Berichterstattung aus Lateinamerika in Analyse des SPIEGEL Artikels „Putsch gegen die Demokratie“ in


Hausarbeit, 2008

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wirkung und Einflussnahmemöglichkeiten der Medien
2.1 Medienkompetenz der Konsumenten
2.2 Meinungsbildung durch Printmedien

3. Berichterstattung aus Lateinamerika
3.1 Informationslage
3.2 Imagebildung und Stereotypen

4. Spiegel Artikel 48/2007 „Putsch gegen die Demokratie“
4.1 Das Verfassungsreferendum in Venezuela
4.2 Analyse des Spiegel Artikels
4.2.1 DER Spiegel
4.2.2 Inhalt des Artikels
4.2.3 Textanalyse

5. Schlusswort

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Lateinamerika war in den 1990er Jahren fast aus den Medien verschwunden zu sein, doch gerade auf Grund der Entwicklungen in Venezuela unter Präsident Hugo Chávez und dem zu verzeichnenden Linksruck in zahlreichen weiteren Staaten Lateinamerikas ist das Medieninteresse wieder gewachsen.

Am Beispiel des Artikels „Putsch gegen die Demokratie“, der Ende 2007 im SPIEGEL erschien, soll in dieser Arbeit die Berichterstattung aus Lateinamerika in den Medien, vor allem den Printmedien analysiert werden. Dafür werden zunächst grundlegende Wirkungsmechanismen der Medien dargestellt, die zur Untersuchung des Artikels herangezogen werden. Darüber hinaus wird die Situation im Bereich der Berichterstattung aus Lateinamerika dargelegt.

Die Analyse des Spiegelartikels zeigt die Mängel auf, die im Rahmen der Arbeit von Lateinamerikakorrespondenten oftmals auftreten. Derartige Artikel prägen weiterhin das deutsche Bild von Lateinamerika, ausgezeichnet von Negativismus, Unsachlichkeit und wenigen Hintergrundberichten und Analysen, um die Geschehnisse in Lateinamerika beurteilen zu können.

2. Wirkung und Einflussnahmemöglichkeiten der Medien

Seit den 1930er Jahren spricht man von den so genannten Massenmedien, die unser gesamtes gesellschaftliches Weltwissen prägen. Nach Luhmann umfassen diese „alle Einrichtungen der Gesellschaft, die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen.“[1]. Dabei fungieren die Medien als Vermittlungsinstanz von kulturellen Selbstbildern, Vorbildern und Fremdbildern. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts steigt die Zahl der Medienkonsumenten vor allem durch Internet und Fernsehen immer weiter an, allerdings verringert sich gleichzeitig die Zahl der Meinungsproduzenten. Eine Vielzahl an verschiedenen Nachrichten erreicht täglich die Konsumenten und verlangt von ihnen zunehmende Kompetenzen im Umgang mit den Medien.

2.1 Medienkompetenz der Konsumenten

Ausschlaggebend für einen kompetenten Umgang mit Medien ist zweifelsohne der Bildungsstand. So führt dieser zu besseren Lese- und Verständnisfähigkeiten und stellt ein höheres Vorwissen zur Verfügung. Die Selektion der Medien, zum Beispiel der Konsum von Printmedien, die meist qualiativ wertvollere und hintergründigere Informationen im Vergleich zu Fernsehnachrichten enthalten, korreliert mit dem Bildungsstand. So mangelt es den bildungsfernen Bevölkerungsschichten oftmals an kritischer Auswahl und Beurteilung der Informationen, die sie aufnehmen. Eine kompetente Rezeption ist somit bedingt von sozialen Einflüssen wie höhere Bildung und besseres Einkommen.

Seit den 1990 er Jahren wird der Begriff der Medienkompetenz auch unter Wissenschaftlern diskutiert. So ist laut Baacke „Medienkompetenz die Voraussetzung für das angemessene Verständnis medialer Kommunikate [...] und darüber hinaus für selbst bestimmtes Handeln mit diesen Kommunikaten.“[2]. Diese Kompetenzen umfassen die Medienkritik, bei der es sich um eine Analyse problematischer gesellschaftlicher Prozesse handelt und deren Auswirkung auf die persönliche Haltung handelt, sowie die Medienkunde, das heißt das Wissen über die heutigen Mediensysteme, und die Mediennutzung, das heißt die rezeptive und interaktive Anwendung des Angebotes. Darüber hinaus merkt Baacke die Mediengestaltung als viertes Kriterium an, das heißt die innovative und kreative eigene Medienproduktion. Somit stellen die Medien eine hohe Anforderung an die Rezipienten vor allem bezüglich der Selektion und des Verständnisses. Aber auch den Medien als Meinungsbildner kommt eine große Verantwortung zu.

2.2 Meinungsbildung durch Printmedien

Mitteilungen von Dritten formen unser Weltbild, unsere Vorstellungen von der Welt und Wirklichkeit, da es an persönlichen Primärerfahrungen mangelt. Deshalb sollte es Aufgabe der Medien sein, den Leser aufzuklären und ihm somit die Möglichkeit zu bieten, eine Information in einen Gesamtprozess einzuordnen, in dem die Prozesse, die zu einer akuten Situation führten erläutert werden. Desweitern sollten sie ein gewisses Maß an Prozessinformationen vermitteln, damit der Leser in die Lage versetzt wird, die Gewichtung einer Information abschätzen zu können. Denn durch die Nachrichtenübermittlung prallen oftmals verschiedene Weltanschauungen, Wertsysteme und unterschiedliche Verhaltensnormen der Industrie- und Entwicklungsländer aufeinander.

Für das Zusammenstellen von Nachrichten sind seit dem 20. Jahrhundert vor allem die Nachrichtenagenturen Associated Press (AP), Agence France Presse (AFP) und Reuters verantwortlich, die in zunehmendem Maße kundenorientiert arbeiten, das heißt ihre Nachrichten dem Publikumsinteresse anpassen und diese auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren, um eine Vielzahl an Abnehmern und Kunden zu erreichen. Dabei ist ein „Trend zur unterhaltsamen Spot-Berichterstattung ohne Hintergrundinformationen“[3] zu beobachten. Desweiteren sollten die Journalisten darauf Wert legen, Nachricht und Meinung klar von einander zu trennen, das heißt hart zu recherchieren, peinlich genau zu arbeiten und unparteilich zu sein. Durch die Flut an Nachrichten gilt es Nachrichten anhand ihres Nachrichtenwertes zu selektieren.

Dafür schlagen Galtung und Ruge elf Faktoren vor, als kulturunabhängige Faktoren „Bedeutsamkeit“ (das heißt Tragweite und persönliche Betroffenheit eines Ereignisses), “Frequenz“ (das heißt Übereinstimmung des zeitlichen Ablaufs eines Ereignisses mit dem Erscheinungsintervall des Mediums), „Eindeutigkeit“, „Überraschung“, „Konsonanz“ (das heißt Übereinstimmung mit vorhandenen Vorstellungen und Erwartungen), „Variation“ (das heißt Abwechslung in der normalen Berichterstattung), „Kontinuität“ (das heißt bereits als Nachricht definiertes Ereignis) und „Schwellenfaktor“ (das heißt zu überschreitende Auffälligkeit für die Registrierung) und als kulturabhängige Faktoren „Personalisierung“, „Bezug zu Elite-Person und Elite-Nation“ sowie „Negativismus“[4]. Je mehr dieser Faktoren eine Information aufweist, desto wahrscheinlicher wird sie zu einer Nachricht. Auf diese Faktoren wird auch bei der Analyse des Spiegel Artikels „Putsch gegen die Demokratie“[5] eingegangen werden.

3. Berichterstattung aus Lateinamerika

Seit seiner Entdeckung war Lateinamerika Projektionsfläche europäischer Fantasien. So erreichten zahlreiche Reiseberichte im 16. Jahrhundert den europäischen Kontinent und ließen ein Bild Lateinamerikas erwachsen. Noch heute ist Lateinamerika ein ferner Kontinent, über den relativ selten in den Medien berichtet wird und dessen Darstellung eine gewisse Unschärfe aufweist. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts dominierte eine „Revolutionsromantik“[6] das Lateinamerikabild Westeuropas in Anlehnung an die kubanische Revolution und Che Guevara. Lateinamerikaberichterstattung diente zu nächst als Projektionsfläche des innerdeutschen Ost-West-Konflikts. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts normalisierte sich die Berichterstattung aufgrund des neuen Fokus auf Osteuropa und die Konfliktregion des Nahen Ostens.

3.1 Informationslage

Trotz des gut ausgebauten Nachrichtenagenturnetzes in Lateinamerika ist der Nachrichtenfluss „quantitativ unausgewogen und qualitativ verzehrt“[7], den diese Agenturen haben meist nur ein nationale Reichweite, so dass die internationalen Agenturen AP, AFP und Reuters den Nachrichtenfluss dominieren. Deren Sitze sind meist in Mexiko Stadt für Mittelamerika und in Buenos Aires für Südamerika. Daneben ist auch ein spanischsprachiger Dienst der dpa in Lateinamerika ansässig. Auf die Korrespondenten der deutschen Medienbüros in dieser Region, deren Zahl sich im Jahr 1996 laut des europäischen Instituts für Europäisch-Lateinamerikanische Beziehungen auf 43 belief, wartet in Lateinamerika eine meist große Herausforderung, da sie meist relativ unvorbereitet über ein sehr großes Gebiet zuständig sind. Allerdings ist der ungleichmäßige Informationsfluss durch eine Vielzahl von Kriterien bedingt. So liegt Lateinamerika außerhalb des Bereiches des Regionalismus und auch fehlt es zumeist an politischer und wirtschaftlicher Nähe zu Deutschland. Darüber hinaus handelt es sich auch nicht um so genannte „Elite-Nationen“, die den Nachrichtenwert steigern würden. Vor allem Negativismus prägt die Berichterstattung über Lateinamerika.[8] Trotz dieser Hindernisse ist sich Lateinamerika der Tatsache des ungleichmäßigen Informationsflusses bewusst wie der Auszug aus den Statuten der 1983 in Mexiko Stadt gegründeten Agencia Latinoamericano de Servicios Especiales de Información (ALASEI) zeigt. „ALASEI ist die lateinamerikanische Informationsagentur für Informations­sonderdienste, die sich vorrangig mit Berichten in analytischer Form und ihrem Gesamtzusammenhang befaßt, wobei die Themen der integralen Entwicklung und der kulturellen Identität der Länder der Region besonders berücksichtigt werden.“[9] In der deutschen Presse findet sich zumeist eine mangelhafte Hintergrundberichterstattung und Analyse der Nachrichten aus Lateinamerika wieder.

3.2 Imagebildung und Stereotypen

Die Berichterstattung prägt das Image Lateinamerikas in Deutschland. Allerdings ist dieses Bild keineswegs einheitlich. So ist der Lateinamerikaner ein exotisches Wesen, das keinen starren Gewohnheiten folgt, sich bunt kleidet, künstlerisch kreativ ist und fröhlich und lebensbejahend das Leben bestreitet. Der Durchschnittsdeutsche ist aufgrund der Entfernung kaum von lateiname­rikanischen Problemen betroffen und schlecht informiert. „Viele Deutsche setzen sogar Buenos Aires mit Karneval gleich, in Brasilien werde Spanisch gesprochen, wüßten keinen Unterschied zwischen Paraguay und Uruguay [...] - es erklärt ihnen ja auch keiner, am wenigsten die Presse.“[10]

Aber nicht allein die Presse prägt das Image, sondern auch die Vielzahl an Entwicklungs­helfern in Lateinamerika und „parteinahe Stiftungen der Bundesrepublik Deutschlands werden wichtige Informationszentren in Sachen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.“[11]

Nach Siebenmann lassen sich folgende Kriterien feststellen, die das Lateinamerikabild in Deutschland prägten und prägen: antike und biblische Mythen, Paradiesvorstellungen, Utopie, Legenda Negra, El Dorado, monströse Wirklichkeit, überwältigende Natur, gute Wilde, bessere Amerikaner, Opferkontinent und Alterität (Andersheit).[12]

Heute weicht das folkloristische Bild zunehmend einem besorgniserregenden Bild. Dabei ist die Wahrnehmung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Lateinamerika sehr unspezifisch und mit Vorurteilen behaftet. So ist auch das Bild Venezuelas von all diesen Einflüssen geprägt. Venezuela ist in den deutschen Massenmedien das Land eines verrückten Präsidenten, der eine eigene Fernsehshow hat, oppositionelle Fernsehsender schließt und dabei den Sozialismus einführt. Gerade die Freiheit der Medien wird oft diskutiert. 4. Spiegel Artikel 48/2007 „Putsch gegen die Demokratie“

4. Spiegel Artikel 48/2007 „Putsch gegen die Demokratie“

Noch vor etwa 10 Jahren meinte der Direktor des Instituto de Relaciones Europeo-Latinoamericanas (IRELA) Grabendorff angesichts des gesunkenen Medieninteresses an Lateinamerika „Macht mal 'ne Revolution, dann kommt ihr wieder in die Presse!“[13]. Zwar kam es im letzten Jahrzehnt zu keiner Revolution, doch ist ein Linksruck in zahlreichen lateinamerikanischen Staaten wie Venezuela festzustellen, der Interesse an diesen Vorgängen und Lateinamerika wieder weckt. So verfasste der Auslandskorrespondent Jens Glüsing den Artikel „Putsch gegen die Demokratie“[14] angesichts des Verfassungsreferendums in Venezuela im Dezember 2007.

4.1 Das Verfassungsreferendum in Venezuela

Im Jahre 1999 wurde die bolivarische Verfassung durch ein Referendum bestätigt. 69 Artikel dieser Verfassung sollten durch das Verfassungsre­ferendum im Dezember 2007 geändert werden. Inhaltlich befassen sich die Änderungsvorschläge mit der Festschreibung des Begriffs „sozialistisch“, der Aufhebung der begrenzten Wiederwahl des Präsidenten, der Stärkung der Basisstrukturen und deren Ausstattung mit Entscheidungskompetenzen, Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre und der täglichen Arbeitszeit von 8 auf 6 Stunden. Die Sozialversicherungsleistungen sollen demnach auch auf den informellen Sektor entfallen. Des weiteren umfassen die vorgeschlagenen Änderungen die Demokratisierung der Hochschulen, die Aufhebung der Autonomie der Nationalbank, die Einschränkung der Informationsfreiheit im Ausnahmezustand und die Anhebung des prozentualen Stimmenanteils zur Einberufung von Volksabstimmungen über Gesetzesinitiativen und vorzeitige Abberufung von Amtsinhabern[15]. Am 2. Dezember 2007 wurde die Verfassungsreform mit einer knappen Mehrheit abgelehnt, laut Angaben des Nationalen Wahlrates CNE mit 50,7%[16]. Die gesamte Abstimmung fand in zwei Blöcken statt, wobei Block A 33 Artikel umfasste, die auf Vorschläge des Präsidenten Chávez zurückgehen und Block B die übrigen 36 Artikel, die in Debatten des Parlamentes und öffentlichen Versammlungen hinzugefügt wurden. Die Abstimmung führte dazu, dass so genannte Wackelkandidaten sich klar positionierten. So zum Beispiel der ehemalige Verteidigungsminister Raúl Baduel, der zur Opposition übergelaufen ist. Nach der Niederlage bekundete Chávez im Januar 2008 seinen Willen für ein neues Referendum, dass einer Petition von 15% der Wahlberechtigten bedarf.

4.2 Analyse des Spiegel Artikels

Auf persönliche Anfrage an das Spiegel Magazin erhielt ich von einem Mitarbeiter des Leserservices Rehder die Auskunft, dass der Spiegel in Lateinamerika lediglich in Rio de Janeiro eine Auslandsvertretung habe. Deren Korrespondent Jens Glüsing ist der Verfasser des analysierten Artikels.

4.2.1 DER Spiegel

Im Jahre 1947 gründete Rudolf Augstein das Magazin DER Spiegel, das heute die auflagenstärkste deutsche Wochenzeitschrift mit einer Million verkaufter Exemplare und einer Reichweite von 6 Millionen Lesern ist. Zur Spiegel Gruppe gehört auch Spiegel Online, die reichweitenstärkste Nachrichtenwebseite in Deutschland. Somit zählt der Spiegel, vor allem SPIEGEL Online, neben der Tagesschau und der BILD zu den Leitmedien Deutschlands. Dies führt zu einer breiten Akzeptanz des Tonfalls und der Themenmischung. Allerdings wird gerade bezüglich der Rolle des SPIEGELs als meinungsbildendes Medium vermehrt Kritik laut. Das ehemalige „Sturmgeschütz der Demokratie“[17] ergreift zunehmend Partei für die Konservativen und weicht von dem von Augstein verkündeten Prinzip „im Zweifelsfall links“[18] mehr und mehr ab. Der Vorwurf „der Journalismus des Spektakels kontaminiere zunehmend die seriöse Presse“[19] trifft sicher auch auf den SPIEGEL zunehmend zu, was die Analyse des Textes möglicherweise unterstreichen wird. Der Sprachstil des SPIEGELs baut auf konventionelle Metaphern, abgewandelte Phrasen, Alliterationen und Wortschöpfungen.

4.2.2 Inhalt des Artikels

Die Tupamaros[20] hatten ehemals ihr Hauptquartier in der Armensiedlung „23 de Enero“ in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Wie in den meisten anderen Armenvierteln herrschen auch hier Paramilitärs, nach dem Abzug der Tupamaros, die ihre Unterstützung dem Präsidenten entzogen. Die neue Verfassung bringt zahlreiche Veränderungen mit sich. Auch der ehemalige Verteidigungsminister und einer der Väter der demokratischen Verfassung von 1999 wechselte zur Opposition über. Somit verstärkt sich der Widerstand in den eigenen Reihen und die politische Basis verliert an Substanz. Gegen die geplante Verfassungsänderung demonstrieren vor allem Schüler und Studenten. Chávez politische Zukunft steht in enger Verbindung mit dem Ausgang des Referendums. Der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ scheitert nicht an außenpolitischen Misserfolgen, sondern an Korruption und Inkompetenz. Dank der Ölpreise funktioniert die Wirtschaft noch, obwohl Investitionskapital fehlt und Einnahmen vornehmlich in Sozialprogramme fließen. Die Akzeptanz einer möglichen Niederlage im Referendum wird von breiten Kreisen angezweifelt.

4.2.3 Textanalyse

Vor allem die Kriterien Personalisierung, Negativismus, Kontinuität und Frequenz der von Galtung vorgeschlagenen Faktoren treffen auf die Nachricht des Verfassungsreferendums in Venezuela zu. Die Information des venezolanischen Verfassungsreferendums ist bereits als Nachricht definiert. Also greift der Artikel „Putsch gegen die Demokratie“ dieses Thema auf, da die Abstimmung unmittelbar bevorsteht. Außerdem steht die Person Chávez im Zentrum des Interesses und gehört zum Kreise der „Elite-Person“, denn die persönliche Entwicklung des Präsidenten steht in engem Zusammenhang mit dem Ausgang des Referendums. Dies zeigt sich auch in der Häufung der Namensnennung Hugo Chávez in dem SPIEGELartikel. Der Faktor des Negativsmus spielt in der Berichterstattung aus Lateinamerika prinzipiell eine entscheidende Rolle, so erhöht sich auch in diesem Fall der Nachrichtenwert. Denn dieses Referendum trägt ein hohe Konfliktpotential in sich, da Opposition und Regierung in Venezuela verfeindet sind. Die Folgen einer möglichen Niederlage scheinen nicht abschätzbar und die Gegner tendieren dazu, dass Chávez eine eventuelle Niederlage nicht akzeptiere.

Der Artikel verlangt ein hohes Maß an Medienkompetenz vor allem im Bereich der Medienkritik vom Leser, da die Darstellung des Ereignisses einseitig ausfällt und mehrheitlich oppositionelle Stimmen zu Wort kommen, wie zum Beispiel Raúl Baduel[21]. Politische Aktionen des Präsidenten werden aufgeführt. Um seine vermeintliche Unfähigkeit zu unterstreichen, führt der Autor die fehlgeschlagenen Vermittlungen Chávez mit der kolumbianischen Guerilla Farc an. So habe Chávez unter anderem den regierungskritischen Fernsehsender RCTV schließen lassen. Diese Darstellung ist allerdings so nicht haltbar. Die Lizenz für die terrestrische Sendefrequenz war abgelaufen und wurde nicht verlängert, somit kann dieser Sender nur noch über Kabel, Satellit und Internet empfangen werden. Aber RCTV existiert weiterhin.[22] Dabei beeinflusst die allgemein eher negative Haltung gegenüber des sozialistischen Tendenzen in der deutschen Presse auch diesen Artikel.

Die Wahl des Titels „Putsch gegen die Demokratie“ ist sehr kritisch zu betrachten, denn es ist falsch von einem Putsch zu sprechen, da dies bedeutet, dass eine Gruppierung, meist eine gesellschaftlichen Minderheit, überraschend und mit Mitteln der Gewalt die Regierung zu stürzen und die Macht im Staat zu übernehmen versucht. Da aber die Reform von der Regierung ausgeht und vom Volk darüber abgestimmt werden soll, kann weder von einer Minderheit noch von Einsatz von Gewalt die Rede sein. Somit bezieht Glüsing durch die Wahl des Titels bereits Position zum Verfassungsreferendum. Ein Vergleich mit Deutschland zeigt sogar, dass es noch nie eine demokratische Abstimmung über Änderungen von Artikel des Grundgesetzes vom ganzen Volk in der Bundesrepublik Deutschland gab.

Wie bereits erwähnt, ist der Artikel durch die Personalisierung Chávez geprägt, das heißt der Ausgang des Referendum wird in engen Zusammenhang mit seinem weiteren politischen Werdegang gesetzt. Allerdings sind die Beschreibungen des Präsidenten und die Synonyme für ihn keineswegs wertfrei, so verliere er die Bodenhaftung, setzte die Zukunft der Nation aufs Spiel und sei ein selbstverliebter Staatschef, der sich für eine Wiedergeburt des südamerikanischen Befreihungsheld Simón Bolivar halte und sei ein geltungssüchtiger Volkstribun. Diese Vergleiche beinhalten alle ein negative Konnotation. Sie charakterisieren den venezolanischen Präsidenten, aber sagen nichts über das Referendum aus. Die von Glüsing in dem Artikel praktizierte Personalisierung des Ereignisses widerspricht jedoch dem Werbeslogan „Wir wählen keinen Präsidenten, wir stimmen über die Reform ab.“[23], den sowohl Opposition als auch Regierung nutzten.

Auf den Inhalt der Verfassungsreform geht Glüsing nur kurz ein und kritisiert unter anderem den Punkt der unbegrenzten Wiederwählbarkeit. In zahlreichen europäischen Ländern so auch in Deutschland ist die Anzahl der Amtszeiten nicht in der Verfassung niedergeschrieben. Des weiteren scheint der Vergleich des venezolanischen Präsidenten mit einem römischen Kaiser und dessen Machtumfang übertrieben. Denn es ist in der Verfassungsreform nicht die Rede von Machterweiterung, denn keineswegs erhält der Präsident absolute Vollmachten.

5. Schlusswort

Die Analyse des Artikels unterstreicht noch einmal die von Wilke ange­sprochenen Probleme der Berichterstattung aus Lateinamerika. Vor allem der Negativismus zeigt sich sehr deutlich. Der Linksruck in zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ von Chávez bieten ein auch Deutschland diskutiertes Thema, dabei gehen die Meinungen sehr weit auseinander, von Verachtung bis zur Vorbildwirkung. Am Beispiel Hugo Chávez wird deutlich wie wichtig heutzutage Medienkompetenz ist. Denn Nachrichten sind im seltensten Fall objektiv und völlig wertfrei, wie auch im SPIEGELartikel „Putsch gegen die Demokratie“. DER SPIEGEL ist in Deutschland eine meinungsbildende Zeitschrift und diese bezieht sehr wohl Stellung zu Themen. Der kritische Umgang mit Medien und Wissen über ihre Funktionsweise sind in unserer Gesellschaft unablässig. Allerdings scheint dies gerade für bildungsferne Gesellschaftsschichten sehr schwer erreichbar zu sein.

Aber auch die Medien müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, das heißt. sachliche, gut recherchierte Artikel publizieren. Durch einen Abzug von Korrespondenten aus Lateinamerika wird dies allerdings schwer möglich.

6. Literaturverzeichnis

Bücher:

Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. 3.Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004

Schanze, Helmut: Metzler-Lexikon Medientheorie, Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler, 2002

Siebenmann, Gustav: Das Bild Lateinamerikas im deutschen Sprachraum. Tübingen: Niemeyer, 1992

Wilke, Jürgen; Quandt, Siegfried: Deutschland und Lateinamerika – Imagebildung und Informationslage. Frankfurt am Main: Vervuert, 1987

Zeitschriftenartikel:

Glüsing, Jens: Putsch gegen die Demokratie. In: Der Spiegel. (2007) Heft 48, S. 132/133

Meyer-Lucht, Robin: Spiegel verkehrt?. In: Süddeutsche Zeitung Magazin. (2007) Heft 35

Wiegand, Wolf Achim: Europas Blick auf Lateinamerika ist provinziell und inaktuell geworden. In: Die Zeit. (1996) Heft 44

Magisterarbeiten:

Lange, Silvia: Auf verlorenem Posten? Deutschsprachige Auslandskorrespondenten in Lateinamerika. Freie Universität Berlin, 2002

Internetseiten:

Deutschlandradio: Rosbach, Jens P.: Vom „Sturmgeschütz der Demokratie“ zur „Spritzpistole“ der Angela Merkel. Ort: Internet 14.02.2008 (http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/438829/)

Hintergund: Scheer, André: Ein knappes „Nein“, das die Chávez-Gegner Lügen straft. Ort: Internet 15.02.2008 (http://hintergrund.de/index.php?option=com_content&task=view&id=151&Itemid=63)

Media-culture online: Bounin, Ingrid: Medienkompetenz. Ort: Internet 16.02.2008 (http://www.mediaculture-online.de/Medienkompetenz.356.0.html)

Tagesschau: Castritius, Michael: Heißer Kampf um Chávez' Reform. Ort: Internet 14.02.2008 (http://www.tagesschau.de/ausland/venezuela10-magnifier_pos-3.html)

Venezuela aktuell: Botschaft der bolivarischen Republik Venezuela in der Bundesrepublik: Verfassungsreform 2007 – deutschsprachige Übersetzung. Ort: Internet 15.02.2007 (http://www.venezuela-aktuell.de/index.php?option=com_content&task=view&id=415&Itemid=28)

Venezuela Botschaft: Botschaft der bolivarischen Republik Venezuela in der Bundesrepublik: Kommuniqué über die Erklärung der Präsidentschaft der Europäischen Union zum Fall RCTV. Ort: Internet 18.02.2007 (http://www.botschaft-venezuela.de/DE/pc_n109.html)

[...]


[1] Luhmann S. 10

[2] Media-culture online

[3] Wilke S.137

[4] Wilke S. 27 ff.

[5] Glüsing

[6] Lange S. 31

[7] Wilke S. 12

[8] Wilke S.30

[9] Wilke S.110

[10] Wiegand

[11] Wilke S.118

[12] Siebenmann S.189

[13] Wiegand

[14] Glüsing

[15] Venezuela Aktuell

[16] Hintergrund

[17] Deutschlandradio

[18] Deutschlandradio

[19] Meyer-Lucht

[20] Tupamaros: Stadtguerilla, deren Name auf Túpac Amur, einen peruanischen Rebellenführer, zurückgeht

[21] Baduel: ehemaliger Verteidigungsminister und einst Unterstützer Chávez

[22] Botschaft Venezuela

[23] Hintergrund

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Berichterstattung aus Lateinamerika in Analyse des SPIEGEL Artikels „Putsch gegen die Demokratie“ in
Hochschule
Technische Universität Dresden
Veranstaltung
Proseminar Globalisierung und Lateinamerika
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V111615
ISBN (eBook)
9783640096633
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Berichterstattung, Lateinamerika, Analyse, SPIEGEL, Artikels, Demokratie“, Proseminar, Globalisierung, Lateinamerika
Arbeit zitieren
Nicole Schaupke (Autor:in), 2008, Berichterstattung aus Lateinamerika in Analyse des SPIEGEL Artikels „Putsch gegen die Demokratie“ in, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111615

Kommentare

  • Jaime Moeller am 18.4.2016

    Ich möchte die Arbeit nicht kommentieren, dazu ist es heute im April 2016 zu spät, aber ich möchte folgendes sagen: Alle wichtigen Ereignisse in Venezuela des vorherigen Jahrzehnts wurden in unseren Medien falsch dargestellt. Nicht nur die „Revolutionsromantik“ trübte das Urteilsvermögen der Journalisten, auch Klischees, Vorurteile, Halb- und Unwissen. Fehlende Kenntnisse wurden durch einseitige Erklärungen des Regimes kompensiert, die dann oftmals wörtlich übernommen wurden, was folglich zu einem verschönten Chávez-Bild bei uns führte, das wiederum dem Wunschdenken vieler Leser entsprach. Bis heute haben diese „Experten“ nicht gemerkt, was für einen Unfug sie über den Putsch, die privaten Medien, das Referendum - um nur drei Themen zu nennen -, geschrieben haben. Traurig auch, dass so viele Schüler und Studenten Hausaufgaben und Diplomarbeiten verfassten, die auf diese Widersprüche aufbauten, um dann von Lehrern und Professoren benotet zu werden, die auch nicht besser informiert waren.

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