Die Sprachentwicklung beim Kinde


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Voraussetzungen für das Lernen von Sprache
2.1 Auditive Faktoren
2.2 Visuelle Faktoren
2.3 Der Erwerb der Lautsprache

3. Die Entwicklung der linguistischen Ebenen
3.1 Die Phonologische Entwicklung
3.2 Der Erwerb der Grammatik
3.3 Die semantische Entwicklung

4. Objektpermanenz

5. Epilog

Tabelle zur Sprachentwicklung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Die Sprache ist die bedeutendste Errungenschaft im Leben eines Menschenkindes und unter seinen großen Gaben vielleicht diejenige, die am gleichmäßigsten und gerechtesten verteilt ist. Sie ist unser wichtigstes Organ zur Aneignung der Welt" (Butzkamm/Butzkamm 1999, S.7). Jedes Kind eignet sich in den ersten Lebensjahren die spezifischen sprachlichen Gewohnheiten der Gruppe, in die es hineingeboren wurde, an. Dies ist eine der größten geistigen Leistungen, die jeder von uns vollbringen muss. „Es ist für das Kind eine äußerst schwierige Aufgabe, die Konventionen der Erwachsenen beim Klassifizieren der Phänomene der Realität zu erlernen, und es ist andererseits faszinierend, die Entwicklung von den ersten unscharfen, nicht konventionellen Ausdrücken zu den von der Umgebung sanktionierten Begriffen zu verfolgen" (Giuseppe Francescato 1973, S.7). Die kindliche Sprachentwicklung ist sicherlich eine der faszinierendsten Fragen der Entwicklungspsychologie. Die Rasanz, mit der die Kinder das hoch komplexe System Sprache erlernen, zeigt, wie sehr der Mensch darauf angewiesen ist, die Welt zu verstehen und mehr noch, mit seinen Mitmenschen zu kommunizieren.

Wie lernt ein Kind seine Muttersprache? Die neuere Sprachewissenschaft hat festgestellt, dass Nachahmung, Auslese, Analogiebildung, Sinnstreben, Sprachnot und Aufgliederung die wichtigsten der Prinzipien sind, die die Sprachentwicklung des Kindes zu bestimmen (vgl. Hermann Helmers 1969, S. 353).

2. Voraussetzungen für das Lernen von Sprache

„Sprache ist anfangs von der körperlichen Entwicklung abhängig" (Butzkamm/Butzkamm 1999, S.15). Damit sich Sprache entwickeln kann, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, wird sich aus dem Interesse an der Kommunikation mit seiner Umwelt ganz natürlich eine Sprechfreude entwickeln, die es zu bewahren und zu fördern gilt.

2.1 Auditive Faktoren:

Hören ist ein wesentlicher Grundstein zum Erwerb von Sprache. Beim normalsinnigen Kind geht das Hören dem Sprachen immer voraus. Kinder können schon Laute hörend unterscheiden, bevor sie diese Laute selbst gezielt hervorbringen können. ,,Das Abenteuer des Hörens, Zuhörens und Hinhörens beginnt drei Monate vor der Geburt. Damit setzt auch das Abenteuer Sprache ein, lange bevor das Kind auf die Welt kommt, den Mund auftut und zu babbeln anfängt." (Butzkamm/Butzkamm 1999, S. 5). Das Kind muss ein gutes Gehör besitzen, damit Geräusche der Umwelt wahrgenommen werden können und auch Sprache der Bezugspersonen gehört werden kann. Durch Hören wird das Interesse an Sprache und damit am Kontakt zur Außenwelt geweckt. So wird zum Beispiel die Lallphase vor allem durch auditive Reize gesteuert -das Kind hört neben der Umwelt auch sich selbst und wird so zur Nachahmung und Wiederholung motiviert. Auch die Lautstärke reguliert es durch Anpassung an die Umwelt. Hierbei ist auch die Bedeutung des vorgeburtlichen Hörens nicht zu unterschätzen. Es ist medizinisch erwiesen, dass der Fötus mit sechs Monaten über sein Innenohr auf Laute reagiert. Das Ungeborene hört vor allem die Stimme seiner Mutter -zum einen nimmt es sie über das Mitschwingen des Knochenskeletts wahr, zum anderen über die Bauchdecke und das Fruchtwasser. So wird zwar nicht verstanden, was die Mutter sagt, aber der Fötus nimmt den Klang und den Rhythmus der Stimme der Mutter wahr (vgl.Grimm 1998, S.717).

Genauso werden auch die Geräusche der Umwelt gehört, zum Beispiel die Stimme des Vaters und auch Musik. Eine Studie hat gezeigt, dass bereits vier Tage alte Säuglinge die Muttersprache anderen Sprachen vorziehen. Durch einen präparierten Schnuller wurde die Saugrate der Säuglinge gemessen und diese war bei der eigenen Muttersprache deutlich höher, als bei anderen Sprachen (vgl. Zimbardo 1999, 478).

Neugeborene sind in der Lage Tondauer, Tonhöhe und Tonintensität, sowie Schnelligkeit des Anstiegs der Tonhöhe zu unterscheiden. Babys können höhere Töne besser hören und sie scheinen auch empfänglich für Rhythmus zu sein. Zum Beispiel, wenn eine Geschichte während der letzten sechs Wochen der Schwangerschaft von der Mutter vorgelesen wurde, zogen die Kinder nach der Geburt diese Geschichte anderen vor. Aber es ist nicht der Inhalt der Geschichte, den die Babys wiedererkennen, sondern es sind Aspekte des Rhythmus, d. h. der zeitliche Gestaltung von Bedeutung und Pause, auf die Babys reagieren. Es scheint so, dass Babys recht gut in der Lage sind, akustische Aspekte zu wahrnehmen, die für Sprache wesentlich sind (vgl. Gisela Szagun 2000, S. 186).

2.2 Visuelle Faktoren

Wenn das Kind schlecht hört, nimmt es Sprache primär visuell, d.h. über das Sehen wahr. Das Sehen ist somit eine weitere wichtige Grundvoraussetzung für die Entwicklung der Sprache. „Bei der Geburt des Menschen sind alle visuellen Funktionen rudimentär ausgebildet. Durch Funktionsprüfungen mit gemusterten und ungemusterten Reizen (= preferential lookingMethode) kann nachgewiesen werden, dass Sehen erst gelernt werden muss, d.h. auch die Entwicklung des Sehens ist von der Umwelt abhängig" (Annemarie Peltzer-Karpf 1994, S. 20).

Der gegenseitige Blickkontakt lässt die Kommunikation aus und hält sie aufrecht. Sprache wird auch visuell wahrgenommen -Gestik und Mimik sind mit Sprache verbunden. Durch Beobachtung von Mundbildern und Gesichtsausdruck können verschiedene Begriffe schneller erlernt werden. Zum einen kann das sehende Kind so Mundbilder, Gestik, Mimik und bestimmte Begriffe viel besser erlernen als ein sehbeeinträchtigtes Kind. Bei Sehbehinderten stellt man generell eine verzögerte Sprachentwicklung fest. Um beide Wege, Sehen und Hören für das Kind zu öffnen, sollte man das Kind immer anschauen, immer Blickkontakt herstellen, wenn man mit ihm redet. Indem wir auf das Kind eingehen, seine Bedürfnisse erkennen, seine Mitteilungen aufgreifen und mit Liebe und Fürsorge erwidern, bauen wir Vertrauen und die Bereitschaft, den Wunsch zur Kommunikation mit anderen Menschen auf. Man fördert so die sozialemotionale Entwicklung Ihres Kindes. Auf dieser Basis entwickelt das Kind ein großes Interesse die Regeln der Kommunikation mit anderen Menschen, das heißt die Sprache zu erlernen.

2.3 Der Erwerb der Lautsprache

Einige Wissenschaftler halten den Schrei, den das gesunde Kind bei der Geburt ausstößt, für seine erste „sprachliche" Äußerung. Dieser erste Laut ist physisch notwendig, damit die Atmungsorgane zu funktionieren beginnen, und der qualitativ durch die Disposition jener Organe determiniert wird, die später für die sprachliche Artikulation gebraucht werden (vgl. Giuseppe Francescato 1973, S.28). „Die Produktion von Lauten beginnt mit der Vokalisierung, die zunehmend nach Emotionen differenziert wird. Frühe Vokalisierungen (8.-20. Woche) treten auch dann auf, wenn der auditorische Input und das Feedback fehlen. Aber Hören spielt eine große Rolle beim Aufrechterhalten und Entwickeln dieser ersten Lautproduktion. Ab dem fünften Monat folgen Lautgruppen mit Konsonant-Vokal-Struktur [baba]/[aga]. Die Lallphase ist ein intensives auditives und kinästhetisches Training, ein Wechselspiel zwischen wahrgenommenen Lauten und den diesen Lauten entsprechenden Bewegungen. Das Kind bringt in verschiedenen Lautstärken, Tonhöhen und –längen hervor und spielt mit Stimme und Artikulationsmöglichkeit" (Annemarie Peltzer-Karpf 1994, S. 23f.).

Tatsächlich gebrauchet das Kind seine Fähigkeit, Laute ui erzeugen – z. B. das Schreien, das Schreiweinen –, um seine Wünsche, positive wie negative, zum Ausrückt zu bringen, um Spannungen abzureagieren und um erste Ansätze zur Kommunikation herzustellen, sofern die Erwachsenen auf die stimmlichen Äußerungen des Kindes reagieren (vgl. Giuseppe Francescato 1973, S.29). Nach dieser Trainingsphase des Artikulationsapparates beginnt bei hörenden Kindern die Anpassung des Lautrepertoires an das jeweilige Sprache. 3. Die Entwicklung der linguistischen Ebenen Methodologisch unterscheidet man zwischen drei Aspekten: Phonologie, Grammatik und Semantik, die in der Wirklichkeit der Sprache der Erwachsenen wie in der Sprachentwicklung des Kindes gleichzeitig vorhanden sind. „Nur aufgrund ihres gleichzeitigen Vorhandenseins können ja die (lautlichen) Manifestationen der sprachlichen Aktivität des Kindes als „Sprache" bezeichnet werden." Man kann mit anderen Worten die Lautprodukte, die für einen großen Teil der Aktivität des Kindes in den ersten Lebensmonaten charakteristisch sind, nur dann „Sprache" nennen, wenn sie sowohl auf phonologischer wie auf grammatischer und semantischer Ebenen einen entsprechenden Stellenwert besitzen (vgl. Giuseppe Francescato 1973, S.41).

3.1 Die Phonologische Entwicklung

„Die Phonologie (Lautlehre) untersucht, auf welche Weise Laute kombiniert werden, damit sie Wörter bilden." ( Zimbardo 1999, 476). Man kann innerhalb der Sprachentwicklung eine „vorsprachliche" Phase unterscheiden. Die Merkmale der vor-sprachlichen Phase lassen sich unter die folgenden drei Kategorien subsumieren:

1 Das Verschwinden vieler Laute. In diesem Zeitraum kann es sogar zu einem fast vollständigen Verstummen des Kindes kommen;
2 Etablierung einer „Melodiephase", wo die „Bedeutung" des situativen Kontextes mit bestimmten Intonationselementen assoziiert werden;
3 Ausprägung besonderer Lautelemente „Prä-Phoneme" (vgl. Giuseppe Francescato 1973, S.55). Charakteristisch für den Beginn dieser Phase ist das Erkennen und Erlernen lautlicher Einheiten, die mit einer bestimmten „Bedeutung" verknüpft werden. Von diesem Augenblick an bedeutet der Lernprozess: eine immer bessere Identifizierung der wahrgenommenen Lauteinheiten und zunehmende Genauigkeit bei der Zuordnung von Lautketten und ihrer „Bedeutung" (vgl. Giuseppe Francescato 1973, S.45). Das Ende dieses vorsprachlichen Bereichs kann man mit dem Beginn der eigentlichen Sprechtätigkeit des Kindes gleichsetzen. Nach Jakobson gehorcht der Lauterwerb in der Kindersprache dem Gesetz des „maximalen Kontrastes", d.h. zunächst wird das Bestunterscheidbare beachtet. Dieses Gesetzt besagt, dass sich eine relative chronologische Reihenfolge aufstellen lässt, die in allen Sprachen und zu allen Zeiten dieselbe ist. Angelpunkt seiner Überlegungen war der Übergang vom Lallen zum Sprechen. Während der Lallperiode produziert des Kind wesentlich mehr unterschiedliche Laute, ais in der später zu erwerbenden Sprache benötigt werden. Offensichtlich ist das Kind „imstande, alle denkbaren Laute zu erzeugen". Aber mit den ersten Wörtern verliert das Kind diese Fähigkeit. Jakobson nannte diesen Vorgang die „Auslese der Laute" und erklärte ihn mit einem Wechsel der Lautfunktionen (vgl. Gerd Kegel 1987, S. 149). Die von Jakobson skizzierte Entwicklung kann man wie folgt zusammenfassen: „An der Schwelle der ersten Sprachstufe wird der Vokalismus durch einen breiten Vokal und der Konsonantismus durch einen Verschlusslaut des Vordermundes eingeleitet. Immer ist a der erste Vokal und gewöhnlich ein leder des Mund-und Nasenlautes auf: papa-mama. Ihm folgt der Gegensatz des Labialen und des Dentalen: papa-tata und mama-nana. Diese zwei Gegensätze bilden den minimalen Konsonantismus, sie sind auch die einzige, die in keiner Sprache fehlen. Auf die beiden konsonantischen Gegensätze folgt in der Entwicklung der kindlichen Sprache der erste vokalische Gegensatz. Es wird dem breiten Vokal ein enger gegenübergestellt: papa-pipi.

Die folgende Etappe des kindlichen Vokalismus bringt entweder eine Spaltung des engen Vokals in einen palatalen und velaren: papa-pipi-pupu oder einen dritten mittleren Öffnungsgrad: papa-pipi-pepe. Jeder dieser drei Prozesse führt zu einem System von drei vokalen, und das ist zugleich der minimale Vokalismus, den die lebendigen Sprachen der Welt aufweisen." (Giuseppe Francescato 1973, S. 47).

Natürlich bleibt Jakobson Theorie nicht unkritisiert: Das Kind lernt nicht einfach der Reihe nach die Beherrschung von Phonemen; z. B. erst a , dann p , dann m etc., sondern es lernt, Unterscheidungen zu treffen, oder, um den Fachausdruck zu verwenden, es beachtet mehr und mehr Distinktionen (vgl. Gerd Kegel 1987, S. 150).

3.2 Der Erwerb der Grammatik

Das erste „Wort" wird vom normalen Kind etwa am Ende des ersten Lebensjahres gesprochen. Mit dem ersten Wort wird zugleich die grammatische Funktionen assoziiert, da man dieses Wort als Einwortsatz interpretieren muss. „Die Einwortäußerungen bestehen meistens aus solchen Wörtern, die in der Erwachsenensprache der Wortklasse der Nomen, Verbpartikel, Adverbien, Demonstrative angehören. Beispiele (aus Stern & Stern 1928 und Miller 1976): wauwau, mama, papa, mieze (= Katze), lampe, stiefel, schuhe, auto, ab, weg, auf, runter, mehr, noma, (= noch mal), auch da, hier." (Gisela Szagun 1996, S.31). Das Kind benutzt niemals eine Lautkette anstelle der anderen, sondern assoziiert jede Lautkette mit einer bestimmten Situation oder einem Situationskomplex. Auf dieser Stufe ist das grammatische Element nur latent vorhanden. Es dauert einige Monate, bis die Grammatikalität mit der Verknüpfung von zwei oder mehr Lautketten, die das Kind bis dahin isoliert geäußert hat, beginnt (Giuseppe Francescato 1973, S. 116). Die Zweiwortäußerungen tauchen bei den Kindern meistens zwischen 18 und 24 Monaten auf. In Zweiwortäußerungen kombiniert sich eine kleine Anzahl von Wörtern, die häufig gebraucht wirt, mit anderen Wörtern, deren Anzahl größer ist, die aber weniger häufig gebraucht werden. Die häufig gebrauchten Wörter sind meist Funktionswörter, die anderen Wörter der offenen Wortklasse. Die Zweiwortäußerungen können unter Einbezug des situativen und sprachlichen Kontextes hinsichtlich ihrer Bedeutung bestimmt werden. Der Erwerbsreihenfolge grammatischer Strukturen ist bei Kindern recht ähnlich. Aber bei der Schnelligkeit des Erwerbs dieser Strukturen zeigen sich jedoch beträchtliche individuelle Unterschiede. Kinder haben unterschiedliche Sprachentwicklungsraten (Gisela Szagun 1996, S.29).

In den Zweiwortäußerungen deutschsprachiger Kinder hat man die semantische Funktionen gefunden, die sich auf Bedeutungskategorien beziehen. Folgende semantische Funktionen von Zweiwortäußerungen lassen sich charakterisieren (Bespiele aus Gisela Szagun 1996, S.31f.):

Vorhandensein:

Das Kind will ausdrücken, das ein Objekt/eine Person da ist:

da auto, da brille, mami da, da flasche

Nicht-Vorhandensein:

Das Kind will ausdrücken, dass ein Objekt/eine Person nicht (mehr) da ist:

füße weg (über die Füße wird ein Tuch gedeckt) weg auto (ein Spielzeugauto wurde in einen Kasten geworfen) weg teddy (der Teddy befindet sich außer Sichtweite) Wieder-

Vorhandensein: Das Kind will sagen, dass ein Objekt/eine Person wieder auftaucht, oder eine Handlung wiederholt wird: mehr milch (es wird mehr Milch in die Kanne gegossen, die vorher leer war) noch mal sitzen (der Teddy, der umgefallen ist, soll wieder sitzen)

Die Wortstellung in Zweiwortäußerungen ist zum Teil variabel, meistens dominiert die Endstellung des Verbs.

Beispiele:

weiche baun, das mach, wasser schwim, milch habe.

Mögliche Grunde für die häufige Endstellung des Verbs sind: Einmal finden sich in der Sprache der Eltern an Kinder viele Fragen und Aufforderungen, -und diese haben Verbendstellung. Zum zweiten neigen Kinder dazu, ihre Aufmerksamkeit auf das Wortende bzw. Satzende zu richten. In Zweiwortäußerungen kann der Negationsträger nein oder nicht sein. Beide können sowohl vor dem Verb als auch nach dem Verb stehen.

Beispiele:

nein essen, nein sitzen, auto nein, passt nicht, nicht lesen.

Fragen werden mit Frageintonation gestellt. Bei W-Fragen wird das Fragewort in der Regel ausgelassen. Gelegentlich kommen die Fragen mit wo? vor, oft steht Wo-Frage am Satzende, wie in apfel wo? (= wo ist der Apfel?). Ja/Nein-Fragen werden meist ohne Inversion von Subjekt und Objekt gestellt (vgl. Gisela Szagun 1996, S.34f.).

3.3 Die semantische Entwicklung

„Die Semantik befasst sich mit den Bedeutungen von Wörtern und den Bedeutungsveränderungen im Laufe der Zeit" (Zimbardo 1999, 476). Inn der Semantik gelten die Regelformen wie:

„Wenn dieser Ausdruck zu verzeichnen ist, dann sollte jener Tatbestand der Fall sein", und: „Wenn dieser Ausdruck zu verzeichnen ist, dann sind bestimmte weitere Ausdrucke zulässig, bestimmte andere aber nicht".

Auf Regel dieser Art basieren linguistische Analysen einfachster semantischer Subsysteme (u.a. der Verwandtschafts-und der Farbbezeichnungen) (vgl. Kegel 1974, S. 131). Man unterscheidet zwischen syntaktischen und semantischen Beziehungen zwischen Wörtern. Beziehungen von Wörtern in einem Satz sind semantische Beziehungen, wenn sie darauf basieren, wie die Objekte/Personen/Handlungen, die die Wörter benennen, in der außersprachlichen Situation in Beziehung stehen. Beziehungen zwischen Wörtern in einem Satz sind syntaktische Beziehungen, wenn sie darauf basieren, welche Funktion die Wörter innerhalb des Satzes haben. Syntaktische und semantische Relationen korrespondieren oft, insofern als z. B. das Subjekt des Satzes (syntaktische Relation) mit dem Handlungsträger (semantische Relation) zusammenfällt.

Eine Situation, wo Karin Anna ein Geschenkt gibt, kann man mit den Sätzen beschreiben:

„Karin gab Anna ein Geschenk. Und: Anna erhielt von Katrin ein Geschenk. Die Semantische Funktion von „Karin" Ist in beiden Sätzen gleich, nämlich die der „Person die-gibt".

Das entspricht dem, was Karin in der außersprachlichen Situation Tut.

Syntaktische aber ist die Funktion von „Karin" einmal Subjekt (im ersten Satz) und einmal Objekt einer präpositionalen Bestimmung (im zweiten Satz)" (Beispiel aus Gisela Szagun 1986, S.131). Was lernt ein Kind zuerst, syntaktische oder semantische Beziehungen zwischen Wörtern? Zu Beginn der Sprachentwicklung beherrschen Kinder keine syntaktischen Relationen und grammatischen Formklassen. Sie bilden zuerst semantische Relationen und Kategorien. Semantische Relationen stehen in direkter Beziehung zur Erfahrung und sind daher weniger abstrakt als syntaktische. (vgl. Gisela Szagun 1986, S.133).

Die Entwicklung des Lexikons im Überblick:1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4. Objektpermanenz

Bei der Erklärung der Entstehung der Sprache aus der vorsprachlichen kognitiven Entwicklung des Kindes fällt der Objektpermanenz eine Schlüsselrolle zu. Objektpermanenz nach Piaget heißt „das Wissen, dass Objekte auch außerhalb der eigenen Wahrnehmung und Tätigkeit Realität haben." (Gisela Szagun 1996, S.73). Die Objektpermanenz impliziert also eine Trennung von Selbst und Objekt – oder von Selbst und äußere Welt. Die Erwachsene wissen, dass die Objekte, die wir gerade nicht sehen, weiter existieren. Für ein kleines Baby ist es nicht selbstverständlich, es erkennt in den ersten Lebensmonaten nur die Dinge, die es unmittelbar wahrnimmt und mit denen es unmittelbar umgeht. Spätestens eineinhalb Jahre später weiß das Kind, dass Objekte unabhängig von der eigenen Wahrnehmung und Tätigkeit existieren. Das geschieht über das Loslösen des Gegenstandes vom eigenen Handeln und die Entstehung von inneren Bildern oder Vorstellungen. Das Loslösen des Objekts aus dem Handlungsschema (= sensomotorischen Schema) wird mit der Entstehung der Objektpermanenz beschrieben (vgl. Gisela Szagun 1996, S.73). Das Kind erwirbt während der ersten 2 Jahre so viele kognitive Leistungen und Strukturen, dass Piaget die sensomotorische Stufe selbst wiederum in 6 Substufen unterteilt (vgl. Zimbardo 1999, 464). Bereits mit 1 – 4 Monaten verfolgt das Baby mit den Blicken einen Gegenstand, der sich aus dem Gesichtsfeld bewegt, weiter. (2. sensomotorische Stufe). Das etwas ältere Baby führt eine Handlung, die es unterbrochen hat, nach kurzer Pause weiter fort (3. sensomotorische Stufe). Das ist eine erste Loslösung des Objekts von der eigenen Handlung und eine beginnende Objektpermanenz. Als nächstes findet etwa 10 –12 alte Baby den Gegenstand, selbst wenn er ihn nicht sehen kann (4. sensomotorische Stufe). Der Gegenstand hat jetzt mehr Permanenz, er bleibt für das Kind derselbe, auch wenn er verschwindet. Dem 12 – 18 Monate alten Kind gelingt die Suche nach einem versteckten Gegenstand unter zunehmend schwierigen Bedingungen. Das Kind sucht dort, wo es den Gegenstand zuletzt gesehen hat (5. sensomotorische Stufe). Der Gegentand ist jetzt aus dem Handlungsschema gelöst. Die volle Objektpermanenz ist erreicht, wenn das ca. 18–24 Monate alte Kind eine Reihe unsichtbare Ortswechsel eines Gegenstandes nachvollziehen kann (6. sensomotorische Stufe) (vgl. Gisela Szagun 1996, S.73f.). „Es steht fest, dass Kinder in diesem Alter über eine innere symbolische Repräsentation eines Gegenstandes verfügen, die unabhängig von ihrer Wahrnehmung oder ihrer Handlung ist" (Zimbardo 1999, 464).

5. Epilog

Am Anfang steht das Einverständnis zwischen Eltern und Kind. Einverständnis ist Grundbedingung der Sprache. Denn wie die Dinge heißen sollen, muss immer schon zwischen uns abgesprochen sein. Miteinander sprechen bedeutet Aufeinanderangewiesensein und Einanderverpflichtet-sein. Dazu passt das kindliche Bedürfnis nach Bindung. Kinder, die sicher an ihre Eltern gebunden sind, sind bereit zu lernen, den Dingen auf den Grund zu gehen, dabei etwas zu riskieren. „Wer vertrauen darf, kann Vertrauen schenken, traut sich selbst etwas zu"

(Butzkamm/Butzkamm 1999, S.349). So wie beim Kind Selbst-und Weltvertrauen hereinwachsen müssen, damit es Aufgaben annimmt und seine Intelligenz erprobt, so müssen auch Eltern Sicherheit im Umgang mit Kindern ausstrahlen. Eltern, die sich selbst in einer Situation der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins wähnten, haben keinen guten Einfluss auf die Sprachentwicklung ihrer Kinder. Ihre Unsicherheit schlug sich in autoritärem Gesprächsverhalten nieder, das sich wiederum negativ auf die Sprache ihrer Kinder auswirkte (vgl. Butzkamm/Butzkamm 1999, S.332). Eltern können die Sprachentwicklung des Kindes positiv beeinflussen, indem Sie die Kommunikationsbereitschaft fördern. Dafür muss das Kind die Geheimnisse, die Regeln der Kommunikation entdecken und Kommunikation als notwendig und sinnvoll erfahren. Eltern müssen darauf achten, dass die Umwelt des Kindes sich so verhält, dass dieser Lernprozess optimal vorbereitet wird. Als sinnvoll kann ein Kind Kommunikation nur dann erfahren, wenn ihm nicht durch Überbehütung alle Wünsche erfüllt werden, bevor es diese mitteilt. Als notwendig wird das Kind Kommunikation nur dann erfahren, wenn es merkt, dass es mit Kommunikation etwas erreichen kann, dass ansonsten unerreichbar wäre. Die Bezugspersonen spielen bei der sprachlichen Entwicklung des Kindes eine große Rolle. Durch die Kommunikation mit ihnen und ihr sprachliches Vorbild wird das Kind sich die Welt des Sprechens erschließen, Aussprache, Wortschatz und Satzbau entwickeln.

Die Bezugspersonen können die sprachliche Entwicklung durch folgendes Verhalten fördern:

- während des Sprechens Blickkontakt halten
- langsam und deutlich spreche
- eigenes Handeln sprachlich begleiten
- Fehler des Kindes beiläufig durch richtiges Vorbild richtig stellen
- Wortschatz verwenden, der dem Entwicklungsstand leicht vorauseilt
- Satzstrukturen verwenden, die dem Entwicklungsstand leicht vorauseilen
- Sprache als Mittel zur Kommunikation bevorzugen
- auf sprachliche Ansprache sofort reagieren
- Aufmerksamkeit auf das Sprechen mit dem Kind ausrichten.

Tabelle zur Sprachentwicklung2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Literaturverzeichnis

Annemarie Peltzer-Karpf, 1994: Spracherwerb bei hörenden, sehenden, hörgeschödigten, gehörlosen und blinden Kindern. Tübingen: Gunter Narr Verlag

Butzkamm, Wolfgang / Butzkamm, Jurgen, 1999: Wie Kinder sprechen lernen. Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des Menschen. Tübingen: Francke Verlag.

Francescato, Giuseppe, 1973: Spracherwerb und Sprachstruktur beim Kinde. Stuttgart: Ernst Klett Verlag.

Grimm, Haneelore, 1998: Sprachentwicklung – allgemeintheoretisch und differentiell betrachtet.

In: Oerter, Rolf / Montada, Leo (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch.

4. Auflage. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Helmers, Hermann, 1969: Zur Sprache des Kindes. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt.

http://www.sprachheilberater.de/Sprachentwicklung.htm

Kegel, Gerd, 1987: Sprache und Sprechen des Kindes. Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen.

Szagun, Gisela, 1996: Sprachentwicklung beim Kind. 6. Auflage, München: Urban & Schwarzenberg.

Zimbardo, Philip G., Gerrig, Richard J.; 1996: Psychologie. 7. Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Sprachentwicklung beim Kinde
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Theorien der Sozialisation: Kindheit
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
14
Katalognummer
V111610
ISBN (eBook)
9783640096589
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sprachentwicklung, Kinde, Theorien, Sozialisation, Kindheit
Arbeit zitieren
Master of Arts Lilli Petel (Autor:in), 2004, Die Sprachentwicklung beim Kinde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111610

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