Exegese zum Matthäus-Evangelium Kapitel 18, 10-14


Hausarbeit, 2007

32 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Textbegegnung
1.1 Ersteindruck

2. Textanalyse
2.1 Textkritik
2.2 Überlieferungsgeschichte
2.3 Redaktionsgeschichte
2.4 Formgeschichte
2.5 Begriffe und Motive
2.6 Einzelexegese

3. Textaneignung
3.1 Wirkungsgeschichte
3.2 Erfahrungsbezug
3.3 Botschaft des Textes

4. Anlagen

I. Übersetzungsvergleiche von Mt. 18, 10-14
II. Literaturverzeichnis

10 Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel. 11 Denn der Menschensohn ist gekommen, selig zu machen, was verloren ist. 12 Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins unter ihnen sich verirrte: lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte? 13 Und wenn es geschieht, dass er´s findet, wahrlich, ich sage euch: Er freut sich darüber mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben. 14 So ist´s auch nicht der Wille bei eurem Vater im Himmel, dass auch nur eines von diesen Kleinen verloren werde.“

(Evangelium nach Matthäus, Kapitel 18, 10-14; nach der Übersetzung Dr. M. Luthers)

1. Textbegegnung

1.1 Ersteindruck

Wie bei allen Sätzen unseres Herrn Jesus Christus handelt es sich meiner Meinung nach auch hier um ein Stück der Heiligen Schrift, mit denen der Menschensohn uns Schwachgebliebenen in den Stunden tiefster Nacht und Gottverlassenheit durch den Lichtstrahl seiner Worte die Gnade unseres Gottes wieder erkennen und spüren lässt. Ein Wort, so empfinde ich, voller Wärme und Zuversicht für die am Wegesrand Gehenden und wie ein Wegweiser, eine leuchtende Laterne, auf unseren so schwer passierbaren Lebenswegen.

Es sind jedoch auch Verse, welche uns neben der Ermutigung zugleich auch mahnen und erinnern. Schon zu Beginn des Gleichnisses, beim Lesen und Meditieren des ersten Verses treffen wir auf Worte, die uns Christen in unserem oft so selbstgerechten Alltagstrott wachrütteln. Die uns wieder bewusst machen, dass wir nicht um unser selber Willen glauben und leben dürfen, sondern dass wir gerade denjenigen unter uns Beachtung und Liebe schenken müssen, die in unseren Augen als klein erscheinen bzw. die wir kleiner machen, um selber größer dazustehen. Bei ehrlicher Betrachtung erkennen wir hier leider eine große Gruppe von Menschen und Personen, die in dieses „Raster“ passen: wir können das Wort Jesu einmal wörtlich interpretieren und versuchen zu bedenken, wie mit Kindern und Jugendlichen heutzutage in einigen Fällen umgegangen wird; wie sie teilweise nur als Objekte wahrgenommen, jedoch nicht als Subjekte angenommen werden. Doch ebenso schließt es auch die anderen aus unserer Sicht Kleinen, für uns minimal bedeutsamen oder interessanten Leben ein: Kranke, Alte, Aussätzige, Menschen anderer Religionen oder Konfessionen, Weltansichten, Hautfarben, sexuellen Orientierungen, politischen Einstellungen und so fort. Gerade hier wird für mich unsere eben schon von mir angedeutete große menschliche Schwachheit erkennbar. Denn die Geschichte und auch die Gegenwart zeigen, wozu wir fähig sein können. Gerade in dieser Zeit leben und glauben wir aus verschiedensten Gründen meist selbstorientiert und –zufrieden in unsere kleine Welt hinein, ein jeder seinen „Baal“[1] anbetend. Doch dann dieses für die „Kleinen“ und scheinbar verloren Gegangenen hoffnungsvolle, leuchtende und deshalb befreiende Wort Christi: „Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel!“ (Mt. 18,10) Diese große Barmherzigkeit unseres liebenden Gottes wird mir vor allem dann deutlich, wenn ich den weiteren Versen des Gleichnisses folge: auch wenn wir aus der Herde Christi ausgebrochen sind, uns als „schwarze“ Schafe verirrt haben und mit eigener Kraft nicht wieder zurückfinden können, macht sich der gute Hirte selbst auf den Weg, um uns zu suchen. Hierbei wissen wir jedoch auch, dass wir evtl. versuchen sollten, ihm einen Stück des Weges entgegen zu gehen. Auch wenn uns dies schwer fällt und sicherlich oft einfacher gesagt ist, als getan.

Dieser Gedanke vom Verlorenen außerhalb oder auch innerhalb der Herde hat mich zu einer weiteren Überlegung angeregt. Ich denke hierbei gerade an unsere christliche Gemeinschaft, unsere Kirche: Haben wir uns zu mancher Zeit oder auch im Hier und Jetzt nicht selber etwas von unserem Hirten entfernt? Hören wir ihn noch? Sind wir noch seine eine Herde? Und wie gehen wir mit den aus unserer Sicht „schwarzen Schafen“ um? Oder scheinen wir evtl. selbst als schwarze Schafe anderen gegenüber? Ich denke, darüber sollten wir uns versuchen Gedanken zu machen. Gerade in der nun beginnenden Quadragesima, der vorösterlichen Bußzeit, haben wir die Möglichkeit, Unwichtiges und Verzerrendes abzulegen oder auszuschalten, um frei zu werden. Frei für Gott, für unsere Mitmenschen und ganz zum Schluss für uns selbst.

2. Textanalyse

2.1 Textkritik

Für den folgenden Vergleich mehrerer Übersetzungen der Heiligen Schrift möchte ich mich auf folgende Varianten konzentrieren:

revidierte Übersetzung nach Dr. Martin Luther von 1984 (Luth.)

Einheitsübersetzung von 1980 (Einh.)

revidierte Elberfelder-Übersetzung von 1993. (Elbf.)

Die verschiedenen Übersetzungen habe ich im Anhang in tabellarischer Form beigefügt.

Vers 10: Der erste Vers des Gleichnisses beginnt mit einem Hauptsatz, der einer Auf-forderung Jesu nach Aufmerksamkeit gleich kommt. Luther und die Elbf.-Übersetzung verwenden hier die Worte „Seht zu“, während die katholische Einh. die Worte „Hütet euch davor“ gebraucht. Auch beginnt der darauf folgende Nebensatz in dieser Übersetzung anders, als in der Elberfelder- und der Luther-Bibel. Interessant ist in diesem Satzteil bei der Elberfelder-Variante, dass sie nicht wie die anderen Übersetzungen „einen dieser Kleinen“, sondern „eines dieser Kleinen“ hergibt. Ganz nebenbei anzumerken ist eventuell auch, dass, abgesehen bei Luther, der Satz seine Wichtigkeit noch einmal am Ende durch ein Ausrufezeichen unterstreicht. Der nächste Satz des Verses ist, abgesehen von dem einführenden Nebensatz „Denn ich sage euch“, in allen Varianten unterschiedlich wiedergegeben: in der Elbf. fällt 1.) am Rande auf, dass der Hauptsatz von den vorangegangen Nebensatz mit einem Komma abgetrennt und folglich auch mit einem „dass“ eingeleitet wird. 2.) und viel wichtiger zu betonen ist, dass hier von mehreren „Himmeln“ und nicht nur von einem „Himmel“ die Rede ist, wie im Falle der beiden anderen Übersetzungen. Eine Besonderheit in der Einheits-Variante ist der Gebrauch der Wortes „stets“ anstatt „allezeit“, sowie „himmlischen Vaters“ am Ende des Satzes als Pendant zu den Worten „Vaters im Himmel“ (s. Luther-Version) bzw. „Vaters ... der in den Himmeln ist“ (Elbf.).

Vers 11: [2]

Vers 12: Der Vers beginnt mit der Frage „Was meint ihr?“ in allen drei Varianten gleich. Die zweite Frage, die den Vers 12 ausmacht, birgt jedoch Unterschiede: In der Einh. wird nicht der Begriff „Mensch“, sondern stattdessen das Wort „jemand“ angesetzt. Im weiteren Verlauf schreibt Luther „eins unter ihnen“ und nicht „eines / eins von ihnen“, wie es in der Elberfelder- oder der Einheits-Übersetzung zu lesen ist. Anzumerken ist hier auch wieder der leicht unterschiedliche Satzbau im zweiten Nebensatz dieser Frage: wird bei Luther dieser, wie so oft, durch einen Doppelpunkt vom vorherigen Satzteil abgegrenzt, geschieht dieses in den anderen Versionen durch Kommata. In der Einh. finden wir auch das eingefügte Wort „dann“ vor, welches den rhetorischen Charakter dieser Frage verstärkt. Ebenfalls lesen wir hier „auf den Bergen zurück“ und nicht nur „auf den Bergen“. Auch fehlen die Worte „geht hin“ im Gegensatz zur Luther- und Elberfelder-Bibel ganz. In der Elberfelder-Variante findet sich ebenso der Begriff „Irrende“ und nicht „Verirrte“.

Vers 13: Bis zu dem Nebensatz „ ... ich sage euch“, gleichen sich die Luther- und die Elbf. fast vollständig. Größere Unterschiede gibt es im ersten Satzteil dagegen bei der Einh.: hier klingt mit „Und wenn er es findet“ einerseits eine „schnörkellosere“ Variante durch. Zweitens wird hier für das in den anderen Übersetzungen ausgesprochene Wort „wahrlich“ der noch durch einen Gedankenstrich gesondert abgetrennte hebräische Begriff „Amen“ benutzt. Auch den weiteren Teil des Satzes behandeln die Übersetzungen jeweils unterschiedlich: in der revidierten Luther-Übersetzung lesen wir „er freut sich darüber mehr, als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben“. Die Einh. ist ähnlich, jedoch liegt hier vorweg die Betonung auf „über dieses eine mehr, als...“. Die Elbf. verlegt das Wort „mehr“ etwas nach vorn, so dass wir hier „er freut sich mehr über dieses, als...“ lesen können. Außerdem verwendet sie in dem Nebensatz „die nicht verirrt sind“ im Gegensatz zur Luther- und Einheitsversion („die sich nicht verirrt haben“) die Präsensform.

Vers 14: In Vers 14 gleichen sich die Unterschiede denen, die wir auch in Vers 10 beobachten konnten: Während wir bei Luth. „Vater im Himmel“ und bei der Einh. „himmlischer Vater“ lesen, so greift die Elbf. wieder den Begriff „Vater, der in den Himmeln ist“ auf. Im ersten Satzteil sind weiterhin Parallelen zwischen der Luther- und der Elberfelder-Bibel zu beobachten: Denn im Gegensatz zur Einheitsübersetzung, die schreibt „So will auch... nicht“, finden wir in diesen Versionen die Worte „So ist es nicht der Wille...“ bzw. „So ist´s auch nicht der Wille bei...“ vor. Am Ende des Verses findet sich zwischen diesen beiden Varianten noch einmal eine Parallele in Bezug auf das Wort „eines“. Jedoch ist die weitere Satzform auch hier unterschiedlich, da wir bei Luther „dass auch nur eines von diesen Kleinen verloren werde“ lesen können, während in der Elbf. die Phrase „dass eines dieser Kleinen vorfinden. Anders in der katholischen Einh.. Hier beobachten wir mit „dass einer von diesen Kleinen“ eine nicht so geschlechtsneutrale Übersetzung, wie in den anderen Fällen.

2.2 Überlieferungsgeschichte

Um sich der genauen Textstelle von Mt. 18,10-14 überlieferungs- bzw. traditionsgeschichtlich zu nähern, halte ich es für notwendig, vorweg eine kurze literarkritische Betrachtung auf das gesamte Matthäus-Evangelium sowie seiner synoptischen Umgebung zu werfen, um so auch die eigentliche Entstehungsgeschichte des Gleichnisses besser verstehen zu können.

Hierzu spielt meiner Meinung nach die von Christian-Hermann Weiße (1801-1866) aufgestellte „2-Quellen-Theorie“ eine nicht geringe Bedeutung. Sie besagt, dass die Evangelisten Matthäus und Lukas bei dem Verfassen ihrer jeweiligen Werke (Entstehung ca. 80 bis 90 n. Chr.) das Markus-Evangelium (Entstehung ca. 70 n. Chr.) bereits gekannt haben, wenn auch nicht in der genauen Version, die uns heute vorliegt. Weiterhin wird als zweite Quelle eine sog. Logienquelle „Q“ angenommen; eine Spruchquelle, die hauptsächlich eine Sammlung von Worten Jesu enthält. Die Annahme einer solchen Quelle können wir auf folgende Gründe stützen: Die Tatsache, dass viele Textstoffe bei Matthäus und Lukas vorkommen, sind neben dem Markus-Evangelium, in dem diese Textstellen nicht vorhanden sind, ein Argument für diese These. Die teilweise gleiche Reihenfolge in den Kapiteln der beiden Evangelien, sprechen ebenfalls für eine gewisse Grundreihenfolge einer wohl schriftlich verfassten Logienquelle. Anzumerken ist hierbei evtl. auch, dass das erst 1947 gefundene Thomas-Evangelium sich wohl auch auf eine solche Spruchquelle „Q“ gestützt hat, da es lediglich eine Wiedergabe von Worten Jesu Christi darstellt, von seinen Heils- und Wundertaten selbst jedoch nichts berichtet.

Allerdings treffen wir bei dieser Quellen-Theorie auch auf ungelöste Fragen: Haben die Evangelisten Matthäus und Lukas das bei Markus vorhandene Sondergut[3] bewusst weggelassen? Das jeweilige vorhandene Sondergut im ersten und dritten Evangelium lässt sich als Hinzufügung durch die Evangelisten leichter erklären. Weiterhin existieren im Matthäus- und Lukas-Evangelium circa 700 bekannte Textstellen, an denen diese beiden Evangelien gewisse Abweichungen bzw. Widersprüche auf die gleichen Begriffe einerseits, geg. dem Markus-Evangelium andererseits aufweisen (sog. „Minor Agreements“). Von daher können wir davon ausgehen, dass die Evangelisten Matthäus und Lukas beide auch nicht hundertprozentig das gleiche Markus-Evangelium zur Verfügung hatten.

Auch unser Gleichnis vom verlorenen Schaf ist parallel bei Matthäus und Lukas (15,4-7) zu finden und verstärkt so, aufgrund der Gegebenheit, dass es im Markus-Evangelium nicht vorkommt, die Annahme, dass es der Logienquelle „Q“ entstammt. Die Tatsache, dass es ebenfalls im Thomas-Evangelium, wenn auch in anderer Form, vorkommt, verstärkt diese These.[4]

Hinsichtlich der Überlieferungsgeschichte ist natürlich auch die Frage nach der Person des Verfassers, des Evangelisten Matthäus, interessant. Beim Lesen des Textes könnte die Meinung entstehen, er selbst sei beim Geschehen Christi mit dabei gewesen. Diese Ansichten ließen in der Vergangenheit oft die Vermutung aufkommen, der Jünger Matthäus, der ehemalige Zöllner, selbst sei der Autor des Evangeliums gewesen (siehe Mt. 9,9-13; Mt. 10,13). Im Evangelium nach Lukas wird dieser Zöllner, der sich der Gefolgschaft der Zwölf anschließt, jedoch „Levi“ genannt. Diese Annahme ist meiner Meinung nach jedoch nicht tragbar. Hierzu möchte ich anmerken, dass die Namen der Evangelien wohl im späteren Zeitverlauf nachgereicht wurden. Hinsichtlich des Matthäus-Evangeliums könnte sich dieses so erklären, dass der Jünger Matthäus in der Gemeinde, für die das Evangelium gedacht war, eine große Bedeutung hatte (evtl. Gemeindegründer?). Auch vom Bibeltext selbst lässt sich eine Jüngerschaft des Evangelisten her nicht definieren. Gegen diese Theorie halte ich noch drei wesentliche Argumente erwähnenswert:

a) Erstens dürfte für den Jünger Matthäus die griechische Sprache, in der das Evangelium verfasst wurde, schwierig zu handhaben gewesen sein. b) Wenn der Jünger wirklich der Verfasser des Evangeliums gewesen wäre, hätte er sicherlich nicht das Markus-Evangelium als Vorlage benutzt (unter der Annahme der 2-Quellen-Theorie). c) Wichtig ist weiterhin, dass die Zöllner-Jünger-Identität nur aus dem Matthäus-Evangelium hergeleitet wird. Historisch lässt sie sich nicht eindeutig beweisen. Ich denke, genau wird sich die Verfasserfrage wohl nie klären. Vielleicht hilft hierbei jedoch der Gedanke, dass der Evangelist im Dunkel der Geschichte bleiben wollte, um sich einfach demütig hinter Christus zu stellen.

Weitaus undurchsichtiger als die Entstehungszeit des Evangeliums, die wie oben schon einmal angemerkt, ebenso wie die des Lukas-Evangeliums auf das Jahr 80 bis 90 n. Chr. geschätzt wird, ist die Frage nach den Entstehungsort. Die am stärksten in der Wissenschaft verbreitete These besagt, dass das Matthäus-Evangelium wohl in Syrien entstanden ist. Dies begründet sich unter anderem daraus, dass Jesus hier oft als „Nazoräer“ bezeichnet wird (siehe z. B. Mt. 2,23); eine Bezeichnung für die ersten Christen in Syrien. Weiterhin wird das erste Evangelium selbst von einigen Autoren in Syrien Anfang / Mitte des 2. Jahrhunderts zitiert (z. B. in der „Didache-Lehre“[5] ). Um dem ursprünglichen Text des Gleichnisses selbst näher zu kommen, ist es mir wichtig, sich die Parallelstelle bei Lk. 15,4-7 anzusehen. Hierzu möchte ich zuerst die in den beiden Gleichnisversionen vorkommende Zahlensymbolik aufgreifen. Nach Alexander Sand hat sie bei Matthäus eher einen „katechetischen“ Charakter, mit denen der Evangelist versucht, seinen Aussagen „ein besonderes Gewicht“ zu verleihen und „seiner Gemeinde mit Hilfe didaktisch geeigneter Methoden den Standort wahrer Jüngerschaft aufzuzeigen“.[6]

Die unterschiedlichen Charaktere von Matthäus und Lukas werden auch in der Hinsicht deutlich, dass die Vorgänge des Suchens nach dem Verlorenen und die Sorge um das Eine im Matthäus-Evangelium eine viel größere Gewichtung haben, als bei Lukas. Eduard Schweizer ergänzt hier, dass im Gegenzug bei Lukas jedoch die eigentliche Freude über das Wiederfinden des Verlorenen stärker zum Tragen kommt, als bei Matthäus, der eher in Vers 14 die Mahnung „vom Willen Gottes, der auch für die Gemeinde verbindlich sein muss“, betont.[7] Das später entdeckte Thomas-Evangelium streicht ebenfalls den Begriff der Freude; der Hirte spricht hier das Schaf sogar direkt an: „Ich liebe dich mehr als die neunundneunzig“.[8] Die bereits erwähnte Zahlensymbolik wird hier noch einmal verstärkt. Nach dem Theologen Ulrich Luz ist es nicht genau zu klären, ob das vom Hirten ausgehende Verhalten und seine ausschweifende Freude eine lukanische Ausmalung ist, oder ob Matthäus hier einfach gekürzt hat, um den Text für die Situation der Empfängergemeinde auszulegen. Er geht hier eher von der letzteren Möglichkeit aus.[9]

[...]


[1] „Das, woran du dein Herze hängest, das ist dein Gott.“ (Dr. Martin Luther)

[2] Fußnote in der Luther-Bibel: „Der Vers 11 findet sich erst in der späteren Überlieferung: 'Denn der Menschensohn ist gekommen, selig zu machen, was verloren ist.' (vgl. Lk 19,10)“. Näheres dazu unter 2.4. „Formgeschichte“, S. 14.

[3] Der Begriff 'Sondergut' meint individuelle, nur in einem Evangelium vorkommende Textstoffe.

[4] Siehe hierzu auch Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern.Göttingen 1980, S. 172.

[5] Sie ist eine um 100-130 n. Chr. in Syrien verfasste Kirchenordnung und auch unter dem Namen „Zwölfapostellehre“ bekannt. Vgl. Friedrich Hauck/Gerhard Schwinge, Theologisches Fach- und Fremdwörterbuch. Göttingen 1982, S. 57.

[6] Zur „Zahlensymbolik“ des Mt.-Ev. siehe: Alexander Sand, Das Evangelium nach Matthäus. Leipzig 1989, S. 18.

[7] Zu diesen und weiteren traditionsgeschichtl. Vergleichen zwischen Lk. 15,3-7 und Mt. 18,10-14 siehe: Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus. Berlin 1977, S. 239.

[8] Wie auch schon weiter oben zu Informationen bezüglich des Th.-Ev. angegeben, siehe Weder, a.a.O. S. 172.

[9] Weitere Informationen bezüglich dieser Frage siehe: Ulrich Luz, EKK zum NT: Das Evangelium nach Matthäus. Zürich, Düsseldorf und Neukirchen-Vluyn 1997, S. 26.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Exegese zum Matthäus-Evangelium Kapitel 18, 10-14
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
32
Katalognummer
V111363
ISBN (eBook)
9783640094394
ISBN (Buch)
9783640559008
Dateigröße
702 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Exegese, Matthäus-Evangelium, Kapitel, Theologie, evangelisch
Arbeit zitieren
Tobias Knöller (Autor:in), 2007, Exegese zum Matthäus-Evangelium Kapitel 18, 10-14, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111363

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