Die Problematik einer negativen Einkommensteuer


Diplomarbeit, 1980

78 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen

Einleitung

1 Garantiertes Mindesteinkommen zu Beginn des Kapitalismus
1.1 Zur Geschichte des Pauperismus
1.2 Technischer Wandel und Arbeitsmarkt
1.3 Das Speenhamland-System der Armenhilfe
1.4 Die Entstehung des Arbeitsmarktes
1.4.1 Die Herausbildung eines neuen Menschentyps
1.4.2 Die Rolle der Armenfürsorge
1.4.3 Materielle Anreize und Kultur

2 Der Dualismus von Fürsorge und Arbeitsmoral
2.1 Kapitalismus und Almosen
2.2 Minderheiten ökonomische Entwicklung und Widerstand
2.3 Die Funktionen der öffentlichen Sozialhilfe
2.4 Die „Welfare-Explosion“ der 60er Jahre
2.5 Grenzen des Welfare-Systems
2.6 Das Konzept einer negativen Einkommensteuer
2.7 Bilanz der Negativ Income Tax-Experimente
2.7.1 Resultate aus New Jersey-Pennsylvania
2.7.2 The Gary Negative income Tax Experiment
2.7.3 Das Seattle-Denver Experiment

3 Beiträge der ökonomischen Theorie
3.1 Kritik am neoklassischen Ansatz der NIT
3.2 Die Frage des Krisenzyklus

4 Schlussbemerkung

Anhang 1

Anhang 2

Literaturverzeichnis

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Mathematische und andere Symbole werden im Text erklärt.)

Einleitung

Zwischen den Transferleistungen des Staats und den Aufwallungen der Un­zufriedenen in der Gesellschaft gibt es wechselseitige Beziehungen. Es gibt eine umfangreiche Literatur zur Frage, inwieweit Sozialhilfe soziale Konflikte eindämmt und Widerstände diszipliniert. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Situati­on in Westdeutschland. Da die sozialen Widersprü­che in den USA jedoch schärfer ausgeprägt sind, werde ich mich auf die Entwicklungen dort beschrän­ken müssen, um die Aussagen schärfer formulieren zu können.

Das Forschungsinteresse geht über die Frage der Disziplinierung von sozialen Konflikten hinaus. Geld ohne Arbeit hat zu Anfang unseres Wirtschaftssystems eine große Rolle gespielt. Hat Geld eine ähnliche Funktion auch bei der Zukunft der Arbeit? Mit anderen Worten: Kann die Vergabe von öffentli­chen Mitteln zum Aufbau alternativer Gegenstruktu­ren innerhalb einer Industriegesellschaft dienen und so zur Überwindung von ökonomi­schen und ökologischen Krisen beitragen?

Bei dem heutigen Krisenszenario geht es um die Krise des Keynesianischen Projektes in den 1970er Jahren. Das auf Vollbeschäftigung ausgerichte­te Krisenmanagement machte die Arbeiter und die Gewerkschaften in ihren Forderungen selbstbewusst. Ein ersten Knacks erhielt die keynesianische Wirtschaftspolitik durch die Krise 1966/67, dem Ende der westdeutschen Restrukturierung. Das gesteigertes Selbstbewusstsein der Beschäftigten äußerte sich in hohen Lohnfor­derungen, spontanen Arbeitsniederlegungen im September 1969 und die Antiinflationsstreiks des Herbstes 1973. Gleichzeitig wandelte sich das Potenzial für solche Aktionen: Wurden die Septemberstreiks 1969 noch durch den Typ des qualifizier­ten Facharbeiters, des Stahlarbeiters, geprägt, so war das bei der Streikwelle des Jahres 1973 anders. Die unqualifizierten Massenarbeiter führten die Streik an, jene, die 'repetitive Teilarbeit' (vgl. Kern/Schumann) leisten.

Spätestens hier zeigt sich die "innere Dynamik des keynesianischen Pro­jekts". Die Stärkung Arbeitermacht durch Keynes ruft Reaktionen des Kapitals hervor, welche sich so interpretieren lassen: Die Arbeiter produzieren die Krise (Güntheroth 1976: 41-90). Dieser These möchte ich mich aus folgen­den Gründen anschließen. Das Kapi­tal reagiert auf die Provokationen der nicht gewerkschaftlich organisierten und diszi­plinierten Beschäftigten auf zweierlei Weise. Seit der neuen Qualität der Streikwelle sind verstärkte Anstren­gungen zu beobachten, lebendige durch die tote Arbeit zu ersetzen, also der Tendenz zur Vollautomatisie­rung der Produktion und der Verwaltung. Außer­dem ersetzt die Angebotspolitik zusehends die Nachfragepolitik, was die Machtposition der Beschäftigten insgesamt schwächen und die Einkom­mens­verteilung umkehren könnte.

Hieran wird deutlich, dass die Ursachen des techni­schen Wandels - der Begriff Fortschritt soll ab­sichtlich vermieden sein - nur aus den Bedingungen der Akkumulation des Kapitals erklärt werden kann. Die Produktivkraftentwicklung ist somit keine exo­gene Größe, Ergebnis des Erfinder- und Ideenreich­tums, sondern Resultat sozialer Konflikte zwischen Arbeit und Kapital. So gesehen, drehen sich die Auseinandersetzungen zwischen den sozialen Klassen der Gesellschaft nicht nur um die Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten Volkseinkommens, sondern und speziell um die Arbeitsbedingungen in den Be­trieben.

Den Bemühungen der Rationalisierung, der Steigerung der Arbeitsproduktivität - häufig in Gestalt der Humanisierung der Arbeitswelt[1] -, folgte die Umstrukturierung der Beschäftigtenstruktur, was am Beispiel der Druckindustrie, aber dort nicht zu­letzt, deutlich wird. Zudem wird in Form der Mikro­prozessortechnologie deutlich, dass tendenziell je­der Arbeitsplatz durch den Roboter ersetzbar ist (Busse 1978). Hier scheinen wir erst am Anfang einer Entwicklung zu stehen, die auch Klein- und Mittelbetriebe in die Rationalisierungsoffensive mit einschließt.

Damit wird außerdem fraglich, ob der Prozess der Tertiarisierung ungebremst weiter läuft. Vermutlich werden die überflüssigen Arbeitskräfte nicht mehr so einfach im tertiären Sektor (Fourastie-These) absorbiert werden. Diese Hoffnungen verflüchtigen sich spätestens seit der Krise von 1974/75, in der zum ersten Mal deutlich wur­de, dass auch der Angestelltenbereich durch die Technik einbezogen wird und eben keine neu Nachfrage nach Dienstleistungen entsteht,auch der Sozialbereich nimmt keine überflüssigen Arbeitskräfte auf.[2]

Die Krise des Marxismus spiegelt eine kaum wieder gut zu machende Hilflosigkeit angesichts dieser Phänomene wider.[3]

In der offiziellen Politik schwört man sich auf eine Sockelarbeitslosigkeit von einer Million Arbeitslose. Ist das Ende der Vollbeschäftigung erreicht und Einkommensarmut weiter Bevölkerungskreise abzusehen? Streben die Menschen überhaupt nach einer lebenslanger Dauerstellung oder suchen sie zumindest zeitweise nach anderen Formen der Arbeit? Leu­te sind immer weniger gewillt, sich den Bedingungen der Arbeit zu unterwerfen, oder - und dies wird deutlich anhand der Problematik der Jugendarbeitslo­sigkeit - sie haben noch nicht einmal Gelegenheit, sich den Arbeitsbedingungen zu stellen.

Welches sind die Ursprünge der Sozialpolitik? Nicht erst seit einer amerikanischen Studie, die prüfen sollte, ob der Einsatz von schweren Waffen, die Bom­bardierung von durch Aufstände heimgesuchten Stadt­kernen, oder eher die Vergabe von Sozialmitteln vor der schweigenden Mehrheit zu legitimieren sei, wird der Eindruck vermittelt, dass es sich bei der öffentlichen Wohlfahrt durchaus um 'verdeckte' Mi­litärausgaben handeln kann: die Gesellschaft sei vor dem Pöbel zu schützen und zwar durch Sicherung von Subsistenz und Moral, entweder, indem "der reichen Klasse die direkte Last auferlegt (wird), was gegen das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft... wäre", oder indem die Gesellschaft durch öffentliche Arbei­ten "die mit der Armut... verknüpfte Gesinnung,... die innere Empörung (der Armen, KUG) gegen die Rei­chen" angeht (Hegel 1976: 389 f. (§ 244).

Heute - im Unterschied zu der Zeit, in der Hegel dies schrieb - treten zwei Dinge auf: das Problem der Legitimation des immensen Reichtums bei wachsen­der Armut und die Unfähigkeit der Industrieländer, auch mit den raffinierten Methoden der 'Informations­technik' Normen und Werte der Arbeit zu befestigen. Die Gründe hierfür werden von mir in der Dynamik des Entwicklungsprozesses von Kooperation – Arbeitsteilung - große Ma­schinerie gesehen (Marx 1972: 341-530).

Zwei bedeutende Lösungsstrategien, die geeig­net wären, die überkommene, undurchsichtige, unkal­kulierbare Struktur des sozialen Netzes der sozialen Sicherheit zu gestalten, werden m.E. durch die sozi­alpolitischen Instrumente der social-divident taxation und der negative-income tax (NIT) beschrie­ben .

Die Idee der Sozialdividende wurde im 2. Weltkrieg als eine Art Gesellschaftsvertrag entwickelt.

“abandonment of the strange Convention, derived from the old ideas of private charity, that the State must on no account assist any of its Citi­zens unless they are either destitute or sick, and the Substitution for it of the democratic principle that the State owes precisely the same benefits to anyone of its Citizens. On this basis, if assistance is to be given to any, it must be given to all.” (Rhys-Williams 1953: 121)

Das Entscheidende dieses Konzepts ist erstens, dass jedermann sich des Staats als Wohlfahrtsinstitution bedienen und mit dem Staat sozusagen einen Rousseauschen Gesellschaftsvertrag schließen kann. Die Fi­nanzierung würde, so Rhys-Williams, über das allge­meine Steuersystem erfolgen. Zweitens scheint die Gewährung völlig frei von irgendwelchen Restriktio­nen zu sein, die z. B. unser Sozialhilfesystem aus­zeichnet.

Das andere Konzept zur Effektivierung des Wohlfahrts­systems geht auf Friedman zurück, ein überzeugter Konservativer, der vorschlägt, die Sozialfürsorge solle anstatt durch privat ver­gebene Mittel, Almosen, besser über den Staat orga­nisiert werden. Dieser müsse die materi­elle Anreize geben, damit sich die Unterklasse an den Normen der Gesellschaft beteiligt. Es sollten Gelder an Arme gezahlt werden, so dass jeder zusätzlich verdiente Dollar diese besser stel­le, als wenn sie ausschließlich von der Fürsorge leben würden (Friedman 1962: 190-195).

Ein weiteres - vornehmlich in Großbritannien disku­tiertes - (keynesianisches) Konzept schlägt vor, Lohnzuschüsse (wage subsidies) zu gewährleisten (Kaldor 1969). Das System der Lohnzuschüsse blickt gerade in England auf eine sehr interessante Geschichte zu­rück, die Geschichte des Speenhamland-Systems (SLS), von dem K. Polanyi (1978) sagt, es bildete den marktwirt­schaftlichen Arbeitsmarkt heraus, indem es die Masse der Bevölkerung jeder kulturellen Verbundenheit be­raubte.

Hierauf werde ich im ersten Kapitel eingehen; die­ses Konzept entspräche organisatorisch den Bundes­deutschen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Dadurch, dass das SLS ein System von Lohnzuschüssen war, subventionierte es das entstehende Fabriksystem. Die hierdurch begünstigten Unternehmer waren so in der Lage, Maschinen einzuführen und die Arbeitspro­duktivität zu erhöhen.

Die Entwicklung in den USA - und das ist das zweite Kapitel - zeigt, dass die Gewährung von Sozialhilfe durch politische Kräfte bestimmt wird. Die Wohl­fahrtszahlungen werden eingeschränkt oder ausgewei­tet, jedoch niemals ganz aufgelöst, Die technische Entwicklung setzt immer mehr Leute frei, zuerst in der Landwirtschaft, dann in der Industrie, zuletzt im Dienstleistungssektor. Teile der Herrschenden ha­ben den Eindruck, man müsse angesichts dieser Ent­wicklung, der Eigendynamik von Widerstand und tech­nischer Entwicklung, den Reproduktionsbereich in den Griff bekommen. Der Sozialbereich hatte immer schon eine Befriedungsfunktion gegenüber den kritischen Ele­menten der Gesellschaft.[4]

Das Instrumentarium der neoklassischen Wissenschaft forscht nach den Präferenzen zwischen Einkommen und Freizeit freier Individuen. Sie kommt zu dem Ergeb­nis, dass eine NIT die Arbeitsangebote nur minimal re­duziert und dass sie so durchaus als Mittel in ihrem Interesse einsetzbar erscheint. Lediglich die Höhe der gewährten Mindesteinkommen verändert das Verhal­ten der untersuchten Personen. Dieser Theorie sind jedoch wesentliche Lücken zu eigen.

Die Begründung des letzten Kapitels liegt in der Überlegung, dass gerade der kapitalistische Krisen­zyklus die Entwicklung der Technologie beschleunigt. Entwicklung der Technik und staatliche Planung des Wirtschaftsprozesses laufen parallel.

Die Grundthese der Arbeit ergibt sich aus dem Wider­spruch zwischen Veränderung der Produktivkräfte bei gleichzeitiger Erhaltung des Systems der Arbeit. Die Arbeitsethik als Grundpfeiler des Kapitalismus wird folgendermaßen versucht zu erhalten: Die NIT soll als Anreizsystem zur Anbindung an die Werte der Gesell­schaft dienen. Arbeitsloses Einkommen und die Ge­währleistung der Voraussetzung des Systems, der Ar­beit, laufen gegenläufig. Meine hieraus abgeleitete These ist, dass Sozialleistungen am Anfang und am Ende der Blütezeit des Kapitalismus stehen.

Das Grundproblem der staatlichen Fürsorge wird im Vorhandensein zweier Ämter deutlich: dem Arbeits- und dem Sozialamt. Die Konzepte, welche sich wesentlich auf das Arbeitsamt beziehen, wage-subsidies, social dividend - werden im folgenden ausgeblendet. Wenn ich mich hier dem Sozialamt 'widme', dann geschieht das aus der Fragestellung heraus, was passiert, wenn die Freisetzungen infolge des technologischen Wandels, vor allem die freiwillig oder unfreiwillig beschäftigungs­los oder arbeitsunfähig Gewordenen (Drop-outs) tref­fen, deren Entfernung von den traditionellen Werten der Arbeit und somit der Gesellschaft die Existenz der Gesellschaftsordnung zu unterminieren droht.

1 Garantiertes Mindesteinkommen zu Beginn des Kapitalismus

1.1 Zur Geschichte des Pauperismus

Das historische Beispiel für die Zahlung von Mindest­einkommen stellt das durch die Theorie lange verkann­te Speenhamland-System in England von 1795 - 1834 dar. Im folgenden werde ich die Grundbestandteile dieses paradigmatischen Konzepts darstellen und überlegen, welche verallgemeinerbaren Tatbestände auch für unse­re Zeit daraus folgen können.

Seit dem 11. Jahrhundert vollzog sich in Europa ein Wandel, der alles bisher Vorherrschende aufzulösen begann:

- Auftreten von Mischformen zwischen Arbeitsrente und Naturalrente, d. h. erste Formen von Lohnar­beit;
- Übergang von Natural- in Geldrente;
- Auflösung der Leibeigenschaft;
- Entstehung der Städte als mittelalterliche Hand­werkszentren und Knotenpunkte des zunftmäßig or­ganisierten Handels;
- Auftreten des Fernhandels, was erstmals zur Akku­mulation von Überschüssen führte;
- Ausdehnung des Handels auf einheimische Produkte (Herausbildung der Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land);
- Entstehung des Verlagssystems und der Heimindustrie;
- Gleichzeitig Gründung von Manufakturen.

Durch diese Punkte wird der Zwang zur Einordnung in ein Marktsystem beschrieben; Zum einen erforderte die Zahlung der Geldrente die Produktion von Produkten, die gegen Geld getauscht werden mussten; zum anderen wurde durch die Arbeitsteilung die Notwendigkeit ge­schaffen, sich die Produkte zu beschaffen, die nicht mehr für den Eigenbedarf produziert wurden.

Die 2. Welle der Entstehung der Armut hängt zusam­men mit der Einfriedungspolitik der Tudorzeit (1485 - 1603) (1) und den Folgen des Niederlassungsgesetzes von 1662.[5] Dennoch bildeten diese verarmten Massen zu Ende des 17. Jahrhunderts keine Gefahr mehr, etwa die Gefahr von Volksaufständen, sondern belasteten bloß die Zuschussfonds (Polanyi 1978: 148).

Die im Gegensatz hierzu gegebenen Erklärungen sollen nicht im Einzelnen diskutiert werden, da hierzu im Besonderen auf die Interessenlage der einzelnen Ver­treter eingegangen werden müsste. Als Ursache für die Zunahme der Armen seien deshalb kurz folgende Erklä­rungen erwähnt, um einen Einblick in die Wissen­schaftsvorstellungen zu geben: Getreidemangel, zu hohe oder zu niedrige landwirtschaftliche Löhne, zu hohe städtische Löhne, konjunktu­relle Schwankun­gen und ungleichmäßige städtische Beschäftigung, von religiösem Fanatismus geprägte Essgewohnheiten, Rausch­giftsucht, Verwendung neuer Nutztiere in der Land­wirtschaft oder der Genuss von Tee, der einmal für gesund, das andere Mal für ungesund gehalten wird. Als Lösung wurde auch diskutiert, "die Armen sollten weniger oder überhaupt kein Brot mehr essen." (Polanyi 1978: 130)

Polanyi begründet die Ursachen der Armut "in sehr starken Schwankungen des Handels." (Polanyi 1978: 131)

Alles in allem galten die Armen als Müßiggänger. Zuerst kamen die Quäker auf den Gedanken, dass der Pauperismus "unfreiwillige Beschäftigungslosigkeit (als) Ergebnis irgendeines Fehlers in der Arbeitsorganisation" sein müsse (Polanyi 1978: 149).

Zur Abhilfe dieses Problems wurden etliche Pläne ge­schmiedet, wobei man zum Ergebnis kam, dass mit den Armen auch Geld zu machen sei. Erwähnt seien die Ge­werbevereinigungen eines John Bellers aus dem Jahre 1688, das Arbeitstarif System John Lockes (1696), die Vorstellungen Jeremy Benthams 'Panopticon', wonach die Armen als Antriebsmaschinen eingesetzt werden (1794) und Gewinn abwerfen sollten, die durch Robert Owen wiederveröffentlichten Pläne zur Gründung von Gewerbsgenossenschaften, was Bellers zuerst vor­schlug, das "phalanstère" Charles Fouriers oder die Tauschbanken Proudhons (1848).

Die vorgenannten Lösungsvorstellungen bezeichnet Polanyi mit Daniel Defoe als illusorisch, da die in öffentlichen Institutionen eingesetzten Armen, die übrigens für einen minimalen Lohn arbeiten sollten, "bloß mehr Arbeitslosigkeit in den privaten Manufak­turen bewirken würden" (Polanyi 1978: 154). Aber, und das ist das Paradoxe, im 18. Jahrhundert stieg das Volumen des Handels, also auch der Reichtum, und gleichzei­tig verschärften sich die Probleme des Pauperismus (Polanyi 1978: 123).

1.2 Technischer Wandel und Arbeitsmarkt

Die ökonomische Landschaft änderte sich schlagartig zu Ende des 18. Jahrhunderts, als das Gewerbe auf­hörte, Anhängsel des Handels zu sein (1) und sich zum Fabriksystem ausweitete (Polanyi 1978: 110).

Die neuen Fabrikationsstätten entstanden vornehm­lich in vormals ländlichen Regionen und gerade nicht in den mittelalterlichen Städten. Allerdings sah die Aristokratie des Dorfs nur 'Belastungen', die in der Zunahme der Armut (in Krisenzeiten) und dem Ansteigen der landwirtschaftlichen Löhne begründet wurden, denn im Gewerbe wurden bis dahin höhere Löhne gezahlt (Polanyi 1978: 135).

Das die Freizügigkeit der Unterschichten behindernde Niederlassungsgesetz von 1662 war noch bis 1795 in Kraft, die Schaffung eines Arbeitsmarkts stand noch aus. Gleichzeitig herrschte ein Lohngefälle zwischen Gewerbe und Landwirtschaft, das auf den Pauper des Lands eine hohe Anziehungskraft auszuüben schien, während die Landlords das Lohnniveau in der Landwirt­schaft nicht anzuheben gedachten. Dennoch schienen sie um die dörfliche Herrschafts- und Produktionsstruk­tur infolge einer befürchteten Massenabwanderung be­sorgt zu sein.

Es liegt nahe, zu untersuchen, warum das Niederlas­sungsgesetz 1795 wenn nicht abgeschafft, dann zumin­dest doch eingeschränkt wurde. Zu vermuten wäre po­litischer Druck des aufstrebenden Bürgertums aufgrund seines Bedarfs an Arbeitskräften. Unterschiedlich zum Kontinent waren das z. T. Neuadlige, die in England aufgrund irgendwelcher Verdienste in den Adelsstand erhoben wurden.

An der Abschaffung des Niederlassungsgesetzes wer­den die Klassenauseinandersetzungen zwischen landed gentries und dem entstehenden Fabriksystem deutlich Letztendlich führte der 'Kompromiss' dieser Interes­sen zur Modifikation des Niederlassungsgesetzes. Wäre es von den landwirtschaftlichen Interessen un­beantwortet geblieben, wären Arbeitskräfte in das Gewerbe abgezogen und es wäre zum Mangel an Arbeits­kräften in landwirtschaftlichen Spitzenzeiten gekom­men (zur Saat und Ernte).

Außerdem wurde ein Ansteigen der ländlichen Löhne erwartet. Diese Entwicklung sollte aber durch das Antikoalitionsgesetz verhindert werden. Mit der Freizügigkeit der Arbeiter wäre der Arbeitsmarkt indessen installiert worden und hätte die feudalen Herrschaftsverhältnisse allemal geschwächt.

Im Sinne dieser Befürchtungen initiierten die Frie­densrichter dann 1795, also im selben Jahr der Auf­lösung des Niederlassungsgesetzes, das Speenhamland-System (SLS) der Armenbezuschussung.

1.3 Das Speenhamland-System der Armenhilfe

Dieses den Interessen der Dorfaristokratie entsprech­ende Instrument der Behinderung der Freizügigkeit der Arbeiter - Wohlfahrtsinteressen können den Landjunkern und Pfaffen nicht unterstellt werden -, bildete das im Frühsommer 1795 von dem Friedensrichter von Berk­shire in der Gemeinde Speenhamland bei Newbury be­schlossene System gleichen Namens. Es sah vor, zu­sätzlich zu den Löhnen einen an den Brotpreis gebunde­nen Tarif zu gewähren (Polanyi 1978: 114). (Brot war bis zur Einführung der Kartoffel aus Südamerika das Nahrungsmit­tel der Armen.) Damit war das Überleben der Armen gesichert; niemand brauchte sich vor dem Verhungern zu ängstigen. Obwohl mit dieser Form der Armenhilfe effektiv ein "Recht auf Lebensunterhalt" unabhängig von der realen Leistung während der Arbeit zugestan­den wurde, bestanden gleichzeitig scharfe Gesetze gegen Landstreicherei, welche zusichern sollten,dass die vorwiegend ungelernten Arbeiter diese Maßnahme nicht als reizvolle Angelegenheit betrachteten, Un­terstützung zu kassieren, ohne sich den Zwängen der Arbeit zu unterziehen. Auch im heutigen Sozialhilfe­system der BRD kennt man die Praxis, arbeitsscheue Sozialhilfeempfänger zu Zwangsarbeiten heranzuziehen (z. B. Laubfegen für 1,50 DM/Stunde).[6]

Klar ist, dass die so Behandelten ihre Arbeitsinten­sität unter solchen Umständen möglichst herabsenken werden. Das auf Lohnzuschüssen basierende System senkte die Löhne von Gewerbe und Gutshof unter das absolute Existenzminimum, weil die Bezahlung der Ar­beiter sukzessive auf den Sprengel-Fond abgewälzt wurde. Dafür spricht die expandierende Summe der Ar­menzuschüsse von 1796 (2 Mio. £) bis 1818 (8 Mio. £). Danach sank die Summe der Zu­schüsse wieder ab (2), weil die Klagen der Beitrags­zahler in etlichen Landstrichen zunahmen (Polanyi 1978: 140; 156). Hingegen betrug die Summe der Zuschüsse gemessen an den öffent­lichen Einkünften, z. B. in "Südengland, das am schwersten (von der Armut, KUG) betroffen war, ... nicht ganz 3,3 %" (Polanyi 1978: 140).

Dies sei eine durchaus tragbare Belastung angesichts der Tatsache, dass ein erheblicher Teil dieser Summe „den Armen in Form von Löhnen hätte zukommen sollen“ (Clapham, in: Polanyi 1978: 140).

Die Beiträge zur Armenhilfe wurden zwar vom Dorf aufgebracht, aber während die Grundherren durch die Nutzung der Arbeitskraft profitierten, schwächte dies vor allem die ländliche Mittelschicht (Polanyi 1978: 133 f.). Außerdem "bewahrte das Armenrecht England vor der Revolution" (ebenda: 134).

1.4 Die Entstehung des Arbeitsmarktes

1.4.1 Die Herausbildung eines neuen Menschentyps

Das Speenhamland-Systems (SLS) demoralisierte die ehemaligen Freibauern oder Erbpächter vor allem durch ihre Vertreibung in Elendsquartiere oder in die Arbeitshäuser. Das SLS beraubte sie jeglich­en Einflusses auf ihr indivi­duelles Schicksal (Polanyi 1978: 142).

Dies aber nur teilweise, denn die Rechnung wurde oft­mals ohne die Arbeiter gemacht, die allerlei Formen von Selbsthilfe entwickelten. Sie besserten entweder ihre „Stütze“ durch Fischen oder Wildern auf (Polanyi 1978: 142) oder sie erweiterten seinen Speiseplan durch selbst angeleg­te Kleingärten (ebenda: 149 f. und 389). Dies war illegal und wurde häufig genug be­straft.

Etwa in der Mitte des 18. Jhd. waren die Einhegun­gen abgeschlossen (Grünert 1967: 272). Die Revolution in der Landwirtschaft erfüllte einen doppelten Zweck. Zum einen stieg die Wollpro­duktion durch eine größere Zahl der Schafsherden an. Zum anderen verloren die „Kleinhäuslern“ ihre Gärten und Grundstücke, welche die Familieneinkünfte aufbesserten (Polanyi 1978: 133).

Selbst als deutlich wurde, dass die Armut sowohl auf dem Land als in den Städten wuchs, verweigerten die Grundherren jegliche Maßnahmen, die den Arbeiter von der Sprengelhilfe unabhängig machten. Ihre Begründung für die Sprengelhilfe war, dass diese die Arbeiter durch die auferlegten Beschränkungen stets verfügbar machte.[7] Was den einen zu nützen schien, schadete mithin den anderen und erklärt, weshalb die Grundherren gegen die Aufhebung der Armen­hilfe waren.

Unabhängig von Einzelinteressen führte die demoralisierende Wirkung der Sprengelhilfe zur Konstitution eines kapitalistischen Arbeitsmarktes. Nur durch eine über zwei Generationen hin verelendeten Unterschichten, die nichts anderes besaßen als ihre Arbeitskraft, konnten sich der Fa­brikmoral unterordnen.

Als dieser Prozess abgeschlossen war, wurden die feudale Ordnung hinfällig und 1834 ein neues Armengesetz eingesetzt. Dadurch entstanden zwei Arten von Armen: die Arbeitsfähigen und die total Unfähigen, die in zuchtmäßig geführ­ten Armenhäusern verwahrt wurden. Diese Trennung voll­endete den Prozess der Bildung des Proletariats als Klasse von Lohnarbeitern auf der einen Seite und die Armenhäusler auf der anderen, auf die man heute noch mit Verachtung blickt.

1.4.2 Die Rolle der Armenfürsorge

"Wenn die begüterten Schichten darüber klagten, dass die Belastung durch die Armenzuschüsse immer schwe­rer wurde, dann übersahen sie dabei, dass es sich in Wirklichkeit um eine Versicherung gegen die Revolu­tion handelte..." (Mantoux, in: Polanyi 1978: 117).

Obzwar die Revolution, d. h. die Bürgerliche, nicht verhindert werden konnte, so wurde sie doch um 40 Jahre verzögert, wie Polanyi oft wiederholt. Die dann durchgeführten politischen und ökonomischen Verände­rungen wurden nach dieser Zeit aber umso durchgrei­fender. Diese Nachhaltigkeit impliziert eine para­dox erscheinende Kausalität: Die Transformation hin zum Industriellen Kapitalismus erfolgt faktisch erst mittels einer Maßnahme, die diese Transformation ver­hindern sollte.

Eine Auflösung hierzu ergibt sich aus dem Vergleich mit anderen Formen der Sozialhilfe:

(1) Das SLS war ein Lohnzuschusssystem. Es subventionierte die Anwender der Arbeitskraft. Damit wurden die Lohnrate des Gewerbes und der Landwirtschaft vermindert. Während im entstehenden Fabriksystem dieser Vorteil für die Anschaffung von Maschinen genutzt wurde, erhöhte sich für die Grundherrn lediglich die konsumtive Revenue. Wir werden wei­ter unten sehen, dass der heutige Streitpunkt, ob garantierte Mindesteinkommen,die vom Unternehmen bezahlt werden, oder öffentliche Zuschüsse zur Erhöhung des Einkommens der Armen gewährt werden, in ihrer Wirkung ähnliche Probleme tangieren. Heute, im Vergleich zu damals, treffen wir hinge­gen auf völlig unterschiedliche Voraussetzungen, nämlich auf den gewaltig veränderten Stand der Produktivkräfte, der die Beschäftigungslosigkeit. Vieler erzwingt und wodurch sich die Alterna­tive billige Arbeitskräfte einerseits und Tech­nik andererseits nicht mehr stellt.

(2) Das SLS wird in einer gesellschaftlichen Umbruch­phase eingeführt. Lohnarbeit existierte zwar auch auf dem Land, noch kam es aber nicht zur Umstruk­turierung der Produktionsweise auf dem Land durch die Mechanisierung der Landwirtschaft. Erst um1815 wurden Dreschmaschinen eingeführt (Vester 1970). Gleich­zeitig entstand in bestimmten ländlichen Regionen, nämlich in West- und Mittelengland, das Fabrik­system.

In der Auseinandersetzung der sozialen Gruppen der Gesellschaft sollte das SLS offenbar die tra­ditionelle Herrschaft der landed gentries sich­ern, die durch die sprunghafte Entwicklung der aufeinander bezogenen Bereiche der Ökonomie (Land­wirtschaft und I Industrie) massiv gefährdet schien.

(3) Die Frage, ob Sozialausgaben kontrollierend wir­ken oder nicht, entscheidet sich an ihrer Orga­nisation, Eine lokale Verwaltung sichert den Über­blick über das dörflich,regionale Armutspotenzial zu, was von entscheidender Bedeutung für eine lo­kale Ökonomie dann sein kann, wenn es, wie in der Landwirtschaft, saisonale Unterschiede in Bedarf an Arbeitskräften gibt. Ein zentrales, gesamt­staatliches System verwehrt diesen Einblick. Das SLS war, wie die Zuschüsse in USA ebenfalls, oder in der BRD, lokal verantwortet und verwaltet. Dies ist typisch in einer Agrarökonomie.

Damals wurde die Mittelvergabe gestoppt durch die "tödliche Falle" der Armenzuschüsse(Polanyi 1978: 115):

Kein Arbeiter hatte ein materielles Interesse da­ran, seinen Arbeitgeber zufriedenzustellen; in der Folge fiel die Arbeitsproduktivität unter ein für die Fabrikanten zumutbares Maß herab, welches die Arbeit "von Zeitvertrödeln oder Scheinarbeit kaum mehr zu unterscheiden" schien (Polanyi 1978: 116).[8] Somit dokumen­tiert sich, warum sowohl Guts- als auch Fabrikherrn das SLS 1834 auflösten und die Arbeitsproduktivität durch teure Maschinen wiederherstellten.

In der Zeit des Speenhamland-Systems hatten die qua­si administrierten Löhne faktisch keinen Marktwert, die Arbeitgeber fanden bei jeglichem Lohn Arbeitskräfte die allerdings von der Summe aller Beitrags­zahler finanziert, nur den Nutznießern zugute kamen. Ein Arbeitsmarkt, der diese Entwicklung hätte ein­dämmen können, entstand erst als Folge des SLS. Dort, wo ein von der Arbeitsproduktivität unab­hängiges Mindesteinkommen gezahlt wurde, konnte die Lohnhöhe nicht als materieller Anreiz zur Stei­gerung individueller und gesamtgesellschaftlicher Schaffenskraft dienen. Erst als jegliches Armenrecht abgeschafft wurde, und ein Markt sich für die Ware Arbeitskraft herausbildete, waren Produk­tionsergebnis und Entlohnung aneinander gekoppelt. Die Blütezeit des Kapitalismus konnte beginnen, weil Arbeit wie andere Produktionsfaktoren handelbar wurden.

1.4.3 Materielle Anreize und Kultur

Wir sahen, dass das SLS einen neuen Menschentyp schuf. Das war wichtig für die dann folgende Wirtschaftsweise. Vorher existierten nämlich die sozio-kulturellen Vor­aussetzungen hierfür nicht, dass materielle Anreize zur Steigerung der Leistungsmotivation führen, so wie es uns geläufig ist.

Eine unter Ökonomen nicht unwesentliche Meinung geht von der Überzeugung aus, Arbeiter seien nur mit Pres­sionsmitteln zur Arbeit anzutreiben.

Dies waren damals primär physische Motivationsverstär­kungen, wie etwa bei Hobbes die Angst, die von Dikta­toren auf die Arbeiter ausgeübt werden solle (Hobbes 1839). Der die Grundlagen der Bevölkerungstheorie legende Townsend benutzt ein Gleichnis von Hunden und Ziegen auf einer Südseeinsel, die sich versteckend und auffres­send ein Gleichgewicht halten, und übertrug dieses auf die Menschen bzw. menschliches Verhalten, woraus er schlussfolgerte, nur durch die Geißel des Hungers könne der widerspenstige und faule Arme zur Arbeit angetrie­ben werden. Folgerichtig lehnte er nicht nur jeg­liche Unterstützung der Armen ab, sondern hielt die Existenz von Armen überhaupt für die "notwendige Be­dingung des Reichtums und schloss:

„Gesetzlicher Zwang zur Arbeit ist verbunden mit zu viel Mühe, Gewaltsamkeit und Geräusch, während der Hunger nicht nur ein friedlicher, schweigsamer, unaufhörlicher Druck sondern als natürlichstes Motiv zur Industrie und Arbeit die machtvollste Anstrengung. hervorruft.“ (Townsend 1786, nach Marx 1972: 676).

Dieses Diktum resultierte zum einen daraus, dass das Le­ben von Menschen ebenfalls von Gesetzen bestimmt wird (analog zu den Naturwissenschaften), zum anderen sanktionierte diese 'naturgesetzliche' Steigerung der Arbeitsfreude oft die Verweigerung des zum Leben not­wendigsten, während Adel und Bürgertum "feudal' prassten.

Dennoch wurde auch von Ethnologen für 'primitive' Völ­ker folgendes nachgewiesen: Solange eine bestehende Kultur noch intakt ist, gibt es keine Möglichkeit der Steigerung der Arbeitsleistung; höhere Löhne etwa wirk­ten nicht anziehend auf die Arbeitsfreude, sondern ver­ringerten vielmehr noch das Produktionsergebnis (Polanyi 1978: 225). Niedrige Löhne aus soziologischen Gründen, d. h., dass die Arbeiter bei höheren Löhnen weniger arbeiteten, wurden z. B. in Lyon im 15. und 16. Jahr¬hundert gezahlt (Heckscher, 1955: 168).

Erst als die Kolonialisten daran gingen, Kultur und natürliche Lebensgrundlagen zu zerstören (z. B. durch Fällen der Brotfruchtbäume) wirkte das in der Heimat erprobte Instrument der Ausplünderung.

Im nächsten Kapitel machen wir eine Sprung ins 20. Jahrhundert, um zu sehen, dass die Probleme der Armut heute mehr denn je existieren. Teile der Herrschenden - gerade die/ von denen ich es nicht annahm - sind heu­te durchaus bereit, Geldmittel an die zu zahlen, die entweder nicht fähig oder nicht gewillt sind, sich dem System der Arbeit unterzuordnen. Während das SLS im frühkapitalistischen England als Lohnzuschuss kon­struiert war, und der Zwang zur Arbeit nach 1834 zum Teil durch physische Strafen (Zuchthaus) vermittelt wurde, soll heute die Teilnahme am Arbeitsprozess über psychologische Anreize vermittelt werden (Farbfernse­her, Auto usw.).

Das setzt voraus, dass solcherlei Reize auch anziehend wirken. Dazu scheint eine wachsende Zahl von Leuten immer weniger bereit zu sein, was sich in den Ansät­zen der Gegenkultur besonders in den USA zeigt. Die politische Sozialisation, z. B. der Yippie-Bewegung, lief gerade über die Ablehnung dessen, was mit Wohl­stand normalerweise verbunden wird.

Vergleicht man die Existenzsicherungsgesetze zu Beginn des Kapitalismus und eine negative Einkommensteuer heute, so geht es in beiden Fällen um die Lohnarbeit. Heute ist Abrüstung der Lohnarbeit das Thema. Doch weil Tätigkeiten für die Menschen so wichtig ist, kann es nicht um Faulheit gehen, was im Verlust der Berufsethik mündet. Doch Einkommensfragen sind stets Machtfragen, daher beziehe ich mich im nächsten Kapitel auf diesen Punkt.

2 Der Dualismus von Fürsorge und Arbeitsmoral

2.1 Kapitalismus und Almosen

Einkommensarmut ist immer relativ. Doch die Neigung der Wohlhabenden, den Armen zu helfen, erfolgt nicht ohne Kalkül. So wurde im letzten Kapitel anhand der Armengesetzge­bung in England gezeigt, wie die Gewährung von Al­mosen weniger aus sozial-ethischen Motiven der Rei­chen oder Reich gewordenen, als aus den vielfältig­sten Interessen der Herrschaftssicherung resultie­ren können. Adam Smith, der die Vorteile der Arbeitsteilung beschreibt, sieht dies so:

„Civil government, so far as it is Institute for the security of the poverty, is in reality instituted for the defence of the rich against the Moor, or for those who have some property against those who have none at all.” (Smith 1789: 674)

Tatsächlich scheint schon immer eine Verbindung zu bestehen zwischen den Instrumenten der Herrschaftssicherung, was nicht immer physische Gewalt sein muss, sondern Almosen sein kann. Beide sind gegen das widerspenstige Wesen gerichtet. Bei Marx heißt es: „Die Geschichte ist eine Ge­schichte von Klassenkämpfen.“ Das ist keine Einzelmeinung eines überlebten Geistes, sondern war state of the art dieser Epoche (Hegel 1976: 387-391 (§§ 241 – 246); Vieri 1976: 160-186, insb. 178 ff. und Euchner 1973: 174-199, insb.184 f. und 194 ff.).

Was liegt näher als davon auszugehen, die Motive zur Einführung der NIT sind dieser historischen Sicht vergleichbar. Dieser Behauptung will ich zuerst nachgehen. Dazu ist das Welfare System der USA seit der Großen Depression darzustellen und zu systematisieren.

Im Ergebnis entwickelten sich seither ein ganzer Komplex von Programmen der Sozialhilfe. Die Transferquote belief sich 1976 auf ein Drittel der Sozialversicherungstransfers. Doch trotz der absoluten höhe und dem immensen Zuwachs ist die Wirksamkeit begrenzt. Es sind immerhin 15,7 % aller Familieneinheiten der USA unter der Armutsgrenze (mit Spitzenbeträgen von 19,5 % für den Süden, 21,5 % für Personen über 65, 28,4 % bei Alleinstehenden und 33 % bei Nicht-Waisen). (Leibfried 1978: 257 – 270)

Diese Armutsgrenze legte Präsident Johnson im Jahre 1963 auf 5.500 Dollar pro Jahr fest. Nach einer offi­ziellen Statistik aus dem Jahre 1977 lagen um die 19 % aller Familien unterhalb des gesellschaftlichen Durchschnittseinkommens und der Anteil des gesell­schaftlichen Gesamteinkommens, welcher auf die un­tersten 20 % aller Familien entfällt, verbleibt bei einer Prozentzahl um die fünf (U.S. Department of HEW 1978: 297). Der Anteil aller Familien unterhalb der offiziellen Armutsgrenze reduzierte sich hingegen im Zeitraum von 1965 - 1974 (auf die­sen Zeitraum beziehen sich alle Zahlen der angegebe­nen Quelle) von 13,9 % auf 9,2 %.

Dies ist aber kein Anlass zur Freude. Bei einer fließend angepassten Armutsgrenze, d. h. wenn diese an der Teu­erungsrate des zugrunde gelegten Warenkorbes angepasst werden würde, erhielte man selbst aus den Zahlen der Behörde eine wesentlich höhere Zahl als 9,2 %.

Leibfried argumentiert, das Fortbestehen der Armut sei nicht der mangelnden Inanspruchnahme der Angebo­te geschuldet (take-up Problem), sondern eher der Geringfügigkeit der Angebote und dem Fehlen sozial­politischer Instrumente, die alle einschlägigen Per­sonengruppen erfassen und mit hinreichenden Angebo­ten versehen könnten.

Über verschiedene Schritte der Abschichtung des Armutspotenzials vergrößert sich der Anteil der Familien auf 42,59 %, die unterhalb der Armutsgrenze bleiben (ausgehend von den offiziellen Quellen und ohne den Warenkorb fließend anzupassen).[9]

So könnte man nun annehmen, dem Kapitalismus wäre ein zwangsläufiger Prozess der Verelendung inhärent. Dies lässt aber die immense Steigerung der Arbeitsproduktivität, die die Versorgung der Menschen auch ohne den Zwang zur Arbeit gewährleisten könnte , Supermacht (Wagner 1976). Es sind besondere Gründe, die eine Bezuschussung des Armutspotenzials ermöglichen, verhindern oder reduzieren. Diese Gründe werde ich in den folgenden Abschnitten erläutern.

Eine Auflistung der Programme der Wohlfahrt seit der Großen Depression befindet sich im Anhang dieser Arbeit.

Ursprünglich sollte von mir untersucht werden, wel­che direkten oder indirekten Beschäftigungswirkungen von der Einführung der NIT erwartet werden. Wir wer­den noch sehen, dass die NIT In Amerika nicht keynesianisch, sondern neoklassisch diskutiert wird.

Zu klären ist mithin das Finanzvolumen zur Schließung der Armutslücke. Nötig wären 9 % des Sozialpro­dukts der USA (siehe Tabelle I). Der gesamte Sozialetat in den USA beläuft sich auf über 1/3 der Summe aller Öffentlichen Ausgaben. Trotz dieser Beträge stellt man fest, dass nahezu die Hälfte aller amerikanischen Bundesbürger unter der offiziellen Armutsgrenze liegen.

Tabelle I: Ausgaben der öffentlichen Hand für Sozialhilfe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für 1972: Staff of Subcommittee on Fiscal Policy of the Joint Economic Committee, Handbook of Public Income Transfer Programs, Washington 1972, p. 8.

Vergleichbare Zahlen für 1973 – 1975 liefert: Skolnik and Dales, Social Welfare Expenditures, 1950 - 75, in: Social Security Bulletin Bd. 39 (Jan. 1976), pp. 3-4.

Es liegt deshalb auf der Hand, weiterzufragen, wieso der gestiegene Reichtum nicht automatisch ein gesichertes Einkommen der Unterschichten der Gesellschaft gewährleisten kann.

2.2 Minderheiten ökonomische Entwicklung und Widerstand

Die sog. Kolonialisierung nach Innen ist in den USA stark ausgeprägt. Sie trifft vor allem die ethni­schen Minderheiten, d. h. Schwarze, Chicanos, Puerto­ricanos, Indianer, Chinesen schicksalhaft (Agnoli 1972: 110-149).

Infolge der Traditionen aus der Sklavenzeit, dem Aus­einanderreißen verwandtschaftlicher Bindungen, sind die Menschen oft widerstandslos geworden, Innerlich gebrochen und oft genug sind sie hilflos in einer Sklavenmentalität befangen. Für Europäer sind die Lebensumstände zu Anfang der 1970er in den städtischen Gettos im Süden der USA kaum fassbar (Holdt 1977).[10]

Die Mechanisierung der Landwirtschaft zeichnet z. T. für diese Prozesse verantwortlich, die eine Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs In der Land­wirtschaft auslöste. So sind heute nur mehr 4 % der Erwerbstätigen im primären Sektor der Volkswirt­schaft tätig.

Seit 1940 verließen 20 Mio. Menschen die ländlichen Gebiete (vier Mio. davon waren Farbige) und zogen in die Städte. Vornehmlich die fünf größten Städte des Nordens (New York, Phila­delphia, Cook County (Chicago), Wahne County (Detroit) and Los Angeles) „profitierten“ von dieser Wande­rungs­be­wegung; die Slums blähten sich auf (Piven/Cloward 1972: 185).

Auf dem Lande herrscht trotz allem Arbeitskräfteüber­hang, der die Löhne der Landwirtschaft herabdrückt und so die Situation der ländlichen Arbeiter perpetuiert.

"The federal minimum-wage law enacted in 1966 set a floor of one dollar an hour for some workers, although many planters typically found ways of avoiding the law." (Piven/Cloward 1972: 203)

Solche Wege werden in Fortune beschrieben:

"In the first recovery of wages under 1966 amendments to the Fair Labor Standard Act the judge ordered Flo­wers to pay 200 Negro employees 50,000. Last year, IT should also be noted, the Acriculture Department Palm Flowers $ 210,832 for not cultivating 4,000 of his 16,000 acres." (Beardwood, in: Piven/Cloward 1972: 203).

So können die Lohnkosten die eh schon auf einem niederen Niveau sind, über Subventionen auf den Steuerzahler abgewälzt werden. Unter diesen Um­ständen kann ein "angemessener" Surplus zur wei­teren Mechanisierung der Landwirtschaft, zur ex­tensiveren Bodennutzung und zur Vertreibung der Menschen vom Land verwendet werden.

2.3 Die Funktionen der öffentlichen Sozialhilfe

Der Prozess der Mechanisierung des Agrarsektors setz­te in den 30er Jahren ein und zuerst verelendeten die tenant farmers, deren Bezuschussung jedoch stark von vom Grad des sozialen Protestes abhängt.

"The experience of the 1950's, Lake the experience in the early years of the Great Depression, again shows that the relationship between widespread economic deprivation and the expansion of the relief arrangements is neither direct nor simple. Economic convulsion may thrust Marge numbers of families out of the occupational System and into near—starvation, HUT this condition alone is not sufficient to produce concessions in the way of relief. But if economic dislocation also produces disorder and turmoil which lead to a political crisis, government may respond by allowing the relief rolls to expand. There was no political Crisis in the 1950's, but there was in the 1960's." (Piven/Cloward 1972: 219 f.)

Die aus Armut, Hunger und sozialer Achtung resul­tierende Betroffenheit - nicht nur -, der ethni­schen Minderheiten, fing in den frühen 60ern an, Dimen­sionen zu erreichen, die zumindest In den Städ­ten gefährliche Ausmaße annahmen; die Widerstandsformen wurden politisch und es kam zu regelrechten Straßenkämpfen und Aufständen (z. B. in Watts).[11]

Zur Expansion der Sozialhaushalte führten im wesent­lichen zwei Phänomene, die sich qualitativ von der gesellschaftlichen Realität der zwei vorangegangenen Dekaden unterschieden; Zum einen richtete sich der Aufruhr in den Straßen der Gettos nicht mehr nur auf Streitigkeiten unter den einzelnen street-gangs, sondern auch gegen staatliche oder kommunale Instanzen. Der trouble at the polls ist für das Umschwenken in der Sozialpolitik nicht unverantwortlich (Piven/Cloward 1972: 222).

In den 60ern richtete sich der Widerstand der Minderheiten gegen die weiße Administration und gegen die weiße Bevölke­rung der Städte. Während letztere es vorzog, die Städte in Richtung suburbs zu verlassen, wurden der Polizeiapparat vergrößert, aber auch die Förderungsrichtlinien auf Sozialhilfe sukzessive liberali­siert. Dies ist jedoch keine Einbahnstraße, es kann immer Gegenbewegungen geben (Piven/Cloward 1972: 245).

Die Ergänzung von lokaler durch bundesstaatliche För­derung ist eng verknüpft mit der Geschichte der Demo­kratischen Partei in den Vereinigten Staatenf deren Position Anfang der 60er Jahre gefährdet schien» Kennedy, und nach ihm Johnson, ergriffen In stärke­rem Maße Initiativen zur Sicherung des schwarzen Wähler Potenzials.

Unter Umgehung der oft republikanischen City-Administratoren wurden nationale Maßnahmen zur Unterstützung speziell der Ghettobewohner getroffen, die die Ver­bindung herstellen sollten zwischen der demokrati­schen Nationalregierung und den farbigen Wählern der Slumgebiete« Die AFDC Programme, die Sachleis­tungen der Food Stamps und die Health Service Einrich­tungen sind paradigmatisch für die Bekämpfung von Problemen ausgewählter Stadtviertel (Piven/Cloward 1972: 261).

Die Great Society Programs verfolgten so mehrere Ziele: Sicherung des schwarzen Wählerpotenzials, Be­kämpfung urbaner Krisenherde. Gleichzeitig durfte die weiße Anhängerschaft der Demokratischen Partei nicht verärgert werden. Die Gratwanderung zwischen diesen gegensätzlichen Intensionen war abgesichert über die Zusicherung von farbigem Einfluss in den durch diese Programme neu geschaffenen Institutionen unter Bei­behaltung der weißen Dominanz In den traditionellen städtischen Verwaltungsorganen (Piven/Cloward 1972: 276).

Zweifelsohne hätte eine harte Politik gegenüber den Problemen der Armut zu ernsthafteren Tumulten in den Städten geführt, als dies ohnehin der Fall war. Eine Reformpolitik hingegen vermag solche Krisen leicht zu erkennen und sich als ‚Reparaturbetrieb des Kapi­talismus’ zu bewähren« Gleichwohl schleicht sich eine gewisse Unsicherheit ein, ob mit Fight against Po verty der Krieg gegen die Armut oder nicht doch der Krieg gegen die Armen gemeint ist.

Diese Einschätzung scheint nicht abwegig zu sein.

„Während der Kongreß und die lokalen Regierungen auf der einen Seite die Armen in Vergessenheit und Ein­samkeit sterben lassen, gibt es auf der anderen Seite ein Netz von Spionen«, um das Privatleben der Leute zu durchleuchten, die Sozialhilfe erhalten«, Nachdem die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse die Familien zerstört haben«» sorgen die Behörden mit Gewalt und Pracht dafür,,» dass sie nicht wieder zusammenkommen. Viele schwarze Väter waren gezwungen, ihre Familie zu verlassen, damit die Frau Sozialhilfe er­halten konnte (die Problematik der 'Welfare-Mothers', KUG), worauf Nixon ein Gesetz beschließen ließ, auf­grund dessen eine soziale Unterstützung für allein, stehende Frauen mit Kindern entfällt, wenn sie einen Mann haben. (diese Praxis kennt man auch im Sozial­hilfewesen der BRD heute, wenn eine Frau in einem eheähnlichen Verhältnis mit einem Mann lebt, kann ihr die Sozialhilfe gestrichen werden, KUG.). Oft haben sie heimlich Liebhaber,, die ihnen unter der Hand Geld geben, aber sie wagen es oft nicht, dieses Geld beispielsweise für Küchengeräte auszugeben, denn falls Spione des Systems eine neue Kaffeekanne ent­decken, bei der sie glauben, dass sie ein Geschenk von einem Mann ist, entfällt die Sozialhilfe auf der Steile.“ (Holdt 1978: 176).

2.4 Die „Welfare-Explosion“ der 60er Jahre

Die ökonomischen Veränderungen«, hervorgerufen durch die Große Depression der 30er Jahre, sind der Schlüs­sel zum Verständnis der Fürsorgesteigungsraten in den 1960ern.

Seit dieser Zeit kam es zur Migration der Schwarzen in die Städte (siehe Tabelle II). So deutlich wurde dies noch in keinem Land der Erde verfolgt; hier nimmt die USA wirklich eine Spitzenstellung ein. In den Ländern Westeuropas beispielsweise verlief die Reduzierung der Beschäftigung im Agrarsektor weitgehend ohne größere Reibungsverluste.

Tabelle II: Abwanderung der ländlichen Schwarzen des Südens in die Städte des Nordens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: U.S. National Advisory Commission on Civil Disorders 1968: 240

Das in Bezug auf Größe und Auswirkung auf den Arbeits­markt bedeutende AFDC -Programm hatte in den 50er Jahren eine Zuwachsrate von 110000 Familien oder 17 % zu verzeichnen« Von Ende 1960 bis Anfang 1969 extra­polierte die Summe der Wohlfahrtsempfänger des AFDC-Programmes jedoch um 800.000 Familien, was- einer Zu­wachsrate von 107 % (1) entspricht. Diese Entwicklung veranlasst die Kommentatoren zu Stellungnahmen« Piven/ Cloward kritisieren drei Einschätzungen:

(1) Die Zuschüsse hätten zugenommen,, weil die Schwar­zen Immer häufiger in den Norden migrieren.

(2) In den Städten des Nordens herrschen weniger re­striktive Fürsorgevorschriften.

(3) Die schwarze Familie falle auseinander und ihr Norm- und Wertesystem zerbreche. Dies mache sie hilflos gegen­über wirtschaftlichen Fehlschlägen und liefere sie den relief rolls aus (Piven/Cloward 1972: 183).

Diese Erklärungsansätze stoßen auf großen Protest. Sie basieren alle auf der Annah­me, die Zahl der Wohlfahrtsempfänger steige automa­tisch mit dem Status der Berechtigung. In den 40er und 50er Jahren gingen mehr Leute in die Städte und die Fürsorgeeinrichtungen expandierten trotzdem nicht proportional. Die ökonomischen Veränderungen zogen niemals di­rekt ein Ansteigen der Zahl der Sozialhilfe­empfänger nach sich, sondern oft wurden sie dem freien Arbeitsmarkt überlassen, der sie entweder nahe an die Grenze des Verhungerns brachte oder sogar darüber (Holdt 1977).

Ein weiterer Grund spricht gegen die zweite These. Die Wohlfahrtsprogramme der großen Städte des Nordens sind nur ein Grund für die Migration. Fakt ist, dass die Abwanderung in den 50ern größer war. Hinzu kommt, dass auch die Städte des Südens anwachsen, obwohl dort weniger Sozialhilfe gezahlt wird.

Die Mittel für AFDC steigen nicht automatisch,wenn die Zahl der Hilfebedürftigen zunimmt, wie Moynihan (1965) behauptet. vertretene und mit der Zunahme der Frauen als Haushaltsvorstän­de begründet.[12] Selbst wenn alle neuen, von Frauen als Haushaltsvorstände ge­führten AFDC-Familien zwischen 1959 und 1966 Hilfe erhalten hätten, erklärt dies lediglich einen Anstieg von 10 % der Mittel für das AFDC-Programm (Lurie 1968 nach Piven/Cloward 1972: 194).

Es sind andere Gründe, die für das Ansteigen der Sozialfonds verantwortlich zu machen sind. Im Gegensatz zu Europa, wo die Automation in der Landwirtschaft und in der Industrie zur Absorption der „überschüssigen“. Arbeitskräfte in den tertiären Sektor der Volkswirtschaft führte, bevölkern die ethnischen Minderheiten die Gettos der Städte, denn sie gehören ja der sogenannten "Surplusbevölkerung" an. Das ist die rela­tive Überbevölkerung, für die in den Betrieben und deshalb auch in der Gesellschaft kein Platz zu sein scheint (Offe 1972: 41 ff.).

Die Welfare-Explosion in den 60er Jahren Ist deshalb ana­log zu den sozialpolitischen Maßnahmen der 30er? als politische Antwort der Herrschenden auf die sozialen Unruhen in diesen Jahrzehnten zu verstehen, die Ih­re Ursachen auch im Wandel der Ökonomie hatten.

2.5 Grenzen des Welfare-Systems

Der Erhalt von öffentlichen Geldern , so miserabel das Wohlfahrtswesen der USA auch Immer war? ist mit der Stigmatisierung der Armut verwoben| dies noch Immer, obwohl der Zwang zur Arbeit - etwa begründet durch einen Nachfrageüberhang nach Arbeit - ökonomisch ob­solet geworden Ist» Die technologische Entwicklung Ist ein Augenmerk dafür:

"... im gesellschaftlichen Maßstab (wird) die zur Re­produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszelt immer kürzer (Schein der Freiheit), ohne dass das Ge­samtquantum an abhängiger Arbeit reduziert würde: sie bleibt "fulltime!l-Beschäftigung, Lebensinhalt“ (Marcuse 1976: 26)

Der Zusammenhang von Warenform und Denkform, wie er von Sohn-Rethel (1972) untersucht wurde, lebt solange fort, wie die Logik der Marktideologie fortbesteht. Eine strenge Wohlfahrtspolitik zur Auf­rechterhaltung der Arbeitsmoral Ist nicht primär auf die Empfänger von Unterstützungszahlungen, sondern auf die Arbeitsfähigen gemünzt, die durch die ernie­drigenden Rituale der sozialen Kontrolle abgeschreckt werden sollen, Fürsorge zu beantragen.

Arbeitsethik und middle-class-values sind Eck­pfeiler unserer Marktordnung und garantieren ihren Fortbestand. Doch die Anbindung der unteren gesellschaftlichen Schichten ist mürbe, wenn es um das physische Überleben geht wie in Zeiten des Spat-Feuda­lismus. Dass Unterprivilegierte bei der Stange bleiben, dafür soll Sozialarbeit sorgen. Ihre Aufgabe liegt auf zwei Ebenen: Charakterschwäche und individuelle soziale oder psychischer Defizite aufzuzeigen sowie sozialen Protest zu paralysieren.[13]

Die AFDC-Programme, als weitreichendes Instrumenta­rium und Regulativ des saisonalen Arbeitskräftebedarfs und Arbeitskräftereservoirs, sind funktional in einer regionalen Ökonomie. Sie werden dysfunktional einmal, wenn der Bedarf einer höher technisierten Wirtschaft sich wandelt. Dies kann höhere, niedrigere (oder bei­des in einem geänderten Verhältnis) Qualifikations­dispositionen bedeuten. Zum zweiten werden die Pro­gramme dann dysfunktional, wenn die sozialen Proteste weiter bestehen.

Während sich ersteres durch gewandelte Verwertungsbedingungen, die Mechanisierung auf dem Land,, sowie der Technisierung der übrigen Bereiche vollzieht, ist das zweite durch folgendes charakterisiert:

Erstarken der National Welfare Rights Organisation, vermehrte Gettounruhen, Umfunktionierung der kommu­nalen community-centers in Zentren des sozialen Widerstands, gestiegene Zahl von Prozessen und Beschwerden gegen die Welfare-Bürokratie, grass-roots Protest, Soli­darität der Sozialarbeiter mit den Fürsorgeempfängern usw.

Die Reaktion von Sozialpolitiken, Präsidenten und Welfare-Behörden kulminierte seit Mitte der 60er Jahre um die „Reform“ der Fürsorge-Arrangements, weil gerade die Struktur der Sozialfürsorge für diese Gegeneffekte mitverantwortlich zeichnet. So prozessierten kommunal entlohnte Rechtsanwälte oft gegen das bundesstaatliche Fürsorgesystem.

Zusammenfassend lassen sich diese Tendenzen wie folgt beschreiben:

- Mechanisierung in der Landwirtschaft, flankiert durch Beschäftigungslosigkeit landwirtschaftlicher Arbeitskräfte, die in die Städte strömten, dort aber auf­grund ihrer Qualifikation und überkommenen Arbeitstugenden nicht absorbiert werden konnten.
- Die Absorption ländlicher Arbeitskräfte wurde eben­falls durch den höhe­ren technischen Level von In­dustrie-, Verwaltungs- und Dienstleistungssek­tor erschwert Die städtischen Industrien suchten obendrein seit den 50er Jahren neue Produktions­zentren z. B. auch im Süden, was durch hohe Infrastrukturmaßnahmen in dieser Zeit dort erleichtert wurde.
- Rebellion der Jugend in den Kerngebieten der Städ­te, was seinen Ausgang im Süden hatte.
- Synchronisierung mit dem Widerstand zuvor Staats­tragender Schichten (Studenten).
- Zerfall tradierter Norm- und Wertvorstellungen, Zerstörung der Familienstruktur.
- Drohender Verfall der Arbeitsmoral auch in Folge gelockerter Sozialhilfepraktiken.
- Existenz eines antiquierten Wohlfahrtssystems, das diesen neueren sozialen und ökonomischen Entwick­lungen nicht mehr gewachsen zu sein schien.

Ende der 1960er Jahre kam es dann zur sogenannten Tax-Payers Revolt, die unter anderem zum Wandel der Administrationen des Staats führte (0’Connor 1974).

Unter der Nixon-Administration erlahmte der Welfare-Protest aus zwei Gründen:

(a) Die Aktivisten der Bewegung wurden vorher schon in die Welfare Organisationen aufgesogen, worauf­hin Ihr Widerstand oft erlahmte. Dies verlief paral­lel mit geringerem Widerstand im ganzen Land.

(b) Die Law-and-Order-Rhetorik Nixons flankierte den Widerstand der ‚schweigenden Mehrheit’, Gelder in die Gettos fließen zu lassen. Die Propaganda macht sich immer wieder am angeblichen Sozialmissbrauch fest. Bekannt wurde die „Welfare-Queen“ (Adam 1978: 109-112).

"Es heißt nun schlicht, es stehe kein Geld zur Verfü­gung, und die städtischen Etats müssten ausgeglichen sein,(als ob die Städte Familienhaushalte oder kleine Geschäfte waren) (Piven/Cloward 1977: 416).

Die wichtigsten Maßnahmen: Abschaffung der Sozial­anwälte, sog. Qualitätskontrolle, wonach den Län­dern die Bundeszuschüsse abspenstig gemacht wurden, die mehr als 3 % ungerechtfertigte Gelder vergeben hatten, Berücksichtigung nur noch von schriftli­chen Anträgen, verstärkte Hausdurchsuchung, Ein­führung von Wartelisten sowie der Einschränkung der fair hearings. Darunter fallen die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Ämter zu führen, Gesetzesänderungen zur Verfol­gung abwesender Väter, Kampagnen gegen den welfare-Betrugs und einige mehr.

In der Folge des gewandelten gesellschaftlichen Klima senkte sich die take-up Rate, (Anteil der Antragsteller an den Berechtigten). Das Elends der urbanen Minoritäten verschlimmerte sich. Die Kaufkraft der Unterstützungsbeträge nahm infolge zunehmender Inflation in den 70er Jahren ab. Die offizielle Arbeitslosen­quote für Nicht-Weiße stieg auf 15 % an. Profan könnte man mit Marx schlussfolgern:

"Je größer die Lazarus-Schicht der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolu­te, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akku­mulation." Allerdings gilt wie bei anderen Gesetzen auch, dass es bei in ihrer Verwirklichung Modifikationen gibt (Marx, 674).

Die Verringerung der Unruhe war nicht vorauszusehen und nicht technokratisch planbar. Hätten die Tumul­te weiterhin zugenommen» so hätte entweder ein System relativer Restriktionslosigkeit eingeführt werden müssen, oder es wären dann doch Militärmaßnahmen er­griffen worden. Tatsächlich aber bewährte sich die Staatsloyalität, wonach nur gesagt werden braucht, es sei kein Geld mehr da, und sofort sehen auch die Ärms­ten der Armen ein, dass sie nicht ungerechtfertigter­weise Geld für etwas nehmen können, wofür sie nichts geleistet haben. Sie haben was geleistet: das System der Marktwirtschaft ist heute nicht mehr akut durch sol­cherlei Krisen gefährdet,, wie dies in den 60er Jahren der Fall war (Piven/Cloward 1977: 407-421).

Nun möchte ich an dieser Stelle kurz etwas zur hier kritisierten Arbeitsmoral andeuten. Die Dynamik der kapitalistischen Entwicklung führt zur Entfremdung und Abstraktion der Arbeit. Die ‚moderne’ Ökonomie sub­stituiert den Unsicherheitsfaktor Mensch durch die Maschine; es entsteht ein Widerspruch: einerseits ist die Staatsloyalität an die Notwendigkeit der Arbeit gebunden und andererseits gibt es bald keine Arbeit mehr. Die Reaktion der Menschen auf diesen Prozess mag vielfältig sein; neofaschistische Tendenzen verdeutlichen, dass die Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung und sinnhaftem Leben real existent sind. Während die Wohlstandsgesellschaft permanent Konsum propagiert, bleibt dieser für eine zunehmende Zahl von Menschen unerreichbar, solange weder Arbeit noch Einkommen gewährt werden können.

Das Konzept der negativen Einkommensteuer stellt in den USA einen systemimmanenten Ansatz dar, gesellschaftliche Widersprüche durch die Anbindung von Dropouts an die Werte der Gesellschaft zu vermitteln (Moynihan 1973). Meine These ist, dass das Speenhamland-System und die ne­ga­ti­ve Einkommensteuer als Herrschaftsinstrument vergleichbar sind, weil sie in einer gesell­schaftlichen Umbruchsituation zum Tragen kommen und von einer tiefen Dialektik beseelt sind und das Gegenteil der ursprünglich verfolgten Absicht bewirken können. Die andere Seite ist, dass sich die von Lohnarbeit entkoppelten Subsistenzmittel kreativ nutzen lassen. Dies beschreibt Mattick (1969) für die Zeit zwischen 1929 und 1935.

2.6 Das Konzept einer negativen Einkommensteuer

Die negative Einkommensteuer (NIT) ist finanzpolitisch einfach zu gestalten, aber politisch schwer zu vermitteln. Es handelt weniger um eine Steuer als um einen Mechanismus zur Einkommensredistribution, welcher vor allem unter angelsächsischen Ökono­men seit der Mitte der 1960er Jahre vertreten wurde. Die NIT wurde in England, den USA, Kanada und Aus­tralien zur Reform des Wohlfahrtssystems erwogen. Man hat sie sich vorzustellen eine inverse Einkommensteuer zur Gewährung eines minimalen garantierten Einkommens an sozial schwache Schichten.

Die negative Einkommensteuer soll hier untersucht wer­den, weil sie oder eine ähnliche Konstruktion zur Ver­einheitlichung des Sozialfürsorgesystems beitragen könnte und deshalb auch von führenden Ökonomen und von jeder Administration seit Lyndon B. Johnson in den USA erwogen wurde. Zum zweiten liefern soziale Experimente empirisches Material zur Einschätzung der sozialen und gesellschaftlichen Folgewirkungen. Dies ist das erste soziale Experiment in den USA überhaupt ge­wesen.[14] Für die USA ist ein weiteres Argument wichtig, weil es dort nur wenig soziale Sicherheit gibt. Wesentliche Teile der Bevölkerung wären in das System der sozialen Sicherheit eingebunden.

Schließlich sei daran erinnert, dass die NIT als Modell am meisten diskutiert wurde. Andere Konzepte zur Reform des US-amerikanischen Wohlfahrtssystems zielen in die gleiche Richtung, wobei drei Kriterien erfüllt sein sollen: Straffung des Fürsorgewesens,, um Kompetenzüberschneidungen und Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Verringerung der Kosten im Sozialwesen und nicht zuletzt Entschärfung sozi­alen Zündstoffs, Letzteres, so wies ich im vorange­gangenen nach ist oft ausschlaggebend für Anschwel­len oder Reduzierung der Mittel der Sozialfürsorge.

Sozialpolitische Maßnahmen zur „Regulierung der Armut“ erfolgten in den USA immer als politische Antwort auf soziale Unruhen. Die Instrumente der Sozialpolitik sind aufgrund der ihnen inhärenten Gegenwirkung stumpf geworden, die NIT dagegen hat präventiven Charakter und soll speziell die Leute erreichen, die außerhalb vom Arbeitsverhältnis (labor-force) stehen.[15]

Ähnlich wie es zur Explosion des Sozialhaushaltes in den USA kam, erfolgte seit der Rezeption von Friedmans Buch (1962: 190 - 195) eine literarische Explosion zum Thema negative Einkommensteuer. Mehrere Hundert Artikel und Bücher wurden seither zu diesem Thema veröffentlicht.

Das Konzept der Negative Income Tax basiert auf grundlegenden Arbeiten von Rhys-Williams (1942), Friedman (1962), Lampman und Green (1967).

Friedman, auf den der Begriff Negative Income Tax zurückgeht, entwickelte das Konzept am Wabash College (1956). Er schlug vor, eine Familie solle Regierungsunterstützung in Höhe von 50 % ihrer unverbrauchten Einkommensteuerfreibeträge und Steuernachlässe erhalten, falls das Familieneinkommen geringer sei als die gesamten Nachlässe und Freibeträge. Kurz umschrieben funktioniert der Plan wie folgt: Jede Familie erhält $ 600 persönli­chen Freibetrag zuzüglich des Minimumstandardnachlas­ses, die 10 % des bereinigten familiären Bruttoein­kommens ausmachen würden. Das bedeutet; eine vierköp­fige Familie mit $ 2.000 Einkommen würde dann $ 2.800 in Form von Freibeträgen und Nachlässen zur Verfügung haben (4 x $ 600 + 0,10 % 2.000). Im Ergebnis käme $ 300 heraus [0,5 x ($ 2.600 - $ 2.000)] (Friedman 1962: 192).

Ein ähnlicher Plan wurde von Robert Lampman entwickelt, der die Transferzahlung als Funktion aus Fa­miliengröße und Einkommen minus den Freibeträgen be­trachtet. Die Zahlungen würden einem garantierten Min­desteinkommen abzüglich einer negativen Steuerrate { tax rate) entsprechen, die auf den Verdienst der Familie abstellt. Das Mindesteinkommen sei $ 1.500 ohne eigenen Verdienst und würde sich bei einer ne­gativen Steuerrate vermindern, die auf das selbst verdiente Einkommen wirkt. So ergäbe sich bei einer nega­tiven Steuerrate von 50 % ein Zuschuss von $ 500 [$ 1.500 minus 0,5 ($ 2.000)].

Mindesteinkommen (garantee) und negative Steuerrate (negative tax rate oder auch: rate of reduction) lassen sich unterschiedlich kombinieren. Die Hohe des Min­desteinkommens ist von politischen Entscheidungen abhängig. Das House of Representatives schlug ein garantee von $ 2.400 p.a. vor, während die National Welfare Rights Organisation (NWRO) ein Minimum von $ 6.600 forderte.

Nachfolgend werden die wissenschaftlichen Studien referiert, bei denen es um die Regulation von Einkommens­niveau und Reduktionsrate geht. Dabei tritt ein Zielkonflikt auf zwischen dem sozialen Anspruch, die Armut zu reduzieren (closure of the poverty gap) und der Schlüsselgröße Stärkung der Arbeitsmoral durch Anbindung der Unterprivilegierten an das System der Erwerbsarbeit und an die Werte der Mittelschicht.[16]

Derjenige, der arbeiten geht, soll immer besser ge­stellt sein, als der, dem das „süße Leben“ mehr zu­sagt. Dies entspräche einer niedrigen Reduktionsrate (tax rate); andererseits soll die Einführung der ne­gativen Einkommensteuer kosteneffizienter sein als die konventionellen Programme der Wohlfahrt. Die Kosteneffizienz wurde mit starken Reibungsver­lusten durch ein System von Spionen versucht zu er­langen. Die Personalkosten in der Sozialfürsorge be­tragen aber mehr als 10 %. Mit der NIT als einem quasi „naturgesetzlichen“ Mechanismus zur Gewährleistung von Arbeitslust und Effizienz hätte man beides un­ter Kontrolle.

Senator Moynihan ist an diesem Punkt eher skeptisch. Er meint, im Unterschied zu Europa herrsche in Amerika oft permanent Arbeitsangebots­überhang. In seinem Land verhindere sporadische Ar­beit vieler die Herausbildung von Arbeitstugenden, die in Europa besser ausgeprägt sei (Moynihan 1978: 146).

Wichtig für die Diskussion über das zukünftige Sozialsystem in Europa ist, ob und inwiefern die Marktwirtschaft besser funktionieren könne mit einem garantierten Mindesteinkommen. Vor allem ist die Anbindung zum System der Lohnarbeit aufrecht zu erhalten. Darunter ist das Bewusstsein zu verstehen, dass Hilfeleistungen aus Steuern bezahlt werden, für die andere arbeiten müssen. Daher ist es nur recht und billig, eine Gegenleistung verlangen zu können. Dieses Bewusstsein darf in der Gesellschaft nicht untergraben werden.[17]

Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Haushalts belauft sich in den Vereinigten Staaten auf ungefähr $ 10.000. Das garantierte Mindesteinkommen muss deshalb unter diesem Betrag liegen, sonst liegt der Anreiz für einen Arbeitnehmerhaushalt zu hoch, dieses in Anspruch zu nehmen. Deshalb wurde in den Experimenten, die die Effekte der negativen Einkommensteuer explorieren sollten, die Grenze,, wo weder positive Steuern entrich­tet, noch negative Steuern bewilligt werden, auf $ 6.000 festgelegt (break-even point).

Die optimale Kombination von Mindesteinkommen und Reduktionsrate lässt sich nicht so einfach finden. Es fragt sich allerdings, ob dies das Ziel ist oder sein kann. Dazu mehr im nächsten Abschnitt.

2.7 Bilanz der Negativ Income Tax-Experimente

Die Negative Income Tax Experimente in New Jersey/ Pennsylvania waren die ersten sozialen Experimente in der Geschichte der amerikanischen Sozialwissenschaften. Die erste Einzelstudie begann in Trenton im August 1968, die letzte dieser Serie endete im September 1972. Insgesamt nahmen 1.300 Familien aus fünf Städten (Trenton, Paterson, Passaic und Jersey City in New Jersey und Scranton, Pa.) an diesen Feldstudien teil, die ca. $ 8 Mio. kosteten und vom Office of Economic Opportunity (0E0) und dem De­partment of Health, Education und Welfare (HEW) finanziert wurden.

Außer dieser Feldstudie, die das Verhalten von städ­tischen Bewohnern aus Armutsvierteln erforschte, wurde im North-Carolina-Projekt das soziale Verhalten ländlicher Randgruppen der Prüfung unter­zogen (Palmer/ Pechman 1978). Da diese Studie recht spezifisch ist, soll es hier nicht erörtert werden. Das Verhalten urbaner Maginalbevölkerung ist m.E für die Zukunft der Wohlfahrtsfürsorge der USA bedeutsamer für das Thema dieser Arbeit, was sich aus diesem Kapitels ergibt.

2.7.1 Resultate aus New Jersey-Pennsylvania

Nachfolgend sind die Ergebnisse der sozialen Experimente mit der negativen Einkommensteuer in den USA zusammengefasst. Ich beziehe mich dabei auf eine Literaturauswahl (Pechman/Timpane 1975; Kershaw/Fair 1976; Watts/ Rees 1977; Rossi/Lyall 1976).

(a) Da die sozialen Kosten für Rentner und Invaliden abschätzbar waren, befasste man sich in New Jer­sey nur mit den sogenannten intakten Familien und arbeitsfähigen Männern zwischen 18 und 58 Jahren. Die Beschränkung auf diese Altersgruppe deutet auf die Zielsetzung hin, dass überprüft werden sollte, welche desintegrativen Kräfte hier wirken könnten.

(b) Die Planer erwogen zwar einen nationalen Test, wobei Familien unter wahrscheinlichkeitstheore­tischen Gesichtspunkten hätten ausgewählt werden können, dies wurde aber aus Kostengründen und den Gefahren, die mit dem Wirken unbekannter Mechanis­men hätte verbunden sein können, verworfen. Die Einschränkungen machen eine Generalisierbarkeit fragwürdig,

(c) Die oben benannten Städte wurden wegen ihrer Be­völkerungsdichte aus­gewählt, was darauf hindeutet, dass die NIT auf Stadtkerne gemünzt ist. Ausschlag­gebend war weiterhin, dass die untersuchenden Institute an den Untersuchungsorten beheimatet sind und die Landesregierung von New Jersey dem Projekt positiv gegenüberstand. Scranton wurde ausgewählt, um die ethnische Balance zu gewährleisten, die sonst ein Übergewicht von Farbigen und Puertoricanern gebracht hätte.

Die Sample-Auswahl erfolgte anhand von zwei Fragebogen mit je 44 Fragen, die an 30.000 gegeben wurden. 2.300 Familien kamen in die enge Wahl, die dann 340 Fragen beantworten mussten. An den eigentlichen Interviews nahmen dann 1.300 Familien teil.[18]

Drei Reduktionsraten (30, 50 und 70 % vom Eigenverdienten) und vier Einkommensgarantien ($ 1.650, $ 2.475, $ 3.300 und $ 4.125) wurden getestet. Die Armutsgrenze, welche dabei zugrunde gelegt ist, wurde 1967 auf $ 3.300 p.a. für eine vierköpfige Familie festgelegt. Die Garantiebeträge beziehen sich anteilig auf die Armutsgrenze und beträgt 50, 75, 100 und 125 %. Die Kombination von Reduktionsraten und Mindesteinkommen sind zu beurteilen unter den Gesichtspunkten maximaler Einkommenszuwächse bei minimaler Ver­ringerung der wöchentlichen Arbeitsleistung. Dies scheint mir laut Tabelle III der Fall zu sein, bei einer Reduktionsrate auf selbst verdientes Einkom­men zwischen 30 und 50 % und $ 2.475 p.a. Neben der Experimentalgruppe wurden Einkommens- und Arbeitsstundenveränderung für eine Kontrollgruppe von Fa­milien untersucht, die in vergleichbaren sozialen Umständen lebten. Hier kam es zu einem Plus bei bei­den Kriterien.[19]

Tabelle III: Changes in Family Earnings and Hours of Labor Preenrollrnent to Fourth Quaterly Interview, by Tax Rate

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anmerkungen: Y = Change in weekly income per family, H-t = Change in Weekly hours worked per family. Quelle: Heffernan 1972: 11

(f) Sämtliche Familien, die am Projekt teilnahmen, hatten alle vier Wochen einen Bericht über Ein­kommensverhältnisse und veränderte Familienzu­sammensetzungen an das "Council for Grants to Farnilies" einzureichen, das zusammengesetzt war aus Mitgliedern des Mathematica Inc. und des Institute for Research on Poverty.

(g) Die Zahlungen erfolgten zweiwöchentlich per Check.[20] Die Verwendung des Geldes war den Familien freigestellt, ebenso die Mobilität der Rezipienten. Einzelne Familienmitglieder konnten die Kernfamilie auch verlassen, ohne der Zuwendung verlustig zu gehen.

(h) Außerdem wurden alle viertel Jahre persönliche Interviews durchgeführt, um das Arbeitsverhal­ten Im Einzelnen zu überprüfen (Experimental™ und Kontrollgruppe)» Es wurden Insgesamt 12 solcher Befragungen geführt, über: Teilnahme am Arbeitsprozess, Einkommensverhältnisse, gesund­heitlichen und Bildungshintergrund, Familien­struktur, politische und soziale Integration. Aufgrund dieser "Schnüffeleien" konnten folgen­de Ergebnisse eruiert werden;

(i) Resultate

(A) 31 % der Familien der Experimentalgruppe hatte einen Einkommenszuwachs von mehr als $ 25 je Woche zu verzeichnen. Hingegen erreichten 33 % der Kontrollgruppe gleiche Zuwüchse (durch hö­heren Arbeitseinsatz).

(B) 25 % der ersten Gruppe mussten Einkommensverluste von mehr als 0 25 pro Woche hinnehmen; gleiches galt für 33 % der Kontrollgruppe.

Diese Differenzen sind zwar nicht sig­nifikant, aber nicht zu vernachlässigen. Die Experimentalgruppe arbeitete wöchentlich 12 % von 40 Arbeitsstunden weniger als die Kontrollgruppe. Die Reduzierung der Arbeitsstunden von weißen und spanisch sprechenden Familienoberhäuptern ist gering, weiße Frauen reduzieren und schwarze Ehemänner regieren überhaupt nicht (Watts/Rees 1977).

Genauere Untersuchungen lassen erkennen, dass zwei Fünftel der Verminderung der Arbeitsleistung auf eine Abnahme bei den Hauptverdienern zurückzuführen ist. Die Gründe: Verringerung der Überstundenarbeit und Abnahme der second jobs, also der Nach-Feierabend-Arbeit.

Zweitverdiener (Ehegatten und andere Fa­milienmitglieder) nehmen nicht mehr die erst beste Arbeit an, sondern suchen länger nach einem besseren Job (Kershaw 1972: 19 – 25). Dies ist positiv zu bewerten:

„ … an improvement in occupational status and job satisfaction after changing jobs. Thus, at least some rnembers of the experimental group may have looked for work longer and been more selective about the job they accepted.

Eine zwölfprozentige Verringerung der Arbeitsleis­tung muss die Einführung einer negativen Einkommensteuer auf nationaler Ebene verunmöglichen.

"In any case a reduction of only 12 percent suggests that the Introduction of a national negative income tax program will not give rise to a tidal Wave of voluntary idleness" (Pechman/Timpane 1975: 78).

Was die Einstellung zur Arbeit angeht, so mache die Studie deutlich,- dass bei der untersuchten Personen­gruppe keine allzu feste Anbindung an die protestan­tische Arbeitsethik vorzufinden sei, was aus der Dis­kriminierung am Arbeitsplatz, niedrigen Löhnen, all­gemein schlechten Arbeitsbedingungen und willkürli­chen Entlassungen auch verständlich ist; trotzdem wurde festgestellt, es bestehe grundsätzliche Ein­verständnis zur Notwendigkeit der Arbeit:

"The poor have relatively strong labor force attachments." (Pechman/Timpane 1975: 190 f.). Das wichtigste Ergebnis, sei die Technik des sozialen Experiments, dessen Effizi­enz nunmehr bewiesen sei (Kershaw 1972: 25; Pechman/Timpane 1975: 114).

Auf das New Jersey - Pennsylvania Experiment folgten u.a. die Feldstudie in Iowa und North-Carolina, an dem 800 ländliche Familien teilnahmen, das Experiment in Gary" (Indiana) und die Den­ver (Vermont) Studie für 2.000 Familien.

2.7.2 The Gary Negative income Tax Experiment

Neuere Schlussfolgerungen aller Experimente bestätigen diese Befunde. Eine spezifische Angabe ist zu ergänzen: Der häu­figste Grund für die geringe Erwerbstätigkeit der Frauen ist, dass sie sich mehr um die Familie kümmern. Dazu die folgenden Ausführungen. Die Ergebnisse von Gary können mit denen anderer Stu­dien zwar verglichen werden (New Jersey, Seattle und Denver). Die NIT veränderte das Verhalten des Gros’ der Bevölkerung nicht, aber die Arbeitsange­botsentscheidungen von einzelnen wurde schon beeinflusst. Deshalb wird diese Studie hier behandelt.

„NIT was only small effect on a substantial Proportion of the population but that a significant number of Individuais1 labor-supply decisions may be affected quite substantially.”(Burtless/Hausman 1978: 1103-1130).

Diese Aussage fußt auf den in Gary gemachten Berech­nungen, die für ca. 20 % der Bevölkerung eine mini­male Einkommenselastizität ergaben (zwischen null und ein Prozent).

Hingegen offenbaren die Berechnungen ebenfalls, dass einzelne mit einer deutlichen Verringerung ihres Ar­beitsangebotes reagieren, dies hat seine Begründung eher in der Entwicklung des garantierten Einkommens ("result of increases in non-average income“, als in der Reduktionsrate (negative tax rate) auf selbst ver­dientes Einkommen (Burtless/Hausman 1978: 112).

Eine Begründung dafür, dass die Präferenzkurve wegen des garantierten Einkommens sich zugunsten der Frei­zeit verschiebt, lautet; Die Problemgruppe (die Grup­pe, die Ihre Arbeitsangebote am meisten reduziert), suche oder fände keine Jobs mit höheren Löhnen, seit­dem die Lohnverteilung (wage distribution) von Kontroll- und Experimentalgruppe praktisch identisch ist. Deshalb schlussfolgern sie, der Einkommenseffekt sei viel bedeutender als der Effekt, der durch Steuern reduzierten Löhne (uncompensated wage effect).

Was heißt das? Es bedeutet nur, dass aufgrund der technischen Entwicklung ein Mangel an Arbeitsplät­zen besteht. Anzunehmen, die materiellen Reize seien tauglich für die Anbindung an das System, obwohl die­ses System faktisch die Beschäftigungsstruktur ändert Indem es Arbeitsplätze wegrationalisiert.

An anderer Stelle kritisieren beteiligte Forscher die Untersuchungspraxis, wonach das Verhalten von Kon­troll- und Experimentalgruppe vor und während der Experimente in Beziehung gesetzt wurde (Hausman/Wise 1979: 455-473). Bessere Informationen seien zu gewinnen, wenn die Änderung des individuellen Verhaltens in Beziehung gesetzt wird; der Vergleich von durchschnittlichem Verhalten nivelliere Einzelverhalten: die Existenz von signifikanten individu­ellen Effekten sei deshalb schlecht zu erforschen. So weisen die Autoren an anderer Stelle nach, dass im New Jersey NIT-Experiment 85 % der Abweichung (total variance) bei Verdienständerungen von männli­chen Weißen aus der individuellen Überstundenarbeit erklärt werden muss (Hausman/Wise 1979: 421-445).

2.7.3 Das Seattle-Denver Ex­periment

Die größte und umfassendste Studie zur Erforschung der Arbeitsangebots­effekte einer negativen Einkommensteuer fand mit dem Seattle (Washington) und Denver (Colorado) Income Maintenance Program ab 1971 statt.

Durch elf Kombinationen von Reduktionsraten, und Unter­stützungsgarantien ($ 3.800, $ 4.800 und $ 5.600) ver­sucht man hier herauszudestillieren, welches die labor-supply Effekte sind und wie hoch die Kosten für ein national organisiertes Fürsorgesystem in Form der NIT sein könnten.

Abbildung 2.1: Ein NIT- Programm mit positiven Steuerfreibeträgen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle:

Keeley, M. C. et al., "The Labor-Supply Effects and Costs of Alternative Negative Income Tax Programs", in: The Journal of Human Resources 13(1) 1978: pp. 3- 36, here: p. 6

In dieser Grafik wird der Zusammenhang zwischen Transferzahlung und den positiven Steuern ver­deutlicht. Hier sind zwei break-even Levels unterschieden. Punkt B Ist das Einkommensniveau auf dem (positive) Steuern gezahlt werden müssen und Punkt G beschreibt den Punkte wo keine Zuschüsse mehr gewährt wenden. Hier werden weder Zuschüsse vergeben, noch müssen Steuern gezahlt werden. Die Steuervergünstigungen werden ebenfalls an Punkt B gestoppt.

Die Schätzungen der Arbeitsangebotseffekte basieren nachfolgenden Annahmen (Keeley 1978: 11)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vergleicht man die Abnahme an wöchentlichen Arbeits­stunden von New Jersey und Seattle/Denver, so findet man ähnliche Ergebnisse bei weißen Ehemännern in New Jersey und auch farbigen Ehegatten in Seattle und Denver. Allerdings unterschieden sich diese Studien in der Höhe des Basiseinkommens, wodurch einer Vergleichbarkeit Grenzen gesteckt sind.

Die Ergebnisse von Seattle/Denver wurden für das Ba­sisjahr 1974 hochgerechnet, um die Kosten abzuschät­zen; alle Programme waren auf Basis der NIT konzi­piert. Die sechs Transferprogramme, die diesen Hoch­rechnungen zugrunde lagen, hatten konstante Reduk­tionsraten von 50 und 70 % am eigenverdienten Ein­kommen und ein Basiseinkommen von 50, 70 und 100 % der offiziellen Armutsgrenze von 1974 ($ 5.000) für eine 4-köpfige Familie).

Den Berechnungen lagen folgende Annahmen zugrunde:

- Völlige Elastizität der Arbeitsnachfrage. Hier ist impliziert, von einer NIT würden keine Einflüsse auf das Lohnniveau ausgehen;
- Die Kosten der Transferprogramme hängen ausschließ­lich von den labor-supply Effekten ab;
- Keine Veränderung im positiven Steuersystem, er­höhte Ländersteuern verändern das Arbeitsangebot positiv, d. h. es wird weniger gearbeitet.

Tabelle IV: Vergleich von NIT-Raten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(a) Alleinstehende Männer wurden nicht in das Sample aufgenommen, sondern nur Familienväter, allein­ stehende Frauen und von Frauen geführte Familien;

(b) In Tabelle IV werden nur die Experimentalfamilien wiedergegeben, die unter dem break-even Punkt der positiven Steuern liegen. Außerdem wird die Reaktion auf eine nationale Einführung der NIT geschätzt, sie liegt bei einer Steuerrate von 50 % und den weiblichen Familienoberhäuptern bei einem 100 %igen Basiseinkommens ($ 5.600) auf nationaler Ebene, bei einem Prozentsatz von 7,1 am höchsten.

(c) Die Reaktionen stehen nicht bloß im Verhältnis der Kombination von garantiertem Einkommen (nega­tiver) Steuerrate, sondern differieren bei den unterschiedlichen Zielgruppen. Es zeigt sich, dass die Variationen der ne­gativen Steuerrate für die zu erforschenden Anreiz­effekte weniger ausschlaggebend sind als die Höhe des ar­beitslosen Einkommens.

(d) In Tabelle IV korrelieren Spannweite der durch­schnittlichen Reaktion (negative) Steuerrate po­sitiv, d h. höhere Steuerrate verstärkt das Ar­beitsangebot. Dies mag daran liegen, dass der Ein­kommenseffekt (her­vor­gerufen durch veränderte Steuerrate) den Substitutionseffekt nicht kompensiert, oder eine niedrige Steuerrate zu einer vergrößerten Teilnehmerzahl führt. Weibliche Familienvorstände reagieren nicht auf unterschied­liche Steuerraten, sondern sind mit dem Basisein­kommen zufrieden.

(e) Erhöhtes Basiseinkommen vermindert generell die Ar­beitsangebote.

(f) Starke Reaktionen des Arbeitsangebots sind für Familien aller Gruppen, die über dem (Steuer-) break-even point liegen, festzustellen. Hier re­agieren intakte Familien mit einer Verringerung ihrer Arbeitsangebote zwischen 9 und 16 % (Ehe­männer minus 6-12 % Frauen 0 - minus 15 %). Die Reaktion alleinstehender Frauen liegt eben­falls zwischen 0 und minus 15 %.

(g) Tabelle V zeigt (Anhang 2), dass sich die durchschnittliche Reaktion auf nationaler Basis ge­ring ist. Dies trifft hauptsächlich dann ein, wenn die Desintegration der Familie gering bleibt. Es handelt sich um einen geschätzten jährlichen Rückgang der Arbeitsstunden um 5 % bei allen Familien, die einen männlichen Haushaltsvorstand haben. Für alleinstehende Frauen wird allerdings ein Rückgang des Arbeitsangebo­tes von 22 % erwartet und immerhin 11 % in Familien, die von Frauen geführt werden.

(h) Außerdem deuten die Experimente in Seattle und Denver darauf hin5 dass eine negative Einkommensteuer negative Wirkungen auf die Familiensta­bilität hat« Dies wurde normalerweise eher als Nebeneffekt des AFDC-Programms festgestellt«, Der Grund hierfür liegt im unabhängigen Ein­kommen, welches jedem Familienmitglied zuge­standen wird (independance effect).

(i) Zu den Kosten: Die Kosten einer nationalen NIT sind nach den Beobachtungen in starkem Maß von der Detailausgestaltung des Programms abhängig, also von der Höhe der geplanten (negativen) Steuerrate, dem garantierten Mindesteinkommen und der Anzahl der Familien, die am Programm teilnehmen. Kosteneffizienz und Zieleffizienz, stehen in einem gewissen Gegensatz.
Wie aus der Tabelle V zu entnehmen ist, würde das teuerste Programm $ 30 Mrd. kosten und 19,3 Mio. US-Bürgern umfassen. Ein solches Programm geht von einem jährlichen $ 5.000 Mindesteinkommen und einer (negativen) Steuerrate von 50 % aus. Jede Empfängereinheit würde durchschnittlich $ 1.550 pro Jahr erhalten. Insgesamt wären 39 % aller vollständigen Familien in die NIT-Zahlungen einbezogen und 73 % aller Haushalte, denen eine Frau vorsteht. Eine hohe Steuerrate verringert zwar die Kosten, jedoch auch die Anreize zu arbeiten, so dass sowohl bei dem New Jersey Negative Income Tax Experiment, als auch bei den späteren Studien die Raten immer zwischen 30 % und 70 % lagen.

Eine abschließende Beurteilung der Experiment hat sich mit der eingangs gestellten Frage zu befassen, ob eine Anreizwirkung durch die NIT zu erwarten ist. Angenommen wurde, dass diese Wirkung umso höher sein muss, je weniger das verfügbare Einkommen im Fall einer eigenen Beschäftigung reduziert wird.

Aus den Untersuchungsergebnissen wird klar, dass die erwarteten Anreizeffekte zwar teilweise eintreten, aber doch nicht überhand nehmen. Wenn dies der Fall wäre, dann hätte sich der Vorschlag als unverantwortlich herausgestellt. Das Verhalten korreliert eher mit der Höhe des garantierten Einkommen (gemessen in Prozent am festgelegten Armutslevel). M.E. scheint weniger bedeutend, ob jemand Arbeit findet, sondern diese beharrlich sucht. Ob dieses Suchverhalten Erfolg versprechend ist, wird von der Entwicklung der Arbeitslosigkeit abhängen.

3 Beiträge der ökonomischen Theorie

3.1 Kritik am neoklassischen Ansatz der NIT

Unerwartet für mich war das starke Übergewicht des neoklassischen Ansatz der Präferenzwahl freier Individuen in den Experimenten. Dem Anschein nach können Einkommensschwache zwischen Arbeit und Freizeit beliebig frei wählen.. Dieser Theorieansatz verdient eine kritische Würdigung. Hingegen wird die Ein­führung einer negativen Einkommensteuer im United Kingdom eher keynesianisch diskutiert, nach den Effek­ten, die es auf die Beschäftigung, das Einkommen und die Nachfragestruktur haben könnte« Darauf werde ich an dieser Stelle nicht eingehen, weil dies die Einbe­ziehung der Geschichte des Wohlfahrtswesens in Großbritannien erforderlich machen würde.

Die Weiterentwicklung der Präferenzlehre Paretos (1906) brachte der ökonomischen Theorie einen neuen Begriff: die Grenzrate der Substitution (marginal rate of substition). Pareto hatte erklärt, man könne lediglich die Reihen­folge der Verbraucherentscheidungen einschät­zen. Hicks (1934) setzte darauf­hin den Übergang von kardinaler Nutzen­theorie zur ordi­na­len Grenznutzenanalyse durch.

"Wenn der Begriff des Grenznutzens keinen präzisen Sinn hatj so muss dasselbe auch für den sinkenden Grenz­nutzen gelten. Doch wie ist er zu ersetzen? Durch die Regel, dass die Indifferenzkurven konvex zu den Ach­sen verlaufen müssen. Dies darf … als das Prinzip der sinkenden Grenzrate der Substitution (the principle of Diminishing Marginal Rate of Substitution) bezeichnet werden …" (Hicks 1939: 20 f., zitiert nach Hoffmann: 1971: 212).

Während sich Hicks selber in einem späteren Werk wie­der davon zu lösen scheint, hat sich die ‚sinken­de Grenzrate der Substitution’ fest in der Ökonomie verankert und wird auch für die Behandlung der ne­gativen Einkommensteuer herangezogen (Pahlke 1976: 219-234; hier: 221 ff.).

Annahme: freie Präferenzwahl der Individuen zwischen Arbeitszeit (A) und Freizelt (F)

(1) A + F = 24 (Stunden)

Das Einkommen (Y) besteht ausschließlich aus Lohnein­kommen (L) bei gegebenem Stundenlohnsatz (l)

(2) Y = L = A l 1 [(1) sei 1 Stunde]

(3) Y = A

Die Lohngerade wird durch BC beschrieben. Verfügba­res Einkommen (Y ) und Freizeit stellen, so die Annahme, in der Präferenzordnung des Individuums be­grenzt substituierbare Güter mit abnehmenden Grenz­nutzen und somit sinkender Grenzrate der Substitu­tion dar, somit wird der konvexe Verlauf der Indiffe­renzkurven angenommen.

M1 (F1;Y1) sind die Punkte, die dem Individuum das höchste Nutzniveau verschaffen. Die Zahlung negativer Steuern erhöht das Einkommen des Re­zi­pienten.

Abbildung 3.1: Freizeit kostet Einkommen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Meine Darstellung bezieht sich auf die in den oben vorgestellten Feldstudien neoklassische Arbeitsmarkttheorie. Es wird eine Steuer- bzw. Reduktionsrate von 50 % am selbst verdienten Einkommen unterstellt. Das Ein­kommen setzt sich also zusammen aus:

(4) Yv = Y + Tr

Das Transfereinkommen setzt sich zusammen aus:

(5) Tr = r(B-Y)

Tr = Transfereinkommen

r = . negative tax rate, Reduktionsrate auf selbstverdienstes Einkommen

B = level of income at which the transfer is zero (break-even-level)

Y = Income of the household

Die NIT mit dem Satz von 50 %, bezogen auf die Diffe­renz zwischen Basis-Einkommen YB und dem niedrigen Arbeitseinkommen Y, ergibt ein verfügbares Einkommen (Yv), das sich auf der Kurve BGK niederschlägt: Es kommt zu einem Niveaueffekt (Einkommenseffekt), der zur Reduktion der Arbeitszeit führt.

Der Niveaueffekt ist abhängig von der Höhe des garan­tierten Einkommens, dieser wurde in den Versuchen (siehe Abschnitt 2.7.2) höher eingeschätzt, als der Substitutionseffekt, d.h. die Präferenz zwischen Ein­kommen und Freizeit , hervorgerufen durch die Redukti­onsrate. Im Graf kommt es zu einem neuen Optimum Mb, mit der Freizeit Fb, dem verfügbaren Einkommen Yvb, und dem Arbeitseinkommen Yb.

Ausgehend von solchen Modellrechnungen befassten sich die Experimente im wesentlichen mit zwei Fragen: Wie viel kostet eine NIT und welche Arbeitsangebotsreaktion wird sich ergeben. Dabei wird angenommen, dass die NIT alle Bedürftigen unter der Armutsgrenze (Annual money Income = AMI) erreicht, und somit zieleffizient ist. Zieleffizienz bedeutet, dass die Familien Ihre Möglichkeiten ausschöpfen, mehr zu verdienen. Hierfür ist die NIT weniger geeignet als andere Maßnahmen und Programme (vgl Garfinkel/Haveman 1974: 196-204; hier: 202 f.) Darauf soll hier weniger eingegangen werden.

Entscheidend sind die labor supply Effek­te. Kritisch sei zur neoklassischen Arbeitsangebotstheorie dies angemerkt:

- Die Empfänger der NIT haben oft, z. B. aufgrund individueller Qualifikationen oder Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage, keine Möglichkeit, Jobs zu finden. Daher besteht keine Wahlmöglichkeit zwischen Arbeit und Freizeit.
- Die Arbeitszeit ist vertraglich festgelegt und nicht frei wählbar.
- Einzelne Familienmitglieder kön­nen ihre Arbeitszeit reduzieren, weil sie Zweit­verdiener sind. Dies erklärt einen wesentlichen Teil des Rückgangs der Arbeitsangebote. Zumindest der Ehemann solle einen Job zu finden (Moynihan 1978: 146),
- Schwarzarbeit kann nicht, z. B. aus Kostengründen, kontrolliert werden.
- Selbst innerhalb des neoklassischen Instrumenta­riums sind unterschiedliche Verläufe der Indifferenzkurven denkbar; etwa infolge mo­difizierter Norm- und Wertvorstellungen der Menschen, Arbeitsverhalten, Arbeitsverweigerung. Unter folgenden Bedingungen wäre die Annahme der sinkenden Grenzrate der Substitution irrelevant bzw. der Grenznutzen der Arbeit gleich Null und verliefe parallel zur X-Achse, wenn
- das angestrebte Mindesteinkommen, bei dessen Unterschreitung der Grenznutzen des Ein­kommens unendlich hoch sein wird;
- das Min­desteinkommen zugleich den angestrebten Höchstein­kommen entspricht. Dann ist Freizeit und Einkommen nicht substituierbar.
- Freizeit und Einkommen (Konsumgüter) komplementäre Güter darstellen, weil sie dann niedrig oder gleich Null wäre.
- die Arbeit nicht homogen ist. Dann ist die Arbeitsleistung nicht in Stunden messbar und die Konstruktion von Indifferenzkurven äußerst problematisch.[21]
- Die Überlegungen zu neoklassischen Methodologie seien mit dem Hinweis auf den von mir wesentlich erscheinenden Widerspruch abgeschlossen: einer­seits verwahrt sich die neoklassische Schule ge­gen Interventionen des Staats, in das "freie Spiel" der Kräfte des (Arbeits-)Marktes.

Folgerichtig müssten ein freier Fall der Löhne möglich sein und Lohnsubventionen untersagt werden, denn ein vorhandenes Arbeitskräfteüberangebot garantiert ein ge­ringeres Niveau der Löhne. Andererseits fordert gerade die (neoklassische) Friedman-Schule die Einführung der negativen Einkommensteuer. Die Erklärung hierfür, warum es zu den Vorschlägen zur Einführung der NIT kommt, liegt in der Entwicklung der Technik und der damit verbundenen Freisetzung von Arbeitskräften, dem keine Nachfrage nach Beschäftigung entspricht. Zunächst wird die repetitive Teilarbeit von Maschinen übernommen, dann werden die übriggebliebenen Arbeiter der Pro­duktion zur Kompensation technologisch beding­ter Lücken des Pro­duktionsprozesses eingesetzt; im weiteren Verlauf der Technisierung bleiben nur hoch-. bis mittelqualifizierte Funktionen für die Planung, Vorbereitung und Instandhaltung dieser Aggregate übrig, beim Einsatz der primitiven und unqualifi­zierten Arbeit als Lückenfüller; der letzte Schritt wird beschrieben durch die Vollautomatisierung der Produktion und durchgesetzt, dadurch, dass die billi­gen Arbeitskräfte im Rahmen des Lohnkampf teurer werden (Ullrich 1979: 297-299) Diese Entwicklung bleibt nicht auf den Produktionssektor beschränkt. Obwohl die Zahl der Angestellten in den letzten 20 Jahren rapide gestie­gen ist, was zu einer Beschäftigungszunahme .im tertiären Sektor geführt hat und den Rückgang der Zahl der Arbeiter überkompensieren konnte, kann als Zwischenergebnis der Entwicklung der Technik („Re­volution der Mikroprozessoren“) das Ende dieser Wanderungsbewegung festgestellt werden (Gorz 1980).

So kann die durch das System der NIT angestrebte Straffung und Vereinheitlichung des Wohlfahrtssystems nur als Maßnahme zur Herrschaftsab­si­che­rung - analog zu Speenhamland-System vor der Blütezeit des Kapitalismus - gewertet werden. Meine These lautet deshalb, dass die Sozialzuschüsse den Kapitalismus eingeleitet - oder besser: vollzogen — haben, und ihm den Schlusspunkt setzen können.

3.2 Die Frage des Krisenzyklus

Die Zusicherung von beschäftigungslosen Einkommen be­deutet Eingriff in das freie Spiel der Kräfte am Arbeitsmarkt. War das Wohlfahrtswesen der USA bis in die 1960er Jahre hinein eher in die lokale Ökonomie eingebunden (vor allem auf dem Land, wo saisonal billi­ge Arbeitskräfte nachgefragt wur­den), so beschreibt die negative Einkommensteuer doch eine qualitative Ände­rung, insofern, als die Ökonomie lokal gebundene Arbeitskräfte seltener nachfragt..

Technologische Entwicklung bedeutet auf den Arbeitsmarkt bezogen immer zweierlei: Einmal geht es um partielle Höherqualifizierung (Automationskontrolle) bei Reduzierung der Arbeitsformen, die minimale Qua­lifikationen erfordern (Kern Schumann 1977: 152 und 311 ff.). Damit sinkt die Nachfrage nach unqualifizierter Arbeit. Das betrifft Arbeitskräfte in der Landwirtschaft dokumentiert, die zur Saat und Ernte besonders häufig benötigt werden und bei der industrialisierten Landwirtschaft entfallen. Man erinnere sich an die öffentlichen Zahlungen an Sozialhilfeempfän­ger, was dem Zweck diente, Landarbeiter in Zeiten des Spitzenbedarfs an agrarischen Arbeitskräften verfügbar zu haben. Die negative Einkommensteuer hat eine völlig unterschiedliche Funktion aufgrund ihrer Organisationsstruktur. Die zentrale Vergabe der Gelder behindert das Einwirken privater und lokaler Arbeitskräftenachfrage: Die NIT sieht lediglich das Einkommen der Vorperiode zur Stattgabe eines Antrags.

Indes ließe sich eine Reihe Beispielen von Arbeitsverpflichtungen für renitente Sozialhilfe­empfänger heranziehen. Exemplarisch gibt es hier deshalb einen Anta­gonis­mus festzustellen, weil Hilfeleistungen nach unterschiedlichen Kriterien bewilligt und Sozialhilfeempfänger knapp gehalten werden, obwohl der allgemeine Wohlstand steigt. An dieser Stelle interessiert indes nur die sozialpolitischen Funktionen eines öffentlichen Existenzsicherungsrechtes.

Die Beeinflussung staatlich-administrativen Handelns durch ökonomische Ein­flüsse/Interessen sind selten direkt erkennbar, nehmen aber zu, wenn es um die Kernbereiche der Wirtschaft geht.

Führende marxistische Staatstheoretiker sehen die Funktion des Staates weniger als planmäßiges Regulativ, denn als reaktives Durchwursteln auf die krisenhaften Ver­läufe des ökonomischen und gesellschaftlichen Repro­duk­tions­prozesses. (Hirsch 1974 S. 370).

Dennoch sind die Konzessionen gegenüber den Arbeitnehmern etwa beim Arbeitsrecht bemerkenswert. So trägt staatliche Sozialpolitik die unmittel­bare Verantwortung für ökonomische Wachstums- und Stabilitätsvorsorge (Preuss 1975: 67).

Die in mehreren Städten und Bezirken der USA durchgeführten sozialen Experimente zur Erforschung der NIT sollten Arbeitsmoral und Kosten abschätzen. Die Entwicklung beider Messdaten ist offensichtlich durch die Kombination von Basiseinkommen und (negativer) Steuerrate beeinflussbar Besonders die Hohe des Basiseinkommens entscheidet über die Arbeitsangebotswirkung.

Was geschieht aber, wenn außer den rein ökonomischen andere Einflussgrößen wirken (Fromm 1973: 425; Mead, in: Theobald 1972: 93-116). Der technologische Wandel, erhöht die Produktivität je Beschäftig­ten, verringert ihre Zahl bei gestiegenem Output. Darunter fällt

„jede Veränderung des Arbeitsverfahrens, des Material- und des Energieeinsatzes, des Betriebsmittels, der Organisations- und Hilfstechnik … d. h. jede Änderung der durch die Weiterentwicklung der Technik beeinflussbaren Objekte und Faktoren, die bei der Erstellung einer Produktions- und Dienstleistung beteiligt sind“ (Koch/Hackenberger 1971: 26).

Mit anderen Worten: Die Summe der technisch-organi­satorischen Veränderungen als Haupteinflussgröße der kapitalistischen Entwicklung, wandelt die ökonomischen und sozialen Bedingungen der Gesellschaft.

Als technisch-organisatorische Veränderung einer gegebenen Produktionsstruk­tur ist die Abwanderung der Arbeitsbevölkerung aus der Landwirtschaft in die verarbeitende Industrie und von dort in den Bereich Handel und Dienstleistungen anzusehen (Clark 1940: 176). Was die neuere Technikgeschichte und die Mikroelektronik betrifft, spielen die sozialen Konflikte eine Rolle, mit denen sich auch die vorliegende Arbeit beschäftigt und über die man jenes wissen sollte:

„Man könnte eine ganze Geschichte der Erfindungen seit 1830 schreiben, die bloß als Kriegs­mittel des Kapitals wider Arbeiteremeuten ins Leben traten.“ (Marx 1972: 459)

So verstanden sind Gang delinquency in den 50er Jahren und die politisch motivierten Straßentumulte der 1960er Jahre und die Stu­dentenrevolte nur Folge eines veränderten gesellschaft­lichen Bewusstseins, welches mit timelag reagiert. Sie verändern den modernen Arbeitsprozess, welcher den Wandel von Produktions- und Organisationsstruktur widerspiegelt. Gerade weil der moderne Arbeitsprozesses Beschäftigung nicht garantieren kann, bleibt die Anbindung an traditierte Werte- und Normen brüchig und temporär.

Allem Anschein nach spielt die Beschäfti­gungs­wirkung nicht die entscheidende ökonomische Messlatte bei den sozialen Experimenten, denn die Quellen befassen sich damit nicht. Es wäre etwa interessant zu erfahren, wie sich das Konsumverhalten änderte. Alles, was man darüber erfährt, besagt, dass „weiße Ware“ (Waschmaschinen, Kühlschränke) gekauft wurden. Ich möchte die Multiplikatorwirkung im Sinne der Schaffung von Sozialkapital ansprechen, was sich mathe­matisch darstellen lässt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In dieser Verhaltensgleichung soll das Sozialprodukt komplett für Investitionen oder Konsum eingesetzt werden. Doch wie beim Investieren auch spielen Nebeneffekte eine Rolle, so dass Konsumieren durchaus die allgemeinen Produktionen erhalten oder neu schaffen kann, was die Werteproduktion überhaupt erst möglich macht. Über diese Funktion von Transferzahlungen herrscht noch großer Forschungsbedarf.

An dieser Stelle möchte ich den gedanklichen Faden wieder aufnehmen, inwieweit sich der Staat durch das Scheitern des keynesianischen Projektes verändert. Es beginnt historisch. Die Geschichte der technischen Veränderungen deutet darauf hin, dass die Einführung neuer Verfahren und Maschinen oder Organisationsformen kein eigenstän­diger Prozess ist, son­dern aus der Dynamik der Klassenantagonismen resultiert; Ratio­nali­sie­rung, Tayloris­mus oder die Humanisierung der Arbeit lassen sich als Antwort des Kapitals auf politische Prozesse des Ar­beiterwiderstands verstehen. Doch dies ist keine Einbahnstraße, sondern beeinflusst sich gegenseitig.

Mit zwei Herausforderung hat sich das Kapital seit dem Jahr der Oktoberrevolution 1917 zu beschäftigen. Einmal die „weitere Perfektio­nierung des gesellschaftlichen Mechanismus der Aus­pressung von relativem Mehrwert (und) seine vollstän­dige Neustrukturierung“ (Negri 1972: 13); andererseits die Neuzusam­mensetzung der Arbeiterklasse, deren relative Autono­mie die Zukunft des kapitalistischen Wirtschaftssys­tems in Gestalt der Rätebewegung bzw. deren Selbst­verwaltungsträume in Frage zu stellen begann.[22]

Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 erhielt der Kapitalismus die Quittung für die Angebotsaus­weitung, dem keine äquivalente Nachfra­ge entsprach. Der Angebotsüberhang wurde u. a. hervorgerufen durch die Ent­wicklung der Arbeitsproduktivität, die Einführung neuer Techniken, die Arbeitsrationali­sierun­gen und die Zerstörung der Qualifikationsstruktur durch das Fließband, durch tendenzielle Vernichtung der Facharbeiterfunk­tionen bzw. Substitutiona­li­sie­rung durch multi­nationale Massenarbeiter (Negri 1972).

Das Ausbleiben der Nachfrage hemmte die Investitionsneigung der Unternehmer. Das Kapital spürte das Ende des Say’sche Theorems, welches bestreitet, dass die Nachfrage hinter der Produktion zurückbleiben kann.

Keynes trug vor, der Staat müsse fehlende private Nachfrage ausgleichen. Aber auch der Faschismus implizierte das Ende des liberalen Credo; bislang hatte man sich gegen jegliche Interventionen des Staats ver­wahrt. Als Krisenbewältigungsstrategie setzte sich der Keynesianismus nach dem Krieg weltweit durch, um die Profitchancen zu reaktivieren. Andererseits wurde der Arbeiterschaft damit zusätzliche Machtfülle zugestanden. Doch gerade die untersten Schichten beanspruchten einen ständig größeren Teil vom Kuchen. Angesichts dieses machtpolitischen Dilemmas scheinen zwei Wege gangbar zu sein:

- Stabilisierung des privaten Konsums; Stichwörter Transferleistungen, Einkommensredistribution, Wohlfahrtszahlungen, Programme zur Arbeitsbe­schaffung. Der Keynesianische Weg heißt Einkommens- bzw. Be­schäftigungseffekt durch staatliche Investitionen zum Ausbau der Infrastruktur. Auf den hiermit ver­bundenen Kapazitätseffekt werde ich später noch zurückkommen.

- Während die Politik des New Deal in den USA exem­plarisch das beschreibt, was Keynes vor Augen hatte, verfolgte man im faschistischen Deutschland einen anderen. Der Konsum wurde festgeschrieben und staat­liche Ausgaben flössen vornehmlich in die defizitä­ren Bereiche der Wirtschaft (Sohn-Rethel 1973). Dies endete im Zweiten Weltkrieg, war auf Dauer also kein gang­barer Weg.

Keynes hatte die Annahme der Äquivalenz von Ersparnis und Investition (I=S) zwischen 1930 und 1936 geändert.[23]

Das ist wichtig zu wissen, weil (I=S) den theoretischen Hauptfaktor des Systems postuliert; Ersparnis darf nach Keynes der Zirkulation nämlich nicht dysfunktional entzogen wer­den. An diesem Gesinnungswandel wird die Radikalisie­rung des Modells deutlich; es schreibt nunmehr Verhal­ten vor und nimmt so nahezu staatssozialistische Züge an. Das ist der Reformismus des Kapitals. Der Prozess, der mit den Methoden der Produktion des relativen Mehr­werts seinen Anfang nahm, schuf mit der Belebung der Nachfrage die Voraussetzungen für den Kompromiss zwi­schen den sozialen Klassen der Gesellschaft. Keynes nennt dies: Theorie der wirk­samen Nachfrage (Keynes 1952: 20-27, 48 f., 77 f., 83 f., 205-213, 217-229, 237-246).

Sie gründet sich auf das Postulat der Starrheit der Löhne nach unten, was nicht als rein ökonomische Kate­gorie zu werten ist:

"Sie (die Autonomie der Arbeiterklasse, KUG) kann nicht unterdrückt, nicht beseitigt werden: Die einzige Möglichkeit ist, ihre Bewegung zu nutzen, ihre Revolu­tion zu regulieren.“ (Negri 1972: 32)

Die Problematik von Beschäftigung und Arbeits­moral, als Kristalli­sations­punkt der Frage des garan­tierten Einkommens, macht sich an der Dialektik der hinschmelzenden Berufsethik und technischen Wan­dels fest. Wenn man die sukzessive Umstrukturierung von Produktions- und Verwal­tungs­bereich als ein wesent­liches Ergebnis des Drucks der Arbeiterklasse konsta­­tiert, so bezeichnet die Wendemarke der Krise vorn 1929 den totalen Wandel der kapitalistischen Ökonomie selbst: Die Aufrechterhaltung dieser Ökonomie ent­scheidet sich heute weniger in den Fabriken als in der Sphäre der allgemeinen Produktionsbedingungen (Jaeger 1979: 82 ff.). (Unter allg. Pro­duktionsbedingungen soll die Auf­rechterhaltung und Ausweitung der Infrastruktur, des Bildungsstandes, die Sicherung natürlicher Ressourcen bzw. deren Reproduktion u.a.m. verstan­den werden.)

Keynes richtete sein Augenmerk nur auf die kurzfristi­ge Wirkung staatlicher Ausgabenpolitik, auf den Ein­kommens- bzw. Beschäftigungseffekt. Durch das Harrod-Domar Modell wurde sein Konzept insoweit modifiziert, als ihre Intention die Erweiterung der Produktionska­pazitäten war. Ein Beispiel hierfür dürfte die Politik des New Deal sein, wobei immense Investitionen für den In­frastrukturbereich getätigt wurden.

Der dadurch eintretende Kapazitätseffekt, induziert durch staatliche Investitionen­, verändert die Nach­fragestruktur einer Volkswirtschaft grundlegend. Dass dies für die Reproduktion des Kapitalverhältnisses absolut notwendig und nur in der Krise machbar erscheint, entwickelte Schumpeter schon 1931 und war Keynes in diesem Punkt voraus (Schumpeter 1931). Die Dialektik von Entwicklung und Krisenzyklus be­schreibt Negri (1972: 47–92).

So lässt sich die zu Anfang des Kapitels gestellte Fra­ge nach der Funktion des Staats wie folgt beantworten. Heute liegt sie nur sehr ungenau im allgemeinen Grund­satz der Aufrechterhaltung von Wachstum und Stabilität als rein ökonomische Kriterien. Es besteht eine enge Dialektik zwischen ökonomischen und sozialen Faktoren, die total im Wandel begriffen sind; ausgelöst durch die den Kapitalismus immanenten Entwicklungsgesetze.

Diese Entwicklungsgesetze besagen, dass dem drohenden Fall der Profitrate nur mit der Erhöhung der organi­schen Zusammensetzung des Kapitals (c/v) zu begegnen. Diese Einschätzung mag der orthodoxen Marxexegese widersprechen, sie wird auch durch die Empirie be­legt (Höhe der Profite in hoch technisierten Be­reichen der Wirtschaft), Mengen und wertmäßig er­höht sich c zu v. Kostengründe, gelten für den Ersatz der lebendigen durch die tote Arbeit, vor allem we­gen der allgemeinen Produktionsbedingungen der Arbeit, d. h. den sozialen Kosten, die entstehen, will man den Arbeiterwiderstand regulieren.

Theoretisch könnte die Erhöhung der Produktivi­tät und die Stabilisierung des Wachstums Vollbeschäftigung gewährleisten. Doch das Problem ist, wie der ausgelöste Innovationsdruck infolge der Umstrukturierung der Arbeiterklasse verantwortbar zu lösen ist. Darüber hinaus ist Sozialpolitik immer auch als Befrie­dungsstrategie zu sehen.

Hinzu kommt die Nachfragelücke im tertiären Sektor. Es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, denn der Innovationsdruck wird nicht vor dem dritten Sektor der Volkswirtschaft Halt machen. Daher könnte die Trennung von Erwerbsarbeit und Einkommen auf der Agenda stehen.

Die Höhe der Sozialetats lässt sich nicht auf die soziale Frage beschränken (Funke 1978: 242-259). Die politischen Bedingungen sind nicht per Sachzwang-Logik festgeschrieben. Je größer die soziale Unzufriedenheit ist, umso größer könnte die „Hilfe“ ausfallen (Baron 1979, S. 13-55).

4 Schlussbemerkung

Wir erleben zurzeit einen ökonomischen Umbruch, in dessen Folgen sich die Arbeitslosigkeit wie in der Weltwirtschaftskrise von 1929 ausbreiten kann. Die private Nachfrage wurden damals staatlich kompensiert, wodurch die Bedingungen der Reproduktion des Ka­pitalverhältnisses sich heute weniger nach Einzelinteressen als nach den übergeordneten Bedürfnis­sen des Systems Kapitalismus richten (Ab­schnitt 3. 2). Die Ausweitung der Nachfragestruktur erscheint über die Ausdehnung der allgemeinen Produktions­bedin­gun­gen heute zwar denkbar, aber problematisch (Probleme der Tertiari­sie­rung) (Rohner 1976). Die Krise und nicht der Gleichgewichtszustand einer stationären Wirtschaft ist das Normale des Kapitalismus geworden. Es zeigt sich mithin, dass der Charakter der Arbeit zunehmend "abstrakt“ wird.[24] In der Marx’schen Analyse einen Halt zu suchen, stößt jedoch an Grenzen, weil die Kategorien absterben. Die „unproduktive“ Arbeit breitet sich aus, was die Arbeitsproduktivität auf Rekordniveau treibt.

Heute affizieren staatliche Interventionen und Investi­tionen den Ausbau solcher Wachstumsbranchen, die unser Überleben generell in Frage stellen. Das sind soziale Kosten (Kapp 1979) zulasten der Umwelt (Koch/Vahrenholt 1978).

Deshalb werden Konzepte gesucht, die nicht auf die Ausweitung der Pro­duktionskapazitäten ab­zielen, sondern den Teufelskreis von Entwicklung und Krisenzyklus und veränderter Nachfragestruktur durchbrechen. Eine am gesellschaftlichen Durchschnittseinkom­men orientierte negative Einkommensteuer kön­nte ein gangbarer Weg (feasible path) sein.

Anhang 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhang 2

Tabelle V: Kosten und Rezipientenzahl einer nationalen NIT

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Literaturverzeichnis

Adam, R., Mißbräuche im Wohlfahrtswesen der USA, in: Zeitschrift für Sozialreform, 24. Jg. 1978

Agnoli, J., Deppe, F., Offe, C., Brandes, V., Chamberlain, K., Marcuse, H., Kapitalismus und Minderheiten in den USA, Protokoll der Arbeitsgruppe anläßlich des Kongresses: „Am Beispiel Angela Davis“, Frankfurt/M. 1972, S. 110-149 (veröffentlicht bei Suhrkamp)

Angela Davis Solidaritätskomitee, (Hrsg.), Am Beispiel Angela Davis, Der Kongreß in Frankfurt, Frankfurt/M. 1972

Avineri, S., Hegels Theorie des modernen Staates, Frankfurt/M. 1976

Baron,R., Weder Zuckerbrot noch Peitsche, in: Gesellschaft, Beiträge zur Marxschen Theorie, Frankfurt/M. 1979

Beardwood, R., The Southern Roots of Urban Crisis, in: Fortune, August 1968

Braverman, H., Die Arbeit im modernen Produktionsprozess, Frankfurt/M. und New York 1977

Browning, E.K., Alternative Programs for Income Redistribution: The Negative-Income-Tax and the Negative-Wage-Tax, in: American Economic Review, Vol. 63 (1), 1973

Burtless, G., and J. A. Hausman, The Effects of Taxation of Labor-Supply: Evaluation of the Gary NIT-Experiment, in: Journal of Political Economy, Vol. 86(6), 1978

Busse, M., Arbeit ohne Arbeiter, Frankfurt/M. 1978

Clapham, J.H., Economic History of Modern Britain, Vol. III Machines and National Rivalries, Cambridge (U.K.) 1951

Clark, C., The Conditions of Economic Progress, London 1940

Euchner, W., Egoismus und Gemeinwohl, Frankfurt/M. 1973

Fourastie, J., Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, (dt. Ausgabe) Köln 1954

Friedman, M., Capitalism and Freedom, Chicago 1962

Funke, R., Zur sozialpolitischen Entwicklung in der BRD, in: Starnberger Studien 2: Sozialpolitik als soziale Kontrolle, Frankfurt/M. 1978

Galbraith, J. K., Gesellschaft im Überfluß, München 1972 (4. deutsche Auflage)

Garfinkel, J., and R. Haveman, Earnings Capacity and' Target Efficiency of Alternative Transfer Programs, in: American Economic Review, Vol. 64 (1974)

Gerstenberger, H,, Staatliche Sozialpolitik als Instrument gesellschaftlicher Kontrolle, in: Kritische Justiz, 1976 N

Gorz, A., Ökologie und Politik, Reinbek 1977 ders.: Ökologie und Freiheit, Reinbek 1980

Grünert, H., Englands Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in: Kleine Enzyklopädie Weltgeschichte, 3. Auflage, Leipzig 1967

Green, C., Negative Taxes and the Poverty Problem, Washington D.C. 1967

Güntheroth, W., Die Arbeiter produzieren die Krise, in: Autonomie 2, München 1976

Hausman, J.A. and D.A., Wise, Attrition Bias in Experimental and Panal Data: the Gary Income Maintenance Experiment, in: Econometrica, Vol. 47(2): 1979

Hausman, J.A. and D.A., Wise, The Evaluation of Results from Truncated Samples The New Jersey NIT Experiment, in: Annals of Economic and Social Measurement 5:(1976)

Heckscher, E. F., Mercantilism, Vol. II, London 1955

Heffernan, J., NIT Studies: Some Preliminary Results of Graduated Work Incentive Experiment, in: Social Service Review, Vol. 46(1): 1972

Hegel, G. W. F., Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/M. 1976

Heilig, P., Work Incentives and Income Guarantees, the New Jersey NIT Experiment, in: Urban Affairs Quarterly, 14(1): 1978

Hicks, J.R., A Reconsideration of the Theory of Value, in: Economica, 1934

Hicks, J.R., Value and Capital, London 1939

Hirsch, J., Staatsapparat and Reproduktion, Frankfurt/M. 1974

Hobbes, T., Leviathan, or the Matter, from, and the Power of a Commonwealth, Ecclesiastical and Civil, -in: The. English Works of Thomas Hobbes, Vol. 3, London 1839

Hobsbawm, E. J., Industrie und Empire I, Frankfurt/M. 1972 (3. Auflage)

Hoffman, W.L., Political Analysis and Politics: Comments on the Continuing Struggle for a NIT, in: Journal of Human Resources, Vol. 11(2): 1976

Hoffmann, W., Sozialökonomische Studientexte, Berlin 1971

Holdt, J., Bilder aus Amerika, Frankfurt/M. 1978

Hubbertz, K.P., Die Entstehung und Verfestigung von 0bdachloßigkeit - Zum Verhältnis von Armut und Subkultur, in: Neue Praxis, Band 4, 1975

Jaeger, C., Ein Modell der Wirtschaftsgesellschaft, Frank­furt/M., Bern, Cirencester/UK 1979

Kaldor, N., An Expenditure Tax, London 1969

Kaldor, N., Essays on Economic Policy, Vol. I, Part. 3 The Problem of Tax Reform, London 1964

Kapp, W.K., Social Costs of Business Enterprise, Bombay 1963

Keeley, M.C. et al. The Labor-Supply Effects and Costs of Alternative NIT Programs, in: The Journal o£ Human Resources, 8(1): 1978

Kern, H. und M. Schumann, Industriearbeit und Arbeiter­bewusstsein, Frankfurt/M. 1977

Kershaw, D.N. and J. Fair, The New Jersey Income Maintenance Experiment, Vol. 1, New York 1976

Kershaw, D.N., A NIT Experiment, in: Scientific American, Vol. 227(4): oct. 1972

Keynes, J. M., Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin 1952

Koch, E. und Vahrenholt , F., Seveso ist überall, Köln 1978

Koch, G. A. und Hackenberger, W., , Technisch-organisa­torische Umstellungen in der industriellen Produktion, Frankfurt/M. 1971

Lampman, R. J., Approaches to the Reduction of Poverty, in: American Economic Review, Vol. 55, 1955

Lurie, I., An Economic Evaluation of Aid to Families with Dependant Children, Washington D.C., 1968

Mantoux, P. L., The Industrial Revolution in the Eighteenth Century, 1928

Marcuse, H., Zeit-Messungen, Frankfurt/M. 1975

Marx, Karl, Das Kapital, Bd. 1, Die Produktion des relativen Mehrwerts. Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 23, Berlin (DDR) 1972

Marx, K., Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974

Mattick, P., Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenbe­wegung in den USA 1929-1935, Frankfurt/M. 1969

Mattick, P., Marx und Keynes, Die 'Grenzen'des gemischten Wirtschaftssystems, Wiener Neustadt 1973

Molitor, B., Negative Einkommensteuer als sozialpoli­tisches Instrument, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 24, 1973

Moynihan, D.P., Some Negative Evidence about NIT, in: Fortune, Vol. 98(11): 1978

Moynihan, D.P., The Politics of a Guaranteed Income. The Nixon Administration an the Family Assistance Plan, New York 1973: Random House.

Moynihan, D.P., The Negro Family: The Case of National Action, Washington D.C. 1965

Mückenberger, U., Thesen zur Funktion und Entwicklung des Sozialrechts, in: Kritische Justiz 1976

Müller, H., Sozialhilfe und Rezession, in: Neue Gesell­schaft 1976

Negri, T., Krise des Plan-Staats, Kommunismus und re­volutionäre Organisation, Berlin 1973

Negri, T., Zyklus und Krise bei Marx, Berlin 1972 ders.: Sabotage, München 1980

O. V., Select Commitee on Laborers Wages, House of Common, London 1924

O. V., Umwelt schützen - Lohn für Nichtarbeit!, in: Negri,T., Sabotage, München 1980

O. V., Leitfaden der Sozialhilfe, Frankfurt/M. 1977

O. V. Humanisierung der Arbeitswelt, Berlin 1978

O. V., Staff of Subcommittee on Fiscal Policy of the Joint Economic Committee”, in: Handbook of Public Income Transfer Programs, Washington D.C. 1972

O. V., Lohn für die Hausarbeit oder: Auch Berufstätigkeit macht nicht frei, München 1974

0’Connor, J., Die Finanzkrise des Staats, Frankfurt/M. 1974

Offe, C., Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt/M. 1972 (2. Auflage)

Pahlke, J., Wirkungen negativer Einkommensteuer auf das individuelle Arbeitsangebot, in: Jahrbücher für Natio­nalökonomie und Statistik, 1976

Palmer, J.L., and Pechman, J.A., eds., Welfare in Rural Areas: The North-Carolina, Iowa Income Maintenance Ex­periment, Washington D.C.1978

Pareto, V., Manuel d'economie politique, Paris 1906

Pechman, J.A. and Timpane, P.M., eds., Work Incentives and Income Guarantees: The New Jersey NIT Experiment, Washington D.C. 1975

Piven, F. F. and R. A. Cloward, Regulating the Poor. The Functions of Public Welfare, New York 1972

Piven, F. F. und R. A. Cloward, Regulierung der Armut. Die Politik der öffentlichen Wohlfahrt, Frankfurt/M. 1977

Polanyi, K., Kritik des ökonomischen Menschenbildes, in: Technologie und Politik 12, Reinbek 1979

Polanyi, K., The Great Transformation, Frankfurt/M. 1978

Preuss, U. K., Bildung und Herrschaft, Frankfurt/M. 1975

Rhys-Williams, J., Taxation and Incentive, London 1953

Rohner, M., Wir Kinder der Tertiarisierung, in: Autonomie 2, München 1936

Rossi, P. H. and K. C. Lyall, Reforming Public Welfare: A Critique of the NIT Experiment, New York 1976

Roth, J., Armut in der BRD. Über psychologische und ma­terielle Verelendung, Frankfurt/M. 1974

Roth, K. H., Die ‚andere’Arbeiterbewegung, München 1974

Schumpeter, J. A., Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, München 1931

Skolnik, A. M., and S. R. Dales, Social Welfare Expenditures, in: Social Security Bulletin, Vol. 39(1); 1976

Smith, A., The Wealth of the Nations, London 1789

Sohn-Rethel, A., Geistige und körperliche Arbeit, Frankfurt/M. 1972

Sohn-Rethel, A., Ökonomie und Klassenstruktur im deutschen Faschis­mus, Frankfurt/M. 1973

Theobald, R., Guaranteed Income vs. Guaranteed Jobs, in: Forensic Quarterly, Vol. 47 (1973)

Theobald, R., The Challenge of Abundance, New York 1962

Townsend, J., A Dissertation on the Poor Laws, By a Well-Wisher of Mankind, London 1786

Ullrich, O., Technik und Herrschaft, Frankfurt/M. 1979

Ullrich, O., Weltniveau, Berlin 1979

U.S. Department of Health Education and Welfare, The Low Income Population: What We Know About it, in: Report of the 1977 Welfare Reform Study, Washington D.C. 1978

U.S. National Advisory Commission on Civil Disorders, Report of the National Advisory Commission on Civil Disorders, New York 1968

Vester, M., Die Entstehung des Proletariats als Lernprozess, Frankfurt/M. 1970

Wachtel, H.M., Capitalism and Poverty in America: Para­dox or Contradiction?, in: American Economic Review Vol. 62(2): 1972

Wagner, W., Verelendungstheorie - die hilflose Kapi­talismuskritik, Frankfurt/M. 1976

Watts, H.W., and A. Rees, eds., The New Jersey Income Maintenance Experiment, Vol. 2, Labor-Supply Responses, New York 1977

Williams, W., The Continuing Struggle for a NIT: A Review Article, in: The Journal of Human Resources, Vol. 10(4): 1975

Ehrenwörtliche Versicherung

Ich versichere hiermit ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und nur unter Benutzung der angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt habe, -Wört­lich übernommene Sätze und Satzteile sind als Zitate belegt, andere Anlehnungen hin­sichtlich Aussage und Umfang unter Quellen­angabe kenntlich gemacht. Die Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen.

Frankfurt am Main/ den 25.März 1980

(Klaus-Uwe Gerhardt)

[...]


[1] Vgl. O.V. ,Humanisierung der Arbeitswelt, Berlin 1978

[2] Die Beschränkung des Staates zeigt sich u. a. daran: Haushaltsstrukturgesetz von 1976, Gesetz zur Kos¬tendämpfung im Gesundheitswesen sowie an Personalkürzungen im gesamten staatlichen Sektor. Sozialpolitik ist – so meine These - ab¬hängig von der Stärke eine Konfliktpotenzials.

[3] Vgl. dazu: O.V. Umwelt schützen - Lohn für Nichtarbeit! Beilage zu A. Negri, Sabotage, München 1980. An der Unfähigkeit einer Marx-Kritik krankt im übrigen auch der erwähnte Aufsatz von W. Güntheroth.

[4] Vgl. hierzu die Diskussion in folgenden Zeit¬schriften: Kritische Justiz (Jg. 1976), Neue Gesellschaft (1976), Neue Praxis (1976), Zeit¬schrift für Sozialreform und Zeitschrift für Sozialhilfe, jeweils Jg. 1976; ferner das Jahrbuch für Sozialarbeit 19 78. Hier wurde über die Frage, ob Armut eine 'neue soziale Frage' sei geschrieben. Die Klärung der Funktionen der Sozialarbeit im Kapitalismus bleibt anderen vorbehalten.

[5] „Die Intensivierung des englischen Wollexports und der Aufbau einer nationalen Tuchproduktion erlaubten und erforderten die Vergrößerung der Schafherden. Die englischen Großgrundbesitzer schufen sich zu diesem Zweck Weiden durch Einhe­gungen von Gemeindeländereien und Vertreibung von Kleinbauern." Grünert, H., in: Kleine Enzy­klopädie, Weltgeschichte, Leipzig 3. Auflage 1967, S. 268.

[6] Vgl. o.V., Leitfaden der Sozialhilfe, Frankfurt am Main 1977, S. 52.

[7] Henry Stuart's Report (zum Armenrecht, KUG), ebenda, S. 389

[8] Einer der Gründe, die gegen die Akzeptierung des Zuschusssystems durch die industriellen Arbeitge¬ber sprach, war: „In der Baumwollindustrie wurde vorwiegend Stück- oder Akkordarbeit geleistet. Nun arbeiteten sogar in der Landwirtschaft die 'ver¬kommenen und untüchtigen Sprengelkostgänger so schlecht, dass 'bei der Akkordarbeit vier oder fünf von ihnen die Arbeit von einem taten'". Select Committee on Laborers' Wages, House of C.4, VI, 1924, S. 4, zitiert nach Polanyi 1978: 391.

[9] Eine Differenzierung nach Alter, Hautfarbe, Region usw. ergäbe eine weitere Diskriminierung der Sozialpolitik die wiederum eine "negative Reichwei­te" der klassifizierten Bevölkerungsteile ein­schließt. Diskriminierung: Die Programme der Sozialhilfe sind z. B. nicht für Rentner gedacht. Negative Reichweite: Sozialhilfe erreicht aus den unterschiedlichsten Gründen relevante Teile der Armen nicht ( Leibfried 1978: 325-330).

[10] Berichtet wird über Kinderarbeit, hohe Kin­dersterblichkeit, Löhnen und Sozialfürsorge unter dem absoluten Existenzminimum, einseitige Ernäh­rung. Geringe Le­benserwartung, hohe Kriminalität, Alkoholismus, Rausch­giftsucht und Prostitution bezeichnen die Folgen der "Affluent Society".

[11] Zerfall von Familienstrukturen und Verwandt­schafts­ver­hält­nis­sen, die Aberkennung der formalen Auto¬rität von Kirche und Staat und die beschriebenen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, das Ne¬beneinander von Armut und gewaltigem Konsumange¬bot führten u.a. zur Rebellion der Jugend in den Städten, die Ihre Ausdrucksform in Gang Delinquency, bewaff­ne­tem Raub u.a. Formen krimineller Resistenz fanden. Die so­zia­le Desintegration be¬gann, sich in ein neues schwar­zes Selbstbewusstsein zu verwandeln, wobei die auch ent­standene schwarze Mittelschicht, deren Einkommen und Bil­dungsniveau sich oft nicht von den Weißen, ganz entschie­den aber von den Un­terprivilegierten der Gettos, unterschied und die Libera­li­sie­rung der Rassengesetze ganz wesentlich für diese Pro­zes­se verantwortlich sind. Dennoch gab es für 20 % aller Schwar­zen keine Aussicht auf spürbare Einkommens/Ver­besse­run­gen, dabei handelt es sich immerhin um 2.000.000, die ihr Leben in den Gettos fristeten.

Vgl. U.S. National Advisory Commission on Civil Disorders, Report ..., New York, 1968

[12] Moynihan, D.P., The Negro Family; The Case of National Action, Washington D.C. 1965, op. cit. nach Piven/Cloward, a.a.0, S. 194

[13] Ein orthodoxer Erklärungsansatz, der Arbeitslosigkeit als Resultat individueller Mängel sieht, ist die Humankapitaltheorie. Danach ließen sich individuelle Defizite durch formale Qualifikationen und Training der Arbeitsleistung korrigieren. Diese Sicht legitimiert den Rückzug des Staates aus der Nachfragepolitik.

[14] Wenn man sich von Seiten der experimentierenden In¬sti­tu­tionen gern dieser Tatsache rühmt, so wird doch oft von ande­rer Seite - wohl zu Recht - kritisiert, die Methoden der poli­tischen Wissenschaften seien doch nicht so recht tauglich für politi¬sche Entscheidungsfindung; politische Bedingungen sind maßgeblicher als Erkenntnisse der Sozialwissenschaften ( Hoffman 1976; Williams 1975).

[15] Es zeigt sich ein Inklusionsproblem: „We don’t have a problem of mo­ti­va­tion. We have a problem of not having the right connection for people outside of the labor force who want in.“ (Moynihan 1978: 148)

[16] Hierfür prägte die amerikanische Soziologie den Begriff bootstrap theory: Konsumanreize sollen auch mit weniger gut bezahlter Arbeit anziehend sein.

[17] Anders dazu Galbraith 1972: 25 und 259-264.

[18] Diese Fragebögen standen mir nicht zur Ver­fügung (KUG).

[19] Aus Tabelle III, die von Heffernan übernommen wur­de, ist leider die Bezugsgröße für die Einkommens,Veränderungen nicht zu entnehmen

[20] Vgl. Zahlungsweise für Sozialhilfe In der BRD ist turnusmäßiges persönliches Erscheinen ist notwen­dig.

[21] Die abhängig Beschäftigten setzten in der Ausein¬andersetzung um die Verteilung des Mehrprodukts nicht nur gewerkschaftliche Mittel ein, sondern legen spontan die Arbeit nieder oder erfinden andere Mittel des passiven Widerstandes (vgl. Roth 1974).

[22] Negri bezieht sich auf den Seiten auf die Vorschläge Schumpeters, die kapitalistischen Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals zu lösen (Negri 1972: 55-57).

[23] Zur Bestätigung keynesianischer Theorie im New Deal (Mattick 1973: 128).

[24] Hier wird die Aktualität der "Tendenz" bei Marx, der "Zusammenbruch der auf Tausch­wert beruhenden Produktion", ange­sprochen (Marx 1953: 593). Auf das Scheitern des keynesianischen Projektes bezogen, gilt Vergleichbares (Negri 1973: 23-29).

Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
Die Problematik einer negativen Einkommensteuer
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
2,7
Autor
Jahr
1980
Seiten
78
Katalognummer
V110802
ISBN (eBook)
9783640089628
ISBN (Buch)
9783640119127
Dateigröße
1442 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Arbeit geht es um die die Rolle und die Perspektiven der Sozialpolitik nach dem Ende des keynesianischen Projektes zu untersuchen. Durch Arbeitslosigkeit könnte sich die Einkommensarmut verstärken, was durch Sozialtransfers aufzufangen wäre. Einkommenszuschüsse spielten bereits zu Anfang des heutigen Wirtschaftssystems eine entscheidende Rolle, weil sie einen Markt für die Arbeit schufen.
Schlagworte
Problematik, Einkommensteuer, Grundeinkommen, negative income tax, soziale Experimente in den USA, Mindesteinkommen, Sozialpolitik, Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit, Grenzen des Wachstums, Keynes, Einkommen, Armut, Transfer, Transferentzugsrate, guaranteed income, Armutspolitik, poverty
Arbeit zitieren
Dr. Klaus-Uwe Gerhardt (Autor:in), 1980, Die Problematik einer negativen Einkommensteuer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110802

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Problematik einer negativen Einkommensteuer



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden