Das Lautheits-Wettrennen


Studienarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,8

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen
2.1 Lautheit
2.2 Lautheits-Wettrennen

3. Erklärung und Geschichte
3.1 Analoge Medien
3.2 Digitale Medien

4. Kritik am Lautheits-Wettrennen
4.1 Das Lautheits-Wettrennen aus der Sicht des Konsumenten
4.2 Das Lautheits-Wettrennen aus der Sicht der Produzenten

5. Die Entwicklung der maximierten Lautheit am Beispiel
5.1 Methode
5.2 Beispiel Bon Jovi
5.3 Auswertung
5.4 Ein weiteres Beispiel

6. Gründe
6.1 Psychoakustik
6.2 Musik als Wirtschaftsfaktor
6.3 Wechsel der Hörumgebungen
6.4 Maximierte Lautheit als Teilaspekt des künstlerischen Ausdrucks

7. Folgen
7.1 Ermüdung des Hörers
7.2 Verzerrung
7.3 Verlust an Klangqualität
7.4 Untauglichkeit für Radioausstrahlung

8. Mögliche Lösungen
8.1 Vergrößerung des Dynamik-Umfangs
8.2 Reglementierung durch die EBU
8.3 Angebot von Inhalten in verschiedenen Versionen und Bearbeitung von Audiomaterial in Endkonsumenten-Geräten
8.4 Das K-System

9. Schlusswort

10. Quellenverzeichnis

11. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Beim Hören von neueren und neu veröffentlichten CDs und Dateien aus dem Internet ist es für viele Hörer schon fast zum automatisierten und unbewussten Reflex geworden: Vor dem Start des neuen und heiß ersehnten Mediums, wird der Lautstärke-Regler des Verstärkers oder der Wiedergabekette vorsorglich um ein paar dB zurück geregelt, damit die Musik den Hörer nicht

„erschlägt“ und man auch nicht um das Verhalten der Lautsprecher-Membranen besorgt sein muss. Der erste Eindruck ist häufig dennoch ein positiver: die Balance zwischen den einzelnen Instrumenten stimmt, die Worte der Sänger sind gut zu verstehen, der Bass „drückt gut in der Magengegend“ und alles in allem erhält man den Eindruck einer hochwertigen Aufnahme. Doch schon nach kurzer Hörzeit, bei einem Rock-Album vielleicht schon nach dem zweiten oder dritten Titel, wird man des Gebotenem, wenn die Musik dem Hörer nicht unbedingt gefällt, überdrüssig. Die Wiedergabe-Lautstärke wird verringert und man fühlt sich müde und gesättigt.

Wie kommt es dazu? Warum sind neue und neuere CDs so unfassbar, beim ersten Hören fast brüllend laut? Warum schreit mich der Sänger meiner Lieblingsband jetzt nicht mehr aus einem respektablem Abstand an, sondern direkt in mein Ohr? Warum „knallen“ Schlagzeuge auf guten Stereo-Anlagen nicht mehr? Warum klingen E-Gitarren neuerdings, übertrieben gesagt, wie Tennis-Schläger?

Diese gesamten Phänomene sind Teil eines Komplexes, der als „Lautheits-Wettrennen“ bezeichnet wird. Ein Wettrennen, von manchen sogar als Lautheits-Krieg bezeichnet, das sich seit vielen Jahren hinter den Kulissen der Musikindustrie um die Gunst des Hörers und Käufers abspielt.

2. Definitionen

2.1 Lautheit

Lautheit ist die von einem Menschen empfundene Lautstärke. Sie ist stark subjektiv.

2.2 Lautheits-Wettrennen

Der Begriff Lautheits-Wettrennen beschreibt das Verhalten der Musikindustrie, immer lautere Musik, das heißt Musik mit gesteigertem Durchschnittspegel, zu veröffentlichen, um sich gegen die Veröffentlichungen der Konkurrenz durch- und abzusetzen.

3. Erklärung und Geschichte

3.1 Analoge Medien

Das Lautheits-Wettrennen ist keine Erscheinung von modernen Musikproduktionen, obwohl die unangenehmen Nebenwirkungen sich erst heute richtig, und auch für unaufmerksame Hörer zeigen.

Schon seit Mitte der neunzehnhundertsechziger Jahre und Anfang der neunzehnhundert- siebziger Jahre1 gibt es einen Wettstreit zwischen US-Amerikanischen Radiosendern um das lauteste Musikangebot. Der Radiosender „WABC color radio“ verwendete schon früh im kompletten Signalfluss durchgängig einen EMT Hallplatte2 um den Lautheitseindruck zu erhöhen3. Später zogen andere Sender nach und nutzten einfache Verzerrung, verursacht durch an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit betriebene analoge Schaltkreise, um die Lautheit ihres Programms zu maximieren und um sich von anderen Radiosendern zu unterscheiden.

Auch bei Vinyl-Schallplatten konkurrierten die Tonmeister um die lautesten und damit durchsetzungsfähigsten Tonträger. Schallplatten waren wegen der mechanischen Auslenkung der Abtastnadel und der damit entstehenden Belastung in ihrer horizontalen und vertikalen Elongation eingeengt, was die maximale Amplitude des Signals proportional begrenzt. Zu laute Schallplatten hätten bei leichten und schlecht eingestellten Abtastsystemen ein „Springen“ der Nadel verursacht. Bandtonträger verursachen bei hoher Aussteuerung Verzerrungen in nicht unerheblichem Ausmaße, die vom Ohr nur teilweise und bis zu einem gewissen Maße4 als angenehm bewertet werden. Hohe Frequenzen sind in einem übersteuerten Band kaum noch vorhanden.

Beim Radio zeigten sich bald ähnliche Probleme wie bei der Schallplatte. Die Sendeleistung und Sendeparameter von Radiosendern werden von den Behörden der jeweiligen Länder reglementiert und erlauben unter Umständen keine weitere Vergrößerung der Aussteuerungsreserven und eine damit verbundene Amplituden- und Leistungserhöhung. Eine Maximierung des Lautheitseindrucks bei Radiosendern war nur mit einer Erhöhung der Durchschnittsleistung des gesendeten Programms möglich.

3.2 Digitale Medien

Aufgrund der Natur der Ende der neunzehnhundertsiebziger Jahre entwickelten digitalen Medien gab es keine mechanische und physikalische Begrenzung mehr, die durch die analogen mechano-elektrischen und magneto-elektrischen Aufzeichnungsverfahren vorgegeben waren. Die einzige Grenze, die sich prinzipbedingt nicht verändern lässt, ist die obere Aussteuerungsgrenze von 0 dBFS (Digital Full Scale - Vollaussteuerung). Aufgrund dieser Grenze lässt sich die maximale Amplitude eines Digital-Signals nicht unendlich vergrößern. Eine Erhöhung des Lautheitseindrucks ist nur über eine maximale Aussteuerung (kein Spitzenwert über 0 dBFS) und über die Manipulation des Dynamik-Umfangs möglich, was unter Umständen Verzerrungen und Clipping der digitalen Wellenform zur Folge hat. Bei Aussteuerung über die 0 dBFS-Grenze hinaus verursachen Digital/Analog-Wandler5 (mitunter sehr viele6) unharmonische Verzerrungsprodukte, die vom Ohr als unangenehm empfunden werden und im Extremfall auch zum Abschalten und zur Zerstörung von D/A-Wandern führen können. Ein weicher Übergang von Signal-Sättigung zu Signal-Verzerrung, wie es bei Bandtonträgern der Fall ist, gibt es hier nicht. Der Bereich der Signal-Sättigung mit einem geringen Maß an harmonischen Verzerrungen entfällt und der Übergang zu starker Signal- Verzerrung ist hart. Deswegen ist bei „heißen“ Signalen die Aufmerksamkeit des Tonmeisters besonders wichtig.

Nach Einführung der schnell massenmarkttauglichen CD war es möglich Tonträger herzustellen, deren Durchschnittsleistung so groß ist wie die Spitzenleistung. Schon kurze Zeit nach der Einführung der CD war die Durchschnittsleistung der meisten derartigen Tonträger um 20 dB größer als die ihrer Schallplatten-Pendants. Die Absicht der Musikproduzenten war, wie beim Radio, ein Produkt herzustellen, dass sich vom Angebot der Konkurrenz abhebt und im positiven Sinne unterscheidet. Vornehmlich ist diese Tendenz bei Pop, Rock und Hip-Hop und verwandten Musikstilen zu beobachten, da hier das Klangbild im Studio geformt und stark kontrolliert wird. Die Genre Klassik und Jazz enthielten und enthalten sich größtenteils diesem Trend, da hier eine natürliche Dynamik für den musikalischen Ausdruck wichtig ist.

Beim Wechsel von der analogen in die digitale Tontechnik entstand ein unreglementiertes (im Gegensatz zu Filmproduktionen!) und damit unkontrolliertes Lautheitschaos, deren Auswirkungen wir heute mehr denn je zu spüren bekommen: Beim längeren und konzentrierten Hören eines Albums ermüdet das Ohr und wird übermäßig schnell gesättigt, was auf die hohe Durchschnittsleistung der Musik zurückzuführen ist. Das menschliche Ohr ist gegenüber Schwankungen des Durchschnittspegels empfindlicher als dies bei Schwankungen des Spitzenpegels der Fall ist. Der Hörer kann sich in Extremfällen unwohl fühlen und weiß nicht einmal warum! Bei Erwachsenen, insbesondere bei Frauen, besteht die Gefahr, dass sie die Wiedergabe abbrechen7.

Das Lautheits-Wettrennen zwischen konkurrierenden Künstlern und Plattenfirmen kann durchaus mit einem militärischen Wettrüsten verglichen werden.

4. Kritik am Lautheits-Wettrennen

4.1 Das Lautheits-Wettrennen aus der Sicht des Konsumenten

Das Lautheits-Wettrennen befindet sich nicht im Fokus der breiten Masse. Die meisten Konsumenten haben nicht bemerkt, dass sich die Qualität vieler ihrer neu gekauften CDs verändert hat, schließlich wird laut im ersten Moment als gut empfunden (s.u.). Nur audiophile Hörer sollten die Qualitätseinbußen wirklich bemerkt haben, da nur hier ernsthafte Bereitschaft besteht, sich mit der Musikübertragungsqualität tiefgründig auseinander zu setzen. Die Meinungen zu diesem Thema variieren stark, da alle Äußerungen dazu subjektiver Natur sind. Zum Album Californication der Band Red Hot Chili Peppers gab es eine von den Fans organisierte Petition zur Wiederveröffentlichung der CD mit weniger Verzerrung.

4.2 Das Lautheits-Wettrennen aus der Sicht der Produzenten

Die Kritik der Produzenten und Künstler ist natürlich wesentlich tiefgehender und umfangreicher.

Bob Dylan äußerte sich in einem Interview zu dem Lautheits-Wettrennen: „You listen to these modern records, they're atrocious, they have sound all over them. There's no definition of nothing, no vocal, no nothing, just like – static“8.

Geoff Emerick, Tonmeister, der das Beatles Album Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band aufgenommen hat, sagte in einem Zeitungs-Interview: „A lot of what is released today is basically a scrunched-up mess. Whole layers of sound are missing. It is because record companies don’t trust the listener to decide themselves if they want to turn the volume up.”9

Die Gegenargumentation der für dieses Lautheits-Wettrennen unter anderem verantwortlichen Tonmeister ist, dass sie ein Produkt herstellen, dass sich von Produkten anderer Anbieter unterscheidet. Dabei müssen sie ihre eigenen wirtschaftlichen und künstlerischen Interessen gegen die der Kunden abwägen.

[...]


1 Die Angaben über den Beginn des Lautheits-Wettrennen gehen stark auseinander. Wahrscheinlich war es seit jeher das Bestreben der Tonmeister laute und damit für den Ersthörer beeindruckende Produkte herzustellen. Bobby Owsinski spricht in The Mixing Engineer's Handbook sogar von einem Beginn im Jahr 1950.

2 Gerät zur Erzeugung von künstlichem Nachhall („Reverb“).

3 Vgl. hierzu Bob Ludwig in Mastering Audio – Bob Katz (S. 278). Der Vorteil einer Hallplatte liegt in der Kompression des Durchschnittspegels, nicht der Spitzenpegel.

4 In der Regel wird vom Hörer ein Verzerrungsgrad von 3% THD (Total Harmonic Distortion = Anteil der harmonischen Verzerrungen) akzeptiert. Verzerrungsgrade die größer als 10% sind, gelten als auffällig und unangenehm.

5 Im Folgenden nur noch D/A-Wandler genannt, bzw. A/D-Wandler für Analog/Digital-Wandler.

6 Die Anzahl und Menge der Verzerrungen hängt von der Wandlerarbeitsweise und von ggf. vorhandenen Schutzmechanismen des jeweiligen D/A-Wandlers ab.

7 Frank Foti und Robert Orban in Mastering Audio (Bob Katz), S. 274.

8 Sherwin, Adam „Why Music Really Is Getting Louder“ in The London Times (vom 12.06.2007, verfügbar am 14.08.2007 auf http://entertainment.timesonline.co.uk/tol/arts_and_entertainment/music/article1878724.ece) Übersetzung: „Sie hören sich diese Aufnahmen an, sie sind entsetzlich, überall Klang. Keine Definition, keine Stimmen, nichts. Statisch eben“

9 Quelle: http://entertainment.timesonline.co.uk/tol/arts_and_entertainment/music/article1878724.ece engl.: „Das, was heute veröffentlicht wird, ist größtenteils eine zerknautschtes Durcheinander. Ganze Klang-Schichten fehlen. Es liegt daran, dass die Plattenfirmen den Hörer nicht zutrauen selbst zu entscheiden, wie laut sie Musik hören wollen.“ (verfügbar am 26.08.2007)

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das Lautheits-Wettrennen
Hochschule
SAE Institute Leipzig  (SAE Leipzig)
Note
1,8
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V111622
ISBN (eBook)
9783640096695
Dateigröße
1116 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lautheits-Wettrennen
Arbeit zitieren
Anonym, 2007, Das Lautheits-Wettrennen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111622

Kommentare

  • Gast am 27.10.2008

    Korrektur.

    Unter "5.3 Auswertung" schreibst du:

    "Schon hier wird von den 16 Bit Dynamik-Umfang der CD nur 1 Bit (und mitunter weniger) genutzt."

    Ähm... 1 Bit entspricht einem Signalverhälltniss von 1:2. Glaubst du, die Hüllkurven moderne Musik würden immer nur zwischen dem Maximum und dem Minimum hinundherspringen? Weil mehr als Maximum und Minimum ist mit 1 Bit nicht möglich...

    Die Abtasttiefe (Bit) ist ein dimensionales Maß, d.h. sie beginnt immer beim Minimum! Ein Bit ermöglicht 2 Abtasttiefen, also 6 dB.
    Dynamik hingegen ist ein Verhälltnissmaß. Da spielen die Bezugswerte keine Rolle. Es ist also richtig, zu sagen, Musik, deren Dynamikumfang soundsoviele db beträgt, nutzt davon nur soundsoviele db. Mit Bits geht das nicht!

    Ein Bit bleibt immer 2 Möglichkeiten. Nutzt Musik eine Dynamik von 6 db (bei maximal 96 db) nutzt sie genau 32768 (2^15) verschiedene Abtasttiefen, und nicht 2!

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Titel: Das Lautheits-Wettrennen



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