Die Dependenz-Theorie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

31 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichte der Dependenz-Theorien
2.1 Imperialismus-Theorie
2.2 Modernisierungs-Theorie
2.3 Desarrollistische Ansatz

3. Die Dependenz-Theorie
3.1 Grundgedanken der Dependenz- Theorie
3.2 Bürgerlich-nationalistische Richtung
3.3 Marxistische Richtung
3.4 Gemeinsamkeiten

4. Zentrum und Peripherie-Modell

5. Kritik

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Es gibt unzählige Theorien und Theorieansätze in der wissenschaftlichen Literatur, die alle versuchen, das Phänomen der „Unterentwicklung“ zu erklären. Es gibt endogene und exogene, bürgerliche und marxistische Theorien, Versuche, das Phänomen als von dem betreffenden Land selbst verursacht, selbst verschuldet oder von außen bewirkt darzustellen; historische Gesetzmäßigkeiten werden daraus abgeleitet, soziale Strukturen als Erklärungsmoment herangezogen.

Alle diese Erklärungsversuche haben gemeinsam, dass sie meistens am Beispiel eines Landes bzw. eines Kontinentes entwickelt worden sind; dann wurden sie häufig auf alle Entwicklungsländer übertragen. Dies hat zur Folge, dass einige Theorien zwar durchaus die „Unterentwicklung“ des einzelnen Landes erklären können, nicht aber alles. Bei wenigen Ländern trifft diese Theorie dann auch in der „Reinform“ zu.

Die Dependenz-Theorie wurde in Lateinamerika und für Lateinamerika entwickelt. Dass er seinem Anspruch nach auch für die unterentwickelten Länder Afrikas und Asiens gilt, wird zwar manchmal erwähnt, aber nicht weiter verfolgt. Wenn in der Literatur von unterentwickelten Ländern die Rede ist, dann haben die Autoren Lateinamerikas vor Augen, und danach soll hier auch verfahren werden.

In der folgenden Arbeit setze ich mich mit den Dependenz-Theorie auseinander, die ursprünglich primär auf die Gesellschaft Lateinamerikas zugeschnitten sind:

Dependenz-Theorien stellen keinen einheitlichen, in sich geschlossenen Erklärungsansatz dar. In sehr vereinfachten Versionen wird die Unterentwicklung in der „Dritten Welt“ als unmittelbare und eindeutige Folge der Entwicklung in der „Ersten Welt“ beschrieben:

Entweder wird die Armut in der Dritten Welt allein auf die „Rückständigkeit“ der Entwicklungsländer oder ausschließlich auf deren „Abhängigkeit“ von den Industrienationen zurückgeführt, in den gegensätzlichen Auffassungen schwingt immer schon eine moralische Schuldzuweisung mit.

Typisch ist das Verhältnis der entwickelten zu den unterentwickelten Ländern, hauptsächlich wird dies als ökonomische Wechselbeziehung betrachtet und unter dem Gesichtspunkt seiner Bedeutung für die entwickelten Gesellschaften analysiert.

Die Dependenz- Theorie eröffnet insofern eine neue Perspektive, als hier versucht wird, die Problematik aus der Sicht der unterentwickelten bzw. abhängigen Gesellschaften und in ihrer Bedeutung für diese zu erfassen. Insbesondere diese neue, auf die Auswirkungen in den unterentwickelten Gesellschaften konzentrierte Sichtweise hat dazu geführt, dass die Dependenz-Theorie eine große politische Bedeutung für die betroffene Länder erlangt hat, indem sie die Entwicklung eines autonomen politischen Selbstbewusstseins der Intellektuellen in den Ländern des amerikanischen Subkontinents gefördert hat.

Für die Menschen der westlichen Industrienationen und die von ihnen gewählten Regierungen besteht ein Interesse daran, dass die Probleme der Menschen in der Dritten Welt bewältigt werden. Ein wirtschaftlicher Aufschwung dort würde letztlich für alle ein Vorteil sein. Wenn aber die wirtschaftliche und soziale Entwicklung weiter unzureichend bleibt, drohen Wanderungsbewegungen in erheblichem Umfang, ökologische Zerstörung im weltweiten Ausmaß, bewaffnete Konflikte, Zunahme der Drogenproduktion und des Drogenhandels.

Auch die wachsend absolute Armut nimmt heute in den südlichen Kontinenten ein Ausmaß an, das den Status quo der internationalen Gesellschaften und den innergesellschaftlichen Status quo der Länder der Dritten Welt sukzessive zu untergraben droht. Ein Drittel bis Ein Fünftel der zwei Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern hungern oder leiden an Unterernährung.

Diese Tendenzen zeigen, dass in der heutigen Welt die wechselseitige Abhängigkeit immer mehr zunehmen, so dass es im Interesse aller liegt, die Anstrengungen zur Bewältigung der vielfältigen Probleme zu verstärken. Die Kenntnis der Ursachen dient der Entwicklung bestmöglicher Strategien zur Lösung der Armutsprobleme. Denn nur wenn die Faktoren beseitigt werden, die immer wieder Armut hervorbringt, kann den Betroffenen langfristig geholfen werden.

2. Geschichte der Dependenz-Theorien

Ende der 60er Jahre entstanden die Dependenz-Theorie (von span./port. „dependencia“= Abhängigkeit) in Lateinamerika, nicht „aus einem Guss“, sondern in Form von Einzelbeiträgen, die sich zum Teil ergänzen und zum Teil widersprüchlich nebeneinander stehen. Es gibt nicht „die“ oder „eine“ Dependenz-Theorie, sondern unterschiedliche dependenz- theoretische Ansätze, die unter dem Begriff der Dependenz- Theorie zusammengefasst werden. Inhaltlich geht es dabei um das Problem von Entwicklung und Unterentwicklung der Drittweltländer privat- und marktwirtschaftlicher Ordnung.

Es ist kein Zufall, dass die Dependenz-Diskussion in der Mitte der 60er Jahre in Gang kam. Sie reflektiert eine Krise im Entwicklungsprozess der lateinamerikanischen Gesellschaften und davon abgeleitet eine Krise der traditionellen Sozialwissenschaft, deren Prognosen und Strategien sich als nicht tragfähig erwiesen haben.

Den entscheidenden Anstoß für die Rezeption in Deutschland gab die deutsche Übersetzung einer Aufsatzsammlung von A.G. Frank.

Die Theorie ist vor allem bedeutsam, weil in dessen Folge nicht nur beansprucht wird, das Verhältnis von entwickelten Gesellschaften zu unterentwickelten neu zu bestimmen, sondern auch mehr oder minder explizit zum Ausdruck kommt, eine brauchbarere, informativere theoretische Alternative und mit deren Hilfe ein den seit den 50er Jahren vorherrschenden Theorien der Modernisierung, des sozialen Wandels und des wirtschaftlichen Wachstums überlegenes Konzept entgegenzuhalten.

Ausgangspunkt war die Erfahrung, dass es nach 1950 entgegen den Erwartungen vieler nicht gelungen ist, an das wirtschaftliche Niveau der USA und Westeuropas aufzuschließen. Jedoch fiel Lateinamerika immer weiter zurück um zu Beginn der 60er Jahre nochmals ein beschleunigtes Aufholen in Aussicht stellte.

Die damals praktizierte Entwicklungspolitik und ihr Scheitern schienen dependenz- theoretische Thesen zunächst zu bestätigen.

Heute räumen Kritiker dependenz-theoretischer Denkmuster ein, dass diese einen wertvollen Beitrag dazu geleistet haben, die vollkommen unhistorisch argumentierenden und externen Faktoren vollständig außer acht lassende Theorie nachholender Entwicklung zu überwinden.

In den wesentlichen Grundgedanken ist die Dependenz-Theorie keine Neuschöpfung, es sind zwei Adressaten die sie begründen:

Zum einen die verschiedenen Varianten der „klassischen“ Imperialismustheorie vom Anfang des 20. Jahrhunderts und zum anderen der Modernisierungstheorien.

2.1 Imperialismus-Theorie

Die Imperialismus-Theorie geht im Wesentlichen auf Rosa Luxemburg, Fritz Sternberg und namentlich auch Lenin zurück. Für die heutige Situation ist diese nicht mehr adäquat. Die „moderne“ Imperialismus- Theorie hat Rechnung getragen und wird an jüngerem historischen Material entfaltet. Sie ist das Pendant zur Dependenz- Theorie, denn sie befasst sich mit der Reproduktion des kapitalistischen Systems in den Metropolen, die Dependenz- Theorie befasst sich mit dem Effekt dieser Dynamik in der Dritten Welt. Über das Ziel gab es keine Zweifel:

Es galt, in möglichst kurzer Zeit ein Industriestaat westlicher Prägung zu werden. Die Ansätze einer Industrialisierung, die in den größten Ländern Lateinamerikas seit den 30er Jahren stattgefunden hatten, galten als Beleg für die Gangbarkeit dieses Weges.

2.2 Modernisierungs-Theorie

Bei der Modernisierungs- Theorie handelt es sich um verschiedene Ansätze, denen die Annahme zugrunde liegt, dass die Länder der Dritten Welt durch intensive Beziehungen mit den westlichen Industrienationen nicht etwa ausgebeutet und in ihrer Entwicklung behindert, sondern im Gegenteil entwickelt werden. Das traditionelle Modernisierungskonzept geht von der Vorstellung aus, dass die sozio- ökonomische Struktur der Drittweltländer „dualistisch“ sei- dass also der eine Sektor mit dem anderen nichts oder nur wenig zu tun habe- und dass unterschiedliche sektorale Entwicklungen ohne wesentlichen Einfluss aufeinander ablaufen. Die Drittweltländer befinden sich demnach in einer Übergangsphase von Unterentwicklung zu Entwicklung, sie holen gewissermaßen die Entwicklung der heutigen Industrienationen nach.

Nachhaltig wurde die Modernisierungs-Theorien durch die Theorie der zirkulären- kumulative Verursachung und der „desarrollistischen“ Theorie beeinflusst:

Die Theorie der zirkulären- kumulativen Verursachung wendet sich gegen derartige dualistische und lineare Auffassung, indem sie hervorhebt, dass in den Drittweltländern entwicklungshemmende Prozesse ganz besonderer Art ablaufen:

Einerseits gibt es den bekannten „Teufelskreis“ der Armut, andererseits entstehen marginalisierende Effekte, also gibt es im Gegensatz zur Dualismus- Theorie einen Zusammenhang zwischen Entwicklung und Unterentwicklung. Als Entwicklungsstrategie werden besondere industrielle Investitionen gefordert, durch Investitionen in strategischen Bereichen soll die Entstehung vor- und nachgelagerter Industrien provoziert werden.

2.3 Desarrollistische Ansatz

Der „desarrollistische“ (span. „desarrollo“ = Entwicklung) Ansatz entfaltet eine ähnliche Argumentation, die zunächst für die Situation Lateinamerikas spezifiziert wurde. Dabei geht es um eine optimale Kombination von internen und externen Entwicklungsfaktoren mit dem Ziel einer langfristig innengeleiteten, wirtschaftlich dynamischen, sozial fortschrittlichen und parlamentarisch- demokratischen Gesellschaft. Für den Erfolg dieses Ansatzes wurden eine Reihe von internen Reformmaßnahmen als unerlässlich erachtet: Eine Agrarreform sollte einen ländlichen Mittelstand schaffen und damit den Binnenmarkt erweitern. Der Staat musste durch Rationalisierung seine unproduktiven Aussagen kürzen und seine technische Effizienz steigern, um seine Funktionen als Orientierungsfaktor und subsidiärer Investor übernehmen können. Schließlich galt es, durch internationale Integration die Beschränkung der Binnenmärkte zu überwinden und eine rationale Arbeitsteilung zwischen den Ländern zu ermöglichen.

Diese Theorie wurde auch außerhalb Lateinamerikas weiterentwickelt und passte sich bruchlos in die „Allianz für den Fortschritt“ ein und wurde zur Grundlage der nationalen und internationalen Entwicklungspolitik seit den 50er Jahren. Dieses Modell ist in seiner parlamentarisch- demokratischen wie in seiner militärisch- autoritären Variante aus unterschiedlichen Gründen gescheitert.

Der Dependenz- Ansatz entstand so aus einer doppelten Kritik: einmal an den herrschenden bürgerlichen Theorien, deren Prognosen sich als unrichtig erwiesen hatten. Zum anderen wendet er sich auch gegen die erstarrten marxistischen Interpretationen der lateinamerikanischen Realität. Auch europäische Modelle und Begriffe wurden auf Lateinamerika übertragen, ohne sie entsprechend den dortigen Situationen zu modifizieren.

3. Die Dependenz-Theorie

Die Dependenz-Theorie gibt eine umfassende Sicht der Entwicklungsproblematik und versucht politische, ökonomische und soziale Aspekte in historischer Perspektive zu integrieren. Durch die Betonung der kumulativen Verkettung endogener und exogener entwicklungshemmender Faktoren wird die einseitige Sicht der Modernisierungstheorie, die Weltmarktbedingungen vernachlässigt hat, wie diejenigen der Imperialismustheorie, die nur den Weltmarkt, aber nicht die internen Strukturen näher analysiert, überwunden. Dies gilt zumindest für differenziertere Formen der Dependenz-Theorie, die keine Globaltheorie für alle „Dritte Welt“- Länder in den drei Kontinenten Asien, Lateinamerika und Afrika proklamieren, sondern für kontextbezogene Analysen spezifischer Abhängigkeitsstrukturen plädieren.

Diese dependenz-theoretischen Ansätze weisen eine Weite des Problemhorizonts auf, die der umfassenden-integralen Entwicklungsproblematik eher gerecht wird, als die lange in der Entwicklungsökonomie vorherrschenden neoklassischen oder keynesianischen Konzeptionen. Damit greift die Dependenz- Theorie Problemstellungen auf, die Ausgangspunkt der Entstehung der klassischen politischen Ökonomie sind (vgl. Furger 1996: 15).

Für die Vertreter der Dependenz-Theorie ist nicht allein das Gefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern Ursache für die Überlegungen, das bestehende Weltwirtschaftssystem zu ändern und damit den Entwicklungsländern ökonomischen Wachstum und sozialen Fortschritt zu sichern.

Ein weitere zentraler Punkt in der Dependenz- Theorie ist die aus dem wirtschaftlichen Rückstand herrührend politische Abhängigkeit, die es Regierungen und Unternehmungen in den Ländern der Dritten Welt unmöglich machen soll, Ressourcen für den Wachstumsprozess in dem erforderlichen Umfang zu mobilisieren und im eigenen Land einzusetzen. Stattdessen würden durch eine einseitige Abhängigkeit Produktionsfaktoren aus den Entwicklungsländern mit der Folge abgezogen, dass Grundvoraussetzungen für wirtschaftlichen Fortschritt gar nicht erst geschaffen werden können. Daraus ergibt sich langfristig eine weitere Verschlechterung der Lage in den Entwicklungsländern, während die vom bestehenden Welthandelssystem begünstigten Industrieländer ihren Vorsprung ausbauen und ihren Wohlstand ständig vermehren können.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Dependenz-Theorie
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (für Soziologie)
Veranstaltung
Soziologie der Entwicklungsländer
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
31
Katalognummer
V111442
ISBN (eBook)
9783640158089
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dependenz-Theorie, Soziologie, Entwicklungsländer
Arbeit zitieren
Stefanie Seibert (Autor:in), 2005, Die Dependenz-Theorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111442

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