Die Schweigespiraltheorie. Führt subjektive Zugehörigkeit zur Mehrheitsmeinung zu stärkerer Redebereitschaft und Minderheitsmeinung zu erhöhtem Schweigen?


Hausarbeit, 2007

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Empirische Überprüfungsmöglichkeiten und Problematik

3. Bedingungen für Redebereitschaft und Schweigetendenz

4. Empirische Befunde
4.1 Studie von Moreno-Riaño
4.2 Metaanalyse
4.3 Isolationsangst und Redebereitschaft

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Anfang 1970 rief Elisabeth Noelle-Neumann den Begriff der „Schweigespirale“ ins Leben, welcher die Entwicklung der öffentlichen Meinung beschreibt. Öffentliche Meinung kann nach Schenk als sozialpsychologischer Prozess aufgefasst und folgendermaßen definiert werden: „Meinungen, Verhaltensweisen in wertgeladenen Bereichen, die man öffentlich äußern, zeigen kann, ohne Gefahr, sich zu isolieren.“(Schenk, 2002, S.489). Die Theorie ist eine Makro-Theorie, welche Variablenzusammenhänge aus unterschiedlichen Wissens-bereichen (sozialpsychologisch, kommunikationswissenschaftlich und gesellschafts-theoretisch) postuliert. Sie entstand, um ein Phänomen der Wahlen in West-Deutschland von 1965 zu erklären. Damals lagen die Wahlabsichten der Bevölkerung bezüglich der CDU/CSU und der SPD gleichauf, die Siegeserwartung jedoch veränderte sich trotzdem stetig bis zum Wahltag zugunsten der CDU/CSU, welche die Wahlen letztendlich sogar eindeutig gewannen (mit etwa 50% der Stimmen). Folgender Spiralprozess liefere die Erklärung für den Umschwung der Siegeserwartungen von 1965, wobei sogar ein so genannter „Last-Minute-Swing“ verursacht worden sei, d.h. 3-4% der Wähler entschieden sich kurz vor der Wahl noch um und wählten die CDU/CSU (Noelle-Neumann, 1991).

Nach Noelle-Neumann besitzen Menschen eine grundlegende Angst vor Isolation durch andere Menschen. Isoliert wird man, wenn man die Überzeugungen, Normen und Werte einer Gesellschaft nicht teilt beziehungsweise öffentlich eine den Normen widersprechende Meinung vertritt. Schon Asch und Milgram haben in experimentellen Untersuchungen diesen Gruppendruck zeigen können (Schenk, 2002, S. 490). Um solch einen Ausstoß zu vermeiden, beobachten die Menschen ihre Umgebung und können mit Hilfe ihres „quasi-statistischen Organs“ durch interpersonale Kommunikation direkt und indirekt durch die Beobachtung der Medien die Umweltmeinung zu bestimmten Themen wahrnehmen. Als Ergebnis erhalten sie eine Einschätzung sowohl der gegenwärtigen als auch der zukünftigen Mehrheitsmeinung. Diese kann zu ihrer eigenen Einstellung konsonant oder dissonant sein und somit zwei Konsequenzen nach sich ziehen: Bei Konsonanz besteht eine hohe Redebereitschaft, d.h. die eigene Meinung wird ohne Isolationsangst in der Öffentlichkeit vertreten. Bei Dissonanz wird geschwiegen, da das Kundtun der eigenen Meinung zur Isolation führen würde.

Die für die Mehrheitsmeinung gehaltene Einstellung wird also offen dargelegt, alle anderen Meinungen verschwiegen, so dass sich in der Öffentlichkeit letztendlich ein falsches Bild der eigentlichen Meinungsverteilung widerspiegelt, da die eine Meinung stärker, die andere schwächer erscheint, als sie tatsächlich ist. Daraus entwickelt sich ein Spiralprozess (Namensgeber der Theorie), der die sowieso schon dominierende Meinung noch verstärkt und die bisherige Minoritätsmeinung noch weiter schwächt. Nach Schenk liege die Stärke der Theorie „besonders in der Dynamik des Prozesses und der Konzeptualisierung der öffentlichen Meinung als soziales Phänomen“ (Schenk, 2002, S. 490).

Die Massenmedien spielen in diesem Prozess eine besondere Rolle, da sie bestimmte Themen erst zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen machen. Weiterhin besitzen sie eine Artikulationsfunktion, was bedeutet, dass sie bestimmte Argumente sprachlich ausformulieren und somit den Vertretern der Mehrheitsmeinung schon sprachliche Unterstützung liefern, deren Meinung in der sozialen Interkommunikation auszudrücken. Vertreter der Minderheitsmeinung haben diese Artikulationshilfe nicht und es fällt ihnen deswegen auch schwerer, ihren Standpunkt auszudrücken. Die Wirkung der Massenmedien steigt, wenn die Berichterstattung kumuliert und konsonant ist. Bei einer kumulierten Berichterstattung zieht sich das Thema immer wieder durch verschiedenste Medien. Konsonant ist sie, wenn alle diese Medien das Thema in etwa gleich ausleuchten und ähnliche Argumente bieten, sodass die Selektion verschiedener Informationen gar nicht erst möglich wird.

Nach Schenk sei die Falsifizierung dieser Theorie abzusehen, da sie eine lange Kette von kausal miteinander verbundenen Variablen enthalte und zusätzlich eine allgemeine Gültigkeit beanspruche, welche sich nicht auf bestimmte Geltungsbereiche beschränke. Gerade wegen der Komplexität wurde der Spiralprozess bisher noch nicht im Ganzen überprüft. Verschiedene Forscher widmeten ihre Studien nur einzelnen Variablenzusammenhängen und beurteilten diese zum Teil auch sehr kritisch (Schenk, 2002). Vieles konnte nicht repliziert werden oder erwies sich nur unter bestimmten Bedingungen als gegeben.

Ähnlich verhält es sich mit der Annahme über die steigende Redebereitschaft, wenn sich jemand in der Mehrheit fühlt, oder der wachsenden Schweigetendenz, wenn sich jemand in der Minderheit glaubt. Sogar Noelle-Neumann ist nicht immer zu zufrieden stellenden Ergebnissen gekommen (siehe Abschnitt 2).

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob Redebereitschaft bzw. Schweigetendenz tatsächlich davon abhängen, ob man sich in der Mehrheit bzw. in der Minderheit fühlt. Außerdem berichtet sie von möglichen Bedingungen, die noch zusätzlich als Voraussetzungen gegeben sein müssen und von moderierenden Variablen, die den Zusammenhang stören könnten.

2. Empirische Überprüfungsmöglichkeiten und Problematik

Noelle-Neumann benutzte den „Eisenbahntest“, um Redebereitschaft zu erfassen. Folgende Frage, die auf verschiedene Themen bezogen werden kann, wurde gestellt: „Angenommen, Sie haben eine fünfstündige Eisenbahnfahrt vor sich, und jemand in Ihrem Abteil fängt an, ganz für (in jedem zweiten Interview: ganz gegen) [Thema X] (...) zu reden. Würden Sie sich gern mit diesem Menschen unterhalten, um seinen Standpunkt näher kennenzulernen, oder würden Sie da keinen großen Wert darauf legen?“ (Noelle-Neumann, 1991, S.41). Wichtig für die Konzipierung der Frage war die Darstellung einer möglichst öffentlichen Situation, die jedoch noch klein genug war, dass auch schüchterne Menschen sich am Gespräch beteiligten.

Da Redebereitschaft nicht aus der Tatsache entsteht, dass man in der Mehrheit ist, sondern aus dem subjektiven Glauben, sich in ihr zu befinden, musste diese Überzeugung zusätzlich zur Redebereitschaft bei jedem Befragten geklärt werden. Dazu wurde erst nach der eigenen Meinung zum Thema gefragt und dann nach folgender Einschätzung: „Was glauben Sie, sind die meisten Leute (...) für oder gegen (...) [Thema X]?“ (Noelle-Neumann, 1991, S.40). Außerdem sei für die Redebereitschaft auch entscheidend, wie die Zukunftseinschätzungen empfunden werden, welche dann ebenfalls erfragt wurden.

Nötig ist auch die Aktualität des Themas, über welches diskutiert werden soll, um postulierte Gesetzmäßigkeiten überhaupt entdecken zu können. Dabei seien vor allem Themen geeignet, die für wichtig erachtet werden oder über die viel gesprochen werde (Schenk, 2002, S.497).

1977 überprüfte Noelle-Neumann ihre Theorie anhand der Meinungsbildung zur Atomenergie. Zehn Jahre erhob sie Daten und fand tatsächlich eine wachsende Äußerungsbereitschaft der Mehrheit. Dabei sei der persönlichen Einstellungsänderung eine Änderung der Meinungsklimaeinschätzung vorausgegangen, welche sich wiederum aus dem Wandel des Medientenors ergeben habe. Dieser Teil der kausalen Zusammenhänge wurde ihrer Meinung nach also bestätigt. Die Schweigetendenz konnte sie jedoch nicht nachweisen. Die Bevölkerungsgruppe, die sich in der Minderheit glaubte und trotzdem noch ihre Meinung kundtat, nannte sie „harten Kern“. Diese Menschen würden in jeder Situation ihre Überzeugungen vertreten (vgl. Gerhards, 1996, Abschnitt 3) (Schenk, 2002, S.500f.).

Der Eisenbahntest wurde von vielen Seiten kritisch betrachtet. So halten Fuchs et al. (1992) dieses Messinstrument für nicht sehr valide. Ihrer Meinung nach sei die „simulierte Öffentlichkeit (...) nicht nur untypisch klein, sondern auch sozial gesehen relativ harmlos.“ Harmlos in dem Sinne, dass jeder bei der nächsten Station einfach aussteigen könne, wenn die Isolationsangst zu groß würde. Problematisch sei auch das Hypothetische an der Situation, da dies die „soziale Unverbindlichkeit der Befragtenreaktion“ steigere.

Eine Meinung zum Thema könne man jedoch laut Noelle-Neumann auch indirekt äußern, z.B. indem man sich sichtbar irgendwo einen Aufkleber befestigt, sich an Versammlungen beteiligt oder Werbematerial austeilt (1991, S.56f).

Nachfolgende Studien benutzten verschiedene Arten, um Redebereitschaft zu erheben. So sei die Eisenbahnsituation für die Befragungen in vielen anderen Ländern als in Deutschland nicht sinnvoll, z.B. in den USA, da es dort kein verbreitetes Schienennetz gibt und die Frage somit komplett hypothetisch wäre (Schenk, 2002).

Donsbach und Stevenson entwarfen für ihre Befragten eine Situation, in der es um die Bereitschaft ging, einem TV-Reporter die eigene Meinung darzulegen. Hier werde eindeutig genug Öffentlichkeit simuliert (Schenk, 2002, S.526).

Nicht gut seien jedoch solche Situationen, in denen nur Familie, Freunde oder Bekannte befragt würden. Diese stellen keine Öffentlichkeit dar.

Letztendlich gibt es noch keinen Nachweis, welches die wirksamste Erhebungsmethode ist. In einer Metaanalyse von Glynn et al. (1997) wurden nur solche Studien berücksichtigt, die eine Person mit einer hypothetischen Situation konfrontierten und dann nach deren Meinung fragten. Begründet wurde dieses Vorgehen jedoch nur mit „leichter vergleichbar“, denn Glynn et al. gaben durchaus zu, dabei wichtige Arbeiten zu vernachlässigen (z.B. solche, die Redebereitschaft mit der Bereitschaft gleichsetzten, für eine Sache Geld zu spenden).

Glynn et al. weisen auch auf die Notwendigkeit hin, in zukünftigen Studien die Redebereitschaft direkt zu beobachten und nicht einfach danach zu fragen.

Ein letzter Kritikpunkt betrifft die Befragungssituation selbst, unabhängig vom gewählten Erhebungsinstrument. Befragte sollen in diesen Situationen einem „objektiven“ Interviewer Rede und Antwort stehen. Dabei können jedoch Erwartungseffekte auftreten und so die Ergebnisse verfälschen. Dies gilt vor allem für die Probanden, welche sich eigentlich in der Minderheitsmeinung glauben, dies vor dem Interviewer aber nicht zugeben wollen (Moreno-Riaño, 2002). An dieser Stelle ist es auch wieder wichtig auf die Notwendigkeit zur direkten Beobachtung der Redebereitschaft hinzuweisen.

3. Bedingungen für Redebereitschaft und Schweigetendenz

Nach Noelle-Neumann könne man ihre postulierten Kausalzusammenhänge nur unter bestimmten Konstellationen finden. So folgen Reden und Schweigen zwar als Verhalten auf die Isolationsangst, welche eine grundlegende menschliche Eigenschaft sei, aber dies geschehe nur bei wertgeladenen Themen, die sich zusätzlich noch im Wandel befinden. Die Wertgeladenheit sei wichtig für die Bildung einer Diskussion: Wenn man rational genau entscheiden kann, was richtig und falsch ist, brauche man darüber nicht mehr zu streiten. Geht es jedoch um „Gut“ und „Böse“, könne dies zum Thema einer Debatte werden. Im Wandel müsse ein Thema deswegen sein, da Meinungen noch nicht fest etabliert sein dürften. In dem Falle gebe es keine Faktoren, die einen Spiralprozess unterstützen könnten.

Die Isolationsangst gilt somit als Prämisse für den Spiralprozess. Fuchs et al. (1992) nennen sie „das Verbindungsstück“ zwischen öffentlicher Kommunikationsbereitschaft und perzipierter Mehrheitsmeinung. Deswegen sind auch die Wertgeladenheit und die Veränderung zwei zentrale Bedingungen. Zusätzlich muss über diese Themen auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden, d.h. die Massenmedien müssen ihren Fokus darauf lenken und eine konkrete Position (pro oder kontra) beziehen.

Diese Vorannahmen wurden von Noelle-Neumann von Anfang an postuliert und sind Teil der Theorie. Es gibt jedoch weitere Bedingungen, bzw. Variablen (z.B. Persönlichkeits-eigenschaften), die den Prozess der Meinungsbildung beeinflussen und erst später untersucht wurden.

So ist doch die Annahme, dass sich jeder in der Mehrheit befindende Mensch an einem Gespräch in der Eisenbahn beteiligen würde, eher kontraintuitiv. Noelle-Neumann konzipierte ihre Fragestellung zwar auch für schüchterne Menschen (s. Abschnitt 2), überprüfte jedoch nicht, wie viele ihrer Befragten tatsächlich schüchtern waren. In späteren Untersuchungen wurde deshalb auch nach der allgemeinen Bereitschaft, sich überhaupt an irgendeinem Gespräch beteiligen zu wollen, gefragt.

Noelle-Neumann befragte immerhin verschiedene Bevölkerungsgruppen, ob sie über ein kontroverses Thema diskutieren würden oder nicht. Dabei stellte sich heraus, dass vor allem Männer, Jüngere und Besserverdienende eher dazu bereit seien. Frauen, Ältere und Ärmere täten dies nicht so gern (Noelle-Neumann, 1991, S.45f).

Neben diesen soziodemographischen Merkmalen gibt es noch weitere Faktoren, wie z.B. den Grad an Intelligenz, die die Kommunikationsbereitschaft mitbestimmten. So könnte auch die Ausprägung auf den Dimensionen Extra- bzw. Intraversion ausschlaggebend sein. Personen mit größerer Persönlichkeitsstärke, und – falls es sich um ein politisches Thema handelt – mit großem politischem Interesse seien auch eher redebereit. Salmon und Neuwirth (1990) seien in ihrer Studie zu folgenden Ergebnissen gekommen: Die persönliche Betroffenheit vom bzw. das Interesse am Thema und das themenbezogene Wissen seien direkte Einflussvariablen für die Redebereitschaft. Dabei seien Geschlecht und Bildung indirekt involviert, da sie mit eben diesem Interesse und dem Wissen konfundieren (Schenk, 2002, S.520f).

Nach Lasorsa (1991) seien vor allem soziodemographische Merkmale, politisches Interesse, Selbstvertrauen und die Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Meinung entscheidend. „Unabhängig vom Meinungsklima tendieren jedoch diejenigen dazu, über ein Thema zu sprechen, die an Politik interessiert sind, entsprechende Informationen aus den Medien aufgenommen haben und Selbstvertrauen besitzen. Selbst im Falle eines ungünstigen Meinungsklimas sind diejenigen redebereit, die von der Richtigkeit ihrer Meinung überzeugt sind.“ (Schenk, 2002, S.522). Auch Krassa betone die Bedeutung der Intensität der eigenen Meinung. So äußere man sich auch, wenn man sich in der Minderheit fühle, so lange man von seiner Meinung stark überzeugt sei (Schenk, 2002).

Gerhards (1996) untersuchte ebenfalls die generelle Redebereitschaft und kam zum Ergebnis, dass es nur 3,5% Anpasser gebe, welche sich vom Meinungsklima leiten ließen. Hingegen würden 39% immer ihre Meinung äußern und 31% immer schweigen (Bonfadelli, 2001, S.370). Die Schweigespiraltheorie könnte demnach nur auf 3,5% der Bevölkerung angewendet werden.

Glynn und McLeod (1985) sprechen sogar von Minderheiten, die eine besonders hohe Redebereitschaft haben (Schenk, 2002, S.503). Dass also die Isolationsangst zur Schweige-tendenz bzw. Redebereitschaft führt, ist ganz und gar nicht bewiesen. Nach Moscovici könnten sogar „Minderheiten Mehrheitsmeinungen beeinflussen“ (Schenk, 2002, S.504), wenn sie Unsicherheit und sich widersprechende Informationen präsentieren. Es komme demnach nicht immer auf den normativen Druck in einer Gruppe an, sondern auch auf den Informationsdruck.

Außerdem unberücksichtigt bleibt in Noelle-Neumanns Theorie das Bestehen von Bezugsgruppen. Nach Krassa komme es aber eben gerade auch auf die Zugehörigkeit zu oder enge Verbundenheit mit einer Gruppe an, ob die Redebereitschaft durch die subjektive Mehrheitsmeinung verstärkt oder verringert wird. So sei die „wahrgenommene Dominanz einer Meinung in bestimmten Teilen der Bevölkerung oder Gruppen“ ausschlaggebender als die reine Diskrepanzwahrnehmung von Minderheit und Mehrheit. Man gewichte die verschiedenen Meinungen in Abhängigkeit der Bedeutung, die eine Gruppe für einen hat. Dabei gehe es nicht um die reine Anzahl der Gruppenmitglieder, sondern ob man zu ihnen gehöre und sie für relevant erachte (Schenk, 2002, S.516). Auch Oshagan habe 1996 zeigen können, dass Referenzgruppeneinflüsse deutlich wichtiger waren als gesellschaftliche Mehrheitseinflüsse (Schenk, 2002, S.517). Fuchs et al. (1992) untersuchten die Redebereitschaft ebenfalls in Abhängigkeit von Referenzgruppen. Nachdem sie den Spiraleffekt nach Noelle-Neumann nicht finden konnten, verglichen sie konsonante mit dissonanten Meinungen innerhalb einer Bezugsgruppe. Dabei kamen sie zum Ergebnis, dass die Redebereitschaft bei subjektiver Konsonanz mit der Gruppe steigt und bei Dissonanz fällt. In diesem Fall ging es also auch um eine Mehrheits- bzw. Minderheitseinschätzung, die sich jedoch nur auf einen Teil der Bevölkerung bezog.

4. Empirische Befunde

Man könnte sich nun fragen, ob die weitere Untersuchung der Theorie der Redebereitschaft überhaupt sinnvoll ist, da der Geltungsbereich stark eingeschränkt zu sein scheint und viele Zusatzbedingungen mit dem Prozess der Meinungsbildung und Kommunikationsbereitschaft konfundieren. Noelle-Neumann jedoch fand in ihren ersten Untersuchungen Bestätigung für ihre Annahmen (s. Abschnitt 2) und auch darauf folgende Forschung konnte ihre Ergebnisse teilweise replizieren. Dennoch sollte man bei der Diskussion um die Gültigkeit der Theorie die oben aufgeführten Befunde nicht außer Acht lassen und alle Studien und deren Ergebnisse kritisch betrachten.

Wie schon in Abschnitt 1 erwähnt, wurde die Theorie in ihrem ganzen Komplex bisher noch nicht überprüft, sondern nur einzelne Variablenzusammenhänge untersucht. Schenk kritisiert bei vorhandenen Ansätzen zum Beispiel die mangelnde Erfassung des Medientenors, den fehlenden Einbezug von Referenzgruppen und die stark vereinfachte Messung der Mediennutzung (Schenk, 2002, S.525).

Er berichtet außerdem von den Ergebnissen verschiedener Studien. So habe Taylor (1982) theoriestützende Befunde erhalten, welche in einer Studie von Donsbach und Stevenson (1986) noch weiter differenziert wurden. Sie haben die Theorie nur teilweise bestätigen können. Die generelle Tendenz zur erhöhten Redebereitschaft bei subjektiver Mehrheitszugehörigkeit sei zwar vorhanden gewesen, die Schweigetendenz bei den Leuten, die in der Minderheit waren und sich auch in einer solchen glaubten, hätten sie jedoch falsifizieren müssen. Denn diese objektiv tatsächliche Minderheit sei sogar noch redebereiter gewesen als die sich fälschlicherweise in der Mehrheit glaubende Minderheit. Die zweite Annahme der Theorie zur Einschätzung des zukünftigen Meinungsklimas haben sie wiederum bestätigen können. Denn wer glaubte, dass die eigene Meinung an Boden gewinnen werde, sei im Schnitt redebereiter gewesen (Schenk, 2002, 528ff.). In Japan habe Tokinoya (1996) die Schweigespirale untersucht und sei zu theoriekonformen Ergebnissen gekommen.

Interessanterweise kann man kulturelle Unterschiede hinsichtlich der generellen Redebereitschaft feststellen. So seien die Deutschen am wenigsten redebereit, gefolgt von den Japanern. Die Amerikaner hingegen gäben am häufigsten eine hohe Redebereitschaft an (Schenk, 2002, 530ff.). Die nationale Zugehörigkeit ist somit eine weitere Bedingung, die unter Abschnitt 3 festgehalten werden könnte.

Auch Moreno-Riaño (2002) berichtet von unterschiedlichen Befunden zum Thema Redebereitschaft. So habe Shamir (1995) einen inkonsistenten Effekt der Meinungstrend­wahr­nehmung auf die eigene Redebereitschaft gefunden. Auch Rimmer und Howard (1990) hätten die Schweigespiraltheorie nicht bestätigen können. Der angenommene mediale Einfluss werde ebenfalls von verschiedenen Forschern kritisiert (z.B. Gonzenbach und Stevenson, 1994).

Auf der anderen Seite hätten Katz und Baldassare (1994) die Prozesse der Redebereitschaft und der Schweigetendenz im Zusammenhang mit Bush-Anhängern belegen können. Auch Eveland et al. (1995) bestätigten in einer Studie zum Golfkrieg die Schweigespirale.

Nennenswerte Kritik an diesen Befunden sei nach Moreno-Riaño vor allem die fehlende Einbeziehung von Kommunikation in Kleingruppen und die Notwendigkeit einer experimentellen Überprüfung der Theorie.

In Anlehnung an ebendiese Kritik entwarf er ein eigenes Studiendesign, in dem er hypothetische Kleingruppen-Situationen mit einbezog und das Meinungsklima experimentell variierte. Auf Grund der Aktualität der Studie werden Durchführung und Ergebnisse im Folgenden dargestellt.

4.1 Studie von Moreno-Riaño

1995 gab es in den USA viele Diskussionen um das Thema „Affirmative Action“ (positive Diskriminierung), welche gerade an Universitäten heiß debattiert wurden. Die Zeitungen nahmen unterschiedliche Positionen dazu ein und hielten sowohl Pro- als auch Kontraargumente bereit. Moreno-Riaño untersuchte Studenten hinsichtlich dreier Hypothesen:

1. Wenn einem Versuchsteilnehmer eine Meinung als die Mehrheitsmeinung dargestellt wird, wird dieser Teilnehmer seine Meinung in dieselbe Richtung verändern und auch die allgemeine Mehrheitsmeinung bzw. die Meinung seiner Referenzgruppe in derselben Richtung wahrnehmen. Bei Teilnehmern ohne Mehrheitsinduzierung wird dies nicht passieren.

2. Solche Teilnehmer werden auch eher glauben, dass diese Meinung in Zukunft an Stärke gewinnen wird.

3. Leute, denen eine Mehrheitsmeinung gezeigt wird (und die sich auf Grund der 1. Hypothese an diese Meinung anschließen), sind redebereiter und fühlen sich freier, ihre Meinung öffentlich zu äußern.

Dazu wurde den Teilnehmern ein Fragebogen vorgelegt, der folgende übergreifende Bereiche abfragte: die eigene Meinung zum Thema Minderheiten, das wahrgenommene Meinungsklima der Bevölkerung/von Freunden, ob die eigene Meinung jetzt bzw. später mit der Mehrheitsmeinung übereinstimmt, wie frei sie sich fühlen in verschiedenen Situationen (z.B. in der Familie oder vor Studenten in einer Seminardiskussion) ihre Meinung zu vertreten und wie wahrscheinlich sie in verschiedenen Situationen ihre Meinung nicht äußern würden. Außerdem wurden noch einige demographische Daten erfasst.

Die Hälfte der Probanden bekam vorher jedoch noch ein Informationsblatt (das experimentelle Treatment), welches ihnen das falsche Meinungsklima vorspiegelte (die Mehrheit sei für Affirmative Action): „As you know, our society values equal rights and opportunities for all. (...) During Winter Quarter, a survey of public opinion was conducted (...). Over 70% of students (…) were in favour of some type of Affirmative Action (…).” (Moreno-Riaño, 2002, S.71).

In einem t-Test für unabhängige Stichproben wurden dann die Antworten der Kontrollgruppe mit denen der Experimentalgruppe verglichen. Tatsächlich gab die Experimentalgruppe signifikant häufiger an, dass sie selbst, Freunde und die Bevölkerung Affirmative Action befürworteten. Dies war jedoch unabhängig davon, ob die Probanden ihre Meinung für die Mehrheitsmeinung der Gegenwart bzw. der Zukunft hielten, denn hierin unterschieden sie sich nicht signifikant von der Kontrollgruppe. Die Fragen, welche sich mit der Redebereitschaft und Schweigetendenz befassten, wurden von beiden Gruppen zum größten Teil auch nicht signifikant unterschiedlich beantwortet. So fühlen sie sich gleich frei, in der Familie, mit Freunden, mit Vertretern einer anderen Rasse oder Geschlecht oder mit einem Professor aus einer Minderheitengruppe über ihre Meinung zu diskutieren. Nur vor anderen Studenten in einem Seminar gab die Experimentalgruppe eine größere Redebereitschaft an (p=.06).

Auch die Antworten zur Schweigetendenz unterschieden sich nicht alle voneinander. So wollen die Befragten in beiden Gruppen gleich häufig in Situationen schweigen, in denen sie als Rassist angesehen werden könnten oder mit schwulen, schwarzen oder sonstigen Studenten aus Minoritäten konfrontiert wären. Allerdings schweige die Kontrollgruppe signifikant häufiger in Situationen, in denen sie andere verletzen bzw. beleidigen oder von Minderheiten missverstanden werden könnten (p<.05 in beiden Fällen).

Es konnte somit nur die erste Hypothese bestätigt werden, in der angenommen wurde, dass Individuen in der Experimentalgruppe ihre eigene Meinung der Mehrheit anpassen. Die letzte, sich mit der Redebereitschaft und Schweigetendenz befassende Annahme jedoch wurde nicht bestätigt. Sie galt nur in einigen wenigen Situationen.

Moreno-Riaño liefert dazu einige mögliche Gründe. So teile er die Vermutung von Shamir (1995) und Gonzenbach und Stevenson (1994), dass sich Individuen, die nicht der offensichtlichen Mehrheit angehören, Unterstützung für ihre Meinung aus anderen Quellen holen und zwar „besides the media or the climate of opinion“ (S.75). Im letzten Abschnitt führt er jedoch an, dass die Berichterstattung zum Zeitpunkt der Erhebung alles andere als einseitig gewesen sei. So seien den Studenten verschiedene Standpunkte bezüglich der Affirmative Action dargelegt worden, woraus sie sich die Informationen hätten suchen können, welche ihre Meinung eben unterstützen.

Genau diese Idee untersuchte Jochen Peter (2003) in einer Studie, in der er die Selektion von Informationen in unterschiedlichen Berichterstattungen (konsonant oder dissonant) untersuchte. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich die Meinungen nur bei konsonanter Berichterstattung anpassen, nicht aber bei dissonanter. Dies erklärt Peter mit der Möglichkeit, aus dissonanten Beiträgen die Informationen zu wählen, welche mit der eigenen Meinung übereinstimmen.

Da die Berichterstattung in der Studie von Moreno-Riaño als dissonant beschrieben wird und auch das Treatment selbst (das Informationsblatt) Argumente unterschiedlicher Standpunkte beinhaltet, könnte man als Ursache für die fehlenden Signifikanzen auch auf einfache Selektionsprozesse schließen. Es könnte demnach sein, dass sich die in der Minderheit glaubenden Kontrollgruppenteilnehmer trotzdem sicher genug fühlten, frei ihre Meinung zu vertreten, da sie sich entweder aus anderen Quellen als der angegebenen Meinungsverteilung im Informationsblatt (70:30) unterstützt fühlten oder durch die Argumente im Informationsblatt, welche ihre Meinung wieder spiegelte.

Damit entbehrt die Studie von Moreno-Riaño schon eine Grundannahme der Theorie zur Schweigespirale, nämlich dass nur konsonante Berichterstattung zum Prozess der Redebereitschaft bzw. Schweigetendenz führt.

Fuchs et al. (1992) untersuchten die Bereitschaft zur öffentlichen Kommunikation ebenfalls und mussten die Annahme von Noelle-Neumann falsifizieren. Doch auch sie achteten nicht explizit auf eine konsonante Berichterstattung für ihre Probanden. Sie befragten zwar ihre Teilnehmer, wie sie die mediale Berichterstattung einschätzen würden, untersuchten diese jedoch nicht objektiv.

Es zeichnet sich also ab, wie wichtig einzelne Bedingungen für die Funktion des ganzen Komplexes sein können. Ob die widerlegenden Ergebnisse tatsächlich mit der fehlenden Konsonanz zusammenhängen, ließe sich allerdings nur mit Hilfe einer neuen, experimentellen Studie bestätigen.

Die Frage bleibt, ob Redebereitschaft und Schweigetendenz tatsächlich von der subjektiven Mehrheitsmeinung abhängen. Die oben zitierten Studien konnten diese Annahme nicht unterstützen, weisen jedoch auch Grenzen in ihrer Vorgehensweise auf. Deshalb wird im Folgenden noch eine Metaanalyse über verschiedene Studien präsentiert, welche die Fragestellung ebenfalls untersuchte und zu positiven, wenn auch geringen Effekten kam.

4.2 Metaanalyse

In einer Metaanalyse von Carroll J. Glynn, Andrew F. Hayes und James Shanahan (1997) wurden 17 verschiedene Studien aus sechs Ländern mit über 9500 Teilnehmern miteinander verglichen, welche den Zusammenhang zwischen wahrgenommener Unterstützung der eigenen Meinung und der eigenen Redebereitschaft untersucht hatten. Sie bezogen auch etliche Moderatorvariablen mit ein und kamen auf 25 unabhängige Ergebnisse.

Die Auswahlkriterien bezogen sich auf die Art der Erfassung von Redebereitschaft. So wurden nur solche Studien mit einbezogen, in denen das Individuum einer hypothetischen Situation ausgesetzt war und direkt nach der Bereitschaft zur Meinungsäußerung gefragt wurde (s. Abschnitt 2). Außerdem musste die subjektive Meinungsverteilung der gegenwärtigen und/oder zukünftigen Meinungsverteilung oder des gegenwärtigen/ zukünftigen Klimas explizit operationalisiert worden sein.

Somit wurden viele Untersuchungen von Glynn et al. nicht berücksichtigt, darunter auch solche, von deren Existenz (z.B. auf Grund von geringer statistischer Signifikanz) nicht bekannt war.

Aus den zahlreichen Studien gingen mögliche Moderatorvariablen hervor, die mit der wahrgenommenen Unterstützung und der Redebereitschaft korreliert wurden:

Es wurde mit berücksichtigt, ob die Zielperson, mit der sich unterhalten werden sollte, ein Mitglied der Medien (z.B. ein Interviewer, Radiomoderator etc.) war oder mit diesen nichts zu tun hatte (z.B. ein normaler Fremder im Bus). Zusätzlich wurde unterschieden zwischen „Fremder“ (z.B. Mitglied der Medien) und „Bekannter“ (z.B. Nachbarn, Freunde oder Familienmitglieder). Außerdem war manchmal schon von vornherein klar, dass diese Person die gegenteilige Meinung als der Versuchsteilnehmer vertreten würde. In anderen Fällen war bekannt, dass er die Meinung teile. Im Rest der Fälle war die Meinungshaltung unklar.

Dann wurden unterschiedliche Formulierungen der Frage mit berücksichtigt: wolle der Proband über seine „bestimmte Meinung sprechen“ oder sich einfach nur „am Gespräch beteiligen“.

Letztendlich gab es noch zwei methodische Moderatorvariablen. So konnten die Antwortvariablen dichotom kodiert sein (wenn unabhängige und/oder abhängige Variablen dichotom kodiert) oder nichtdichotom (wenn UV und AV beide nicht dichotom kodiert).

Und es wurde mit berücksichtigt, ob die Studie jemals veröffentlicht wurde (in Journals oder Büchern).

Von den 25 Korrelationen waren 19 positiv, drei negativ und drei Null. „Although the average correlation was very small (...), the combined probability of these results is statistically significant, (…) p<.0001 (…).“ Das deutet insgesamt auf einen zwar geringen, aber positiven und signifikanten Zusammenhang zwischen wahrgenommener Unterstützung und Redebereitschaft hin.

Die Korrelationen zwischen gegenwärtiger wahrgenommener Unterstützung und Redebereitschaft und zukünftiger wahrgenommener Unterstützung und Redebereitschaft unterschieden sich jedoch kaum. Somit kommt es nicht auf den zeitlichen Aspekt des wahrgenommenen Meinungsklimas an.

Mit Hilfe von gewichteten t-Tests konnte gezeigt werden, dass keine der oben beschriebenen Moderatorvariablen Varianz in den Korrelationen aufklären konnte. Da diese Korrelationen aber statistisch heterogen waren, ist von einer moderierenden, jedoch nicht mit berücksichtigen Variablen auszugehen.

Glynn et al. konnten also einen – wenn auch nur schwachen – Zusammenhang zwischen wahrgenommener Unterstützung der eigenen Meinung und der Bereitschaft die eigene Meinung zu äußern zeigen. Dabei blieben alle erhobenen Moderatorvariablen unter der Signifikanzgrenze, doch es wird von einer Variablen ausgegangen, die deutlichen Einfluss auf den Zusammenhang hat, jedoch noch unbekannt ist. Schweigeeffekte wurden nicht untersucht und stellen somit eine Limitation dieser Metaanalyse dar. Außerdem weisen Glynn et al. auf die Notwendigkeit hin, die Redebereitschaft direkt zu beobachten und nicht hypothetisch zu erfragen (s. Abschnitt 2).

4.3 Isolationsangst und Redebereitschaft

In den oben genannten Studien wurden nur jeweils die perzipierte Mehrheitsmeinung und die Kommunikationsbereitschaft in Bezug zueinander gesetzt. Die Prämisse für die Redebereitschaft – wie in Abschnitt 2 schon beschrieben – ist die Isolationsangst und sollte als gegeben angenommen werden. Sie wurde von Noelle-Neumann auch mit unterschiedlichen Tests erhoben und als tatsächlich vorhanden erklärt (Noelle-Neumann, 1991). Doch in einer Studie von 1977 versuchte sie, diese Isolationsangst noch als zusätzliche Kontrollvariable in die Untersuchung mit einfließen zu lassen. Sie prüfte, ob sich die Schweigetendenz verstärkt, wenn bei einer Meinungsgruppe Isolationsangst induziert wird.

Da es um das Thema „Rauchen in der Gesellschaft von Nichtrauchern“ ging, teilte sie die Teilnehmer zunächst in Raucher und Nichtraucher ein und fragte dann, welche der beiden folgenden Einstellungen jeder vertrete: Man solle nicht in der Anwesenheit von Nichtrauchern rauchen oder man solle nicht auf das Rauchen verzichten müssen. Die Redebereitschaft wurde per Eisenbahntest ermittelt und es wurde auch nach der subjektiven Mehrheitseinstellung gefragt. Die Hälfte der Befragten wurde einem experimentellen Stimulus ausgesetzt. Dabei sahen sie eine Zeichnung, auf der eine Person sagte: „I feel that smokers are inconsiderate. They force other people to breathe noxious smoke.“ Zu ergänzen war dann folgender Satz: „Well, I feel...“. Dabei ging es nicht um den Inhalt der Antwort, sondern vielmehr um den Druck, überhaupt eine Antwort geben zu müssen. Noelle-Neumann nannte dies einen „Aggressions-Stimulus“.

Sie verglich dann die Redebereitschaft von Rauchern, welche ihr Rauchen in Anwesenheit von Nichtrauchern nicht einstellen wollten und vorher dem aggressiven Satz ausgesetzt waren mit solchen Rauchern, die zwar die gleiche Einstellung hatten, aber in der Kontrollgruppe waren und deren Fokus vorher nicht auf die Isolationsmöglichkeit (durch den Sprecher des aggressiven Satzes) aufmerksam gemacht wurden. Tatsächlich sank die Redebereitschaft der Raucher, wenn sie in der Experimentalgruppe waren. Der Fokus auf die Isolationsangst hatte also Einfluss auf die Meinungsäußerung. Ähnlich verhielt es sich mit den Nichtrauchern, die angegeben hatten, das Rauchen für sehr störend zu halten. Sie waren erst nach dem Stimulus redebereiter, weil sie sich durch den aggressiven Gegner unterstützt fühlten. Sie hatten demnach in der Experimentalgruppe weniger Isolationsangst.

Noelle-Neumann kam so zu dem Ergebnis, dass es wirklich die Isolationsangst sei, die die Redebereitschaft mindere, und dass gleichzeitig die gefühlte Unterstützung die Redebereitschaft steigere (Noelle-Neumann, 1977).

Es wird deutlich, dass der Fokus tatsächlich erst auf die Isolationsangst gelenkt werden musste, da sich auch ohne aggressiven Satz etliche Raucher in der Minderheit gefühlt hatten und trotzdem noch redebereit waren. Zwar hat Noelle-Neumann damit gezeigt, dass ihre Annahme, aus Isolationsangst folge Schweigen, stimmt, jedoch funktionierte dies nur bei expliziter Einführung dieser Variablen. Vielleicht hätte in der Untersuchung von Moreno-Riaño oder in den verschiedenen Studien aus der Metaanalyse die Isolationsangst auch immer mit induziert werden sollen, um zu einem tatsächlich signifikanten Ergebnis zu kommen.

5. Fazit

Die Frage, ob die subjektive Zugehörigkeit zur Mehrheitsmeinung zu stärkerer Redebereitschaft führt und die subjektive Zugehörigkeit zur Minderheitsmeinung zu erhöhtem Schweigen, bleibt nach den bisherigen Ausführungen immer noch uneindeutig beantwortet. Es gibt sowohl Theorie stützende, als auch falsifizierende Befunde. Dabei kann man allen Studien eine gewisse „Fahrlässigkeit“ in Bezug auf die Erfüllung der in Abschnitt 3 beschriebenen Bedingungen vorwerfen. Diese werden nur zum Teil in die Untersuchungsdesigns mit aufgenommen. Natürlich muss dabei die Unmöglichkeit des Unterfangens, alle Grundannahmen und Zusatzbedingungen auf einmal in einer Studie zu realisieren, berücksichtigt werden. Dazu sind die theoretischen Annahmen von Noelle-Neumann zu komplex und die darauf folgenden Replikationen und Erweiterungen zu vielfältig. Dass es so viele unterschiedliche Antworten auf die Eingangsfrage gibt, könnte somit auf die fehlenden Voraussetzungen innerhalb der Untersuchungen zurückgeführt werden. Die Theorie an sich lässt sich allein durch etliche gegenteilige Befunde noch nicht endgültig falsifizieren. Und auch in der Metaanalyse von Glynn et al. (1997) mit immerhin 17 einbezogenen Studien ließ sich ja eine Tendenz zur erhöhten Redebereitschaft erkennen.

Natürlich könnte man, wie dies sicher auch eine Reihe von Kritikern tun, Noelle-Neumanns Theorie einfach verwerfen. Ich denke aber, dass ihre Ansätze durchaus begründbar sind und sich ihre Ideen zur Spiraltheorie in gewissen Konstellationen auch tatsächlich wieder finden lassen.

Es stellt sich auch die Frage, ob nicht schon durch den gesellschaftlichen Wandel allein ständig neue Bedingungen zur eigentlichen Annahme hinzukommen, mal ganz abgesehen von den Bedingungen, die bisher einfach noch nicht bekannt sind. Dies sind allerdings weiterführende Überlegungen, die die Beantwortung der Eingangsfrage nur noch weiter komplizieren.

Fest steht jedoch, dass sich die Kommunikationsbereitschaft erhöhen kann, wenn Leute sich subjektiv in der Mehrheit glauben. Die Theorie der steigenden Schweigetendenz bleibt da eher noch im Schatten. Vielleicht werden zukünftige Forschungsarbeiten die Fragen ja noch klären können. Man darf gespannt sein.

Literaturverzeichnis

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Schenk, M. (2002). Die Theorie der Schweigespirale. In: Medienwirkungsforschung, 2. Aufl. Tübingen: Mohr.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Schweigespiraltheorie. Führt subjektive Zugehörigkeit zur Mehrheitsmeinung zu stärkerer Redebereitschaft und Minderheitsmeinung zu erhöhtem Schweigen?
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Seminar Medienwirkung und Mediennutzung
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V111204
ISBN (eBook)
9783640092918
ISBN (Buch)
9783656827993
Dateigröße
403 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Führt, Zugehörigkeit, Mehrheitsmeinung, Redebereitschaft, Zugehörigkeit, Minderheitsmeinung, Schweigen, Befunde, Bedingungen, Kernannahme, Schweigespiraltheorie, Seminar, Medienwirkung, Mediennutzung
Arbeit zitieren
Franziska Heise (Autor:in), 2007, Die Schweigespiraltheorie. Führt subjektive Zugehörigkeit zur Mehrheitsmeinung zu stärkerer Redebereitschaft und Minderheitsmeinung zu erhöhtem Schweigen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111204

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