Chancen und Grenzen von Genossenschaften in Transformationsländern unter besonderer Berücksichtigung der mobilien Tierhaltung untersucht am Beispiel der Mongolei


Diplomarbeit, 2004

200 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung
1.1 Zielsetzung und Fragestellung
1.2. Methodische Vorgehensweise
1.3 Forschungsablauf

2. Theoretischer Hintergrund und Begriffsdefinitionen
2.1 Transformation
2.2 Ländlicher Raum
2.3 Nomadismus und mobile Tierhaltung
2.4 Institutionen
2.5 Entstehung des Genossenschaftswesens und dessen unterschiedlicher Entwicklungsweg in Westeuropa und den sozialistischen Staaten
2.5.1 Entstehung des Genossenschaftswesens in Westeuropa
2.5.2 Entwicklung des Genossenschaftswesens in den sozialistischen Staaten
2.5.3 Die Rolle von Genossenschaften im Transformationsprozess

3. Die Funktion von Genossenschaften und Kollektiven im Servicesystem des ländlichen Raumes der Mongolei in Vergangenheit und Gegenwart
3.1 Die Mongolei – politische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen
3.2 Historische Entwicklung des Genossenschaftswesens in der Mongolei
3.2.1 Kollektivierung der Landwirtschaft
3.2.2 Privatisierung der Kollektive und Staatsbetriebe im ländlichen Raum
3.3 Auswirkungen des Transformationsprozesses auf den ländlichen Raum
3.3.1 Regionalentwicklung und Dezentralisierung
3.4 Institutionalisierung des Genossenschaftswesens
3.4.1 Entwicklung einer gesetzlichen Grundlage
3.4.2 Entstehung von Genossenschaftsverbänden
3.4.3 Förderung des Genossenschaftswesens
3.4.4 Die Position von Genossenschaften im Servicesystem
3.4.5 Stand des Genossenschaftswesens in der Mongolei

4. Darstellung der Verhältnisse im Untersuchungsgebiet Dsawchan- Aimag
4.1 Dsawchan- Aimag: Geographische Einordnung
4.1.2 Entwicklung des Genossenschaftswesens in Dsawchan- Aimag
4.2 Darstellung der Verhältnisse im Aimag- Zentrum Uliastai
4.2.1 Das Aimag- Zentrum Uliastai: Geographische Einordnung
4.2.2 Art, Umfang und Wirkung der Genossenschaften in Uliastai
4.3 Untersuchung des Servicesytems von Dsawchan- Aimag
4.3.1 Entstehung der im Aimag- Zentrum situierten Dienstleistungsanbieter
4.3.2 Von den Dienstleistungsanbietern angebotene Leistungen
4.3.3 Wahrnehmung des Dienstleistungsangebots von den Empfängern
4.4 Das Fallbeispiel Durwuldschin- Sum
4.4.1 Durwuldschin- Sum: Geographische Einordnung
4.4.2 Das Negdel „Chojordugaar Tawan Dschil“
4.4.3 Der Transformationsprozess
4.4.4 Genossenschaften, Kampan, Staat und Gesellschaft in Durwuldschin- Sum
4.5 Das Fallbeispiel Otgon- Sum
4.5.1 Otgon- Sum: Geographische Einordnung
4.5.2 Das Negdel „Orgil“
4.5.3 Der Transformationsprozess
4.5.4 Genossenschaften, Staat und Gesellschaft in Otgon- Sum

5. Analyse der unterschiedlichen Entwicklungspfade in Otgon- Sum und Durwuldschin- Sum

5.1 Die Überwindung räumlicher Distanzen: Ein Hindernis bei der Selbsthilfeorganisation der mobilen Tierhalter
5.2 Vom traditionellen Nomadismus lernen: Die Bedeutung von Führungspersönlichkeiten in Anbetracht der Hindernisse
5.3 Das sozialistische Erbe: Die Tierhalter zwischen Paternalismus und Empowerment
5.4 Der Einfluss von landesweiten Netzwerken, regionalen Ressourcen und Gewinnchancen auf die Motivation und das Durchsetzungsvermögen der lokalen Akteure
5.5 Die Institutionalisierung des Genossenschaftswesens: Ein Balanceakt zwischen Überforderung und Überförderung
5.6 Genossenschaften als Selbsthilfeorganisation für die Armen: Notwendigkeit der Ergänzung des Entwicklungshilfeansatzes auf institutioneller Ebene durch einen Ansatz auf materieller Ebene

6. Handlungsempfehlungen

7. Zusammenfassung

8. Ausblick

9. Literaturverzeichnis

10. Annexes
10.1 Annex 1: Fotodokumentation
10.2 Annex 2: Hinweise zur Transkription
10.3 Annex 3:Verwendete mongolische Begriffe
10.4 Annex 4: Abkürzungen
10.5 Annex 5: Karten

Verzeichnis der Diagramme

DIAGRAMM 1: Entwicklung der Kollektive und Staatsgüter

DIAGRAMM 2: Bevölkerungsentwicklung im ländlichen und urbanen Raum von 1919 bis 1997

DIAGRAMM 3: Unterschiedliche Entwicklung der Negdel nach der Privatisierung

DIAGRAMM 4: Entwicklung der Tierzahlen von 1918-2001

DIAGRAMM 5: Anzahl der Tierhalter während und nach der Kollektivierung

DIAGRAMM 6: Anzahl der Mitglieder der Verbände im Jahr 2000 und im Jahr 2002 im Vergleich

DIAGRAMM 7: Mitgliedschaft der Genossenschaften bei Verbänden

DIAGRAMM 8: Verbandsmitgliedschaft der Genossenschaften mit mehr als 300 Mitgliedern

DIAGRAMM 9: Anzahl der Mitglieder der Genossenschaften im ländlichen Raum der Mongolei

DIAGRAMM 10: Gründungsdatum der 2002 noch aktiven Genossenschaften in Dsawchan- Aimag

DIAGRAMM 11: Mitgliederzahl und Gründungsdatum der im Jahr 2002 in Dsawchan- Aimag registrierten Genossenschaften

DIAGRAMM 12: Verbandsmitgliedschaft der Genossenschaften in Uliastai, 2002

DIAGRAMM 13: Anzahl der Mitglieder der 2002 in Uliastai registrierten Genossenschaften

DIAGRAMM 14: Anzahl der Mitgliedsgenossenschaften der Genossenschaftsverbände in Dsawchan- Aimag im Jahr 2000 und im Jahr 2002

DIAGRAMM 15: Kenntnis der Mitglieder der Genossenschaft „Tawan Erdene“ über die Mitgliedschaft bei dem Verband NAMAC oder bei der Sekundärgenossenschaft „Usuch Ireedui“

DIAGRAMM 16: Unterschiedliche Formen des Mitgliedsbeitrags und daraus zu schließende Zusammensetzung des Grundkapitals der Genossenschaft "Tawan Erdene"

DIAGRAMM 17: Tierverluste der neuen Nomaden und der langjährigen Nomaden in Durwuldschin- Sum im Vergleich

DIAGRAMM 18: Verwendung der Gewinne der Genossenschaft „Tawan Erdene“

DIAGRAMM 19: Haushaltsbilanz der befragten Tierhalter in Otgon- Sum mit Angaben über Herdengröße

DIAGRAMM 20: Besitzverhältnisse über die Herde innerhalb eines Chot Ail

Verzeichnis der Abbildungen:

Abbildung 1: Modell zur Umwandlung des Dienstleistungssystems

Abbildung 2: Modell wechselseitiger Zusammenhänge zwischen der materiellen und der institutionellen Sphäre

Abbildung 3: Anvisierte Organisation des Genossenschaftswesens auf mehreren räumlichen Ebenen

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1: Wohnhaft der Verwandten von befragten Tierhalterhaushalten in Otgon- und Durwuldschin- Sum

TABELLE 2: Genossenschaften mit mehr als 1000 Mitgliedern

TABELLE 3: Verteilung der 2002 in Uliastai tätigen Genossenschaften auf die unterschiedlichen Branchen

TABELLE 4: Von den befragten mobilen Tierhaltern genannte Gründe für die Mitgliedschaft bei der „Tawan Erdene“ Genossenschaft

TABELLE 5: Unveränderte/ähnliche Berufstätigkeit der Negdel- Elite im Sum - Zentrum und Wohnsituation

TABELLE 6: Neue Nomaden in Durwuldschin- Sum

TABELLE 7: Tierverluste von Neuen Nomaden im Vergleich zu langjährigen Nomaden seit der Dsud- Katastrophe 1999, angegeben in Prozent der ursprünglichen Herdengröße

TABELLE 8:Kenntnis der Tierhalter über die Organe der Genossenschaft

TABELLE 9: Kentnis der Tierhalter über den Inhalt der Satzung

TABELLE 10: Von den Mitgliedern in Anspruch genommene Leistungen der Genossenschaft

TABELLE 11: Im Jahr 2002 von der Genossenschaft „Tawan Erdene“ verkaufte Rohstoffe

TABELLE 12: Tätigkeit der befragten Tierhalter vor und nach der Wende

TABELLE 13: Lebendviehverkauf der befragten Tierhalter

TABELLE 14: Genossenschaften in Otgon- Sum

TABELLE 15: Beschäftigung vor und nach der Wende

TABELLE 16:Preisvergleich der verschiedenen Abnehmer der tierischen Erzeugnisse

TABELLE 17: Vorgebrachte Argumente der Tierhalter gegen die Gründung einer Genossenschaft

Vorwort

Die Idee zu dieser Arbeit entstand während eines Aufenthaltes in der Mongolei im Sommer 2000, als ich im Rahmen einer Hospitation bei dem Projekt „Förderung der Selbsthilfeorganisation im ländlichen Raum“ der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) Bestandsaufnahmen über die Verbreitung des Genossenschaftswesens in den Distrikten Uwurchangai- Aimag und Uws - Aimag durchführte. Die Ergebnisse der Untersuchungen sollten als Entscheidungsgrundlage für die Ergänzung der Pilotregion des Projektes in Dsawchan- Aimag mit weiteren Schwerpunktregionen dienen. Hierfür sollte ich in einer relativ kurzen Zeit (jeweils zwei Wochen) so viele Daten wie möglich über die existierenden Genossenschaften vor Ort sammeln und anschließend schematisch auswerten, so dass Aussagen getroffen werden konnten über Anzahl, Größe, Tätigkeitsbereich, Arbeitsweise und Probleme der vorhandenen Genossenschaften in den untersuchten Aimag. Die zu diesem Zweck durchgeführten sehr gezielten, standardisierten Befragungen der Genossenschaftsvorstände und –mitglieder dauerten selten länger als eine Stunde, so dass die Verweildauer in einem Sum - Zentrum nicht mehr als einen Tag umfasste. Bei dieser Vorgehensweise entwickelte sich der Wunsch einmal länger in einem Sum - Zentrum verweilen zu können, um auf lokaler Ebene bei umfassenderen qualitativen und quantitativen Erhebungen die Entstehungsgeschichte, Arbeits- und Funktionsweise von einzelnen Genossenschaften detaillierter erfassen und den Bedürfnissen der Bevölkerung im ländlichen Raum gegenüberstellen zu können.

Nach eingehenden Gesprächen mit dem Betreuer dieser Diplomarbeit, Prof. Dr. Jörg Janzen, sowie mit dem Leiter des GTZ Projektes, Dr. Franz Volker Müller, der sich bereit erklärte, mein Forschungsvorhaben zur Erstellung einer Diplomarbeit zu unterstützen, konnte ich im Herbst 2002 diesen Wunsch in die Tat umsetzen. Für die umfassende Unterstützung meiner Arbeit auf allen Ebenen bin ich Herrn Prof. Dr. Jörg Janzen sehr dankbar. Er hat mir nicht nur viele Türen geöffnet und Zugang und Einblick in dieses interessante Forschungsfeld gegeben, sondern auch immer Verständnis und Fürsorge für alle mit dieser Arbeit im Ausland verbundenen Schwierigkeiten aufgebracht. Auch Herrn Dr. Franz Volker Müller bin ich zu großem Dank verpflichtet, denn ohne die bereitwillige Aufnahme in sein Projekt und seine Geduld bei meiner Einarbeitung in dieses Themengebiet wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Die freundliche Aufnahme und Hilfsbereitschaft des GTZ Teams hat mir die Arbeit in vielen Bereichen erleichtert.

Ein besonderer Dank gilt hier dem mittlerweile leider verstorbenem Peter Gluchowski, der mir bei der Konrad Adenauer Stiftung einen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt hat und, ebenso wie seine Frau Bärbel Gluchowski, immer ein offenes Ohr für mich hatte und da war, wenn ich Hilfe brauchte. Auch Herr Michael Walter hat mir in einigen wichtigen Bereichen mit Rat und Tat bei Seite gestanden, was ich hier dankend zur Anerkennung bringen möchte.

Meine Übersetzerinnen Ojunga und Zengelmaa sind mit mir während der Erhebungen auf dem Land „durch Dick und Dünn gegangen“ und wir sind so zu guten Freundinnen geworden. Auch Tabea Häberlein ist durch unser gemeinsames Interesse an der Mongolei zu einer sehr lieben und unterstützenden Kollegin und Freundin geworden. Unübertrefflich ist die mongolische Gastfreundschaft, die mir überall auf dem Land entgegengeströmt ist, nicht zu letzt deswegen wird die Mongolei immer einen Platz in meinem Herzen haben.

1. Einleitung

1.1 Zielsetzung und Fragestellung

Der ländliche Raum in der Mongolei ist seit dem Ende der Planwirtschaft vor große Herausforderungen gestellt. Vor dem Hintergrund der Umstellung der Landwirtschaft auf die Marktwirtschaft stellt sich die Frage, welche der in der Planwirtschaft aufgebauten Institutionen durch ähnlich funktionierende Organisationen ersetzt werden sollten, und wo an die neue sozio-ökonomische Situation angepasste innovative Formen der Produktion, Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation gefunden werden müssen.

Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit richtet sich auf die Position, die Genossenschaften in diesem Umstrukturierungsprozess einnehmen können. Es gibt in der Mongolei zwei grundlegend verschiedene Ausprägungen von Genossenschaften: zum einen sehr große Genossenschaften mit Mitgliederzahlen von 200-1500 Personen und zum anderen sehr kleine Genossenschaften, die nur die zur Gründung erforderliche Mitgliederzahl von 9 Personen erreichen. Daher stellt sich zunächst die Frage, was zur Herausbildung dieser zwei verschiedenen Genossenschaftsarten geführt hat.

Die das Erkenntnisinteresse leitende Fragestellung lautet:

Welche Rolle spielt die Förderung der Institutionalisierung des Genossenschaftswesens im Umstrukturierungsprozess der Lebens- und Arbeitsweise im ländlichen Raum?

Diese Fragestellung lässt sich in zwei Fragenkomplexe gliedern:

I. Welche Inhalte sollten bei der Institutionalisierung des Genossenschaftswesens berücksichtigt werden?

1. Vor welche Chancen und Grenzen ist das Genossenschaftswesen gestellt in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der Mongolei um ein sehr großes Land mit geringer Siedlungsdichte handelt, dessen physisch-geographische Situation im Bereich der Landwirtschaft vorwiegend eine Landnutzung in Form der mobilen Tierhaltung zulässt?
2. Welche Chancen und Grenzen treten auf Grund des sozialistischen Erbes in Erscheinung?
3. Wie wirken sich diese beiden Faktoren auf die Rolle und Funktion von Führungspersönlichkeiten aus?
4. Stellt die Förderung von Selbsthilfeorganisationen einen Balanceakt zwischen Überforderung und Überförderung dar?

II. Ist ein Entwicklungshilfeansatz auf institutioneller Ebene zur Förderung einer nachhaltigen und breitenwirksamen ländlichen Regionalentwicklung hinreichend?

1. Ist zur Unterstützung der ärmeren Tierhalter und der arbeitslosen Anwohner der Sum - und Aimag - Zentren eine Ergänzung des institutionellen Ansatzes durch einen materiellen Ansatz notwendig?

Da diese Arbeit auf Vorschlag des GTZ Projektes „Förderung der organisierten Selbsthilfe im ländlichen Raum“ durchgeführt wurde, ist das Verwertungsinteresse der Arbeit anwendungsorientiert.

Das Ziel dieser Arbeit ist, die Chancen und Grenzen des Genossenschaftswesens in der Mongolei zu untersuchen und seine mögliche Funktion zur ländlichen Regionalentwicklung im Servicesystem von Transformationsländern wie der Mongolei darzustellen, und anschließend zu überlegen, wie in Anbetracht der Grenzen des Genossenschaftswesens eine breitenwirksame, nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raumes gefördert werden kann.

Dazu wird in einem ersten Schritt der institutionelle Wandel und die damit verbundene veränderte Wirtschaftsweise der Tierhalter im ländlichen Raum der Mongolei von den Anfängen der Kollektivierung über die Dekollektivierung bis in die Gegenwart dargestellt. Hierbei werden die nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft entstandenen Lücken im Servicesystem und die daraus resultierenden Probleme für die ländliche Bevölkerung aufgezeigt. Im Weiteren wird das Bemühen der Regierung und der internationalen Gebergemeinschaft über Maßnahmen wie Dezentralisierung, räumlich funktionale Gliederung des Landes in fünf Entwicklungsgebiete und die Förderung des Genossenschaftswesens mit dem Bestreben, das Servicesystem an die Erfordernisse der Marktwirtschaft anzupassen, thematisiert.

Anschließend soll anhand der gezielten Untersuchung zweier Fallbeispiele in der Projektregion des besagten GTZ Projektes die Fähigkeit der Bevölkerung im ländlichen Raum analysiert werden, den solchermaßen gestalteten Spielraum zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Abschließend wird mit einigen Empfehlungen der Versuch unternommen, zur besseren Entfaltung des Genossenschaftswesens und einer Förderung der ländlichen Regionalent­wicklung durch Verbesserung des Zusammenspiels innerhalb des gesamten Servicesystems beizutragen.

1.2. Methodische Vorgehensweise

Das methodische Vorgehen dieser Arbeit ist methodologisch weder der strikten analytisch nomologischen Position noch der ihr oft gegenübergestellten interpretativ-interaktionistischen Grundposition der Erfahrungswissenschaft verpflichtet (vgl. KROMREY 1995: Kapitel 1). Vielmehr wird im Sinne der Postmoderne wissenschaftlicher Pluralismus angestrebt und eine Verbindung von rationalen quantitativen mit interpretativen qualitativen Erhebungs- und Auswertungsverfahren praktiziert. Getreu dem Prinzip der Offenheit und der Flexibilität der interpretativ-interaktionistischen Grundposition wurde versucht, eine Filterung der Wahrnehmung durch Aufstellung von Hypothesen und Vorannahmen zu vermeiden, weshalb allein ein Schwerpunkt der Untersuchung durch oben dargestellte Fragestellung festgelegt wurde.

Der empirischen Erhebung ging ein mehrstufiges Auswahlverfahren voraus: In Ergänzung zu Auswertungen von Sekundärstatistiken wie der KWIS Datenbank des GTZ Projektes oder dem Human Development Report of Mongolia 2000, die einen Überblick über die Gesamtsituation geben können, wurde die Projektregion Dsawchan- Aimag als spezielles Untersuchungsgebiet zur Primärerhebung sondiert. Dieses Gebiet wurde aus zwei Gründen ausgewählt: Zum einen aufgrund der Annahme, dass sich die Probleme der Bevölkerung in diesem Gebiet wegen der großen Entfernung zu der Landeshauptstadt Ulaanbaatar extremer gestalten und von daher besser zu beobachten sind. Zum anderen, weil die Entwicklung des Genossenschaftswesens in der Projektregion wohl am weitesten fortgeschritten und von daher am besten auf Stärken und Schwächen hin überprüfbar ist. Da es sich hierbei um ein Gebiet handelt, auf das die Fördermaßnahmen des Projektes besonders konzentriert werden, können hier zwar einerseits sehr gut die Auswirkungen der Fördermaßnahmen beobachtet werden - andererseits kann diese Region nicht als repräsentativ für die gesamte Situation in der Mongolei betrachtet werden, sondern muss vielmehr als Versuchsstation zur Erprobung der Chancen und Grenzen eines geförderten Genossenschaftswesen verstanden werden.

Das Aimag untergliedert sich in drei administrative Einheiten: Der Aimag - Hauptstadt Uliastai[1], 24 Sum mit jeweils einem Sum - Zentrum, wobei jedes Sum wiederum in 3-6 Bag unterteilt ist, der kleinsten administrativen Einheit. Zur eingehenden Untersuchung wurden zwei Sum ausgewählt, die sich in einigen bekannten und für die Fragestellung interessanten Merkmalen extrem unterscheiden.

Das wichtigste Auswahlkriterium war hier die Größe der Genossenschaft, sowie deren Verbandsmitgliedschaft, aber auch die physisch-geographischen Gegebenheiten. Eine Analyse der KWIS Datenbank des GTZ Projektes ergab, wie unter Punkt 3.4.5 dargestellt, dass von den insgesamt 2.209 Genossenschaften im ländlichen Raum[2] 82,3% nur 9 Mitglieder zählen, wohingegen nur 1,8% mehr als 171 Mitglieder haben. Rechnet man diese allerdings wieder auf die beteiligten Personen um, so sind ca. 12.100 Personen Mitglied in einer Genossenschaft, die mehr als 500 Mitglieder zählt, und 12.276 Personen sind Mitglied in einer Genossenschaft mit neun Mitgliedern. Bei einer genaueren Betrachtung der großen Genossenschaften zeigt sich, wie unter Punkt 3.4.5 dargestellt, dass die Mehrheit dieser Genossenschaften (65%) Mitglied bei dem Genossenschaftsverband NAMAC sind. In einem disproportionalen bewussten Auswahlverfahren (vgl. KROMREY 1995: Kapitel 6) wurden zwei Sum als Stichprobe ausgewählt: Zum einen das zum Großteil mit Wüstensteppe ausgestattete im Gebirgsvorland gelegene Durwuldschin- Sum. Es weist, neben einer großen Genossenschaft mit 1.126 Mitgliedern, welche Mitglied bei dem Verband National Association of Mongolian Agricultural Cooperatives (NAMAC) ist, drei kleine Genossenschaften auf. Zum anderen das im Gebirgsland situierte Otgon- Sum. Es zählt, laut KWIS-Datenbank, sieben kleine und eine mittelgroße Genossenschaft. Des Weiteren bestimmend für die Auswahl des Otgon- Sum als Stichprobeneinheit war, dass es sich bei diesem Sum um einen Vorreiter in der Umsetzung der Genossenschaft als neuer Organisationsform handelt. Unter der Förderung der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) entstand hier bereits 1993 eine der ersten vier Genossenschaften in der Mongolei, die allesamt Mitglied in dem von der Demokratiebewegung neu gegründeten Genossenschaftsverband Mongolian Association of Private Herders Cooperatives (MAPHC) waren. Es war bekannt, dass der Vorsitzende der großen Genossenschaft in Durwuldschin- Sum und der Vorsitzende der Vorreitergenossenschaft in Otgon- Sum sich als politische Kontrahenten verstehen und im Aimag - Zentrum Uliastai um die Vorherrschaft in der genossenschaftlichen Institutionenlandschaft und den Erhalt von Entwicklungshilfe buhlen.

Ergänzend zu der Stichprobe der beiden Sum, wurde das Aimag - Zentrum Uliastai als Stichprobeneinheit mit ausgewählt und gezielt in seiner zentralörtlichen Funktion für die Sum in Dsawchan- Aimag untersucht. Daher wurden hier in einer Klumpenauswahl (vgl. HANTSCHEL/ THARUN 1980: 65ff.) sämtliche im Aimag - Zentrum vertretenen genossenschaftlichen Organisationen auf der Sekundärebene mit Hilfe eines Experteninterviews und einer SWOT Analyse (vgl. LAMNEK 1993: 72) befragt.

Dies umfasste fünf Genossenschaftsverbände, zwei Sekundärgenossenschaften, zwei Schulungszentren, einen Regionalverband, eine im Gründungsprozess befindliche „Non Banking Financial Institution“, sowie das Steueramt, wo die neu gegründeten Genossenschaften registriert werden. Des Weiteren wurden sieben der zum Zeitpunkt der Erhebung 61 arbeitenden Genossenschaften in Uliastai befragt, um deren Wirkungsfeld für den umliegenden ländlichen Raum sowie Unterschiede zu Genossenschaften in den Sum einschätzen zu können. Es war geplant, diese Genossenschaften in einem disproportionalen geschichteten Auswahlverfahren an Hand der in der KWIS Datenbank vorhandenen Angaben auszuwählen, so dass die verschiedenen Branchen sowie verschieden große Genossenschaften über die Erhebung erfasst werden können. Die Durchführung dieses Verfahrens stellte sich jedoch als schwierig heraus, da die Kontaktaufnahme zu den Genossenschaften mit den entsprechenden Kriterien über den Vorsitzenden des Genossenschaftsausschusses des Aimag verlief, der erstens ein großes Interesse hatte, nur die besten Genossenschaften zu präsentieren und zweitens vor allem zu den Genossenschaften Kontakt aufsuchte, die seiner Lobby angehörten.[3]

In den Sum wurde versucht, über eine disproportionale geschichtete Auswahl (vgl. KROMREY 1995: Kapitel 6) eine repräsentative Teilmenge der Sum - Bevölkerung über ein flexibles teilstandardisiertes Interview zu befragen. Die geschichtete disproportionale Auswahl erfolgte, indem die Bag - Gouverneure der Sum aufgefordert wurden, nach eigens aufgestellten Kriterien die Bag - Bevölkerung in eine dreistufige Rangordnung nach Vermögenslage der Haushalte einzuteilen und pro Gruppe zwei bis drei Interviewpartner zu nennen. Es wurde anvisiert, auf diese Weise flächendeckend das gesamte Gebiet des Sum zu erfassen und in jedem Bag pro Gruppe mindestens eine Familie zu befragen.[4] Die Sum - Gouverneure und die betreffenden Bag - Gouverneure wurden in Experteninterviews befragt. Da die Schlüsselfunktion der Vorsitzenden des Bag- Parlamentes erst bei einer teilnehmenden Beobachtung einer solchen Parlamentssitzung in Durwuldschin- Sum, Onz- Bag erkannt wurde, konnten diese Schlüssel-Personen erst bei der darauffolgenden Erhebung in Otgon- Sum über gezielte Kontaktaufnahme in jedem Bag in Form eines Experteninterviews befragt werden. Des Weiteren wurden die auffindbaren Vorsitzenden der Genossenschaften sowie, wenn möglich, mindestens ein Mitglied pro Genossenschaft mittels eines Leitfadeninterviews befragt.

In beiden Sum - Zentren wurde eine Kartierung der öffentlichen Einrichtungen durchgeführt und mit Hilfe eines Ortskundigen die Nutzung der Gebäude vor und nach der Wende eingetragen.

Da im Sum - Zentrum von Durwuldschin- Sum die Genossenschaftselite der großen Genossenschaft und die in der Genossenschaft Angestellten eine weitere wichtige Bevölkerungsgruppe darstellt, wurden hier zusätzlich sämtliche vorfindbaren Angestellten befragt.

Die Auswertung der Befragungen erfolgte teils quantitativ über statistische Berechnungen, teils qualitativ über Interpretation der Situationseinschätzung und Handlungsentscheidungen der Befragten. In einem holistischen Ansatz wird in dieser Arbeit zunächst die durch die Erhebung sich abzeichnende Situation in den beiden Sum und im Aimag - Zentrum beschrieben, um anschließend einige Teilaspekte in einer Analyse genauer zu untersuchen und zu interpretieren.

1.3 Forschungsablauf

Die Forschung verlief im Rahmen eines drei Monate währenden Aufenthalts in der Mongolei, vom 15.08.-15.11.2002. Dem Aufenthalt vorausgegangen war eine intensive Vorbereitung: Zum einen in Form der Teilnahme an einem zwei Semester dauernden Mongolisch Sprachkurs am Institut für Zentralasienwissenschaften der Humboldt Universität in Berlin und der Teilnahme an zahlreichen Seminaren am Institut für Geographische Wissenschaften zu physischen und anthropogeographischen Aspekten in der Mongolei[5], zum anderen in Form einer eingehenden Literaturrecherche zum „State of the Art“ des Genossenschaftswesens in Transformationsländern im allgemeinen und der Mongolei im speziellen begleitet von beratenden Gesprächen mit Experten am Institut für Genossenschaftswesen der HU Berlin.

Der Forschungsaufenthalt lässt sich in sechs Zeitabschnitte unterteilen:

1. Die Vorbereitung des ersten Feldforschungsaufenthalts in Ulaanbaatar vom 16.08 -01.09.2002

In diesem Zeitraum erfolgte eine erste Auswertung von statistischen Daten zum Stand des Genossenschaftswesens in der Mongolei und in Absprache mit dem Leiter des GTZ Projektes „Förderung der organisierten Selbsthilfe im ländlichen Raum“ eine Auswahl des ersten Untersuchungsgebietes. Des Weiteren wurden die verschiedenen Befragungstechniken (Experteninterview, Leitfadeninterview etc.) entworfen. Diese wurden gemeinsam mit der mongolischen Studentin Ojunga (Deutsch als Fremdsprache), die die Feldforschung als Übersetzerin begleitete, inhaltlich besprochen.

2. Der erste Feldforschungsaufenthalt in Durwuldschin- Sum vom 03.09-16.09.2003

Um direkten und offenen Kontakt zu der ansässigen Bevölkerung zu bekommen sowie einen direkten Einblick in den Tagesablauf und die Lebensweise der Menschen vor Ort zu erhalten, erfolgte die Forschung nicht nur durch Besuche von gezielt ausgewählten Interviewpartnern, sondern auch durch Teilnahme am Leben der Familien, bei denen wir untergebracht waren. Bei der Suche nach einer Familie, die uns aufnehmen mochte, waren uns die Kinder im Sum - Zentrum sehr behilflich, da sie zu einer schnellen Informationsübertragung beigetragen haben. Im Sum - Zentrum verbrachten wir einige Tage bei einer alleinerziehenden Mutter, die sich das Ger mit ihrem 10- jährigen Sohn teilte. Über sie konnten wir Kontakt zu vielen wichtigen Interviewpartnern knüpfen. Des Weiteren half sie uns bei der Suche nach einem Fahrer und begleitete uns auf der ersten zweitägigen Exkursion in das Umland des Sum - Zentrums nach Booral- Bag und Zogt - Bag, wo wir eine Nacht bei der Familie ihrer verheirateten Tochter verbringen konnten. Auf dieser Exkursion erfolgten Befragungen der dort lebenden mobilen Tierhalter. Die Durchführung der zweiten Land- Exkursion gestaltete sich etwas schwieriger, denn auf ihr sollten in einem Stück auf einer mehrtägigen Tour die weiter entfernt gelegenen Tawan Tolgoi- Bag und Onz- Bag besucht werden. Da der Fahrer jedoch nicht bereit war, mehr als drei Tage Zeit für diese Tour zu investieren, musste der Erhebungsumfang etwas eingeschränkt werden. Zudem verbrachten wir zwei Nächte fahrend im Auto. Auf dieser Exkursion wurden zum einen weitere Befragungen durchgeführt, zum anderen konnten wir an der Herbstsitzung des Bag - Parlamentes von Onz- Bag teilnehmen und dabei sowohl das Verfahren beobachten als auch nach Beendigung der Sitzung Diskussionen anregen.

3. Die Nachbereitung des ersten Feldforschungsaufenthaltes und die Vorbereitung des zweiten Feldforschungsaufenthaltes in Ulaanbaatar vom 18.09.- 11.10.2002

Die Nachbereitung umfasste eine Ordnung der gesammelten Daten, um gegebenenfalls Lücken in einem zweiten Feldbesuch beheben zu können, sowie eine erste Auswertung der Daten. Diese Auswertung der Daten sollte vornehmlich dazu dienlich sein, einen groben Überblick über die Verwendbarkeit der Daten zu bekommen und den Erhebungsvorgang an sich beurteilen zu können, um so bei der Erhebung des zweiten Fallbeispieles Verbesserungen vornehmen zu können. Viel Aufwand erforderte in dieser Zeit auch die Suche nach einer neuen Übersetzerin, da Ojunga verhindert war.

4. Der zweite Feldforschungsaufenthalt in Otgon- Sum vom 13.10. – 27.10.2002

Gemeinsam mit der Übersetzerin Zengelmaa, einer mongolischen Studentin (Deutsch als Fremdsprache), fuhr ich zu Beginn des zweiten Feldforschungsaufenthaltes zunächst noch einmal den zuvor untersuchten Durwuldschin- Sum an, um dort den beim letzten Aufenthalt nicht anwesenden Genossenschaftsvorsitzenden der großen Genossenschaft „Tawan Erdene“ befragen zu können. Von dort fuhren wir zurück zum Aimag - Zentrum Uliastai, wo wir - dank der zuvor erfolgten Vermittlung des GTZ Projektes - bei der einheimischen Kontaktperson des Projektes Sededsuren Unterkunft fanden. Über Sededsuren, der aus Otgon- Sum stammt und dort selber sehr engagiert am Aufbau des Genossenschaftswesen beteiligt war, wurden wir schon im Vorfeld an eine Familie in Otgon- Sum vermittelt, bei der wir leben sollten und die uns bei der Suche nach einem Fahrer und der Kontaktaufnahme zu Interviewpartnern behilflich sein sollte. Vor Ort wechselten wir allerdings nach einer Nacht die Familie, da wir den Eindruck hatten, dass die zweite Familie unsere Anwesenheit weniger als Verpflichtung und mehr als Bereicherung empfand. Auch hier verbrachten wir einige Tage im Sum - Zentrum. Nach einer eintägigen Exkursion in das nähere Umland des Zentrums, nach Bujant- Bag, konnten wir einen Fahrer dazu überreden, sich mit uns auf eine fünf Tage dauernde Tour von Bajan Bulag- Bag, über Badral- , Sojol- und Onz- Bag einzulassen. Während dieser Tour blieben wir über Nacht zu Gast bei den befragten Tierhaltern und konnten so bei der Vorbereitung und Verzehr des Essens weiterreichende Gespräche führen.

5. Der dritte Feldforschungsaufenthalt im Aimag - Zentrum von Dsawchan- Aimag, Uliastai vom 28.10-01.11.2002

Von der Feldforschung in Otgon- Sum kehrten wir nicht direkt nach Ulaanbaatar zurück, sondern blieben noch fünf Tage in Uliastai. Dort waren wir wieder bei der GTZ Kontaktperson Sededsuren untergebracht, mit dessen Hilfe wir Kontakt zu den wichtigen Schlüsselpersonen des in Uliastai aktiven Genossenschaftswesens knüpfen konnten.

6. Die ergänzende Recherche in Ulaanbaatar vom 03.11.-16.11.2002

In Ulaanbaatar erfolgte durch Sichtung der Materialien im GTZ Büro sowie durch Gespräche mit Mitarbeitern im Büro eine abschließende Recherche über die Genossenschaftsverbände, sowie über die Arbeit des Nationalen Genossenschaftsrates.

2. Theoretischer Hintergrund und Begriffs definitionen

2.1 Transformation

Da sich diese Arbeit im weitesten Sinne mit den Chancen und Grenzen des Genossenschaftswesens zur Förderung der ländlichen Regionalentwicklung in Transformationsländern befasst, soll hier zunächst die Einordnung des Themas in die Transformationsdebatte und seine Positionierung als regionalgeographische Forschung, die dem Verständnis der Entwicklungspfade verpflichtet ist, erfolgen.

Der Begriff „Transformation“ wird bei einigen Autoren (vgl. HUNTINGTON 1991; MERKEL 1999) auf alle im Wandel begriffenen Staaten angewandt, wobei in historischer Betrachtungsweise aufeinanderfolgende Wellen unterschieden werden. Die post-sozialistischen Transformationsprozesse werden so von MERKEL der vierten Welle zugeordnet, die durch das säkuläre Ereignis des Zusammenbruchs der Sowjetunion ausgelöst wurde (vgl. MERKEL 1999). In dieser Arbeit soll der Begriff Transformation eingeschränkt werden zur Bezeichnung der nach den politischen Umschwüngen Ende der 1980er eingeleiteten Veränderungen in den ehemaligen RGW-Staaten. Der Wandel vollzieht sich in diesen Staaten auf mehreren Ebenen: Auf wirtschaftlicher Ebene findet der gezielte von oben initiierte Übergang der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft statt, auf politischer Ebene eine Hinwendung zur Demokratie und auf sozialer Ebene eine gesellschaftliche Differenzierung (vgl. STADELBAUER 2000: 61). Die Staaten, die diesen Prozess durchlaufen, sollen unter dem Begriff „Transformationsländer“ subsummiert werden.

Während zu Beginn der Transformationsforschung ein Großteil der Wissenschaftler im Einklang mit der Modernisierungstheorie (vgl. ZAPF 1994) von einem vorgezeichneten Ablauf der Transformation in aufeinanderfolgenden Phasen ausgingen, hat sich nach zehn Jahren der Untersuchung der Entwicklung in den einzelnen Transformationsländern in der geographischen Transformationsforschung die Einsicht durchgesetzt, dass von einem prädestinierten Entwicklungspfad, auf dem die Transformation verläuft, nicht mehr ausgegangen werden kann (vgl. BÜRKNER 2000). Vielmehr müssen viele alternative Entwicklungspfade zur Kenntnis genommen und wissenschaftlich begründet werden.

Diese unterschiedlichen Entwicklungspfade werden zum einen aufgrund der Art der gewählten gesamtgesellschaftlichen Restrukturierungsmodelle (abrupter Systemwechsel vs. Gradualismus) ( vgl. BÜRKNER 2000: 30) und zum anderen durch die verschiedene Ausgangslage der einzelnen Länder begründet (vgl. TATUR 1998).

Diese Position trägt der Beobachtung Rechnung, dass trotz gemeinsamer sozialistischer Vergangenheit unterschiedliche Akteurskonstellationen auf regionaler Ebene ebenso wie verschiedene physisch-geographische Grundausstattungen dazu führen, dass voneinander abweichende Entwicklungspfade betreten werden.

Auch beginnt sich nach zehn Jahren der Transformationsforschung ein neuer Begriff zur Untersuchung der Transformationsländer Gehör zu verschaffen, dessen Name Programm ist: In Anlehnung an den Begriff “Postkolonialismusforschung“ hebt der Begriff „Postsozialismusforschung“ auf Analogien im Forschungsprogramm ab. VERDERY erläutert dieses Programm folgendermaßen: „In derselben Weise, wie die Postkolonialismusforschung die koloniale Vergangenheit untersucht, durch welche die heutigen Gesellschaften Afrikas, Lateinamerikas und Asiens ihre Gestalt erhielten, ließen sich ähnliche Prozesse auch im Zusammenhang mit dem sowjetischen Imperialismus erschließen.“ (VERDERY 2002: 32).

Dieser Ansatz behandelt das gemeinsame sozialistische Erbe, indem er durch vergleichende Untersuchung der unterschiedlichen Entwicklungspfade Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung hervorhebt.

Die Vertreter dieser Forschungsrichtung betonen, dass die bestehenden Unterschiede zwischen den ehemaligen sozialistischen Ländern sich im Laufe der letzten zehn Jahre zwar verschärft haben, sie halten es aber dennoch für sinnvoll, diese Ländergruppe bislang weiterhin durch die Kategorie „postsozialistisch“ als Einheit zu betrachten und als relevantes Feld für vergleichende Studien zu erachten, um so das Erbe des „real existierenden Sozialismus“ ergründen zu können und die verschiedenen Entwicklungspfade besser einordnen zu können (HUMPHREY 2002: 26 ff.).

Die Einordnung des Themas dieser Arbeit bezieht sich auf den Gesamtkontext der Transformationsländer vor dem Hintergrund des gemeinsamen sozialistischen Erbes. Aus diesem Verständnis heraus wird die Kollektivierung im ländlichen Raum als eine Erfahrung, die allen Transformationsländern gemein ist und gewisse Strukturen nach der Wende hinterlassen hat, behandelt. Somit ist bei der hier vorgenommen Erarbeitung der Chancen und Grenzen des Genossenschaftswesens bis zu einem gewissen Punkt eine Verallgemeinerung zuzulassen.

Andererseits wird aber durch die Eingrenzung des Themas auf Transformationsländer, in denen vorwiegend mobile Tierhaltung praktiziert wird, der regional unterschiedlich gegebenen physisch-geographischen Grundausstattung Rechnung getragen.[6]

Der in dieser Arbeit verfolgte Ansatz der Erforschung des Entwicklungspfades einer sondierten Region mit besonderer Berücksichtigung der hier gegebenen Institutionen und der Akteurskonstellation vor und nach der Wende, bezieht sich auf die geographische Betrachtung der Region als „konkrete Handlungsarena der Transformation“ ( BÜRKNER 2000: 30).

2.2 Ländlicher Raum

Zur Klärung der Frage, ob und wie der Aufbau des Genossenschaftswesens eine Entwicklung im ländlichen Raum der Mongolei bewirken kann, ist es vorweg notwendig zu definieren, welche Regionen in diesem Zusammenhang unter dem Begriff „ländlicher Raum“ verstanden werden sollen.

Der Begriff „ländlicher Raum“ soll all jene Regionen bezeichnen, die vorwiegend durch die Landwirtschaft geprägt sind, d.h. dass hier die Landwirtschaft zur Selbstversorgung der Haushalte in Ergänzung mit dem Verkauf von Überschussproduktion zur Selbstversorgung mit nicht durch die eigene Landwirtschaft erzeugten benötigten Gütern, das Hauptbeschäftigungsfeld darstellt. Der ländliche Raum soll aber nicht mit dem landwirtschaftlichen Sektor gleichgesetzt werden.

Die entwicklungsstrategischen Herausforderungen zur Entwicklung des ländlichen Raumes konzentrieren sich neben der Optimierung der landwirtschaftlichen Erträge zunehmend auf die weitere Verwendung lokaler Ressourcen durch Verwendung arbeitsintensiver Technologien im verarbeitenden Gewerbe. Hierdurch erfahren ländliche Zentren als Gewerbe- und Dienstleistungsstandorte einen Bedeutungszuwachs, indem sich dezentrale Standortmuster herausbilden. Ländliche Entwicklung muss daher verstärkt die Systemzusammenhänge zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Produktion und dementsprechend zwischen Dörfern und ländlichen Zentren berücksichtigen. Daher soll der Begriff „ländlicher Raum“ im folgenden sowohl die regionalen Zentren (Aimag - Hauptstadt) als auch die lokalen Kommunen (Sum - Zentrum und Umgebung) umfassen.

Der ländliche Raum grenzt sich somit vom urbanen Raum der Hauptstadt Ulaanbaatar und den drei Städten mit Aimag- Status Erdenet, Gowjsumber und Darchan ab, welche vorwiegend durch den sekundären, tertiären und quartären Sektor geprägt sind. In dieser Arbeit wird zusätzlich der Begriff „ländlich peripherer Raum“ verwendet, um die das Sum - Zentrum umgebenden Bag zu bezeichnen.

2.3 Nomadismus und mobile Tierhaltung

Die gegenwärtig praktizierte Wirtschaftsweise der Tierhalter in der Mongolei wird in dieser Arbeit in Anlehnung an SCHOLZ als „mobile Tierhaltung“ bezeichnet (SCHOLZ 1995). Diese Bezeichnung erfolgt in Abgrenzung zu dem Begriff „sozio-ökologische Kulturweise Nomadismus“, der zur Bezeichnung der traditionellen Wirtschaftsweise der Tierhalter als Nomaden verwendet wird. Unter der sozio-ökologischen Kulturweise des Nomadismus wird eine „mobile Lebens- und Wirtschaftsweise verstanden, für die die folgenden Elemente die übergreifenden, durchgängig vorherrschenden Strukturen darstellen: Tierhaltung auf Naturweide als Produktionsgrundlage zur Subsistenzsicherung, wiederkehrender Wechsel des Siedlungsplatzes und eine damit verbundene, angepasste materielle Kultur, sowie eine gemeinschaftliche Organisation der zugehörigen menschlichen Gruppen“ (SCHOLZ 1999: 399). Die Tierhaltung „bei der nur noch die Herden und Hirten gezielt beraten und gegebenenfalls unter Einsatz moderner Transportmittel die saisonal oder episodisch nutzbaren Weidestandorte aufsuchen, während die zugehörigen Familien sesshaft sind“ wird als „mobile Tierhaltung“ bezeichnet (SCHOLZ 1995: 261). Diese Bezeichnung wird in dieser Arbeit zur Beschreibung der Wirtschaftsweise der Tierhalter verwendet, die mit der Kollektivierung eingeführt wurde. Sie wird auch zur Bezeichnung der gegenwärtig in der Mongolei praktizierten Tierhaltung angewandt. Mit der Verwendung dieses Begriffs schließt sich diese Arbeit der Argumentation von SCHOLZ an, der in der nachhaltigen Sicherung und Förderung der mobilen Tierhaltung eine reelle Chance sieht, „weite Teile ehemals nomadisch genutzter Räume innerhalb des Altweltlichen Trockengürtels angepasst, nachhaltig und volkswirtschaftlich in Wert zu setzen und vor möglicher endgültiger Verödung oder vor Zerstörung durch andere Nutzungsformen für den Menschen zu bewahren“ (SCHOLZ 1995: 262).

2.4 Institutionen

Die Einschätzung der Chancen und Grenzen des Genossenschaftswesens zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes soll unter Bezugnahme auf Theorien, die sich mit der Auswirkung von Institutionen und Organisationen auf die wirtschaftliche Entwicklung befassen, betrachtet werden.

Spätestens seit der Veröffentlichung des Weltentwicklungsberichtes von 1997, der sich mit der Auflösung der antagonistischen Betrachtung von Markt und Staat zu einer Abkehr von der strengen Linie des „Washington Konsensus“ bekannte, rückte die Bedeutung von effizient arbeitenden die Produktivität einer Gesellschaft fördernden öffentlichen Institutionen in den Vordergrund der Überlegungen zu Entwicklungsstrategien (STIGLITZ 1998).

Empowerment, Good Governance und institutioneller Wandel sind die neuen Leitbilder und Modewörter in der internationalen Entwicklungspolitik, denen auch das in dieser Arbeit dargestellte GTZ Projekt „Förderung der organisierten Selbsthilfe im ländlichen Raum“ folgt. Zur besseren Einordnung soll hier das dahinterstehende theoretische Gerüst kurz erläutert werden.

Es handelt sich um den Gedanken, „dass der institutionelle Rahmen von wesentlicher Bedeutung für die Leistung einer Wirtschaft ist, indem er die Maximierungsmöglichkeiten der Organisationen diktiert“ (NORTH 1992: 84). Institutionen werden von NORTH, dem prominentesten Vertreter dieser Richtung, als „die Spielregeln einer Gesellschaft“ betrachtet, „oder förmlicher ausgedrückt, die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion. Dementsprechend gestalten sie Anreize im zwischenmenschlichen Tausch, sei dieser politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Art“ (NORTH 1992: 3). Die Trennung der Analyse von Institutionen und Organisationen ist für NORTH eine notwendige Voraussetzung für eine Theorie der Institutionen und deren Auswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung, da sie sich gegenseitig beeinflussen und verändern. Unter dem Begriff der Organisation versteht NORTH „öffentliche Körperschaften (politische Parteien, der Senat, ein Stadtrat, eine Verwaltungsbehörde), Rechtspersonen des Wirtschaftslebens (Unternehmen, Gewerkschaften, landwirtschaftliche Familienbetriebe, Genossenschaften) und Anstalten des Bildungswesens (Schulen, Universitäten, Berufsbildungszentren). Es handelt sich um Gruppen von Einzelpersonen, die ein gemeinsamer Zweck, die Erreichung eines Zieles verbindet“ (NORTH 1992: 6).

So definierte Organisationen können auf die Beschränkungen der Institutionen auf zwei Weisen reagieren, zum einen mit dem Versuch, über die Wahrnehmung der Opportunitätsmenge durch ihre Organisation die Beschränkungen zu ihrem Vorteil zu nutzen, zum anderen können sie selbst auf die Entwicklung der institutionellen Rahmenbedingungen Einfluss nehmen.

In einer wissenschaftlichen Studie von RAUCH wird die Trennung der Begriffe Institution und Organisation nicht vorgenommen: Institutionen werden hier verstanden als „Systeme von Regelungen und Einrichtungen zur Steuerung sozialer Systeme. Diese Definition umfasst neben Organisationen (wie Ministerien, Verbände, Kirchen) auch Regelungsmechanismen wie Märkte, Parlamentarismus, Gesetz oder Ehe. Diese Organisationen und Regelungsmechanismen können formeller wie auch informeller Art sein, also auch schriftlich nirgendwo festgehaltene Regeln innerhalb dörflicher Gemeinschaften umfassen“ (RAUCH 1996: 178 ff.). Jedoch wird hier anhand des Vergleichs der Wirkung der als Organisation bezeichneten Preiskontrollbehörde und der Wirkung des Regelungsmechanismus des Marktes erläutert, dass Organisationen die gleiche Funktion erfüllen können wie institutionelle Regelungen und von daher als Institution zu bezeichnen sind.[7]

Für eine Analyse des institutionellen Wandels von demokratischen, marktwirtschaftlichen Systemen kann die von NORTH vorgenommene Unterscheidung zwischen Organisationen und Institutionen sehr hilfreich sein, denn da hier keine klare Trennung von Markt und Hierarchie besteht, kann jede Organisation Einfluss auf die institutionellen Rahmenbedingungen nehmen. Die zentrale Planwirtschaft in den „real existierenden“ sozialistischen Staaten hingegen wurde durch eine klare Trennung von Markt und Hierarchie gestützt. Organisationen konnten hierdurch keinen Einfluss auf die institutionellen Regelungen nehmen. Aufgrund dieses unter Umständen beschränkten Handlungsspielraumes von Organisationen, wird in dieser Arbeit eine begriffliche Differenzierung von Organisationen und Institutionen in Abhängigkeit von ihrer Funktion vorgenommen.

Zur eindeutigen inhaltlichen Abgrenzung bei Verwendung der Begriffe „Organisation“ und „Institution“, soll mit den Begriffen „Organisation“, „Institution“ und „institutionelle Regelungen“ gearbeitet werden. Unter „institutionellen Regelungen“ werden die anerkannten bzw. umkämpften Spielregeln verstanden, die z. B. durch Gesetzestexte, Verfassungen oder traditionell erlernte Verhaltensnormen eine Erwartungssicherheit im zwischenmenschlichen Austausch gewähren und durch Institutionen abgesichert werden. Als Organisation werden alle durch ein gemeinsames Ziel als koordinierte Gruppe agierende Einheiten verstanden. Geht das verfolgte gemeinsame Ziel einer Organisation über eine Optimierung der unter institutionellen Regelungen gegebenen Gewinnchancen hinaus, ist das gemeinsam verfolgte Ziel also eine Änderung der Regelungen bzw. eine Verteidigung ebenjener, soll diese spezielle Organisation als Institution bezeichnet werden. Die „Institution“ ist so definiert eine Sonderform der Organisation, die durch folgende Funktionen gekennzeichnet ist: Vertretung gesellschaftlicher Interessen, Durchsetzung oder Änderung der Spielregeln.

Die Genossenschaften können aufgrund ihrer Funktion als partizipative, demokratische Organisationen, die sich nicht nur zur Wahrnehmung wirtschaftlicher Vorteile durch Skalenvorteile zusammentun, sondern auch in Verbänden zur Interessenvertretung zusammenschließen, sowohl als Institution wie auch als wirtschaftliche Organisationsform betrachtet werden. Das heißt, durch die Institutionalisierung des Genossenschaftswesens durch gesetzliche Absicherung der Rahmenbedingungen und Schaffung eines durch Satzungen festgeschriebenen Organisationsgefüges wird nicht nur eine wirtschaftliche Organisationseinheit geschaffen, die die neuen Rahmenbedingungen gewinnbringend für sich zu nutzen weiß, sondern es wird vielmehr eine Institution geschaffen, die die Rahmenbedingungen mitgestaltet.

Für Vertreter der „Neuen Institutionenökonomie“ wie NORTH oder STIGLITZ ist die Art der institutionellen Steuerung ausschlaggebend für die Entwicklung einer Gesellschaft, denn ihrer Meinung nach hängt die Art der Maximierungstätigkeit der Organisationen von den institutionellen Anreizen ab. So können institutionelle Regelungen z.B. Anreize zur Organisation zwecks Produktivkraftentwicklung bieten (z.B. Steuerbefreiung für neu gegründete Genossenschaften in den ersten zwei Jahren). Sie können aber auch dazu führen, dass sich Organisationen bilden, um dadurch andere vom Marktzutritt ausschließen zu können (z.B. fliegende Händler, die keiner doppelten Besteuerung unterliegen). Da die institutionellen Regelungen oft nicht nur geschaffen werden, um Sicherheit zu gewähren, sondern auch „um den Interessen derjenigen zu dienen, die die Verhandlungsmacht haben, neue Regeln aufzustellen“ (NORTH 1992: 19) (z.B. Einfluss der Negdel - Elite auf Privatisierungsverfahren), müssen sie keinesfalls immer für die Gesamtgesellschaft sozial effizient sein.

Eine entwicklungspolitische Strategie, welche den oben dargelegten Erkenntnissen über die Rolle von Institutionen Rechnung trägt, muss sich die Förderung eines diversifizierten und pluralistischen institutionellen Gefüges als Ziel setzen. Als Strategie zur ländlichen Regionalentwicklung ist in diesem Sinne die Verbesserung des ländlichen Servicesystems durch Durchführung einer institutionellen Reform ein wichtiges Aufgabenfeld. Dieses Reformprogramm beinhaltet die in Abbildung 1 dargestellte Umwandlung des Dienstleistungssystems. Ein wichtiges normatives Ziel dieses Reformprogramms ist, die willkürliche Beziehung zwischen dem Dienstleistungsanbieter und dem Dienstleistungsempfänger durch formalisierte Regelungen zu ersetzen, so dass die Dienstleistungsempfänger die Leistungen als ihr Recht einfordern können. Die Gleichsetzung der Machtposition innerhalb der Beziehung zwischen Dienstleistungsanbieter und Dienstleistungsempfänger wird durch eine Umstrukturierung des Servicesystems anvisiert.

Abbildung 1: Modell zur Umwandlung des Dienstleistungssystems

(entnommen aus: RAUCH 1996: 186)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hierbei soll das Ziel, die Kluft und die Machtdifferenz zwischen Dienstleistungsanbietern und Empfängern zu verringern, durch eine Verbindung des Strategieelements der Verbesserung der Leistung der Anbieter mit dem Strategieelement der Stärkung des Drucks von unten erreicht werden. Die Verbesserung der Leistung der Anbieter auf der einen Seite wird durch eine Diversifizierung des Angebotes anvisiert. Diese Diversifizierung, d.h. die Übertragung von Aufgaben, Verantwortung und Macht an privatwirtschaftliche Unternehmen, gemeinnützige Organisationen oder öffentlich kontrollierte Unternehmen, ergänzt durch eine Reorganisation des staatlichen Leistungsangebots, lässt sich vor allem in Ländern mit einem Haushaltsdefizit gut durchsetzen, denn sie bedeutet zwar einerseits eine Entmachtung des Staates, andererseits aber auch eine Entlastung des Staates. Die Kluft zwischen Anbieter und Empfänger kann aber nicht allein durch eine Verbesserung des Angebots beseitigt werden, sie muss durch eine Stärkung des Drucks von unten in Form von Selbsthilfeorganisationen ergänzt werden. Diese Selbsthilfeorganisationen nehmen nicht nur als gestärkte Interessenvertretungsmacht Einfluss auf die Verbesserung der Leistung des Angebots, sondern sie können auch, wenn sie als Gruppe anstelle von Einzelpersonen Leistungen in Empfang nehmen, den Arbeitsaufwand der Anbieter verringern.[8] Ebenso kann durch die Förderung von Selbsthilfeorganisationen auf der Empfängerseite allein keine umfassende Verbesserung des Dienstleistungssystems erreicht werden.

Die Förderung des Genossenschaftswesens beinhaltet eine Kombination dieser beiden Strategieelemente, indem auf der Seite der Dienstleistungsanbieter in Form von den Genossenschaftsverbänden und Schulungszentren als Nichtregierungsorganisationen (NRO) eine Diversifizierung des vormals staatlich kontrollierten Angebots angestrebt wird und indem auf der Seite der Dienstleistungsempfänger die Genossenschaften ihre Interessen als Gruppe besser wahrnehmen und vertreten können.

Der institutionelle Entwicklungsansatz, der von Vertretern der „Neuen Institutionenökonomie“ proklamiert wird, vernachlässigt die Möglichkeit der von außen induzierten Entwicklung.

Genauso wie Veränderungen der institutionellen Regelungen über ihre gesetzten Anreize Einfluss auf die sozioökonomische Entwicklung ausüben, können eingeführte technische Erneuerungen, die neue Produktionsweisen mit sich bringen, Einfluss auf die institutionellen Regelungen ausüben, da durch sie ein objektiver Regulierungsbedarf entsteht.

Durch diese Betrachtung ergibt sich das in Abbildung 2 dargestellte „ Modell wechselseitiger Zusammenhänge zwischen der materiellen Sphäre und der institutionellen Sphäre“ (RAUCH 1996: 180 ff.). Die materielle Sphäre stellt die durch Organisationen wahrgenommenen und entwickelten Arten von Fertigkeiten und Wissen dar, die im gegebenen institutionellen Rahmen einträglich sein werden und den Prozess der materiellen Produktionsentwicklung bewirken. Dieser bestimmt wiederum den Grad der Arbeitsteilung und der gesellschaftlichen Differenzierung, welcher sich rückwirkend auf die Organisationenvielfalt und deren Regulierungsbedarf auswirkt.

Bei praktischer Anwendung dieser Theorie stellt sich die Frage nach dem Ansatzpunkt von Entwicklungsförderungsmaßnahmen. „Sind Verbesserungen im Bereich der institutionellen Sphäre der Schlüssel zu sozioökonomischen Entwicklungen? Oder bedarf es direkter Interventionen im Bereich der materiellen, der sozioökonomischen Sphäre hierzu?“ (RAUCH 1996: 181). Dieser Frage wird in der Analyse unter Punkt 5.6 nachgegangen.

Abbildung 2: Modell wechselseitiger Zusammenhänge zwischen der materiellen und der institutionellen Sphäre

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.5 Entstehung des Genossenschaftswesens und dessen unterschiedlicher Entwicklungsweg in Westeuropa und den sozialistischen Staaten

2.5.1 Entstehung des Genossenschaftswesens in Westeuropa

Die Institutionalisierung des Genossenschaftsgedankens nahm seinen Ursprung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich weite Teile Europas im Übergang von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft befanden. Dieser Wandel war einerseits durch die mit technischem Fortschritt verbundene Einführung neuer Produktionsweisen[9] bedingt und wurde andererseits durch Änderungen institutioneller Regelungen wie die Durchsetzung der Bauernbefreiung und Einführung der Gewerbefreiheit herbeigeführt. Die neuen institutionellen Regelungen gaben den Bauern und Handwerkern zwar den Status vollberechtigter und freier Staatsbürger, doch als freie und selbständige Wirtschaftsakteure besaßen sie keinerlei Erfahrung in der Führung ihre Betriebe. Ganze Familien fielen daher Wucherern zum Opfer und mussten nach der Zwangsversteigerung ihrer Höfe in die Städte abwandern. So nahm die Verelendung breiter Massen der Bevölkerung ihren Lauf, denn sehr bald überstieg die Zahl der nach Arbeit suchenden Bevölkerung die Zahl der Arbeitsplätze in den Industriebetrieben. Aus dieser Notsituation heraus begannen die Menschen sich zu organisieren, um entweder gemeinsam an die neue Wirtschaftsweise angepasste Maximierungsmöglichkeiten wahrnehmen zu können oder aber um die institutionellen Regelungen zu verändern. Die Utopisten[10] hatten das gemeinsame Ziel, die institutionellen Rahmenbedingungen des System zu verändern oder aber zumindest sich diesem System zu entziehen, indem sie dem kapitalistischen System ein eigenständiges System von Kommunen gegenüber stellten. Den Gedanken der Kooperation griffen die Realisten auf, allerdings mit dem Bestreben eine Wirtschaftsform zu bilden, welche sich den neuen institutionellen Regelungen im kapitalistischen System in gewinnmaximierender Weise anpasst, indem durch Kooperation von Einzelbetrieben wirtschaftlicher Nutzen für alle beteiligten Einzelbetriebe entsteht. Eine formale Institutionalisierung dieser sich neu bildenden kooperierenden Organisationsform der Realisten in Form von einer gesetzlichen Verankerung wurde durch Herrmann Schulze-Delitzsch (1808-1883), einem Juristen und Abgeordneten der Preußischen Nationalversammlung, bewirkt, der dieser Organisationsform als registrierte Genossenschaft die Absicherung einer juristischen Person gab. Das 1868 für den Norddeutschen Bund in Kraft getretene "Gesetz betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften" sowie das 1889 erlassene "Reichstagsgesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften" basiert maßgeblich auf seiner Zuarbeit.

Ein besonders wichtiger Aspekt im Genossenschaftsverständnis von Schulze- Delitzsch ist das von ihm zum obersten Prinzip erkorene Prinzip der genossenschaftlichen Selbsthilfe. Der Begriff Selbsthilfe soll dabei nicht gleichbedeutend mit Solidarität und Gegenseitigkeit verstanden werden, sondern ist vordergründig auf eigene Interessen gerichtet. Selbsthilfe ist aber nicht Selbstzweck, sondern ist notwendiges Mittel zur Förderung der individuellen Interessen des einzelnen Mitglieds. Das Bestreben der Mitglieder von Genossenschaften als Selbsthilfeorganisation muss daher ausdrücklich sein, sich selbst zu helfen. Aufgrund dieser Gewichtung der Selbsthilfe als oberstem Prinzip jeder Genossenschaft hatte daher im §1 des GenG Zeit seines Lebens ausdrücklich die Sentenz "auf dem Wege der Selbsthilfe" gestanden (STEDING 1994: 11). Der § 1 GenG definiert Genossenschaften als "Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezwecken."

Aufgrund der Bewertung von Selbsthilfe als oberstem Prinzip jeder Genossenschaft lehnte Schulze-Delitzsch jegliche Staats- oder Fremdhilfe ab, weil durch sie dieses Prinzip ins Wanken geraten könne. Dies war auch, neben den unterschiedlich gewährten Zeiträumen der Ausleihfristen[11], einer der Hauptstreitpunkte zwischen Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Im Gegensatz zu Schulze-Delitzschs strikter utilitaristischer und liberalistischer Gesinnung gründete sich Friedrich Wilhelm Raiffaisens (1818-1888) Verständnis von Kooperation auf christlich-karitativen Motiven wie Nächstenliebe und Solidarität, weshalb er staatliche Zuwendungen und uneigennützige Beteiligung wohlhabender Bürger eher als förderlich betrachtete. So nahm Raiffeisen 1874 ein "Gnadengeschenk" von 20.000 Mark von Kaiser Wilhelm I. zur Gründung seiner "Landwirthschaftlichen Zentralkasse für das Großherzogtum Hessen" dankend an (KOCH 1994: 30). Die regionalen Zentralkassen sollten dem Finanzausgleich dienen, so dass gut situierte Vereine überschüssiges Kapital in Form von Darlehen an weniger begüterte Darlehenskassen ausgeben können. In Folge eines heftigen Systemstreits mit Schulze-Delitzsch war Raiffeisen gezwungen, die als Genossenschaft konzipierte Zentral- Darlehenskasse in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. In einem Brief an Schulze-Delitzsch vom 15. Mai 1862 nahm Raiffeisen folgendermaßen dazu Stellung:

"Der Hauptunterschied zwischen Ihrem und meinem Verfahren scheint mir darin zu liegen, daß Sie das Prinzip der Selbsthilfe, welchem ich auch durchaus huldige, bis zur Garantie durchführen, während ich für letztere auch den wohlhabenderen Teil der Gesellschaft in Anspruch nehme (...) Dann scheint es mir darauf anzukommen, daß, wenn man helfen will, man gründlich helfen muß. Dazu sind öfters größere Summen nötig; um auch die Möglichkeit der Rückzahlung von vornherein zu schaffen, ist es nötig, die Rückzahlungstermine auf möglichst viele Jahre zu verteilen.(...)Durch die von mir gemachten Erfahrungen steht es bei mir fest, daß solche Vereine nur örtlich, das heißt keine zu großen Bezirke, und zwar keine größeren umfassen dürfen, als für die Garantie zur Lebensfähigkeit nötig ist." (KOCH 1988: 155)

Es entbrannte ein unerbittlicher Streit zwischen Raiffeisen und Schulze-Delitzsch, der von einer öffentlichen Debatte über dieses Thema begleitet wurde. Im Zuge dieser Diskussion löste sich Raiffeisen von einem Gedanken unbedingter Staatshilfe und schrieb dem Staat einzig die Rolle des Wächters zu.

Ein weiterer wichtiger Wegbereiter des Genossenschaftswesens waren die Rochdaler Pioniere, denn ihre Statuten haben nachhaltig die Genossenschaftsprinzipien des IGB beeinflusst. Die "Rochdale Society of Equitable Pioneers" wurde 1844 bei einer Gründerversammlung unter Gesetz eingetragen zwecks einer Ladeneröffnung in Lancashire (BRAZDA 1994). Anhand der hierbei festgelegten Geschäftsregeln und Statuten entstand 1937 bei einem Kongress des Internationalen Genossenschaftsbundes (IGB) ein international anerkannter Katalog der Genossenschaftsprinzipien. Diese Genossenschaftsprinzipien sind nach einer Neubearbeitung beim IGB - Kongress 1963 in Wien bis heute gültig. Es sind dies:

- Förderung des Eigeninteresses
- Offene Mitgliedschaft
- Demokratische Verwaltung gewährleistet durch Kopfstimmrecht
- Rückvergütung gemäß individuellem Umsatz
- Beschränkte Anteilsverzinsung
- Politische und religiöse Neutralität
- Barzahlung
- Förderung des Erziehungswesens
- Grundsatz des Wachstums durch gegenseitige zwischengenossenschaftliche Zusammenarbeit.[12]

Das heutige Selbstverständnis des Genossenschaftswesens ist aus den oben beschriebenen Kontroversen entstanden und wurde durch die verschiedene Akteure in unterschiedlicher Weise ausgestaltet. Die Prinzipien des Genossenschaftswesens werden heute oft zusammengefasst zu dem obersten Prinzip der Selbsthilfe und den daraus resultierenden Prinzipien der Selbstverantwortung und Selbstverwaltung.

Genossenschaften entstehen zum Zweck der Selbsthilfe, um durch freiwillige Zusammenarbeit der Genossenschaftsmitglieder eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Mitglieder zu erzielen. Durch die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft sollen die Nachteile im Wettbewerb ausgeglichen und die eigene Marktposition gestärkt werden, damit sich die eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse besser befriedigen lassen.

Das Prinzip der Selbstverantwortung beinhaltet, dass die Mitglieder selbst für die Erhaltung des Genossenschaftsunternehmens verantwortlich sind und dafür auch nach außen haften müssen. Die ursprünglich praktizierte Solidarhaft oder die Haftpflicht wurden 1934 um die Nachschusspflicht ergänzt.

Die Individuen, die sich zur Selbsthilfe entschlossen haben, müssen, um nicht Weisungen Dritter[13] zu unterliegen, sich selbst verwalten und somit eigenständig die Aufgaben der Legislative, Exekutive und Judikative erfüllen. Es bedarf einer vielschichtigen Organisation, um die Selbstverwaltung der Genossenschaft zu gewährleisten. Die Genossenschaft ist durch folgende Organe der Willensbildung und Entscheidung aufgebaut:

Das oberste Willensorgan der Genossenschaft ist die Generalversammlung, die durch alle Mitglieder gebildet wird. Als Legislative bestimmt sie die Richtlinien ihres Handelns, des Weiteren üben sie ein Kontrollrecht gegenüber den anderen Verwaltungsorganen aus, die halbjährlich ihrer Informationspflicht nachkommen müssen und die Jahresrechnung vorlegen müssen. Aus der Mitte der Generalversammlung wird der Vorstand und der Aufsichtsrat gewählt.

Dem Vorstand als Exekutive obliegt die eigenverantwortliche Leitung der Genossenschaft. Die Judikative führt der Aufsichtsrat aus. Von ihm wird die Rechtmäßigkeit sämtlicher Organe und Mitglieder überwacht, insbesondere muss er regelmäßig die Bürgschaften für gewährte Darlehen überprüfen.

Eine besondere Position hat der genossenschaftliche Prüfungsverband. Jede Genossenschaft ist verpflichtet, einem genossenschaftlichen Prüfungsverband beizutreten, der Beratung, Kontrolle und Betreuung der Genossenschaften übernimmt.

Durch diese Organisationsform hat die Genossenschaft in der kapitalistischen freien Marktwirtschaft eine Position zwischen Markt und Hierarchie, denn diese dezentrale Wirtschaftsorganisation kann durch Beeinflussung der rechtlichen Rahmenbedingungen oder auch als machtvolles Organ der politischen Willensbildung und –Vertretung auch die Funktion einer Institution übernehmen.

2.5.2 Entwicklung des Genossenschaftswesens in den sozialistischen Staaten

Die Genossenschaften im Sozialismus, welche in den sozialistischen Ländern zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden, haben sich von Anfang an von den in Westeuropa entstandenen Genossenschaften im Sinne von Raiffeisen, Schulze-Delitzsch oder den Rochdaler Pionieren unterschieden. Da MARX der Ansicht war, dass Genossenschaften nur die Lebensfähigkeit der kapitalistischen Produktionsweise verlängern würden, wodurch die revolutionäre Transformation verzögert würde, lehnte er Genossenschaften als antiproletarisch ab:

"Es ist vielleicht gerade dies der Grund, warum plausible Lords, bürgerlich-philantropische Salbader und ein paar trockene politische Ökonomen jetzt mit demselben Kooperativsystem schöntun, das sie früher im Keime zu ersticken versucht hatten, das sie (...) verdammt hatten als Ketzerei der Sozialisten." ( MARX 1962: 12.)

LENIN argumentierte ähnlich wie MARX, wenn er die Genossenschaften im Kapitalismus als "Krämerladen" beschimpfte. Zugleich wies er der Organisationsform der Genossenschaft eine bedeutende Rolle zu, wenn sie die ganze Nation umfasse:

"Die Genossenschaft als kleine Insel in der kapitalistischen Gesellschaft ist ein Krämerladen. Die Genossenschaft ist jedoch Sozialismus, wenn sie die gesamte Gesellschaft umfaßt, in der der Boden nationalisiert, die Fabriken und Werke nationalisiert sind." (LENIN 1918: 206)

In seinem 1923 verfasstem Artikel "Über das Genossenschaftswesen" wurde das Genossenschaftswesen von ihm zur "Schule des Sozialismus" umfunktioniert (LENIN 1923: 453 ff.). Er betrachtete die Organisationsform der Genossenschaft als geeignetes Instrument zur Förderung eines sozialistischen Bewusstseins sowie zur Überführung individueller Tätigkeiten in die gesellschaftliche Produktion. In das Zentrum der so begründeten und instrumentalisierten Genossenschaftsbewegung rückten Produktivgenossenschaften, weshalb 1928 sämtliche vorsozialistische Spar- und Kreditgenossenschaften, sowie Konsumgenossenschaften durch staatliche Maßnahmen zur Auflösung gezwungen wurden. Im Jahr 1935 wurde ein Musterstatut für Kolchosen verabschiedet, wonach einzig die Wirtschaftsform der Produktivgenossen­schaften[14] als rechtmäßig anerkannt wurde. Während unter Stalin die wirtschaftliche Organisation durch Genossenschaften noch als Zwischenstufe zum Staatsbetrieb betrachtet wurde, wurden unter Chruschtschow Genossenschaften zur eigenständigen sozialistischen Organisationsform erklärt.

Da genossenschaftliches Eigentum gegenüber dem Individualeigentum als überlegen angesehen wurde, bemühte man sich, sämtliche privatwirtschaftliche Bereiche zunächst zu kollektivieren. Gegen eine Verstaatlichung hätten sich einige dieser Privatwirtschaften erheblich gewehrt, und sie schlossen sich auch nur widerwillig der Kollektivierung an. Diese Genossenschaften wurden anschließend zu immer größeren Einheiten zusammengefasst, weil sie im Endstadium einmal die Funktion staatlicher Konzerne übernehmen sollten. Die Genossenschaften in den sozialistischen Staaten dienten vornehmlich dazu, die Handwerker und Bauern politisch zu organisieren und in die Gesamtstruktur der Gesellschaft einzuordnen. Sie sollten durch Bündnisbeziehungen mit der Arbeiterklasse in eine für die Gesellschaft einheitliche Richtung gesteuert werden (vgl. STEDING/ KRAMER 1997: 26). Daher stand die Durchsetzung der staatlichen Zielvorgaben im Vordergrund, und der Gedanke der Förderung der Mitglieder einer Genossenschaft wurde vernachlässigt. Die Genossenschaften waren unumgänglich in den zentralen Wirtschaftsmechanismus eingebunden.

Hierdurch erfuhren die klassischen Genossenschaftsprinzipien in den sozialistischen Ländern erhebliche Deformationen, denn:

- Genossenschaften erhielten Planauflagen
- Genossenschaften konnten über den Faktoreinsatz nur in begrenzten Umfang selbst entscheiden
- Genossenschaften verloren vielfach das Recht zum freien Eintritt und Austritt ihrer Mitglieder
- Genossenschaften unterlagen dem zentralen Kreditplan
- Das spezifische genossenschaftliche Motivationssystem der Selbsthilfe wurde durch lohnähnliche Zahlungen sowie Prämien für Planerfüllung stark verzerrt (HARTWIG 1990: 12).

So litten Genossenschaften unter einem Dauereingriff des Staates in ihre inneren Angelegenheiten, was ihnen in der Literatur die Kennzeichnung als "offizialisierte Genossenschaft" oder "Staatsgenossenschaft" eingebracht hat

(STEDING/ KRAMER 1997: 27).

Im folgenden soll diese Form der Genossenschaft als Kollektiv bezeichnet werden, um sie so begrifflich besser von den Genossenschaften in der freien Marktwirtschaft abgrenzen zu können. Die Kollektive unterscheiden sich von den Genossenschaften in ihrer Position, da sie durch ihre Unterordnung unter den Staat und ihre Funktion als zentral gesteuerte und dezentral ausführende Organisation, eine eindeutige Position in der Hierarchie haben.

2.5.3 Die Rolle von Genossenschaften im Transformationsprozess

Erst mit den Reformen Gorbatschows, die ab 1986 durch seine Politik der "Perestroika" Gestalt bekamen, konnten sich die Genossenschaften wieder frei entfalten. Die Verordnungen und Gesetze des Kolchosstatut, die zu den oben erläuterten Deformationen der Genossenschaftsprinzipien geführt hatten, entfielen mit der Verabschiedung eines neuen Genossenschaftsgesetzes 1988. Gorbatschow gab den Genossenschaften bei seinen Reformvorschlägen einen zentralen Stellenwert und betrachtete das Genossenschaftsgesetz als Kernelement seiner Perestroika. Die Funktion, die Genossenschaften in diesem Transformationsprozess erfüllen sollen, entspricht der Umkehrung der Funktion, die ihnen beim Aufbau des Sozialismus zugeschneidert wurde. Galten Genossenschaften damals als besonderer Weg zum Sozialismus, so werden sie heute als vielversprechender Weg vom Sozialismus zur Marktwirtschaft angesehen. Wurden Genossenschaften damals als "Schulen des Sozialismus" (LENIN 1923: 453 ff.) gepriesen, sollen sie heute "Schulen des Kapitalismus sein, in denen die Spielregeln der Marktwirtschaft mit verteiltem - und damit abgemildertem - Risiko eingeübt werden" (SUNDHAUSEN 1993: 9).

Die Erfahrungen der Menschen in der lange Zeit erzwungenen Kollektivwirtschaft sowie die verbliebene Infrastruktur der Kollektive sind ein wichtiger Teil des gemeinsamen sozialistischen Erbes der Transformationsländer. Die Konversion dieser Kollektive stellt einerseits viele Chancen für den Aufbau eines Genossenschaftswesens nach westlichem Vorbild dar, andererseits stellt die Vergangenheit dem Aufbau eines modernen Genossenschaftswesen auch Hindernisse in den Weg. Zum einen bietet es sich in vielen Fällen aufgrund der unbekannten Eigentumsformen und der Unteilbarkeit gewisser industriell gefertigter Güter (wie z.B. Traktoren) an, die vormals als Kollektiv geführten Wirtschaftsbetriebe als Genossenschaften weiterzuführen, zumal die bekannten Arbeits- und Lebensformen in Zeiten des Umbruchs und der allgemeinen Verunsicherung ein Gefühl der Sicherheit hervorrufen können. Dies ist auch der Grund, warum den Genossenschaften beim Übergang von sozialistisch- planwirtschaftlichen zu kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Gesellschaften die Funktion eines „Geländers" zugesprochen wird (STEDING/ KRAMER 1997: 30). Zum anderen sind gerade die Erfahrungen mit den in das administrative zentrale Planungssystem eingebundenen Zwangsgenossenschaften ein Grund dafür, dass viele wirtschaftende Individuen in postsozialistischen Ländern die Idee der neuen Genossenschaften nicht annehmen wollen.

Die Organisationsform und Funktionsweise der Fördergenossenschaft, zu der sich Landwirte oder gewerbliche Kleinunternehmer freiwillig zusammenschließen können, um einzelne wirtschaftliche Tätigkeiten, wie z.B. die Vermarktung ihrer Produkte, einer Fördergenossenschaft zu übertragen, ist so gut wie unbekannt und unter Genossenschaften werden im allgemeinen nur Produktivgenossenschaften verstanden (vgl. PETERHOFF 1993: 113).

3. Die Funktion von Genossenschaften und Kollektiven im Servicesystem des ländlichen Raumes der Mongolei in Vergangenheit und Gegenwart

3.1 Die Mongolei – politische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen

Die Mongolei liegt inmitten des zentralasiatischen Hochplateaus, umschlossen von Russland im Norden und China im Süden. Der nördlichste Punkt des Landes liegt bei 51° nördlicher Breite auf derselben geographischen Breite wie London und der südlichste Punkt des Landes liegt bei 38,5° nördlicher Breite auf der geographischen Breite von Rom. Da es sich bei der Mongolei um ein Hochland mit einer mittleren Höhenlage von 1.580m über dem Meeresspiegel handelt, welches weit entfernt von wärmespeichernden Meeren gelegen ist, herrscht hier ein extrem kontinentales Klima. Im Winter können im Extrem Tiefstwerte von minus 50° C und im Sommer Höchsttemperaturen von plus 40°C erreicht werden. Das Land erstreckt sich in Ost-West-Richtung über 2.392 km und in Nord-Süd-Richtung über 1.259 km (FRITSCHE 1994: 212). Es lässt sich grob von Nord nach Süd in die Vegetationszonen Alpine (4%), Taiga (8%), Wald-Steppe (26%), Steppe (21%), Wüsten-Steppe (19%) und Steppe (22% der Landesfläche) einteilen (HDRM 2000: 34). Weniger als 1% des Landes sind als Anbaufläche nutzbar (1,26 Mio. ha), 10% sind bewaldet und 80% können als Weideflächen genutzt werden. Das Land verfügt über reiche mineralische Ressourcen, welche vorwiegend durch ausländische Firmen abgebaut werden, darunter: Kohle, Eisen, Zinn, Kupfer, Gold, Silber, Flussspat und Molybdän (FRITSCHE 1994: 213). Mit einer Gesamtfläche von 1,6 Mio. km² (FRITSCHE 1994: 212) ist die Mongolei viereinhalb mal so groß wie Deutschland. Die Mongolei zählt jedoch nur 2,7 Mio. Einwohner (INTERNET: CIA World Factbook), was einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von 1,7 Einwohner pro km² entspricht. 27% der Bevölkerung leben in der Hauptstadt Ulaanbaatar (INTERNET: DSE ) und gemeinsam mit den großen Städten Erdenet und Darchan liegt der Anteil der Stadtbevölkerung bei 52% (INTERNET: Mongolei-online).

Der größte Teil der mongolischstämmigen Bevölkerung lebt heute innnerhalb der Grenzen Chinas in der Inneren Mongolei, sie bilden 40% der gesamten mongolischstämmigen Bevölkerung.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es aufgrund von Streitigkeiten der rivalisierenden Großmächte Russland, China und Japan zur bis heute fortbestehenden Spaltung des Landes in die Innere Mongolei, welche jetzt eine Provinz im Norden Chinas ist, und die Äußere Mongolei, welche sich zur heutigen souveränen Mongolei entwickelt hat.

Dem vor den Rotgardisten in die Äußere Mongolei geflohenen Weißgardisten Baron Ungern von Sternberg wird von den Mongolen das Verdienst zugeschrieben, sie von der 300 Jahre aufrechterhaltenen chinesischen Vorherrschaft befreit zu haben (vgl. BARKMANN 1999: 193). In den Augen der Sowjets stellte er einen besonders gefährlichen Gegner dar, da er politische Ziele verfolgte, die mit den Machtinteressen der Mandschurei und Japans verbündet waren (vgl. BARKMANN 1999: 194). Daher wurde mit Unterstützung der Bolschewiken zur organisatorischen Stärkung der Mongolischen Volkspartei (MVP) ein militärischer Stab (3 Mongolen, 2 Russen) unter der Leitung von Suchbaatar eingerichtet. Nach einem Aufmarsch der Weißgardisten im Jahr 1921 entfachte sich die mongolische Volksrevolution als deren Ergebnis die Marionettenregierung von Baron Ungarn von Sternberg entmachtet wurde. Im Juli 1922 wurde der Bogd Gegeen als Herrscher der Mongolen eingesetzt. Als dieser im Mai 1924 starb wurde sein Staatssiegel an die Volksregierung übergeben. Im selben Jahre wurde auf der III Tagung des Zentralkomitees der MVP die Gründung der Mongolischen Volksrepublik (MVR) beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt begann die ersten Säuberungen von „Überbleibseln der alten despotischen, reaktionären Ordnung“ (Grundgesetz der MVR zitiert in BARKAMNN 1999: 249). Die Zeichen der Unterordnung unter die weltrevolutionären Ziele der Komintern erfolgte die Umbenennung der MVP zu Mongolischen Revolutionären Volkspartei (MRVP).

Im Unterschied zu den gewaltsam in die Sowjetunion integrierten zentralasiatischen Staaten hatte die Mongolische Volksrepublik stets einen autonomen Status. Dennoch war die MVR von Anfang an durch ungleiche Bündnisbeziehungen von der Sowjetunion beherrscht und es wird gesagt, dass die Mongolei de facto „fast siebzig Jahre die sechszehnte Sowjetrepublik war“ (PROHL/ STAISCH 1998: 9). Die Sowjetunion förderte die MVR als zweites sozialistisches Modellland mit dem Interesse, ihr "unter Vermeidung des kapitalistischen Entwicklungsstadiums festen Schrittes den Weg zum Sozialismus" (MAISKI 1954: 7) zu weisen. Unter dem als „mongolischen Stalin“ bezeichneten Politiker Tschoibalsan wurde in der Mongolei in den 1930er Jahren die klerikale und aristokratische Opposition ausgeschaltet (FRITZ 1999: 936). Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Mongolei ein hochsubventionierter Satellitenstaat der Sowjetunion, in dem 1948-52 sein erster Fünf-Jahres Plan umgesetzt werden sollte. 1962 wurde die MVR in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) aufgenommen. Dort erhielt sie 1972 den Status eines Entwicklungslandes, dem Vorzugsbedingungen eingeräumt werden sollten. Die Entwicklung der Infrastruktur, des Bildungs- und Gesundheitswesens sowie die Urbanisierung und Industrialisierung sind vor allem auf die Unterstützung der Sowjetunion zurückzuführen (vgl. INTERNET: Auswärtigen Amtes).

Die Hilfen und Kredite hatten im Sozialismus bei rund 30% des Bruttosozialproduktes gelegen (MÜLLER 2000: 108), wobei die Sowjetunion 80% der Hilfe auf den Aufbau der Industrie konzentrierte und 20% zur Förderung der Kollektivierung der Landwirtschaft und zum Infrastrukturaufbau im ländlichen Raum verausgabte (siehe Punkt 3.2.1). Im Rahmen des RGW Wirtschaftskreislaufes wurde 1985 90% des Außenhandels der Mongolei mit anderen sozialistischen Ländern abgewickelt (FRITSCHE 1994: 222). Mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Wirtschaftssystems wurde ab 1989 die sowjetische Entwicklungshilfe drastisch reduziert und zwei Jahre später vollständig eingestellt, was die Mongolei vor große Herausforderungen stellte (GOYAL 1999: 643).

Die Mongolei folgte dem Vorbild der Sowjetunion auf wirtschaftlicher, politischer wie auch auf ideologischer Ebene. Dies wurde unterstützt durch eine enge wissenschaftliche Zusammenarbeit der RGW-Staaten. Allein in der Sowjetunion wurden mehr als 28.000 Spezialisten ausgebildet (SCETININ 1996: 135). Auf diesem Weg fand auch das mongolische Äquivalent zu Glasnost Il Tod Eingang in die mongolische Gesellschaft. Dies führte zum Entstehen einer offeneren Gesellschaft, die durch eine Welle studentischer Demonstrationen und Hungerstreiks in der Hauptstadt Ulaanbaatar sowie Warnstreiks in der Kupfermine in Erdenet am 9.3.1990 den Rücktritt des herrschenden Politbüros bewirkte.

Die ersten freien Wahlen, die drei Monate später stattfanden, führten zu einem „klaren Wahlsieg der Kommunisten“ (PROHL/ STAISCH 1998: 40). Dennoch ging die MRVP eine Koalition mit der demokratischen National Progress Party (NPP) ein, die sich für eine politische, ökonomische und soziale Liberalisierung der Mongolei einsetzte, und verfolgte einen neuen politischen Kurs. Mit dem Inkrafttreten einer neuen Verfassung 1992 gab sich die Mongolische Volksrepublik als Zeichen für ihren Wandel zu einer parlamentarischen Republik den neuen Namen Mongolei (mong. Mongol Uls).

Die Mongolei gehört zu den wenigen Ländern, in denen demokratischer Wandel, marktwirtschaftliche Systemreformen und internationale Öffnung simultan erfolgten. Bereits am 16.1.1991 verabschiedete die Regierung der Mongolei ein Preisreformgesetz, das Gehälter, Renten, Bankguthaben und die Preise für Grundnahrungsmittel verdoppelte. Es hob auch die Preisbindung für 41% aller Nahrungsmittel und 33% der Konsumgüter auf. Gleichzeitig wurde die Währung um 300% abgewertet (GOLDSTEIN: 115). In Folge dessen war die Preisliberalisierung bereits 1992 abgeschlossen. Nachdem am 22.5.1992 ein Privatisierungsgesetz verabschiedet wurde, verlief die Privatisierung ungewöhnlich schnell und war schon im selben Jahr so gut wie abgeschlossen.

In diesem Zeitraum waren 60% des Viehbestandes, 40% der Staatsbetriebe und 100% der Handels- und Dienstleistungsbetriebe privatisiert (BATBAYAR 1993: 63). Getreu dem Prinzip der Gleichheit[15] wurde die Privatisierung über die Verteilung von roten Gutscheinen im Wert von 3000 Tugrik und blauen Gutscheinen im Wert von 7000 Tugrik in zwei Etappen abgewickelt[16]. In einem ersten Schritt konnten bei der kleinen Privatisierung, die 1992 abgeschlossen war, kleinere Unternehmen aus dem Handels- und Dienstleistungsbereich mit den roten Gutscheinen ersteigert werden. Bei der großen Privatisierung, die kontinuierlich durch Veräußerung weiterer, vormals in Staatsbesitz befindlicher Betriebe fortgesetzt wird, konnten mit den blauen Gutscheinen Aktienanteile an den zu Aktiengesellschaften umgewandelten Betrieben ersteigert werden. Die Privatisierung der Landwirtschaft erfolgte nach eigenen Richtlinien und unabhängig von der Privatisierungskommission, die von der Regierung eingesetzt wurde, um den Ablauf der Privatisierung zu regulieren (vgl. KORSUN/ MURRELL 1995: 477). Die Privatisierung der Landwirtschaft wird unter Punkt 3.2.2 eingehender behandelt. Der schnell vorangetriebenen Privatisierung musste eine Absicherung des Privatbesitzes und der damit möglichen Transaktionen durch den Aufbau neuer Institutionen folgen. Dies wurde durch Gesetzgebungen wie das im Juli 1991 verabschiedete „Gesetz über die Struktureinheiten der Wirtschaft der Mongolei“ umgesetzt (vgl. ELSTNER 1993: 17).

Dieses als „Schocktherapie“ oder „Big Bang“ bezeichnete Vorgehen nach den Richtlinien des Washington Consensus wurde von IWF und Weltbank, zu dessen Mitgliedern die Mongolei seit 1991 gehört, massiv unterstützt. Das Maßnahmenpaket konzentriert sich vor allem auf das Erreichen von makroökonomischer Stabilität mit dem Ergebnis, dass die jährliche Inflationsrate von 325 % im Jahr 1992 auf 8,2% im Jahr 2000 gesenkt werden konnte (NSOM 2001: 85). Der Bevölkerung wurde während dieses raschen Wechsels eine große Anpassungsleistung abverlangt. Nachdem ein Großteil der Betriebe und das Versorgungssystem zusammenbrachen, wurden die Engpässe kurzzeitig über die Ausgabe von Lebensmittelkarten geregelt.

Die im Transformationsprozess zunehmenden sozialen Gegensätze konnten auch durch das Reformprogramm der 1996 an die Macht gelangten Demokratischen Union nicht auf die Schnelle behoben werden, so dass bereits im Jahr 2000 nach einer Legislaturperiode der Demokraten die Kommunistische Partei ihren alten Platz durch einen „erdrutschartigen Wahlsieg“ zurückerobern konnten (vgl. SEVERINGHAUS 2001: 69; FINCH 2002: 39; INTERNET: Bormann). Die Netzwerke der kommunistischen Partei sind weiterhin landesweit funktionstüchtig, so dass 2001 auch alle Aimag - Regierungen wieder von der MRVP gestellt werden (vgl. HARTWIG 2002: 14).

Die Landwirtschaft stellt nach dem Zusammenbruch vieler Industrien einen wichtigen Wirtschaftsbereich dar. Dies lässt sich daran erkennen, dass der prozentuale Anteil der Industrie am BIP von 32,7% 1989 auf 24,1% 1998 gesunken ist, wohingegen der Anteil der Landwirtschaft von 15,5% auf 32,8% gestiegen ist (HDRM 2000: 29). Die Auswirkungen des Transformationsprozesses auf den ländlichen Raum sollen im folgenden im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kollektivierung und Dekollektivierung der Landwirtschaft detaillierter dargestellt werden.

3.2 Historische Entwicklung des Genossenschaftswesens in der Mongolei

3.2.1 Kollektivierung der Landwirtschaft

Die vorrevolutionäre Wirtschaftstruktur in der Mongolei wurde in der sowjetischen Geschichtsschreibung als „Nomadenfeudalismus“ (SLATKIN 1954) bezeichnet, denn 57% des Viehbestandes befanden sich in Besitz von 138 weltlichen und feudalen Großgrundbesitzern (vgl. BARTHEL 1988: 105). Die ersten Maßnahmen der MRVP nach der von ihnen geführten Volksrevolution 1921 waren daher auf eine Überwindung dieser - ihrer Ansicht nach bestehenden - Verteilungsungerechtigkeiten mitsamt ihrer machtvollen Durchsetzungsorgane gerichtet. Zielscheibe war zunächst „die Überwindung der feudalen Eigentumsverhältnisse in der mongolischen Landwirtschaft“ (BARTHEL 1988: 105). Nachdem im Jahr 1929 die Errichtung einer „Diktatur des Volkes“ durchgesetzt wurde, wurde das Eigentum von 669 der 729 herrschenden Fürsten konfisziert. Des Weiteren wurden alle Nomaden, deren Viehbestand 100 Bod[17] überstieg, als Klassenfeinde bezeichnet und enteignet (vgl. MÜLLER 2003: 67). Grund und Boden wurden nationalisiert und den Araten zur Nutzung übergeben. In einer neuen administrativen territorialen Gliederung des Landes wurden einige Banner (mong. Choschuu) zu den neuen territorialen Einheiten, den sogenannten Sum zusammengeführt. Des Weiteren wurden die großen Viehherden beschlagnahmt und unter den armen Viehzüchtern aufgeteilt. Was den Aufbau von neuen Institutionen betrifft, übernahm die von Lenin beratene MRVP Lenins Vorstellung von Kollektiven als Schulen des Sozialismus (Siehe Punkt 2.5.2). Auf sein Anraten hin wurde 1921 die Mongolische Zentrale Kooperative gegründet (vgl. LATTIMORE 1980: 120). Die Durchsetzung des sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems erfolgte in zwei Phasen: Einer ersten kämpferischen Phase in den 1930er Jahren, und einer zweiten friedlichen Phase in den 1950er Jahren.

Die erste Welle der Kollektivierung der Landwirtschaft in den 1930er Jahren wurde von blutigen Aufständen begleitet, denn es gab für die Nomaden keine Anreize, sich zu Kollektiven zusammen zu tun. Viele Nomaden zogen es vor, ihr Vieh zu schlachten anstatt es an Kollektive abgeben zu müssen. Dies führte zwischen 1929-1932 zu einem Verlust von sechs bis sieben Millionen Tieren, was ein Viertel bis ein Drittel des gesamten Bestandes jener Zeit ausmachte (vgl. FRITZ 1999: 49). Der Lamaismus wurde von der MRVP als dem Aufbau eines neuen institutionellen Regelwerkes opponierende Interessenvertretungsmacht wahrgenommen. Deswegen wurden sämtliche Klöster (Angaben schwanken zwischen 700 und 900) zerstört und die dort ansässigen Lamas wurden vertrieben oder hingerichtet (vgl. FRITZ 1999: 49). Mehr Erfolg hatte in dieser Phase die Einführung von solchen Genossenschaften, die nicht in der Landwirtschaft tätig waren. So entstand bereits 1921, zu Beginn dieser Phase, die erste Genossenschaft in der Mongolei. Es handelte sich um eine Kon sumgenossenschaft, die sich aus 116 armen Tierhaltern zusammensetzte (vgl. INTERNET: GTZ). 1931 wurde dann die erste Handwerksgenossenschaft (mong. Artel) gegründet. Es war eine Handwerksgenossenschaft, die sich aus 53 Schneidern zusammensetzte. Nach der Zerstörung der Klöster, die traditionell die einzig ortsfesten Siedlungen darstellten und Zentrum von Handwerk und Handel waren, erfuhren die Artel einen enormen Mitgliederzuwachs. Bereits 1939 gab es 263 Artel mit 7.337 Mitgliedern, 5.543 davon waren aus den Klöstern vertriebene Lamas (vgl. BARTHEL 1988: 152). Zur Koordination der Artel wurde 1939 die „Zentrale Vereinigung der Handwerksgenossenschaften“ gegründet (vgl. INTERNET: GTZ). Mit der forcierten Industriali­sierungs­politik wurde die Vereinigung zunehmend auch in die industrielle Produktion eingebunden und gab sich deshalb 1955 den neuen Namen „Vereinigung der mongolischen Industriegenossenschaften“.

Als der 1932 an die Macht gekommene Tschoibalsan, der auch „mongolischer Stalin“ genannt wird, feststellen musste, dass die Kollektivierung durch Repressionspolitik nicht durchsetzbar war, begann man Kollektive durch Gewährung von Staatskrediten, Vergabe von Heumaschinen und Bohrung von Brunnen gezielt zu fördern. Auch die 1935 gegründeten ersten Staatsgüter, die zwecks Einführung des Ackerbaus und Erprobung und Anwendung neuer Methoden in der Tierhaltung aufgebaut wurden, sollten „die Araten von den Vorteilen einer sozialistischen Wirtschaftsweise durch das Beispiel überzeugen“ (BARTHEL 1988: 107).

Obwohl Tschoibalsan versuchte, über Fördermaßnahmen Anreize zur Bildung von Kooperativen zu setzen, konnte die Kollektivierung im großen Maßstab erst durchgesetzt werden, nachdem die Sowjetunion nach Beendigung des II. Weltkrieges wieder unterstützend bei Seite stehen konnte.

Auf dem 1954 abgehaltenem XII. Parteitag der MRVP wurde der Beschluss gefasst, Maßnahmen zur Entwicklung der Kollektive auf Grundlage des Leninschen Genossenschaftsplanes einzuleiten. Diese Maßnahmen, benannt als negdeldschich chudulgoon, sollten im Zeitraum von Anfang 1958 bis Ende 1959 eine flächendeckende Kollektivierung der Landwirtschaft in Kollektiven, den sogenannten Negdel (Kurzform für Negdeliin Adsch Achui) bewirken, sowie eine Kooperation der landwirtschaftlichen Kollektive mit den Handwerks- und Konsumgenossenschaften erreichen. Die daraus resultierende zahlenmäßige Entwicklung der Kollektive ist in der Diagramm 1 dargestellt.

Um das Ziel der flächendeckenden Kollektivierung zu erreichen, wurde das zerstörte traditionelle Netz bodensteter Siedlungen der Klöster durch den Aufbau eines neuen Netzes fester Siedlungen mit an die Erfordernisse der Kollektivwirtschaft angepasstem Dienstleistungsangebot ersetzt. In einer 1959 durchgeführten Gebietsreform[18] wurden die Grenzen der Sum neu festgelegt und den Negdel als Wirtschaftsterritorium zugeordnet (vgl. BARTHEL 1988: 109). Dadurch wurden mehrere kleine Kollektive zusammengeführt, so dass bei zunehmender Einbindung der Bevölkerung in die Kollektive die Zahl der Kollektive selbst abnahm (siehe Diagramm 1).

DIAGRAMM 1: Entwicklung der Kollektive und Staatsgüter

(Zahlen entnommen aus BARTHEL 1988: 108, 109)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Sum - Zentren, die zu diesem Zweck aufgebaut und mit einer infrastrukturellen Grundausstattung (siehe Karte 11 und Karte 12 im Annex 5) ausgestattet wurden, waren zugleich Sitz des Negdel (vgl. MÜLLER 1997: 274).

Die Konsumgenossenschaften erfuhren im Zuge dieses Infrastrukturaufbaus eine Umstrukturierung. Sie wurden 1958, als sich ihre Mitgliederzahl auf 273.000 Mitglieder erhöht hatte und sie 60% des Handelsumsatzes für sich verbuchen konnten, verstaatlicht und in Handelsgesellschaften umgewandelt (vgl. INTERNET: GTZ). In jedem Sum - Zentrum wurde eine Filiale der Handelsgesellschaft aufbaut, die in enger Kooperation mit dem Negdel arbeitete. Diese Umwandlung wurde aus parteipolitischem Verständnis in Anlehnung an Stalins Interpretation als erfolgreicher Schritt von den Genossenschaften als Zwischenstufe zum Staatsbetrieb betrachtet. Aus dem gleichen Selbstverständnis erfolgte 1972 die Umwandlung der Industriegenossenschaften zu staatlichen Dienstleistungszentren. Zu diesem Zeitpunkt stellten die Industriegenossenschaften 20% der industriellen Produktion dar. Auch die Dienstleistungszentren hatten in jedem Sum - Zentrum einen Filiale.

In Ergänzung zu diesem Infrastrukturaufbau wurde eine Kollektivierungskampagne, verbunden mit neuen institutionellen Anreizen in Form von einem neuen Steuersystem gestartet. Laut dieser Kampagne war die Mitgliedschaft in einem Kollektiv zwar freiwillig, aber gleichzeitig zwang eine zunehmend höhere Besteuerung der Privatherden die Nomaden sich den Kollektiven anzuschließen, wenn sie nicht bankrott gehen wollten (vgl. GOLDSTEIN/ BEALL 1994: 53). Als Ergebnis dieser Maßnahmen waren, wie in Diagramm 1 dargestellt, 1960 bereits 99,5% der

Araten- Wirtschaften in Kollektiven vereinigt, und 1975 wurde das anvisierte Ziel von 100% erreicht. Abgesehen von den kleinen Privatherden, die laut des Musterstatuts des Negdel zur Selbstversorgung zu halten erlaubt waren, waren alle Tiere in Kollektiveigentum übergangen.[19] Die Zahl der Tiere, die ein Negdel hütete, variierte in Abhängigkeit von den physisch-geographischen Grundbedingungen zwischen 20.000-130.000 Tieren. Die Kollektivherden, die sich aus den fünf mongolischen Herdentieren Kamel, Pferd, Rind, Schaf und Ziege zusammensetzten, wurden, um den Arbeitsaufwand zu minimieren, arbeitsteilig in Spezialherden[20] aufgeteilt. Der Arbeitsaufwand wurde außerdem durch neue Weidenutzungsregelungen minimiert: Da die zentral koordinierte Heuvorbereitung[21] eingeführt wurde, konnte seltener und über kleinere Distanzen umgezogen werden. Dass in etwa einem Drittel der Sum (vgl. BAZAGUR in MÜLLER/ BAT-OCIR 1996: 70) eine der sich ergänzenden Saisonalweiden fehlte, fiel aufgrund der neu praktizierten Weidewirtschaft nicht ins Gewicht.

Die Negdel wurden in Untereinheiten, die sogenannten Brigad, eingeteilt, denen der neuen Arbeitsteilung entsprechend, für die zu hütende Tierart ein Weidegebiet zugeordnet wurde. Diesen Brigad wiederum waren die kleinsten Einheiten des Systems, die Suurj, untergeordnet, welche Hütegemeinschaften von 2-6 Familien umfassten. Da die Großherden weniger Arbeitskräfte benötigten und Weiterverarbeitungsschritte auf das Sum - Zentrum verlegt worden waren und zudem die Schulpflicht eingeführt worden war, blieben einzig die Hütegemeinschaften der Suurj der mobilen Lebensweise treu. Die freigesetzten Arbeitskräfte wurden seit 1960 in Spezialbrigaden zur Heuvorbereitung, Ackerbau, Brunnenbau, Jagd, Milchtransport und dergleichen in die neue Arbeitsteilung eingebunden und lebten sesshaft im Sum - Zentrum oder sie wanderten in die im Zuge der Industrialisierung gewachsenen bzw. neu entstanden Städte Ulaanbaatar, Erdenet, Darchan etc. ab.

Die MRVP kam so dem von ihr verfolgten Ziel näher, die von ihnen als rückständige betrachtete mobile Lebensweise der Tierhalter in die fortschrittliche Sesshaftigkeit zu überführen. Mit dieser Strukturveränderung wurde der bislang unbekannte Gegensatz von Stadt und Land eingeführt. (MÜLLER 1997: 272). Die Bevölkerungsentwicklung, die diesen Prozess begleitete, ist in Diagramm 2 dargestellt.

DIAGRAMM 2: Bevölkerungsentwicklung im ländlichen und urbanen Raum von 1919 bis 1997

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die zentrale Koordination der dezentralen Wirtschaftseinheiten im ländlichen Raum konnte einzig durch die Institutionalisierung einer klaren hierarchischen Ordnung durchgesetzt werden. Die Einflussnahme der ausführenden Organisationen auf die Regelungen wurden gezielt eingeschränkt. Die Kollektive auf der untersten Ebene der Hierarchie hatten keinerlei Einflussmöglichkeiten und verloren als Organisation jegliche Funktion in Bezug auf institutionelle Regelungen.

Primär diente das Negdel auf unterster Stufe der zentralen Staatsverwaltung. Jedes Negdel war zugleich auch die Verwaltungseinheit eines Zentralkomitees. Es unterstand der Aufsicht des 1967 gegründeten Verband der landwirtschaftlichen Vereinigung National Union of Mongolian Agricultutural Cooperatives (NUMAC), dessen Vorsitzender zugleich der Vorsitzende des Ministeriums für Industrie und Landwirtschaft war (vgl. SCHMIDT 1995: 81).

Die Negdel wiesen die oben (siehe Punkt 2.5.2) beschriebenen Deformationserscheinungen der Genossenschaftsprinzipien im klassischen Sinne auf. Obwohl das Negdel als Volkseigentum proklamiert wurde, besaßen die Mitglieder des Negdel keine Anteile am Betrieb, auf dessen Grundlage sie Einkommen beziehen hätten können (wie bei Genossenschaften nach westlichem Modell der Fall), sondern ihr Einkommen setzte sich aus einem festen Lohn für das Hüten der Tiere sowie einem Bonus von 10 % pro Einheit, die über das Planziel produziert wurde, zusammen (vgl. GOLDSTEIN/ BEALL 1994: 99). Außerdem erhielten die Negdel - Mitglieder eine Vielzahl von Sozialleistungen wie Rente, Mutterschaftsurlaub oder kostenlose medizinische Versorgung. Die Dienstleistungsbereiche, die dem Negdel - Betrieb zugeordnet waren, wie Schule, Post, Veterinärmedizin oder Wetterstation, wurden vom Staat finanziert (vgl. SCHMIDT 1995: 86).

Im Zuge der Perestroika- Politik von Gorbatschow erfuhr auch das mongolische Negdel - System in der Mitte der 80er Jahre einige grundlegende Änderungen. Zunächst wurden höhere materielle Anreize zur Produktionssteigerung eingeführt. So wurde die Zahl der erlaubten Privattiere erhöht und eine höhere Entlohnung für Planübererfüllung angesetzt, wohingegen der Lohn bei nicht erreichtem Plansoll zum ersten mal deutlich gesenkt wurde. Als Übergangsphase zur marktwirtschaftlich orientierten Tierhalterwirtschaft wurde 1988 das freiwillige Kontrakt-System eingeführt. Nach diesem System konnte ein Hirte, der sich freiwillig für ein höheres Produktionsziel entschied, dies über Kontrakt festhalten, wodurch sein Lohn erheblich gesteigert wurde. Konnte er diesen Kontrakt aber nicht einhalten, musste er die fehlenden Produktionseinheiten aus seiner Privatherde ergänzen. Ein Jahr später wurde das Pacht-System eingeführt, dessen wesentliche Neuerung die vollständige Abschaffung des Hirtengehalts war. Die Tierhalter konnten vom Negdel Tiere zu einer bestimmten Gebühr pachten und wurden vom Negdel für die ausgelieferten Produkte bezahlt. Die durch die Reproduktion der Tiere hervorgebrachten überschüssigen Tiere durften von den Tierhaltern, unabhängig von der Größe ihrer Privatherde, einbehalten werden. Die zuvor unentgeltlich zur Verfügung gestellten Dienstleistungen des Negdel, wie Transport, Veterinärdienste, Heu etc. mussten von nun an den Tierhaltern bezahlt werden (vgl. GOLDSTEIN/ BEALL 1994: 99 ff.).

[...]


[1] Neben der Aimag - Hauptstadt gibt es in Dsawchan- Aimag noch ein weiteres Zentrum mit höherer Funktionalität, nämlich das in Bulnai- Sum situierte Tosonzengel.

[2] Als Genossenschaften im ländlichen Raum werden alle Genossenschaften betrachtet, die nicht in der Landeshauptstadt Ulaanbaatar registriert sind.

[3] Die Lobby im Genossenschaftswesen der Mongolei teilt sich auf in zwei politische Gruppen. Auf der einen Seite stehen die Demokraten, bisher vereint in dem Verband MAPHC auf der anderen Seite stehen die Kommunisten, die vor allem im Verband NAMAC vertreten sind.

[4] In Durwuldschin- Sum war dies allerdings aufgrund von Beschränkungen des hierfür benötigten Fahrers nicht in vollem Umfang durchführbar.

[5] Ein Seminar war mit einem Exkursionsaufenthalt in der Mongolei im Sommer 2000 verbunden sowie einem darauffolgenden drei monatigem Praktikum in der Mongolei.

[6] Bei Sichtung der zahlreich vorhandenen Literatur (vgl. TANNEBEERGER 1997; LAMPLAND 2002; CREED 1995; SWAIN 1993; THELEN 2003) zu bäuerlichen Kollektiven im Transformationsprozess und ihre Konversion zu Genossenschaften, wird z.B. deutlich, dass die Privatisierung des Acker- und Weidelands hier im Gegensatz zur mobilen Tierhaltung eine entscheidende Komponente bildet. Das Landnutzungsmanagement hat hier bedeutenden Einfluss darauf, ob sich Produktivgenossenschaften bilden.

[7] Auf eine explizite Trennung der Begriffe „Institution“ und „Organisation“ wird auch in den Weltentwicklungsberichten verzichtet. Hier werden Institutionen als „Regeln, Organisationen und Sozialnormen, die eine Koordinierung menschlichen Verhaltens ermöglichen“ (Weltentwicklungsbericht 2003: 44) oder als „Regeln, Durchsetzungsmechanismen und Organisationen“ (Weltenwicklungsbericht 2002: 5-6) definiert. Anders als bei NORTH werden nicht einzig die interaktiv zustande gekommenen Regelungen (wie z.B. Gesetzestexte oder der angesetzte Wert von Geld) als Institutionen verstanden, sondern auch die Organisationen, die die Einführung (wie z.B. Interessenvertretungsverbände) und Durchsetzung (wie z.B. die Strafvollzugsanstalten oder zu Sanktionen berechtigte Personen) der Regeln bestimmen, werden als Institutionen betrachtet.

[8] Das klassische Beispiel hierfür sind Gruppenkredite, die sich nur durch eine solcherart ermöglichte Verringerung der Kosten für die Anbieter rechnen.

[9] Die Produktionsweisen entwickelten sich von der Eigenheimproduktion über das Verlagssystem zum Manufakturwesen und schließlich zum Fabrikwesen.

[10] Auf die Vorstellungen der Utopisten wie OWEN, KING oder OPPENHEIMER soll hier nicht näher eingegangen werden, da dies den Rahmen der Diplomarbeit sprengen würde.

[11] Beide Vereine gewährten Kredite auf der Grundlage der Solidarhaft , Schulze-Delitzsch gewährte jedoch nur drei Monate Ausleihfristen, wohingegen Raiffeisen fünf- bis zehnjährige Fristen ansetzte.

[12] Dieser letzte Punkt wurde bei der zweiten Kodifizierung 1963 ergänzt.

[13] beispielsweise dem Staat oder nachgestellten Behörden

[14] Schon bei den westlichen Pionieren des Genossenschaftswesens wurden zwei Grundtypen von Genossenschaften unterschieden: Die Fördergenossenschaft und die Produktivgenossenschaft. Bei der Fördergenossenschaft besteht ein Genossenschaftsbetrieb und ihm zugeordnete autonome wirtschaftliche Einheiten, d.h. Träger und Kunden des Unternehmens sind identisch. Wohingegen bei der Produktivgenossenschaft durch Verzicht auf individuelle wirtschaftliche Tätigkeit ein Zusammenschluss zu einem Gemeinschaftsunternehmen stattfindet, d.h. Träger und Beschäftigte des Unternehmens sind identisch.

[15] Um dem Prinzip der Gleichheit gerecht zu werden, bekamen alle Staatsbür ger, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 31.Mai 1991 geboren wurden, die gleiche Anzahl von Gutscheinen (vgl. GOYAL 1999: 635).

[16] Die Gutscheine entsprachen im Juni 1991 einem Gesamtwert von 250$ bei einem Kurs von $1=Tg 40 (GOYAL 1999: 635).

[17] 1 Bod=0,5 Kamele=1 Rind=1 Pferd=5-7 Schafe= 7-10 Ziegen

[18] Auf diese Art und Weise wurde in der MVR, mit Unterstützung bzw. Forcierung der Sowjetunion ein neues Netz fester Siedlungen aufgebaut, das hierarchisch auf die Hauptstadt Ulaanbaatar ausgerichtet war und 18 Aimag - Zentren, 306 ländliche Sum - Zentren, 3 größere Industriestädte und ca. drei Dutzend kleinerer Industrie-, Werk-, Bergbau- und Eisenbahnsiedlungen umfasste (vgl. MÜLLER 1997: 272).

[19] Das Musterstatut der Negdel gestattete einer Familie im Gebirgsland individuell die Haltung von bis zu 10 Stück pro Familienmitglied, insgesamt jedoch nicht mehr als 50 Stück pro Haushalt; in der Wüstensteppe durften 15 Stück pro Familienmitglied und insgesamt bis zu 75 Stück gehalten werden (BARTHEL 1988: 117).

[20] Diese Spezialherden waren nach Tierarten, Geschlecht und Alter getrennte Herden.

[21] 1940 wurden 66,6 tausend Tonnen, 1983 1.192 tausend Tonnen Heu vorbereitet (BARTHEL 1988: 129).

Ende der Leseprobe aus 200 Seiten

Details

Titel
Chancen und Grenzen von Genossenschaften in Transformationsländern unter besonderer Berücksichtigung der mobilien Tierhaltung untersucht am Beispiel der Mongolei
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1.3
Autor
Jahr
2004
Seiten
200
Katalognummer
V110384
ISBN (eBook)
9783640085576
Dateigröße
2260 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der ländliche Raum in der Mongolei ist seit dem Ende der Planwirtschaft vor große Herausforderungen gestellt. Vor dem Hintergrund der Umstellung der Landwirtschaft auf die Marktwirtschaft stellt sich die Frage, welche der in der Planwirtschaft aufgebauten Institutionen durch ähnlich funktionierende Organisationen ersetzt werden sollten, und wo an die neue sozio-ökonomische Situation angepasste innovative Formen der Produktion, Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation gefunden werden müssen.
Schlagworte
Chancen, Grenzen, Genossenschaften, Transformationsländern, Berücksichtigung, Tierhaltung, Beispiel, Mongolei
Arbeit zitieren
Nikola Rass (Autor:in), 2004, Chancen und Grenzen von Genossenschaften in Transformationsländern unter besonderer Berücksichtigung der mobilien Tierhaltung untersucht am Beispiel der Mongolei , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110384

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