Max Webers Auseinandersetzung mit der Historischen Nationalökonomie 1

Roscher und Knies


Seminararbeit, 2007

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

1. Problemstellung

2. Max Webers Beweggründe für die Entstehung seiner Abhandlung Roscher
und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie

3. Max Webers Auseinandersetzung mit der älteren historischen Schule
3.1. Roschers historische Methode
3.2. Knies und das Irrationalitätsproblem

4. Webers Auseinandersetzung mit der älteren historischen Schule in der wissenschaftlichen Literatur

5. Schlussbetrachtung

1. Problemstellung

Gemäß einer 1997 durchgeführten Umfrage der International Sociological Association zählen zwei Werke Max Webers zu den fünf einflussreichsten Büchern des 20. Jahrhunderts[1]. Auch die Tatsache, dass er vielfach als ein Faszinosum[2] angesehen wird, das sich weder bzgl. seiner Berufsbezeichnung, einer Disziplin oder einer Denkschule eindeutig einordnen lässt, entzündet das Interesse, sich mit seinen Beiträgen zu verschiedenen Sparten zu befassen. Wer sich von diesem Interesse leiten lässt, wird schnell auf die Disziplin stoßen, der Max Weber einen Großteil seines aktiven Berufslebens als Dozent widmete: die Nationalökonomie. Die ältere historische Schule ist ein empfehlenswerter Ausgangspunkt innerhalb dieser Disziplin für den, der auf Webers Spuren wandelt, um seinem Beitrag für diese Disziplin näher zu kommen. Schließlich war diese Denkschule auch für Weber selbst der Ausgangspunkt. Aus ihr ging er hervor, und mit ihr setzte er sich in späteren Jahren zunehmend kritisch auseinander[3]. Den Erkenntnissen dieser inneren Auseinandersetzung verlieh er schriftlich Ausdruck in seiner Abhandlung Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie, die im Focus dieser Arbeit steht. Die Abhandlung besteht aus einem Aufsatz über Wilhelm Roscher, mit dem Titel Roschers historische Methode, und einem Aufsatz in zwei Teilen über Karl Knies, der mit Knies und das Irrationalitätsproblem betitelt ist.

In dem Aufsatz über Karl Knies bemängelte Max Weber an diesem: „Wer den ganzen Inhalt dieses eminent gedankenreichen Werkes überhaupt in voller Tiefe wiedergeben wollte, dem bliebe nichts anderes übrig, als zunächst die gewissermaßen aus verschiedenen Gedankenknäueln stammenden Fäden, welche neben- und durcheinander herlaufen, voneinander zu sondern und sodann jeden Gedankenkreis für sich zu systematisieren“[4]. Hennis griff diese Bemerkung Jahre später auf, indem er sagte, dass sie genauso gut auch auf Max Weber selbst passe[5]. Diese Seminararbeit möchte im Folgenden versuchen, die Gedankenknäuele Webers in den beiden Aufsätzen zu entwirren. Damit soll verdeutlicht werden, in welchen Punkten Max Weber Wilhelm Roschers und Karl Knies historische Methode kritisiert, und wie diese Kritik eingeschätzt werden kann. Daneben soll auch untersucht werden, wo die Aufsätze in dessen methodologischem Wirken einzuordnen sind und welchen Stellenwert sie dort haben.

Als Vorgehensweise zur Erreichung verfolgter Ziele wurde die Folgende gewählt: Um die Bedeutung des Inhalts der Aufsätze später besser einschätzen und gewichten zu können, erscheint es als sinnvoll, die Schriften mit ihrer Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen. Dies erfolgt in Kapitel 2. Kapitel 3 arbeitet die Kernpunkte Webers Kritik in den Aufsätzen über Roscher und Knies heraus. Nachdem diese Kernpunkte in ihrem Inhalt zusammenfassend wiedergegeben wurden, befasst sich Kapitel 4 mit der Bewertung dieses Inhalts in einigen Werken der wissenschaftlichen Fachliteratur. Dies soll weitere Anhaltspunkte für Einordnung und Gewichtung der Aufsätze geben. Kapitel 5, die Schlussbetrachtung, wird die gewonnen Erkenntnisse schließlich verarbeiten und enthält darüber hinaus eine persönliche Beurteilung der Daseinsberechtigung dieser Aufsätze.

Diese Arbeit setzt ein fundiertes Grundverständnis des Historismus und der älteren historischen Schule mit ihren Hauptvertretern, Wilhelm Roscher und Karl Knies, als Propädeutik voraus.

2. Max Webers Beweggründe für die Entstehung seiner Abhandlung Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie

Vor der Frage wie Weber die methodologische Vorgehensweise Wilhelm Roschers und Karl Knies beurteilt, steht die Frage, wie er überhaupt dazu kommt, sich zu einer Zeit mit diesen Altmeistern der älteren historischen Schule zu befassen, in der die jüngere historische Schule vorherrscht. Diese Ausgangsfrage lässt sich sogar in drei Teilfragen untergliedern: Warum Weber theoretisch-methodologischen Problemen nachgeht, wieso ihn diese zu einer Beschäftigung mit der älteren historischen Schule führen, und weshalb er sich in seiner schriftlichen Ausarbeitung über die logischen Probleme der Nationalökonomie auf die Methodologie von Wilhelm Roscher und Karl Knies beschränkt und Bruno Hildebrand, den dritten großen Vertreter der älteren historischen Schule, außen vor lässt.

Bezüglich der ersten Teilfrage bietet Choi eine Erklärung an: er sieht die unüberbrückbare Kluft zwischen der historischen und der theoretischen Schule als Auslöser einer Beschäftigung Webers mit methodologischen Fragen an[6]. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts besteht für Weber diese Kluft, die durch den älteren Methodenstreit[7] in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden war, noch immer. Er ist der Auffassung, dass, wer „den Kampf um Methode, Grundbegriffe und Voraussetzungen, den steten Wechsel der Gesichtspunkte und die stete Neubestimmung der Begriffe, die verwendet werden, beobachtet […] sieht, wie theoretische und historische Betrachtungsform noch immer durch eine scheinbar unüberbrückbare Kluft getrennt sind[8] “.

Für die zweite Teilfrage bietet Choi ebenfalls eine Erklärung an: Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der älteren historischen Schule ist für Max Weber die Frage, wie mit einigen logisch-methodischen Problemen, die von der vorhergehenden Generation in der Geschichtswissenschaft und der Nationalökonomie diskutiert worden waren, in den Anfängen der historischen Nationalökonomie umgegangen worden war. Dies interessiert Weber zu einer Zeit, in der bereits die jüngere historische Schule vorherrscht deshalb, weil er in der jüngeren historischen Schule und in den ganzen Kulturwissenschaften diese Probleme als nicht überwunden zu erkennen meint[9].

Tenbruck bietet zur Beantwortung der ersten beiden Teilfragen eine ganz andere Erklärung an, die nicht Webers Interessen als Grundlage hat. Er weist darauf hin, dass die Artikel über Roscher und Knies Auftragsarbeiten waren, die Weber dazu zwangen, sich mit der Frage der Methode zu befassen[10]. Gemäß Tenbruck erwecken die Arbeiten zu diesem Thema „den Eindruck, dass es für Weber des Zwanges bedarf, um sich mit Methodologie zu beschäftigen. Dass er dieser Tätigkeit nur allzu gern Lebewohl gesagt hätte, wird man um so eher vermuten dürfen, als er, ausweislich der Unabgeschlossenheit der Arbeiten, ihr tatsächlich ebenso abrupt den Rücken gekehrt, wie er sich ihr früher zugewendet hat, was zu der […] Kürze der methodologischen Periode passen würde[11] “. Mit der Unabgeschlossenheit meint Tenbruck, dass – mit Ausnahme des Objektivitätsaufsatzes - alle anderen methodologischen Arbeiten von dem Versprechen auf Fortsetzung zehren[12].

Die dritte Teilfrage beantwortet Max Weber zu Beginn seiner Abhandlung selbst. Bruno Hildebrand verwerte in Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft, der Schrift in der er sein Verständnis des Relativismus schriftlich fixierte , in Webers Augen methodologisch lediglich Gedanken, welche schon vor ihm entwickelt und erwähnt worden waren, weshalb er ihm zur Erörterung in seiner methodologischer Arbeit als nicht geeignet erschien[13].

3. Max Webers Auseinandersetzung mit der älteren historischen Schule

3.1 Roschers historische Methode

Weber beschließt das Ende des Aufsatzes Roschers historische Methode mit der Feststellung, dass dessen Methode ein - rein logisch betrachtet - durchaus „widerspruchsvolles Gebilde“ darstelle[14]. Genau jene Widersprüche legt er zuvor im Verlauf seines Aufsatzes über Roscher offen, wobei er auf die Erzeugung eines Gesamtbildes oder eine Würdigung des Altmeisters der älteren historischen Schule bewusst verzichtet, sondern sich auf die Darlegung spezieller logischer Probleme in dessen Methodologie konzentriert[15].

Im Zusammenhang mit dem Volk gibt es Punkte bei Roschers Thesen, an denen sich Weber stößt. Einer dieser Punkte ist Roschers Vorstellung davon, dass er das Volk als „einheitliches reales Wesen metaphysischen Charakters“ behandle und nicht „als Resultante unzähliger Kultureinwirkungen“ ansehe[16]. Die Volkswirtschaft sei nicht das Ergebnis der unzähligen einzelwirtschaftlichen Bestrebungen im Volk, sondern unmittelbares Ergebnis des wirtschaftenden Wesens Volk, des Volksgeists[17]. Näher würde der Begriff des „bedeutungsvollen Gesamtwesens[18] “ Volk nicht erklärt, aus dem alle „einzelnen Kulturäußerungen[19] “ emanierten[20]. Ein weiterer Kritikpunkt an Roschers Verständnis vom Volk ist, dessen Annahme, dass die Völker trotz ihrer Verschiedenheit als Gattungswesen mit einem biologischen Lebenszyklus zu behandeln seien, und die Parallelen in diesem Lebenszyklus, die durch Vergleich deutlich würden, durch stetige Beobachtung zum logischen Rang von Naturgesetzen erhoben werden könnten[21]. Gemäß Webers Ansicht, könnten diese Regelmäßigkeiten jedoch niemals endgültiges Erkenntnisziel irgendeiner Wissenschaft sein. Die wissenschaftliche Arbeit hätte von dort aus erst zu beginnen[22], und dass Roscher bei Betrachtung des historischen Nacheinander auf eine solche Weise auf Naturgesetze schließe, ist für Weber nur ein Beleg für die Inkonsequenz von Roschers Methodik[23].

Ein weiterer Beleg für dessen inkonsequente Methodik ist für Weber in Roschers Analyse des Nebeneinander der wirtschaftlichen Vorgänge und ihres statischen Zusammenhangs untereinander zu finden[24]. Da – wie soeben erwähnt - Roschers Idee vom wirtschaftlich handelnden Organismus eine Volkswirtschaft als bloßes Aggregat von Einzelwirtschaften ausschließe, geht Weber der Frage nach, wie Roscher denn dann das Verhältnis zwischen den Einzelwirtschaften und der Volkswirtschaft erkläre. Gemäß Roscher könne darauf nur eine Antwort gefunden werden, wenn zunächst bestimmte Annahmen über die psychologischen Wurzeln des Handelns des Einzelnen getroffen würden[25]. Diese Annahmen bestünden für ihn darin, dass der Mensch zum einen durch den Trieb des Eigennutzes und zum anderen durch den Trieb nach der Liebe Gottes bestimmt sei. Dieser Trieb beinhalte die Ideen der Billigkeit, des Rechtes, des Wohlwollens, der Vollkommenheit sowie der inneren Freiheit und fehle keinem völlig. Der göttliche Trieb sei der Widerpart des Eigennutzes und müsse diesen im Zaum halten. „Je enger die sozialen Kreise, auf welche sich der Gemeinsinn bezieht, desto näher steht er dem Eigennutz, je weiter sie sind, desto mehr nähert er sich dem Trachten nach dem Gottesreichen. Die verschiedenen sozialen Triebe des Menschen sind also als Äußerungsformen eines religiösen Grundtriebes in dessen Vermischung mit dem Eigeninteresse aufgefasst“[26]. Was Weber in diesem Zusammenhang von Roscher erwartet, ist eine empirisch hergeleitete Erklärung für die Entstehung von volkswirtschaftlichen Vorgängen und Institutionen aus der Wirksamkeit jener beiden Triebe, deren Mischungsverhältnis im einzelnen Fall festzustellen wäre[27]. Da für Roscher jedoch die Unmöglichkeit eine kausale Erklärung der Totalitäten aus den Einzelerscheinungen vorzunehmen, ein Dogma ist, unternahm er gar nicht erst den Versuch, diese Erklärung zu erbringen[28]. Und da in den spezifischen Gebieten des damaligen Wirtschaftslebens keine Gebrochenheit des wirtschaftlichen Eigennutzes durch andere Triebe erkennbar war, übernahm er den gesamten auf Eigennutz aufgebauten Begriffs- und Gesetzesapparat der klassischen Nationalökonomie vorbehaltlos[29].

[...]


[1] vgl. Hanke E. 2007, S. 42.

[2] vgl. Ay, K.-L. 2006, Titel.

[3] vgl. Choi 2000, S. 56. und S. 44.

[4] Weber 1988, S. 43.

[5] vgl. Hennis, W. 1987, S. 144.

[6] vgl. Choi, H.-K. 2000, S. 53.

[7] In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts entflammte der so genannte ältere Methodenstreit zwischen Carl Menger, dem Begründer der österreichischen Schule, und Gustav Schmoller, dem Begründer der jüngeren historischen Schule. Menger vertrat die Ansicht, dass die historische Schule die Theorie der Volkswirtschaft mit ihrer Geschichte verwechsle. Dadurch würden sich deren Anhänger einer Aufgabe widmen, die eigentlich den Historikern vorbehalten sei. Ihm zufolge sei die Theorie der Volkswirtschaft durch Aufstellung von exakten ökonomischen Gesetzen am Besten zu erklären. Menger betitelte seine Methode als die exakte und die der historischen Schule als die empirisch-realistische. Schmoller hielt Mengers deduktive Vorgehensweise, also die Vorgehensweise, bei der vom Allgemeinen auf das Besondere zu schließen sei, für anmaßend. Wie für einen Anhänger der historischen Schule üblich, bestand er auf der Methode, vom individuellen Phänomen auf die allgemeine Theorie zu schließen (vgl. Rieter, H. 2002, S. 146-147 & Choi H.-K. 2000, S. 46-53 & Stavenhagen, G. 1957, S. 189-190), also auf induktives Vorgehen. Die Debatte um die Methode warf im Weiteren natürlich auch die Frage auf, wohin die Disziplin Ökonomie gehöre: zu den Natur- oder den Geisteswissenschaften (Rieter, H. 2002, S. 146-147).

[8] Weber, M. 1988, S. 160-161.

[9] vgl. Choi, H.-K. 2000, S 56.

[10] vgl. Tenbruck, F. H. 1999, S. 9.

[11] Tenbruck, F. H. 1999, S. 9-10.

[12] Tenbruck, F. 1999, S. 9-10.

[13] Weber, M. ???, Roschers historische Methode, S. 2.

[14] vgl. Weber, M. 1988, S. 41.

[15] vgl. Weber, M. 1988, S. 3.

[16] vgl. Weber, M. 1988, S. 10.

[17] vgl. Choi, H.-K. 2000, S. 63.

[18] Weber, M. 1988, S. 11.

[19] Weber, M. 1988, S. 10.

[20] vgl. Weber, M. 1988, S. 10

[21] vgl. Weber, M. 1988, S. 11-12.

[22] vgl. Weber, M. 1988, S. 13.

[23] vgl. Weber, M. 1988, S. 28.

[24] vgl. Weber, M. 1988, S. 29.

[25] vgl. Weber, M. 1988, S. 29.

[26] Weber, M. 1988, S. 31.

[27] vgl. Weber, M. 1988, S. 31.

[28] vgl. Choi, H.-K. 2000, S. 67.

[29] vgl. Weber, M. 1988, S. 32.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Max Webers Auseinandersetzung mit der Historischen Nationalökonomie 1
Untertitel
Roscher und Knies
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Professur für VWL - insbesondere Wirtschaftstheorie)
Veranstaltung
Seminar „Max Weber als Nationalökonom und Wirtschaftshistoriker“
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V111814
ISBN (eBook)
9783640165056
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Webers, Auseinandersetzung, Historischen, Nationalökonomie, Seminar, Weber, Nationalökonom, Wirtschaftshistoriker“
Arbeit zitieren
Alexandra Anna-Maria Gewiese (Autor:in), 2007, Max Webers Auseinandersetzung mit der Historischen Nationalökonomie 1, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111814

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