Das Motiv des Ekels in Sartres "La Nausée" und Süskinds „Das Parfum“


Hausarbeit, 2006

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Phänomenologie des Ekels nach Kolnai, 1929

3. Sartre, „La Nausée , 1938
3.1. Antoine Roquentin
3.2. Roquentins Ekel
3.3. Das Reine im Gegensatz zum Ekelhaften in „La Nausée“
3.4. Kunst als Gegenmodell zur „Nausée“
3.5. Nausée als Reaktion des Unterbewussten

4. Patrick Süskind, „Das Parfum“, 1985
4.1. Jean Baptiste Grenouille
4.2. Pesthauch und Blütenduft – Motive des Ekelhaften in der Romankulisse
4.3. Der Menschenduft
4.4. Grenouille, das Tier

5. Grenouille vs. Roquentin

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Motiv des Ekels in den Romanen

„La Nausée“ von Sartre und „Das Parfum“ von Süskind, zwei völlig verschiede- nen Romanen aus verschiedenen literarischen Epochen mit unterschiedlichster Thematik. Dennoch weisen sie, wie sich zeigen wird, einige Parallelen auf, vor allem im Hinblick auf die Funktion des Ekels.

Als Grundlage dient dieser Untersuchung eine phänomenologische Studie aus dem Jahre 1929, die die Grundzüge des Ekels skizziert und nach wie vor ihres- gleichen sucht.

Aurel Kolnai hat 1929 in Husserls Jahrbuch für Philosophie und phänomenologi- sche Forschung den scharfsinnigen und lange Zeit einzigen Versuch unternom- men, das „merkwürdig breite Erstreckungsgebiet“ der gleichzeitig höchst „zuge- spitzten“ Ekelreaktion umfassend zu kartographieren. Die 50 dichten, unerhört unterscheidungsreichen Seiten sind immer noch das Fundament einer jeden Beschreibung des Ekels.1

Aurel Kolnais Aufsatz „Der Ekel“ von 1929 dient bis heute der Ekel- Forschung als Grundlage und bietet sich auch dieser Arbeit als Basis an, da die Studie in zeitlicher Nähe zur Entstehung von Sartres „La Nausée“ steht. Somit wird sie dem Phänomen Ekel auch aus damaliger Sicht gerecht. Kolnais Ausführungen sollen im Folgenden kurz zusammengefasst werden.

2. Phänomenologie des Ekels nach Kolnai, 1929

Kolnai bezeichnet den Ekel als „Abwehr-“ oder „Ablehnungstönung“ und setzt ihn in Bezug zu Missfallen, Hass, Leid, Schaudern und Angst. Letztere sieht er dem Ekel am nächsten, bewertet den Ekel aber dennoch als stärkste aller „Abwehrtö- nungen“.

Ekel ist stets an Körperlichkeit gebunden und als Abwehrreaktion auf „störende Einwirkungen“ zu verstehen. Diese Abwehrreaktion kann in Erbrechen resultie- ren, muss aber nicht. Auf jeden Fall schwingt im Ekel das starke und unaus- weichliche Bedürfnis mit, sich der aufdrängenden Präsenz des Ekelhaften zu entledigen. Wenngleich der Brechreiz zum Ekel dazugehört– er steht nicht im Vordergrund. Die Stärke und Intensität des Brechreizes variieren und sind ab- hängig von der Art des Ekeleindrucks. Besonders stark wird der Brechreiz bei

Ekelreizen stimuliert, die über Geruchs- und Geschmacksnerven aufgenommen werden.

Nach Kolnai sind Geruchs- und Geschmackssinn als Einheit zu betrachten, da sie so eng zusammenhängen. Daneben gelten noch der Gesichts- und Tastsinn als Hauptträger von Ekelempfindungen. Der Hörsinn hingegen ist nahezu irrele- vant, da er eine zu abstrakte Form der Wahrnehmung darstellt und das Nähemo- tiv für das Empfinden von Ekel konstitutiv ist, neben der Voraussetzung dass es sich um irgendwie geartete organische Materie handelt, die olfaktorisch, haptisch oder visuell erfahrbar ist,.

Dies ist das Paradoxe des Ekels: er ist, gleichwie die Angst, eine echte passive Abwehrreaktion des Subjekts auf eine eindeutig daraufhingeordnete, gleichsam hinstrebende Affizierung, und doch sucht er –einmal hervorgerufen– dem Hass ähnlich den Gegenstand in seiner ganzen Wesenheit auf, statt sich nach dem ei- genen Personenstand hin zu entfalten. 2

Ekel erfasst das Subjekt mit einer so unausweichlichen Wucht, weil im Moment der Ekelerfahrung gleichsam die Grenzen des Subjekts verschwimmen. Es kann sich des Ekels nicht erwehren. Kolnai sieht das darin begründet, dass Ekelhaftes immer einem „Objektkreis“ angehört, dessen Gegenstände „ ‚sonst’ eigentlich für einen positiven Gebrauch und Kontakt bestimmt worden wären (Speisen, leben-

dige Wesen)“. Nach Kolnai „setzt Ekel sozusagen ex defenitione eine – unter- drückte – Lust an seinem Erreger voraus“. 3 Ein Hörekel existiert dennoch, wür- de aber, da akustische Signale keine derart massive physische Präsenz, wie bisher vorausgesetzt, hervorrufen können, dem moralischen Ekel zugerechnet. Damit zur nächsten wichtigen Differenzierung des Ekels in physischen und mora-

lischen Ekel. Für jede der beiden Arten gibt Kolnai exemplarisch Typen an, die Ekel im jeweiligen Sinne hervorrufen können.

Für den physischen Ekel sind das Fäulnis, Abfall/Exkremente, körperliche Aus- scheidungen/Sekrete, Schmutz, Tiere (besonders Insekten/ Kriechtiere), Speisen (Speisereste), menschliche Körper, „wucherndes Leben“ (Bsp. Fischlaich) und Krankheit. All diesen aufgeführten Typen des Ekelhaften haftet ein Aspekt der Verwesung, des „zerfallenden Lebens“ an (mit Ausnahme des Schmutzes) oder, im Falle des „wuchernden Lebens“, ein zu viel an Vitalität. Kolnai nennt dies „Le- bensplus“, das gleichzusetzen ist mit Sartres „être de trop“.

Als Typen des moralisch Ekelhaften gibt Kolnai weniger konkretes an. Am wich- tigsten gewichtet er hier den Überdrussekel, der in Analogie zum bereits genann- ten „Lebensplus“ des physischen Ekels zu sehen ist.

Der Überdruß im engeren Sinne tritt nur ein, wenn jenes immerwährende Erleb- nis ursprünglich oder an sich lustbetont war; nicht sowohl der Gegenstand als die Lust an ihm wird ekelhaft. [...] Ein Ekelgefühl hält einen davor zurück, in einem Genusse zu „ertrinken“. Man kann nicht einfach sagen, dass dieser Genuß es zu sein aufhöre; er wird nur schal, wüst, gerät in einen irgendwie fühlbaren Gegen- satz zum Lebenswillen der Persönlichkeit.4

Weitere moralisch ekelhafte Motive sind Lüge, Falschheit, Korruption und morali- sche Weichheit, also alles Dinge, die auf mangelnden Charakter verweisen, man könnte sagen auf verschwommene Konturen des Charakters. Hier zeigt sich wieder analog zum physisch Ekelhaften das Motiv des Schwammigen, Schwab- beligen, Breiigen, Verwaschenen als ein Grundprinzip des Ekelhaften.

Die Verwandtschaft des moralisch Ekelhaften mit dem physisch Ekelhaften ist keine bloße Kopie von Formverhältnissen, vielmehr eine –[...]– inhaltliche We- sensgleichheit.5

3. Sartre, „La Nausée “, 1938

Der Roman „La Nausée“ ist Sartres Erstlingswerk und zugleich der Beginn der philosophischen Strömung des französischen Existenzialismus. Ursprünglich hat- te Sartre seinen Roman „Melancolia“, nach Albrecht Dürers „Melencolia I“6, nen- nen wollen7, den Titel dann aber, nach einer erneuten Überarbeitung, auf Wunsch des Verlegers in „La Nausée“ umgeändert. Heute ziert der Kupferstich

„Melencolia I“ die französische folio- Ausgabe.

The engraving’s shadowy presence in the subtext of the novel indicates the per- sistence and the transformation of an equally shadowy tradition. 8

Der ursprüngliche Titel „Melancolia“ verweist auf die typische ennui - Haltung des

18. Jahrhunderts in Literatur und Kunst, für die auch Hinweise im Text selbst ge-

funden werden können. Bauer baut sogar seine ganze Interpretation von „La Nausée“ auf den Kupferstich von Dürer auf.

The literary tradition of boredom, ennui, spleen, or melancholy is suggested to the reader from his first contact with the bachelor protagonist, […]. The tradition is rich in french literature, […]. Melancholy as a feeling or attitude is frequently em- bodied for these writers and artists in an engraving of Albrecht Dürer, Melencolia

I. […] The change was made [d.i. change of title] but the richness of the relation between the Dürer Melencolia I and the novel remains so striking that it can not be disregarded.9

Nicht alle Aspekte des Wortes „Nausée“ sind in der deutschen Übersetzung

„Ekel“ erfasst, so kann das französische „Nausée“ neben „Ekel“ auch „Brechreiz“ bedeuten.

„La Nausée“ ist ein Roman in Tagebuchform, versehen mit einem „Hinweis der Herausgeber“, es handele sich um Aufzeichnungen, die unter den Papieren des Antoine Roquentin gefunden und, ohne Änderungen daran vorzunehmen, veröf- fentlicht wurden. Dem Leser präsentiert sich alles sehr authentisch, als sei A. Roquentin eine reelle Person.

3.1. Antoine Roquentin

Den Tagebuchaufzeichnungen und dem Hinweis der Herausgeber hat Sartre ein Zitat von Louis-Ferdinand Céline voran gestellt.

C’est un garçon sans importance collective, c’est tout juste un individu.

Damit ist die Figur des Roquentin beinahe schon ausreichend charakterisiert. Roquentin ist 30 Jahre alt, Außenseiter und Einzelgänger. Er muss nicht arbei- ten, denn er bezieht monatlich 14 400 Francs Rente, hat all sein Hab und Gut in Koffern und lebt ausschließlich in Hotels, stets bereit, den Ort zu wechseln, wenn es ihm irgendwo langweilig wird. Er hat keine festen sozialen Kontakte und un- terhält sich auch nicht gern. Seinen Mitmenschen gegenüber scheint er gleichgül- tig zu sein. Zwar beobachtet er sie gerne, aber stets distanziert und unbeteiligt, nimmt er sie nur schemenhaft war.

[...]


1 Menninghaus, Ekel, S.28.

2 Kolnai, Der Ekel, S.525.

3 Ebd., S. 527.

4 Ebd., S.545.

5 Ebd., S.560.

6 siehe Anhang

7 Vgl. De Beauvoir, La force de l’Âge, S. 292f

8 Goldthorpe, La Nausée, S.1.

9 Bauer, Sartre and the Artist, S. 14f.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Das Motiv des Ekels in Sartres "La Nausée" und Süskinds „Das Parfum“
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Germanistisches Seminar, Abteilung für Komparatistik)
Veranstaltung
Hauptseminar: „Literarische Reinigungsrituale“
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V110850
ISBN (eBook)
9783640090020
Dateigröße
632 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Motiv, Ekels, Sartres, Nausée, Süskinds, Parfum“, Hauptseminar, Reinigungsrituale“
Arbeit zitieren
Miriam Gerke (Autor:in), 2006, Das Motiv des Ekels in Sartres "La Nausée" und Süskinds „Das Parfum“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110850

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