Erziehungsziel Mehrsprachigkeit - Probleme und Förderansätze für Kinder mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

EINLEITUNG

1. Definition
1.1 Zweisprachigkeit
1.2 Migration

2. Ausgangslage nach PISA

3. Mögliche Gründe für die geringe Bildungsbeteiligung von Migrantenkindern

4. Mehrsprachigkeit – ein gesellschaftliches Erfordernis
4.1 Zweisprachigkeit im Primärspracherwerb
4.2 Sprachbesitz zweisprachiger Kinder beim Eintritt in die Bildungsinstitution
4.3 Die Rolle der Herkunftssprache am Beispiel Türkisch

5. Anforderungen an Förderkonzepte

6. Förderung türkischer Schüler am Beispiel des Modells „Zweisprachige deutsch-türkische Alphabetisierung und Erziehung“

Schlussfolgerungen

Literatur:

EINLEITUNG

Das deutsche Bildungsniveau gilt spätestens seit PISA und den internationalen Vergleichsstudien offiziell als bedenklich und es besteht dringender Handlungsbedarf. Eine wichtige Rolle in der sogenannten deutschen Bildungsmisere ist dabei das Problem der Mehrsprachigkeit an deutschen Schulen. Schaut man heute in ein Klassenzimmer, dann sind Kinder nicht-deutscher Herkunft dort schon lange keine Ausnahme mehr, sondern gehören für Schüler, Lehrer und Eltern bereits zum schulischen Alltag. Mit ihrer Integration wurden nicht-deutsche Schüler jedoch lange allein gelassen, viel mehr noch wurde dies lange als ein selbstverständlicher und sich automatisch vollziehender Prozess angenommen. Heute weiß man, dass Integration nicht nur von dem sich Integrierenden allein, sondern zu einem großen Teil auch von der Gesellschaft ausgeht. Besonders im schulischen Bereich hat PISA diesbezüglich viele Defizite aufgedeckt und viele Fragen nach Ursachen und Lösungsansätzen aufgeworfen. Seitdem beschäftigen sich Bildungsbeauftragte intensiv mit der sprachlichen und kulturellen Integration von Migrationskindern an deutschen Schulen.[1]

In der vorliegenden Arbeit, die im Rahmen des Seminars „Einführung Deutsch als Zweitsprache“ entsteht, möchte ich mich eingehender mit meinem dazugehörigen Referatsthema beschäftigen und die bildungspolitische Frage nach Mehrsprachigkeit intensiver untersuchen. Dabei werde ich auf die Problematik der aktuellen Bildungssituation in Deutschland eingehen und mich mit den Gründen und möglichen Förderansätzen zum Thema Mehrsprachigkeit an deutschen Schulen beschäftigen, die das Ziel haben, die durch das deutsche Schulsystem geschaffene Zweiklassengesellschaft aufzulösen und auch Migrationskindern die Chance auf mehr Bildungserfolg in Deutschland zu geben. Im Besonderen werde ich mich dabei auf die Besonderheiten türkischstämmiger Schulkinder beziehen, da diese zu einer hohen Zahl an deutschen Schulen vertreten sind. Um den Rahmen dieser Arbeit einzuhalten, werde ich nicht auf einzelne Förderkonzepte eingehen. Ich möchte jedoch hinsichtlich möglicher Förderansätze noch ein einzelnes Berliner Modell im Überblick vorstellen, das sich der sprachlichen Förderung türkischer Schüler widmet.

1. Definition

1.1 Zweisprachigkeit

Wie viele andere Begriffe auch ist der Begriff der Zweisprachigkeit ein sehr offener und vielseitig interpretierbarer. Ich möchte mich daher im Rahmen meiner Arbeit auf Graf beziehen, der unter Zweisprachigkeit den frühen Erwerb einer zweiten Sprache neben der Erstsprache versteht.[2] Triarchi-Herrmann fügt hinzu: „Für mich ist eine Person zweisprachig, wenn sie über die Fähigkeit verfügt, sich ohne große Schwierigkeiten in zwei Sprachen mündlich oder auch schriftlich ausdrücken zu können. Diese Fähigkeit muss sie aufgrund ihrer eigenen psychischen, emotionalen und soziokulturellen Voraussetzungen sowie durch den ständigen und intensiven Kontakt mit einer zweisprachigen Umgebung entwickelt haben.“[3] Nicola Küpelikilinc differenziert außerdem noch zwischen den Erwerbsme­chanismen je nach Entwicklungsstand des Kindes. Sie geht davon aus, dass Kinder und Erwachsene unterschiedliche metasprachliche Fähigkeiten und Lernstrategien entwickeln. Nach ihrer Auffassung ist „Zweitspracherwerb im Sinne eines Fremdsprachen­unterrichts, in dem Regeln gelernt werden, erst ab ca. 10 Jahren möglich. Kinder im Kinder­gartenalter befinden sich noch in einer anderen Phase der Entwicklung und verwenden Sprache konkret und auf einzelne Gegenstände und Handlungen bezogen.“[4]

1.2 Migration

Unter Migration versteht man im weitesten Sinne Bevölkerungsbewegungen, die im Unterschied zur Mobilität immer mit einem Wohnungswechsel verbunden sind. Gründe für Migration können u.a. Kriege, politische Unterdrückung, Armut oder auch schlechte umweltliche Bedingungen und Ressourcenknappheit sein. Nach Deutschland immigrierende Personen bzw. Zuwanderer, gliedern sich hauptsächlich in Asylanten, Spätaussiedler, Angeheiratete und nachziehende Familienangehörige. Daneben existieren jedoch auch andere Formen und Hintergründe der Zuwanderung nach Deutschland. Seit 1996 ist der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Deutschland mit etwa 9 Prozent relativ stabil.[5]

2. Ausgangslage nach PISA

Die aktuelle Bildungssituation in Deutschland, besonders im Hinblick auf Migrantenkinder, könnte verfahrener fast nicht sein. Die PISA-Ergebnisse füllten die deutschen Nachrichten mit der großen Klage über mangelnde Lesekompetenzen unserer Schüler. Das deutsche Schulsystem sei zu selektiv und fördere das Entstehen einer Zweiklassengesellschaft. Zu viele Kinder würden mangels entsprechender Schulleistungen damit konfrontiert, nicht versetzt zu werden. Viele werden an Sonder- und Förderschulen überwiesen. Besonders Kinder mit Migrationshintergrund sind an Förderschulen geradezu überrepräsentiert. Für sie ist die Gefahr, im Laufe ihrer Schullaufbahn an eine Förderschule überwiesen zu werden, doppelt so hoch wie für ein deutsches Kind. Im Jahr 2000 befanden sich 63.000 ausländische Schüler an Sonderschulen, davon 62 Prozent an Sonderschulen für Lernbehinderte.

Die Gründe liegen in den nicht zureichenden sprachlichen Kompetenzen dieser Schüler, die von der Schule nicht abgefangen und zielgerecht gefördert werden. Jedoch ist Sprache die Basis für jedes Schulfach, so dass diese Kinder unabhängig ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeiten durch ihre mangelnden sprachlichen Kompetenzen oft auch wenig Bildungserfolg in anderen Fächern erfahren.[6] Mehr als 40 Prozent erreichen höchstens den Hauptschulabschluss und haben auch im Anschluss an ihre schulische Bildung erhebliche Probleme einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Und obwohl die Zahl der ausländischen Studierenden an deutschen Hochschulen stetig steigt, haben die wenigsten unter ihnen eine Bildungslaufbahn an einer deutschen Schule absolviert. Die meisten ausländischen Studierenden erwerben die Hochschulzugangsberechtigung im Ausland.[7]

3. Mögliche Gründe für die geringe Bildungsbeteiligung von Migrantenkindern

Es gibt unzählige Untersuchungen, die sich mit den Hintergründen für die geringe Bildungsbeteiligung und dem geringen Bildungserfolg ausländischer Schüler an deutschen Schulen beschäftigen. Viele Untersuchungen gelten jedoch als zu einseitig durchgeführt. Ihre Befundlagen sind dementsprechend widersprüchlich und wenig aufschlussgebend. Einige machen die Migranten durch ihre mangelnde Anpassungsbereitschaft für das Scheitern selbst verantwortlich. Andere erklären diese widerum mit den schlechten und ökonomischen Bedingungen, unter denen Migrationsfamilien in Deutschland, je nach Herkunft, häufig leben müssen. Hinzukommen aber auch Vorwürfe aus den eigenen Reihen, die das Ausländerrecht und versäumte Integrationsmaßnahmen für die erschwerten Lebens- und Anpassungsbe­dingungen der Migranten verantwortlich machen.[8]

Auernheimer stützt den Aspekt der sozialen Herkunft und der kulturellen Distanz als bildungshemmende Faktoren für Migrantenkinder. Er fügt außerdem zwei wesentliche Aspekte hinzu. Zum Einen bezieht er sich auf die mangelnden Fördermaßnahmen der Schulen selbst: im Wesentlichen die Vermittlung des Deutschen als Schulsprache. Er geht davon aus, dass sich das Deutsch der Schule in seinen Strukturen, Redemitteln, Gesetzmäßigkeiten und besonders durch seine konzeptionelle Schriftlichkeit erheblich vom Alltagsdeutsch unterscheidet.[9] Kinder von Migranten und deutsche Kinder, die aus sozial eher weniger stabilen Verhältnissen kommen, haben in ihrem Elternhaus in der Regel kaum Zugang zu diesem besonderen Sprachschatz. Daher ist es Aufgabe der Schule, den Kindern den Zugang zur Schriftlichkeit und zu dieser besonderen Fachsprache zu ermöglichen, damit sie den steigenden Anforderungen der Kommunikation und der Schriftförmlichkeit standhalten können.

Auernheimer kritisiert jedoch nicht nur den sprachlichen Aspekt der Bildungs­einschränkungen für Migrantenkinder. Er spricht auch von institutioneller Diskriminierung und verweist damit auf das Schulsystem selbst, dass Migrantenkinder aufgrund ihrer sprachlichen Differenzen und kulturellen Andersartigkeit oft zurückstellt oder anderweitig ihren normalen Bildungsverlauf blockiert, woraus sich wieder andere negative Konsequenzen ergeben. Erwähnt sei z. B. die Zuordnung ausländischer Kinder in separate Förderklassen. In einer Untersuchung der aktuellen Situation in Bielefeld fand Auernheimer heraus, dass Migrantenkinder mit mangelnden Deutschkenntnissen zum Deutschlernen in den Schulkindergarten zurückgestellt werden, dessen Aufgabe das Deutschlehren vordergründig jedoch gar nicht ist. Aus den fehlenden sprachlichen Kompetenzen, der mangelnden Anpassung aufgrund kultureller Unterschiede sowie der unzureichenden Unterstützung der Eltern werden somit Schulunfähigkeit und mangelnde Schulreife gemacht. Jedoch nehmen die Diskrepanzen mit fortschreitender Schullaufbahn nicht ab, sondern teilweise noch zu. Beim Übergang in die Sekundarstufe I wird mit ähnlichen Erklärungen argumentiert, um die schlechten von den guten Schülern zu trennen. Wie bereits erwähnt, werden viele von ihnen an die Sonderschule für Lernbehinderte überwiesen. Den anderen wird das Einschlagen einer Schullaufbahn an einer Haupt- oder Realschule geradezu empfohlen, denn „ohne Deutschkenntnisse sei kein Erfolg auf dem Gymnasium möglich“.[10]

Auernheimer spricht von einem feinmaschigen Netz, das Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund, besonders denen mit sozialen und ökonomisch eingeschränkten Verhältnissen, wenige Chancen lässt.[11] In diesem Zusammenhang lässt sich klar erkennen, wie deutlich die deutsche Schule Bildungserfolg an sprachliche Kompetenzen knüpft: eine Schuleingangsvoraussetzung, die eigentlich Aufgabe und Ziel der Schule selbst ist.

4. Mehrsprachigkeit – ein gesellschaftliches Erfordernis

Vor nicht all zu langer Zeit herrschte in den deutschen Köpfen noch das Vorurteil, mehrere Sprachen im Kindesalter würden zu Überforderung führen und am Ende würde keine Sprache richtig gelernt, und auch heute gibt es noch Vertreter dieser Ansicht. Vor etwa einem Jahr begegnete ich im Rahmen meines Studiums einem Psychologie-Dozenten, der das Thema Mehrsprachigkeit damit ablehnte, dass die Kinder heutzutage mit immer mehr Wissen zugepumpt würden, während man dabei völlig vergessen würde: „Die Kindheit sei zum Kind sein da.“[12]

Die wissenschaftliche Mehrheit spricht sich jedoch für einen frühzeitigen Erwerb von Fremdsprachen aus. Ein regelrechtes Erfordernis entsteht dabei für Migrantenkinder, deren Schul- und Familienwelt in zwei Sprachen bzw. zwei Kulturen geteilt sind. Das Goethe-Institut stützt sogar die These, dass zweisprachig aufwachsende Kinder intelligenter und flexibler sind.[13]

Es ist auch bekannt, dass die in den vergangenen Jahren durchgeführten Förderprogramme zum Erwerb des Deutschen als Zweitsprache für Migrantenkinder viele Probleme mit sich gebracht haben. Man ging davon aus, dass diese Kinder Deutsch in den Kindergärten, Schulen und Vorschulen ganz automatisch unter Submersionsbedingungen lernen würden, d.h. dass sie, sofern sie am Kommunikationsprozess teilnehmen möchten, die Zweitsprache erlernen, während ihre eigene Sprache untertaucht und nicht weiter gefördert wird.[14] Viele Forschungsergebnisse belegen jedoch, dass der Erwerb der Erstsprache sich begünstigend auf die Entwicklung einer Zweitsprache auswirkt.[15] Die Anhänger dieser Theorie stützen sich damit auf die Interdependenzhypothese, die besagt, dass die Erstsprache die Grundlage für den Erwerb der Zweitsprache ist und dass diese umgekehrt ohne den erfolgreichen Erwerb der Erstsprache auch nicht erfolgreich gelernt werden kann. Die Kritiker von Zweisprachigkeit, die es zweifelsohne auch gibt, argumentieren damit, „dass die Förderung der Zweisprachigkeit kein Gewinn sei, da sie nicht zuverlässig zu einem Vorsprung gegenüber einsprachigen Modellen in der Zweitsprache führen“.[16]

Charlotte Röhner, Professorin an der Universität Wuppertal, stützt jedoch die These des notwendigen Erstspracherwerbs nicht nur aus sprachpsychologischen, sondern auch aus kulturellen Gründen: „Das Negieren ihrer Sprachidentität erleben Kinder auch als Nichtbeachtung ihrer kulturellen Herkunft und Person. […] In Auseinandersetzung mit den familiären und kulturspezifischen Werten bildet das Kind seine Identität aus und lernt sich gegenüber Erwachsenen und der Umwelt zu behaupten. Sprach- und Identitätsentwicklungen sind eng miteinander verknüpft, sodass ein Zurückweisen und Nichtbeachtung der Herkunftssprache des Kindes eine krisenhafte Störung in der Identitätsentwicklung zur Folge haben kann. “[17] Nicht zuletzt muss davon ausgegangen werden, dass viele der Eltern auch heute noch über keine oder zumindest unzureichende Deutschkenntnisse verfügen, so dass, nicht zuletzt auch aus Identitätsgründen, die Erstsprache oft auch Familiensprache bleiben wird. Aus diesem Grund ist es wichtig, ausländische Kinder auch in ihrer Muttersprache zu unterrichten, um auch eine Stabilität der Familie und damit eine gesunde Basis für Heranwachsende in ihrem persönlichen Umfeld ermöglichen zu können.

Für diese Grundsätze plädiert auch die ausländerfreundliche Partei Die Grünen. Neben den bereits erwähnten Punkten kritisieren sie vor Allem den Mangel an qualifizierten Lehrkräften in Schulen und Erziehern im Kindergarten. Lehrer müssen für sich annehmen, „dass ihre Schülerschaft sprachlich, sozial und kulturell heterogen ist“. Die Grünen plädieren daher nicht nur für die Aus- und Fortbildung kompetenten Fachpersonals, sondern auch für eine interkulturelle Erziehung an deutschen Schulen, die das Phänomen der Interkulturalität in ein ganzheitliches Unterrichtskonzept einordnet und Migrationskinder nicht weiterhin als andersartig einstuft. Zudem sollen die institutionellen Barrieren abgebaut werden, die Migrationskinder bisher häufig an Sonderschulen enden ließen und ihnen den Verlauf einer normalen Schullaufbahn erschwerten.[18]

4. Besondere Lernvoraussetzungen

Kinder mit Migrationshintergrund verfügen über besondere Bildungsvoraussetzungen. Dazu gehören rechtliche Rahmenbedingungen für die Erziehung und Bildung, religiöse Bildungsinhalte, die die weltanschauliche Orientierung betreffen und natürlich sprachliche Besonderheiten. Obwohl die ersten beiden Faktoren zweifelsohne auch eine wichtige Rolle spielen, möchte ich mich in meiner Arbeit ausschließlich mit dem Schwerpunkt der sprachlichen Besonderheiten beschäftigen. Zunächst gilt es zu bedenken, dass Migrationskinder in ihrem Alltag mit zwei oder mehr Sprachen Umgang haben. Dabei muss unterschieden werden zwischen den Kindern, die in Deutschland geboren wurden und hier aufgewachsen sind und solchen, die Deutsch erst im Lauf ihrer Entwicklung als zweite Sprache dazulernen, z.B. bei Zuwanderung im Schulalter. Schaut man sich die Probanden der PISA-Studie an, dann ist festzustellen, dass 70 Prozent der Migrationskinder die gesamte Schullaufbahn in Deutschland durchlaufen haben. Aufgrund dieser Faktoren muss einkalkuliert werden, dass diese Kinder an ihre Erstsprache gebunden sind. Während das Deutsche für sie als Verkehrssprache in Schule und außerfamiliärer Umgebung fungiert, stellt die Familiensprache eine Art Gefühls- und Erziehungssprache für sie da, die außerdem durch ihre dazugehörige Religion und den Umgang mit Medien und technischen Kommunikations­mitteln einen wichtigen Stellenwert in ihrem Leben einnimmt.[19]

4.1 Zweisprachigkeit im Primärspracherwerb

Die Phase der kindlichen Sprachaneignung, die mit dem ersten Lebenstag beginnt und etwa mit dem Eintritt in erzieherische Institutionen endet, wird als Primär- oder Erstspracherwerb bezeichnet. Dabei bringen Kinder die notwendigen Voraussetzungen zum Erwerb einer Sprache von Geburt an mit. Sie eignen sich Sprache quasi selbst durch Interaktion mit ihrer Umwelt an. Ihre engste Bezugsperson ist damit auch der wichtigste Informationslieferant. Mit zunehmender geistiger und physischer Selbstständigkeit vergrößert sich auch ihr Spektrum, das es sprachlich zu erschließen und erweitern gilt. Ihre wichtigsten Lernwerkzeuge sind dabei das eigene Denken und das praktische Handeln. Mit dem Spracherwerb verbunden ist das Verstehen und Bewerten neuer Situationen, Gefühle und Handlungen, die auf das Kind einströmen und die wiederum an kulturelle und soziale Normen geknüpft sind, über die sich die Gemeinschaft, in der sich das Kind zugehörig fühlt, definiert. Betrachtet man den Faktor der wachsenden Unabhängigkeit genauer, dann kann daraus geschlussfolgert werden, je abhängiger ein Kind von seiner Familie ist, desto wichtiger und dominanter wirkt sich auch die Familiensprache auf das Kind aus. Umgekehrt hieße der Schluss dann: je unabhängiger Kinder im Laufe ihrer Entwicklung von ihrer Familie werden und je mehr die Außenwelt an Einfluss gewinnt, desto mehr wird die Verkehrssprache an Bedeutung für sie gewinnen.

Kinder, deren Familiensprache nicht gleich allgemeine Verkehrssprache ist, sind dadurch einer höheren Belastung ausgesetzt, da sie nicht nur zwei Sprachen, sondern sich auch in zwei Kulturen parallel einbinden lernen müssen.[20] Betrachtet man diese Informationen nun im Zentrum der institutionellen Bildungsarbeit, dann würde dies bedeuten, dass auch Lehrer und Erzieher sich Kenntnisse und über die Kultur und die Religion dieser Kinder aneignen und ihren familiären Hintergrund in die Bildungsarbeit miteinbeziehen müssen. Berghoff und Mayer-Koenig argumentieren ähnlich und sprechen sich zu diesem Zweck für eine intensive Zusammenarbeit von Erziehern und Eltern aus.[21] Das bedeutet, dass die Muttersprache der Kinder in der Einrichtung unter diesem Aspekt erlaubt wäre, allerdings bedarf es in diesem Fall klarer Absprachen, die die Anwendungsfelder der Sprachen für die Kinder regeln. So muss z.B. klar sein, dass Verkehrssprache für alle Kinder Deutsch ist und dass die Kinder Deutsch auf möglichst hohem Niveau erwerben sollen.[22] Fraglich bleibt aus meiner Sicht jedoch, wie der Einbezug dieser vielen Sprachen in Kindertageseinrichtungen effektiv umzusetzen und für das Erziehungspersonal leistbar wäre.

Ein weiterer Faktor, der das Fördern der Erstsprache von Migrationskindern stützen würde, bezieht sich auf den unmittelbaren Zusammenhang von Erstspracherwerb und Zweitsprache. „Jeder Spracherwerb, der sich nach der allerersten Phase vollzieht, ruht auf der Erfahrung der vorherigen Sprachaneignung auf und ist durch sie bestimmt. […] Jede neue linguistische Information durchläuft gleichsam den Filter des mit den ersten Spracherfahrungen angesammelten Bestands an Informationen.“[23] Damit spricht sich auch Ingrid Gogolin für die Interdependenzhypothese aus, die, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, einen Zusammenhang zwischen Erst- und Zweitspracherwerb herstellt.[24] Thiersch unterstützt diese These und erweitert sie, indem sie daraus den umgekehrten Rückschluss zieht: „Wenn also die Erstsprache nicht differenziert erworben wird, fehlt die Basis für einen angemessenen Erwerb der Zweitsprache. Damit wirken sich die Defizite in der Erstsprache kumulierend negativ auf den Erwerb des Deutschen aus.“[25]

4.2 Sprachbesitz zweisprachiger Kinder beim Eintritt in die Bildungsinstitution

Zunächst muss davon ausgegangen werden, dass Kinder mit Migrationshintergrund beim Eintritt in die Bildungsinstitution nicht nur unterschiedliche Deutschkenntnisse mitbringen, auch ihre Erstsprache unterliegt einer Variation und unterscheidet sich durch die Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse von der Standardsprache, die im dazugehörigen Land gesprochen wird.[26] Somit unterscheidet sich auch das Türkisch, das unter Türken in Deutschland gesprochen wird, von dem Türkisch, das als Standardsprache in der Türkei gesprochen wird. Durch den Einfluss der sie umgebenden Mehrheitssprachen sind vor allem Veränderungen im Wortbestand beobachtbar, da sich z.B. deutsche Wörter oder Redewendungen in den Bestand der Zuwanderersprache, in diesem Fall das Türkische, mit untermischen. Weitere Variationen sind z.B. im Bereich der Aussprache oder der Satzmelodie beobachtbar. Dies hat zum Einen Konsequenzen für die Gestaltung von Sprachstandsdiagnoseverfahren, mittels derer die sprachlichen Lernbesonderheiten und Fördermöglichkeiten von Migrationskindern gezielt untersucht werden sollen. Auf der anderen Seite wird die Notwendigkeit des Unterrichts in der Herkunftssprache dieser Kinder verdeutlicht, um eine Annäherung an die im Herkunftsland gesprochene Standardvariante zu ermöglichen. Dabei spielt besonders die Einführung in die Schriftsprache eine wesentliche Rolle.

Besonders wichtig für den Erwerb der Zweitsprache ist das Alter. Während das Alter für Erwerb semantischer Strukturen eher weniger wichtig ist, so unterstützt der frühzeitige Zweitsprachenerwerb jedoch beträchtlich die Aneignung grammatischer Strukturen, und zwar in beiden Sprachen. Außerdem entwickeln diese Kinder zusätzliche metasprachliche Kompetenzen, die ihnen unabhängig von einer konkreten Sprache in sprachübergreifender Form sehr nützlich sein können. Man kann also sagen, dass sich frühzeitige Zweisprachigkeit sowohl geistig als auch sprachlich förderlich auf die gesamte Entwicklung des Kindes auswirken kann. Um diese günstige Voraussetzungen jedoch in effektiver Form ausbauen und nutzen zu können, bedarf es einer speziellen und gesteuerten Förderung dieser Kinder, die möglichst schon im Elementarbereich einsetzen sollte, damit diese Kinder sowohl in ihrer Herkunftssprache als auch in der Zweitsprache über umfassende Kenntnisse, die sie zu uneingeschränkter und fließender Kommunikation befähigen.[27]

4.3 Die Rolle der Herkunftssprache am Beispiel Türkisch

Mit zunehmender Erweiterung der sprachlichen Fähigkeiten kann es bei zweisprachig aufwachsenden Kindern auch zu Fehlern kommen. Fehler, die trotz behutsamer und geduldiger Korrektur durch Eltern, Erzieher oder Lehrer nur sehr schwer auszumerzen sind. Diese Interferenzen entstehen bei Kindern, wenn sie durch Ähnlichkeit der Sprachen oder durch falsche Verknüpfungen zwischen zwei verschiedenen Sprachen Fehler machen. Dabei haben es die Kinder, deren Herkunftssprache dem Deutschen am wenigsten ähnelt, besonders schwierig. Zu nennen wäre hier z.B. das Türkische, das sich in vielerlei Hinsicht vom indogermanischen Stamm des Deutschen unterscheidet. Zu den wichtigsten Unterschieden zwischen Deutsch und Türkisch, um an dieser Stelle nur einige zu nennen, gehört einerseits das Phänomen, dass das Türkische Buchstaben aufweist, die in der deutschen Sprache nicht vorhanden sind, z.B. /ç/ und /ş/. Umgekehrt gibt es auch im Deutschen Buchstaben, die wiederum dem türkischen Alphabet nicht zugehören, wie z.B. /ä/ und /ß/. Als problematisch kann sich auch die Tatsache erweisen, dass es Buchstaben gibt, die sowohl im Türkischen als auch im Deutschen vorhanden sind, in beiden Sprachen jedoch unterschiedlich ausgesprochen werden wie z.B. /h/, /y/ oder /z/.[28]

Der wichtigste grammatische Unterschied zwischen Deutsch und Türkisch ergibt sich daraus, dass das Türkische eine agglutinierende Sprache ist, die z.b. den Kasus, Präpositionen und Pronomen dem dazugehörigen Wort anklebt, während das Deutsche zu den flektierenden Sprachen gehört, das z.B. Kasus, Präpositionen und Pronomen durch separate Ausdrücke markiert. Generell gibt es im Türkischen keine Artikel und damit auch keinen Genus, jedoch sind Türkischsprachige bereits mit dem Phänomen des Kasus vertraut, da auch Türkisch über sechs grammatische Fälle verfügt.[29] Im Großen und Ganzen gibt es jedoch nur wenige Parallelen zwischen der Deutschen und der türkischen Sprache, so dass es türkischen Migrationskindern relativ schwer fallen dürfte, in ihrer Spracherwerbsphase Lernbrücken zwischen Deutsch und Türkisch aufzubauen. Wenn auch der Bestand der Phoneme sich in beiden Sprachen ähnelt, so können doch erhebliche Interferenzen bei der Realisierung der unterschiedlichen Grammatiken, sowie bei der korrekten Akzentuierung und Intonation beider Sprachen auftreten. Für den Integrationsprozess von Kindern mit türkischer Herkunftssprache würde dies bedeuten, dass eine frühzeitige Förderung in beiden Sprachen notwendig ist, um Interferenzen zwischen beiden Sprachen und eine mögliche Fossilierung unvollendeter Spracherwerbsprozesse im Türkischen mangels Steuerung zu verhindern.

5. Anforderungen an Förderkonzepte

Die Anforderungen an ein mögliches innovatives Förderungskonzept sind sehr hoch und weiten sich auf viele verschiedene Ebenen aus. Zum Einen gilt es, die möglichen Förderungsmaßnahmen langwierig anzulegen und frühzeitig beginnen zu lassen, damit der individuelle Bildungsweg eines jeden Kindes kontinuierlich begleitet werden kann. Desweiteren sollten die einzelnen Institutionen miteinander vernetzt werden. Der Schwerpunkt liegt hier in der Verknüpfung von Grundschule und vorschulischen Einrichtungen, sowie in den Übergängen von der Grundschule in das dreigliedrige Schulsystem, da sich hier wichtige Schnittstellen für den weiteren Bildungsverlauf der Kinder ergeben.

Ein elementarer Faktor ist auch die Sprache. Zum Einen müssen, wie bereits erwähnt, nicht nur die allgemeinen Sprachfertigkeiten der Migrationskinder gefördert werden, sondern auch das Deutsche als Schulsprache mit einbezogen werden. Dazu gehört auch, dass der Deutschunterricht nicht nur im Sprachunterricht oder in extracurricularen Förderklassen Platz findet, sondern in den Fachunterricht mit aufgenommen wird, so dass jeder Lehrer einer Institution, ungeachtet seines Sachfaches, die Vermittlung des Deutschen als obligatorischen Bestandteil seines Unterrichts mit einbezieht. Dies erfordert nicht nur eine Erweiterung der pädagogischen Ausbildungsinhalte, sondern auch eine verstärkte Kooperation der Lehrer untereinander.

Desweiteren muss unter den Fördermaßnahmen auch der Aspekt der Zweisprachigkeit bedacht werden, d.h. dass Kinder mit Migrationshintergrund auch parallel in ihrer Muttersprache gefördert werden sollten, besonders im Hinblick auf den Schriftspracherwerb in beiden Sprachen.[30] Dies erfordert neue methodische und inhaltliche Bildungsansätze, die bereits im Vorschulalter beginnen sollten. Jedoch muss an dieser Stelle ergänzt werden, dass, obwohl in der Literatur viele Fürsprecher für einen begleitenden Erwerb der Erstsprache zur Zweisprache zu finden sind, es dennoch auch Gegner dieser Theorie gibt, die einen förderlichen Effekt für den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache in Verbindung mit der Förderung der Erstsprache bestreiten, sondern ihn allenfalls als nicht hinderlich bewerten.[31]

Die Fördermöglichkeiten für Kinder mit Migrationshintergrund bestehen jedoch nicht nur aus der Veränderung und Anpassung institutioneller und pädagogischer Faktoren. Eine wichtige Rolle spielen auch positive soziale Umwelterfahrungen, die, wie bereits in Kapitel 3 beschrieben, ebenfalls zur Diskriminierungsproblematik von Migrationskindern in deutschen Bildungseinrichtungen gehören. Berghoff und Mayer-Koenig fordern deshalb eine Veränderung der Grundhaltung des pädagogischen Personals. Damit ist gemeint, dass die Erziehungs- und Lehrkräfte heterogene Kindergruppen und –klassen an Bildungsinstitutionen nicht mehr als schwierige Sondersituationen, sondern als Ist-Zustand in der deutschen Bildungspolitik annehmen müssen. Demzufolge sollten sie sich auch für eine fundierte interkulturelle Bildungspolitik öffnen, auch wenn dies mit erheblichem pädagogischem Mehraufwand und Fortbildungsveranstaltungen verbunden ist. Dies würde auch mit einschließen, dass im Rahmen sich Lehrkräfte im Rahmen eines interkulturellen und barrierefreien Unterrichts Grundwissen über die jeweiligen Kulturen der Migrationskinder und über deren Religionsgrundsätze informieren.[32] Denn es ist anzunehmen, dass sich der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen relativ stabil hält, wenn nicht sogar erhöhen wird. Dazu gehört auch, den Kindern in ihrer Bildungslaufbahn mehr positive Erlebnisse zu schaffen. Dies könnte geschehen, indem sie sprachlich individueller und gezielter gefördert und im Unterricht weniger diskriminiert werden, sei es durch die fehlerhaften sprachlichen Leistungen im Regelunterricht oder durch die Abschiebung an Sonderschulen als Konsequenz dessen.

6. Förderung türkischer Schüler am Beispiel des Modells „Zweisprachige deutsch-türkische Alphabetisierung und Erziehung“

In der Bundesrepublik kursieren Unmengen an Förder- und Versuchsprogrammen zur Integration und zur sprachlichen Förderung von Migrationskindern. Kinder mit türkischem Migrationshintergrund stehen dabei oft im Zentrum der Wissenschaft, besonders in Berlin, da dort eine hohe Anzahl türkischer Migranten zu verzeichnen ist. Dies hat zum Einen den Hintergrund, dass die Gruppe türkischer Migrationskinder in einer bedeutend hohen Zahl an deutschen Schulen vertreten ist. Zum Anderen kämpft besonders diese Kultur mit versagtem Bildungserfolg bzw. mit der Abschiebung in Sonderklassen und Förderschulen. Die Ursachen liegen oft in der großen Differenz, die die deutsche und die türkische Sprache im Vergleich miteinander aufweisen und deren Spracherwerb durch viele Gefahrenquellen besondere Aufmerksamkeit verlangt. Hinzukommt der Faktor des Bildungsmilieus. Türkische Familien in Deutschland leiden oft unter sozial weniger stabilen Verhältnissen und nur bedingter Bildungsnähe. All diese Faktoren ergeben in der Gesamtsumme ein besonderes Profil, aus dem spezielle Förderprogramme entwickelt wurden, wie z.B. das Modell der „Zweisprachigen deutsch-türkischen Alphabetisierung und Erziehung“, in dem türkische Schüler von Lehrkräften aus beiden Kulturen in beiden Sprachen unterrichtet und alphabetisiert werden. Dabei handelt es sich bei dem Lehrpersonal um Muttersprachler, die über jeweils gute bis sehr gute Kenntnisse der anderen Sprache verfügen.[33] Der Deutschunterricht ist für türkische Kinder Pflicht. Sie sollen im Rahmen dieses Programm zweisprachig erzogen werden, während die deutschen Kinder türkisch als Begegnungssprache lernen.[34] Neben der sprachlichen Ausbildung werden ebenfalls Projekttage, und am Ende des Schuljahres, eine Projektwoche veranstaltet, die neben den sprachlichen Kenntnissen auch interkulturelle und internationale Werte in Kooperation mit anderen zweisprachigen Schulen vermitteln sollen.[35]

Dieses Berliner Modell wurde ebenfalls an einer Grundschule in Hamburg durchgeführt. Inci Dirim, Professorin an der Universität Hannover, untersuchte in diesem Rahmen eine deutsch-türkische Klasse in der Faberschule, die mittels dieses Projekts türkische und deutsche Kinder in beiden Sprachen alphabetisierte. Zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung befanden sich in dieser Klasse 50 Prozent deutsche Kinder, 30 Prozent türkische Kinder und 20 Prozent Kinder mit insgesamt 20 anderen Herkunftssprachen. Dennoch wurde das Unterrichtsprofil auf Deutsch und Türkisch reduziert.[36]

Ziel dieses Modells ist es, die türkischen Schüler einerseits mit den Anforderungen der deutschen Oberschule vertraut zu machen und ihnen andererseits den Zugang zur türkischen Schriftlichkeit zu ermöglichen, um sie in ihrer Sprach- und Identitätsentwicklung zu fördern.[37] „Dieser parallel angelegte sprachliche Anfangsunterricht erfolgt „koordiniert“, das heißt, daß den Kindern nach einer die Sprachen vergleichenden Vorgehensweise die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Lautung und Schreibung beider Sprachen mit dem Ziel der Bewußtmachung verdeutlicht werden.“ Das heißt, dass, wie bereits beschrieben, zwei Lehrkräfte gleichzeitig unterrichten, wobei eine Lehrkraft deutscher Herkunft, und die andere türkischer Herkunft ist, um nicht nur sprachliche Bildungsinhalte, sondern auch kulturelle Bildungsfragen aufgreifen und thematisieren zu können. Um eine Balance zwischen beiden Nationen herstellen zu können, werden zu gleichen Teilen deutsch- und türkischsprachige Kinder auf diese Schulen aufgenommen. Nach einer Auswertung von Inci Dirim gestaltete sich die Umsetzung dieses Modells an der Faberschule in Hamburg nicht für die Lehrkräfte in ihrer Konsequenz nicht sehr einfach, im Ergebnis jedoch zufrieden stellend. Im Rahmen dieses Modells erhofften sich die beteiligten Lehrkräfte, dass die Kinder mit türkischem Migrationshintergrund mit diesem Modell eine ausgewogene Zweisprachigkeit in Deutsch und Türkisch erlangen und dass sie dennoch ihre sprachlichen Eigenheiten dabei bewahren könnten. Außerdem sollten alle Kinder durch dieses Modell einen toleranten und verständnisvollen Umgang miteinander finden, was sich in der Beobachtungsklasse von Inci Dirim auch im Ergebnis bestätigte.

Als negativ wurde jedoch angemerkt, dass die deutschen Kinder sehr viel weniger von den Inhalten des türkischen Sprachunterrichts behalten hätten, da sich zu wenig Kontaktmöglichkeiten außerhalb des Sprachunterrichts geboten hätten.[38] Ein weiterer Vorteil dieses Modells ist der Fakt, dass es in die weiterführende Schullaufbahn an Berliner Regelschulen integriert ist. Als schwierig erweist sich jedoch, dass dieses Modell in Berlin seine Schüler über Einzugsgebiete einzieht, so dass sich in Stadtteilen, die überwiegend mit türkischen Familien bevölkert sind, auch homogene Klassen ergeben können, die dem sprachübergreifenden Projektrahmen nicht mehr oder nur noch teilweise entsprechen.

Schlussfolgerungen

In dieser Arbeit sollte dargelegt werden, warum Mehrsprachigkeit und die Förderung des Deutschen als Zweitsprache an deutschen Schulen für Kinder mit Migrationshintergrund so wichtig sind. Des Weiteren wollte ich auf die Besonderheiten türkischer Kinder eingehen, da sie ein wichtiger Teil der heute in Deutschland lebenden Bevölkerungsgruppen sind und da sie mit besonderen Sprachproblemen zu kämpfen haben und auch dementsprechend vom deutschen Schulsystem fehldiagnostiziert und diskriminiert werden.

Wenn man sich jedoch die Anforderungen an mögliche Förderkonzepte anschaut, dann fällt mir auf, dass eine Umsetzung dieser eigentlich einer kompletten Umgestaltung des deutschen Schulsystems gleichkommt, z.B. werden hohe Anforderungen an die Lehrkräfte gestellt. Junges und noch motiviertes Lehrpersonal würde sich dieser Herausforderung vielleicht sogar stellen, jedoch glaube ich, dass es auch vieler Erfahrungen bedarf, die junge Lehrkräfte oft nicht haben. Ältere Lehrkräfte, die widerum über diese Erfahrung verfügen, fühlen sich im Rahmen dieser vielen Fortbildungsmaßnahmen und Förderprogramme überfordert. Zudem sind unter den Förderkonzepten viele zweisprachige Modelle vertreten, die muttersprachliche Fachkräfte aus den Staaten benötigen, deren Kulturen in Deutschland als Minderheiten leben. Ihre Bildungsabschlüsse werden in Deutschland jedoch oft nicht anerkannt. Andere kämpfen mit dem Aufenthaltsstatus und den entsprechenden notwendigen Genehmigungen.

Solange aber Schulen, in denen zweisprachige Projekte mit heterogenen Klassen durchgeführt werden, ihre Schüler über Einzugsgebiete rekrutieren, besteht die Gefahr, dass die Anteile der Nationen eventuell in unausgeglichenem Maße in den Klassen vertreten sind, so dass zweisprachige Konzepte nicht mehr zum erwünschten Effekt führen.

Unabhängig davon, ob zweisprachige Konzepte am Ende wirklich zu dem Effekt führen, dass Migrationskinder über solide Deutschkenntnisse verfügen und dadurch mehr Bildungserfolg erfahren, so stimme ich auf jeden Fall den Befürwortern dieser Konzepte zu, da zumindest bewiesen ist, dass sie weder den Deutschen in der Klasse, noch den Minderheiten selbst schaden. Ich persönlich bin aber von dem Leitsatz überzeugt „Ohne Muttersprache, keine Fremdsprache“, wenn es sich um eine nicht von Geburt an zweisprachige Erziehung handelt. In meiner siebenjährigen Erfahrung als Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrerin habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es besonders Erwachsene aus Migrationsverhältnissen waren, denen das verstehende Lernen des Deutschen versagt blieb, da sie in ihrer eigenen Sprache über keine hinreichenden Kompetenzen verfügten.

Literatur:

Berghoff, Wilfried / Mayer-Koenig, Birgit: Ludmilla, Paul, Hassan, Lisa und Ayse lernen Deutsch. Schneider Verlag Hohengehren. Baltmannsweiler 2005

Dirim, Inci: Var mi lan Marmelade? Türkisch-deutscher Sprachkontakt in einer Grundschulklasse. Waxmann Münster. Hamburg 1998

Anstatt, Tanja (Hg.): Mehrsprachigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Erwerb – Formen – Förderung. Attempo Verlag. Tübingen 2007

Graf, Peter: Frühe Zweisprachigkeit und Schule. Empirische Grundlagen zur Erziehung von Minderheitenkindern. München 1987

Röhner, Charlotte (Hg.): Erziehungsziel Mehrsprachigkeit. Juventa Verlag. Weinheim 2005

Triarchi-Herrmann, Vassilia: Mehrsprachige Erziehung. Ernst Reinhardt Verlag. München 2003

Gogolin, Ingrid u.a. : Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Bundesministerium für Bildung und Forschung. 2003

Auernheimer, Georg (Hg.): Schieflagen im Bildungssystem. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Opladen 2003

Vural, Sergül: Der Partikelgebrauch im heutigen Deutsch und im heutigen Türkisch. Eine kontrastive Untersuchung. Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie der Universität Mannheim.

URL: http://www.uni-mannheim.de/mateo/verlag/diss/vural/vural.pdf (eingesehen am 12.09.2007)

Nicola Küpelikilinc: Was ist Mehrsprachigkeit? In: iaf – Was ist Sprache? Sozialnetz Hessen. URL: http://www.sozialnetz-hessen.de/ca/qq/ssh/ (eingesehen am 28.08.2007)

Bundesministerium des Innern: Zuwanderung Statistik. URL: http://zuwanderung.de/1_statistik.html (eingesehen am 28.08.2007)

Bettina Leve>URL: www.goethe.de/lhr/prj/mac/msp/de1396470.htm (eingesehen am 10.09.2007)

Riza Baran: Migrationskinder und Schule - Muttersprachlicher Unterricht als Baustein zur interkulturellen Bildung. In: Bündnis 90/Die Grünen – Landesverband Berlin. URL: http://gruene-berlin.de/site/591.html (eingesehen am 12.09.2007)

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Rösch, Heidi: Zweisprachige Erziehung in Berlin im Elementar- und Primarbereich. In: EliSe – Essener Linguistische Skripte - elektronisch. Jahrgang 1, Heft 1, 2001. S.31

URL: http://www.elise.uni-essen.de/elise/elise_01_01/elise_01_04_01.pdf (eingesehen am 16.09.2007)

[...]


[1] Auernheimer (2006) S.7ff.

[2] Graf (1987) S. 18f.

[3] Triarchi-Herrmann (2003) S.20

[4] Nicola Küpelikilinc: Was ist Mehrsprachigkeit? In: iaf – Was ist Sprache? Sozialnetz Hessen. URL: http://www.sozialnetz-hessen.de/ca/qq/ssh/

[5] Bundesministerium des Innern: Zuwanderung Statistik. URL: http://zuwanderung.de/1_statistik.html

[6] Auernheimer (2003) S.37

[7] Gogolin u.a. (2003) S.7ff.

[8] Gogolin u.a. (2003) S.17ff.

[9] Auernheimer (2003) S.40ff.

[10] Auernheimer (2003) S.94

[11] Auernheimer (2003) S.87ff.

[12] Thomas Schubert. Ehemaliger Dozent am Institut für Psychologie der TU Dresden. Seminar: Diagnostik und Intervention bei Lernstörungen. WS 2005/06

[13] Bettina Leve>URL: www.goethe.de/lhr/prj/mac/msp/de1396470.htm

[14] Graf (1987) S.38

[15] Röhner (2005) S.7ff.

[16] Gogolin / Roth In: Anstatt (2007) S.34

[17] Röhner (2005) S.9

[18] Riza Baran: Migrationskinder und Schule - Muttersprachlicher Unterricht als Baustein zur interkulturellen Bildung. In: Bündnis 90/Die Grünen – Landesverband Berlin. URL: http://gruene-berlin.de/site/591.html

[19] Gogolin u.a. (2003) S.38f.

[20] Gogolin u.a. (2003) S.41

[21] Berghoff / Mayer-Koenig (2005) S.14ff.

[22] Thiersch In: Anstatt (2007) S.16

[23] Gogolin u.a. (2003) S.42

[24] Gogolin u.a. (2003) S.42

[25] Thiersch In: Anstatt (2007) S.17

[26] Gogolin In: Röhner (2005) S.19f.

[27] Gogolin u.a. (2003) S.42ff.

[28] Berghoff / Mayer-Koenig (2005) S.39ff.

[29] Vural (2000) S.10ff.

[30] Gogolin u.a. (2003) S.60ff.

[31] Felix In: Rösch In: EliSe (2001) S.33

[32] Berghoff / Mayer-Koenig (2005) S.66

[33] Zweisprachige deutsch-türkische Alphabetisierung und Erziehung. In: Sprachen lernen. URL: http://www.berlin.de/sen/bildung/besondere_angebote/sprachen_lernen/

[34] Rösch In: EliSe (2001) S.31

[35] Zweisprachige deutsch-türkische Alphabetisierung und Erziehung. In: Sprachen lernen. URL: http://www.berlin.de/sen/bildung/besondere_angebote/sprachen_lernen/

[36] Dirim (1998) S.6ff.

[37] Zweisprachige deutsch-türkische Alphabetisierung und Erziehung. In: Sprachen lernen. URL: http://www.berlin.de/sen/bildung/besondere_angebote/sprachen_lernen/

[38] Dirim (1998) S.15f.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Erziehungsziel Mehrsprachigkeit - Probleme und Förderansätze für Kinder mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Germanistik, Institut für Deutsch als Fremdsprache)
Veranstaltung
Einführungsseminar Deutsch als Zweitsprache
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V111314
ISBN (eBook)
9783640093946
Dateigröße
555 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erziehungsziel, Mehrsprachigkeit, Probleme, Förderansätze, Kinder, Migrationshintergrund, Schulen, Einführungsseminar, Deutsch, Zweitsprache
Arbeit zitieren
Anja Kleint (Autor:in), 2007, Erziehungsziel Mehrsprachigkeit - Probleme und Förderansätze für Kinder mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111314

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