Gerwald Rockenschaub


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

20 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Punk, New Wave und bildende Kunst
2.1 Merkmale des Punkrock und des New Wave
2.2 Einflüsse des Punk und New Wave auf Rockenschaubs Malerei

3 Kunst und Werbung
3.1 „Augensex“
3.2 Offizielles Kunstsponsoring

4 Kontextkunst und Techno
4.1 Der White Cube
4.2 Techno – mehr als „Ohrensex“
4.2.1 Merkmale des Techno
4.3 Techno und die Raumarbeiten Rockenschaubs - Vergleichbarkeiten

5 Schlußbemerkung

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der Begriff „Crossover“ ist bekannt aus dem Bereich der Genetik und bezeichnet den Erbfaktorenaustausch zwischen homologen elterlichen Chromosomen. Durch die Basenverschiebung der DNA entstehen Selektionsvorteile- aber auch –nachteile. In der Tierwelt können sich lediglich die Träger vorteilhafter Merkmale durchsetzen.

Übertragen auf das Gebiet der Kunst bedeutet Crossover eine Mischung von unterschiedlichen Stilen oder die Einbeziehung außerkünstlerischer Bereiche, Techniken und Materialien, die sich entweder in der künstlerischen Gesellschaft durchsetzen – oder bald in Vergessenheit geraten. Um eine solche Vermischung zu erkennen, müssen die Bereiche als getrennt bekannt sein.[1]

Der 1952 im Oberösterreichischen Linz geborene Gerwald Rockenschaub wird als der „Grandseigneur der Crossover-Szene“[2] bezeichnet. Nicht nur seine gleichzeitige Betätigung im Bereich der sogenannten Unterhaltungsmusik als Punk - bzw. New Wave - Musiker, später als Techno -DJ, als Graphiker im eigenen Werbebüro und als Künstler im traditionellen Kunstbetrieb bestätigen diesen Titel. Auch in seinem gesamten Werk vom Beginn der 80-er Jahre bis heute lassen sich Crossoververfahren finden, da er die aus der Musik gewonnenen Impulse auf seine künstlerischen Projekte übertrug und dadurch eine Verbindung zwischen „Unterhaltungs“- und „Hochkultur“ schuf. Darüber hinaus brachte er Kunst und Werbung in Zusammenhang. Seine Arbeiten der 90-er Jahre, die sich unter Peter Weibels Begriff der Kontextkunst einreihen lassen, schaffen eine totale Vermengung von Ausstellungsrahmen und Kunst.

In dieser Arbeit soll versucht werden, dasjenige herauszuarbeiten, was mit der Bezeichnung „Crossover“ in Verbindung gebracht werden kann, ohne jedoch die einzelnen Arbeiten vollständig zu besprechen.

2 Punk, New Wave und bildende Kunst

Im Jahre 1980, in der Zeit seines Studiums an der Wiener Kunsthochschule, gründete Gerwald Rockenschaub zusammen mit den Künstlern Gunter Damisch, Sepp Danner und Herbert Brandl die Punkband Molto Brutto. Rockenschaubs Malerei zu Beginn der 80-er Jahre erhielt entscheidende Impulse aus der Beschäftigung mit dieser Musik.

2.1 Merkmale des Punkrock und des New Wave

Als Antwort auf die inzwischen von den Interessen der Sponsoren dominierten Rockmusik, die ihre ursprüngliche Funktion als identitätsstiftendes, authentisches Sprachrohr der Jugend zugunsten eines sich entwickelnden Hochleistungsperfektionismus verloren hatte[3], entstand Mitte der 70-er Jahre in Großbritannien der Punkrock, der die Musik wieder der Musikindustrie entriß und sie auf die Straße zurückholte. Punk bedeutet eigentlich Abfall, Müll oder Mist. Diese Musikrichtung „wurde zum herausfordernden Signum einer jugendlichen Subkultur, die sich in der stilisierten Häßlichkeit ihres Elends spiegelte und musikalisch einem Kult des Dilettantismus frönte, der den studiotechnischen Klangexperimenten der etablierten Bands provozierend ein aberwitziges Lärmen entgegensetzte“[4].

Musikalische Merkmale des Punk sind die äußerste Reduktion der Länge der Songs und der musikalischen Mittel (die Harmonik ist außerordentlich einfach, da sie meistens nur aus drei Akkorden besteht), ihr atemberaubendes Tempo und die ohrenbetäubende Lautstärke, mit der die Stücke dargeboten wurden. Neben der Musik erhielten der Tanz (Pogo) zu dieser Musik, die zusammengestückelte Kleidung (z.B. mit Sicherheitsnadeln aneinander geheftete Stoffreste), Magazine, Poster, Plattencover, die die Musiker zum Teil selbst entwarfen, und Orte der Punkkonzerte gleichrangige, gemeinschaftsstiftende Bedeutung: Crossover auf der ganzen Linie.

Die durch den Punk gewonnenen Impulse zeigen sich bei Rockenschaub auch in seinem Interesse für Mode, Werbung und der Gestaltung von Layouts.[5]

Rockenschaubs Band Molto brutto (Sehr häßlich) entstand als eine der vielen europäischen Punkbands im Gefolge der Ramones, Sex Pistols und The Clash, um nur die bekanntesten Gruppen zu nennen. In einem Interview mit Paolo Bianchi jedoch bezeichnete Rockenschaub den Stil von Molto Brutto mit New Wave, eine Richtung der Rockmusik, die sich in den USA zeitgleich mit dem Punk in Europa entwickelte.[6] Auch hier versuchten die Bands, den überladenen Bombastrock abzulösen. Allerdings „stand hier der künstlerische und intellektuelle Underground einer Avantgarde dahinter, die sich aus Bohemiens, Kunststudenten, Journalisten und Aussteigern verschiedenster Couleur zusammensetzte“[7].

Den New Wave zeichnet das Sampling von Geräuschcollagen, synthetischen Klängen, Performance Art und verschiedener Stile der sogenannten Unterhaltungsmusik aus wie beispielsweise Reggae, Glitterrock, und der prototypische Punk der Ramones. Auch zu diesem Stil entwickelten sich dazugehörige, spezifische Bewegungsabläufe, die in speziell dekorierten Treffs von allen wie gleichgeschaltet ausgeführt wurden, eine eigene Mode und bezeichnende Plattencovers, die Vanitassymbole wie der Totenkopf, die Rose und barocke Schnörkel zierten: Crossover zwischen Musikstilen und zwischen Musik und bildender Kunst, Mode und sogar Raumgestaltung.[8]

2.2 Einflüsse des Punk und New Wave auf Rockenschaubs Malerei

„Punk hatte endlich den überladenen Gitarren- und Bombastrock abgelöst und durch Straffung und Reduktion auf das Wesentliche eine Beschleunigung des Denkens eingeleitet. Für mich war diese Verknappung auf wesentliche Schemata interessant, die auch eine wahnsinnige Dynamik erzeugt hat.“[9] Diese Reduktion der Punkmusik übersetzte Rockenschaub nach seiner anfänglich spontanen, expressiven Malerei in einen Formrigorismus, der ihn spätestens 1987 mit der Ausstellung in der Barbara Gladstone Gallery, New York, mit dem Etikett „New Geo“ zu internationalem Ruhm verhalf.[10]

Erstmals überraschte im Jahre 1983 die Gruppenausstellung „Junge Künstler in Österreich“ der Galerie nächst St. Stephan, Wien, das Publikum „mit popig-bunten, mit witzig-simplen, mit magisch-auratischen (...) Bildern [Rockenschaubs], deren Ausdehnung das handliche Format von 50 x 50cm selten überschreiten, aber umgekehrt bis zur fingergroßen Miniaturikone zusammenschrumpften“[11]. Die Einfachheit der Punkmusik spiegelt sich auch in der asketischen Sparsamkeit der geometrischen, piktogrammartigen, in klaren Farben gehaltenen Zeichen wieder, die zudem lediglich vereinzelt an der Galeriewand angebracht sind und somit die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Entsprechend zu der Abwendung des Punk von der sich immer in raffiniertere Spieltechniken steigernden Rockmusik, die in reich ausgeschmückter Inhaltslosigkeit mündete, kann die reduzierte Malerei Rockenschaubs als Antwort auf die zeitgenössischen „abstrakt-subjektivistischen Maltendenzen in Österreich“[12] gesehen werden. Auch die poppigen, einprägsamen Farben lassen an die knallblauen, -roten, -grünen oder pink- und lila farbenen Haare der Punkgemeinde denken, die das „Spießbürgertum“ schockierte.

Aber auch die intellektuellere Ausprägung des Punk, der New Wave, schlug sich in den Arbeiten nieder. Das Sampling dieser Musikrichtung zeigte sich in Rockenschaubs „Neo Geo“ am Zitieren schon etablierter Kunststile wie beispielsweise dem Konstruktivismus[13] oder der Pop-Art. Außerdem assoziieren die Signets Bekanntes aus der Alltagswelt (Spiegeleier, Augen, Mäuler, Telefontastaturen etc.). Die Zusammenstellung der einzelnen Bilder im Gesamtkontext der Ausstellung, die allein für sich genommen einen reinen, inhaltslosen, d.h. auch unbeschwerten Reizeffekt besitzen, können durch die Installation wieder eine Aussage erhalten, womit der Bezugsrahmen von Bedeutung wird.

Rockenschaub scheint den Charakter des Massenmediums Fernsehen und der sogenannten Kommunikationsmedien in den Rahmen der Kunst zu übersetzen, die „die zunehmende Kodierung unserer materiellen Objektwelt in ein immer schneller zirkulierendes System von immateriellen Zeichen, die von Baudrillard prophezeite ‚semiotische Katastrophe‘, in der die Zeichen von ihren Bedeutungen abgelöst frei vagabundieren und gegeneinander austauschbar werden und die Botschaft auf ein banales Minimalniveau“[14] nivellieren. Wie die Fernsehprogramme bringt Rockenschaub reine Unterhaltung (der pure, sinnliche Reizeffekt der Ölbilder) und das Angebot an Informationen zusammen (die Bedeutung der ausgestellten Bilder im Zusammenhang gesehen), das man annehmen kann oder auch nicht.

Die auf den ersten Blick hermetische Erscheinung der Bilder und „ihre Selbstbestimmtheit fordert geradezu den zweiten Blick heraus, der einem sagt: lies mich (...), erkenne mein Pars-pro-toto und das sich dahinter verbergende Beziehungsgeflecht des Kontextes, oder laß es sein und lies mich nicht“[15]. Hier ist bereits ein erster Ansatz der Thematisierung des Kontextes erkennbar, den Rockenschaub später noch mehr ausarbeiten sollte.

[...]


[1] Vgl. Schneider, Irmela: Hybridkultur. Eine Spurensuche, S.9. In: Thomsen, Christian W. (Hg.): Hybridkultur. Bildschirmmedien und Evolutionsformen der Künste. Annäherungen an ein interdisziplinäres Forschungsproblem, Siegen 1994.

[2] Müller, Silke: Techno-Kunst neu erleben, S.22. In: art, Das Kunstmagazin Nr.3, März 1999, S.10-27.

[3] Vgl. konkretisierend Wicke, Peter: Rockmusik, S.360f. In: Finscher, Ludwig (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume (zweite, neubearbeitete Ausgabe. Bd.9), 1999.

[4] Ebd., S.361.

[5] Vgl. Schmidt-Wulffen, Stephan: Rockenschaub wird Rockenschaub. Ein Kapitel aus der pragmatischen Ästhetik, S. 13. In: Kunstverein in Hamburg (Hg.): Funky Minimal. Gerwald Rockenschaub, Köln 1999, S.7-33.

[6] Vgl. Rockenschaub, Gerwald: „Als DJ liefere ich Sex für die Ohren und als bildender Künstler Augensex.“ Gespräch von Paolo Bianchi, S.221. In: Kunstforum Nr. 135, S.220-224.

[7] MGG, S.361.

[8] Viele Anhänger des Dark Wave beispielsweise staffieren ihre Wohnstätte mit antiken Kerzenständern, Plüschmöbeln, Fledermäusen, Totenköpfen, ausgestopften Tieren aus – und haben oftmals ihr Bett durch einen Sarg ausgewechselt.

[9] In: Schmidt-Wulffen, S.18.

[10] Vgl. Paolo Bianchi im Gespräch mit Rockenschaub, Kunstforum Nr. 135, S.222.

[11] Brüderlin, Markus: Augensex oder eine ästhetische Position im Zeitalter der Semiokratie, S.129. In: Kunstforum Nr.89, S.129-133 und S.143-144.

[12] Brüderlin, Markus: Mein Name ist Rockenschaub, ich bin Maler, S.11. In: Wiener Secession (Hg.):Gerwald Rockenschaub. Kunst Kontext Kritik, Wien 1994, S.11-13.

[13] Vgl. Schmidt-Wullfen, S.18.

[14] Brüderlin in Kunstforum Nr.89, S.131.

[15] Huemer, Markus: Phantasia. Zum Werk von Gerwald Rockenschaub, S.90. In: Kreuzmeyr, Charlotte (Hg.): Parnass, Heft 4/97, Wien 1997, S.88-93.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Gerwald Rockenschaub
Hochschule
Universität zu Köln  (Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Crossoververfahren in der Kunst des 20. Jahrhunderts
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
20
Katalognummer
V11084
ISBN (eBook)
9783638173414
Dateigröße
394 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kontextkunst, Kunst und Werbung, Kunst und Techno, Rockenschaub, New Wave, Punk, White Cube
Arbeit zitieren
Carolin Pirich (Autor:in), 2000, Gerwald Rockenschaub, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11084

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Titel: Gerwald Rockenschaub



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