Vergleichende Interpretation Gabriele Wohmann "Ich bin kein Insekt" und Franz Kafka "Die Verwandlung"


Referat / Aufsatz (Schule), 2006

6 Seiten, Note: 11 Punkte


Leseprobe


Vergleichende Interpretation

Gabriele Wohmann: „Ich bin kein Insekt“ (1979)

Franz Kafka: „Die Verwandlung“ (1915)

„Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen.“ Mit diesem Zitat von Arthur Schopenhauer möchte ich die Interpretation des Gedichtes „Ich bin kein Insekt“ von Gabriele Wohmann beginnen.

Gabriele Wohmann wurde am 21.5. 1932 in Darmstadt geboren. Die Schriftstellerin ist eine Meisterin exakter Beobachtung. Sie ist unerbittlich im Aufdecken menschlicher Schwächen. Ihre Werke handeln von kleinen Menschen mit großen Träumen, von unerfüllten Wünschen und zerschlagenen Hoffnungen, von Durchschnittsmenschen, denen viel wiederfährt und die doch nichts erleben. In ihrem Gedicht „Ich bin kein Insekt“ beschreibt das lyrische Ich das Gefangensein im eigenen Körper und die Intoleranz anderer Menschen gegenüber eines Lebewesens. In den beiden Strophen, wobei die erste aus 12 und die zweite aus 10 Versen besteht, bemerkt man zusehends, wie aus einem eigenständigen Menschen ein eingeschränktes Versuchstier wird. Das Gedicht „Ich bin kein Insekt“ besitzt kein Reimschema, um die Bedeutungslosigkeit des Lebewesens darzustellen. Das lyrische ich behauptet von sich selbst, dass es kein Insekt ist, jedoch wie eines aussieht: „Ich bin kein Insekt aber insektenmäßig“ (Vers 1-2). Durch diese Antithese wird der Unterschied des Äußeren eines Lebewesens und der inneren Gefühle deutlich gemacht. Das in dem Gedicht beschriebene Insekt ist auf den Rücken gefallen und seine Beine suchen in der Luft, was so viel heißt, als dass es völlig wehrlos und ausgeliefert daliegt. Mit Hilfe seines eigenen Willens ist es jedoch in der Lage, sich wieder auf den Bauch zu drehen. Damit ist sicherlich die persönliche Stärke eins Menschen gemeint, sein Leben selbst zu beeinflussen. Die Anapher „Ich habe Glück, Ich kippe mich seitlich um, Ich befinde mich auf meinen Füßen“ (Vers 6-8) zeigt, dass es sich bei dem lyrischen Ich nicht um sein Insekt handelt, sondern um einen selbst denkenden Menschen. Doch es kommt zu einer Wendung, denn das lyrische Ich hat ein schlechtes Gewissen gegenüber einer Person, der es nach eigener Meinung durch seine Selbstständigkeit keinen Nutzen mehr bringt. Das Paradoxon „Jemand dessen Spiel ich verdarb legt mich ganz freundlich zurück“ (Vers 13-14) zeigt, dass sich das lyrische Ich ohne Rücksicht auf Verluste dem Experiment hergeben muss, denn es ist nur dafür brauchbar. Mit entblößtem Bauch, der ein Symbol für Verwundbarkeit darstellt, liegt das lyrische Ich völlig wehrlos da und muss sich als Versuchstier beobachten lassen, was durch das Enjambement „Ich bin wieder auf dem Rücken so bin ich brauchbar“ (Vers 16-17) deutlich gemacht wird. Das Gedicht „Ich bin kein Insekt“ von Gabriele Wohmann stellt einen Hilferuf derjenigen dar, die von der Gesellschaft als niedere Wesen angesehen werden. Die Autorin greift die Gesellschaftsproblematik auf, um ein Zeichen dafür zu setzen, dass andere Menschen nicht nach ihrer sozialen Stellung, ihrem Aussehen oder Ähnlichem beurteilt werden sollten. Jeder Einzelne muss die Chance haben, sein Leben nach eigenen Interessen gestalten zu können und nicht als Arbeits- bzw. Versuchstier missbraucht werden.

Rund 60 Jahre vor der Entstehung des Gedichtes „Ich bin kein Insekt“ von Gabriele Wohmann, verfasste Franz Kafka in der Zeit des Expressionismus die groteske Erzählung „Die Verwandlung“, welche von dem Protagonisten Gregor Samsa handelt, der nicht nur an den Folgen seiner Verwandlung, sondern vielmehr an der Lieblosigkeit und Intoleranz seiner Familie stirbt. Der Handelsreisende Gregor Samsa erwacht eines Morgens zu spät und sieht sich als riesiges Insekt verwandelt auf dem Rücken liegend. Durch seine Verwandlung bedingt hat er große Probleme mit dem Aufstehen. Bereits am Anfang der Erzählung kann man schon die Parallelen zu Gabriele Wohmanns Gedicht „Ich bin kein Insekt“ erkennen, denn das lyrische Ich befindet sich ebenfalls auf dem Rücken und seine Beine suchen in der Luft. Als sich Gregor seines Käferdaseins besinnt, wird er von seiner Familie bemerkt, welche ihn versteckt und nicht in seiner neuen Form begreift. Auch der Druck von Seiten seines Arbeitgebers wird sichtbar. Der Prokurist der Firma kommt persönlich, und schreckt auch nicht davor zurück, Gregor vor seiner Familie zu demütigen. Man könnte deshalb vermuten, dass die Verwandlung unter dem Druck seiner Familie sowie seiner Arbeitsplatzbedingungen vor sich gegangen ist. Gregor flieht praktisch vor seiner von der Familie ausgenutzten Person – er arbeitet alleine, zahlt die Schulden ab und gewährt der Familie einen gewissen Lebensstandard. Körperlich ist er zwar ein Insekt, geistig jedoch immer noch Mensch. Er kann aber in seiner jetzigen Position als Insekt seine Familie so ausnützen wie sie ihn vorher, den Prokuristen verschrecken oder unangenehme Untermieter verjagen. Da ihn aber sein Vater weiter unter Druck hält, ihn z.B. einsperrt und mit Äpfeln bewirft, kann er nicht mehr weiterleben. Er stirbt nun, da er seiner Familie nicht zur Last fallen will, denn er kann sich als Insekt nicht an die unflexiblen Strukturen seiner Familie anpassen. Gregor stirbt ohne den Wunsch wieder Mensch sein zu können – diesen Wunsch hegte er nicht einen Augenblick in seinem Insektendasein. Kafka zeigt die Flucht eines Menschen in eine seiner Umwelt unbegreifliche Position. Die ihn umgebende Gesellschaft ist unfähig mit dieser Verwandlung zu leben und ihn als Mitglied anzusehen. Der verwandelte Mensch kann seine Umwelt ebenfalls nicht begreifen, die so eigenartig reagiert. Deshalb will er nicht mehr zurück in das alltägliche Dasein als Mensch. Er kann eingesperrt und unterdrückt nicht leben, aber sich auch nicht wehren. Gregor ist seinem Schicksal unsausweichlich ausgeliefert. Er begreift den Sinn des Insektendaseins nicht und er macht sich auch keine Gedanken darüber. Durch dieses Dasein als Käfer, verschuldet er sich dennoch an seiner Familie, insofern er ihr finanzielle und gesellschaftliche Probleme bereitet. Seine ersten Gedanken als Insekt kreisen nur um seine Pflichten – er will unbedingt arbeiten gehen, wird aber durch seinen Körper daran gehindert. Das lyrische Ich in Gabriele Wohmanns Gedicht „Ich bin kein Insekt“ hat ähnliche Gedanken wie Gregor Samsa. Der eigene Wille und die persönlichen Wünsche haben keine Bedeutung. Alles was zählt ist der Nutzen, den andere aus ihm ziehen können. Es ist genauso eingeschränkt in seinem Dasein wie Gregor, denn es wird nur als Versuchstier angesehen: „Ich diene dem Fortschritt, mit mir kann man etwas beweisen.“ (Vers 21-22) Meiner Meinung nach hat Kafka den Käfer als Tiermetapher gewählt, um ein nach außen sichtbares Zeichen einer umfassenden Selbstentfremdung zu setzen. Die Entfremdung, die Gregor in seinem Beruf erfährt, führt gleichzeitig zur Veränderung seines eigenen Ichs. Gregors Verwandlung zum unnutzen und parasitären Insekt kann man auch als Gegenreaktion auf das ausbeuterische Verhalten seiner Umwelt betrachten, denn trotz Gregors aufopferungsvollen Dienstes bleibt bei ihm immer ein Gefühl der Minderwertigkeit und der Fremdheit. Als er eines Tages erwacht, erblickt er jedoch endlich die Wirklichkeit – seinen völlig sinnenthobenen beruflichen Alltag, das Fehlen menschlicher Wärme, die Armut seines Gefühlslebens und nicht zuletzt auch die Vernachlässigung seiner eigenen Bedürfnisse.

Meine Schlussfolgerungen sind, dass es zahlreiche Parallelen zwischen dem Gedicht „Ich bin ein Insekt“ von Gabriele Wohmann und der grotesken Erzählung „Die Verwandlung“ von Franz Kafka gibt. In dem Gedicht ist es das lyrische Ich, welches von der Außenwelt missbraucht wird und in Kafkas Erzählung Gregor Samsa. Beiden Parteien war es immer nur wichtig für andere Menschen brauchbar zu sein. Der eigene Wille stand stets im Hintergrund. Die Funktion des Rückverweises auf die groteske Erzählung „Die Verwandlung“ ist es, schwache Menschen stärker zu machen und sie in ihrer eigenen Persönlichkeit zu bestätigen. So wie es im zweiten Brief des Paulus an die Korinther geschrieben steht: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Quellen: Gedicht „Ich bin kein Insekt“ von Gabriele Wohmann; Lexikon (Biographie der Autorin)

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Vergleichende Interpretation Gabriele Wohmann "Ich bin kein Insekt" und Franz Kafka "Die Verwandlung"
Note
11 Punkte
Autor
Jahr
2006
Seiten
6
Katalognummer
V110137
ISBN (eBook)
9783640083138
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
zur Prüfungsvorbereitung
Schlagworte
Vergleichende, Interpretation, Gabriele, Wohmann, Insekt, Franz, Kafka, Verwandlung
Arbeit zitieren
Christiane Hak (Autor:in), 2006, Vergleichende Interpretation Gabriele Wohmann "Ich bin kein Insekt" und Franz Kafka "Die Verwandlung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110137

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