Werkzeug für den Krieg - Der subjektlose Mensch bei Carl von Clausewitz


Hausarbeit, 2006

19 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Der Sinn des Krieges

3. Der Mensch im Krieg
3.1. Der Feldherr
3.2. Die Soldaten
3.3. Die Bevölkerung

4. Kriegsideologie
4.1. Eigendynamik
4.2. Nationale Ideologie
4.3. Militärideologie

5. Schluss

Literatur

1. Einleitung

„Die etablierte Militärgeschichte weiß nichts vom ‚kleinen Mann’. Sie hat sich für ‚die da unten’ eigentlich nie interessiert. Aus der Sicht ‚von oben’ waren und sind sie immer nur Objekte, willenlose ‚Befehlsempfänger’, anonyme Teile einer grauen ‚Verschiebemasse’ und letztlich – ‚Kanonenfutter’.“1

Mit seinem 1834 erstmalig erschienenen achtbändigen Werk „Vom Kriege“2 legt Carl von Clausewitz eine umfassende Untersuchung zu Sinn, Theorie und Methode des Krieges vor.3 Die Rezeptionen seiner Texte reichen von philosophiegeschichtlichen Untersuchungen über anwendungsbezogene militärtheoreti­sche Aufsätze der Bundeswehr bis hin zu NS-Literatur. Von Bedeutung ist Clausewitz’ Entdeckung von der Betriebswirtschaft, die seine militäri­schen Konzepte auf die Ökonomie überträgt („Werbefeldzüge“, etc.). – Clausewitz hat mit seinen nüchternen Analysen, in denen er sich pragmatisch der „wissen­schaftlichen Form“4 widmet, sowie der präzisen Begriffsdefinition, wie etwa von Strategie und Taktik, Geschichte geschrieben. Nach Emilio Willems verlieh er „dem Wehrgeist seiner Gesellschaft einen gänzlich neuen literarischen Ausdruck“.5

Aus der Perspektive des aufgeklärten Absolutismus der Restaurations­zeit blickt er zurück auf seine Hauptbezugspunkte, den Siebenjährigen Krieg und die von ihm erlebten Napoleoni­schen Kriege, leitet Lehren aus verschiedensten Schlachten und strategischen Gegebenheiten ab („Historische Beispiele machen alles klar und haben die beste Beweiskraft.“6 ) und kommt nach umfassenden Untersuchungen zu Natur, Theorie und Strategie des Krieges zu der Überzeugung, dass eine Theorie der Kriegführung für die Praxis zwar Anhaltspunkte, nie aber komplette Handlungsanweisungen liefern kann.

Die pragmatische Rationalität des preußischen Militärstrategen Clausewitz benötigt für ihren Wahrheits­anspruch allerdings ein eindeutiges Welt- und Menschenbild: Dem handelnden Akteur, dem Feldherrn als Repräsentant des staatlichen Gewaltmonopols, steht die große Masse der befehlsempfangenden Soldaten gegenüber, deren Leben und Sterben in der militärischen Logik ausschließlich ein Mittel zum Sieg über den Feind darstellt. Während­des­sen spielt die Zivilbevölkerung in der militärischen Planung die Rolle des bloßen Rohstoffs.

Dieses, einem humanistischen Weltbild im Kern widersprechende Denken wird beim Berufs­soldaten Clausewitz vorausgesetzt, des öfteren thematisch gestreift, aber praktisch nicht problematisiert.

In der vorliegenden Hausarbeit werde ich zunächst versuchen, die theoretisch-philosophische Legitimation des Kriegführens überhaupt zu beleuchten, einer Frage, der Clausewitz nur am Rande Beachtung schenkt. Hieraus ergibt sich die Betrachtung des der Kriegstheorie zugrunde liegenden Menschenbildes, des Wechselspiels zwischen Subjekt- und Objekt­haftigkeit des Feldherrn, der Soldaten und der „Zivilisten“, also der Funktion des Menschen im Krieg. Dazu ist es notwendig, die Rolle der kriegsfördernden Ideologien zu untersuchen, ihre Auswir­kungen auf die menschliche Psyche und ihre Verwendung bei Clausewitz.

Schließlich werde ich mit Hilfe der von Michel Foucault eingeführten Genealogie der Macht7 die Rolle der preußisch-clausewitz’schen Kriegs­theorie ideologiegeschichtlich beleuchten. Thema wäre hier, wie sich die Durchsetzung des bei Clausewitz angelegten, entsub­jekti­vierenden Menschenbildes gesellschaftshistorisch insbesondere im preußisch-deutschen Mili­ta­rismus und später im Nationalsozialismus äußert.

2. Der Sinn des Krieges

Die Herangehensweise des kriegserfahrenen Generals Clausewitz ans Thema „Krieg“ ist in erster Linie praktischer Natur. Es gehe um die Durchsetzung der eigenen Interessen mittels Gewalt, „um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“8 Der Krieg, als „bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“9 diene entweder dem „Niederwerfen des Gegners“, um ihn „zu jedem beliebigen Frieden zwingen“ zu können, oder dazu, „an den Grenzen seines Reiches einige Eroberungen“ zu machen.10 Das machtpolitische Kalkül der Militärstrategen solle immer in der Lage sein, den Krieg zu kontrollieren und im entsprechenden Moment auch zu beenden, da der „Zweck“ des Krieges „ein vorteilhafter Frieden“ und keinesfalls Selbstzweck, also ein eigenes Ideal darstelle.

Zur Umsetzung des politischen Ziels solle allerdings „kein augenblickliches Opfer zu groß geachtet werden.“11 „Grundvorstellung“ im Krieg sei immer „die Niederwerfung des Geg­ners“,12 allerdings ohne das politische Konzept aus den Augen zu verlieren:

„Der Zwang, welchen wir unserem Gegner antun müssen, wird sich nach der Größe unserer und seiner politischen Forderungen richten.“13

Aus dieser Definition des Krieges als „politischer Akt“14 lässt sich zwar ein gewisser „Frieden“ als Normalzustand ableiten, in dem der nächste Krieg allerdings immer absehbar ist, und der deshalb einem Zustand dauernder Bedrohung und Aufrüstung gleichkommt.

Diese nüchternen Beschreibungen vorherrschender staatlicher Machtpolitik liefern allerdings noch keine philosophische Legitimation des Krieges an sich, außer, dass sie sich auf den nationalstaatlich-monarchischen Status quo des Westfälischen Friedens und Wiener Kongres­ses beziehen. So wird eine staatszentrierte Sicht auch im Vorwort der Herausgeberin15 der Textsammlung „Vom Kriege“ vertreten, die die Legitimation der „Kriegswissenschaften“ in ihrer „Wichtigkeit für das Wohl der Staaten“ sieht.

Für Clausewitz geht die Beantwortung der grundsätz­lichen Frage nach dem Zweck dieses Zustandes der massenhaften Tötung von Menschen, ohne die Konstruktion eines tieferen Sinns, letztlich kaum über die staatliche Legitimation hinaus. Zwar stellt für ihn eine Kom­po­nente der Kriegführung der „blinde Naturtrieb“, „der Hass und die Feindschaft“ dar16, er kon­sta­tiert den Menschen sogar ein „Bedürfnis des Kampfes“, das sie zum Krieg geführt habe17, doch als Auslöser von Kriegen sieht er, als Stratege, nicht dunkle Naturkräfte am Werk, sondern angewandte Machtpolitik. Die Politik sei „der Schoß, in welchem sich der Krieg entwickelt“.18 So sei etwa die Beendigung eines Krieges einfach, da die Menschen diesen von sich aus nicht weiterführen: „(...) in jedem Volk und unter allen Verhältnissen“ gebe es „immer eine große Anzahl“, „dem Frieden zugewandter Gemüter.“19

Clausewitz ist allerdings nicht in der Lage, den Widerspruch zwischen dem menschlichen Bedürfnis nach Frieden und der strategischen Kriegspolitik explizit zu machen. Er widmet sich dementsprechend in der Vorrede allegorisch dem Problem der „philosophischen Konsequenz“, die „nicht zu hoch getrieben werden“ dürfe, „sondern der Erfahrung (...) nahe gehalten werden“ müsse20. Einer Problematisierung des Gegenstands weicht er also aus.

Auf das Problem, warum sich Menschen den Krieg, dessen Leiden und Gefahren durchaus Erwähnung finden21, gegenseitig antun, wird lediglich noch einmal, bei der Be­handlung des „Volkskriegs“ eingegangen. Mit der modernen Kriegführung, deren totaler Charakter den der klassischen Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts an Bruta­li­­tät weit übertrifft, nähert sich der Krieg „seiner wahren Natur, seiner absoluten Vollkommenheit“ an22. Für den Autor gibt dies Anlass zur ironisch anmutenden Frage, ob der Krieg „der Mensch­heit überhaupt heilsam ist, oder nicht“23, einer über­ra­schen­den Wendung in einem Werk, dass sich überwiegend dem rücksichtslosen „Nieder­werfen des Gegners“ widmet. Er zieht es jedoch vor, der Frage nicht nachzugehen, sondern sie „den Philosophen“ zu überlassen.

Mit dieser Weigerung, die eigene gewohnte Praxis der Menschentötung im Dienst der Politik philosophisch zu reflektieren, offenbart Clausewitz sein Dilemma, den Status quo als Repräsentant desselben theoretisch zu fundieren, ohne ihn kritisch hinterfragen zu können. Dadurch ist er letzten Endes nicht in der Lage, den menschenverachtenden Zustand „Krieg“ zu legitimieren.

3. Der Mensch im Krieg

3.1. Der Feldherr

Im militärischen Sinne ist der Feldherr, als Repräsentant des nationalen Souveräns, einziges handelndes Subjekt im Krieg. Dementsprechend widmet sich Clausewitz über weite Passagen den erforderlichen moralischen, theoretischen und praktischen Kompetenzen des „kriegeri­schen Genius“24, dem letztendlich die Verantwortung für den Krieg als Mittel zum Sieg über den Gegner obliegt.

Eine Tätigkeit an derart exponierter „höchster Stelle“ macht für Clausewitz „ausgezeichnete Verstandestätigkeit“25, „wunderbaren Geistesblick“26, sowie „Entschlossen­heit“27 erforder­lich, um sich vom „mannigfaltigen Spiel der Leidenschaften“28, das der Krieg mit sich bringe, nicht verunsichern zu lassen. In seiner patriarchalen Rolle des absoluten Gebieters muss er über geradezu übermenschliche Fähigkeiten verfügen:

„An der Glut seiner Brust, an dem Lichte seines Geistes soll sich die Glut des Vorsatzes, das Licht der Hoffnung aller anderen von neuem entzünden; nur insoweit er dies vermag, insoweit gebietet er über die Masse und bleibt Herr derselben.“29

Die absolutistische, quasi metaphysische Idealisierung der Führerfigur „Feldherr“ („Glut seiner Brust“, „Lichte seines Geistes“) und seiner souveränen Herr­schaft „über die Masse“ mittels Charisma und totaler Befehlsgewalt, mag den Eindruck erwecken, wenigstens er sei wahres, autonom handelndes Subjekt. Dieser Eindruck täuscht: Im Interesse des politischen Kriegsziels muss er sich permanenter „Selbstbeherrschung“30, also der Herrschaft des „Ver­standes“ über das Gefühl unterwerfen. Die den großen, „geschichtsmächtigen“ Feldherrn von Clausewitz konstatierte Rücksichts­losig­keit, etwa die Friedrichs II.31, ist also auch immer rücksichtslos gegen das eigene Subjekt:

„Es ist der Gesamteindruck aller ersterbenden physischen und moralischen Kräfte, es ist der herzzerreißende Anblick der blutigen Opfer, den der Führer in sich selbst zu bekämpfen hat.“32

Die menschliche Person des Feldherrn, seine Gefühle und sein Bewusstsein werden, trotz der suggerierten persönlichen Macht, ausschließlich funktional den Zielen und der Eigendynamik des Krieges unterstellt.

Er befindet sich in dem Dilemma, sich einem Kriegsplan zu unterwerfen, ohne lediglich Befehle ausführen zu können, wie die ihm unterstellten Truppen. Die von Clausewitz als „herrliche Eigenschaft“ gelobte „Ent­schlossenheit“, die „Willens­stärke“, die „Herr­schaft des Verstandes“33, bezeichnet letztlich nichts anderes, als die Selbst­unterwerfung des Souveräns „Feldherr“ unter das jeweils vorgegebene Ziel.

Anreiz dabei ist unter Anderem das dominierende Weltbild der klassischen, „objektiven“ Geschichts­schreibung, die die siegreichen Strategen, „diejenigen Geister, die in den Feld­herrn­stellen geglänzt haben“, als „kriegerischen Genies“ in ihre Annalen aufnimmt und damit als „Kriegshelden“ (nicht als Subjekte) unsterblich macht.

Der eventuelle Erfolg wird für die personalisierten Herren des Krieges auch persönlich, im Sinne einer Siegerehrung im Sport, honoriert.

Das für diesen Sieg verwendete Material, die Soldaten, sind zweitrangig.

3.2. Die Soldaten

„Der Soldat wird ausgehoben, gekleidet, bewaffnet, geübt, er schläft, isst, trinkt und marschiert, alles nur, um an rechter Stelle und zu rechter Zeit zu fechten.“34

Kommt der Feldherr für Clausewitz einem Schachspieler nahe, so sind die Soldaten seine Figuren. Ihre Funktion ist die, Befehle reibungslos auszuführen und dabei physische Höchst­leistungen zu erbringen. Ihr Tod wird auf der eigenen Seite in Kauf genommen, auf der gegnerischen angestrebt: Die feindlichen „Streitkräfte“, als „bewaffnete Menschen“ definiert,35 sollen dem „Verbrauch“ durch „Zerstörung derselben von unserer Seite“ zugeführt werden,36 während der Gegner dasselbe versucht. Zur Umsetzung dieses Wechselspiels der massenhaften Tötungen, in dem „beide Heere sich ungefähr in gleichem Grade in dieser beständigen Reibung aneinander verzehren“37, wird ein ganz bestimmter Menschentyp benötigt – die Soldaten. Nach Friedrich II., zu dessen Bewunderern Clausewitz gehörte, sollten sie als Teil einer „kunstvollen und vollkommenen Maschine“ funktionieren.38 Die Subjektivität dieses „Maschinenmenschen“ ist nach dieser Definition lediglich Störfaktor, den es zu beseitigen gilt: Der Soldat könne, nach F.W. von Meyern, einem kritischen Zeitgenossen, „nie genug von seinem individuellen Wesen verlieren, er muss wie ein abgeschliffener Kiesel gerade nur die Fuge ausfüllen, für die man ihn abgerichtet hat.“39

Dieses funktionale Menschenbild des aufgeklärten Absolutismus wird bei Clausewitz selbstverständlich adaptiert, da lediglich eine reibungslose Befehlskette die Strategie des Feldherrn praktisch umsetzbar macht, denn:

„Im Krieg ist der unbedeutendste Mensch imstande, eine Unregelmäßigkeit zu bewirken.“40

Im Unterschied zur herrschaftlich-erhabenen Sicht Friedrichs „des Großen“ beschäftigt ihn aber durchaus die Persönlichkeit des einfachen Soldaten.

Dies reicht von psychologischer Betrachtung der „Handelnden der niederen Regionen, die, von einer Gefahr und Anstrengung zur anderen fortgerissen, die übrigen Dinge des Lebens aus den Augen verlieren“41 bis hin zur persönlichen Identifikation mit dem einfachen Beteiligten inmitten einer Feldschlacht, in der eine tatsächlich emphatische Ebene erreicht wird, etwa:

„Zum Überfluss schlägt das Mitleiden über den Anblick der Verstümmelten und Hinstürzenden mit Jammerschlägen an unser klopfendes Herz.“42

Das Vermögen, psychische Auswirkungen des extremen Gewaltzustandes einfühlsam beschrei­ben zu können, und die Erkenntnis, der Krieg sei „das Gebiet körperlicher Anstrengungen und Leiden“ führt bei Clausewitz allerdings zu keinerlei Kritik, sondern wird ausschließlich manipulativ zum Zwecke der Kriegführung verwendet. Besonders den Charakter des „einfachen, tüchtigen Soldaten“, als „guter Degen“43 solle der Feldherr kennen, um sich seiner bedienen zu können. Während die „Ausbildung“ genannten Zurichtung des Soldaten vom Kriegführer Clausewitz überwiegend den kriegsvorbereitenden Militärinstanzen überlassen bleibt, wird die sich aus ihr ergebende Selbstunterwerfung des soldatischen Subjekts unter den Krieg, ähnlich wie die des Feldherrn beschrieben und gelobt („Kraft“, „Mut“, „kriegerische Tugend“44 ). Als Wesenszug gelte bei ihm aber auch die durch „einseitige Tätigkeit“ hervorgerufene „unverkennbare Geistesarmut“45. Das Funktionieren innerhalb der Kriegsmaschinerie, der militärische Drill, die alltägliche Gewalt führen dazu, dass der Soldat seinen Empfindungen gegenüber unempfindlich wird:

„Die Gewohnheit stumpft diese Eindrücke sehr bald ab.“46

Diese „Gewohnheit“ („Kraft des Körpers und der Seele“47 ) als Zustand der Gleichgültigkeit, kombiniert mit einer gewissen emotionalen Begeisterung für den Krieg, ergibt nach Clausewitz „die vollkommendste Art des Mutes“, die „erste Eigenschaft des Kriegers“48. So sei dementsprechend die „soldatische Einfachheit des Charakters“ der „beste Repräsentant des Kriegerstandes“49 und die „ausgezeichnete Natur“ des „werktätigen Verstandes“ der Soldaten,50 sei es, die eine erfolgreiche Kriegführung ermögliche.

Dieses Phänomen der Abstumpfung und Verrohung haben auch andere Beobachter im Mili­tär­bereich erkannt, allerdings ohne Clausewitz’ positive Interpretation.

Nach Elias Canetti beispielsweise setzt im Soldaten durch das System der militärischen Disziplin allmählich ein „Deformationsprozess“ ein: „Er kann im­mer nur tun, was ihm geheißen wird. Er gehorcht und wird im Gehorchen immer starrer.“51 Das Menschsein, im Sinne eines selbstständigen Erwachsenenlebens, tausche der Soldat mehr und mehr gegen ein „infantiles Stadium“ ein, in dem die elterliche Autorität durch die Be­fehls- und Strafgewalt der Vorgesetzten, die geschwisterliche Solidarität im Leiden durch die „Kamerad­schaft“ der Soldaten ersetzt werde.52

Diese Zurichtung des Individuums kopiert nicht zufällig die patriarchale Familienstruktur – für den jungen Mann ging und geht die Rolle des unterdrückten Sohns und Schülers nur allzu häufig nahtlos in die des wehrpflichtigen Soldaten über, in der er, wie in Familie und Schule, lediglich das Eigentum der Instanz darstellt. Da das Militär als „totale Institution“53 keinerlei Wi­der­spruch duldet, stößt jegliche Rebellion der denkenden Subjekte auf drakonische Straf­maß­nahmen. Als Kompensation dient ihnen schließlich die Gewalt gegen den von der Füh­rung definierten „Feind“ und das eigene Selbstverständnis als opferbereite, patriarchale „Krie­ger“ und „Helden“, deren deformierte Charaktere von der militaristischen Gesellschaft idealisiert werden.

Die inneren Widersprüche der kriegführenden Soldaten zwischen Opfer- und Täterrolle, Leiden und sogenanntem „Heldentum“ werden in zahllosen Briefen und Erzählungen dokumentiert und ermöglichen eine gesellschaftliche Reflektion über die kollektive militaristische Praxis. Insbesondere der von Clausewitz beschworene „Mut“ gerät hier in die Kritik, so etwa ein Zeitzeuge aus dem 1.Weltkrieg:

„In Wirklichkeit ist von Mut überhaupt nichts zu finden. Die Todesangst übersteigt alle anderen Gefühle, und nur der furchtbare Zwang treibt die Soldaten vorwärts.“54

Sigmund Freud beschreibt die verheerenden psychischen Auswirkungen der Kriegserfahrung als „Kriegsneurosen“, mit den Affektquellen:

„Angst um das eigene Leben, Sträuben gegen den Auftrag, andere zu töten, Auflehnung ge­gen die rücksichtslose Unterdrückung der eigenen Persönlichkeit durch die Vor­ge­setzten“.55

Der Effekt dieser inhumanen Praxis auf den eben nicht subjektlosen Soldaten erkennt auch Clausewitz. Im Unterschied zu den oben genannten Autoren geht es ihm aber darum, die gewonnene Erkenntnis bewusst für den Krieg und damit gegen das Subjekt des Soldaten nutzbar zu machen. Positiv gewendet, solle man letztendlich „aus dem Menschen übergehen, in die Rolle, die uns (!) [...] angewiesen wird,“56 um das zu werden, worauf es ankomme: „ein tüchtiges Werkzeug für den Krieg.“57

3.3. Die Bevölkerung

Spielt für die klassische Feldherrnstrategie des 18. Jahrhunderts schon die Betrachtung der einfachen Soldaten keine Rolle (siehe Friedrich II.), so wird die nicht-militärische Bevöl­kerung diesen nochmals untergeordnet. Ihre Funktion ist demnach die eines „pools“, aus dem die regulären Truppen aufgestellt werden. Darüber hinaus ist die Rolle der Zivilisten passiv: Sie bewohnen den Kriegsschauplatz und sind eventuell von Einquartierung des „eigenen“ oder Plünderung des „gegnerischen“ Militärs betroffen. Verluste unter ihnen sind lediglich nicht beabsichtigte „Kollateralschäden“ als Nebenwirkung der Kriegshandlungen.

Bei Carl von Clausewitz wird diese passiv leidende Bevölkerung dementsprechend kaum behandelt – sie stellt keinen eigenen Machtfaktor dar und wird von den kriegführenden Parteien nach Belieben als Rohstoff genutzt: So sei „die Einnahme feindlicher Provinzen“ etwa legitim, „um Kriegssteuern darin zu erheben oder sie gar zu verwüsten.“ Zweck sei hier „ganz allgemein der feindliche Schaden.“58

Ein Ziel des Krieges sei der feindliche „Verlust von Provinzen“59: Der Gegner werde so von seinem Reservoir an Menschen (potentielle Soldaten) und Material (Steuern, Rohstoffe, Industrie) abgeschnitten – umgekehrt könne die den Krieg erleidende Bevölkerung aber nicht erwarten, von der eigenen Armee geschützt zu werden:

„Das Land vor Verlust zu bewahren, kann [...] niemals als ein Zweck der gesamten Verteidigung angesehen werden, sondern dieser Zweck ist ein vorteilhafter Friede.“

Dazu dürfe „kein augenblickliches Opfer zu groß geachtet werden“.60

Die absolutistische Ansicht, nach der ein Mensch erst als Soldat eine Relevanz im Krieg erhält, erfährt durch die europäischen Kriege zwischen 1793 und 1815 allerdings eine entscheidende Relativierung: Siegten die motivierten französischen Freiwilligenverbände an­fangs permanent über die zwangsrekrutierten monarchischen Truppen („Revolutions­kriege“), wurde das Napoleonische Militär schließlich entscheidend durch die Entfesselung von Anti­französischen „Volkskriegen“ geschlagen (Spanien ab 1808, Russland 1812, Preußen 1813). Diese Siege von dezentral organisierten Bevölkerungen gegen das etablierte Militär führten zu einer Aufwertung des Volksbegriffs und werden auch bei Clausewitz reflektiert:

„Mit dieser Teilnahme des Volkes an dem Kriege trat statt eines Kabinetts und eines Heeres das ganze Volk mit seinem natürlichen Gewicht in die Waagschale.“61

Mit der Entdeckung des militärischen Potentials der früher lediglich leidenden Bevölkerung für den Krieg, erreiche dieser eine neue Intensitätsstufe als „Volkskrieg“.62 In diesem wird das Volk, als „Landsturm“ organisiert, vom Feldherrn zur Führung eines Partisanen­krieges gegen einen angreifenden Feind mit all seiner taktischen und strategi­schen Effektivität eingesetzt. Für diesen bedeute der Volkswiderstand einen unübersichtlichen Kleinkrieg gegen einen beweglichen Gegner, der „wie eine still fortschwelende Glut“ seine „Grundfesten“ zerstöre.63 Die effektive Antwort der Besatzungsmacht auf eine militärisch aktivierte Bevölkerung ist demnach, gegen diese selbst militärisch vorzugehen:

„Wohnen die Einwohner in Dörfern beisammen, so werden die unruhigsten mit Truppen belegt oder auch wohl zur Strafe ausgeplündert, abgebrannt usw. [...].“64

Für die vom Krieg betroffenen Menschen bedeutet der intensivierte Kriegszustand, von der Rolle der passiv Erduldenden in die der aktiv Bekämpften überzugehen. Folglich bedeutet „Volkskrieg“ nicht mehr Eroberungs- sondern vielmehr Ausrottungskrieg, da erst die Ver­nich­tung der Bevölkerung ihre militärische Passivität garantiert.

Diese Lehren für die Zu­kunft, die Clausewitz aus den Napoleonischen Kriegen insbesondere in Spanien, Portugal und Russland zieht,65 in denen die Praxis des Vernichtungskriegs bereits aufscheint (Geiseler­schie­ßungen), werden sich historisch bewahrheiten: In den Kolonial­kriegen des 19. Jahr­hun­derts in Nordamerika (Kopfgelder), denen des 20. und 21. Jahr­hun­derts (Lateinameri­ka, Afri­ka, Vietnam, Afghanistan, etc.), sowie insbesondere im als „Ver­nich­tungs­krieg“ de­kla­­rier­ten 2.Weltkrieg (ca. 40 Mil­lionen tote Zivilisten!) wird die Zivilbe­völ­kerung ansatzweise zum militärischen Akteur (Partisanenbewegungen), vornehmlich aber zur Zielscheibe des Militärs.

Clausewitz interessiert sich wiederum wenig für die gesteigerte Opferrolle der normalen Men­schen, sondern lediglich für ihre strategische Funktion als Mittel zum Zweck des Sieges:

„Ob die Bevölkerung groß oder klein ist, tut nichts Entscheidendes, denn an Menschen fehlt es dabei am wenigsten. [...] es ist aber nicht zu verkennen, dass eine arme, an anstrengende Arbeit und Entbehrungen gewöhnte Menschenklasse sich auch kriegerischer und kräftiger zu zeigen pflegt.“66

Dass Clausewitz die Menschenopfer in dieser Art Krieg als sehr hoch einschätzt geht hieraus ebenso hervor wie ein gewisses Ideal einer armen, leidensgewohnten Bevölkerung, die in der Lage sei, einen Volkskrieg zu führen.

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der Motivation der Menschen, sich am Krieg zu beteiligen, die für den an zwangsdisziplinierte Soldaten gewohnten Feldherrn schwer ein­schätz­bar ist. So ist Clausewitz einerseits der Ansicht, dass es „beim Einwohner meistens an Vertrauen und an Trieb fehlen [wird], zu den Waffen zu greifen“, und er deshalb „Ermun­terung“ durch „Truppen des stehenden Heeres“ bedürfe,67 andererseits sieht er es als logisch an, „dass ein Volk die letzten Mittel seiner Rettung versucht, wenn es sich an den Rand des Abgrundes geschleudert sieht.“68

So bedeutet der entfesselte „Volkskrieg“ für die Menschen letztendlich den verzweifelten Kampf ums Überleben, der sich aus ihrer Sicht als etwas völlig anderes darstellt, als für die militärischen Planer, die lediglich dazu übergegangen sind, sie als auszunutzende Hilfs­truppen oder auszumerzende Gegner in ihre Strategie einzu­beziehen.

4. Kriegsideologie

Um sich aktiv am Krieg zu beteiligen, bedarf es neben dem Zwang durch Gewalt einer starken, spezifischen Motivation, die über das eigene Lebensbedürfnis hinausgeht und den Zustand des Töten und Getötet­-werdens nicht nur als gegeben hinnimmt, sondern ihn bestenfalls positiv interpretiert. Da die Schlagkraft einer militärischen Einheit mit dem Anteil der Eigenmotivation gegenüber dem reinen Zwang steigt, stellt der „Enthusiasmus für die Sache“ bei Clausewitz einen wichtigen militärischen Faktor dar.69

Der Enthusiasmus einer Gruppe gilt im Normalfall den eigenen Interessen – daher drängt sich die Frage auf, inwiefern Soldaten oder Bevölkerungen die politischen Kriegsziele eines Herrschers, und deren strategische Umsetzungen als Feldzüge, mit dem Kampf für ihre Interessen ver­wechseln können. Hier beginnt der Bereich der Kriegsideologie – wie entsteht aus der „feindseligen Absicht“ des Kriegsplans das „feindselige Gefühl“ des realen Krieges?70

Bei Clausewitz kristallisieren sich drei Hauptlinien der theoretischen Unterstützung kriege­rischer Gewalt, die sich wechselseitig ergänzen, verstärken, aber auch einander wider­sprechen können:

4.1. Eigendynamik

Bei Ausbruch eines Krieges beginnt sich eine Gewaltspirale zu drehen, die zur Emotio­na­li­sierung und Brutalisierung des Konflikts führt. Diese „Wechselwirkung“, die „zum äußers­ten führen muss“71 entfaltet besonders mit der Entwicklung des „Volks­kriegs“ seine Totalität:

„Wo [...] anfangs keine Erbitterung war, entzündet sich das feindselige Gefühl an dem Kampfe selbst, denn eine Gewaltsamkeit, die jemand auf höhere Weisung an uns verübt, wird uns zur Vergeltung und Rache gegen ihn entflammen, früher noch, ehe wir es gegen die höhere Gewalt sein werden, die ihm gebietet, so zu handeln. Dies ist menschlich oder auch tierisch, wenn man will, aber es ist so.“72

Die kriegerische Eigendynamik ist sicherlich als systemimmanent zu werten: Gewaltausübung wirkt wiederum gewaltfördernd. So entscheidend dieses Prinzip ist – es stellt sich weniger als ideologisches sondern eher als psychologisches Problem dar, auch wenn die Gewalt­kultur einer betroffenen Gesellschaft seine Auswirkung modifiziert.

4.2. Nationale Ideologie

Mit der Französischen Revolution wird der Begriff „Volk“ als autonome, kriegführende Iden­ti­tät und Träger eines republikanisch-revolutionären Befreiungskampfes gegen die euro­päische Aris­to­kra­tie eingeführt.

„Volk“, „Nation“ und „Nationaler Befreiungskrieg“ er­wie­sen sich als Ideo­lo­ge­me für die Kriegführung derart effektiv, dass sie, wie etwa neue Waffen­techniken, von allen in die Napoleonischen Kriege verwickelten Monarchien, speziell in Preußen, kopiert wurden, allerdings ohne ihre revolutionär-emanzipatorische Pointe wie in Frankreich, sondern als mani­pulative Mobilisierungsmaßnahme im Dienste herkömmlicher Machtpolitik.

Dem Krieg für das einhei­mische Herrschafts­sys­tem wur­de eine ideologische Dimension zugesprochen, indem die gewisse Ra­tio­nalität der Re­vo­lutionskriege, als Kampf für die eige­nen Interessen, durch eine metaphy­si­sch-autoritäre Ebene er­setzt wurde: „Philosophi­scher Idea­lis­mus und literarische Romantik“73 mit Ideo­lo­gen wie Johann Gott­lieb Fichte oder Ernst Moritz Arndt prägten so einen einmaligen bür­ger­lichen Belli­zis­mus, in dem jegliche Kritik am politischen Unterdrückungs­system einem unklaren nationalen Ideal weichen mus­ste. Letzt­genanntem galt der Krieg gegen die französi­sche „Fremdherr­schaft“ folglich als „heili­ger Krieg“ gegen die „gottlosen Franzosen“, der Tod darin als „Op­fer auf dem Altar des Vaterlandes“.74

Indem die preußische Heeresreform die Wehrpflicht ein­führte und auch Nicht­ade­li­gen militärische Karrieren öffnete, ohne dabei die Führungsrolle der Aristokratie anzutasten, gelang eine Verschmelzung zwischen Bürger­tum und Adel im Geiste eines nationalen „Militarismus [...] als Kulturkom­plex75. Bis zum Ersten Weltkrieg fanatisierte dieser Diskurs im schließlich unter Preußen „geeinten“ Deutschen Reich zunehmend. Einer seiner Vertreter war der populäre Professor Treitschke, der etwa 1898 behauptete:

„Nicht nur sein Leben soll der Mensch opfern, sondern auch natürliche, tief berechtigte Empfindungen der Menschenseele, sein ganzes Ich soll er geben an eine große vaterländische Idee: das ist das sittlich Erhabene des Krieges“76

Diese emotionale Hysterie, die sich um den Krieg herum aufbaut, wird von Clau­se­witz nicht geteilt, da sie, besonders in ihrer übersteigerten romantisch-völkischen Form zu irrational wird, der Nationalismus selbst ist aber zum wichtigen strategischen Element geworden:

„Der Nationalhass, an dem es auch bei unsern Kriegen selten fehlt [!], vertritt bei dem einzelnen gegen den einzelnen, mehr oder weniger stark, die individuelle Feindschaft.“77

Der „Volksgeist“ des Heeres sei also eine der „moralischen Hauptpotenzen“78 des Krieges.

So bedeutet für Clausewitz der „Nationalhass“ also einerseits eine willkommene Ver­stär­kung der Schlag­kraft, da die Truppen den von der Führung definierten Gegner so auch sub­jektiv als Feind wahr­neh­men, andererseits ist eine Ambivalenz ihm gegenüber verständ­lich, da das strategische Kalkül die Dämonisierung oder Verherrlichung eines „Volkes“ normalerweise nicht teilt. Die zu starke Emotionalisierung eines Konflikts könnte überdies dessen politische Kontrollierbarkeit gefährden.

4.3. Militärideologie

Der für Clausewitz naheliegendste Grund, sich für den Krieg zu begeistern, ist der Beruf des Soldaten. Aus Sicht der Offiziere und Strategen wird er ideologisch aufgeladen zum sport­lichen Wettkampf, zum Erlebnis: Der „Seelendurst nach Ruhm und Ehre“ und die „stolze Sehnsucht“, als „edelste Empfindungen der menschlichen Natur“ seien der „Lebenshauch“, der dem „ungeheuren Körper“ der Militärmaschine „eine Seele“ gebe.79 Das Ideal des zutiefst männlichen, siegreichen, gestählten Offiziers ist letztendlich das eines Sportlers: Entschei­dend für den Krieg sei „Wetteifer“ und „Sporn“80 als Motivation der Männer, die in ihrer ein­geschworenen, erfolgreichen Gemeinschaft aus „Kameraden“ Spaß am Krieg haben und dabei Ruhm und Ehre erwerben.

Dass diese soldatische Wunschvorstellung mit der zermürbenden Realität der neuzeitlichen Kriege, in denen der Mensch zunehmend zum Material wird, wenig zu tun hat, wird von der Erfahrung zumeist belegt; trotzdem transformiert sich das Selbstbild der Soldaten durch die zunehmende Militarisierung der preußischen Gesellschaft im 19.Jahrhundert, im Zusammen­hang mit dem bürgerlichen Bellizismus der „Befreiungskriege“, ins Positive.81 Das „militäri­sche Ehrgefühl“, von Gordon Craig definiert als „moralische Nötigung, die den Offizier zwingt, Mühsal, Gefahr und Tod standhaft und unbelohnt zu ertragen“,82 wird von seinem Träger, dem preußischen Offizierskorps des späten 18.Jahrhunderts, zunehmend in untere Dienstgrade und so in die Bevöl­ke­rung weitergereicht. Diese Entwicklung zur Verherrlichung des bewaffneten, uniformierten Mannes als Träger des staatlich-patriar­cha­len Gewaltmono­pols („Lizenz zum Töten“) im 19.Jahrhundert bedeutet für die betroffenen Subjekte ihre totale Verschmelzung mit dem monarchisch-militaristischen System.

Der sich durchsetzende militärische Ehrenkodex ergibt in Kombination mit dem völkischen Nationalis­mus jene Ideologie, die einen „totalen Krieg“ nicht nur ermöglicht, sondern nahezu unausweichlich macht – der „Beruf“ des Soldaten kann ohne Krieg nicht existieren, dieser wird in einer auf ihn fixierten, militaristischen Gesellschaft deshalb zum Kern der kollektiven kulturellen Identität.

Der Krieg wird so von einem Mittel zum Zweck der politischen Interessen nach Clausewitz („politischer Akt“83 ), zum Selbstzweck einer patriarchalen Kriegs-Kultur, die historisch einmalig in Preußen und im Deutschen Reich hervor­gebracht wurde.

5. Schluss

Es mag falsch sein, Carl von Clausewitz Kriegshetze und -verherrlichung vorzuwerfen. In seinen Texten scheint zwar immer wieder die Begeisterung für den bewaffneten Kampf auf, doch lässt seine Rationalität eine generelle Idealisierung des Kriegszustands nicht zu.

Trotz aller „Schwingungen der Leidenschaft“ sei er „kein Werk einer freien Begeisterung“, sondern „ernstes Mittel für einen ernsten Zweck“84. Der Krieg erscheint vielmehr als „integrale Komponente des politischen Prozesses“85 und somit als unausweichlich. Unter dieser Bedingung stellt sich die Frage:

„[...] war es nicht die allerdringlichste Pflicht des Staates, für den Krieg zu rüsten, und zwar in einem Umfang, der alle anderen Anforderungen an seine begrenzten Mittel in den Hintergrund drängte?“86

Clausewitz’ faktisches Primat der Kriegsbereitschaft, nicht als begrüßenswert, sondern als unvermeidlich angesehen, lässt die Frage nach dem Sinn des Krieges für den Menschen weitgehend offen (siehe Kap.2). Diese philosophische Unzulänglichkeit muss also von anderer Seite ausgeglichen werden: Von den radikalen Bellizisten und völkischen Nationa­listen des 19.Jahrhunderts, die lediglich die Konsequenz daraus ziehen, dass Machtpolitik als Kriegs­motivation allein unbefriedigend erscheint. Die Emotionalisierung des Krieges im militaristischen Preußen wird notwendig, da seine rein rationale Betrachtung, die bei Clausewitz noch über­wiegt, zu seiner Ablehnung motivieren könnte.

Die preußisch-deutsche Kriegshysterie wird sich bis zu ihrem ersten großen Ausbruch 1914 kontinuierlich weiterentwickeln um schließlich im „Totalen Krieg“ des Nationalsozialismus ihre groteske Zuspitzung zu finden. Annährend 100 Millionen Tote, die Vernichtung des europäischen Judentums und die Zerschlagung der sozialrevolutionären Bewegungen Europas sind die Konse­quen­zen des deutschen Menschheitsver­brechens.

Eine seiner theoretisch-ideologischen Grundlagen legt Carl von Clausewitz in seinem ein­fluss­reichen Werk „Vom Kriege“, in dem der gewalttätige staatliche Zugriff zynisch legiti­miert und jegliches menschliches Leben dem machtpolitischen Kriegsziel untergeordnet wird.

Eine Welt, in der sich menschliches Leben durchaus angenehm gestalten ließe, wird so zum Schlacht­feld: Zu einem Ort des Tötens und Sterbens, der den Menschen als einzige Option den verzweifelten Überlebenskampf anbietet.

Dies ist meines Erachtens verurteilenswert.

Literatur

Carl von Clausewitz: „Vom Kriege“, Stuttgart, 1980

Wolfram Wette (Hg.): „Der Krieg des kleinen Mannes – Eine Militärgeschichte von unten“, München, 1992

Emilio Willems: „Der preußisch deutsche Militarismus – Ein Kulturkomplex im sozialen Wandel“, Köln, 1980

[...]


1 Wolfram Wette (Hg.): „Der Krieg des kleinen Mannes“, München, 1992, S.9

2 Carl von Clausewitz: „Vom Kriege“; die Seitenangaben beziehen sich im Folgenden auf die Ausgabe: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, 1980

3 1780 – 1832; seit 1792 preußischer Soldat, von 1818 bis 1830 Direktor der Berliner „Allgemeinen Kriegsschule“, ab 1830 Generalstabschef beim Feldmarschall von Gneisenau

4 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.15

5 Emilio Willems: „Der preußisch-deutsche Militarismus“, Köln, 1980. S.59

6 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.170

7 vgl.: Michel Foucault: „In Verteidigung der Gesellschaft“, Frankfurt a.M., 1999

8 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.17

9 ebd., S.9, S.39

10 ebd., S.9

11 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.245

12 ebd., S.313

13 ebd., S.297

14 ebd., S.38

15 Marie von Clausewitz, geborene Gräfin Brühl

16 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.42

17 ebd., S.101

18 ebd., S.135

19 ebd., S.44

20 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.15

21 vgl.: ebd., S.87

22 ebd., S.311. Der Autor bezieht sich hier in erster Linie auf die von ihm erlebten sog. „Revolutions-“ und „Napoleonischen“ Kriege, in denen sich eine neue Kriegspraxis etablierte, siehe Kap. 3.3.

23 ebd., S.253

24 ebd., S.63

25 Clausewitz, „Vom Kriege“, S.84

26 ebd., S.86

27 ebd., S.66

28 ebd., S.117

29 ebd., S.71 f.

30 ebd., S.74

31 vgl. ebd., S.183

32 ebd., S.71

33 ebd., S.69 ff.

34 Clausewitz, „Vom Kriege“, S.53

35 ebd., S.53

36 ebd., S.48

37 ebd., S.243

38 Friedrich II: „Die Generalprinzipien des Krieges“, Bd.6, Berlin 1913, S.6 f., zit. in: Wette: „Der Krieg des kleinen Mannes“, S.26

39 Friedrich Wilhelm von Meyern, zit. in: ebd., S.26

40 Clausewitz, „Vom Kriege“, S.95

41 Clausewitz, „Vom Kriege“, S.117

42 ebd., S.89

43 ebd., S.83

44 ebd., S.190

45 ebd., S.84

46 ebd., S.89

47 ebd., S.65

48 ebd., S.64 f.

49 ebd., S.117

50 ebd., S.84

51 zit. in: Wette: „Der Krieg des kleinen Mannes“, S.16

52 vgl. ebd., S.16 f.

53 Erving Goffman, 1961, zit. in: ebd., S.16

54 Der Kriegsfreiwillige Dominik Richert, zit. in: ebd., S.28

55 zit. in: ebd., S.24

56 Clausewitz, „Vom Kriege“, S.190

57 ebd., S.65

58 ebd., S.49

59 ebd., S.48

60 ebd., S.245

61 Clausewitz, „Vom Kriege“, S.309

62 vgl. ebd., S.252 ff.

63 ebd., S.254

64 ebd., S.255

65 vgl. ebd., S.306 ff.

66 Clausewitz, „Vom Kriege“, S.254 f.

67 ebd., S.257

68 ebd., S.260

69 ebd., S.190

70 vgl.: Clausewitz, „Vom Kriege“, S.115

71 ebd., S.20

72 ebd., S.115

73 Wette: „Der Krieg des kleinen Mannes“, S.82

74 zit. in: ebd., S.83

75 Willems: „Militarismus“, S.14: „Kulturkomplex“: „Aggregat miteinander verknüpfter Elemente, die ihren Sinngehalt und ihre Funktion von einem dominierenden Kernelement beziehen. Der Kern oder Brennpunkt des Militarismus ist der Krieg [...].“

76 Treitschke, 1898, zit. in: ebd., S.88

77 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.115

78 ebd., S.189

79 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.72

80 ebd., S.73

81 vgl.: Wette: „Der Krieg des kleinen Mannes“, S.76 ff.

82 Willems: „Militarismus“, S.32

83 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.38

84 Clausewitz: „Vom Kriege“, S.37

85 Willems: „Militarismus“, S.60

86 ebd.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Werkzeug für den Krieg - Der subjektlose Mensch bei Carl von Clausewitz
Hochschule
Universität Leipzig  (Philosophie)
Veranstaltung
Kriegstheorien
Note
1.3
Autor
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V111143
ISBN (eBook)
9783640092369
Dateigröße
387 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Werkzeug, Krieg, Mensch, Carl, Clausewitz, Kriegstheorien
Arbeit zitieren
Jo Bredemeyer (Autor:in), 2006, Werkzeug für den Krieg - Der subjektlose Mensch bei Carl von Clausewitz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111143

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