Berufsbildung in Brasilien


Referat (Ausarbeitung), 2006

21 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Allgemeines

3. Allgemeines Schulsystem

4. Struktur des Berufsbildungssystems

5. Träger

6. PLANFOR

7. System
7.1 SENAI
7.2 SENAC
7.3 SENAR

8.Diskussion

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Brasilien ist die größte Wirtschaftsmacht Lateinamerikas. Es hat reiche Rohstoffvorkommen und gehört zu den am stärksten industrialisierten Ländern Südamerikas (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.12). Gleichzeitig aber ist die Schere zwischen Arm und Reich besonders groß. Der Anteil der armen Bevölkerung liegt bei 34% (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.53). Es gibt außerdem eine hohe Einkommenskonzentration auf Seiten der reichen Bevölkerung. 1990 hatten die reichsten 10% der Bevölkerung 48,7% der Einkommen, die ärmsten 10% der Bevölkerung hatten dagegen nur 0.8% der Einkommen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.21). Die Arbeitslosenquote liegt bei schätzungsweise 30% (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.16).

Es ist weiterhin eine starke Beziehung zwischen Bildungsstand und Einkommenshöhe zu beobachten (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.19).

Durch die Einführung moderner Technik und moderner Produktionsanlagen zeigt sich die Notwendigkeit einer guten Berufsausbildung. Die Anforderungen bleiben aber sehr heterogen. Während in den modernen Anlagen im Süden des Landes gut ausgebildete Fachleute gebraucht werden, produzieren die kleinen und mittleren Betriebe, die etwa 90% der Industriebetriebe ausmachen, weiterhin mit veralteten Methoden, für deren Bedienung angelernte Hilfsarbeiter ausreichen (Vgl. Bauer, o.J., S.1).

Technische Neuerungen sollen das Land international konkurrenzfähiger machen. Der Gebrauch der modernen Technik lässt aber die Mängel in der Ausbildung der Arbeitskräfte noch deutlicher hervortreten und macht die Notwendigkeit der Reformierung des Bildungssystems deutlich.

Auf der anderen Seite ist es aber auch notwendig, die entsprechenden Stellenangebote für die neuen, auf höherem Niveau ausgebildeten Arbeitnehmer zu schaffen, um nicht durch fehlende Beschäftigung ihren Glauben in das neue Ausbildungssystem zu enttäuschen (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.54).

Die großen sozialen und ökonomischen Unterschiede innerhalb des Landes erschweren aber die Einführung eines einheitlichen Berufsbildungssystems. Der stark industrialisierte Süden und der kleinbäuerlich geprägte Nordosten des Landes stellen völlig unterschiedliche Anforderung an die Ausbildung ihrer Arbeitnehmer (Vgl. Bauer, o.J., S.1).

Aber nicht nur das Berufsbildungssystem muss reformiert werden. Gleichzeitig müssen Versäumnisse in der Grundbildung nachgeholt werden, damit die Menschen überhaupt die Möglichkeit haben, sich beruflich zu spezialisieren und sich weiter zu bilden (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.45).

Die berufliche Bildung wird in Brasilien traditionell gering geschätzt (Vgl. bibb, o.J., S.1).

Handarbeit galt bei den portugiesischen Kolonialherren als Arbeit für Indios und Sklaven, ihnen war die humanistische Bildung höherwertig. Außerdem war es verboten, Waren herzustellen, die das Mutterland liefern konnte. Aus dieser Zeit stammt die Geringschätzung der handwerklichen Arbeit. Erst einwandernde Bauern- und Handwerksfamilien aus Deutschland und Italien brachten gegen Ende des 19. Jahrhunderts höherwertige handwerkliche Arbeit ins Land. Als Importe von Gütern aus anderen Ländern ausblieben, entwickelte sich in Brasilien der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.52).

Die traditionell geringe berufliche Ausbildung, die meist nur aus einem innerbetrieblichen Anlernen besteht, stammt noch aus den ersten Jahrzehnten der brasilianischen Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts und war damals ausreichend. Nur einige wenige Arbeitnehmer wurden an den Universitäten und Fachschulen ausgebildet und bekleideten höhere berufliche Stellungen (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46).

Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Berufsbildung mit der universitären Bildung gesetzlich gleichgestellt, so dass Absolventen von berufsbildenden Kursen anschließend nach Bestehen einer Prüfung studieren konnten (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.56f).

Eine weitere Aufwertung soll die Berufsbildung durch das "Gesetz über Richtlinien und Grundlagen der nationalen Erziehung" erfahren. Dieses Gesetz versteht eine gute berufliche Ausbildung als Wettbewerbsvorteil und sieht die Eigenständigkeit der Berufsbildung als Ergänzung zur allgemeinen Bildung vor (Vgl. bibb, o.J., S.1).

Es stellt sich nun die Frage, wie sich berufliche Bildung in Brasilien trotz dieser ungünstigen Voraussetzung gestalten lässt. Dazu werden zuerst noch einige weitere allgemeine Informationen im Bereich der brasilianischen Bildung und vor allem im Hinblick auf die berufliche Bildung gegeben. Darauf folgt eine kurze Beschreibung des Grundbildungssystems, dass die Grundlagen für die Berufsausbildung legt. Im folgenden wird die Struktur des brasilianischen Berufsbildungssystems beschrieben und ein kurzer Einblick in die sehr heterogene Trägerstruktur gegeben. Zuletzt werden zwei Institutionen im Bereich der Berufsbildung näher beschrieben. Das sind die staatliche Maßnahme PLANFOR und das halbstaatliche System S. Den Abschluss bildet eine kurze Diskussion der Vor- und Nachteile des brasilianischen Berufsbildungssystems.

Auf das Problem der privaten Trägerschaft im brasilianischen Bildungssystem soll in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden. Nur soviel: Die privaten Träger gewährleisten eine höherwertige Bildung und haben eine bessere Ausstattung und auch ansonsten bessere Voraussetzungen für die Vermittlung guter Bildung als die öffentlichen Schulen. Dementsprechend haben die Absolventen der privaten Schulen auch bessere Voraussetzungen für die weitere Ausbildung. Die Ausbildung an privaten Schulen können sich aber nur Kinder wohlhabender Familien leisten, so dass sich die Trennung von Arm und Reich in diesem System reproduziert.

Anders ist es im Bereich der Hochschulen. Hier haben die öffentlichen Universitäten ein deutlich höheres Bildungsniveau. Da aber aus diesem Grund und wegen der kostenlosen Ausbildung eine hohe Nachfrage nach Studienplätzen an den öffentlichen Universitäten besteht, gibt es Aufnahmeprüfungen, die fast nur von Absolventen der privaten Schulen bestanden werden können (Vgl. Schuchart, 2000, S.14f).

2. Allgemeines

Zu Beginn dieses Abschnittes einige Zahlen, die die verheerende Situation im brasilianischen Bildungsbereich verdeutlichen sollen.

1999 waren ca. 13% aller Arbeitnehmer in Brasilien Analphabeten. Fast die Hälfte aller Arbeitnehmer hatte keinen Grundschulabschluss, hatte also die 8. Klasse nicht abgeschlossen.

Der durchschnittliche Schulbesuch der arbeitsfähigen Erwachsenen betrug 6,5 Jahre.

Nur jeder 4. hatte die 11. Klasse abgeschlossen, die die Voraussetzung für eine berufliche Spezialisierung bildet.

Im ökonomisch aktiven Alter zwischen 10 und 24 Jahren hatten 1995 22,2 Mio. Menschen keine qualifizierte Berufsausbildung. (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.45f).

90,9% der Bevölkerung verfügte 2002 über keine berufliche Ausbildung auf technischem oder akademischem Niveau.

Die Bildungsindikatoren Brasiliens liegen deutlich unterhalb des lateinamerikanischen Durchschnitts. Brasilien errang den letzten Platz im internationalen Bildungsvergleich der PISA-Studie (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.53).

Der Zugang zu beruflicher Bildung ist für die meisten Brasilianer erschwert, da nur wenige aufgrund ihrer schlechten Grundbildung die nötigen Voraussetzungen erfüllen (Vgl. Bauer, o.J., S.1).

Dennoch hat Brasilien mittlerweile den Stand eines „middle-income-country“ erreicht. Das ist erklärbar durch Standortvorteile wie z.B. Bodenschätze und den effektiven Einsatz von ungelernten und angelernten Arbeitskräften sowie einigen wenigen hochentwickelten Sektoren mit gut ausgebildeten Fachkräften (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.54).

Die Erfordernisse der modernen Technik machen es aber nötig, hochqualifizierte Mitarbeiter auszubilden. Der Bedarf steigt also, aber das Berufsbildungssystem hat sich noch nicht auf die neue Situation einstellen können.

Ein großes Problem ist die Finanzierung. In diesem Bereich sind die Zuständigkeiten noch nicht geklärt.

Die Ausbildung enthält immer ein gewisses Risiko, denn das Wissen über moderne Produktionsanlagen ist relativ kurzlebig, so dass das in der Ausbildung vermittelte Wissen möglicherweise bei Abschluss der Ausbildung bereits veraltet ist. Die Firmen müssen also, wenn sie ausbilden, zuerst in die Ausbildung investieren und können erst im Nachhinein feststellen, ob sich die Investition gelohnt hat (Vgl. Pfeiffer, 2005,S.55).

Prinzipiell haben die Betriebe ein Interesse an gut ausgebildeten Fachkräften. Die Ausbildung stellt für sie aber ein Risikogeschäft dar. Es stellt sich außerdem die Frage, wie die Ausbildung aussehen soll.

Eine allgemeine auf ein bestimmtes Berufsfeld ausgerichtete Ausbildung ist von Vorteil, denn die Arbeitnehmer müssen flexibel sein und brauchen ein breites Wissensspektrum, um für den Betrieb von Vorteil zu sein. Eine allgemeine Ausbildung der Arbeitnehmer lohnt sich für die Betriebe jedoch nur bedingt, da allgemein qualifizierte Arbeitnehmer schnell abgeworben werden können und ihr Wissen in anderen Firmen zum Einsatz bringen können. Unter dem Aspekt war die Ausbildung für den ausbildenden Betrieb nutzlos.

Spezifisch für einen Bereich in einem Betrieb ausgebildete Arbeitnehmer können nicht in einem anderen Betrieb eingesetzt werden, weil sie zu sehr spezialisiert sind. Sie haben aber auch kein breites Fachwissen, so dass der eigene Betrieb sie auch nur sehr eingeschränkt einsetzen kann.

Die Betriebe müssen Kosten und Nutzen von gut ausgebildeten Arbeitnehmern mit breitem Fachwissen abwägen.

Für den Arbeitnehmer lohnt sich zu spezifisches Wissen nicht, weil er es nicht woanders weiter verwenden kann. Er ist von einem Betrieb abhängig, kann sich aber auch nicht auf seine Notwendigkeit für den Betrieb verlassen, da es sehr leicht ist, einen anderen Arbeitnehmer für dieselbe Arbeit anzulernen. Ein gute Ausbildung ist also für den einzelnen Arbeiter eher von Vorteil, denn er hat bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und eine stärkere Position innerhalb des Betriebes.

Ideal wäre eine Kombination aus allgemeinem und spezifischem Wissen, wie sie z.B. die duale Berufsausbildung in Deutschland bietet. Die Finanzierung der Ausbildung sollte auf alle Betriebe umgelegt werden, damit nicht einige Betriebe in Ausbildung investieren, während andere nur die gut ausgebildeten Arbeitnehmer abwerben. Ausbildung muss sich für alle lohnen und für alle das gleiche Risiko beinhalten (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.55f).

Wichtig bei der Gestaltung eines Berufsbildungssystems in Brasilien ist, dass es flexibel ist und auf die regionalen und sektoralen Unterschiede eingehen kann. Ein national einheitliches Programm ist aufgrund der großen Unterschiede in sozialer, ökonomischer und geografischer Hinsicht nicht sinnvoll und nicht finanzierbar (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.57).

Seit 1990 gibt es eine neue Berufsbildungspolitik in Brasilien.

Der Bund muss mind. 18% und die Länder mind. 25% der Steuereinnahmen für den Bildungsbereich verwenden (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.30).

Es entstanden Programme zur Förderung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit, die dezentral auf Landes- und Gemeindeebene umgesetzt werden. Es wurden Fonds geschaffen zum Schutz der Arbeitnehmer, in den Unternehmer und Arbeitnehmer einzahlen. Er wird verwaltet von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und dem Arbeitsministerium.

Das Angebot an berufsbildenden Unterrichtsstunden erhöhte sich von 1985 bis 1993 von 1 auf 1,5% aller Arbeitsstunden. Das ist aber immer noch wenig im Vergleich zu 6% im Weltdurchschnitt (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.47).

Außerdem wurde eine Abgabe der Privatunternehmen für die Pflichtschulbildung, der Salário Educacao, eingeführt. Die Abgabe beträgt in der Landwirtschaft 0,8% des Handelswertes der Produkte, im sekundären und tertiären Bereich 2,5% der monatlichen Lohn- und Gehaltssumme. Eine Befreiung von dieser Abgabe ist möglich, wenn ein Unternehmen eine eigene Schule unterhält oder den Angestellten die Bildungskosten erstattet (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.30).

3. Allgemeines Schulsystem

In Brasilien gibt es eine Schulpflicht, die acht Jahre beträgt. Sie erstreckt sich über den vierjährigen Primarbereich und den ebenfalls vierjährigen Sekundarbereich I. Danach gibt es die Möglichkeit, den Sekundarbereich II zu absolvieren, der je nach Ausrichtung drei bis vier Jahre dauert. Im Sekundarbereich II gibt es drei- und vierjährige Schulen, die auf die Berufstätigkeit oder ein Hochschulstudium vorbereiten sollen (Vgl. Bauer, o.J., S.1f).

Besonders in den dünn besiedelten Gebieten im Norden und Nordosten des Landes gibt es zu wenig Schulen, bzw. sehr lange Anfahrtswege, die aufgrund von schlechter Verkehrsanbindung oft nicht bewältigt werden können. Aus diesem Grund gehen sehr viele Kinder, die in diesen Gebieten wohnen, nicht in die Schule.

In den Favelas besucht nur jedes achte Kind eine Schule. Auch hier sind die Gründe zu wenig vorhandene Schulen bzw. sehr langer Anfahrtsweg. Außerdem ist in den Familien der Favelas kein Geld für Fahrtkosten, Schuluniform und Lernmaterialien vorhanden. Die Kinder müssen weiterhin auch zum Lebensunterhalt der Familie beitragen und haben deswegen nicht die Möglichkeit, die Schule zu besuchen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.35).

1993 besuchten 30 Mio. Kinder und Jugendliche in Brasilien die Pflichtschule.

In den ersten fünf Schuljahren gibt es eine Wiederholerrate von 20-30%. Deshalb ist die Altersstruktur in diesen Jahrgängen sehr gemischt, was das Lernen in den Klassen zusätzlich erschwert. Zudem besetzen die Wiederholer Plätze in den Klassen, die eigentlich den jüngeren Schülern zustehen sollten.

Die wesentlichen Lernziele im Pflichtschulbereich sind Lesen, Schreiben, Rechnen, physikalische, wirtschaftliche und naturwissenschaftliche Grundkenntnisse, moralische Grundüberzeugungen und Arbeitstugenden (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.39).

In den letzten beiden Pflichtschuljahren, der 7. und 8. Klasse, findet bereits eine erste Berufsorientierung statt. Dabei sollen durch praktische Aktivitäten die Neigungen und Fähigkeiten der Schüler ermittelt werden, die dann in Werkstätten in Kursen ausgebaut werden, um einfache berufliche Tätigkeiten ausführen zu können (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.40).

Im Sekundarbereich II gibt es den akademischen Weg, der 3 Jahre dauert und auf ein Hochschulstudium vorbereitet, die Grundberufsausbildung, die ebenfalls 3 Jahre dauert und auf einfache berufliche Tätigkeiten vorbereitet, und die Technikerausbildung, die 4 Jahre dauert und zu Facharbeitertätigkeiten auf mittlerem Niveau qualifiziert und die Hochschulreife vermittelt. Es gibt im Sekundarbereich II über 100 verschiedene Ausbildungsangebote. Diese Stufe wird aber vorwiegend von reicheren Schülern besucht und erreicht nur eine geringe Teilnahmequote, nämlich 15% der entsprechenden Altersgruppe. Auch hier gibt es hohe Abbrecher- und Wiederholungsraten (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.42).

Nachteile in der Ausbildung der Sekundarstufe II sind die fehlende Anerkennung der Berufsbilder, der Wunsch der Jugendlichen, die Universität zu besuchen, statt eine Berufsausbildung zu machen, das niedrige Gehaltsniveau nach Abschluss dieser Stufe, das fehlende Aus-, Fortbildungs- und Bewertungssystem für Lehrer, die schlechte Ausstattung der Ausbildungseinrichtungen, die mangelnde Kooperation von Ausbildungseinrichtungen und Betrieben, das Fehlen eines pädagogischen Konzepts, die Inflexibilität von Kursen und Curricula und die schlechte Finanzierung (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.45).

Ein weiteres Problem des brasilianischen Schulsystems im Allgemeinen ist die geringe Ausbildung des Lehrpersonals. In der Primarstufe unterrichtet ein Lehrer sämtliche Fächer und benötigt lediglich den Abschluss des allgemeinbildenden Sekundarbereichs II. Um im fünften und sechsten Jahr zu unterrichten, wird der Abschluss des Sekundarbereiches II und eine einjährige Spezialisierung benötigt. In diesen Jahren unterrichtet ein Lehrer nur noch bestimmte Fächer und nicht mehr alle. Für den Unterricht in den letzten beiden Schuljahre der Pflichtstufe wird ein Hochschulstudium vorausgesetzt (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.39).

4. Struktur des Berufsbildungssystems

1996 gab es eine Bildungsreform, in der erstmals eine Normierung für die berufliche Bildung vorgegeben wurde. Es wurde dabei viel Wert auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Systems an regionale Unterschiede gelegt, um sich auf die großen Unterschiede innerhalb des Landes in den verschiedenen Regionen auf geographischer, soziokultureller und ökonomischer Ebene einstellen zu können, die die Einführung eines einheitlichen Berufsbildungssystems verhindern (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.57).

Es gibt drei Stufen der beruflichen Bildung: die Basisstufe (básico), die Technische Stufe (técnico) und die Höhere Stufe (tecnológico).

Die Basisstufe bietet informelle Berufsbildung. 1999 befanden sich insgesamt 2 Mio. Schüler in Kursen dieser Stufe (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46).

Sie richtet sich an Arbeitnehmer mit geringer Schulbildung und ist unabhängig vom Alter für alle Interessierten ohne Zugangsvoraussetzungen zu besuchen. Auch die allgemeine Vorbildung der Teilnehmer stellt in dieser Stufe keine Hürde dar (Vgl. bibb, o.J., S.1).

Die Basisstufe bietet Kurzzeitkurse ohne gesetzliche Reglementierung bzgl. Art, Dauer und Inhalt der Kurse. Die Inhalte werden nachfrageorientiert gestaltet. Es werden fast alle Inhalte angeboten, an denen ein ausreichendes Interesse besteht (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.57).

Die Kurse dieser Stufe haben häufig kompensatorischen Charakter, da zuerst Grundkenntnisse der Muttersprache und der Mathematik vermittelt werden, um alle Teilnehmer auf denselben Wissensstand zu bringen, bevor das eigentliche Kursthema behandelt werden kann (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.60).

In Kursen der Technischen Stufe befanden sich 1999 717 000 Schüler (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46).

Die Technische Stufe kann parallel zur oder nach Abschluss der 11. Klasse, also der Sekundarstufe II besucht werden, Voraussetzung für den Abschluss eines Kurses der Technischen Stufe ist aber der Abschluss der 11. Klasse (Vgl. bibb, o.J., S.1).

Auf der Technischen Stufe erfolgt die Ausbildung vom spezialisierterem Personal. Es gibt 20 Berufsgruppen, für deren Ausbildung jeweils genau definierte Richtlinien, Qualifikationsprofile, Kompetenzen und Anforderungen definiert worden sind, die von staatlichen Gremien festgelegt wurden. In manchen Kursen sind sogar betriebliche Praktika vorgesehen (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.57).

1999 befanden sich in Kursen der Höheren Stufe 97 000 Schüler (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46).

Die Höhere Stufe bietet ein bis zweijährige Kurse auf hohem, nicht-universitären Niveau und weitere Angebote zur beruflichen Spezialisierung an (Vgl. bibb, o.J., S.1).

Die Kurse sind vorgesehen für Absolventen der Sekundarstufe einschl. der technischen Stufe und sind Bestandteil der höheren Bildung. Ihr Abschluss ist einem Universitätsabschluss äquivalent und unterliegt dementsprechend der Gesetzgebung für die höhere Bildung. Kurse der Höheren Stufe sind vergleichbar mit technischen Hochschulen in Deutschland (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.57).

1999 nahmen 2,86% der brasilianischen Arbeitskräfte an berufsbildenden Kursen jeglicher Art teil, bei 80 Mio. ökonomisch Aktiven ist diese Zahl jedoch sehr gering (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46).

Der weitaus größte Teil, ca 83%, der 1999 angebotenen 33 006 Kurse entfiel auf die Basisstufe, auf die technische Stufe entfielen noch 15% und auf die höhere Stufe nur noch 1,3%. Grund dafür ist u.a., dass die meisten Arbeitnehmer in Brasilien die Zugangsvoraussetzungen für die Technische und die Höhere Stufe nicht erfüllen.

Die meisten Teilnehmer im Berufsbildungssystem nehmen an short-term-Trainings von 15 bis 90 Unterrichtsstunden teil. Sie möchten sich durch die Teilnahme neue Einkommensmöglichkeiten schaffen oder bestehende verbessern.

Diese Kurse der Basisstufe erreichen aber qualitativ nur Mittelmaß, weil den Teilnehmern meist zuerst grundlegende Sprach- und Mathematikkenntnisse vermittelt werden müssen, die sie in der Pflichtstufe des allgemeinen Schulsystems nicht bekommen haben (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.59f).

Die Kurse der Technischen Stufe der öffentlichen Träger gehen über 800 bis 1200 Unterrichtsstunden. Sie dauern 18 bis 24 Monate und sind sehr kostspielig, qualitativ aber sehr gut. Für die Teilnehmer sind diese Kurse bei den öffentlichen Trägern kostenlos, daher ist die Nachfrage aber sehr hoch. Die Aufnahmeverfahren sind dementsprechend schwierig. Daher haben weiterhin Bewerber mit schlechten Vorkenntnissen kaum Chancen auf eine Ausbildung in der Technischen Stufe. Nur diejenigen, die sich eine gute Vorbildung leisten konnten, können die Aufnahmeprüfungen bestehen (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.61).

Es ist festzustellen, dass die Wahrscheinlichkeit an einem berufsbildenden Kurs teilzunehmen für beruflich besser vorgebildete Arbeitskräfte größer ist. Zum einen weil sie eher die finanziellen Möglichkeiten haben und zum anderen, weil sie durch ihre Vorbildung bessere Voraussetzungen zum Bestehen von Aufnahmeprüfungen und zum erfolgreichen Absolvieren der Kurse haben (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.60).

5. Träger

Die Trägerlandschaft für berufliche Bildung in Brasilien ist geprägt von hoher Vielfalt. Es gibt einige verschiedene öffentliche Einrichtungen und viele private. Aufgrund der geringen Vorgaben für die Gestaltung beruflicher Bildung herrscht eine große Uneinigkeit innerhalb der Trägerlandschaft, die in der hohen Anzahl verschiedener Einrichtungen zum Ausdruck kommt.

Es gibt die Zentren für Technologische Erziehung CEFET (Centros de Educacao Tecnológica), Technische Schulen ET (Escolas Técnicas) und Agrartechnische Schulen EAT (Escolas Agrotécnicas), die den Bundesstaaten unterstehen. Weitere öffentliche Einrichtungen sind die von Ländern und Gemeinden getragenen Berufsschulen.

Die Organisationen, die dem System S angehören, können als halbstaatlich bezeichnet werden.

Von den Hochschulen gibt es auch berufsbildende Angebote für die außeruniversitäre Bevölkerung. Auch die Gewerkschaften unterhalten eigene Schulen und Bildungszentren.

Außerdem gibt es noch eine hohe Anzahl von privaten, meist gewinnorientierten Trägern (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.58).

Fast die Hälfte aller berufsbildenden Kurse werden von privaten Anbietern gestellt, auf der Höheren Stufe sind es sogar 2/3.

Auf der Basisstufe bietet das System S mit 41% fast genauso viele Kurse an wie die privaten Träger.

Auf der Technischen Stufe bieten die öffentlichen Träger sogar etwas mehr Kurse an als die privaten (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.59).

Da die privaten Träger so einen hohen Anteil an den Kursen der Berufsbildung haben, muss ein Großteil der Teilnehmer die Kosten selbst tragen, was nur denjenigen möglich ist, die bereits über ein höheres Einkommen verfügen (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.61).

6. PLANFOR

1995 wurde der nationale Bildungsplan PLANFOR umgesetzt. Seine Aufgaben bestehen in der Arbeitsvermittlung, der Berufsqualifizierung, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Veröffentlichung von Informationen zum Arbeitsmarkt.

PLANFOR ist ein Netz von 2600 Kommissionen auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene. Es richtet jährlich berufsqualifizierende Programme im Wert von 352 Mio. US $ aus. 1996 wurden 1,2 Mio. Menschen in irgendeiner Weise von diesem System unterstützt (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46f).

Das System PLANFOR arbeitet mit ca. 1500 Anbietern im Bildungsbereich zusammen. Es koordiniert Maßnahmen im Bereich der Berufsbildung im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich und arbeitet an der konzeptionellen Weiterentwicklung der Gestaltung und Durchführung der Ausbildungsmaßnahmen. In den Jahren 1995 bis 1999 wurden 700 Mio. US $ für eine Teilnehmerzahl von 8,3 Mio. über dieses Programm investiert (Vgl. IAA, 2002, S.95).

7. System S

Das System S wurde in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts als halbstaatliches Berufsbildungssystem gegründet. Als Grundlage für die Existenz dieses System dient ein Bundesgesetz, die Institutionen des Systems S unterstehen aber den Arbeitgeberverbänden (Vgl. Bauer, o.J., S.2).

S steht für servico – Dienst.

Zuerst entstanden der SENAI (Servico Nacional de Aprendizagem Industrial) und der SENAC (Servico Nacional de Aprendizagem Comercial), die Aus- und Weiterbildungsorganisationen von Industrie und Handel und Dienstleistung, später kamen noch SENAR (Land- und Forstwirtschaft) und SENAT (Transport) hinzu (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46).

Finanziert wird das System durch eine Zwangsabgabe der Betriebe von 1% der Lohnsumme (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46). Dennoch müssen von den Teilnehmern Kosten in Höhe von 10-100 US $ pro Kurs erhoben werden (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.61). Firmen können teilweise von der Abgabe befreit werden, wenn sie eigene Schulungszentren in Kooperation mit dem SENAI unterhalten.

1990 standen dem SENAI 175 Mio. US $ und dem SENAC 108 Mio. US $ zur Verfügung.

Die Idee für die Entstehung dieses Systems war, den Staat von der Finanzierung der Berufsbildung zu entlasten und die Berufsausbildung von der Bereitschaft der Betriebe unabhängig zu machen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S31).

Die Aufgaben des Systems sind die Berufsausbildung, Technikerausbildung, Weiterbildung und Spezialisierung, Meisterausbildung, Kurse bei Einführung neuer Technologien, Ausbildung von Kleinstfirmeninhabern, Führungskräften, Arbeitslosen und Straßenkindern (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.59).

Die Ausbildung durch das System S hat eine hohe Qualität, ein SENAI-Diplom gilt als Anstellungsgarantie. Dieses hohen Ansehen der Ausbildung gilt auch international, so dass auch ausländische Firmen ihre brasilianischen Mitarbeiter durch das System S ausbilden lassen (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46).

Die Lehrer sind immer auf dem neusten Stand, da sie regelmäßig Einblicke in die Betriebe und die technischen Neuerungen bekommen. Es herrscht ein Austausch zwischen den Ausbildungszentren und den Betrieben.

Durch die regionale Organisation können die Angebote auf die regionalen und firmenspezifischen Bedürfnisse abgestimmt werden. Die Angebotsstruktur kann flexibel variiert werden und durch die modulare Form der Ausbildung können Ausbildungspläne individuell gestaltet werden. Die Lehrpläne können außerdem mit den Firmen abgesprochen werden (Vgl. Bauer, o.J., S.3).

Die Ausbildung des Systems S kam aber auch in die Kritik wegen seines elitären Charakters und der autoritären Pädagogik. Das hat aber seinem Erfolg im Bereich der beruflichen Bildung nicht geschadet (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.46).

7.1 SENAI

Der SENAI wurde 1942 gegründet. Sein vorrangiges Ziel ist die Ausbildung von qualifizierten Arbeitskräften auf mittleren Niveau. Er bietet aber auch Fortbildungs- und Spezialisierungskurse und innerbetriebliche Trainings für einzelne Firmen (Treinamento Industrial) an (Vgl. Bauer, o.J., S.2).

Der SENAI hat insgesamt 600 eigene Ausbildungszentren. Davon sind fast die Hälfte mobile Einrichtungen, die per Sattelschlepper, Eisenbahn oder Schiff auch in die entlegenen Gebiete Brasiliens gebracht werden können, um auch den Menschen in den schwer zugänglichen Gebieten eine berufliche Ausbildung anbieten zu können (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.60f).

Der SENAI bietet hauptsächlich Kurse in der Basisstufe an (96%), er bildet aber auch auf der Technischen und der Höheren Stufe aus (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.59).

Nach der 8-jährigen Pflichtschule folgt im SENAI eine kostenlose 3-jährige Lehrlingsausbildung (Curso de Aprendizagem Industrial) mit berufsfähigem Abschluss. Diese Ausbildung besteht aus zwei Jahren Unterricht in einem Ausbildungszentrum und einem praktischen Jahr in einem Betrieb.

Die Technikerausbildung (Curso Tecnico) dauert zwei Jahre. Sie ist vollschulisch und kostenpflichtig (Vgl. Bauer, o.J., S.2).

Auch Jugendliche, die nur die ersten vier Jahre der Pflichtschule absolviert haben, können an den Programmen des SENAI teilnehmen und während der Ausbildung die Inhalte der Pflichtschule nachholen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.66).

Die Aufnahme einer Ausbildung beim SENAI ist aber nur möglich, wenn ein Ausbildungsvertrag mit einem Betrieb besteht oder eine Aufnahmeprüfung bestanden wird. So ist der Anteil von lernschwachen Schülern in den Klassen gering.

Durch die weitgehend kostenlose Ausbildung, kostenlose Lehrmittel und eine kleine Ausbildungsvergütung soll gewährleistet werden, dass auch Schüler aus sozial schwachen Familien eine Ausbildung absolvieren können (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.66). Aber die Vergütung ist auch für brasilianische Verhältnisse so gering, so dass viele Schüler die Ausbildung vorzeitig abbrechen müssen, um Geld zu verdienen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.69).

7.2 SENAC

Der SENAC wurde 1946 gegründet. Er bietet Einführungs-, Qualifizierungs- und Fortbildungskurse vor allem für Büro- und Gesundheitsberufe, Dienstleistungen und das Hotel- und Gastronomiegewerbe. Der SENAC betreibt Lehrbetriebe, die komplett von Schülern bewirtschaftet werden (Vgl. Bauer, o.J., S.2).

Die Finanzierung des SENAC ist genauso organisiert wie beim SENAI. Es gibt aber kaum Kooperationen mit Betrieben und keine Möglichkeit als Betrieb von der Lohnsummensteuer befreit zu werden. Beim SENAC gibt es keine Aufnahmebedingungen und die Kosten der Ausbildung werden für sozial schwache Teilnehmer erstattet (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.71).

Die Kurse des SENAC sind von sehr unterschiedlicher Dauer, je nach Art der Kurse dauern sie zwischen 10 Stunden und 18 Monaten (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S71). Der Berufsabschluss erfolgt nach max. eineinhalb Jahren (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.49).

7.3 SENAR

Der SENAR wurde 1976 für die Ausbildung im Bereich der Landwirtschaft gegründet. Er bietet Hilfe bei der Planung und Durchführung von Ausbildungsprogrammen für in der Landwirtschaft Beschäftigte und sorgt für die soziale Entwicklung auf dem Land.

Er unterstand zuerst dem Arbeitsministerium, war also in staatlicher Hand, da er anders nicht finanzierbar war. Erst seit Anfang der 90er Jahre erfolgt die Überführung in den Nationalen Verband der Landwirtschaft. Die Organisation und Finanzierung sollen denen von SENAI und SENAC angeglichen werden (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.29).

Der SENAR bietet ausschließlich Teilqualifikation und Weiterbildung, aber keine Erstausbildung an (Lanzendorf u.a., S.49). Er unterhält Ausbildungsfarmen, auf denen die Teilnehmer beherbergt werden.

Die Zielgruppe besteht aus selbständigen Kleinbauern, besitzlose Landarbeiter werden vom SENAR nicht explizit angesprochen.

Die Kurse finden in Blockform statt. Nach dem Kurs muss jeder Teilnehmer unter Betreuung ein eigenes Projekt durchführen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.76f).

8. Diskussion

Dem Staat wird vorgeworfen, dass er sich zu sehr aus der Verantwortung für die berufliche Bildung zurückzieht und damit den privaten Anbietern, die ohnehin schon überrepräsentiert sind, noch mehr Raum gibt. Dabei ist es gerade notwendig, die öffentlichen Einrichtungen der Berufsbildung zu fördern, um auch sozial benachteiligten Menschen die Möglichkeit einer beruflichen Ausbildung zu geben (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.47).

Durch die hohe Anzahl privater Anbieter, deren Kosten für die Ausbildung sehr hoch sind, haben arme Menschen nur die Möglichkeit, eine Ausbildung bei einem öffentlichen Träger zu machen. Da dort die Nachfrage aber sehr hoch ist, müssen Aufnahmeprüfungen abgelegt werden, die arme Menschen, die sich keine gute Grundbildung leisten konnten, kaum bestehen können. Dementsprechend werden sozial benachteiligte Menschen entweder durch die hohen Kosten oder die schwierigen Aufnahmeprüfungen an der Aufnahme einer beruflichen Ausbildung gehindert und die berufliche Bildung kommt doch nur denen zugute, die bereits eine gute Grundbildung finanzieren konnten (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.61).

Dem System S wird eine starke Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Firmen vorgeworfen. Es wird gesagt, sie seien nicht unabhängig (Vgl. Bauer, o.J., S.3).

Durch die enge Zusammenarbeit mit den Firmen und der Finanzierung, die direkt durch die Firmen erfolgt, orientieren sich die Ausbildungsinhalte stark an den Bedürfnissen der Betriebe. Diese enge Kooperation ermöglicht einerseits die hohe Aktualität der Ausbildung und verhindert, das Arbeitnehmer „am Markt vorbei“ ausgebildet werden, sie übergeht aber das Problem der fehlenden Grundschulbildung. Besonders das Modell der Berufsausbildung nach nur vier Jahren Pflichtschulschulbildung ist kontrovers. Die Arbeitnehmer sind nicht flexibel, sondern an eine Firma gebunden, auf die ihre Ausbildung ausgerichtet wurde. Das verschärft die Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, da der Machtmissbrauch durch die Arbeitnehmer begünstigt wird. (Calcagnotto, S.47). Auch die Befreiung von Unternehmern von der Lohnsummensteuer bei Zusammenarbeit mit dem SENAI ist in diesem Zusammenhang kritisch zu sehen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.94).

Das führt zu einem weiteren Problem. In Brasilien haben die Arbeitnehmer kein ausreichendes Bewusstsein für ihre Rechte. Sie wurden seit jeher von den Arbeitgebern ausgebeutet. Daher ist es wichtig, die Position der Arbeitnehmer zu stärken und ihnen ihre Rechte bewusst zu machen. Das erweist sich aber möglicherweise als schwierig, wenn die Ausbildung zu sehr von den Betrieben mitbestimmt wird (Vgl. Calcagnotto, 2003, S.47).

Zu überlegen ist, ob der Beginn der Berufsbildung im Sekundarbereich II nicht schon zu spät ist, da die meisten Jugendlichen, die darauf angewiesen sind, Geld zu verdienen, die Schule früher verlassen. Die Kinder und Jugendlichen sozial schwacher Familien absolvieren oft nicht einmal den Pflichtschulbereich und bleiben dementsprechend gar nicht lange genug in der Schule, um auch nur Grundlagen von beruflicher Ausbildung zu erfahren. Die Jugendlichen, die den Sekundarbereich II absolvieren, gehen meist an die Universitäten und benötigen keine berufliche Ausbildung, da sie die nötigen Kenntnisse für ihre Berufstätigkeit an der Universität vermittelt bekommen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.94).

Die Möglichkeit einer Berufsausbildung wird nur wenigen Jugendlichen gebeben und das liegt nicht nur an der fehlenden Grundbildung, sondern auch an einem Mangel an Ausbildungsplätzen. Dieser Mangel wird nur noch nicht so augenscheinlich, da viele Jugendliche nicht die Möglichkeit haben, eine Ausbildung aufzunehmen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.49).

All diese Kritikpunkte führen immer wieder zum wesentlichen Problem des brasilianischen Bildungssystems, der fehlenden Grundbildung. Bereits die Qualität der Grundbildung ist an das Einkommen der Familien gekoppelt. Und von dieser Grundbildung hängt die gesamte weitere Ausbildung ab. Solange das Problem der Grundbildung und deren Abhängigkeit von der finanziellen Situation der Menschen nicht gelöst ist, kann auch das Problem der ungenügenden Berufsausbildung nicht endgültig geklärt werden (Vgl. Pfeiffer, 2005, S.60).

Trotz aller Nachteile gibt es aber auch positive Entwicklungen im Bereich des brasilianischen Berufsbildungssystems. Zu nennen ist hier der geplante Ausbau der Technologie-Ausbildungszentren (CEFETs). Eine Erweiterung dieser Zentren wird auch das knappe Ausbildungsplatzangebot ausbauen (Vgl. Lanzendorf u.a., 1996, S.50).

Die Umlegung der Bildungskosten auf die Betriebe, wie es im System S passiert, ist eine gute Möglichkeit, die Finanzierung des Ausbildungssystems von der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe unabhängiger zu machen. Sinnvoll wäre es allerdings, noch eine unabhängige Instanz einzuschalten, die die Finanzen verwaltet, um die Ausbildung auch inhaltlich unabhängiger gestalten zu können.

Es zeigt sich also, dass das zentrale Problem der brasilianischen Berufsausbildung doch in Bereich der Grundbildung zu sehen ist. Kann dieses Problem behoben oder zumindest entschärft werden, so hat das bestehende Berufsbildungssystems gute Ansätze und Ressourcen, die weiterentwickelt werden können.

Literaturverzeichnis

Calcagnotto, Gilberto: Arbeitskräfte statt Arbeitnehmer. Warum Brasilien zu wenig Facharbeiter hat. In: der Überblick 39, 1/2003. S. 45-47

Lanzendorf, Ute/Huck, Wolfgang/Schreiber-Einloft, Marianne: Länderstudie Brasilien. 1996. In: Lauterbach, Uwe (Hrsg): Internationales Handbuch der Berufsbildung. o.O. 2001. S. BR-1-105

Pfeiffer, Dietmar K.: Probleme der Berufsausbildung in Brasilien. In: Pfeiffer, Dietmar K.: Das brasilianische Bildungswesen. Entwicklungen und Probleme. Berlin. 2005. S.53-63

Schuchart, Claudia: Probleme des brasilianischen Primarschulwesens. Zwei Fallstudien zur schulischen Alltagsstruktur. Erfurt. 2000

Quellenverzeichnis

Bauer, Waldemar: Brasilien. o.J.. Stand: 17.05.2006. Online In: http://www.gc21.de/ibt/opengc21/ibt/public/IFKA/bbs/download/Brasilien-BBS.pdf

Bundesinstitut für Berufsbildung (bibb): Brasilien. o.J.. Stand: 17.05.2006. Online In: http://www.bibb.de/dokumente/pdf/foko6_laenderprofil_brasilien.pdf

Internationales Arbeitsamt IAA: Lernen und Ausbildung für die Arbeit in der Wissensgesellschaft. Genf. 2002. Stand: 20.09.2006. Online In: http://www.ilo.org/public/german/standards/relm/ilc/ilc91/pdf/rep-iv-1.pdf

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Berufsbildung in Brasilien
Hochschule
Universität Münster
Veranstaltung
Seminar: Bildung und Gesellschaft in Brasilien
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V110434
ISBN (eBook)
9783640086047
Dateigröße
382 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Berufsbildung, Brasilien, Seminar, Bildung, Gesellschaft, Brasilien
Arbeit zitieren
Annika Klein (Autor:in), 2006, Berufsbildung in Brasilien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110434

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Berufsbildung in Brasilien



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden