Der politische Witz


Seminararbeit, 2001

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Thematische Einleitung

II. Zur Definition des Witzes

III. Entstehung, Merkmal und Funktion politischer Witze

IV. Kleiner Exkurs in die antike Welt der Witze

V. Witz als Waffe und Resümee

VI. Literaturverzeichnis

Ohne Witz kann man nicht auf die Menschheit wirken.

Ludwig Börne

I. Thematische Einleitung

Dieter Hildebrandt, die letzte Ikone des politischen Kabaretts, stellte am 12. April des letzten Jahres in seiner Sendung Scheibenwischer die Frage, ob die Mitarbeiter der Wiesbadener Ausländerbehörde vielleicht nachträglich noch in die SS eintreten wollen. Prompt wurde er durch den regierenden CDU-Oberbürgermeister Diel wegen Beleidigung verklagt, aber letztendlich doch freigesprochen. An solchen Beispielen merkt man, dass die politische Elite immer noch sehr empfindlich ist, wenn es um kritische Witze geht.

„Die herrschende Macht schützt sich nicht nur durch Gesetze und exekutive Organe (Polizei, Geheimpolizei, Militär), sondern auch durch Tabus, die solange Geltung haben wie die betreffende Macht.“[1]

Zu diesen Tabus zählt man auch das ungeschriebene Gebot keine lächerlichen Meinungsäußerungen, in Form von Witzen, über die politische Staatsführung zu verbreiten. Zwar sind anspruchsvolle, politische Witze in unserer „Kla­mauk- und Konsum-Demokratie“ und der zunehmenden „McDonaldisierung“ der Gesellschaft, wie es der amerikanische Soziologe George Ritzer nennt, seltener geworden, doch wirklich verschwunden sind sie nie. Auch wenn Hermann Schäfer, der Direktor des Bonner „Hauses der Geschichte der Bun­desrepublik Deutschland“ bereits um den politischen Witz in Deutschland bangt, weil häufig nur noch 08/15 Manta-, Ostfriesen- und Blondinenwitze ihre Verbreitung finden. Oder wie er abfällig bemerkte, „das Humorniveau in Deutschland nur noch aus schlechten Gags und platter Sprechblasenkultur“ bestehe, und es deshalb auch einfach zu wenig Nachwuchs unter den Kari­katuristen und Kabarettisten gäbe. Seine Sorge ist, dass der politische Witz zu einer Kunstrichtung verkomme, die niemand mehr versteht. Und genau das ist der problematische Punkt:

Der politische Witz kann nur wirken, wenn er auch verstanden wird.

Aber immerhin sind diese Phänomene ein eindeutiges Indiz dafür, dass es uns und der deutschen Gesellschaft sehr gut geht. Denn gute Zeiten sind schlechte Zeiten für den politischen Witz. Deshalb stammen die meisten politischen Witze auch aus den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte, so waren z.B. die anti-nationalsozialistischen Flüsterwitze und die Anti-SED-Witze der DDR die am meisten verbreitetsten. Der Grund für die geringe Anzahl an po­litischen Witzen in Demokratien liegt in dem zu niedrigen Spannungsverhält­nis zwischen Herrschenden und Beherrschten begründet. Aber auch wenn die Spannung zu groß wird, können keine Witze entstehen. So geht man z.B. da­von aus, dass direkt im KZ keine Witze entstanden sind, da in dieser tödli­chen Situation die Distanz und Perspektive fehlte, um Witze zu erzählen.

II. Zur Definition des Witzes

Unter einem Witz versteht man die kurze, prägnante Geschichte, den kurzen Dialog oder die Rätselfrage, die erzählt oder gedruckt wird, um durch ihre Pointe einen Lacheffekt zu erzielen. Des weiteren ist „Witz“ auch ein Ausdruck für die Gabe, etwas Lustiges treffend zu erzählen, sich schlagfertig, geistreich und lustig zu äu­ßern. Etymologisch gehört das Wort Witz zum Wortfeld „Wissen“ (wizzi) und schon frühe Belege zeigen Witz als intellektuelles Vermögen. Die Wirkung, die ein Witz hervorrufen möchte und das aller erste Ziel ist also das Lachen. Da Lachen eng mit dem menschlichen Bewusstsein zusammenhängt, Tiere können z.B. nicht lachen, ist Verstand und die Beherrschung des Mediums Sprache[2] nötig, um Witze zu erzählen bzw. zu verstehen. Man muss aber nicht nur die identische Sprache sprechen, son­dern auch über ein gemeinsames Wertesystem und eine inhaltliche Vertrautheit des Themas verfügen.

Durch das Medium Sprache und die schlichte Veränderung von Lauten, Worten, Tonfall und Aussprache entsteht bereits eine Menge witziges Potential. Viele Witze spielen so mit der Sprache und lassen durch Gleichklang, Buchstabenvertauschung und Doppel- oder Nebensinn Komik entstehen. Deshalb ist der Witz auch ein be­deutendes Thema in der Rhetorik, denn durch die Anwendung rhetorischer Stilmittel lassen sich nicht nur Witze kreieren und besser verstehen, sondern z.B. auch mittels der Lasswell-Formel analysieren. Durch Ermittlung der Zielgruppe, des Absenders und dem Medium kann man eine genaue Witztextanalyse durchführen. Interessant ist auch, dass man in vielen Witzen beliebte rhetorische Stilmittel findet, wie z.B. das Polysem, ein sprachliches Zeichen mit mehreren Bedeutungen (Zug / Luftzug oder Eisenbahnzug) oder das Paradoxon, mit dem sich viele witzige Wortspiele bilden lassen, wie z.B. die scheinbar widersinnige Aussage: „Bekenne Farbe, Chamäleon!“ Auch Zitate, Ironie, Parodie und Doppelsinn sind typische Mittel des Witzes. Und Witze findet man in den thematisch unterschiedlichsten Facetten, z.B. als zynischen, politischen, heilenden, ablenkenden, sexuellen oder rassistischen Witz..

III. Entstehung, Merkmal und Funktion politischer Witze

Um zu einer eindeutigen Charakterisierung des politischen Witzes zu gelangen, muss erst die gültige Definition, was unter dem Begriff Politik verstanden wird, gegeben sein. Für Max Weber ist die Politik der Inbegriff alles dessen, was auf die Aufrecht­erhaltung, die Verschiebung oder den Umsturz der staatlichen Herrschaftsverhält­nisse abzielt. Während Kurt Hirche es mit folgenden Worten ausdrückt: „Politik hat es mit der Einflussnahme auf Staat und Gesellschaft und auf die das staatliche und gesellschaftliche Leben gestaltenden Kräfte zu tun.“[3]

Während Erich Straßner, einer der Autoren des Rhetorik-Jahrbuches von 1992 seinen Essay über Politik und Rhetorik mit noch schärferen Worten beginnen lässt: „Das Handeln der Politiker ist primär ausgerichtet auf Machterwerb, Machtsteigerung und Machterhaltung. Ihre Kommunikation ist deshalb werbungs- und wirkungsbezogen, dazu dienen Leerformeln, Stereo­typen, Schlagwörter, schiefe Metaphern und Symbole, die sich dann im Bürger positiv oder negativ festsetzen.“ Und genau diese Funktionen können auch politische Witze erfüllen. In folgendem Beispiel fügte Johannes Rau in seiner Rede, nach gewonnener Landtags­wahl 1985, vor dem Präsidium seiner Partei und vor laufenden Fernsehkameras die­sen spöttischen Satz ein: „Mainz ist die Rache, spricht der Herr, und Kohl sollt ihr fressen bis ans Ende eurer Tage.“ Ein mit Metaphern gespickter Witz, der die eigene Person bewirbt bzw. heroisiert und gleichzeitig die Konkurrenz mit einem Lacher ausschaltet. Solche veränderten Zitate oder spöttischen Doppeldeutungen werden gerne in politischen Reden verwendet, meist um den Gegner zu diffamieren und lä­cherlich zu machen. So auch in Edmund Stoibers Rede in Passau, am Aschermitt­woch, den 8. März 2000: „Die CSU ist die große Volkspartei in Bayern! Wir verbinden Tradition und Fortschritt, Laptop und Lederhose.“ ... „Herr Müntefering braucht da gar nicht so die Stirn über die CDU zu runzeln. Wenn der noch länger mit so einem Gesicht herumläuft, muss er bald noch Hun­desteuer zahlen.“

Die Entstehung von Witzen ist meist schwer zu rekonstruieren. Sicher ist nur, meist beginnt die Verbreitung durch einen anonymen Erzähler und sehr viele Witz-Grund­gerüste wiederholten sich immer wieder. Besonders zur Zeit der Diktatoren blieben die Hitler/Stalin/DDR-Witzstrukturen identisch. Eines der populärsten Beispiele, ist der Witz des Journalisten Vernon Bartlett, der am 1.April 1939 im Daily Express erschien und von der Deutschen Presse als ausländischer Hetzwitz abgetan wurde. Ein Sonderfall übrigens, denn meist bleibt, wie schon eben erwähnt, der Ursprung und Urheber eines Witzes im Verborgenen. Im Original lautete der Witz:

„Wann wird die Welt aufatmen? Wenn Francos Witwe Stalin ans Sterbebett die Mitteilung bringt, dass Hitler anlässlich der Trauerfeierlichkeiten für Mussolini ermordet wurde.“

Ob im Kommunismus, über Willy Brandt oder zu DDR-Zeiten, dieser Witz fand viele Nachahmer. Im Jahr 1988 kannte man ihn in der DDR so:

„Wann beginnt die Perestrojka in der DDR? Wenn die Witwe Erich Honeckers Willi Stoph im Alters­heim besucht, und der ihr erzählt, Kurt Hager könne leider nicht zur Beerdigung von Erich Mielke kommen, da er sein Ein-Zimmer-Appartement im Ostberliner Neubauviertel Marzahn neu tapezieren müsse.“

An diesen beiden Beispielen sieht man schon deutlich eines der wichtigsten Merk­male der politischen Witze: Der Angriff auf politische Zustände, Einrichtungen und Politiker. „Politische Witze sind demnach solche, die Staat und Gesellschaft, die sie beeinflussenden Kräfte und Personen sowie ihre Ideen und Forderungen zum Gegenstand haben.“[4]

Der Theater- und Filmschauspieler Willy Millowitsch zählte einst folgende drei Be­dingungen für die Entstehung eines politischen Witzes auf: Der Zwang von oben, die Unzufriedenheit von unten und die Humorlosigkeit bei den Machthabern.

Aber vor allem sollten politische Witze mindestens eine der folgenden drei Funktio­nen erfüllen:

1. Angreifen von bestehenden Staatssystemen, Politikern und Politik. Wobei „die witzige Provokation erst zündet, wenn sie auf eine beleidigte Leberwurst trifft.“ (Hansen) Dies wird als die politische Funktion bezeichnet. Man lobt, unterstützt, verteidigt, schwächt, kritisiert oder bekämpft die politische Füh­rung. Wobei man stets die sechs möglichen Stossrichtungen der politischen Witze unterscheiden muss. Ob Herrscher gegen Beherrschte, Beherrschte ge­gen Herrscher, Herrscher gegen Herrscher, Beherrschte gegen Beherrschte oder ob sie jeweils über sich selber Witze machen, spielt eine entscheidende Rolle. So gab es gerade auch in den autoritären Systemen eine Vielzahl von oben gesteuerter Pro-Witze der Partei-Propagandastäbe. Eine Menge Pro-Nazi-Witze[5] dienten im Nationalsozialismus dazu, die Gegner des Dritten Rei­ches zu diffamieren und das eigene Tun zu glorifizieren.

[...]


[1] Broer, Wolfgang: Wort als Waffe. Politischer Witz und politische Satire in der Republik Österreich (1918-1927). Wien 1973. S. 51 ff

[2] Natürlich gehören auch Karikaturen und die Pantomime in das Gebiet der Komik. Ich möchte mich aber in dieser Hausarbeit auf die gesprochen Personen- und Sachwitze beschränken.

[3] Vgl. Hirche, Kurt: Der braune und der rote Witz. Zwei deutsche Diktaturen in 1200 politischen Witzen. Düsseldorf 1964. S. 17ff

[4] Vgl. Hirche, Kurt: Der braune und der rote Witz. Zwei deutsche Diktaturen in 1200 politischen Witzen. Düsseldorf 1964. S. 17ff

[5] So kann man z.B. die gesamten Juden-Witze unter dieser Kategorie verbuchen. Zwei Beispiele aus dem Jahr 1933: „Jemand steht vor Gericht. Der Vorsitzende fragt ihn: Angeklagter, sind Sie Jude oder sonst vorbestraft?“ oder „Der Lehrer fragt in der Schule: Wie hieß der erste Mensch? Max antwortet: Hermann, der Cherusker. - Aber, Max, der erste Mensch war doch Adam! - Ach, Herr Lehrer, ich habe geglaubt, Nichtarier zählen nicht zu den Menschen.“

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Details

Titel
Der politische Witz
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Allgemeine Rhetorik)
Veranstaltung
Proseminar Politische Rede in der Weimarer Republik
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
12
Katalognummer
V1101
ISBN (eBook)
9783638106856
Dateigröße
376 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Witz, Proseminar, Politische, Rede, Weimarer, Republik
Arbeit zitieren
Alain Bieber (Autor:in), 2001, Der politische Witz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1101

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