Transnationalität, Transmigration und transnationale Biographien


Seminararbeit, 2008

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Hinführung zum Thema
1.1 Einleitung
1.2 Von der Arbeitsmigration zur transnationalen Migration

2 Begriffliche Erklärungen
2.1 Transnationalität
2.2 Transmigration
2.3 Transnationale Räume

3 Transnationale Biographien
3.1 Transnationale europäisch geprägte Elitenbiographie- das Beispiel Herr A.
3.2 Transnationale europäische Unterschichtswanderung- Herr W.

4 Schlussbemerkung

5 Literaturverzeichnis

1 Hinführung zum Thema

1.1 Einleitung

Im Rahmen meiner Honorartätigkeit in einem Vorkindergarten las ich einer zweijährigen aus einem Buch vor. Bei jeder neuen Seite fragte sie mich Bezug nehmend auf die abgebildeten Bilder: „Ist das ein Mann oder eine Frau?“. Es schien ihr also wichtig zu sein die Welt innerhalb der Kategorie Geschlecht in eine der zwei möglichen Gruppen zu klassifizieren und zu differenzieren. Die Geschlechtereigenschaft erscheint hier also total inklusiv und exklusiv: jeder hat ein Geschlecht und jeder kann nur einer einzigen Kategorie angehören: entweder man ist männlich oder weiblich. In allen Gesellschaften werden Kinder nach der Geburt durch Ansehen des Körpers der einen oder anderen Geschlechtsklasse zugeordnet, wodurch sie gleichzeitig eine an das Geschlecht gebundene Identifikationskette verliehen bekommen. Die Klassifikation wird hier als erster Schritt zu einem Sortierungsvorgang angesehen, welcher die Angehörigen der Klassen unterschiedlicher Sozialisation unterwirft. An sie werden jeweils andere Erwartungen gestellt und sie machen jeweils andere Erfahrungen. Das System der Geschlechtsklasse beansprucht in der Regel lebenslange Geltung- kann man anhand von optischen Merkmalen nicht zwischen den Geschlechterklassen unterscheiden führt dies in der Regel zur Irritation. Doch auch für die eigene Identitätsbildung ist die Geschlechtsklasse von immenser Bedeutung, denn sowohl die Angehörigen der einen als auch der anderen Klasse beurteilen sich ständig hinsichtlich der Idealvorstellungen des eigenen Geschlechts.[1]

Übertragen auf die Thematik der Migration lies sich auch in der Migrationsforschung lange eine solche Perspektive erkennen: ein Leben zwischen zwei oder mehr Heimaten erschien als kaum denkbar. Das Hauptinteresse der bundesdeutschen Migrationsforschung gilt also traditionell vor allem der Untersuchung der Arbeitsmigranten sowie deren Nachkommen sowohl bezogen auf die Ursachen der Wanderungen als auch auf den Grad der ökonomischen, sozialen und kulturellen Integration[2]: die nachhaltige Eingliederung von Arbeitsmigranten, das als wünschenswert postulierte Ziel der völligen Assimilation in die Aufnahmegesellschaft sowie die mit der Migration scheinbar verbundenen Folgeprobleme standen lange im Fokus der Migrationsforschung. Auch im alltäglichen Leben ist häufig eine solche Einstellung zu erkennen: Entweder man ist „Deutscher“ oder „Ausländer“. Gehört man der zweiten Kategorie an werden oft schon die Forderungen nach Anpassung in Form von Deutsch- Kursen oder in Form des Ablegens „nicht- deutscher- religiöser Symbole“ - wie zum Beispiel des Kopftuches- laut. Dass allerdings auch Identitäten und Räume über nationalstaatliche und gesellschaftliche Grenzen hinaus problemlos bestehen können, erscheint vielen undenkbar.

Erst in den letzten Jahren zeigt sich in der Migrationsforschung eine Umorientierung: Das klassische push- pull- Konzept und die daran gekoppelten Modellannahmen werden zunehmend als unzulänglich zur Erklärung der Ursachen und des Verlaufs von Migrationsbewegungen eingestuft. Die ursprüngliche Differenzierung zwischen temporärer und dauerhafter Wanderung erweist sich zunehmend als nicht mehr zutreffend: So konstituiert sich die Lebenspraxis der so genannten Transmigranten zwischen unterschiedlichen Wohnorten und verschiedenen sozialen und geographischen Räumen und ist im Gesamtzusammenhang „eines tief greifenden Prozesses wirtschaftlicher, kultureller, politischer und sozialer Globalisierung“[3] zu sehen. Während in der Logik des Nationalstaates ein Leben mit zwei oder mehr Heimaten immer noch als Problemfall gilt[4], soll in der folgenden Arbeit das Hin- und Herbewegen zwischen verschiedenen nationalen Kontexten und Bildungssystemen auch als Ressource und nicht nur als Defizit thematisiert werden.

Anschließend an die Darstellung der Entwicklung von der Arbeitsmigration zur transnationalen Migration sollen zunächst die Begriffe „Transnationalität“, „Transmigration“ und „Transnationaler Raum“ detailliert erläutert werden. Daraufhin wird die transnationale Migration innerhalb Europas und deren Besonderheit im Vordergrund stehen. In Anlehnung an Verwiebe wird also abschließend der Frage nachgegangen, wie die biographischen Verläufe, insbesondere die Berufsbiographien, von transnationalen europäischen Migranten strukturiert werden und welche Typen von europäischen Biographien sich dabei ausmachen lassen.

1.2 Von der Arbeitsmigration zur transnationalen Migration

Apitzsch und Siouti haben die Entwicklung von der Arbeitsmigration zur transnationalen Migration illustriert. Diese soll nun kurz in ihren Grundzügen dargestellt werden um dann drauf aufbauend die Begriffe der Transnationalität, der Transmigration und der Transnationalen Sozialen Räume näher erläutern zu können.

Während Arbeitsmigration im Sinne des Anwerbens von Menschen zum Zwecke der Erwerbsarbeit verstärkt schon seit dem Dreißigjährigen Krieg und später dann auch im Rahmen der Industrialisierung betrieben wurde, führte vor allem das „Wirtschaftswunder“ während den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer Anwerbung von internationalen Arbeitskräften und somit auch zu Arbeitsmigration. Auch die Tatsache, dass in den 50er und 60er Jahren die geburtenschwache Kriegsgeneration in das erwerbsfähige Alter kam und sich gleichzeitig die Ausbildungszeiten verlängerten, führte zu einem Arbeitskräftemangel in der BRD.[5]

Ende des Jahres 1955 wurden die ersten Anwerbungen beschlossen: Die ersten italienischen „Gastarbeiter“, wie sie damals genannt wurden, kamen nach Deutschland. Später wanderten dann auch Arbeitsmigranten aus anderen Ländern, den so genannten Anwerbestaaten, ein. Bis 1960 stieg die Zahl der Arbeitsmigranten in Deutschland auf 329.000 an. Die Grenze von einer Million wurde 1964 überschritten. Bis zum Zeitpunkt des Anwerbestopps aufgrund der Ölkrise im Jahr 1973 waren knapp 2,6 Millionen Arbeitsmigranten nach Deutschland gekommen. Zu dieser Zeit arbeiteten sie längst in allen Industriezweigen, oft auf gering qualifizierten Arbeitsplätzen.[6]

Zunächst lässt sich Apitzsch und Siouti zufolge festhalten, dass Arbeitskräfte aus den EU-Ländern gegenüber Einwanderern aus nicht EG- Staaten einen rechtlich privilegierten Status genossen haben, was aber nicht nur Vorteile sondern auch zahlreiche Probleme implizierte. Dieser rechtliche Status der EU- Arbeitnehmer habe in der BRD zwar zu einem größeren politischen und kulturellen Aktionsraum als bei anderen Gruppen ausländischer Arbeitnehmer geführt: doch seien die EU- Arbeitnehmer aufgrund ihres ökonomischen Status als „klassische industrielle Reservearmee des Herkunftslandes“ auch nach dem Anwerberstopp 19973 einer dauerhaften Rotation und den darin implizierten sozialen Beeinträchtigungen ausgeliefert gewesen. Während von den deutschen Arbeitsvermittlungsstellen aus den Anwerberländern außerhalb des EG- Bereichs primär qualifizierte Arbeitskräfte aus den eher entwickelten Regionen geholt wurden, stammten demgegenüber der größte Teil der in die BRD einwandernden Italienern, Griechen, Spaniern oder auch Portugiesen aus den wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Regionen. Zwar arbeiteten die Arbeitsmigranten „ganz unten“ und wurden somit mit Gesundheitsproblemen und Frühverrentungen konfrontiert, doch war das Lohnniveau in der BRD in der Regel deutlich höher als im Herkunftsland. Auch die außertariflichen Leistungen sowie das gute Gesundheits- und Rentensystem führten zu einer in vielerlei Hinsicht ‚akzeptablen’ Situation der Arbeitsmigranten in der BRD.[7]

Aus dieser ersten „Gastarbeiter“- Generation kehrten nur wenige vollkommen ohne jegliche Bindungen zur BRD in ihr Herkunftsland zurück: Viele behielten noch lange ihre Sozialwohnungen in Deutschland mit dem Ziel, mehrere Monate jährlich aufgrund von Arztbesuchen oder Besuchen der Enkelkinder dort leben zu können. Martini erkannte hierin die allmähliche Entstehung eines transnationalen Lebensraums als Ressource für diese erste Generation der Arbeitsmigranten[8]: das eine oder andere Land wurde dadurch zunehmend zum Zufluchtsort bei der Lösung verschiedener Problemlagen der Familien.

Nachdem in den 50er Jahren in erster Linie Männer als Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen, holten diese in der Folgezeit bald ihre Frauen und Kinder nach. Diese Kinder, also die zweite Generation, pendelten Apitzsch und Siouti zufolge aufgrund der auszehrenden Berufstätigkeit beider Eltern oft zwischen Herkunfts- und Ankunftsland. Für einen Teil dieser zweiten Generation führte der so entstehende transnationale Raum allerdings zu Problemen: Aus Schließungstendenzen des Aufnahmelandes sowie aus der Verweigerung einer höheren Schulbildung und soziale Unsicherheiten resultierten zunehmend Diskriminierungs- Erfahrungen. Deshalb wurde diese Generation häufig mit dem Begriff der „Benachteiligten“ etikettiert.[9] Während die erste Generation sich noch über funktionierende gewerkschaftliche Organisationen in die sozialen Strukturen des Ankunftslandes eingliedern konnte und aufgrund der als vorübergehend verstandenen Migrationsphase ihre politischen und sozialen Traditionen des Herkunftslandes problemlos beibehalten durfte, fanden sich die Angehörigen der zweiten Generation in einer „Modernisierungsfalle“: Zum einen führten Modernisierungsprozesse im Herkunftsland zu keinen vergrößerten Partizipationschancen für Ausgewanderte; zum anderen hatte auch eine Orientierung am beruflichen Aufstieg im Ankunftsland nur bei wenigen Aussicht auf Erfolg. Zeitgleich machte sich aber Apitzsch und Siouti zufolge auch eine Gegendynamik bemerkbar: Der Trend zur Netzwerkbildung innerhalb der Migranten- Communities führte -unterstützt durch die Neuzuwanderung im Rahmen der Freizügigkeit der sich etablierenden Europäischen Gemeinschaft- dazu, dass bald auch Hochschulabsolventen einwanderten, die in der Folge in Konsulaten, Schulen, Kulturvereinigungen und außerschulischen Bildungsinstitutionen beschäftigt wurden.[10] Politische Ausländervereine schufen zunehmend Kommunikationsnetze zwischen Intellektuellen. Ferner entstanden zahlreiche selbstorganisierte, erfolgreiche Präventionsmaßnahmen gegen Ausschlüsse aus dem Schulsystem. So wurden zum Beispiel griechische Nationalschulen gegründet, die analog zum griechischen Schulsystem fungieren und von den griechischen diplomatischen Vertretungen in Deutschland koordiniert werden.[11] Apitzsch und Siouti vertreten in diesem Zusammenhang die These, dass durch diese Entdeckung und Nutzung des transnationalen europäischen Bildungsraumes die Mechanismen des Ausschlusses aus dem deutschen Bildungssystem häufig erfolgreicher unterlaufen werden konnten, als das durch die oft geforderte bedingungslose Assimilation an das deutsche Bildungssystem möglich gewesen sei.[12]

2 Begriffliche Erklärungen

2.1 Transnationalität

Aus der Globalisierung und den damit verbundenen gesellschaftlichen Dynamiken resultiert zunehmend inter- und transnationale Mobilität: Im Unterschied zu Migranten, die sich auf Dauer in einem Gastland ansiedeln und unter Umständen auch dessen Staatsangehörigkeit annehmen, führen immer mehr Menschen ein Leben als so genannte Transmigranten, die von einem Land zum nächsten wechseln oder auch zwischen Heimatland und anderen Ländern hin- und herpendeln, ohne sich irgendwo auf Dauer niederzulassen.[13]

[...]


[1] Vgl. Goffman: The arrangement between the sexes, 1977

[2] Vgl. Verwiebe: Transnationale Migration innerhalb Europas; in: Kreutzer/ Roth: Transnationale Karrieren: Biographien, Lebensführung und Mobilität, 2006, S.301

[3] Verwiebe: Transnationale Migration innerhalb Europas; in: Kreutzer/ Roth: Transnationale Karrieren: Biographien, Lebensführung und Mobilität, 2006, S.301

[4] Vgl. Römhild (2002) zit. in: Apitzsch/Siouti: Transnationale Biographien. In: Homfeldt/ Schroer/ Schweppe: Soziale Arbeit und Transnationalität, 2008, S.5

[5] Vgl. Hradil: Die Sozialstruktur Deutschlands im internationalen Vergleich, 2006, S. 177 ff.

[6] Vgl. DGB Bildungswerk Migration online. http://www.migration-online.de/schlagwort._cGFnZS5zaWQ9NDI_.html, Abrufdatum: 26.03.2008

[7] Vgl. Apitzsch/Siouti: Transnationale Biographien. In: Homfeldt/ Schroer/ Schweppe: Soziale Arbeit und Transnationalität, 2008, S.1 f.

[8] Martini, C., zit. in: Apitzsch/Siouti: Transnationale Biographien. In: Homfeldt/ Schroer/ Schweppe: Soziale Arbeit und Transnationalität, 2008, S.2

[9] Vgl. Apitzsch/Siouti: Transnationale Biographien. In: Homfeldt/ Schroer/ Schweppe: Soziale Arbeit und Transnationalität, 2008, S.2

[10] Vgl. ebd. , S.3

[11] Vgl. Apitzsch/Siouti: Transnationale Biographien. In: Homfeldt/ Schroer/ Schweppe: Soziale Arbeit und Transnationalität, 2008, S.4

[12] Vgl. ebd.

[13] Vgl. Kreutzer/ Roth: Transnationale Karrieren: Biographien, Lebensführung und Mobilität, 2006, S.7

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Transnationalität, Transmigration und transnationale Biographien
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Pädagogisches Institut)
Veranstaltung
Internationalität und Soziale Arbeit
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V111976
ISBN (eBook)
9783640107094
ISBN (Buch)
9783640109265
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Transnationalität, Transmigration, Biographien, Internationalität, Soziale, Arbeit
Arbeit zitieren
Daniela Hammerschmidt (Autor:in), 2008, Transnationalität, Transmigration und transnationale Biographien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111976

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