Die Pressefreiheit in Russland und der Sowjetunion mit Schwerpunkt auf die Tschetschenien-Berichterstattung


Hausarbeit, 2006

38 Seiten, Note: noch nicht


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1)Präambel

2)Pressefreiheit in der Sowjetzeit

3)Das sowjetische Pressegesetz von 1990 und seine Folgen

4)Pressefreiheit unter Jelzin im Ersten Tschetschenien-Krieg

5)Die Ära Putin und die Freiheit der Presse

6)Präsident Putin und das Fernsehen in Russland

7)Die Tschetschenien-Berichterstattung unter Putin

8)Fazit

9)Literaturverzeichnis

10)Weiterführende Literatur

1) Präambel

Pressefreiheit ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie. In Europa und der westlichen Welt gilt die Demokratie als das ideale und anzustrebende politische System. Natürlich beschränkt sich diese Vorstellung nicht nur auf Europa und den westlichen Teil der Erde. Eine freie Presse und freie Medien sollen und können als Wächter dienen und dadurch die Macht der ´Vierten Gewalt´ erlangen. Eine kritische Presse und investigativer Journalismus sollen den Volksvertretern auf die Finger schauen und die Ergebnisse ihrer Recherchen unzensiert veröffentlichen können. Dies ist der Grundgedanke und Stützpfeiler des demokratischen Gedankens und findet in den verschiedenen demokratischen Ländern mehr oder weniger ihre Anwendung.

Seit 1944 sind über 2000 Medienvertreter in Ausübung ihrer Pflicht umgekommen, viele von ihnen wurden wegen ihres Berufs ermordet. Der Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen (RSF), Ménard, meint, dass es ohne diese Journalisten keine Demokratie gäbe. (vgl. spiegel- online. 07.10.06) Auch macht allein der Name ´Demokratie´ noch keine wirkliche Demokratie aus. Man denke an die frühere Deutsche Demokratische Republik (DDR) oder die heutige Demokratische Republik Kongo. Diese Länder tragen zwar den Namen Demokratie in sich, sind aber weit von demokratischen Strukturen entfernt (gewesen).

Jedes Land hat seine Affären, Deutschland unter anderem die Cicero-Affäre. Auch die größten Verfechter des demokratischen Gedankens, die für den „Export der Demokratie“ nicht vor Kriegen zurückschrecken, führen massive Einschüchterungskampagnen gegen missliebige Presseorgane. Die Menschenrechtsorganisation Freedom House beschwerte sich schon voriges Jahr über „beträchtliche Rückschritte“ in der Pressefreiheit in den USA. (vgl. spiegel-online. 29.06.06) Es gibt viele Spielarten der Demokratie, ob sie nun die ´einzig wahre´ oder die ´gelenkte Demokratie´ genannt werden.

Heute ist der ´Terror´ das ´beste´ Mittel um das Einschneiden demokratischer Werte durchzusetzen. Zeitungen, die das Ausspionieren Millionen von Amerikanern von höchsten Stellen ausgehend enthüllten, werden vom amerikanischen Präsidenten Bush für ihr

„schmachvolles“ Verhalten getadelt und der Beihilfe des Terrorismus bezichtigt. (vgl. spiegel online. 29.06.06) Doch auch Präsident Putin half das ewige Gespenst vom internationalen Terrorismus bei seinem harten Kurs gegen Tschetschenien und sicherte sich damit ihm Präsidentenamt. Inwieweit die Demokratie Vater des Gedankens war, als Putin dafür sorgte, dass die OSZE aus Tschetschenien abziehen musste, ist ebenfalls fragwürdig. Jedenfalls verließ mit der OSZE -Mission „der einzig mögliche internationale Vermittler mit Erfahrung in

der Region den Kaukasus.“ (de Waal. 2003. S. 15) Damit wurde das terroristische Problem mit internationaler Dimension allein als „innere Angelegenheit“ betrachtet. Putins Lehrmeister Boris Jelzin hat bereits im ersten Tschetschenien-Krieg vorgemacht, wie man aus Korruptionsaffären anfänglich geschwächt, schließlich als starker Mann hervorgehen kann.

„´Wir brauchen einen kleinen, siegreichen Krieg, um das Rating des Präsidenten zu heben´, vertraute Oleg Lobow, damals Jelzins Sicherheitsberater, dem Vorsitzenden des Verteidigungskomitees der Duma wenige Wochen vor Kriegsbeginn an.“ (de Waal. 2003. S. 25 f.)

Putin eiferte ihm nach, auch wenn die militärische Intervention in Tschetschenien nach offizieller Lesart gar kein Krieg ist, sondern seit Herbst 1999 eine Anti-Terror-Operation. Mit dem Anti-Terror-Gesetz bekommen die Verantwortlichen exzessive Befugnisse, während bürgerliche und politische Rechte eingeschränkt werden, die allerdings in der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Bürgerrechtspakt festgelegt sind. Somit schaltet man ganz demokratisch das Kriegsrecht aus. Russland wurde aber in den Europarat, Europas Menschenrechtsforum, aufgenommen und erhielt milliardenschwere Kredite des Internationalen Währungsfonds. Der Westen reagiert auf die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien mit einer kurzzeitigen Suspendierung der Stimmrechte der russischen Delegation im Europarat im Jahr 2000. Ihre Rechte auf Mitarbeit in der Parlamentarischen Versammlung konnten die russischen Parlamentarier jedoch behalten, obwohl die Resolution 1456 vom Jahr 2000 gravierende Verletzungen des Statuts feststellte. Doch anstatt Russland aufgrund gravierender Mängel bei der Einhaltung der Menschenrechte von der Organisation auszuschließen, bekam die russische Delegation im Januar 2001 ihre Abstimmungsrechte zurück. (vgl. Hassel. 2003) Erst 2006 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Russland erstmals wegen des Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention in Tschetschenien verurteilt. (vgl. spiegel-online. 27.07.06)

In diesem Fall lässt sich über die Mechanismen der Demokratie noch eine Menge lernen. Da die USA nach den Terroranschlägen am 11.09.2001 im UN-Sicherheitsrat eine Mehrheit für den Kampfeinsatz gegen die Al Quaida in Afghanistan brauchten, sah man eben über die Probleme in Tschetschenien hinweg und beließ dieses Problem Putin alleine. Er bedankte sich schließlich bei der Abstimmung der Vereinten Nationen dafür. (vgl. Krech.2002) Im Fernsehen verkündete Putin nach dem 11. September, es gäbe eine Verbindung von Al Quaida nach Tschetschenien. (vgl. Hassel.2003) Somit wurde ganz demokratisch gewählt, und zwar gegen eine diplomatische Anerkennung der Regierung Maschadow (Tschetschenien) durch die USA 2001 und für einen Krieg gegen den Terrorismus in

Afghanistan. (vgl. Krech. 2002) Doch für die Irak-Invasion im März 2003 war den Amerikanern eine Mehrheit im UN-Sicherheitsrat schon nicht mehr so wichtig.

Da konnte man auch keine Kritik an der Kreml-Erklärung Ende März 2003 üben. Es hieß, die Tschetschenen hätten auf die demokratischste Weise eine Verfassung angenommen, die ihre Republik unwiderruflich an Russland bindet. Das Referendum war heftig manipuliert und gefälscht. (vgl. Hassel. 2003)

Aber die Angst vor dem Terror lässt jegliche Kritik verstummen und „im Mai 2002 unterstützte US-Außenminister Colin Powell den Krieg explizit. ´Rußland kämpft in Tschetschenien gegen Terroristen, das ist überhaupt keine Frage, und wir verstehen das…´“ (Hassel.2003. S.27 f.) Von den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen der russischen Seite in der kleinen Kaukasus-Republik dringt jedoch wenig an die Öffentlichkeit. Dies ist nicht nur in Russland der Fall, auch der Westen schaut stillschweigend zu und ist nicht besonders an einer Berichterstattung über Tschetschenien interessiert. Zwar gab es Berichte in der deutschen Presse, doch mittlerweile ist das Thema aber in den Nachrichten verstummt.

Vielleicht liegt es daran, dass der Westen an der Situation dort nicht ganz unschuldig ist. Der kleine Mann im Staate wird beim Wegschauen eines Verbrechens gleich zum Mittäter und Mitverantwortlichen gemacht, der Staat hat höhere Interessen und genießt Immunität.

Auf dem OSZE -Gipfel in Budapest, wenige Tage vor dem russischen Einmarsch, wurde die drohende militärische Intervention von den Führern des Westens mit keinem Wort erwähnt. Auch 2003 versäumten die westlichen Staats-und Regierungschefs Putin bei Feier zum 300. Jahrestag von St. Petersburg über die angehenden Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien zu kritisieren. Wie im jüngsten Libanon-Krieg bereits wieder bestätigt wurde, wird ausbleibende Kritik gerne als stillschweigendes Einverständnis bewertet. Jelzins Wiederwahl wurde jedenfalls von westlichen Staatsoberhäuptern erheblich unterstützt. (vgl. Hassel. 2003)

Am 25. September 2001 erteilt Alt-Kanzler Gerhard Schröder seinem Duzfreund Wladimir Putin das Wort im Deutschen Bundestag, dem deutschen Forum der Demokratie. Das russische Staatsoberhaupt ist damit einer der wenigen Politiker, denen diese Ehre zu Teil wurde. Er nutzte die Gelegenheit und sprach dort von hunderten friedlichen Menschen, die infolge von Explosionen bewohnter Häuser in Moskau und in anderen großen Städten Russlands ums Leben kamen und beschuldigte damit implizit die Tschetschenen für diese Tat.

Bei den Ermittlungen zu diesen Fällen war kein einziger der von der russischen Staatsanwaltschaft zwanzig Verdächtigen Tschetschene. (vgl. Krech. 2002) Der russische Inlandsgeheimdienst FSB veröffentlichte 2002 ein Foto mit dem angeblichen Kopf der dafür

verantwortlich gemachten Terroristengruppe neben Rebellenführer Chattab. Später stellte sich jedoch heraus, dass es sich bei dem Foto um eine Fälschung handelt. (vgl. Hassel. 2003) Putin sprach weiter vor dem Bundestag von dem „unverschämten und großräumigen bewaffneten Angriff auf die benachbarte Republik Dagestan…nachdem religiöse Fanatiker…die Macht in Tschetschenien ergriffen und einfache Bürger zu Geiseln gemacht hatten“ (Putin, Wortprotokoll der Rede am 25. September 2001 vor dem Deutschen Bundestag) Auch hier wird vermutet, dass der russische Geheimdienst längst über die Angriffspläne auf die Republik Dagestan im Vorfeld informiert war und absichtlich nichts unternahm. (vgl.

Krech.2002) Es gibt sogar Vermutungen, dass der Überfall auf Dagestan von Moskau initiiert wurde. Denn beim Rückzug von Bassajew und Chattab aus Dagestan berichten Augenzeugen über keinerlei Angriff der russischen Armee auf die Rebellen. Ein Polizist berichtet sogar davon, dass seine Truppen ausdrücklichen Befehl erhalten haben, nicht anzugreifen.

„´Bassajew und seine Leute sind am helllichten Tag mit rund einhundert Autos und Lastwagen oder auch zu Fuß gemütlich über die Hauptstrasse nach Tschetschenien zurückgefahren, ohne dass die von unseren Kampfhubschraubern beschossen wurden. Wir

erhielten ausdrücklichen Befehl, sie nicht anzugreifen…´“ (Hassel. 2003. S.51) Am 08.März 2002 legte Boris Beresowski 1 in London auf einer Pressekonferenz Dokumente und einen Film vor, die beweisen sollten, dass der FSB Urheber der Terroranschläge auf das Moskauer Wohnhaus von 1999 war. Es besteht der allgemeine Verdacht, dass damit absichtlich der Vorwand geliefert werden sollte, um das Abkommen von Chassaw-Jurt zu kündigen und nun den zweiten Tschetschenien-Krieg zu beginnen.

„Beresowski beschuldigte den FSB, mit den Anschlägen den Aufstieg Putins gefördert zu haben. Als Beweis verwies Beresowski auf die Vorkommnisse in Rjasan, wo in einem Keller von Bewohnern eines Hauses Sprengstoffsäcke mit Zeitzündern entdeckt wurden. Die Polizei stellte den Sprengstoff sicher und verkündete, einen weiteren Anschlag gegen ein Wohnhaus verhindert zu haben. Am folgenden Tag verkündete FSB-Leiter Patruschew, dass es sich um eine Übung des FSB gehandelt habe, um die Wachsamkeit der Bevölkerung zu testen. Vermutlich war der FSB bei der Vorbereitung eines Anschläges ertappt worden.“ (Krech.2002. S.140)

Die Trümmer des explodierten Wohnhauses in Moskau, welches unter anderem die Legitimation für den Angriff auf Tschetschenien war, wurden sehr schnell beseitigt. Eine Untersuchung fand nicht statt. Einen Tag später aber meinte Putin schon die Verantwortlichen

zu kennen und verkündete im Fernsehen, Bassajew habe die Attentate verübt. (vgl. Hassel. 2003)

Vor dem deutschen Bundestag sagte Putin später mit Zuversicht:

„Das Hauptziel der Innenpolitik Russlands ist vor allem die Gewährleistung der demokratischen Rechte und der Freiheit, die Verbesserung des Lebensstandards und der Sicherheit des Volkes.“ (Putin, Wortprotokoll der Rede am 25. September 2001 vor dem Deutschen Bundestag)

Schon zwei Jahre zuvor meinte Bundeskanzler Schröder am 19. November 1999 zum Tschetschenien-Konflikt, dass man anerkennen müsse „dass hier Wege zur politischen Lösung beschritten worden sind, die man als achtbar bezeichnen kann.“ (Siegel. 2001.S.4) Der damalige amtierende EU-Ratsvorsitzende Berlusconi äußerte sich auf dem 12. EU- Rußland-Gipfel in Rom am 06.November 2003 eindeutig. Er „…stellte sich .. auf die Seite seines persönlichen Freundes Putin und verteidigte den Einsatz russischer Streitkräfte als einen Kampf gegen Terrorismus, der in westlichen Medien verzerrt dargestellt würde.“ (Halbach. 2004. S.31)

Ob die Terroristen nun die Geister sind, die wir riefen, spielt in dieser Arbeit keine Rolle. Hier soll es um die Rolle Russlands im Umgang mit der Pressefreiheit gehen und ob Präsident Putin tatsächlich sein Versprechen vor dem deutschen Bundestag einhält.

Denn auch wenn Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder den Präsidenten der Russischen Förderation einen „lupenreinen Demokraten“ nennt, bedarf dies einer eingehenden Prüfung. Wer bekanntermaßen an dem großen Rad der Politik dreht, der übersieht schnell mal etwas Undurchsichtiges. Die lupenreine Demokratie scheint es nicht zu geben. Und wenn dem doch so wäre, hätte Jürgen Roth in seinem Buch „ Der Deutschland-Clan “ nicht einige Ungereimt- heiten der deutschen Politik und Wirtschaft unter die Lupe nehmen müssen. Doch immerhin hat er die Möglichkeit bekommen sein Buch in dem Land zu veröffentlichen, über das er Kritik übt, auch wenn es einigen Machthabern wohl nicht gefallen hat. So bestätigt sich wieder einmal, wie wichtig freie Medien sind, gelten sie doch als Lackmustest für die Einhaltung demokratischer Werte. Wie es mit der Pressefreiheit in Putin´s Reich steht, soll nun geprüft werden. Dabei soll auch „der Krieg im Schatten“ in Tschetschenien und die russische Berichterstattung darüber thematisiert werden.

Doch zuvor ein Überblick über die Entwicklung der freien Meinungsäußerung in Russland von der Vergangenheit bis in die heutige Zeit:

2) Pressefreiheit in der Sowjetzeit

Die totale und zielgerichtete Informationskontrolle war das zentrale Machterhaltungs- instrument der Sowjetunion. Konkurrierende Informationsquellen wurden als mögliche Opposition angesehen und rigoros ausgeschaltet. Der Empfang westlicher Sender wurde durch Störsender gehindert. Die kommunistische Parteispitze hatte ein Informations-, Meinungs- und Ideologiemonopol. (vgl. Hübner.2000) Sie nahm für sich in Anspruch, „…im Marxismus-Leninismus das einzig wahre und allumfassende Welterklärungsmodell zu besitzen….“ (Hübner. 2000. S. 7) Dennoch waren später Stimmen der obersten KP-Führung von einer „dringend benötigten Entwicklung der sozialistischen Demokratie“ und damit auch zu mehr Pressefreiheit zu hören. (Trautmann. 2002. S.33) Es war Generalsekretär Andropov, der 1983 von nötigen Reformen sprach und redete somit bereits vor Gorbatschow von der Notwendigkeit zu mehr Transparenz in der Sowjetunion. Zur wirklichen Pressefreiheit war es noch ein weiter Weg. (vgl. Trautmann. 2002) Eine Medienanalyse im Zeitraum von Mai bis Oktober 1989 attestiert den sowjetischen Massenmedien jedoch bereits eine gesellschaftliche Kontrollfunktion. (vgl. Brunner. 2006)

Pressefreiheit heißt im Sinne des Wortes nichts anderes als Freiheit der Presse. In der Sowjetunion war die Presse allerdings nach Trautmann alles andere als frei. Durch die sozialistische Massenkommunikation sollte der Bürger entsprechend den ideologischen Vorgaben der Partei zum „Sowjetmenschen“ geformt werden. Auch die Medien hatten sich kritiklos der „Diktatur des Proletariats“ unterzuordnen, also der KP. Die sowjetische Publizistik war hier Teil des Systems. Die Redakteure und Zeitungen waren nicht überparteiisch, sondern hatten einen klaren politischen Auftrag. Ihre Aufgabe war es, Stimmungen zu erzeugen und nicht zu vermitteln. In der Verfassung der UdSSR von 1977 war zwar die Freiheit des Gewissens (Art.52) und auch des Wortes (Art. 50) verankert, tatsächlich gab es aber mehrfache Einschränkungen. Ebenso war es nämlich laut Verfassung die Verpflichtung eines jeden Bürgers:

„den sozialistischen Staat treu und aktiv zu unterstützen…und die bürgerlichen Freiheiten nur im Einklang mit den Interessen der Gesellschaft und des sozialistischen Staatswesens auszuüben… In Art. 59. Abs.1 der Unionsverfassung hieß es: Die Realisierung der Rechte und Freiheiten ist untrennbar mit der Übernahme seiner Pflichten durch den Bürger verbunden.“ (Trautmann. 2002. S.36)

Demnach hatten die Pflichten des Sowjetbürgers per definitionem mindestens den gleichen Stellenwert, wie seine Rechte. Was gegen die Verpflichtungen verstieß, war

Auslegungssache. Die Grundrechte standen unter dem Verfassungsvorbehalt, dass sie in Übereinstimmung mit den „Interessen des Volkes und mit dem Ziel der Stärkung und Entwicklung der sozialistischen Ordnung“ sein mussten, was ebenfalls zu Einschränkungen führte. (Trautmann. 2002. S.36) Das Verfassungsgesetz hatte zudem keine besondere Stellung, denn bereits „Verordnungen des Ministerrats“ oder sogar von örtlichen Verwaltungsbehörden erlassene Rechtsvorschriften konnten Vorrang vor den verfassungsmäßigen Grundrechten haben. (vgl. Trautmann. 2002) Dies illustriert die mögliche Willkür des Systems bei der Auslegung bestehender Gesetze. Die ideologischen Grenzen des publizistisch Möglichen wurden festgesetzt und durch ständiges Zusammenwirken von Staats-und Parteiorganen mit den Redaktionen kontrolliert. Um Presse und Funk abhängig zu machen, hielt der Staat das Monopol an den Verbreitungsmöglichkeiten der Medienerzeugnisse. (vgl. Trautmann. 2002)

Diese Tradition versucht nun auch Putin mehr oder weniger durch seine Gasprom-Media fortzusetzen.

In der Sowjetunion waren Druckereien, Sender, Antennenanlagen und Nachrichtenagenturen in Staatsbesitz, über die Hochschulen hielt er das Ausbildungsmonopol für die Journalisten. Lizenzen zur Gründung eines Medienunternehmens bekamen nur linientreue Staatsdiener, wie Parteiorganisationen, Staatsorgane oder andere Zweige des Systems.

Die ´Hauptverwaltung für Angelegenheiten der Literatur und des Verlagswesens´, bekannt geworden unter der Abkürzung ´GLAVLIT´ wurde am 06.Juni 1922 gegründet.

„In einem Dekret des Rates der Volkskommissare der RSFSR vom 5.Oktober 1925 heißt es wörtlich:

´Die Hauptverwaltung in Fragen der Literatur und des Verlagswesens vereint alle Arten politisch-ideologischer Überwachung von Druckerzeugnissen und leitet […] die Vorkontrolle aller zur Veröffentlichung, Verbreitung und öffentlichen Aufführungen vorgesehenen Werke, sowohl handschriftlicher wie gedruckter […und] die Erstellung von Listen von Druckerzeugnissen, die zum Verkauf, zur Verbreitung und öffentlichen Aufführung nicht zugelassen sind […]´“ (Trautmann. 2002. S.39 f.)

Die Kontrolle der Presse wurde demnach ganz offen und offiziell betrieben. Nach Stalins Tod wurde die GLAVLIT 1954 dann reorganisiert und umbenannt. Dies änderte aber nichts an der bestehenden Überwachungspraxis. Ein Netz von staatstreuen Mitarbeitern überwachte offiziell die Einhaltung der ständig aktualisierten Liste über Staats-Militär-und sonstigen Geheimnisse. Ab 1965 wurden auch der Besitz und Verbreitung nicht staatlich sanktionierter Druckerzeugnisse verfolgt. Die Strafen betrugen i.d.R. Zuchthaus oder Arbeitslager von 3-15 Jahren. In Einzelfällen kam es bei besonders unbequemen Genossen zu Verbannung oder Ausweisung. Der Staat berief sich dabei auf die Artikel 190-1 und 70 des Strafgesetzbuchs

der RSFSR, die „wissentliche Verbreitung verleumderischer Behauptungen“ sowie

„antisowjetische Agitation und Propaganda“ bestraften. Auch Artikel 7 des Uniongesetzes über die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Staatsverbrechen kam hierbei zum Tragen. (vgl. Trautmann. 2002)

Mit Michael Gorbatschow und seiner Politik der Glasnost und Perestroika kam es zu einem tief greifenden Wandel der sowjetischen Medien. (vgl. Trautmann. 2002)

Gorbatschow sah die Notwendigkeit einer grundlegenden Demokratisierung aller Bereiche der Gesellschaft in der Sowjetunion. Ein Zitat Gorbatschows lautet: „Perestroika ist nur auf der Grundlage von Demokratie möglich.“ (Gorbatschow. 1987. S.36) Der Sozialismus sollte dabei integriert und verändert weitergeführt werden. Die Politik sollte dabei u.a. auf Glasnost in der Presse und den Massenmedien bauen. Kritik und Selbstkritik sei eine Angelegenheit von prinzipieller Bedeutung, so Gorbatschow. Er lobte sogar die konstruktive Beteiligung der Massenmedien bei der Einleitung des Umgestaltungsprozesses, ohne die „…die Partei niemals den gegenwärtigen Stand der Diskussion über den ganzen Fragenkatalog zur Perestroika erreicht hätte…Das Zentralkomitee schätzt den Beitrag, den die Medien zur Perestroika geleistet haben, hoch ein.“ (Gorbatschow. 1987. S. 94) Der Generalsekretär des Zentralkomitees meinte: „Die Presse muß noch effektiver werden. Sie sollte die Faulenzer, Profiteure, Opportunisten, Demagogen und diejenigen, die Kritik unterdrücken, nicht in Ruhe lassen…Meiner Ansicht nach sollte jedes ehrliche offene Wort, selbst wenn es Zweifel weckt, willkommen sein.“ (Gorbatschow. 1987. S.97) So kam es, dass die staatlichen Einflusskanäle des Kreml auf die Medien weniger strikt angewendet wurden. Jedoch galt dies nicht für alle örtlichen Parteigremien. Der Reformkurs der Hauptstadt und damit die Pressefreiheit kamen nicht direkt auf dem Lande an und sorgten damit nicht nur in den Redaktionen für Verwirrung und Verunsicherung. Trotz des Reformkurses konnte noch nicht von der vollen Pressefreiheit nach westlichem Muster gesprochen werden. So wurden Informationen über Flugzeugabstürze oder andere Unglücke, sowie politische Unruhen in Kasachstan, Kaukasus und Aserbajdzan verspätet oder gar nicht weitergegeben. Ein gutes Beispiel für die Verschwiegenheit der Medien bei großen Unglücken ist auch das Reaktorunglück in Tschernobyl. Hier herrschte in der Sowjetunion tagelanges Schweigen. Dann kam es aber doch zu Recherchen und Berichten seitens der sowjetischen Journalisten, die nun ihre Freiheiten einzufordern begannen. Gorbatschow musste später wiederholt die Forderung nach mehr Unterstützung der Glasnost-Politik stellen, was laut Trautmann darauf hindeutet, dass die neue Haltung in den mittleren und unteren Ebenen der Bürokratie noch nicht vollständig angekommen war. (vgl. Trautmann. 2002) Erst später, nach dem gescheiterten Putsch der sowjetischen Hardliner im August 1991, entstand kurzzeitig eine unabhängige Presse und die Journalisten übernahmen Kontrollfunktion. (vgl. Tscherkassow. 2003)

3) Das sowjetische Pressegesetz von 1990 und seine Folgen

Am 14.März 1990 kam es zur Anpassung der Verfassungsartikel 6 und 7. Das Führungs-und Erkenntnismonopol der KP wurde aus der Präambel gestrichen. Alle Äußerungen mussten nicht mehr an den ideologischen Prinzipien der politischen Elite ausgerichtet werden. Am 09.Oktober wurde dann „das Gesetz über die gesellschaftliche Vereinigung“ verabschiedet. Dies ermöglichte die Gründung von Medienorganen außerhalb von staatlicher oder parteilicher Strukturen. Zuvor, am 12.Juni 1990 entstand das „Gesetz der UdSSR über die Presse und andere Masseninformationsmittel“. Dieses Gesetz war jedoch auch in der Sowjetunion nicht unumstritten. Parteiideologen versuchten mit Störmanövern und erbitterten Diskussionsbeiträgen das Gesetz zu verhindern. Die öffentliche Aufmerksamkeit verhalf jedoch den Einfluss der Parteiideologen zurückzudrängen. Das neue Pressegesetz galt als gewaltiger Durchbruch der Pressefreiheit, alle Forderungen an eine liberale, garantierte Pressefreiheit schienen in den Bestimmungen erfüllt. Doch auch hier stellten sich Widersprüche heraus, so z.B. in Fällen „unzulässigen Missbrauchs der Pressefreiheit“. Dieser Zusatz bescherte den Journalisten seit Anfang der 90er Jahre eine Flut von Verleumdungsklagen. Die verhängten Bußgelder der Gerichte hatten schließlich nicht selten den Bankrott und die Einstellung des Medienorgans zur Folge. Klagerelevante Begriffe wie

„guter Name“, „Reputation“, etc. konnten unterschiedlich von den Gerichten ausgelegt werden.

„´Die Verletzung der Ehre setzt voraus, dass der Kläger die Empfindung einer Veränderung (oder die Annahme einer potentiell möglichen Veränderung) der öffentlichen Meinung über ihn hat.´ Dies geschieht aber zweifelsohne auch bei einer berechtigtermaßen kritischen Berichterstattung, gegen die vor diesem rechtlichen Hintergrund im Zweifel ebenso vorgegangen wird wie gegen wirkliche Fälle von Verleumdung und übler Nachrede.“ (Trautmann. 2002. S.54)

Die „schwarzen Listen“ der GLAVIT über die Militär-und Staatsgeheimnisse wurden nun unter anderem Namen der Nachfolgerinstitution GUOT („ Staatliche Hauptverwaltung für den Schutz von Miliär- und Staatsgeheimnissen in der Presse “) weitergeführt. Inhaltlich und qualitativ unterschieden sie sich nicht wesentlich. (vgl. Trautmann. 2002)

[...]


1 Beresowski war russischer Oligarch und seit 1994 beteiligte er sich als Hauptaktionär an der Fernseh- gesellschaft ORTV, die den größten und flächendeckenden Sender Russlands ORT unterhielt. Heute lebt er im Exil. Ihm werden zahlreiche Straftaten vorgeworfen.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Die Pressefreiheit in Russland und der Sowjetunion mit Schwerpunkt auf die Tschetschenien-Berichterstattung
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Veranstaltung
Seminar: Russlands Weg in die Moderne
Note
noch nicht
Autor
Jahr
2006
Seiten
38
Katalognummer
V110386
ISBN (eBook)
9783640085590
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Meine Hausarbeit widme ich Anna Politowskaya, die kurz vor der Fertigstellung dieser Arbeit in Moskau erschossen wurde.
Schlagworte
Pressefreiheit, Russland, Sowjetunion, Schwerpunkt, Tschetschenien-Berichterstattung, Seminar, Russlands, Moderne
Arbeit zitieren
Markus Minning (Autor:in), 2006, Die Pressefreiheit in Russland und der Sowjetunion mit Schwerpunkt auf die Tschetschenien-Berichterstattung , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110386

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