Praktikumsbericht Fachpraktikum Deutsch


Praktikumsbericht / -arbeit, 2006

45 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Gymnasium Corvinianum: Schulprofil und Praktikumsrahmen
2.1. Die heutige Form des Gymnasiums
2.2. Die Praktikumssituation

3. Dokumentation einer eigenen Unterrichtssequenz
3.1. Curriculare Vorgaben
3.2. Unterrichtszusammenhang und Lerngruppenanalyse
3.3. Vorbereitung des eigenen Unterrichts und erste Unterrichtsstunde
3.4. Doppelstunde am 01.03.2006
3.4.1. Entwurf und Planung
3.4.2. Verlauf und Reflexion
3.5. Die weiteren Stunden der Einheit
3.6. Didaktischer Kommentar zu Inhalten und Verfahren

4. Didaktischer Sachverhalt: Produktive Verfahren im Deutschunterricht
4.1. Die Bewertungsproblematik
4.2. Bewertung „mangelhaft“- wie geht es weiter?

5. Fazit des Praktikums

Anhang I: Stundenentwürfe

Anhang II: Schülertexte Hausaufgaben vom 27.02.2006

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der vorliegende Bericht ist die abschließende Dokumentation meines Fachpraktikums im Unterrichtsfach Deutsch im Februar/März 2006 am Gymnasium Corvinianum in Northeim. Er ist gemäß den Vorgaben der Praktikumsordnung sowohl auf theoretischer wissenschaftlicher Literatur, als auch auf persönlichen Erkenntnissen und Erfahrungen während des Praktikums aufgebaut.

Kapitel zwei stellt einleitend die Praktikumsschule vor. Die Darstellung basiert dabei in erster Linie auf persönlichen Gesprächen mit einzelnen Lehrern[1], dem Internetauftritt des Gymnasiums[2] sowie den eigenen Eindrücken und Beobachtungen während des Praktikums.

Die Dokumentation der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung einer eigenen Unterrichtseinheit geschieht in Kapitel drei. Der Schwerpunkt liegt dabei eindeutig auf meiner eigenen Sichtweise der Stundenreihe, der Auswertung des eigenen Unterrichts und der Reflexion des Unterrichtsgeschehens sowie in einem kurzen didaktischen Kommentar zu den eingesetzten Inhalten und Verfahren. Im Gegensatz dazu stellt Kapitel vier den fachdidaktischen Sachverhalt des „Kreativen Schreibens“ und des „Handlungs- und produktionsorientierten Deutschunterrichts“ aus der Perspektive der wissenschaftlichen Literatur in den Mittelpunkt. Obwohl eigene Beobachtungen aus einzelnen Stunden in die Darstellung einfließen, geht es in diesem Kapitel vor allem um die theoretische Betrachtung der Ansätze. Die Frage nach der genauen Praxisumsetzung kann nicht Teil dieser Arbeit sein, sondern bedarf einer eigenständigen und wesentlich ausführlicheren Bearbeitung. Dennoch soll eine kurze Darstellung der Bewertungsproblematik und der Bezug zum eigenen Unterrichtsversuch die theoretische Diskussion verdeutlichen und so ein gewisses Maß an Praktikumsbezug herstellen.

2. Das Gymnasium Corvinianum: Schulprofil und Praktikumsrahmen

Dieses Kapitel stellt das Gymnasium vor. Ausgehend von der Geschichte und der heutigen Form wird kurz eingeordnet, wie sich das Gymnasium für mich selbst im Praktikum, sowie gemäß meiner Einschätzung für die Schüler und Lehrer des Kollegiums präsentierte.

2.1. Die heutige Form des Gymnasiums

Die Kernstadt Northeim bildet mit 16 umliegenden Ortschaften das Einzugsgebiet des Corvinianums. Aus den ca. 32.000 Einwohnern rekrutieren sich zur Zeit 1320 Schüler. Unterrichtet werden sie von 90 Lehrern in einem weitläufigen dreiteiligen Schulgebäude, das durch Zusammenlegung mehrerer Einzelgebäude die heutige Form erlangt hat. Nach der Eingliederung der Jahrgänge 5 und 6 der Orientierungsstufe in die weiterführenden Schulen herrscht allerdings erneut Raummangel.

Das Gymnasium präsentiert sich jung und schülernah. Nicht nur der niedrige Altersschnitt im Kollegium und die Gestaltung der einzelnen Pausenhallen und Verbindungstrakte mit wechselnden Ausstellungen von Schülerarbeiten aus dem Kunstunterricht sorgen für dieses Bild. Vielmehr versucht das Gymnasium sich den Schülern und ihren Interessen und Fähigkeiten attraktiv zu nähern und engagiert sich über den reinen Unterricht hinaus. Der Abschluss eines Kooperationsvertrages mit der Astrid-Lindgren-Grundschule Northeim im Rahmen des „Northeimer Kooperationsverbundes zur Hochbegabtenförderung“ am 01.08.2003 sorgt nicht nur für eine angemessene Förderung besonders talentierter Kinder, sondern ermöglicht den Gymnasiallehrern auch Erfahrungen im Umgang mit jungen Schülern zu erlangen, die nach der Integration der Orientierungsstufe das gymnasiale Schulbild entscheidend mitprägen. Am Corvinianum existieren eine spezielle „Musikklasse“ sowie die „Tempoklasse“, in der lernstarke Schüler durch die Zusammenlegung der Jahrgänge zehn und elf einen schnelleren Zugang zur Oberstufe erlangen können. Für die stetige Weiterentwicklung soll ein „Schulentwicklungsteam“ sorgen, dessen Aufgabe die „Anregung von Projekten zur Qualitätsverbesserung“ ist. Auf der Seite der Stundentafel sind besonders das breite Fremdsprachenangebot, die Einrichtung des Unterrichtsfachs „Darstellendes Spiel“ ab Jahrgang 11 und der durch zeitgemäß ausgestattete Fachräume ermöglichte Unterricht in Informatik hervorzuheben. Ein breites Feld an Arbeitsgruppen rundet das Bild der gelungenen Integration von Standardschulangebot und Konzepten zur Steigerung der Attraktivität und des ganzheitlichen Lernerfolgs am Gymnasium ab. Ob das reichhaltige Angebot von Seiten der Schüler mit ebenso umfassender Zufriedenheit und gleichzeitig mit überdurchschnittlichen Lernleistungen angenommen wird, ist innerhalb der wenigen Praktikumswochen natürlich nicht zu beurteilen. Eine angenehm offene Grundstimmung lässt sich der Schülerschaft, dem Kollegium und der in der Koseform „Corvi“ genannten Schule allerdings jederzeit bescheinigen.

2.2. Die Praktikumssituation

Speziell in Abgrenzung zu anderen Schulen, an denen ich hospitiert/ unterrichtet habe, ist dem Corvinianum eine gewisse Routine im Umgang mit Praktikanten anzumerken. Dies trifft gleichermaßen auf das Kollegium wie auf die Schülerschaft zu, für die Praktikanten offensichtlich ein Stück Normalität im Schulalltag sind. Da die Schule Ausbildungsschule für Referendare ist und diese auch in vielen Fällen in den dauerhaften Schuldienst übernommen wurden und werden, ist dies kaum verwunderlich. Die Möglichkeit, von der fünften Klasse bis zur Kursstufe in Grundkurs und LK ein breites Angebot an Klassen zur Hospitation zu besuchen, und ebenso bei anderen Lehrern außer dem eigenen Mentor in Deutsch und auch fachfremd zu hospitieren, bot eine gute Ausgangsbasis für das Praktikum. Der Schwerpunkt meines Einsatzes lag dabei in Deutsch im 10. Jahrgang, wo sich die interessante Situation ergab, zwei im Lernverhalten sehr unterschiedliche Klassen mit dem gleichen Thema (Dürrenmatt: Die Physiker) im unmittelbaren Vergleich beim gleichen Lehrer zu beobachten. Die regelmäßige Teilnahme am Unterricht eines Deutschkurses 13 bei einer Referendarin in der Examensreihe, die Hospitationen im Deutschunterricht einer 5. und einer 9. Klasse sowie die eigene Unterrichtsreihe im Grundkurs 12 deckten dabei nahezu das gesamte Spektrum des Gymnasiums ab.

3. Dokumentation einer eigenen Unterrichtssequenz

Zu Beginn meines Praktikums wurde im Prüfungsgrundkurs der zwölften Klasse meines Mentors Henning Bruns im Fach Deutsch eine neue Unterrichtseinheit begonnen. Ausgehend von einer kurzen Einführung in Erzähltheorie war als Thema die Lektüre „Medea. Stimmen.“ von Christa Wolf vorgesehen. Im Rahmen dieser Unterrichtseinheit bot sich mir die Möglichkeit, zunächst im Kurs zu hospitieren, die Schüler und ihr Lernverhalten kennen zu lernen und anschließend selbst eine zusammenhängende Unterrichtssequenz für diesen Kurs zu planen und durchzuführen. Die Lerngruppe „De2P“ bestand aus einer geschlechtsheterogenen Gruppe von 18 Schülern (9 männlich, 9 weiblich), die sich mit diesem dreistündigen Kurs im 2. Semester des Jahrgangs 12 auf das schriftliche Grundkursabitur 2007 vorbereiten.

3.1. Curriculare Vorgaben

Mit der Einführung des Zentralabiturs in Niedersachsen ab dem Abiturjahr 2006 gibt es Vorgaben für das Fach Deutsch, welche Inhalte in den vorbereitenden Jahrgängen 12 und 13 als thematische Schwerpunkte zu unterrichten sind. Teil dieser Festlegungen sind auch verbindliche Lektüren. Christa Wolfs ‚Medea. Stimmen.’ zählt zu diesen Themenvorgaben für das Zentralabitur Deutsch 2007. Im „Themenschwerpunkt 2: Gegenwärtigkeit des Vergangenen – Medea“ finden sich für den Grundkurs folgende Angaben:

„Verbindliche Lektüre: Christa Wolf: Medea. Stimmen.

Unterrichtsaspekte:

- Veränderung des Medea-Mythos bei Christa Wolf
- Formen des modernen Erzählens (Multiperspektivität, Zeitstruktur, „Monolog“-Gestaltung)
- Figurenkonzeption und –konstellation
- Mechanismen von Macht und Machterhalt“[3]

Ob das Zentralabitur im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion um Bildungsstandards Vor- oder Nachteile bringt, kann und soll im Rahmen dieses Berichts nicht näher erläutert werden. Tatsache ist jedoch, dass die curriculare Vorgabe eines verbindlichen Werkes einige Veränderungen des Unterrichts für Lehrer und Schüler nach sich zieht. Gab es bisher eine höchstens durch die schulinterne Festlegung der Fachkonferenz fremdbestimmte Auswahl von Einzelwerken, verschiebt sich die Ebene der Wahlfreiheit nun auf die konkrete Ausgestaltung der Unterrichtseinheit. Lehrer und Schüler können und sollen meines Erachtens für eine gelungene Erarbeitung eines Themas bis zu einem gewissen Grad eine gemeinsame Auswahl von Inhalten und Methoden betreiben. Auch im Rahmen der curricularen Vorgabe des Kernwerkes ist diese gestalterische Freiheit weiterhin möglich. Eventuell kommt ihr im Rahmen der Vorgaben sogar eine gesteigerte Bedeutung zu, um dem Interesse und der Arbeitsweise der Lerngruppe entgegen zu kommen. Für die Planung der Unterrichtseinheit „Medea“ boten sich somit unterschiedliche Möglichkeiten in der Reihenfolge der Abarbeitung der einzelnen Unterrichtsaspekte und der konkreten Umsetzung.

3.2. Unterrichtszusammenhang und Lerngruppenanalyse

Meine erste Hospitation im Kurs fand am 06.02.2006 statt. Über die folgenden drei Unterrichtsstunden näherten sich die Schüler ausgehend von einer Wiederholung der Erzählperspektive und einem Vergleich mit den Romananfang von ‚Effi Briest’ dem Roman ‚Medea. Stimmen.’, den sie zu diesem Zeitpunkt bereits eigenverantwortlich gelesen haben sollten. In den folgenden Stunden erarbeitete Herr Bruns mit dem Kurs einige einzelne Textausschnitte, ließ die Schüler Informationen über Figuren und einige Bestandteile der griechischen Sagenwelt zusammentragen (Jason, Goldenes Vlies, Argonauten, Kolchos…) und thematisierte die grundsätzliche Einordnung von Mythen im Vergleich zu Sagen, Märchen und anderen Überlieferungen. Bis zu meiner ersten eigenen Unterrichtsstunde am 07.02. hatte ich (bedingt durch Unterrichtsausfall) insgesamt fünf Stunden im Kurs hospitiert und konnte mir somit ein erstes Bild von der Lerngruppe machen. Neben zwei besonders leistungsstarken Schülern gab es auch mehrere sehr ruhige Kursteilnehmer, die kaum mündliche Eigenbeteiligung am Unterrichtsgeschehen zeigten. Das Niveau der Beiträge und das Arbeitstempo waren meiner Meinung nach insgesamt gut. Auch das Arbeitsklima war trotz des räumlich sehr eingeschränkten Angebots auffällig positiv. Dass Schüler kein Interesse an den zu behandelnden Themen fanden oder auffällig den Unterricht störten, konnte ich nicht beobachten.

3.3. Vorbereitung des eigenen Unterrichts und erste Unterrichtsstunde

In Absprache mit Herrn Bruns hatte ich mich darauf verständigt, die Klasse am 07.02. beginnend mit einer 6. Stunde (Einzelstunde) zu übernehmen. Thematisch sollte im Unterrichtszusammenhang nun die schrittweise Erschließung des Geschehens und der Charaktere in ‚Medea. Stimmen’ erfolgen. Um Christa Wolfs Bearbeitung zu verstehen, muss man die früheren Bearbeitungen kennen, ein Aspekt, der sich in den curricularen Vorgaben in Form des Punktes „Veränderung des Medea-Mythos bei Christa Wolf“ findet. Für die Planung meiner ersten Stunde war das Rahmenthema somit inhaltlich durchaus festgelegt, die wohl bekannteste große Gesamtbearbeitung, der Medea-Mythos nach Euripides. Dass man sich als Lehrperson zunächst selbst in eine neue Lektüre einarbeiten muss ist obligatorisch. Jedoch ist es in diesem Fall ebenso den curricularen Vorgaben geschuldet, da man nun nicht mehr ‚seine Standardwerke’ unterrichten kann, in denen als Lehrer mit langjähriger Berufserfahrung eine gewisse Routine eintreten dürfte. Angesichts der Tatsache, dass sich so auch routinierte Lehrkräfte über neue Inhalte und ihre methodische Umsetzung Gedanken machen müssen, scheint mir dies in Abgrenzung zu den Erfahrungen meiner eigenen Schulzeit eine durchaus positiv zu bewertende Randerscheinung des Zentralabiturs zu sein. Dass ich selbst weder Christa Wolfs Werk, noch den Medea-Mythos vor diesem Praktikum kannte, und mich somit für jede Stundenkonzeption auch inhaltlich komplett neu einarbeiten musste, schien mir jedenfalls für meine eigenen Planungen eher förderlich als hinderlich, auch wenn es dir Vorbereitungszeit deutlich erhöht hat.

Da die Schüler das gesamte Werk von Euripides weder im Stundenverlauf noch als Hausaufgabe lesen konnten (und dies auch nicht Sinn der Einheit wäre), habe ich mich auf die Auswahl von Textstellen beschränkt, aus denen der grobe Handlungsverlauf deutlich wurde. Aus diesen Textstellen mussten die Schüler in Partnerarbeit die wesentlichen Kernpunkte der Handlung erarbeiten und anschließend in Form eines chronologischen Handlungsverlaufs als Wandplakat festhalten. Eine ansatzweise Formulierung der Beweggründe der Medea („Rachemord“) leitete zur vertiefenden Hausaufgabe über, in der die Schüler in Form eines inneren Monologes der Medea wertend auf die Geschehnisse zurückzublicken mussten. Bis auf organisatorische Kleinigkeiten verlief die Stunde wie geplant (siehe Anhang I, Stundenentwurf 27.02.06).

3.4. Doppelstunde am 01.03.2006

Ausgehend von den Ergebnissen aus der vorherigen Stunde habe ich den Unterricht für den 01.03.06 geplant. Auf die daraus resultierende Doppelstunde werde ich im Folgenden näher eingehen.

3.4.1. Entwurf und Planung

Das Wissen um den Handlungsverlauf bei Euripides sollte die Schüler in die Lage versetzen, einen wertenden inneren Monolog der Medea als Hausaufgabe anzufertigen. Nach dem exemplarischen Vorlesen einiger dieser Hausaufgaben hatte ich für die Doppelstunde drei Ziele geplant (siehe Anhang I, Stundenentwurf 01.03.06). Die Schüler sollten

1. den Konflikt der Euripides-Medea zwischen rationaler Denkweise und Mutterliebe zu ihren Kindern und dem Rachegedanken erkennen
2. die Rolle der Medea aus „Medea-Stimmen“ rekonstruieren und sie als von der Euripides-Medea unterschiedlich gezeichnete Figur erkennen
3. Unterschiede zwischen den beiden Medea-Figuren benennen können und diese für erste Interpretationsansätze von Medea – Stimmen verwenden können.

Je nach der Qualität der vorgetragenen Hausaufgaben war für die Auswertung eine längere oder kürzere Diskussionsphase geplant, bevor die Beweggründe Medeas als Ergebnisse an der Tafel zusammengefasst werden sollten. Aus der Formulierung der Stundenziele wird deutlich, welchen Leitgedanken ich mit dieser Stunde verfolgt habe. Vorgesehen war der Übergang von reiner Handlungsbeschreibung zum (subjektiv) interpretierenden Verstehen des Medea-Mythos, was bei Christa Wolf durch die Anlage als Roman in Monologform ständig vorhanden ist. Das Erschließen der Protagonistin Medea und ihrer vom Original abweichenden Darstellung sollte dann in der weiteren Planung als Schlüssel zum Verständnis des Gesamtromans von Christa Wolf werden. Um die Übersicht der Schüler über die einzelnen Handlungsverläufe zu wahren, sollte analog zum Plakat mit der Chronologie der Ereignisse nach Euripides ein Plakat nach Wolf entstehen und damit die erste Stunde auch formal abschließen. Für die zweite Stunde hatte ich die Erarbeitung des Medeacharakters in Form einer Gruppenarbeit geplant. Die Gruppenpräsentation der Ergebnisse und davon ausgehend ein auch als Ausblick auf die kommende Stunde gedachter erster Interpretationsansatz von ‚Medea. Stimmen.’ vor dem Hintergrund des neu hinzugewonnenen Wissens bildeten den Abschluss des geplanten Stundenverlaufs.

3.4.2. Verlauf und Reflexion

Es gab im Unterrichtsverlauf keine wesentlichen Abweichungen von der Planung. Das ist umso erfreulicher, als dass ich in der Planungsphase die größte Gefahr darin sah, dass bereits in der Anfangsphase Verzögerungen dadurch auftreten könnten, dass die Hausaufgabe nicht angemessen gelöst worden sein könnte. Da die folgenden Bausteine der Planung ganz wesentlich auf dem wertend-interpretierenden Ergebnis der Hausaufgaben beruhten, hätte dies tatsächlich zu Problemen führen können. Wesentlicher Bestandteil meiner Planung war in dieser Phase daher eine gewisse Redundanz der Erarbeitungsmöglichkeiten. Passend zum ersten formulierten Stundenziel hatte ich sechs Textstellen aus Euripides’ Medea vorbereitet, aus denen die Beweggründe erneut erarbeitet werden konnten. Bei ‚guten’ Hausaufgaben - und dieser Fall trat letztlich ein - dienten die Textstellen dann zum Abgleich und zur Festigung der erarbeiteten Ergebnisse mit dem Text. Eine solche Wiederholung bot außer der Planungssicherheit für mich auch die Chance des vertieften Textverständnisses für die Schüler, die keine oder nur sehr schwache Lernleistungen beim Anfertigen der Hausaufgabe erbracht hatten. Entgegen meinen Befürchtungen übertrafen die gelieferten Ergebnisse allerdings meine Erwartungen sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Zwei Textbeispiele finden sich im Anhang II (Hausaufgaben vom 27.02.06).

Die zweite Stundenhälfte war im Wesentlichen von der Gruppenarbeit bestimmt, während der ich im Wesentlichen als Berater und Ansprechpartner zur Verfügung stand. Die anschließende Präsentation führte erneut zu ansprechenden Ergebnissen sowie einer kurzen Abschlussdiskussion.

Mit meinem Lehrverhalten in dieser Stunde bin ich im Gesamtzusammenhang zufrieden. Schwächen zeigten sich allerdings in der Gleichzeitigkeit mehrerer Tätigkeiten, also z.B. immer dann, wenn Tafelanschrieb und Moderation gleichzeitig erfolgen sollten. Ebenso habe ich, obwohl ich mir sogar eine Notiz dazu gemacht hatte, weder die Zeitplanung für die Gruppenarbeitsphase angeschrieben, noch anschließend bei der Präsentation auf eine schriftliche Ergebnissicherung seitens der Schüler gedrängt. Was in einer lernschwächeren Klasse vermutlich zu Problemen führen würde, hatte in dieser Gruppe allerdings keine Konsequenzen. Zusammen mit den Plakaten der Vorstunde ergab sich aus den neuen Übersichten im Kursraum trotz des beschränkten räumlichen Angebots langsam das geplante Wandbild einer Arbeitsumgebung, die eine Übersicht zu Medea liefert.

3.5. Die weiteren Stunden der Einheit

Zwei Einzelstunden vervollständigten meine Unterrichtsreihe. In der Stunde am 06.03. stand dabei im Mittelpunkt, die Figur der Agameda als Gegenspielerin der vorher erarbeiteten Medea-Figur zu erkennen und somit mit der Erarbeitung einer weiteren „Stimme“ aus Christa Wolfs Roman die Grundlage für das zusammenhängende Textverständnis zu legen. Die Charakterisierung der Agameda, der Vergleich der Frauenbildes Agameda versus Medea und schließlich die Rolle der Agameda im Gesamtroman stellten dabei die zentralen Eckpunkte des Unterrichtsverlaufs dar. Die Hausaufgabe war es, eine fiktive Antwort Medeas auf die Vorwürfe der Agameda an ihre Person zu schreiben. Sie leitete den Übergang zur Stunde am 08.03. und zu einem weiteren Charakter ein, der in dieser Stunde im Mittelpunkt stand. Mit der Figur Akamas wurde die Personenkonstellation komplettiert, die die Grundlage für eine gesellschaftlich-politische und zugleich emanzipatorische Interpretation des Werkes im Sinne des von den curricularen Vorgaben geforderten Aspekts „Mechanismen von Macht und Machterhalt“ zulässt. Mittels eines kollektiven Schreibspiels wurde in dieser Stunde in den Schülertexten schnell deutlich, dass zwischen Akamas, Medea und Agameda verschiedene persönliche und politische Interessen eine Rolle spielen und sich ein komplexes Beziehungsgeflecht entwickelt (beide Stundenentwürfe im Anhang I).

An dieser Stelle übernahm Herr Bruns den Unterricht ab der zweiten Hälfte der Doppelstunde wieder und begann mit der Vertiefung der politischen Ansätze auf dem Weg zur Gesamtinterpretation.

3.6. Didaktischer Kommentar zu Inhalten und Verfahren

Wie oben bereits erwähnt, ist eine genaue curriculare Vorgabe eines Stoffes nicht zwangsweise schlecht. Ob tatsächlich erneut eine Kanondiskussion für den Deutschunterricht geführt werden muss, sei dahingestellt. Fakt ist allerdings auch, dass sich die Vorgaben auf die bloße Nennung von Oberbegriffen beschränken und die genaue Ausgestaltung des Unterrichts somit gelenkt aber nicht behindert wird. Zumindest hatte ich in keiner Phase der fünf Unterrichtsstunden den Eindruck, ich müsse etwas in der Planung weglassen, weil es in eine andere Richtung ginge als die Vorgaben. Den Stoff der Medea überhaupt zu behandeln halte ich sogar für ausgesprochen sinnvoll. Nicht nur die Verknüpfung von Inhalten der griechischen Sagenwelt und der modernen Romanform stellt ein reizvolles Gebiet dar, sondern vor allem die Form des Romans von Christa Wolf bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für methodische aber auch inhaltliche Vielfalt. Dass eine Literatin des zwanzigsten Jahrhunderts wiederholt Stoffe der griechischen Sagenwelt aufgreift und an entscheidenden Stellen bearbeitet, sollte daher unbedingt im Rahmen einer solchen Unterrichtseinheit thematisiert werden und wäre meiner Meinung nach auch ein für das Abitur gut geeigneter Aufgabenteil im Bereich der Transferleistung, vermutlich allerdings eher für den Leistungskurs geeignet. Eine zweischichtige Fragestellung, erstens nach der Aussage des Romans über gesellschaftspolitische Veränderungen und zweitens über die literaturgeschichtliche Relevanz der Wiederaufnahme mythologischer Stoffe wäre in diesem Zusammenhang unbedingt zu thematisieren. Sie wird ansatzweise unter den Punkten „Bedeutung und Funktion von Mythen“ sowie „Verhältnis von Mythos und Geschichte bei Christa Wolf“ in den Zentralabiturthemen für den Leistungskurs auch gefordert.

Wie oben erwähnt hatte ich in der Hospitationsphase festgestellt, dass der Kurs ein insgesamt gutes Leistungsniveau hatte, jedoch einige Teilnehmer sehr ruhig waren. Meiner Erfahrung nach setzt sich dieses Bild in Gruppenarbeitsphasen in der Regel dergestalt fort, dass häufig die extrovertierteren Schüler die Gruppenarbeit „leiten“ und die anderen auch hier nicht effektiv zu Wort kommen. Dies führt letztlich dazu, dass eine solche Phase nicht per se unproblematischer ist, als ein klassischer Frontalunterricht. Mit dem in dieser Doppelstunde eingesetzten Verfahren der stufenweisen Gruppenarbeit, in der jeder Schüler zunächst in seinem eigenen Feld gezwungen ist seine Gedanken zur Aufgabenlösung schriftlich zu formulieren, ist sicherlich keine Patentlösung dieses Problems verbunden, jedoch zumindest ein Ansatz geschaffen, auch langsamere und leistungsschwächere Schüler in den Arbeitsprozess zu integrieren. Diese Form der Binnendifferenzierung eignet sich somit durchaus auch für andere Klassen, in denen das Gesamtniveau niedriger oder das Leistungsgefälle noch wesentlich größer ist. Dass im zweiten Schritt innerhalb der Gruppe geklärt werden musste, welche Punkte das Gesamtergebnis in der Mitte des Plakats enthalten soll, scheint mir darüber hinaus noch ein weiterer sehr ergebnisorientierter Arbeitsschritt zu sein. Derartige Verfahren einzusetzen, statt ein lapidares „schreibt eure Ergebnisse auf“ als Arbeitsauftrag auszugeben, halte ich daher nicht nur aus motivationalen Gründen für sinnvoll. Auch wenn die Vorbereitung und die Arbeitsphase selbst mehr Zeit in Anspruch nehmen, rechtfertigt das Ergebnis diesen Mehraufwand allemal.

Der Einsatz von handlungs- und produktionsorientierten Verfahren wie das oben erwähnte Schreiben eines inneren Monologes der Medea als Hausaufgabe der Stunde vom 27.02. und die Antwort der Medea auf die Vorwürfe von Agameda (Hausaufgabe vom 06.03.) drängt sich schon nahezu auf - Christa Wolf schreibt selbst aus mythischer Vorlage innere Monologe. Es liegt also sehr nahe, die Schüler diesen Prozess auch zur inhaltlichen Analyse des Werkes nutzen zu lassen. Dass dies in diesem Kurs nahezu perfekt funktioniert hat, liegt vor allem auch daran, dass in allen von mir besuchten Klassenstufen im Deutschunterricht ähnliche Methoden genutzt wurden - die Schüler sind geübt im Einsatz derartiger Verfahren. Dass man sich als Lehrer dennoch auf einem schmalen Grat bewegt und auch durchaus mit Misslingen rechnen muss, zeigte sich in der Stunde vom 08.03. Die gestellte Aufgabe, ein „Feierabendgespräch“ zwischen Akamas und einem fiktiven Freund als Kollektivaufgabe zu schreiben, ging bei zwei von vier Gesprächsanfängen schnell zu einem wenig sachlichen Gespräch über. Dass in diesem Fall auch mit den sich ergebenden zwei verbleibenden Gesprächen ein Weiterarbeiten problemlos möglich war und zudem der Spaß der Schüler am Schreibprozess überdeutlich wurde (eben auch gerade, weil nicht alles nur ernsthaft war), zeigt meiner Meinung nach dennoch das Potential derartiger Arbeitsaufträge im Rahmen des aktiven Textverständnisses.

4. Didaktischer Sachverhalt: Produktive Verfahren im Deutschunterricht

Beginnend in den frühen 1970er Jahren kam es in der deutschdidaktischen Diskussion zu einem Paradigmenwechsel. Die seitdem neu formulierten Ansätze für den Deutschunterricht haben den traditionellen und sehr stark primärtextbezogenen Literaturunterricht aufgebrochen und das Verhältnis zur Schriftlichkeit in der Schule nachhaltig verändert. Die „neuen“ Ideen wurden dabei von benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen angeregt und nahmen auch Strömungen der Psychologie („kognitive Wende“) sowie anderer Literaturwissenschaften und Fachdidaktiken auf. Dieses Kapitel stellt die produktiven Verfahren und ihre Vorteile gegenüber dem traditionellen Unterricht kurz zusammenfassend dar.

In der neueren fachdidaktischen Diskussion finden sich reihenweise praktische Umsetzungen, wie der „moderne“ Deutschunterricht auszusehen hat. Ganze Themen- und Materialhefte werden als Handreichungen für Lehrer geschrieben und sollen so ermöglichen, den Unterricht möglichst aktiv und produktiv für die Schüler zu gestalten. Den theoretischen Hintergrund für die vorgeschlagenen Arbeitsweisen beschreiben verschiedenste Autoren, deren Ansätze sich selten vollständig voneinander trennen lassen und diesen Anspruch auch nicht erheben. Von Gerhard Haas stammt die „Handlungs- und Produktionsorientierung“, Wolfgang Menzel beschreibt „operative Verfahren“ und Kasper H. Spinner spricht von „produktiven Verfahren“ und „kreativem Schreiben“. Diese drei Autoren akzentuieren dabei gemeinsam zwei Grundformen des Unterrichts. Zum einen den vielfältigen Umgang mit gegebenen Texten durch praktisches Handeln und den aktiven Gebrauch der Sinne. Zum anderen das produktive Erzeugen von neuen Texten bzw. Textteilen und Textvarianten.[4] Durch diesen produktiven Umgang mit Literatur sollen die Schüler eigenständige Erfahrungen mit den Texten machen und es soll im Schulunterricht Lust auf Literatur und vor allem auch auf literarische Eigenerfahrung außerhalb des Unterrichts geweckt werden. Kaspar H. Spinner schreibt, das kreative Schreiben, ein handlungs- und produktionsorientierter Ansatz für den Literaturunterricht, bezeichne „einen Unterricht, in dem die Schülerinnen und Schüler nicht nur rezeptiv (hörend und lesend) und analysierend-interpretierend mit Literatur umgehen, sondern selbst gestaltend tätig werden, indem sie Texte ergänzen, erweitern, umschreiben, zu ihnen malen, sie spielen u.ä.“[5] Weiter verdeutlicht wird der Anspruch der analytischen Funktion handlungs- und produktionsorientierter Unterrichtsverfahren z.B. von Karl Heinz Fingerhut[6], der mit dem Verfahren der Umerzählung von Texten im Gegensatz zu Spinner keinerlei kreative Interessen verfolgt, sondern den interpretativen Wert des Verfahrens in den Vordergrund stellt. Am ausführlichsten beschreibt das didaktische 5-Phasenmodell von Günther Waldmann die beiden Strömungen. Er stellt dabei klar, dass beide Aspekte, der kreativ-persönliche und der analytische Teil, Bestandteile des Unterrichts sein sollen und ihren Beitrag zu gelungenem und freudvollem Textverständnis leisten können und sollen.[7] In der Vorphase, der „spielhaften Einstimmung in literarische Texte“, kommen in erster Linie kreative Aufgaben zum Einsatz, die den Schülern zeigen, „dass Literatur nicht nur schwieriges Objekt mühsamer Analysen“[8] ist, sondern auch Spaß machen kann. Die folgenden vier Arbeitsphasen schaffen darauf aufbauend den fließenden Übergang von kreativem Umgang mit Literatur über die Anknüpfung an biographische Erfahrungen des Schülers bis zum Gesamtverständnis des Textes. In allen Phasen kommen bei Waldmann produktionsorientierte Verfahren zum Einsatz.

In Kapitel 3.6. wurde deutlich, dass produktionsorientierte Verfahren problemlos in den Literaturunterricht eingebracht werden können, selbst wenn sie nicht die Hauptachse des Unterrichts bilden, wie es Waldmann beschreibt. Die Zusammensetzung der Lerngruppe und ihre Vorerfahrungen mit derartigen Verfahren haben dabei entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse. Eine eigenständige Gesamtinterpretation eines komplizierten Werkes mittels kreativer Verfahren leisten zu wollen, ist ebenso unsinnig, wie auf der anderen Seite ein traditionell-analytischer Unterricht, der sich ohne individuelle Interessen von der Lesart der Schüler abwendet und ihnen im schlimmsten Fall noch eine „richtige Interpretation“ vorsetzt. Nur das richtige Mischungsverhältnis der Verfahren und ihr stimmiger Einsatz durch die Lehrkraft führen zum Erfolg. Die Aufgabe des Lehrers zur Moderation und Leistungskontrolle im Unterricht wird durch diesen Anspruch keineswegs geringer. Sie wird vielmehr um den Punkt Methodenwahl und -kontrolle ergänzt. Besonders sensibel ist in diesem Zusammenhang der Aspekt der Bewertung zu sehen. Als Beispiel kann hier erneut die Hausaufgabe der Stunde vom 27.02. dienen. Aufgabe war es, wie bereits dargestellt, einen inneren Monolog der Medea zu verfassen. Die genaue Aufgabenstellung sprach dabei von einem „inneren Monolog der Medea in dem begründet wird, warum ihr so gehandelt habt, wie sich euch das Geschehen [bei Euripides] darstellt.“ Dass die im Anhang beigefügten Arbeitsergebnisse inhaltlich überzeugend sind, war für den weiteren Unterrichtsverlauf ein Glücksfall. Es stellen sich allerdings zwei Fragen, die in den folgenden Abschnitten dieser Arbeit beantwortet werden sollen.

1. Nach welchen Kriterien bewertet der Lehrer diese Arbeitsleistung?
2. Was wäre, wenn die Ergebnisse nicht zufriedenstellend wären?

4.1. Die Bewertungsproblematik

Sinn kreativer Verfahren ist nicht Schülerwillkür. Auch wenn der produktive Umgang mit Literatur, wie dargestellt, berechtigterweise auch Spaß machen soll, müssen gerade im Rahmen des Schulunterrichts bestimmte Kriterien gelten, nach denen bewertet werden kann und auch muss. Eine Bewertung muss in der Schule zwingend erfolgen - sei es in Form von mündlichen Noten, Klausurleistungen oder am Ende der Schulzeit in Abschlussprüfungen. Kritiker des Handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts stellen also die durchaus berechtigte Frage, wie die Arbeit mit derartigen Verfahren zu bewerten ist und wie darüber hinaus der Einsatz derartiger Aufgaben in Klausuren und Prüfungen aussehen kann. Eine einheitliche Antwort auf diese Frage ist kaum möglich. Je unterschiedlicher die Aufgaben und eingesetzten Verfahren, desto unterschiedlicher sind auch die Bewertungskriterien. Sehr wohl können aber einige Richtlinien festgelegt werden.

Produktionsorientierte Aufgaben zu stellen und zu bewerten, heißt nicht, den Schülern auf Kommando kleine literarische Kunstwerke abzuverlangen. Vielmehr soll die aktive Form des Umgangs mit dem Textoriginal im Vordergrund stehen. Bezüglich der Aufgabe „Innerer Monolog der Medea“ ist also beispielsweise der Umgang mit der Sprache im Euripides-Werk von Bedeutung. Ein angemessenes Bewertungskriterium wäre hier also die Frage, ob der Sprachstil des inneren Monologes zum „Original“ passt, oder ob Medea plötzlich im sprachlichen Stil des 21. Jahrhunderts denkt. Für die Aufgabenstellung gilt dabei, dass die Bewertungskriterien noch eindeutiger in die Formulierung eingebracht werden müssen, als dies bei analytischen Aufgaben der Fall ist. Hätte es sich bei diesem Fallbeispiel um eine Klausuraufgabe statt um eine Hausaufgabe gehandelt, wäre eine Formulierung wie „Verfasse einen inneren Monolog der Medea im Sprachstil der Medea bei Euripides. […} “ zwingend notwendig. Je offener die Aufgabe gestellt wird, desto verschiedener werden dabei die angebotenen Lösungen ausfallen. Es gilt also, den einzelnen Schüler in seiner Bearbeitung nicht inhaltlich einzuschränken, ihm jedoch klare Richtlinien zu geben, wonach anschließend bewertet wird. Weitere Kriterien finden sich ebenso problemlos. „Sind die inhaltlichen Bausteine aufgegriffen und richtig verarbeitet? Ist die vorgegebene Textsorte getroffen? Ist die Perspektive richtig erfaßt? […] Ist die konkrete Kommunikationssituation berücksichtigt?“ Ebenso gibt es Gütekriterien sprachlicher Art. Es können beispielsweise „qualitätsmindernde Faktoren“ wie „Denkfehler (z.B. Widersprüche), ungewollte Normabweichungen in Ausdruck und Satzbau“[9] etc. vorliegen.

Beim Betrachten der Schülertexte wird deutlich, warum ich in diesem Fall die Hausarbeiten als „gelungen“ bezeichne. Sowohl der sprachliche Stil der inneren Monologe ist so gewählt, dass er sich problemlos in den Text von Euripides einfügen ließe, als auch der in der Aufgabenstellung geforderte inhaltliche Aspekt der Wertung der Ereignisse aus Medeas Sicht’ ist gut gelungen.

4.2. Bewertung „mangelhaft“- wie geht es weiter?

Nicht in allen Fällen ergeben sich bei produktiven Schülerarbeiten gelungene Texte. Da der Unterricht der Stunde vom 01.03.06 maßgeblich auf den Ergebnissen der Hausaufgaben aufbaute, stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie die Weiterarbeit ausgesehen hätte, wenn die vorgelegten Texte nicht den geforderten Kriterien entsprochen hätten. Wie in 3.4.2. dargestellt, wurde das Problem in diesem Fall durch redundante Planung gelöst. Es wäre aber ebenso eine Planung möglich gewesen, die sich der produktiven Verfahren bedient. Diese Lösungsmöglichkeit soll abschließend kurz dargestellt werden.

„Schreiben als Überarbeiten - "Writing is rewriting""[10] nennt Gerhard Augst 1988 einen Artikel in der Zeitschrift „Der Deutschunterricht“ und formuliert damit einen Lösungsansatz des Problems von mangelhaften Schülertexten. Die Arbeit am Text ist nicht mit der ersten Produktion abgeschlossen. Welcher literarische Autor würde die erste Fassung seines Werkes veröffentlichen, statt eine gründliche Revision zu betreiben? Das Extrem von Goethes lebenslanger Arbeit am Fauststoff macht deutlich, dass literarische Texte wohl niemals als „fertig“ gelten können. Doch meistens werden Schülerarbeiten derart behandelt - mit der Abgabe und spätestens der Vergabe einer Note ist der Schreibprozess beendet. Schreiben als Prozess zu definieren, heißt hingegen, Schülertexte mittels einer inhaltlichen Überarbeitung zu verbessern und dem geforderten Ziel so näher zu bringen. Zu beachten ist dabei allerdings, dass es nicht um eine Korrektur im Sinne von Fehlersuche geht.

„Bei Berichtigungen geht es um falsch und richtig, bei Überarbeitungen um gelungen und weniger gelungen. Berichtigungen sind lokal begrenzt und betreffen eher die Textoberfläche, dagegen sind Überarbeitungen in der Regel großflächiger angelegt und greifen eher in die Textsubstanz ein.“[11]

Bezogen auf das Beispiel der Medea-Hausaufgabe wäre in einem solchen Fall also eine Überarbeitung des Sprachstils, aber auch der inhaltlichen Dimension denkbar. Es ist davon auszugehen, dass eine Überarbeitung im Klassenrahmen dabei ebenso effektiv wäre, wie eine Überarbeitung in Kleingruppen oder Partnerarbeit. Distanz zum eigenen Text aufzubauen, sich von anderen beraten zu lassen aber auch selbst fair zu beraten, ist dabei im kollektiven Überarbeitungsprozess ein soziales Lernziel des Deutschunterrichts. Eine ausführlich beschriebene praktische Umsetzung dieses Überarbeitungsprozesses im Klassenverband findet sich in Form des „Verbesserungszirkels“ bei Ulf Abraham[12]. Im Fall des Medea-Monologs würde die Weiterarbeit im Rahmen eines solchen Verbesserungszirkels vermutlich auch das weitere Textverständnis der Schüler fördern. Eine Anknüpfung an Christa Wolfs Monologe liegt somit auf der Hand und beweist den Vorteil der produktiven Verfahren gegenüber dem traditionellen Aufsatzunterricht.

5. Fazit des Praktikums

Die Praktikumsordnung schreibt vor, im Fachpraktikum sollen „die Beobachtungs-, Reflexions- und Handlungsaufgaben auf didaktische und methodische Aspekte des gewählten Unterrichtsfaches konzentriert werden“ und die „Analyse und Planung des Medieneinsatzes in Wechselwirkung mit Sozial- und Arbeitsformen.“[13] im Mittelpunkt stehen. Für mich hieß dies konkret, neben der reinen Unterrichtspraxis vor allem die Verfahren des handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts und des kreativen Schreibens näher zu betrachten, denen ich mich in den vergangenen Semestern durch Seminarbelegungen genähert habe. Dass ich in Northeim eine diesen Verfahren gegenüber sehr aufgeschlossene Schule und Schülerschaft vorgefunden habe, hat den Versuch, die Universitätstheorie in die Praxis der Schule zu übertragen, sehr einfach und auch erfolgreich gemacht. Auch wenn in fünf Unterrichtsstunden nur eingeschränkt Freiraum zum Erproben der Verfahren zur Verfügung steht, bin ich mit dem Praktikumsverlauf sehr zufrieden.

Dass die Planung von Unterricht und gerade das Schreiben von Entwürfen eine Menge Zeit in Anspruch nimmt, ist neben der ersten Erfahrung in einer wirklich zusammenhängenden Unterrichtsreihe die wohl wichtigste Erkenntnis für die Vorbereitung auf das Referendariat, um dort nicht negativ überrascht zu werden.

Das Corvinianum in Northeim bietet meiner Ansicht nach eine optimale Ausgangssituation für ein Fachpraktikum in Deutsch. Beginnend mit der sehr guten und ausführlichen Betreuung durch unseren Mentor Henning Bruns – vielen Dank dafür! – waren auch die anderen Lehrer jederzeit bereit, sich über die Schulter schauen zu lassen, so dass das gesamte Praktikum zu einem Erfolg wurde.

ANHANG I : Stundenentwürfe

Stundenentwurf 27.02.2006

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Verlaufsplanung

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Folgende Textauszüge aus:

Euripides: Medea (ca. 431). Texte aus Reclam Nr. 849. Übersetzung von J.J.C. Donner.

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Arbeitsauftrag:

Erarbeitet zu zweit aus den Textstellen möglichst viele Informationen darüber, was in Euripides’ Medea geschieht. Macht Euch auch Gedanken über die chronologische Abfolge, soweit dies möglich ist. Ihr könnt Euch dabei auch auf Informationen beziehen, die ihr aus den letzten Stunden oder aus anderen Quellen habt.

Stundenentwurf 01.03.2006

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Verlaufsplanung

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Textauszüge aus:

Euripides: Medea (ca. 431). Texte aus Reclam Nr. 849. Übersetzung von J.J.C. Donner.

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Verlaufsplanung

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Eigene Notizen: (nicht Teil des Entwurfs):

Wie ist Agameda?

- Durchaus starke Persönlichkeit wie Medea, jedoch nicht eigenständig, sondern abhängig (→ Ausbildung bei Medea, immer in deren Schatten usw.)
- Gute, jedoch keine überragende Heilerin, nicht wie Medea anerkannt, sondern den Ärzten des Königs untergeordnet
- Will im neuen System in Korinth Karriere machen, richtet ihr Fähnlein immer nach dem Wind → Beteiligung an der Verschwörung gegen Medea → Intrigantin
- Bereut nicht, was sie tat (egal wie schlimm das wird, auch nicht, wenn sie selbst Opfer würde) → Kaltblütigkeit
- Geht Zweckbündnisse ein, vor allem auch sexuelle → berechnend
- Kontrollierte Emotionen → schafft es ihren Hass zu verbergen, wird dadurch sehr überzeugende Anklägerin Medeas (Jason, S. 198)
- Selbstehrlichkeit: „ich sehe schlecht aus“ ABER Ich“-Bezogenheit (Häufigkeit des Wortes im Text)

Wie sieht Agameda Medea?

- Einerseits Vorbild, andererseits aber verhasste Lehrmeisterin, die keine Dankbarkeit und Liebe zeigt
- Größenwahnsinnig („umgibt sich nur noch mit ihren Verehrern“, „Unfehlbar“ (S.70)
- Versteht nicht, wieso sich diese weiterhin ausgrenzt, als starke Frau auftritt und nicht die Sitten und Gebräuche annimmt (z.B. das „erst redet der Mann“ etc.)

Warum Figur der Agameda? (Thesen)

- Medea in besserem Licht?
- Medea wird fehlbar, ist keine Überfrau mehr?
- Transferierte Eifersuchtskomponente (Euripides-Medea ß→ Wolf-Agameda)?
- Erfüllung des dem Leser bekannten gut-böse-Schemas?

Stundenentwurf 08.03.2006

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Verlaufsplanung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aufgabenzettel:

GRUPPE 1 Aufgabe:

Nachdem Agameda bei Akamas war, trifft sich dieser mit einem Freund beim Wein.

Schreibt das angefangene Gespräch mit jeweils einem Beitrag weiter!

- Der/die Erste in Eurer Gruppe schreibt Akamas’ Satz zu Ende und gibt das Blatt dann im Uhrzeigersinn weiter. Der/die Nächste schreibt die Antwort usw.
- Schreibt nicht mehr als ein oder zwei Sätze
- Tauscht euch möglichst nicht miteinander aus- je verschiedener Eure Blickwinkel auf das Geschehen, desto wertvoller werden die Ergebnisse!

Akamas: „Diese Agameda war heute bei mir…“

Freund: „Und?“

Akamas: „Ich bin nicht ganz sicher, was ich davon halten soll. Einerseits…

GRUPPE 2 Aufgabe:

Nachdem Agameda bei Akamas war, trifft sich dieser mit einem Freund beim Wein.

Schreibt das angefangene Gespräch mit jeweils einem Beitrag weiter!

- Der/die Erste in Eurer Gruppe schreibt Akamas’ Satz und gibt das Blatt dann im Uhrzeigersinn weiter. Der/die Nächste schreibt die Antwort usw.
- Schreibt nicht mehr als ein oder zwei Sätze
- Tauscht euch möglichst nicht miteinander aus- je verschiedener Eure Blickwinkel auf das Geschehen, desto wertvoller werden die Ergebnisse!

Freund: „Was hältst du von Medea?“

Akamas: „Ich bin nicht mehr sicher!“

Freund: „Was meinst du?“

Akamas: „…

ANHANG II: Schülertexte Hausaufgaben vom 27.02.2006

Leider liegt mir das Recht auf Veröffentlichung der beiden Schülertexte nur im Rahmen der Abgabe an der Universität vor.

Sebastian Hanelt, 07.08.2006

Literaturverzeichnis

1. Abraham, Ulf: Praxis des Deutschunterrichts: Arbeitsfelder, Tätigkeiten, Methoden. Donauwört: Auer 1998.
2. Augst, Gerhard: Schreiben als Überarbeiten - "Writing is rewriting" oder "Hilfe! Wie kann ich den Nip­pel durch die Lasche ziehen?" In: Der Deutschunterricht. Heft 3 (1988), S. 51-63.
3. Baurmann, Jürgen/ Ludwig, Otto: Schreiben: Konzepte und Schulische Praxis. Praxis Deutsch Sonderheft. Seelze 1996.
4. Fingerhut, Karlheinz: Umerzählen: ein Lesebuch mit Anregungen für eigene Schreibversuche in der Sekundarstufe II. Erschienen in der Schriftenreihe: Texte und Materialien zum Literaturunterricht. Frankfurt/Main: Diesterweg 1982.
5. Haas, Gerhard/ Menzel, Wolfgang/ Spinner, Kaspar H.: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. In: Praxis Deutsch. Heft 123 (1994), S.17-25.
6. Liebnau, Ulrich: Produktionsaufgaben in Klausuren. In: Praxis Deutsch. Heft 123 (1994), S.12-13.
7. Spinner, Kaspar H.: Produktive Verfahren im Literaturunterricht. In: Neue Wege im Literaturunterricht Informationen, Hintergründe, Arbeitsanregungen. Herausgeber K. H. Spinner. Hannover: Schroedel 1999. S.33-41.
8. Waldmann, Günter: Produktiver Umgang mit Literatur im Unterricht. Grundriss einer produktiven Hermeneutik. Erschienen in der Schriftenreihe Deutschdidaktik Aktuell Band 1. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag 2004.

Sonstige Quellen

9. Curriculare Vorgaben des Landes Niedersachsen für den Deutschunterricht der Oberstufe. Anlage: Fachbezogene thematische Schwerpunkte für die Qualifikationsphase (Kursstufe) in den Schuljahren 2005/06 und 2006/07 zur Vorbereitung auf die schriftliche Abiturprüfung 2007. http://www.nibis.de/nli1/gohrgs/zentralabitur_2007/07deutsch.pdf

Letzter Abruf am 15.04.2006

10. Homepage der Praktikumsschule Corvinianum Northeim.

http://www.corvinianum-online.de

Letzter Abruf am 14.04.2006.

11. Praktikumsordnung für den Studiengang „Lehramt an Gymnasien“ der Universität Göttingen. gem. Prüfungsverordnung vom 15.04.1998 in der geänderten Fassung vom 17.10.2002.

http://www.uni-goettingen.de/docs/466c184de455ed83f46e23cd24cef7f8.pdf

Letzter Abruf am 15.04.2006.

Erklärung

Ich versichere, dass ich die vorliegende schriftliche Hausarbeit (Seminararbeit) selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen sind, wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschließlich des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen) und nach den üblichen Regeln wissenschaftlichen Zitierens kenntlich gemacht. Dies gilt auch für beigegebene Zeichnungen, bildliche Darstellungen, Skizzen und dergleichen. Mir ist bewusst, dass wahrheitswidrige Angaben als Täuschungsversuch behandelt werden.

Ort, Datum Unterschrift

[...]


[1] Im Folgenden werden aus Gründen der Übersichtlichkeit und einfacheren Lesbarkeit des Textes die grammatisch maskulinen Formen „Schüler“, „Lehrer“ usw. verwendet. Gemeint sind mit diesen Bezeichnungen immer beide Geschlechter.

[2] http://www.corvinianum-online.de/

[3] Curriculare Vorgaben des Landes Niedersachsen, Anlage: Fachbezogene thematische Schwerpunkte für die Qualifikationsphase (Kursstufe) in den Schuljahren 2005/06 und 2006/07 zur Vorbereitung auf die schriftliche Abiturprüfung 2007. http://www.nibis.de/nli1/gohrgs/zentralabitur_2007/07deutsch.pdf

[4] vgl. Haas, Menzel, Spinner 1994, S.18

[5] Spinner 1999, S.33

[6] vgl. Fingerhut 1982

[7] vgl. Waldmann 2004, S.28

[8] Waldmann 2004, S.29

[9] vgl. Liebnau 1994, S.12

[10] Augst 1988, S.51

[11] Baurmann/Ludwig 1996, S.14

[12] Abraham 1998, S.226

[13] Praktikumsordnung für den Studiengang „Lehramt an Gymnasien“ der Universität Göttingen, S.10

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Praktikumsbericht Fachpraktikum Deutsch
Veranstaltung
Begleitseminar Fachpraktikum Deutsch
Note
gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
45
Katalognummer
V110261
ISBN (eBook)
9783640084364
Dateigröße
1798 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Praktikumsbericht, Fachpraktikum, Deutsch, Begleitseminar, Fachpraktikum, Deutsch
Arbeit zitieren
Sebastian Hanelt (Autor:in), 2006, Praktikumsbericht Fachpraktikum Deutsch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110261

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