Die hermetische Lyrik Paul Celans als radikaler Bruch mit den Konventionen der Sprache


Hausarbeit, 1999

15 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Der Meridian
2.1 Die Künstlichkeit der Kunst
2.2 „Kunst schafft Ich-Ferne“
2.3 Der „Akut des Heutigen“
2.4 Die „Neigung zum Verstummen“
2.5 Das „Geheimnis der Begegnung“
2.6 Die Dichtung als „Meridian“

3 Paul Celan: Kristall
3.1 Eine Annäherung

4 Schlußbetrachtung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Paul Celan war kein Dichter des L’art pour l’art. Obwohl sich seine Gedichte zunächst unserem Verständnis durch die faszinierende Dunkelheit und Schönheit ihrer Chiffren entziehen, gehorchen sie nicht ausnahmslos den Postulaten der Poésie Pure. Celan nimmt die ästhetische Prinzip der Poésie Pure zurück zugunsten einer Utopie, die dem Dichter „Wirklichkeit entwerfen“ kann und somit in gewissem Sinne etwas Reales beibehält.

Anhand des „Meridian“, der im ersten Teil dieser Arbeit besprochen wird, sollen die Züge der Poetik Celans erläutert werden. Die aus dem „Meridian“ gewonnenen Erkenntnisse lassen eine Annäherung an die Aussage der Gedichte Celans zu. Dieses wurde an dem Gedicht „Kristall“ im zweiten Teil dieser Arbeit versucht.

2 Der Meridian

In der Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 22. Oktober 1960 in Darmstadt, im „Meridian“, erläutert Paul Celan an Interpretationen Büchner’scher Werke seine Poetik. In Büchners Kritik am Idealismus, „der schmählichsten Verachtung menschlicher Natur“, sieht Celan seine Auffassung von Kunst vorgebildet.

Jedoch liefert der Meridian keine streng begriffliche Explikation der Poetik. Vielmehr versucht Celan, sie mit Hilfe Büchner’scher Figuren und reicher Metaphorik zu umschreiben und denselben Gedanken auf immer neue Weise zu illustrieren.

2.1 Die Künstlichkeit der Kunst

Celan expliziert den Begriff der „Dichtung“ zunächst im Gegensatz zu dem der „Kunst“.

Die (künstliche) Kunst entfernt sich von authentischen, subjektiven Erfahrungen des Individuums. Denn durch die konventionelle Sprache der Menschen einer Sprachgemeinschaft – welche nur durch Übereinkünfte bestehen kann und somit zur Verständigung verallgemeinert wird – abstrahiert der Sprechende von seinen einzigartigen, individuellen Empfindungen.

Werden zudem die Worte in künstlerische Gestalt gesetzt, d.h. in vorgeprägte Formen der Dichtung wie beispielsweise in fünffüßige Jamben[1], mechanisiert der Sprechende seine Aussage und äußert sich somit auf eine künstliche Weise. Die persönliche, subjektive Aussage entfremdet sich ihrer Ursprünglichkeit.

Celan illustriert jenen Charakter der Kunst zunächst an Büchners Dantons Tod: Danton und Camille sterben für ihr Ideal auf dem Schafott. Sie drücken jedoch nicht ihre Angst angesichts der Hinrichtung aus, sondern inszenieren sich für die Nachwelt, indem sie idealistische Phrasen formulieren, welchen künstlerische Gestalt gegeben wurde und die ihre persönliche Erfahrung und Situation ausschließen. Sie verwenden Formulierungen, die „schon einmal dagewesen und langweilig“[2], also abgenutzt und verbraucht sind. Sie bringen der terreur nur „bereits zur Konvention Erstarrtes, allgemein Rhetorisches“ entgegen. „Ihre Äußerungen sind Bestandteil der entleerten Kunst geworden, weil sie die Vermittlung des subjektiven Leidens des Einzelnen nicht leisten können.“[3]

Danton und Camille sind auf die Wirkung ihrer Worte bedacht. Deshalb handeln sie fremdbestimmt – „marionettenhaft“[4] – und geben ihrer Identität keinen Ausdruck.

Die „Dichtung“ erhebt Einspruch gegen die verallgemeinernde und entfremdende „Künstlichkeit der Kunst“ insofern, als sie authentische Leiden und Erfahrungen mit Hilfe einer ungewöhnlichen Sprache zum Ausdruck bringt und somit gleichzeitig das mechanische Verfahren der Kunst, ihre Automatisierung und Instrumentalisierung negiert.

Celan bezeichnet diesen Einspruch als „Gegenwort“, als einen „Akt der Freiheit“, als einen „Schritt“[5] gegen die leeren, verbrauchten Worthülsen der Kunst.

In Lucile, die die in künstlerischer Gestalt formulierten, unlebendigen Worte nicht versteht, sieht Celan die Gegenfigur zur Künstlichkeit. Ihr „Es lebe der König“ erhebt Einspruch gegen die Realität, gegen die Herrschaft der terreur und gegen das „Fremdbestimmtsein“ Dantons und Camilles durch ihr Ideal, das in automatisierten und instrumentalisierten Worten seinen Ausdruck findet. Das Gegenwort formuliert die Wirklichkeit Luciles, welche dabei nicht die Wirkung ihrer Worte bedenkt.[6] Dadurch bleibt sie mit sich selbst identisch.

Durch ihre Gebärde sprengt Lucile den Automatismus, das mechanische Verfahren der Kunst. Sie wendet sich auf unkünstliche Weise gegen das Künstliche und reagiert wandlungsfähig auf die Wirklichkeit.[7] Somit wird die Künstlichkeit thematisiert und gleichzeitig abgelehnt, in dem zur Expression gebrachten, subjektiven Leiden, in der mitgeteilten Menschlichkeit ohne Verwendung künstlerischer Verfahrensweisen.

Celan sieht in dieser Äußerung eine wesentliche Eigenschaft der Dichtung: sie muß vom Leben zeugen, sie muß „Personhaftes und Wahrnehmbares“[8], „Atem und Schicksal“[9] besitzen, d.h. in ihr wird ohne Verklärung der Realität der Bezug zur Gegenwart, zum Persönlichen des Sprechers erkennbar.

Zur Illustrierung des Kunstbegriffs zieht Celan auch Büchners Lenz heran. Unter Verwendung der Metapher des „Medusenhaupts“ für die Kunst wird nochmals deren „mortifizierender“[10] Charakter veranschaulicht.

Wie der Blick der Medusa versteinert die Kunst das ursprünglich Lebendige und tilgt die Spontaneität und Lebendigkeit: Die Transformation der einzigartigen Erfahrung in herkömmliche Formen und Regeln der Kunst nimmt der Aussage ihre Dringlichkeit, da sie auf diese Weise zu einem Allgemeinplatz wird.

Celan sieht das mechanische Verfahren der Kunst analog zum mechanisch kalkulierten, organisierten Verfahren der Massenvernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg.[11]

2.2 „Kunst schafft Ich-Ferne“

Um verständlich zu sein kann Dichtung nur den „Weg der Kunst“[12] gehen, also gebräuchliche Worte und Formulierungen verwenden. Die Artikulation des unmittelbar Empfundenen nimmt den Weg über die Mittelbarkeit/Mitteilbarkeit, d.h. über die gestaltete Sprache.

[...]


[1] Paul Celan: Der Meridian und andere Prosa, Frankfurt/Main 1988, S.40. Im weiteren zitiert als „Meridian“.

[2] Ebd., S.43.

[3] Petra Leutner: Wege durch die Zeichenzone. Stéphane Mallarmé und Paul Celan, Stuttgart 1994, S.152. Im weiteren zitiert als „Leutner“.

[4] Meridian; S.40

[5] Ebd., S.43.

[6] Ebd.

[7] Leutner, S.153.

[8] Meridian, S.43.

[9] Ebd., S.42.

[10] Leutner, S.154.

[11] Marlies Janz: Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans, Frankfurt/Main 1976, S.102. Im weiteren zitiert als „Janz“.

[12] Meridian, S.49.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die hermetische Lyrik Paul Celans als radikaler Bruch mit den Konventionen der Sprache
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für Literaturwissenschaften)
Veranstaltung
Moderne Lyrik
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1999
Seiten
15
Katalognummer
V11071
ISBN (eBook)
9783638173285
Dateigröße
370 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ein guter Einblick Paul Celans Poetik und ihre Erläuterung und die Darstellung dieser Poetik anhand des Gedichts Kristall. 190 KB
Schlagworte
Celan, Poetik, Kristall, Exillyrik
Arbeit zitieren
Carolin Pirich (Autor:in), 1999, Die hermetische Lyrik Paul Celans als radikaler Bruch mit den Konventionen der Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11071

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