22), jedoch ist dieser Trend eher abnehmend bzw. verlängert sich die Zeit zwischen Geburt des Kindes und der tatsächlichen Eheschließung (vgl. Schneider / Rüger 2007, 135).

2.4.4 Pluralisierung der Lebensformen

Als Folge der Individualisierung und der anderen genannten ökonomischen, rechtlichen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen wird oft von einer Pluralisierung der Lebensformen gesprochen (vgl. Matthias-Bleck 2006, 28). Damit ist gemeint, dass sich

„die Bandbreite der gesellschaftlich akzeptierten Formen des Allein- und Zusammenlebens im Zeitverlauf vergrößert und die Verteilung der Bevölkerung über diese Formen gleichmäßiger, das heißt insgesamt heterogener wird. Die Ehe verliert im Verlauf dieses Prozesses ihre dominierende Stellung und es kommt zu einer Vielfalt an Lebensformen.“ (Lengerer / Klein 2007, 434)

Empirische Forschungen konnten diese These jedoch nicht vollends bestätigen. Lengerer und Klein fanden bei ihrer Betrachtung der Mikrozensus-Erhebungen[8] von 1962 bis 2004 heraus, dass es nicht zu einer Singlegesellschaft und größeren „Beziehungslosigkeit“ gekommen ist, denn der Anteil von ohne Partner Lebenden hat sich über die letzten vier Jahrzehnte hinweg kaum verändert (vgl. Lengerer / Klein 2007, 434). Das bedeutet, dass die moderne Gesellschaft paarorientiert bleibt (vgl. Matthias-Bleck 2006, 27). Obwohl die Heiratsneigung in der Bevölkerung abnimmt, wird die fallende Zahl der Ehen aber mehr und mehr durch die Zunahme einer anderen partnerschaftlichen Beziehung kompensiert: der nichtehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. Lengerer / Klein 2007, 434).

2.4.5 Erfordernisse der postmodernen Arbeits- und Lebenswelt

Ein weiterer Grund für den Anstieg der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in Deutschland kann auch in den Veränderungen des Arbeitsmarktes gesehen werden. Seit Mitte der 1970er Jahre und verstärkt seit den 1980er Jahren unterlag der Arbeitsmarkt in modernen Gesellschaften strukturellen Veränderungen. Diese werden charakterisiert durch die Erhöhung der Produktivität, die wachsende Bedeutung von Flexibilität, steigende Unsicherheiten und einen intensiveren internationalen Wettbewerb (vgl. Nazio / Blossfeld 2002, 57). Zu diesen Veränderungen zählen beispielsweise eine Zunahme von befristeten Arbeitsverhältnissen, unregelmäßige Arbeitszeiten und die Erwartung des Arbeitsmarktes an den Einzelnen, für das Arbeitsverhältnis den eigenen Wohnort aufzugeben und sich anderswo für eine Zeit lang oder für immer neu niederzulassen.

Die Veränderungen im Arbeitsleben tangieren natürlich auch das soziale Leben von Menschen und damit auch die Ehe. Der Arbeitsmarkt und das Erwerbsleben der Zweiten Moderne verlangen der Ehe und der Familie nun ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität ab. Da Ehe und Familie an sich auf Beständigkeit und Verwurzelung gründen, während das Marktmodell der Zweiten Moderne den mobilen und ungebundenen Menschen und somit die ehe- und familienlose Gesellschaft zum Ideal macht, drängt sich natürlich die Frage auf: Wie viel Mobilität und Flexibilität verkraftet ein Familienleben? (vgl. Nave-Herz 2004, 105; Schneider et al. 2002, 21).

Im Hinblick auf den Widerspruch der Gebundenheit innerhalb einer Paarbeziehung und der Ungebundenheit, die der Arbeitsmarkt Menschen heute abverlangt, wird für viele Menschen die nichteheliche Lebensgemeinschaft zu einer guten Lösung und einer rationalen Antwort auf die gestiegenen Ungewissheiten (vgl. Nazio / Blossfeld 2002, 47). Trotz oder gerade durch die heute geforderte Mobilität, Flexibilität und Ungebundenheit, wächst mit der fortschreitenden Modernisierung mit ihren Individualisierungs- und Differenzierungsprozessen das Bedürfnis nach Nähe, Intimität und Sicherheit. Diese Bedürfnisse werden weiterhin durch stabile Partnerbeziehungen versucht zu befriedigen. Somit steht die dauerhafte und monogame Beziehung hoch im Kurs. Hier wird daher neben der Ehe die nichteheliche Lebensgemeinschaft als passende Lebensform von immer mehr Menschen gewählt (vgl. Küpper 2000, 44).

Obwohl die Ehe weiterhin ein bevorzugtes Lebensmodell in Deutschland bleibt (vgl. Hohenester 2000, 27) und das Verhältnis von Verheirateten zu nichtehelich zusammenlebenden Paaren in Deutschland momentan 1:8 beträgt (vgl. Statistisches Bundesamt 2006b, 29-30, eigene Berechnung), steigt die Beliebtheit der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen an. Während im Jahre 1996 nur 1,8 Millionen nichteheliche Lebensgemeinschaften gezählt wurden, lebten im Jahr 2004 bereits 2,4 Millionen innerhalb dieser Lebensform. Das bedeutet, dass die Zahl der nichtehelich Zusammenlebenden um ein Drittel angestiegen ist (vgl. Statistisches Bundesamt 2006a, 35-36).

2.4.6 Abbau sozialer Normen und Kontrollmechanismen im Zusammenhang mit der Ehe

Dass die nichteheliche Lebensgemeinschaft heute entstigmatisiert ist und von immer mehr Menschen als Lebensform gewählt wird, hängt natürlich auch mit gesetzlichen Änderungen zusammen, die (oft stark zeitverzögert) dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung trugen. Im Jahre 1973 wurde der so genannte „Kuppeleiparagraph“ § 180 a.F.[9] StGB aufgehoben, der es verbot, dass ein Dritter einem Paar die Gelegenheit zur Unzucht (vorehelichem Geschlechtsverkehr) verschaffte oder diese tolerierte. Die Strafe für ein solches Vergehen lag zwischen einem und fünf Tagen Gefängnis. Das Monopol der Ehe war durch diesen Paragraphen gesichert und andere partnerschaftlichen Lebensformen waren mit dieser gesetzlichen Regelung ausdrücklich verboten (vgl. Peuckert 1999, 37). Daher war es undenkbar, dass ein Vermieter einem Paar eine Wohnung zum gemeinsamen Bezug und damit zur Bildung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft überlassen hätte, da dies sittenwidrig und strafbar gewesen wäre (vgl. Lakemann 1999, 118).

Bis zum Jahre 1958, in dem das „Gleichberechtigungsgesetz“ erlassen wurde, waren Ehemänner berechtigt, über das Vermögen ihrer Frau zu verfügen oder ihre Dienst- und Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Nach der Abschaffung dieser Regelung, verschwand das bürgerliche Rollenverständnis jedoch trotz allem nicht aus dem BGB. Fortan hieß es im Paragraph 1356 Absatz 1 Nummer 2 BGB, dass eine Frau nur zur Erwerbstätigkeit berechtigt sei, soweit diese mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar sei. Paragraph 1360 Satz 2 beinhaltete, dass sich beide Eheleute zum Unterhalt verpflichtet sind. Die Erfüllung dieser Pflicht sollte auf Seiten der Ehefrau in der Regel durch die Haushaltsführung geschehen (vgl. Matthias-Bleck 2006, 125). Auch behielt der Vater noch bis 1980 das Entscheidungsrecht im Bereich der elterlichen Gewalt und war damit alleiniger gesetzlicher Vertreter des Kindes (vgl. Peuckert 1999, 37; Reichle 1998, 4; Matthias-Bleck 2006, 125)

Erst mit dem 1. Eherechtsreformgesetz (1977), wurde das Leitbild der „Hausfrauenehe“ aus dem Gesetz abgeschafft. Paragraph 1356 BGB beinhaltete ab diesem und bis zum heutigen Zeitpunkt, dass die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln ist und dass beide Partner das Recht haben, erwerbstätig zu sein. Geschlechtsneutral wird im zweiten Absatz festgehalten, dass bei der Wahl und Ausübung der Erwerbstätigkeit auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie Rücksicht zu nehmen ist (vgl. ebd.).

Mit der Aufhebung der genannten Rechtsnormen wird die staatliche Kontrolle der Ehemoral stark zurückgeschraubt. Der Abbau dieser Normen und Kontrollmechanismen weist eindrucksvoll auf die Deinstitutionalisierung der Ehe hin, was das Leben in einer alternativen Lebensform leichter zugänglich macht (vgl. Peuckert 1999, 37; Matthias-Bleck 2006, 25).

2.5 Zusammenfassung

Das heutige Bild von Ehe, nichtehelicher Lebensgemeinschaft und Familie, kann auf einen langen geschichtlichen Entstehungs- und stetigen Wandlungsprozess zurückblicken. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, die bei den Germanen kaum von der Ehe zu unterscheiden war, wurde unter dem Einfluss der christlichen Kirche bis in das zwanzigste Jahrhundert als unzüchtig betrachtet und sogar strafrechtlich verfolgt. Obwohl zumeist Ehehindernisse in den früheren Jahrhunderten der Grund für nichteheliche Lebensgemeinschaften waren, sind es heute, in einer Zeit kaum mehr vorhandener Ehehindernisse, andere Gründe und gesellschaftliche Dynamiken, die Menschen dazu bewegen, nicht zu heiraten (vgl. Venger 2004, 33).

[...]


[1] Diese Erklärung bezieht sich explizit auf Deutschland, da in anderen Ländern wie beispielsweise Kanada auch die homosexuelle Lebenspartnerschaft im Begriff „Ehe“ eingeschlossen ist.

[2] Wohngemeinschaften, die durch die hohen Mietpreise in Städten entstanden. Arbeitssuchende, Zuwanderer, unqualifizierte Arbeiter und Handwerksgesellen suchten nach günstigen Wohnmöglichkeiten, während ledige Frauen mit Kindern, Witwen und Unterschichtsfamilien zur Haltung der Wohnung diese Männer aufnahmen. Durch das enge Zusammenleben entwickelten sich die Zweckgemeinschaften häufig zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften (vgl. Gröwer 1999, 367-368).

[3] Dies ist aus Heiratsprotokollen aus Hamburg ersichtlich, die Autorin fand jedoch keine hinreichende Erklärung für dieses Phänomen (vgl. Gröwer 1999, 414, 415).

[4] Alle benannten Artikel des Grundgesetztes sind unter anderem nachlesbar beim Bundesministerium der Justiz auf http://www.gesetze-im-internet.de/gg/index.html.

[5] Kursiv im Original

[6] Zur Berechnung habe ich nur die Zahlen der 14 - 44-jährigen berücksichtigt, der Wert für verheiratete Frauen liegt näher am Durchschnittswert, da die Gruppe der verheirateten Frauen bedeutend größer ist als die Gruppe der nicht verheirateten Frauen, die ein Kind bekamen.

[7] Es muss natürlich berücksichtigt werden, dass diese Rechnung nicht nur kinderlose Ehepaare an sich berücksichtigt, sondern auch ältere Paare, deren Kinder bereits ausgezogen sind.

[8] Der Mikrozensus ist die amtliche Repräsentativstatistik, die jährlich Daten über die soziale und wirtschaftliche Lage, sowie über Arbeitsmarkt, Erwerbstätigkeit und Ausbildung der Bevölkerung erhebt. Ein Prozent aller Haushalte in Deutschland nimmt jedes Jahr an diesen Befragrungen teil (370.000 Haushalte mit 820.000 Personen).

[9] alte Fassung

Ende der Leseprobe aus 122 Seiten

Details

Titel
Die nichteheliche Lebensgemeinschaft
Untertitel
Die wachsende Attraktivität einer alternativen Lebensform und ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation von Frauen und Kindern
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena  (Fachbereich Sozialwesen)
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
122
Katalognummer
V112016
ISBN (eBook)
9783640107261
Dateigröße
1056 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebensgemeinschaft
Arbeit zitieren
Christine Schlapa (Autor:in), 2008, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112016

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Titel: Die nichteheliche Lebensgemeinschaft



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