Wald als Traumlandschaft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

19 Seiten, Note: Sehr gut (1,0)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2.1 Der romantische Wald
2.2 Der feindliche Wald
2.3 Die verbotene Zone
2.4 Wald als Traumlandschaft

3 The Company of Wolves
3.1 Symbole des Übergangs
3.2 Die Enklave in einer feindlichen Umgebung
3.3 Das Animalische und die Vernunft

4 Schlußbemerkung

Literatur

Filmographie

1 Einleitung

Wälder waren und sind seit jeher Quellen der Inspiration für Künstler jedweder Richtung gewesen. Zum einen mag dies auf ihre Unergründlichkeit zurückzuführen sein, zum anderen auch auf ihr erdgeschichtlich hohes Alter und die daraus resultierende mythologische Aufladung. Wälder können verschiedene Funktionen in der Kunst einnehmen: als pittoreskes Beiwerk, als Ort der Erholung, der Stille, der Träumerei, aber auch als Verursacher von Phobien. In einigen Filmgenres wie z.B. dem Märchenfilm oder dem Gruselund Horrorfilm ist der Wald ein nahezu unverzichtbares Element, wobei er gerade dort nicht nur die Rolle des Handlungsortes übernimmt, sondern aktiv in die Geschichte miteinbezogen wird - als Protagonist oder Antagonist.

Unter den vielen möglichen Waldbildern erscheint mir der Wald als Handlungsort von Träumen - als Traumlandschaft - als lohnendes Objekt einer näheren Untersuchung. In solchen Traumlandschaften finden sich wiederum andere Formen der Walddarstellung wieder, daher ist es notwendig, auf diese unterschiedlichen Darstellungsarten anhand exemplarischer Untersuchungen einzugehen.

Im Rahmen dieser Arbeit ist es selbstverständlich nicht möglich, auf alle erdenklichen Aspekte der Walddarstellung einzugehen. Ich beschränke mich auf diejenigen, die mir hinsichtlich der Thematik der Traumlandschaft relevant erscheinen. Zunächst werde ich mich ausgewählten Aspekten des Waldbildes der Romantik widmen. In einer Art Gegen- darstellung wende ich mich der rationalen Waldrezeption, insbesondere der Rezeption der Aufklärung, zu, die als Wegbereiter der Moderne auch in unserer Zeit noch gültig ist. Die Abstraktion auf die Traumebene resultiert aus einer Konfrontation dieser beiden gegensätzlichen Rezeptionen.

Die aufgezeigten Ergebnisse werde ich anschließend anhand Neil Jordan’s The Com- pany of Wolves von 1984, der auf den beiden Kurzgeschichten The Company of Wolves und Wolf-Alice der britischen Autorin Angela Carter basiert, noch einmal verdeutlichen.

2 Vom romantischen Wald zum Traumwald

2.1 Der romantische Wald

Die Romantik1 verstand sich als Gegenbewegung zur Aufklärung, die besagte, daß fort- an nun die Vernunft für den Menschen bestimmend sei. Sie - die Vernunft - sollte dazu dienen, jedwede Irrationalismen und Aberglauben aus dem Leben zu verbannen. Die englische Bezeichnung ”enlightenment“setztsichklarvonderfürdasMittelalterge- brauchten Formulierung ”TheDarkAges“ab,eineZeit,diemanmitUnwissenheitund Fortschrittsfeindlichkeit in Verbindung brachte.

Die Romantiker setzten sich vom Vernunft- und Verstandesdiktat der Aufklärung ab und wendeten sich stattdessen dem Gefühlvollen und dem Phantastischen zu. Die Betonung der Emotion und die Ablehnung der Vernunft als einzige Richtlinie äußert sich vor allem in einer Poetisierung der Natur und dem Streben nach Einheit mit ihr.

William Wordsworth’s Gedicht Lines written in early spring faßt diese Geisteshaltung stellvertretend zusammen:

I heard a thousand blended notes, While in a grove I sate reclined,

In that sweet mood when pleasant thoughts Bring sad thoughts to the mind.

To her fair works did Nature link

The human soul that through me ran; And much it grieved my heart to think What man has made of man.

Through primrose tufts, in that green bower, The periwinkle trailed its wreaths; And ’tis my faith that every flower Enjoys the air it breathes.

The birds around me hopped and played, Their thoughts I cannot measure: But the least motion which they made It seemed a thrill of pleasure.

The budding twigs spread out their fan, To catch the breezy air;

And I must think, do all I can, That there was pleasure there.

If this belief from heaven be sent, If such be Nature’s holy plan, Have I not reason to lament What man has made of man?2

Der Sprecher dieses Gedichtes setzt sich hier in Einklang mit der Natur, die ihn umgibt. Er hört die Töne des Waldes - das Rauschen der Blätter, das Singen der Vögel. Sie verschmelzen zu einer musikähnlichen Einheit. Gleichzeitig aber drückt er seine Trauer aus über das, zu was sich der Mensch entwickelt hat ( ”What man has made of man?“). Er hat sich von seinen natürlichen Wurzeln entfernt, ist ein Stadtmensch, ein ”Kultur- mensch“ geworden.

Einen ähnlichen Ansatz hat Jean-Jacques Rousseau, dessen Kulturpessimismus den Wandel vom aufgeklärten Zeitalter hin zur Romantik entscheidend mitgeprägt hat,3 bereits 1770 in seinen Confessions verfolgt. Darin beschreibt er seine Wanderungen durch die Wälder von Saint-Germain, die ihm als Antithese zur selbstgeschaffenen Verdorbenheit des aufgeklärten Menschen erschienen und in denen er sich quasi als glücklicher Urmensch vor dem Sündenfall der Zivilisation fühlte:

Den ganzen übrigen Tag tief im Walde weilend, suchte und fand ich dort das Bild der Urzeit, deren Geschichte ich kühn umriß; ich deckte die kleinen Lügen der Menschen auf; ich wagte ihre Natur bis zur Nacktheit zu enthüllen, dem Fortschritt der Zeit und der Dinge zu folgen, die sie entstellt haben; indem ich den Menschen, wie er durch seine Mitmenschen geworden war, mit dem natürlichen Menschen verglich, zeigte ich ihnen in ihrer angeblichen Vervollkommnung die wahre Quelle ihrer Leiden.4

Der Wald steht also für eine Ursprünglichkeit, die den aufgeklärten, modernen Men- schen längst abhanden gekommen ist. Die Sehnsucht nach dem Vergangenen und Ur- sprünglichen war ein Motiv, das die Geschichtsschreibung der Romantik bestimmte. In diesem Zusammenhang müssen die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm erwähnt

werden, in deren Volksmärchensammlung Kinder- und Hausmärchen Wälder eine bedeutende Rolle spielen. Die Grimms verstanden die Wälder als eine Art symbolischen Ort für überlieferte Traditionen (Sitte, Gesetz, Kultur). Sie wollten durch die Heraufbe- schwörung der Vergangenheit und der verlorenen Ursprünge ein deutsches Einheitsgefühl kreiern5 - zu diesem Zeitpunkt war Deutschland noch zersplittert in unzählige Fürsten- tümer.

Die Wälder aus Grimms Märchen sind mittlerweile zum Inbegriff des ”Märchenwaldes“ geworden. Meist liegen sie fernab von der vertrauten Welt, die Protagonisten verirren sich darin, treffen auf fremdartige Geschöpfe, werden Zeugen von Magie und Zauberei. Die Wälder sind bevölkert von oftmals freundlich gesonnenen Tieren, die zumeist auch durch menschliche Sprache kommunizieren können. Derjenige, der sich in diese natürliche Einheit einfügt, der auch den Geschöpfen des Waldes keine Feindseligkeit, sondern Freundschaft entgegenbringt, wird am Ende des Märchens immer belohnt, dadurch, daß eben diese Geschöpfe ihm in der Not helfen. Die Wälder repräsentieren gewissermaßen die alte Einheit der Natur und der Arten:6 den eben angesprochenen symbolischen Ort der Entstehung und des Bestandes deutscher Kultur.

Dieses romantische Waldbild (mit dem Schwerpunkt auf Einheit Mensch-Natur) fin- den wir vor allem in Märchenfilmen realisiert. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist die Rotkäppchen-Interpretation von Jan Kounen, der 1996 mit dem Kurzfilm Le Dernier Chaperon Rouge eine eigenwillige Version des klassischen Märchenstoffes geschaffen hat. Die letzte Vertreterin einer ganzen Dynastie von Rotkäppchen entsteigt einer Atomrakete und findet sich in einem verzauberten Wald wieder. Dort singt und tanzt sie mit den lebendig gewordenen Pflanzen des Waldes, großäugig und staunend über die Wunderwelt, die sich ihr offenbart. Zumindest für diesen Augenblick fühlt sie sich vom ”Kosmosumschlungen“.DieTraumsequenzeninJohnLandis’AnAmerican Werewolf in London (1981) zeichnen strenggenommen ebenfalls ein romantisches Waldbild: Der von einem Werwolf gebissene David läuft in seinen Träumen vollkommen nackt durch einen Wald und reißt ein Reh mit bloßen Händen und Zähnen. Er ist nur noch Instinkt, vollkommen zum Tier mutiert (wenn auch nicht äußerlich), hat zu seiner Ursprünglichkeit zurückgefunden (ähnlich Rosaleen in The Company of Wolves, die am Schluß ihre menschlichen Zwänge ablegt und - zum Wolf verwandelt - mit der Meute durch den Wald jagt). Diese Sequenz zeigt noch etwas anderes auf: Der Wald wirkt kalt und naß, dem britischen Wetter entsprechend. Das Licht ist von einem milchigen Grau, keine Sonnenstrahlen fallen durch das Blätterdach. Der Begriff ”romantisch“wirdinun- serer Zeit oftmals mit pittoresk, lieblich gleichgesetzt. Dies ist bei genauer Betrachtung jedoch eine mißbräuchliche Interpretation. Zwar trifft genau dieses Bild in romantischen Gedichten oftmals zu (siehe Wordsworth), doch wurde diese Form der Naturschönheit nicht durch die Romantik, die das Phantastische und das Unheimliche gleichsam zuließ, zwingend gefordert.

2.2 Der feindliche Wald

Die Aufklärung sah im Wald vor allem den Nutzcharakter. Das Ziel war, der Natur Herr zu werden und sie in Besitz zu nehmen. Durch den Aufstieg der Forstwissenschaften im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Wald auf seine Rolle als Rohstofflieferant reduziert.7 Der Nutzen zeigt sich selbst in den Fällen, wo ästhetische Gesichtspunkte eine Rolle spielten: in der Umwandlung zu Erholungsparks oder - zunehmend in unserer modernen Zeit wachsenden Umweltbewußtseins - als Naturreservat, als ”Museumderursprüng- lichen Natur“.8 Diese wissenschaftlich-rationale Herangehensweise, die der Aufklärung entspringt und gegen die sich später die Romantiker entschieden aussprachen, ist bis in unsere heutige Zeit gültig geblieben.

Dies kennzeichnete aber auch eine Abkehr vom intuitiven Erfahren. Die Natur wur- de wissenschaftlich erfaßt, gleichzeitig bedeutete dies aber eine Entfremdung von ihr. Die Wildheit und Unberechenbarkeit der Natur, die sich stetig dem Forscherdrang wi- dersetzt, wird für den wissenschaftlich-rationalen Menschen zur Bedrohung. Der Wald wird zum Antagonisten, dem unerbittlichen Gegner, dem man - außer durch radikale Methoden wie Rodung - nicht beikommen kann.

[...]


1 Die zeitlich-literarische Einordung der Romantik beginnt 1789 mit der Veröffentlichung von William Blakes Songs of Innocence und endet mit Percy Shelleys Posthumous Poems. Vgl. Hoffmeister (1990): S. 4 ff.

2 Wordsworth (1950): S. 377 ff.

3 Vgl. Jung (2001): S. 34

4 Rousseau (1978): S. 383

5 Vgl. Harrison (1992): S. 202

6 Vgl. ebd., S. 204

7 Vgl. ebd.: S. 134

8 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Wald als Traumlandschaft
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Filmwissenschaft)
Veranstaltung
Landschaft und filmischer Raum
Note
Sehr gut (1,0)
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V11103
ISBN (eBook)
9783638173568
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wald, Traumlandschaft, Landschaft, Raum
Arbeit zitieren
Christian Hein (Autor:in), 2003, Wald als Traumlandschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11103

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