Die Auswirkungen der Osterweiterung auf die Beschäftigung in der Europäischen Union am Beispiel des deutschen Arbeitsmarktes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Ausgangslage

2. Theoretische Betrachtung der Migration
2.1. Identifizierung der Auslöser für eine mögliche Wanderungsbereitschaft des Menschen
2.1.1. Push/Pull-Approach nach Lee
2.1.2. Humankapitaltheorie nach Chiswick
2.1.3. Beeinflussung der Migration durch Netzwerkeffekte
2.2. Theoretische Auswirkungen der Migration auf den Arbeitsmarkt aus sektoraler Sicht

3. Abschätzung des Migrationspotentials für Deutschland
3.1. Migration innerhalb der heutigen EU-15
3.2. Modellfall Süderweiterung?
3.3. Schätzergebnisse
3.3.1. DIW
3.3.2. ifo
3.4. Auswirkungen der Migration auf den deutschen Arbeitsmarkt

4. Beispiel Polen

5. Demographische Entwicklungen

6. Fazit

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Ausgangslage

Im Oktober 2002 einigten sich Bundeskanzler Schröder und der französische Staatspräsident Jaques Chirac über die zukünftige Gestaltung der Agrar-Zuschüsse an die Landwirte der EU und die zukünftige Beitragslast der einzelnen Länder. Ihre Einigung war Voraussetzung für den weiteren Fortgang des Erweiterungsprozesses der Europäischen Union[1] und somit höchst dringlich, denn bereits auf dem Gipfeltreffen in Kopenhagen im Dezember 2002 soll die Abstimmung darüber erfolgen, wer neues Mitglied der EU wird.

Die nun anstehende Erweiterungsrunde, die die fünfte ihrer Art seit Beginn des europäischen Integrationsprozesses in den fünfziger Jahren ist, unterscheidet sich nicht nur in Bezug auf die Qualität, sondern gerade auch im Hinblick auf die Quantität von früheren Beitritten.[2] 13 Kandidatenländer bemühen sich schon seit längerer Zeit, die hohen Aufnahmekriterien zu erfüllen, diese sind Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Litauen, Lettland, Estland, Slowenien, Zypern, Malta, Bulgarien und die Türkei. Die Entscheidung über die endgültige Aufnahme erfolgt dabei nach dem Regatta-Prinzip: wer bis Ende 2002 das umfangreiche, komplizierte Regelwerk der EU umgesetzt hat, soll beitreten dürfen.[3] Nach dem bisherigen Stand der Entwicklung werden es voraussichtlich 10 Länder schaffen.

Die Vorteile der Erweiterung für Europa liegen in der dann vorhandenen Einwohnerzahl von 500 Millionen Bürgern, dadurch erhält die Stimme Europas mehr Einfluss in der Welt. Auch ist so eine bessere Zusammenarbeit in den Bereichen Umweltverschmutzung und organisierte Kriminalität möglich. Unternehmen stände die Erschließung neuer Märkte und besserer Zugang zu Rohstoffen bevor. Die Vorteile eines Beitritts zur EU für die mittel- und osteuropäischen Länder wären demokratische und soziale Stabilität und größerer Wohlstand.[4]

Die Bezeichnung „Osterweiterung“ bekam diese Erweiterungsrunde, weil sich überwiegend Länder Mittel- und Osteuropas als Kandidatenländer beworben haben. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems Ende der achtziger Jahre haben sich diese Länder verstärkt dem Westen zugewandt. Mit der nun beantragten Aufnahme in die Europäische Union versprechen sie sich nicht nur eine Beschleunigung ihrer Transformationsprozesse von den verkrusteten Strukturen der Planwirtschaft hin zu einer funktionierenden Marktwirtschaft und damit zu mehr Wohlstand, sondern auch einen stärkeren Schutz vor dem östlichen Nachbarn Russland, der in seiner Größe und Unberechenbarkeit eine potentielle Gefahrenquelle gerade für die Anrainerstaaten darstellt.

Die gesetzliche Grundlage für eine Neuaufnahme von Mitgliedern findet sich in der EGV. Danach kann jeder europäische Staat, der die Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EGV achtet, d.h. Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrecht und Rechtsstaatlichkeit, Mitglied der Europäischen Union werden, wobei ein Beitritt nur zur Union als Ganzes möglich ist. Die Beitrittsregelungen sollen die Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents und die Wahrung von Frieden und Freiheit in Europa durch Zusammenschluss der Wirtschaftskräfte unterstützen. Aus diesen Zielen folgen jedoch unmittelbar auch die Beschränkungen einer Zugehörigkeit zur Europäischen Union. So muß ein potentieller Kandidat zumindest geographisch dem europäischen Kontinent angehören (aus diesem Grund wurde der z.B. der Aufnahmeantrag Marokkos abgelehnt) und sich zur Wahrung der grundlegenden Identität und Finalität der Gemeinschaft verpflichten.[5] Es gibt allerdings keinen Anspruch auf die Mitgliedschaft, auch wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind. Die „Alt-Mitglieder“ können über eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit neuen Mitgliedern nur einstimmig beschließen.

Da sich der Charakter Europas mit einer zusätzlichen Aufnahme von Staaten zwangsläufig verändert, stellt sich die Frage nach der geeigneten Größe bzw. der optimalen Anzahl der Mitgliedstaaten für die Europäische Union. Dazu ein Blick auf die bisherigen Erweiterungsrunden: Die Gründerstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande, die sich 1958 zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zusammenschlossen, nahmen 1973 Dänemark, Großbritannien und Irland auf. Ihnen folgten 1981 Griechenland, 1986 Portugal und Spanien sowie 1995 Finnland, Österreich und Schweden. Jede Erweiterungsrunde war mit unterschiedlichen Problemen verhaftet, denen sich sowohl Alt-Mitglieder als auch Anwärter-Länder stellen mussten, sei es, dass es um die finanzielle Ausgestaltung oder um die rechtlichen Anforderungen der jeweiligen Beitrittsrunde ging. Auch für die Osterweiterung zeichneten sich früh Probleme ab. Diese betreffen zum einen die institutionellen und strukturellen Reformen, denen sich die EU selbst unterziehen muss, bevor sie in der Lage ist, neue Kandidaten aufzunehmen.[6] Zum anderen gestalten sich die Verhandlungen mit den Kandidatenländern schwierig, was die Umsetzung und Gewährung der geltenden EU-Rechts, z.B. die vollständige oder beschränkte Gewährung der Freizügigkeit oder Finanzierungslösungen, betrifft.

Die für die Aufnahme neuer Mitglieder geltenden Rechtsvorschriften finden sich im Katalog der Kopenhagener Kriterien . Danach gilt als Kernvoraussetzung für eine mögliche Aufnahme die politische Stabilität der beitrittswilligen Länder, damit die Wahrung der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung, der Schutz der Menschenrechte und die Achtung und der Schutz von Minderheiten garantiert ist. Weiter müssen die Ländern bereits eine funktionstüchtige Marktwirtschaft installiert haben, um ein Zusammenwirken der Unternehmen innerhalb der Union zu ermöglichen, das „Weißbuch“ umsetzen, welches das zukünftige geltende Recht enthält und zuletzt müssen sich die Kandidaten zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes („Acquis Communautaire“) in seiner Gesamtheit verpflichten, d.h. die Länder müssen sich die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen machen.[7] Die Gemeinschaft verpflichtet sich dagegen, die Beitrittskandidaten bei der Schaffung der Voraussetzungen personell und finanziell durch die Einrichtung von Beratungspatenschaften zu unterstützen.

Eine Analyse des gegenwärtigen Standes der Umsetzung der Kopenhagener Kriterien lässt erkennen, dass alle Beitrittskandidaten außer der Türkei die politischen Kriterien erfüllen.[8] (Nicht zuletzt aus diesem Grund haben sich die bisherigen Mitglieder noch nicht darauf verständigen können, der Türkei ein Datum für den Beginn möglicher Beitrittsverhandlungen zu nennen. Als zu groß werden die Unterschiede hinsichtlich Kultur, Religion und politischer Arbeit im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten empfunden, die z.B. durch die starke Stellung des Militärs und dem ungenügenden Schutz der Kurden in der Türkei immer wieder deutlich sichtbar werden.) Nicht alle der übrigen beitragswilligen Länder erfüllen jedoch auch die restlichen Voraussetzungen, so dass nach heutigem Stand voraussichtlich Estland, Malta, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern die Aufnahme in die europäische Gemeinschaft schaffen werden.[9] Gemeinsam ist allen diesen Ländern, dass sie auch nach erfolgtem EU-Beitritt ihre Transformationsprozesse zügig weiterführen müssen, da sich bereits jetzt eine Verlangsamung der Reformen abzeichnet.

Innerhalb der EU herrscht zu einigen Punkten noch keine Einigkeit, inwieweit und vor allem ab wann die neuen Mitglieder das volle Zugangsrecht zu den Vorteilen der Mitgliedschaft bekommen sollen. Die Neuzugänge werden in erster Linie Geldempfänger sein und auf lange Sicht nicht zum Mittelaufkommen innerhalb der EU beitragen können. Daher gibt es für einige Bereiche Überlegungen, Übergangsregelungen zu vereinbaren, um sowohl dem beigetretenen Land als auch den bisherigen Mitgliedsstaaten durch einen langsamen Prozess die Annäherung zu ermöglichen und Probleme zu vermeiden. So bestehen vor allem Deutschland und Österreich als direkt angrenzende Staaten zu einigen MOE-Ländern auf einer Übergangsregelung[10] bezüglich der sog. Freizügigkeit[11], die MOEL selbst fordern jedoch von Beginn an volle Anwendung, um nicht Mitglieder zweiter Klasse sein.[12]

Das Ziel dieser Arbeit besteht darin zu untersuchen, welche Auswirkungen sich durch eine sofortige unbeschränkte Einführung der Freizügigkeit theoretisch und mit Blick auf bisherige Wanderungen ergeben und welche Handlungsempfehlungen sich daraus für die bisherigen EU-Mitglieder ableiten.

2. Theoretische Betrachtung der Migration

2.1. Identifizierung der Auslöser für eine mögliche Wanderungsbereitschaft des Menschen

Migration im Allgemeinen meint alle Wanderungsbewegungen eines Menschen mit dem Ziel, seinen bisherigen Wohnsitz längerfristig oder dauerhaft zu wechseln, unabhängig von den Motiven oder Ursachen, die der Verlagerung des Wohnsitzes zugrunde liegen.[13] Die Gründe einer Person, ihr Heimatland zu verlassen, können vielfältig sein. So unterscheiden wir neben dem überwiegenden Teil der Wirtschaftsmigranten, die entweder Pendelmigranten oder dauerhaft den Wohnsitz wechselnde Personen sein können, Asylanten, Familienmigranten und ideologische Migranten.[14]

Migration für die einzelne Person bedeutet immer eine Entscheidung unter Unsicherheit über die Höhe der künftigen Erträge, die sich insbesondere aus den Beschäftigungsrisiken im Zuwanderungsland ergibt.[15] Sie löst sowohl für den Zuwanderer als auch für die Einwanderungsgesellschaft Anpassungs- und Integrationskosten aus und stellt diese vor große soziale und psychische Herausforderungen.[16] Dabei sind die Kosten und Erträge der Migration nicht nur abhängig von Ausbildung, Alter und Arbeitserfahrung der Personen, sondern werden maßgeblich auch von Netzwerkeffekten und den ökonomischen Bedingungen im Einwanderungsland beeinflusst.[17] Nach der Theorie migriert eine Person dann, wenn die erwarteten Nettoerträge der Wanderung die Erträge einer risikofreien Investition, z.B. Verbleib im Heimatland, übersteigen. (Für den Migrierenden bedeutet dies, dass er neben dem vollständigen Einbezug aller Transaktionskosten auch genaue Kenntnis darüber haben muss, in welcher Höhe diese anfallen.[18] ) Vereinfacht bedeutet es, dass die Lohnniveaus zwischen den zum Vergleich stehenden Ländern stark differieren müssen, wobei als gesichert anzusehen ist, dass ab einer Lohnangleichung von 60-70% die Migration praktisch aufhört. Da aber wie oben ausgeführt Migration nicht nur durch ökonomische Aspekte bedingt wird, sondern auch von individuellen Faktoren der Person, wandert deshalb selbst bei hohen Einkommensunterschieden immer nur ein Teil der Bevölkerung.[19]

[...]


[1] Vgl. Handelsblatt (2002).

[2] Vgl. Quaisser (1999), S. 2.

[3] Vgl. DIHT (2000), S. 12.

[4] Vgl. AGENDA 2000 (2000), S. 18.

[5] Vgl. DIHT (2000), S. 17.

[6] Vgl. DIHT (2000), S. 14.

[7] Vgl. DIHT (2000), S. 21.

[8] Vgl. DIHT (2000), S. 73.

[9] Vgl. DIHT ( 2000), S. 76-82.

[10] Vgl. Wittrock (2001), S. 1.

[11] Das Europäische Parlament hat im Artikel 13 Abs. 1c, 14 und 32 bis 42 (3c, 7a und 48 bis 51) EGV die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union geregelt. Dort wird jedem Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates das Recht eingeräumt, mit seiner Familie ungehindert in andere Mitgliedsstaaten umsiedeln und dort einen lohnabhängige Beschäftigung aufnehmen zu dürfen. Mit dieser Regelung wird einerseits das Ziel verfolgt, die Chancen eines Arbeitsnehmers der Gemeinschaft, einen Arbeitsplatz zu finden und seine Berufserfahrung zu erweitern, zu erhöhen. Andererseits soll die Einräumung der Mobilität eine leichtere Steuerung der Beschäftigungsverhältnisse ermöglichen und die gegenseitige Verständigung der EU-Bürger untereinander verbessern.

[12] Vgl. Brücker/Trübswetter/Weise (2000), S. 2.

[13] Vgl. Koch (2001), S. 2.

[14] Vgl. Bauer/Zimmermann (1996), S. 96.

[15] Vgl. Tassinopoulos/Werner (1999) , S. 3.

[16] Vgl. Fischer/Straubhaar (1994), S. 105.

[17] Vgl. Brücker et al. (2002), S. 2.

[18] Vgl. Tassinopoulos/Werner (1999), S. 3.

[19] Vgl. Tassinopoulos/Werner (1999), S. 7.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Die Auswirkungen der Osterweiterung auf die Beschäftigung in der Europäischen Union am Beispiel des deutschen Arbeitsmarktes
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Volkswirtschaftslehre)
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
29
Katalognummer
V11036
ISBN (eBook)
9783638173049
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ostweiterung, Eurpäische Union, Beitrittskandidaten, Kandidatenländer, Push/Pull-Approach, Humankapitaltheorie, Kultur, Netzwerkeffekte
Arbeit zitieren
Manuela Gottschalk (Autor:in), 2002, Die Auswirkungen der Osterweiterung auf die Beschäftigung in der Europäischen Union am Beispiel des deutschen Arbeitsmarktes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11036

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