Wahlenthaltung als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise?


Hausarbeit, 2006

15 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

II. Einleitung

II. Ursachen der Wahlenthaltung

III. Normalisierungs- & Krisenthese

IV. Stimmenthaltung als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise?

V. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Ein auffälliges Problem von westlichen Demokratien ist die stetig sinkende Beteiligung bei Wahlen. Dieses Phänomen „sorgt zwar ,am Tag danach’ (Anm.: gemeint ist der Tag nach einer Wahl) regelmäßig für besorgte Kommentare und tiefschürfende Analysen, doch schon am übernächsten Tag, wenn die Parteigremien ihre Konsequenzen – zumeist personeller Art – aus den Wahlergebnissen gezogen hatten, gehen PolitkerInnen und politische Kommentatoren wieder zur Tagesordnung über“[1]. Dies gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland, auch wenn sie im Vergleich zu anderen demokratischen Staaten, wie zum Beispiel den Vereinigten Staaten, Großbritannien oder der Schweiz, noch eine relativ geringe Nichtwählerquote aufweist. Allerdings verdeutlichen die dramatisch gesunkenen Wahlbeteiligungen bei den jüngsten Landtagswahlen im Frühjahr 2006 in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz, dass das politische System der Bundesrepublik von diesem Problem nicht ausgenommen ist. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob die steigenden Wahlenthaltungen als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise des demokratischen Systems in Deutschland interpretiert werden können.

Die Thematik der Wahlenthaltungen wurde und wird in vielen sozialwissenschaftlichen Studien intensiv untersucht und diskutiert. Hierbei lassen sich in Bezug auf die eben genannte Fragestellung zwei Strömungen in der wissenschaftlichen Literatur erkennen: Während die eine Richtung in der sinkenden Beteiligungsquote bei Wahlen die Gefahr einer Delegitimierung des politischen Systems sehen, ist die andere Richtung davon überzeugt, dass eine niedrige Wahlbeteiligung keinesfalls ein Anzeichen dafür darstellt, sondern einen Normalisierungstrend widerspiegelt. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der so genannten Krisen- bzw. Protestthese und der Normalisierungsthese.

Im Folgenden werde ich zunächst die in der Literatur erörterten Faktoren für Wahlenthaltungen kurz darstellen. Danach werden die eben genannten Ansätze der Krisen- bzw. Protest- und der Normalisierungsthese dargestellt. Abschließend werde ich, anhand der vorangegangen Ausarbeitungen, die oben genannte Fragestellung diskutieren.

II. Ursachen der Wahlenthaltung

Nachdem in den 1970er Jahren über 90 Prozent der wahlberechtigten Bürger in der Bundesrepublik Deutschland ihr Stimmrecht bei den Bundestagswahlen wahrnahmen, ging die Wahlbeteiligungsquote seit dem Jahr 1983, mit den Ausnahmen der Bundestagswahlen 1994 und 1998, bei denen ein leichter Anstieg der Wahlbeteiligung zu verzeichnen war, kontinuierlich zurück. Ein Blick auf die Wahlbeteiligungen bei Landtagswahlen bestätigt diesen Trend, wobei die Ergebnisse hier wesentlich deutlicher sind. Doch was sind die Ursachen für diesen offensichtlichen Trend der Wahlenthaltung?

Iris Krimmel bezieht in ihrer Untersuchung „Politische Einstellungen als Determinanten des Nichtwählens“ vier Variablen ein, die ihrer Meinung nach „in der Literatur als zentrale Determinanten der Stimmenthaltung“ in die Untersuchung von Wahlenthaltungen einbezogen werden sollten[2]: Diese sind das politische Interesse, das Vorhandensein einer Parteiidentifikation, Parteienverdrossenheit und die Demokratiezufriedenheit[3]. Auch bei Jürgen W. Falter und Siegfried Schumann haben diese Faktoren in ihren Untersuchungen von Ursachen der Wahlenthaltungen eine zentrale Bedeutung[4].

Das politische Interesse wurde in früheren Untersuchungen zum Thema Nichtwähler als die zentrale Variable für die Beteiligung an Wahlen gesehen. Demnach neigen wahlberechtigte Bürger, die ein großes politisches Interesse aufweisen und somit über Wissen an politischen Sachthemen besitzen, eher zu einer Beteiligung an Wahlen, als Bürger, die nur ein geringes politisches Interesse haben. Seit Anfang der 1990er Jahre wird jedoch verstärkt die These vertreten, dass immer mehr an Politik interessierte Bürger die Stimmenthaltung als Option wählen, um ihren Protest auszudrücken[5]. Empirisch lässt sich diese These allerdings schwer begründen. Zwar ist der Nichtwähleranteil der politisch interessierten Menschen im Zeitraum zwischen 1977 und 1993 angestiegen, die überwiegende Mehrheit der Nichtwähler ist jedoch im genannten Zeitraum immer noch unter den politisch Desinteressierten Bürgern zu finden[6]. Ein weiterer Einwand, der gegen diese neue These erhoben wird, ist der Erfolg von so genannten nicht – etablierten Parteien, die als Zeichen des Protestes von politisch Interessierten vermehrt gewählt werden[7].

Die zweite genannte Variable ist die Parteiidentifikation bzw. die Bindung zu einer Partei: Diese Erklärungsvariable ist laut Krimmel, sowie laut Falter und Schumann durchaus günstig, um ein Nichtwahlverhalten zu erklären, bzw. vorherzusagen. Demnach „führt das Vorhandensein einer Parteiidentifikation zur psychologischen Einbindung in den Bereich Politik“[8]. Das Vorhandensein einer Identifikation mit einer Partei hat somit also auch im Bezug auf die Legitimität des politischen Systems eine stabilisierende Wirkung.

In Bezug auf die eingangs genannte Fragestellung sind die letzen beiden Variablen, Parteien – und Demokratieverdrossenheit, von besonderer Bedeutung. Parteien stellen als Akteure im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Bedeutung dar. Deshalb liegen die Begriffe Parteien- und System-, bzw. Demokratieverdrossenheit eng beieinander. Aus empirischen Untersuchungen geht hervor, dass sowohl in den alten, als auch in den neuen Bundesländern, Bürger, die mit dem demokratischen System und Bürger die mit der Leistung der vertretenen Parteien unzufrieden sind, verstärkt ihr Wahlrecht nicht ausüben. Daneben wählen solche Menschen verstärkt auch nicht – etablierte bzw. systemkritische Parteien[9]. „Als Interpretationsansatz sollen (…) die Begriffe Protest und Ausstieg dienen. Wer sich von einem Verkäufer schlecht behandelt fühlt, hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten sein Missfallen zu zeigen: Er kann sich bei der Geschäftsleitung beschweren oder das Geschäft verlassen ohne zu kaufen. In vielen anderen Lebensbereichen, so auch in der Politik, bestehen funktional gleichwertige Alternativen. Fühlt sich ein Staatsbürger, aus welchen Gründen auch immer, vom politischen System und den tragenden Parteien – gleichgültig, ob in der Regierung oder in der Opposition – nicht gut bedient, kann er seinen Protest durch die Wahl einer Partei, die in Opposition zum System steht, oder durch (vorübergehenden oder dauerhaften) Ausstieg aus der Politik, d.h. durch Stimmenenthaltung, äußern. Erstes bezeichnet man in der Politikwissenschaft als „voice“, letzteres als „exit“.“[10]

Für die Fragestellung, ob die zunehmenden Wahlenthaltungen als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise dient, ist in diesem Zusammenhang lediglich die „exit“ – Option interessant. Diesbezüglich werden in der Literatur, wie bereits eingangs erwähnt, zwei Möglichkeiten diskutiert, nämlich die so genannte Krisen- und die Normalisierungsthese.

III. Normalisierungs- und Krisenthese

Einer der prominentesten Verfechter der so genannten Normalisierungsthese ist der Mannheimer Wahlforscher Dieter Roth. Für ihn ist die sinkende Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland eher ein Anzeichen für das Funktionieren einer Demokratie und somit für die Normalisierung bzw. Stabilisierung, als ein Hinweis für eine schleichende Krise des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland[11]. Da er den Rückgang der Wahlbeteiligung also eher als eine längerfristigere Normalisierung wertet, hält er es für wesentlich erklärungsbedürftiger, warum es nach wie vor eine relativ hohe Beteiligungsquote bei Wahlen in Deutschland gibt und warum in den 1970er Jahren eine extrem hohe Wahlbeteiligung vorlag. Dies ist für Roth auch deshalb verwunderlich, da für etwa die Hälfte der Bevölkerung Politik kaum mehr eine Rolle spiele[12].

Die Höhe der Beteiligungsquote „meinen manche Politikwissenschaftler mit Hinweis auf einen Blick über die eigenen Grenzen“[13] sage ohnehin nicht viel über den Zustand von politischen Systemen aus. Wie bereits erwähnt, ist der Nichtwähleranteil in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu Staaten wie den Vereinigten Staaten oder in der Schweiz, wo die Wahlbeteilung seit Anfang der 1970er zwischen 42 Prozent und 49 Prozent schwankt, immer noch(jedenfalls bei Bundestagswahlen) relativ niedrig. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Stabilität der politischen Systeme dieser Länder in den letzten Jahrzehnten, so ist festzustellen, dass sie trotz der andauernden geringen Wahlbeteiligung noch nie gescheitert sind, bzw. vor einem existentiellen Legitimationsproblem standen.[14]

Dieter Roth sieht den Hauptgrund der Normalisierungsentwicklung allerdings nicht im internationalen Vergleich. Vielmehr meint, dass keine Krise der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland vorliegt, da es genügend Befunde gibt, „die eher das Gegenteil beweisen“[15]. Demnach sei die Zufriedenheit mit der Demokratie relativ groß, woraus Roth die Schlussfolgerung zieht, dass das System funktioniere. Die Bedeutung der Nichtwahl ist für ihn auch deshalb nicht von so großer Bedeutung, da die meisten Bürger in Wahlen keine Abstimmung über das demokratische System sehen und das Gefühl haben, dass sie nicht bei jeder Wahl gebraucht werde[16].

Roth erkennt in der sinkenden Wahlbeteiligung allerdings auch einen Wertewandel, der unter anderem darin zu sehen ist, dass die Teilnahme an einer Wahl nicht mehr als Bürgerpflicht angesehen wird und das heute viel mehr Bürger, zum teil aus trivial erscheinenden Gründen, von ihrem Stimmrecht keinen gebrauch machen, als dies früher (vor allen Dingen in den 1970er Jahren) der Fall gewesen sei. Die so genannte Wahlnorm ist laut Roth gerade bei jungen Wahlberechtigten stark gesunken, was für ihn allerdings auch eher das Resultat eines Normalisierungsprozesses ist, als auf eine Krise des demokratischen Systems hindeute.[17]

Die Gegenposition zu diesen Annahmen wird in der so genannten Krisenthese formuliert. Eine der prominentesten Vertreterinnen ist Ursula Feist. Ihrer Meinung nach ist das Absinken der Wahlbeteiligung kein Indiz einer schleichenden demokratischen Normalisierung, sondern vielmehr ein Zeichen für eine mannigfaltige politische Unzufriedenheit[18] Dieses Gefühl äußert sich demnach in mangelndem bis gar keinem Interesse an politischen Entwicklungen bzw. an der Politik im Allgemeinen. Ursache dafür ist ihrer Meinung nach, dass die meisten dieser unzufriedenen Bürger die Auffassung vertreten, es sei für die eigenen Lebensverhältnisse völlig irrelevant, welche politischen Akteure gewählt würden, da sie sowieso keinen Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben können[19]. Dieses Misstrauen mündet dann in einer weit verbreiteten Aversion gegen die politischen Eliten und in einem immer weiter schwindenden Vertrauen in das politische System[20].

Die Verweigerung der Stimmabgabe ist der Krisenthese zur Folge ein bewusstes Mittel, um die Unzufriedenheit oder die Ablehnung mit den Leistungen und dem politischen System als solches auszudrücken. Es sind also nicht mehr nur politisch uninteressierten, sondern zunehmend auch politische interessierte Bürger die sich ihrer Stimme enthalten (siehe Punkt II).

Die Entwicklungen von demokratischer Normalisierung, wie zum Beispiel der durch Wahlen herbeigeführte Machtwechsel oder das Aufkommen und die Etablierung von nicht - etablierten Parteien, wie beispielsweise der Grünen, wird aus Sicht der Vertretern der Krisenthese von „beunruhigenden Symptomen“[21] begleitet. Nämlich durch das verstärkte Auftreten von systemkritischen, populistischen und so genannten „One – Issue“ Parteien. Dieses Phänomen ist die, bereits in Punkt II beschriebene; „voice“ – Option.

Nun stellt sich die Frage, ob die anhaltend hohe Nichtwählerquote ein Anzeichen für eine demokratische Normalisierung ist, und somit keine schleichende Legitimationskrise zu erkennen ist, oder ob wir uns auf dem Weg in eine solche Krise befinden und der Akt des „Nichtwählens“ ein Indikator dafür darstellt. Dies möchte ich nun abschließend diskutieren.

IV. Stimmenenthaltung als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise?

Betrachtet man Wahlen als eine zentrale Partizipationsform von demokratischen Gesellschaften, so ist die Höhe der Wahlbeteiligung von großer Bedeutung, denn Wahlen gewährleisten einen lebhaften Wettbewerb von verschiedenen Programmen unterschiedlicher Parteien. „Wenn Demokratie bedeutet, dass alle Macht vom Volke ausgeht, dann ist die politische Teilnahme und Teilhabe eine Grundvorrausetzung für die politische Mitsprache und zwar nicht weniger, sondern möglichst vieler.“[22] Eine niedrige Wahlbeteiligung hat demnach also einen direkten Einfluss auf die Legitimität des politischen Systems.

Meiner Meinung nach greift diese These allerdings viel zu kurz: Zunächst sollte festgehalten werden, dass eine niedrig Wahlbeteiligung, wie bereits mehrfach erwähnt, keinesfalls automatisch ein demokratisches System „zum Einsturz“ bringen muss, bzw. ein Indikator für eine schleichende Legitimitätskrise darstellt. Die Schweiz ist hierfür ein gutes Beispiel: Dort liegt die Wahlbeteiligung, wie bereits mehrfach erwähnt, seit den 1970er Jahren bei den Nationalratswahlen zwischen 42% - 49%. Ernste Anzeichen für eine Mangel an Legitimität des demokratischen Regierungssystems sind hier allerdings nicht zu erkennen, was unter anderem dadurch begründet werden kann, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung und auch ein großer Anteil der Nichtwähler (in der Schweiz sind es laut Umfragen über ¾ der Nichtwähler) mit dem politischen System der Schweiz zufrieden sind[23]. In Deutschland gehen im Vergleich zur Schweiz wesentlich mehr Leute zu Wahlen (bei der Bundestagswahl 2002 beteiligten sich 79,1% und bei der Bundestagswahl 2005 77,7% der Wahlberechtigten an der Wahl). Eine schleichende Legitimitätskrise des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland durch die Wahlbeteiligung zu begründen ist meiner Meinung nach deshalb sehr fragwürdig.

Daraus allerdings nun zu schließen, dass die Diskussion um die Legitimität in Bezug auf das Nichtwählerphänomen damit erledigt sei, ist allerdings falsch. Vielmehr ist es notwendig, die Ursachen von Wahlenthaltungen zu betrachten, die, auf die gesamte „Nichtwählerschaft“ bezogen, sehr vielfältig sind. Die beiden Variablen Parteienverdrossenheit und die Demokratiezufriedenheit, dich ich in Punkt II beschrieben habe, eignen sich meiner Meinung nach hier und für Diskussion um die in Punkt III dargestellten Thesen der Normalisierung und der Krise, sehr gut.

Der Ansatz, der Wahlenthaltungen als ein Anzeichen einer schleichenden Krise deutet, sieht in der steigenden Nichtwählerquote eine zunehmende Unzufriedenheit mit dem demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland[24]. Vertreter der Normalisierungsthese gehen hingegen davon aus, dass die sinkende Wahlbeteiligung für die Normalisierung eines funktionierenden demokratischen Systems steht[25] und die Wahlenthaltung als Zustimmung zur Demokratie interpretiert werden kann. Betrachtet man hier die in diesem Zusammenhang erfassten Daten, so stellt man zunächst fest, dass der Anteil unter den Nichtwählern, die mit dem politischen System unzufrieden sind in dem Zeitraum von 1977 bis 1993 (wenn auch unregelmäßig) angestiegen ist. Er schwankt zwischen 10% und 20%[26]. Ein besonders hoher Anteil unter den Nichtwählern, die mit dem politischen System unzufrieden sind, ist seit Anfang der 1990er in den neuen Bundesländern zu finden[27]. Diese Unzufriedenheit kann aber auch als Enttäuschung über die nicht gehaltenen Versprechen von Politikern und Parteien interpretiert werden, die in einer generellen Unzufriedenheit mit dem politischen System kanalisiert wird, als solche aber eher auf die politischen Akteure und nicht auf das System zielt. Laut Ulrich Sarcinelli lässt sich diese Annahme auf den größten Teil der Nichtwähler in Deutschland beziehen. Demnach hat sich der „Nichtwählertyp“ zwischen den 1980er und 1990er Jahren sehr verändert: „Konnte man vereinfacht den alten Nichtwähler der 80er Jahre als im Großen und Ganzen zufrieden, aber politisch desinteressiert bezeichnen, so ist der neue Nichtwählertyp unzufrieden, aber politisch. Wahlenthaltung ist für ihn ein bewusst eingesetztes politisches Sanktionsmittel. Seine Wahl ist die Nicht – Wahl, mit der er sich nicht gegen das System, sondern gegen Parteien und Politiker wendet.“[28]

Betrachtet man allerdings Parteien und Politiker nicht nur als Akteure, sondern als zentralen Bestandteil des demokratischen Systems, so stellt sich hier die Frage, ob der Protest gegen ebendiese (der vielfach in der Wahlenthaltung mündet) ein Indiz für eine schleichende Legitimationskrise des politischen Systems darstellt. Martin Greiffenhagen stellt hierzu fest, dass in der Verbindung zwischen Kritik an den Parteien bzw. des Parteiensystems und der sinkenden Unterstützung des demokratischen Systems gravierende Unterschiede zwischen verschieden europäischen Staaten gibt: „Während in Italien eine Krise des Parteienstaates durchaus zu einer generellen Krise der Demokratie werden kann, unterstützt in Deutschland und in den Niederlanden eine breite Mehrheit der Bevölkerung nicht nur das Ordnungsmodell der Demokratie, sondern auch ihre politische Praxis.“[29]

Meiner Meinung nach muss die Frage, ob Wahlenthaltung als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise interpretiert werden kann, aufgrund der oben dargestellten Ausführungen, verneint werden. Die Wahlbeteiligung ist, obwohl sie immer weiter sinkt, immer noch auf einem derart hohen Niveau, dass eine Legitimationskrise nicht erkennbar ist. Auch die Ergebnisse der Wahlenthaltungsforschung, erscheinen mir nicht triftig genug, um eine schleichende Legitimationskrise, in dem Verhalten der „Nichtwahl“ zu sehen. Die Motivationen (fehlende Parteiidentifikation, fehlendes politisches Interesse etc.) nicht zur Wahl zu gehen sind derart vielfältig, dass von einem Vertrauensentzug eines Großteils der Bevölkerung, also einer massiven Legitimationskrise der politischen Ordnung bzw. des politischen Systems, nicht ausgegangen werden kann. Ich stimme außerdem der Grundannahme der Normalisierungsthese zu, dass viele Wähler eine Wahl, beispielsweise die Bundestags- oder eine Landtagswahl, nicht als Abstimmung über das politische System ansehen.

Das Misstrauen gegen politische Eliten ist meiner Meinung nach auch von der Ablehnung des politischen Systems zu trennen. Wie oben bereits dargestellt, projizieren die meisten Unzufriedenen unter den Nichtwählern, ihren Missmut gegenüber den Leistungen von Politikern und Parteien auf das ganze politische System. Der große Anteil von Ostdeutschen, die mit der Demokratie unzufrieden sind und deshalb die Wahl boykottieren, lässt sich auch durch die, im Vergleich zu Westdeutschland, schlechte ökonomische Situation erklären.

Wegen diesen verschiedenen Gründen von Wahlenthaltungsmotiven, kann man meiner Meinung nach nicht von einer schleichenden Legitimationskrise des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland sprechen, die durch die Wahlenthaltung erklärt werden kann

V. Literaturverzeichnis

Bauer, Dr. Werner T., Wenn die Wähler weniger werden – Überlegungen zum Problem der sinkenden Wahlbeteiligungen, Wien, 2004, online unter http://www.politikberatung.or.at/documents/wahlbeteiligung.pdf, Stand: 04.07.2006

Falter, Jürgen W. & Schumann, Siegfried Nichtwahl und Protestwahl: Zwei Seiten einer Medaille, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Band 11, 1993, S. 36 - 49

Gabriel, O.W./Falter Jürgen (Hrsg.): Wahlen und politische Einstellungen in westlichen Demokratien, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M, 1996, S. 321 - 355

Greiffenhagen, Martin Politische Legitimität in Deutschland, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 1997

Hartenstein, Wolfgang, Fünfjahrzehnte Wahlen in der Bundesrepublik: Stabilität und Wandel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Band 21, 2002

Korte, Karl – Rudolf, Nichtwähler und Protestwähler, Bonn, 2002, online unter: http://www.bpb.de/themen/FSCODB,0,0,Nichtw%E4hler_und_Protestw%E4hler.html, Stand: 04.07.2006

Maier, Jürgen, Politikverdrossenheit in der Bundesrepublik Deutschland – Dimensionen – Determinanten – Konsequenzen, Leske + Budrich, Opladen, 2000

Sowaidnig, Ina, Die Unterstützung der Demokratie in Deutschland und Italien – Eine empirische Analyse zum Einfluss der traditionellen politischen Teilkulturen 1959 bis 1992, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/M, 1997

Starzacher, Karl; Schacht, Konrad; Friedrich, Bernd (Hrsg.): Protestwähler und Wahlverweigerer, Bund Verlag, Köln 1992, S. 40 57; S.58 – 68

[...]


[1] Bauer, Dr. Werner T., Wenn die Wähler weniger werden – Überlegung zum Problem der sinkenden Wahlbeteiligung, 2004, S.3

[2] Krimmel, Iris Politische Einstellungen als Determinanten des Nichtwählens, in: Gabriel, O.W./Falter Jürgen (Hrsg.): Wahlen und politische Einstellungen in westlichen Demokratien, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M, 1996, S.323

[3] ebd., S.323

[4] Vgl. Falter, Jürgen W. & Schumann, Siegfried Nichtwahl und Protestwahl: Zwei Seiten einer Medaille, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Band 11, 1993, S.36 – 49

[5] Vgl. Krimmel, a.a.O., S.324

[6] Vgl. ebd., a.a.O., Abbildung 2, S.328

[7] Falter/Schumann, a.a.O., S.37

[8] Krimmel, a.a.O. S.324

[9] Falter/Schumann, a.a.O., S.38

[10] Falter/Schumann, 1993, a.a.O., S.38

[11] Vgl. Roth, Dieter, Sinkende Wahlbeteiligung – eher Normalisierung als Krisensymptom, in: Starzacher, Karl; Schacht, Konrad; Friedrich, Bernd (Hrsg.): Protestwähler und Wahlverweigerer, Bund Verlag, Köln 1992, S.58 - 68

[12] Vgl. ebd., S.58

[13] Vgl. Bauer, a.a.O. S. 5

[14] Vgl. Bauer, a.a.O. S. 5

[15] Vgl. Roth, a.a.O. S. 59

[16] Vgl. ebd. 58 - 61

[17] Vgl. ebd., a.a.O., S. 58 - 68

[18] Vgl. Feist, Ursula, Niedrige Wahlbeteiligung – Normalisierung oder Krisensymptom der Demokratie in Deutschland, in: Starzacher, Karl; Schacht, Konrad; Friedrich Bernd (Hrsg.), Protestwähler und Wahlverweigerer, Bund Verlag, Köln, 1992, S. 40 - 57

[19] Vgl., ebd.

[20] Vgl. ebd. S. 43 - 44

[21] Bauer, a.a.O., S. 6

[22] Bauer, a.a.O., S.6-7

[23] ebd., S. 5

[24] Vgl. Feist S. 40 - 47

[25] Vgl. Roth, S. 66

[26] Vgl. Krimmel, a.a.O., S.330 Abbildung 1

[27] Vgl. ebd.,S.331 Tabelle 2

[28] Sarcinelli, Ulrich, (Zit. Greiffenhagen, Martin, Politische Legitimität in Deutschland, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 1997, S.360), Vom Wählen und nicht Wählen. Wahlsoziologische Versuche zum Verständnis des Souveräns, in DP 39

[29] Martin Greiffenhagen, Politische Legitimität in Deutschland, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 1997, S. 367

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Wahlenthaltung als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise?
Hochschule
Universität Bremen
Veranstaltung
Legitimationsprobleme des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland
Note
2,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V110209
ISBN (eBook)
9783640083855
Dateigröße
404 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahlenthaltung, Indikator, Legitimationskrise, Legitimationsprobleme, Systems, Bundesrepublik, Deutschland
Arbeit zitieren
Bertil Starke (Autor:in), 2006, Wahlenthaltung als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110209

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Wahlenthaltung als Indikator einer schleichenden Legitimationskrise?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden