Eine Einführung in die drei Formen der Herrschaft nach Max Weber


Hausarbeit, 2002

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Vorbemerkung

1. Max Webers Leben und Werk

2. Max Webers Vorstellung der drei Typen legitimer Herrschaft
2.1. Herrschaft und Legitimationsglaube
2.2. Die legale Herrschaft
2.3. Die traditionelle Herrschaft
2.4. Die charismatische Herrschaft
2.5. Zusammenfassung

3. Charismatische Herrschaft als Grundlage für die Herausbildung neuer Religionen
3.1. Charismadefinitionen
3.2. Entstehungsbedingungen von charismatischen Bewegungen
3.3. Ausübung und Umwandlung charismatischer Herrschaft
3.4. Die Wandlung der charismatischen Jesusbewegung in die christliche Religion
3.5. Andere Religionen charismatischen Ursprungs

4. Schlußbetrachtung

Quellenverzeichnis

Einleitung

Der Name Max Weber dürfte für keinen Studenten der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, aber auch der Theologie unbekannt sein. In fast jedem Buch findet sich zumindest ein Verweis auf ein Werk oder eine Definition des Mannes, von dem gesagt wird, er habe durch sein Schaffen die moderne Soziologie begründet. Doch nicht nur deswegen ist Max Weber über 80 Jahre nach seinem Tod noch immer viel zitiert und hoch geschätzt. Mit seinen Abhandlungen über die Werturteilsfreiheit, seiner Religionssoziologie aber auch seinem politischen Wirken wurde er zum bedeutendsten Universalgelehrten des 19. Jahrhunderts, dessen Einfluss nach wie vor nicht zu bestreiten ist.

In dieser Hausarbeit möchte ich mich nach einem kurzen Überblick über Webers Leben und Werk auf die von ihm entworfene Herrschaftssoziologie konzentrieren, die nicht nur auf politischer, sondern auch auf religiöser Ebene angewendet werden kann. Als Grundlage diente mir dabei das Kapitel „Die drei reinen Typen der legalen Herrschaft“ aus dem nach Webers Tod herausgegebenen Sammelwerk Wirtschaft und Gesellschaft. Ausgehend von einem allgemeinen Überblick im zweiten Teil meiner Ausarbeitungen soll es mir im dritten dann speziell um die charismatische Herrschaft gehen, da besonders die Frage nach dem Charisma seit langem in der Diskussion vieler Wissenschaftler und Theoretiker steht. Neben einem Einblick in die Vor- und Nachteile Webers Ansatzes möchte ich zudem die Frage zu klären versuchen, ob die charismatische Herrschaft als Grundlage für die Herausbildung von Religionen verstanden werden kann.

Mir ist bewusst, dass es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich sein wird, alle Gesichtspunkte von Max Webers Theorie zu beleuchten. Sie soll deshalb zunächst nur den Anforderungen eines einleitenden Überblicks über diesen Themenkomplex gerecht werden und den Ansatz für weitere Überlegungen bieten.

1. Max Webers Leben und Werk

Max Weber wird am 21. April 1864 im thüringischen Erfurt geboren, wo er die ersten fünf Jahre seines Lebens verbringt. 1869 zieht die Familie nach Berlin, das er 1882 für ein Jura-Studium in Heidelberg verlässt. Er unterbricht seine Studien für einen einjährigen Militärdienst in Straßburg und kehrt 1884 nach Berlin zurück, um dort Jurisprudenz, Nationalökonomie, Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie u.a. bei Theodor Mommsen, Heinrich von Treitschke und Otto von Gierke zu studieren. Weber tritt dem Verein für Sozialpolitik bei und promoviert 1889 zum Dr. jur. mit einer Dissertation über Die Entwicklung des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaften im Mittelalter. Bereits zwei Jahre später habilitiert er über Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht.

Bis zu seiner Heirat 1893 mit Marianne Schnitger lebt Max Weber im Elternhaus. Noch im selben Jahr erhält er eine außerordentliche Professur für Römisches Recht und Handelsrecht an der Universität Berlin, die er ein Jahr später verlässt, um die Professur für Nationalökonomie in Freiburg anzunehmen. Er wechselt 1896 an die Universität Heidelberg und tritt dem von Friedrich Naumann gegründeten National-Sozialen Verein bei. Aus ihren gemeinsamen Interessen entwickelt sich eine lebenslange Freundschaft.

1898 stürzt Weber in eine tiefe Schaffenskrise, die in mehreren Sanatorienaufenthalten und schließlich in der Aufgabe der Lehrtätigkeit gipfelt. Eduard Baumgarten schreibt: „In diesen Jahren wurde Max Weber aus einem Juristen, Nationalökonom und Politiker zum Soziologen. Das Erstlingswerk dieser neuen Schaffensperiode war die seither weltberühmt gewordene Untersuchung Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.” (Weber, S. XVI) Weiter bemerkt er: „Allein, Max Weber wurde in jenen Jahren nicht nur zum Schöpfer der Religions-Soziologie als einer Sonderdisziplin, sondern zuerst und vor allem: zum Soziologen überhaupt im Sinn der Schaffung einer neuen Art von Sozialwissenschaft.” (Weber, S. XVIII)

In diesen Jahren der Krise unternimmt er mehrere Reisen in den Süden Europas und kehrt 1902 schließlich nach Heidelberg zurück. Ein Jahr später quittiert er den Dienst an der Universität und wirkt nach einem längeren Amerikaaufenthalt mit seiner Frau Marianne als Privatgelehrter und Gastprofessor weiter.

Im Jahr 1909 wird Weber Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, aus der er aber bereits 1912 wegen Meinungsverschiedenheiten wieder austritt. Im folgenden Jahr ist der Höhepunkt seiner Schaffensphase erreicht. Er schreibt eine Rechtssoziologie, eine systematische Religionssoziologie, eine unfertige, erst 1919/20 fertiggestellte Soziologie der Wirtschaft sowie eine weniger umfassende Musiksoziologie, die später alle in dem von seiner Frau Marianne nach Webers Tod 1922 veröffentlichten Buch Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam mit anderen Beiträgen zusammengefasst sind.

Einen Tag nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 meldet sich Weber freiwillig als Leutnant der Reserve in Heidelberg und wird als Disziplinaroffizier der Lazarettkommission eingesetzt, wo er im Herbst 1915 nicht mehr gebraucht wird. Fortan mischt er sich mit politischen Schriften und Reden in das Kriegsgeschehen ein und engagiert sich u.a. für die Aufgabe der deutschen Annexionspolitik und des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs. Bereits 1917 rechnet Weber mit der Niederlage Deutschlands und drängt verzweifelt nach demokratischen Wahlrechts- und Parlamentsreformen, die er schon zuvor mit Naumann vertreten hatte.

1918 wird Weber Mitglied der von seinem Freund gegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und nimmt im Reichsamt des Inneren an den Diskussionen über eine zeitgemäße Verfassung für das neue Deutschland teil. Er wird nach Versailles gerufen, um dort am deutschen Gegengutachten zur Kriegsschuldfrage mitzuwirken. Anstatt nach diesem ihm entgegengebrachten Vertrauen und der Mitarbeit an der Weimarer Verfassung in die junge Nationalversammlung einzuziehen, nimmt Weber lieber ein Angebot der Universität München wahr und übernimmt dort einmal mehr den Lehrstuhl für Nationalökonomie.

Max Weber stirbt noch während seiner Lehrtätigkeit am 14. Juni 1920 an einer Lungenentzündung. Er hinterlässt neben einer Vielzahl von Schriften, Artikeln, Abhandlungen und Büchern auch prägende Begrifflichkeiten wie „Werturteilsfreiheit”, „Entzauberung der Welt”, „Religionssoziologie” oder „protestantische Ethik”. Baumgarten resümiert zu Recht: „Manche sehen noch heute in ihm einen modernen Polyhistor, - jedoch nicht als Amateur auf vielen Gebieten, sondern als Fachmann vieler Gebiete.” (Weber, S.XI)

2. Max Webers Vorstellungen der drei Typen legitimer Herrschaft

2.1. Herrschaft und Legitimationsglaube

Im Kapitel „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft” gibt Weber zunächst an, was er unter Herrschaft versteht. Ist es in allgemeinen Definitionen meist die institutionalisierte, d.h. geregelte Machtausübung, die zur Unterteilung einer Gesellschaft in Herrschende und Beherrschte und damit zu einer hierarchischen Ordnung führt, beschreibt er sie vereinfachter als „die Chance, Gehorsam für einen bestimmten Befehl zu finden.” (Weber, S.151). Die Beherrschten können die Weisungen des Herrschers aufgrund verschiedener Fügsamkeitsmotive annehmen: a) aufgrund zweckrationaler Erwägungen von Vor- und Nachteilen des Befehls, b) aus traditionellen bzw. durch Gewöhnung angeeigneten Denkweisen oder c) infolge persönlicher Neigungen und Affektion. In der Realität, so Weber, besteht jedoch keine dieser drei Idealtypen sondern vielmehr eine je nach Menschen und Situation unterschiedliche Ausprägung aller. Auch wären diese reinen Formen eher labil, da z.B. die Machtausübung eines Familienoberhauptes nicht nur auf der bloßen Zuneigung seines Kindes gründen kann, sondern auch traditioneller Stützen und später auch des rationalen Denkens des Heranwachsenden bedarf.

Zusammengefasst braucht eine Herrschaft den Legitimitätsglauben der Beherrschten, um eine wirklich stabile Hierarchie aufzubauen. Im Allgemeinen bedeutet Legitimität die Übereinstimmung mit einem von der Gesellschaft anerkannten Prinzip und begründet die Rechtmäßigkeit von Herrschaft. Der Glaube an diese Rechtmäßigkeit, so Weber, kann auf rechtlichen, sozialen aber auch persönlichen Bindungen beruhen. „Herrschaft wird auf Legitimität und Legitimität auf den Glauben an Legitimität zurückgeführt.” (Heins, S.51)

Weber entwickelt aus den bisherigen Überlegungen seine drei Typen der legalen Herrschaft.

2.2. Die legale Herrschaft

Die Legitimitätsgeltung dieser Form der Herrschaft ist primär rationalen Charakters, d.h. es wird an die Legalität einer gesatzten Ordnung und an die in diesen Gesetzen und Regeln festgelegte hierarchische Ordnung und Weisungsbefugnisse bestimmter Personen geglaubt. Bestes Beispiel hierfür ist die Bürokratie, ein hierarchisch in Ämtern abgestuftes System von Vorgesetzten, Verwaltungsstab (Beamten) und Beherrschten in Form von Bürgern oder Genossen. Der moderne Staat, kirchliche Gemeinden, aber auch Vereine oder Unternehmen sind Repräsentanten dieser Art der Herrschaft. Weber schreibt selbst: „Gehorcht wird nicht der Person kraft deren Eigenrecht, sondern der gesatzten Regel, die dafür maßgebend ist, wem und inwieweit ihr zu gehorchen ist. Auch der Befehlende selbst gehorcht, indem er einen Befehl erläßt, einer Regel: dem >Gesetz< oder>Reglement<, einer formal abstrakten Form.“ (Weber, S. 152)

Sowohl Vorgesetzter als auch Beamte sind kraft ihrer fachlichen Kompetenz, d.h. aus rein rationalen Gründen in ihrem Amt und halten die Herrschaft durch „Betriebsdisziplin“ stabil.

2.3. Die traditionelle Herrschaft

Die traditionelle Herrschaft legitimiert sich durch den Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltenden Traditionen und Ordnungen. Weber nennt die patriarchalische Herrschaft als reinste Form dieses Typuses, da hier die Ausdifferenzierung in Herrn, Untertan und Verwaltungsstab (Diener) besonders deutlich wird. Er schreibt: „Gehorcht wird der Person kraft ihrer durch Herkommen geheiligten Eigenwürde: aus Pietät. Der Inhalt der Befehle ist durch Tradition gebunden, deren rücksichtslose Verletzung seitens des Herrn die Legitimität seiner eigenen, lediglich auf ihrer Heiligkeit ruhenden, Herrschaft selbst gefährden würde.“ (Weber, S.154)

Der Verwaltungsstab des traditionellen Herrschers setzt sich nicht wie bei der legalen Herrschaft aus fachlich qualifizierten Personen zusammen, sondern, so Weber, aus „persönlich Abhängigen“, Verwandten, Freunden und/oder „durch persönliches Treuband Verbundenen“ (Weber, S.155). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit des Einzelnen richtet sich nach der Stellung zum Herrn. Weber unterscheidet deshalb zwei charakteristische Formen der patriarchalischen Herrschaft. Während sich beim ersten Typ der Diener in einer absoluten Abhängigkeit vom Herrn befindet und keinerlei Rechte innerhalb seines Amtes hat (z.B. sultanistische Herrschaft), befindet sich der Dienststab bei der ständischen Herrschaftsform nicht in völliger Unfreiheit, da seine Stellung, wie z. B. das Amt eines Hofmarschalls meist historisch gewachsen ist.

2.4. Die charismatische Herrschaft

Die charismatische Herrschaft letztendlich beruht nun auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft einer Person und der durch diese Person offenbarten und geschaffenen Ordnung. Weber definiert sie „kraft affektueller Hingabe an die Person des Herrn und ihre Gnadengaben (Charisma), insbesondere: magische Fähigkeiten, Offenbarungen oder Heldentum, Macht des Geistes und der Rede.“ (Weber, S.159) Im außeralltäglichen, emotionalen und unregelmäßigen Bereich des menschlichen Erlebens angesiedelt, ist die charismatische Herrschaft unabhängig von jeglichen traditionellen und gesatzten Regeln. Die Jünger folgen dem Führer aufgrund persönlicher, irrationaler Überzeugung und nur solange dieser seine Übernatürlichkeit bzw. seine besonderen Qualitäten (Charisma) durch Erfolge, die Erfüllung seiner Prophezeiungen, das Wohlergehen der Gemeinschaft (bezeichnet als Gemeinde oder Gefolgschaft) oder auch Wunder beweist.

Die Macht des charismatischen Herrschers basiert lediglich auf der Stärke seiner Gefolgschaft und deren Glauben an ihn, was mit sich führt, dass diese Form der Herrschaft nicht so stabil wie die beiden zuvor genannten Herrschaftsformen ist. Des Weiteren tritt sie auf Grund dessen nicht häufig auf und wird wegen ihrer Unbeständigkeit meist in eine der anderen Formen z.B. in eine legale Herrschaft mit Gesetzen und Regeln überführt. Geschieht dies nicht, besteht das Problem des Fortbestehens der Herrschaft. Während sowohl bei der legalen als auch bei der traditionellen Herrschaft die HerrschaftsHerrschaftHnachfolge einerseits laut Gesetz, andererseits durch gewachsene Regeln festgelegt ist, bieten sich beim dritten Typ verschiedene Möglichkeiten der Ernennung neuer charismatischer Führer. Weber unterscheidet hier 1. das Aufsuchen von bestimmten, qualifizierenden Merkmalen innerhalb einer Personengruppe (beispielsweise die Suche nach dem neuen Dalai Lama), 2. die Bestimmung der Nachfolge durch gewisse Techniken, z.B. Orakel oder Los und 3. die Ernennung des charismatischen Nachfolgers durch den Charismaträger oder die Jüngerschaft, aufgrund von „ Erbcharisma“ oder „rituelle(r) Versachlichung des Charisma(s)“ (Weber, S.164).

2.5. Zusammenfassung

Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Aussagen Webers zu seinen drei Typen der legalen Herrschaft noch einmal zusammen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. Charismatische Herrschaft als Grundlage für die Herausbildung neuer Religionen

3.1. Charismadefinitionen

Betrachtet man die geläufigen Definitionen von Charisma entdeckt man schnell, dass sich diese zum großen Teil an Weber orientieren und Charisma meist als „aus den Religionswissenschaften in die Sozialwissenschaften übertragene(n) Begriff zur Bezeichnung der als übernatürlich, außeralltäglich oder übermenschlich empfundene(n) Gabe eines Menschen, die ihn als von Gott gesandt oder als von einer höheren Macht ausgewählt erscheinen lässt“ charakterisieren. Und bei encarta heisst es: „Die Ausstrahlung übermenschlicher Kräfte, verbunden mit einem Sendungsbewusstsein, führen zu einer außergewöhnlichen Machtposition, aus der heraus der Führer Gehorsam von seinen Gefolgsleuten erwarten kann. Um eine charismatische Herrschaft aufrechtzuerhalten, sollte sich der Führer durch besondere, außergewöhnliche Taten (z. B. Wunder) bewähren.“(www.encarta.mns.de).

Der Brockhaus dagegen schreibt, dass Charisma die „[...] besondere Begabung zu einem Dienst in der christlichen Gemeinde (Predigt, Prophetie, Zungenrede und deren Deutung)“ sei, eine „Gnadengabe“ und „im weiteren Sinn eine als übernatürlich empfundene Befähigung (»Ausstrahlung«) eines Menschen, die ihm Autorität verleiht“ (www.brockhaus.de).

Diese Definitionen tragen gemeinsame Züge mit Webers Erkenntnissen, reichen jedoch nicht aus, um das Phänomen Charisma vollständig zu erklären. Lipp kritisiert: „Bei aller Betonung, die Weber [...] auf den ‘subjektiven’, von den Charismatikern und ihren Anhängern insoweit erst ‘hergestellten’ - ‘sozial konstruierten’ - Charakter des Phänomens legte, hat er die Frage nach der ‘Entstehung’ von Charisma - den Bedingungen und Anstößen dieser Konstruktion - aber vernachlässigt.“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.16) Cavalli bemängelt weiter: „Weber selbst hat jedoch keinen formalen Typus der Wechselwirkungen zwischen dem charismatischen Führer und seinen Anhängern konstruiert; er ist auf den Verlauf dieser Beziehung, aus dem eine ‘Bewegung’ oder eine ‘Gemeinde’ entsteht, nicht näher eingegangen.“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S. 34) Um weitere Betrachtungen des Themas durchführen und einen Bezug zur Entstehung von Religionen feststellen zu können, müssen zunächst die von Lipp und Cavalli als fehlend betrachteten Entstehungsbedingungen von Charisma und einer charismatischen Gemeinschaft erläutert werden.

3.2. Entstehungsbedingungen von charismatischen Bewegungen

Wie bereits erwähnt geht Weber in seinen Arbeiten nicht auf die Entstehung des Charismas ein. Er gibt lediglich an, „daß am Anfang eines charismatischen Ablaufs immer eine ‚ungewöhnliche Situation’ steht.“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.35) Dies reicht jedoch nicht aus, um den Entstehungsprozess neuer Religionen, so sie auf charismatischer Herrschaft basieren, zu verstehen.

Zu den Entstehungsbedingungen von Charisma erklärt Lipp zunächst, „[...] daß Charisma [...] mit Notlagen – ‚strukturellen Mängeln’, Defiziten im Sinne von Qualitäten des ‚Nicht-Seins’, ‚Nicht-Habens’, resp. ‚kulturellen Debita’ im Sinne von ‚Sollens’-Forderungen, - zu tun hat“ und führt „den Zusammenhang auf die Erfahrung letztlich von ‚Schuld’, das Behaftetsein mit Schuld, [...] zurück“. (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.16) Charisma entsteht demzufolge da, wo Defizite oder Abnormalitäten innerhalb einer Gesellschaft vorhanden sind, „in Zeiten offener oder verschleierter Krisen ganzer Gesellschaften oder einzelner Klassen [...], [...] in Perioden, in denen wirtschaftliche oder morphologische Wandlungen einen Zusammenbruch, eine Schwächung oder ein Obsoletwerden von Traditionen oder Wertsystemen herbeiführen, die bis dahin die Wertprinzipien der Weltsicht und Lebensführung lieferten.“ (Bourdieu, S.30)

In eben solchen Ausnahmesituationen treten 1. Personen auf, welche aufgrund bestimmter persönlicher positiver oder negativer Merkmale aus dem Durchschnitt der Bevölkerung herausragen und somit zum charismatischen Führer werden können, und sind 2. Menschen bereit, sich diesen anzuschließen, um aus einer gesellschaftlichen bzw. individuellen psychischen Krise herauszukommen. Das soll im Folgenden weiter erörtert werden.

„[...] (E)s steht fest, daß in Zeiten einer Krise zahlreiche Menschen bereit sind, ‘außergewöhnliche’ Erscheinungen wahrzunehmen und einer Person bedingungslos zu folgen, die mit großer Überzeugungskraft eine Lösung der Krise verspricht.“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.36) Solche außergewöhnlichen Erscheinungen sind vor allem die durch diese Person bewusst ausgeübten Handlungen. Hierunter fallen, wie schon Weber angibt, Askese und Ekstase, jedoch auch, wie Lipp bemerkt, „Exhibitionismus und Provokation“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.24), die dem Ausübenden Charisma verleihen können. Es sei hier bemerkt, dass ein soziales Extremverhalten nicht zwangsläufig eine charismatische Wirkung haben muss, da auch die Intention des Charismaträgers maßgeblich zur Herausbildung einer Anhängerschaft beiträgt. Nur eine Person, die mit ihrem Verhalten auch wirklich „Überzeugungsarbeit“ leisten will, wird in der Lage sein, Befürworter zu finden. Auch Cavalli weiss, dass „[...] der charismatische Führer der erste (ist), der bedingungslos an seine Sendung glaubt.“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.36)

Erst aus diesem Zusammenspiel von äußeren und inneren Faktoren kann charismatische Herrschaft und eine damit verbundene Bewegung entstehen.

3.3. Ausübung und Umwandlung charismatischer Herrschaft

Hat es der Charismaträger vermocht, durch sein von der Norm abweichendes Verhalten Anhänger zu finden, muß er seine Eignung, wie Weber bereits sagte, durch Erfolge etc. beweisen. Bourdieu schreibt: „ Die Macht des Propheten basiert auf der Stärke der Gruppe, die er zu mobilisieren vermag, insofern er die Eignung besitzt, die spezifisch religiösen Interessen der eine bestimmte Stellung innerhalb der Sozialstruktur einnehmenden Laien durch exemplarisches Verhalten und/oder einen mehr oder weniger systematischen Diskurs zu symbolisieren.“ (Bourdieu, S. 28) Dies vermag eine Zeit lang zu funktionieren, ist jedoch nicht hinreichend, um eine wirklich stabile Herrschaftsbeziehung aufzubauen. Bourdieu schließt sich hier Webers Gedanken an und bemerkt: „Die Prophetie kann ihrem Anspruch [...], dauerhaft und grundlegend auf die Lebensführung und die Weltsicht der Laien Einfluß zu nehmen, nur dann vollkommen nachkommen, wenn es ihr gelingt, eine ‘Gemeinde’ zu gründen, die selbst wieder in einer Institution Dauer zu erlangen vermag, welche ein auf die dauerhafte und kontinuierliche Durchsetzung und Einprägung der Lehre gerichtetes Handeln gewährleisten kann [...] Die Prophetie als solche, also als Botschaft des Bruchs mit der Routine und des Aufbegehrens gegen die gewohnte Ordnung, muß notwendigerweise sterben, damit sie überhaupt im Lehrkorpus der Priesterschaft überleben kann, wo sie zum täglichen Kleingeld des ursprünglichen Kapitals des Charisma wird.“ (Bourdieu, S.25)

Es ist demzufolge notwendig, die charismatische Herrschaft, soll sie nicht dem Untergang geweiht sein, in eine andere Herrschaftsform umzuwandeln, in welcher sie weiterhin Bestand haben kann. Mit einer solchen Umstrukturierung sind grundlegende Veränderungen verbunden: Die „außeralltägliche“ Erfahrung des Charismas wird alltäglich bzw. traditionell gebunden und verfällt. Es ist kein verkörperter charismatischer Führer mehr notwendig, da dieser durch andere Organisationsbestandteile ersetzt wird, und die im Grunde lose Verbindung der Gefolgschaft verdichtet sich durch die fortschreitende Institutionalisierung, wie es am Beispiel der Entstehung des Christentums deutlich wird. Letzteres kann durchaus auch auf andere Religionen angewendet werden.

3.4. Die Wandlung der charismatischen Jesusbewegung in die christliche Religion

Auch die christliche Religion ist aus einer zunächst charismatischen Bewegung, nennen wir sie hier Jesusbewegung, entstanden. Obwohl die Lage auf dem Gebiet der Jesusforschung sehr kritisch ist, lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass am Anfang eine Person stand, welche in einer Zeit äußerer Krisen eine neue Ideologie verbreitete und Anhänger fand. Schwanitz schreibt: „Vermutlich war das Christentum eine populäre Reaktion auf den elitären Gesetzesrigorismus der Pharisäer. Mit seinem Engagement für die Armen, die Geknechteten und die Getretenen muß es eine große Anziehungskraft während der sozialen Krise [1] [...] entfaltet haben, als die Städte verarmten und die Menschen in die Hörigkeit absanken.“ (Schwanitz, S.72) Auch Ebertz weisst auf die für eine charismatische Bewegung typischen Umstände hin: „Wir stoßen auf die dafür typische ‘Szenerie’ mit ihren typischen Akteuren: die absolute Zentralfigur eines prophetischen Führers, Jesus von Nazareth, der, assistiert von einer charismatischen Jüngergruppe, in Palästina umherzieht und mit persönlich-autorativen Gehorsamsanspruch eine innovatorisch-revolutionäre Botschaft, nämlich die Botschaft der Imminenz des Einbruchs der Gottesherrschaft propagiert und soziale Unterstützung mobilisiert; komplementär dazu einige sporadische und seßhafte Anhänger und Mäzene mit Versorgungsstützpunkten für die mobile charismatische Gruppe; herbeiströmende, wechselnde Menschenmassen von Zuhörern und Hilfesuchenden und schließlich eskalierende, in der physischen Vernichtung des Jesus endende Konfliktszenen mit Vertretern der bestehenden Sozial- bzw. Macht- und Herrschaftsordnungen.“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.75)

Alle von Weber und seinen Nachfolgern geäußerten Merkmale einer charismatischen Herrschaft treffen demzufolge auf die Jesusbewegung zu. Wie wandelte sie sich nun aber in eine Religion mit universellem Anspruch? Wie bereits erwähnt, ist es für eine Herrschaft solcher Form sehr schwierig, von Bestand zu sein. Obwohl Jesus, wie uns aus zahlreichen Überlieferungen bekannt ist, mit „magischen Eingriffe(n) in die Natur, vor allem als Wunderheiler“ (Helle, S.155) seine „Macht“ verdeutlicht, stirbt er letztendlich als Führungsperson am Kreuz. Doch auch ohne das Vorhandensein des charismatischen Führers Jesus können seine Apostel weiterhin die Gotteslehre verbreiten, da nicht nur Jesus Charismaträger ist, sondern er auch eng mit seiner Verkündung in Verbindung steht. Cavalli erörtert, dass „ Jesus [...] der Gottessohn, der eine neue Verkündigung verkörperte“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.39) war und somit die Lehre unabhängig von der lebenden Figur Jesus weiter bestehen konnte. Gebhardt bestätigt: „Ideencharisma und Personalcharisma bilden in diesem Fall eine untrennbare Einheit, die auch von der Gefolgschaft oder Anhängerschaft der Stifterfiguren als solche erkannt und angenommen wird.“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.58)

Eine Verbreitung der Verkündung Jesus ist somit möglich, hat jedoch keinen dauerhaften Bestand, wenn sie nicht in einer Form institutionalisiert wird. Dies geschieht unter dem römischen Kaiser Konstantin des Großen im Jahre 325, als die christliche Lehre zur Staatsreligion erhoben und damit nicht mehr verfolgt wird. Die kirchliche Gemeinschaft mit festen Strukturen, Traditionen und Organisationsformen entsteht. Die charismatische Herrschaft wandelt sich in eine andere Herrschaftsform mit sowohl traditionellen als auch legalen Zügen. Schon Weber sieht „(d)en Ursprung dieser Institutionalisierung [...] in dem Prozeß, in dessen Verlauf sich das Charisma von der Person des Propheten löst, um sich mit der Institution und genauer mit dem Amt zu verknüpfen: ‘[...] die Übertragung der charismatischen Heiligkeit auf diese Institution als solche [ist] jeder ‘Kirchen’-Bildung eigentümlich und ihr eigentlichstes Wesen.’“ (Bourdieu, S.33)

3.5. Andere Religionen charismatischen Ursprungs

Auch andere Religionen sind meist charismatischen Ursprungs, egal ob dabei eine bestimmte Person oder eher eine Verkündigung im Mittelpunkt stand. „Weber selbst schreibt[...], daß es nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, ‘ob mehr die Anhängerschaft an die Person wie bei Zarathustra, Jesus, Muhammed oder mehr an die Lehre als solche - wie bei Buddha und der israelitischen Prophetie - hervortritt.’“ (Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.37)

Ist Muhammed der charismatische Begründer des Islams, nach dessen Tod sich zwar keine Kirche im Sinne der christlichen Kirche entwickelt, jedoch aber ein festes Gefüge von Traditionen, Strukturen und Organisation, unterscheidet er sich in seiner Funktion als geistiger Führer einer Gemeinde nicht grundlegend von Jesus. Auch nach seinem Tod lebt die Ideologie seiner Verkündungen bei seiner Anhängerschaft weiter. Er wird bis heute als zentrale Figur der Religion gesehen.

Etwas anders hingegen ist es beim Buddhismus. Auch hier stand eine Persönlichkeit, die des Siddhartha Gautama, am Beginn der Herausbildung der Religion. Dieser „[...] reiste durch das Gebiet des Mittleren Ganges in alle Richtungen, verkündete die Lehre, widerlegte seine Gegner, führte Bekehrungen durch und machte viele zu seinen Jüngern, die seinem Mönchsorden beitreten wollten [...]“ (Gombrich/Bechert, S.35) Im Gegensatz zum Islam und Christentum steht hier das Ideencharisma im Vordergrund, welches jedoch maßgeblich durch die Person des Buddha verbreitet wurde und nicht von ihm zu trennen ist, will man eine geschichtliche Betrachtung durchführen. Die historische Figur des Buddha spielt ganz anders als seine Lehre in der heutigen religiösen Betrachtung keine bedeutende Rolle mehr. Auch im Buddhismus ist eine Strukturalisierung zu erkennen, die wiederum von der vieler christlicher Kirchen abweicht.

Es ließen sich hier noch weitere Beispiele vor allem aus dem Bereich der Bildung von Sekten anbringen, deren Ursprünge jedoch noch nicht in dem Maße untersucht wurden, wie es bei den hier angeführten großen Religionen der Fall ist und aus diesem Grund nicht an dieser Stelle behandelt werden sollen.

4. Schlussbetrachtung

Wie schon in meinen einführenden Bemerkungen, wird auch in den folgenden Ausarbeitungen zu Max Webers Herrschaftssoziologie deutlich, dass es sich um ein bis heute interessantes Thema für die Wissenschaft handelt. Zahlreiche Wissenschaftler wie Luciano Cavalli, Pierre Bourdieu, Wolfgang Lipp u.a. haben sich damit auseinandergesetzt und Webers Thesen zu den Typen der legitimen Herrschaft bestätigt, ergänzt oder seine Gedanken weiter geführt. Aufgrund dieser Sachlage erscheint es schwer im Rahmen einer Hausarbeit alle Aspekte zu berücksichtigen, die dieses Thema betreffen.

Mir sollte es deshalb zuerst um eine knappe Vorstellung Weber Gedanken und einen kurzen Einblick in die wissenschaftliche Darstellung des Charisma-Problems und der damit verbundenen Herausbildung von Religionen gehen. Es sollte deutlich werden, dass am Beginn einer religiösen Bewegung neben einer charismatischen Führungspersönlichkeit wie beim Christentum oder Islam auch eine charismatische Ideen bzw. Lehre wie zum Beispiel beim Buddhismus stehen kann. Weiterhin, dass nach der Bildung einer charismatischen Gemeinschaft die Festigung dieser und der Übergang in eine andere Form von Herrschaft durch Strukturierung, Traditionalisierung und Veralltäglichung erfolgt und somit eine institutionalisierte Religion entstehen kann.

Quellenverzeichnis

1. BAUER, Eva: Max Weber (Deutschland 1864-1920). Soziologie als Wissenschaft vom sinnhaften sozialen Handeln. In: Morel, Julius u.a.: Soziologische Theorie. München/Wien: Oldenbourg, 2001. S. 20 - 28.
2. BECHERT, Heinz/GOMBRICH, Richard: Der Buddhismus. Geschichte und Gegenwart. München: Beck, 2000.
3. BOURDIEU, Pierre: Das religiöse Feld. Texte zur Ökonomie des Heilsgeschehens. Konstanz: UVK, 2000.
4. GEBHARDT, Winfried/ ZINGERLE, Arnold/ EBERTZ, Michael (Hrsg.): Charisma. Theorie - Religion - Politik. Berlin/New York: de Gruyter, 1993.
5. HEINS, Volker: Max Weber zur Einführung. Hamburg: Ed. SOAK im Junius Verlag, 1990.
6. http://www.wissen.de (Zugriff am 14.10.2002)
7. http://www.encarta.mns.de (Zugriff am 14.10.2002)
8. http://www.brockhaus.de (Zugriff am 14.10.2002)
9. HELLE, Dr. Horst Jürgen: Religionssoziologie. Entwicklung der Vorstellung vom Heiligen. München/Wien: Oldenbourg, 1997.
10. SCHWANITZ, Dietrich: Bildung. Alles, was man wissen muss. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag, 1999.
11. WEBER, Max: Soziologie - Universalgeschichtliche Analysen - Politik. Stuttgart: Kröner, 1973.

[...]


[1] Die Krise bestand zu dieser Zeit vor allem in der Verletzung der politischen Souveränität der jüdisch-palästinensischen Bevölkerung durch die römische Fremdherrschaft. Mit der direkten Unterstellung Judäas, dem religiösen, wirtschaftlichen und politischen Zentrum des Landes, unter die römische Verwaltung fielen jüdische Herrschaftsansprüche vollkommen weg. Eine „Versklavung“ der dortigen Einwohner begann, die immer tiefer in wirtschaftliche, soziale und psychische Schwierigkeiten gerieten. (vgl. Gebhardt/Zingerle/Ebertz, S.76)

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Details

Titel
Eine Einführung in die drei Formen der Herrschaft nach Max Weber
Hochschule
Universität Leipzig
Veranstaltung
Klassiker der Religionssoziologie: Max Weber
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V110102
ISBN (eBook)
9783640082797
ISBN (Buch)
9783640112487
Dateigröße
595 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einführung, Formen, Herrschaft, Klassiker, Religionssoziologie, Max Weber, Herrschaftssozologie, neue Religionen, Entstehung neuer Religionen, legale Herrschaft, charismatische Herrschaft
Arbeit zitieren
Claudia Brand (Autor:in), 2002, Eine Einführung in die drei Formen der Herrschaft nach Max Weber , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110102

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