Chancen(un)gleichheiten im Bildungswesen


Seminararbeit, 2006

19 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung

1. Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteilung
1.1. Bildungsbeteiligung in Österreich im Jahr 2001
1.2. Regionale Unterschiede
1.3. Unterschiede durch soziale Herkunft
1.4. Unterschiede durch kulturelle Herkunft

2. Chancen(un)gleichheiten im Bildungswesen
2.1. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“– Defizite der Unterschichtskinder
2.2. Schichtzugehörigkeit von SchülerInnen im Bildungswesen
2.2.1. Unterschiedliche soziale und kognitive Fähigkeiten
2.2.2. „Wer sprachlich nicht auf der Höhe ist, hat kaum andere Chancen“ [ ]
2.2.3. Kulturelles Kapital nach Pierre-Félix BOURDIEU
2.2.4. Stigmatisierungsprozesse in der Schule

Zusammenfassung

Quellenverzeichnis
Verwendete Literatur
Verwendete Graphiken

Einführung

Im ersten Teil „Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteiligung“ werden die Ergebnisse der Volkszählung 2001 herangezogen, um die aktuelle Situation (Anm.: im Jahr 2001) der Bildungsbeteiligung in Österreich darzustellen. Teilweise werden durch den Vergleich mit den Daten der Volkszählung 1991 auch die Entwicklungen im Zeitablauf von zehn Jahren aufgezeigt. Im Gegensatz zur „Schulstatistik“, die die SchülerInnen am Schulort erhebt, erfasst die Volkszählung die Bevölkerung am Wohnort. Dies hat den Vorteil, dass auch eventuell vorhandene regionale und soziale Unterschiede berücksichtigt werden können, vorausgesetzt die SchülerInnen wohnen im elterlichen Haushalt.[1] [vgl. BAUER 2005, S 109]

Es wurden folgende Teilbereiche untersucht: die generelle Bildungsbeteiligung in Österreich, die Bildungsbeteiligung verschiedener Altersgruppen bzw. differenziert nach Geschlecht, regionale Vergleiche, mögliche Unterschiede aufgrund sozialer bzw. durch kultureller Herkunft.

Im zweiten Teil „Chancen(un)gleichheiten im Bildungswesen“ werden verschiedene Aspekte, die sich aus den Auswertungen der Volkszählung 2001 ergeben, näher erläutert. Diese Ausführungen stellen jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen vielmehr aufzeigen, warum Veränderungen auf der Bildungsangebotsseite (z.B. Ausstattung der Schulen) alleine nicht ausreichend sind, um Chancengleichheit zu gewährleisten. [vgl. GIDDENS 1995, S 457 ff]

1. Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteilung

1.1. Bildungsbeteiligung in Österreich im Jahr 2001

[vgl. BAUER 2005, 110 ff]

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass sich immer mehr Menschen in Österreich in einer derzeitigen Ausbildung befinden, genau sind es 1.241.536 Personen. Im Vergleich zum Jahr 1991 stellt dies einen Anstieg von 11,2 Prozent dar, wobei der Anteil der Frauen um 14,4 Prozent und der Anteil der Männer um 8,2 Prozent gestiegen sind. In den Altergruppen der fünfzehn- bis neunzehnjährigen bzw. der zwanzig- bis vierundzwanzigjährigen Personen in Ausbildung ist regelmäßig der Anteil der Frauen höher als jener der Männer.

1.2. Regionale Unterschiede

[vgl. BAUER 2005, S 112 ff]

In Bezug auf regionale Unterschiede stellt sich heraus, dass die Bundeshauptstadt Wien „anders“ ist: Während in Wien von der Gruppe der fünfzehn- bis neunzehnjährigen SchülerInnen 14,2 Prozent eine Hauptschule und 22,1 Prozent eine Allgemein Höherbildende Schule (AHS) besuchen, verhält es sich in den Bundesländer nahezu genau umgekehrt.

1.3. Unterschiede durch soziale Herkunft

[vgl. BAUER 2005, S 115 ff]

Bei der Volkszählung wurden auch Merkmale der Eltern dokumentiert. Diese waren z.B. die Staatsangehörigkeit, die höchste abgeschlossene Schulbildung, die Stellung im Beruf oder die Herkunft der Eltern (bei Paaren wurden die Merkmale des Mannes ausgewertet). Dabei konnte festgestellt werden, dass „zwischen dem sozialem Hintergrund und der Ausbildung ein deutlicher Zusammenhang besteht, wobei dem Bildungshintergrund das größte Gewicht zufällt“
[BAUER 2005, S 116].

Anhand des Bildungshintergrundes lässt sich für die Gruppe der zwölfjährigen SchülerInnen folgende Situation feststellen: Während in Akademikerfamilien drei Viertel der Kinder in einem Gymnasium (77,3 Prozent) und nur jedes fünfte Kind (21,7 Prozent) in einer Hauptschule zu finden sind, besuchen die Kinder von Eltern mit Lehre oder Fachausbildung zu drei Viertel eine Hauptschule. Bei Eltern ohne eine weiterführende Ausbildung erhöht sich der Prozentsatz auf Achtzig, d.h. jedes vierte Kind besucht eine Hauptschule; der Anteil an SonderschülerInnen beläuft sich mit 3,3 Prozent fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt von 1,6 Prozent.

In der Gruppe der sechszehnjährigen SchülerInnen sind ähnliche Verhältnisse festzustellen. In Akademikerfamilien besuchen über 90 Prozent eine höhere Schule (69,3 Prozent ein Gymnasium und 21,4 Prozent eine Berufsbildende Höhere Schule). In Familien mit Eltern mit Matura liegt der Anteil ebenfalls noch sehr hoch (über 80 Prozent). Hingegen absolvieren die Kinder, deren Eltern eine Lehre oder Fachausbildung aufweisen, zu vierzig Prozent ebenfalls eine Lehre. Bei Familien mit Eltern ohne weiterführende Ausbildung stehen überhaupt nur mehr dreißig Prozent der Kinder in einer Ausbildung.

Allgemein wurde festgestellt, dass Arbeiterkinder und Kinder von Landwirten und von Angestellten ohne Matura auf der unteren Sekundarstufe eher eine Hauptschule besuchen. „An den Sonderschulen sind Kinder mit Eltern, die nur die Pflichtschulabschluss absolviert haben, mit 34,5 Prozent (im Vergleich zu 16,9 Prozent aller in Ausbildung stehenden Kinder in Familien) überpräsent“ [BAUER 2005, S 118].

Graphik: Bildungshintergrund 1 – Verteilung der Schulbildung der Eltern

(innerhalb der jeweiligen Schultypen)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BAUER 2005, Tabelle S 117 – Eigene Berechnungen

Die Graphik „Bildungshintergrund 1“ zeigt die Verteilung der SchülerInnen nach dem Bildungshintergrund (= Schulbildung der Eltern) innerhalb der einzelnen Schultypen bzw. Ausbildungsformen. Anhand der Graphik stammen z.B. in den österreichischen AHS viele SchülerInnen aus Akademikerfamilien (hellblau), kaum jedoch aus Familien mit Eltern mit Pflichtschulabschluss (violett). Andererseits sind in den Ausbildungsformen Polytechnikum und Lehre kaum Kinder aus Akademikerfamilien (hellblau), aber größere Anteile an Kindern aus Familien mit Pflichtschulabschluss (violett) zu finden.

Graphik: Bildungshintergrund 2 – Verhältnis der Verteilungen (innerhalb der jeweiligen Gruppe von Schulbildung der Eltern) auf einzelne Schultypen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BAUER 2005, Tabelle S 117 – Eigene Berechnungen

Die Graphik „Bildungshintergrund 2“ zeigt das Verhältnis der Verteilung innerhalb einer Gruppe von SchülerInnen, deren Eltern das gleiche Bildungsniveau aufweisen, zueinander. Anhand der Graphik lässt sich ablesen, dass z.B. die Kinder von Eltern mit Pflichtschulabschluss (violett) zu 2,1 Prozent eine Sonderschule besuchen und damit am häufigsten von allen anderen Bildungshintergrundgruppierungen in der Ausbildungsformen Sonderschule vorkommen (siehe Tabelle). Im Verhältnis zu den Anteilen anderer Bildungshintergrundgruppen z.B. Eltern mit Matura (lila), die 0,6 Prozent ihrer Kinder in der Sonderschule haben, bedeutet dies einen über dreimal so großen Anteil am Balken „Sonderschule“ in der Graphik. Im Gegensatz zu den Kindern aus Akademikerfamilien (hellblau), deren Kinder z.B. zu 18,1 Prozent studieren (siehe Tabelle) und damit im Verhältnis zu den Kindern, deren Eltern einen Pflichtschulabschluss (violett) aufweisen - 4,9 Prozent davon studieren - fast viermal so viel darstellen (siehe Balken Uni/Hochschule in der Graphik).

1.4. Unterschiede durch kulturelle Herkunft

[vgl. BAUER 2005, S 118 ff]:

Die Bildungsbeteiligung am Beispiel der Sechzehnjährigen zeigt, dass zwar aus österreichischen Familien 94,5 Prozent der Kinder in Ausbildung stehen. In Familien mit jugoslawischem Elternteil sinkt der Anteil aber auf 84,4 Prozent, in Familien mit türkischem Elternteil sogar auf 72,0 Prozent (siehe Graphik „Schullaufbahnen nach sozialer Herkunft“).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: „Der Standard“ vom 12. November 2005

„Kinder von Migrantenfamilien sind in höheren Schulen unterrepräsentiert“ [BAUER 2005, S 118]. Der durchschnittliche Anteil der Ausländerkinder in allen Schulen beträgt ca. zehn Prozent. In den Pflichtschulen liegt der Anteil jedoch noch über zehn Prozent, im Gegensatz zu den höheren Schulen, wo er unterhalb von zehn Prozent sinkt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BAUER 2005, Tabelle S 117 – Eigene Berechnungen

In der Graphik „Bildungsbeteilung nach Staatsangehörigkeit der Eltern (Teil 1 von 2)“ sind die Ausbildungsformen Volksschule, Hauptschule, Sonderschule Polytechnikum und Lehre dargestellt. Die Balken zeigen die Bildungsbeteiligung nach Staatsangehörigkeit der Eltern ab dem Skalenwert von achtzig Prozent. Die Kinder aus österreichischen Familien werden durch den blauen Balkenanteil dargestellt, welcher in der Sonderschule mit ca. dreiundachtzig Prozent den niedrigsten Wert annimmt. Der Anteil an Kindern aus Migrantenfamilien beträgt in allen Pflichtschulen über zehn Prozent, am meisten in der Sonderschule (ca. sechzehn Prozent).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BAUER 2005, Tabelle S 117 – Eigene Berechnungen

In der Graphik „Bildungsbeteilung nach Staatsangehörigkeit der Eltern (Teil 2 von 2)“ sind die Ausbildungsformen AHS, Berufsbildende Mittlere Schule, Berufsbildende Höhere Schule, Universität/Fachhochschule/Akademie und Sonstige dargestellt. Die Balken zeigen die Bildungsbeteiligung nach Staatsangehörigkeit der Eltern ab einem Skalenwert von achtzig Prozent. Die Kinder aus österreichischen Familien werden durch den blauen Balkenanteil dargestellt, welcher in allen höheren Ausbildungsformen über neunzig Prozent (im tertiären Bildungssektor sogar fast sechsundneunzig Prozent) beträgt. Die Kinder aus Migrantenfamilien sind in den höheren Schulen immer unter zehn Prozent und am geringsten im tertiären Bildungssektor (…)[2] mit nur ca. zwei Prozent vertreten.

Zusammenfassend bedeutet dies, dass obwohl in den Pflichtschulen der Anteil von Kindern aus Migrantenfamilien über zehn Prozent beträgt, die Bildungsbeteiligung der Migrantenkinder in der Oberstufe unter zehn Prozent sinkt und im tertiären Bildungssektor (…)[3] sogar auf ca. zwei Prozent schrumpft, d.h. Migrantenkinder steigen durchschnittlich früher aus dem (Aus-)Bildungswesen aus und ins Berufsleben ein als Kinder österreichischer Familien.[4]

Innerhalb Österreichs gibt es diesbezüglich regionale Unterschiede. In Wien z.B. ist der Anteil der VolksSchülerInnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, innerhalb der letzten fünfundzwanzig Jahre von 12,9 auf 44,0 Prozent gestiegen; in den Wiener Hauptschulen beträgt er zwischen fünfundvierzig und fünfzig Prozent. Damit hat Wien unter den österreichischen Bundesländern die Spitzenposition eingenommen [vgl. N.N.: „Schüler nichtdeutscher Muttersprache: Gegenläufige Trends in Ländern“, APA, 11. November 2005. http://www.ahs-aktuell.at].

2. Chancen(un)gleichheiten im Bildungswesen

Das Bildungswesen ist nach wie vor in Österreich ein gern diskutiertes und politisch vereinnahmtes Thema, da „Bildung immer als Mittel zur Schaffung sozialer Gleichheit erachtet wurde“ [GIDDENS 1995, S 457].

2.1. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“– Defizite der Unterschichtskinder

Die Daten der OECD-Studie PISA zeigen, in welchen Ländern Bildungsleistung möglichst unabhängig von sozioökonomischer Herkunft erbracht wird. „Während Ungleichheiten der Konfession bzw. des Geschlechts weitgehend minimiert werden konnten, zeichnen sich manche Schulsysteme nach wie vor durch hohe soziale Selektivität aus“ [vgl. BREIT Simone, Einzelbeitrag zur 5. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen, am 1. Oktober 2005].

Verschiedene Studien – zuletzt die OECD-Studie PISA 2002 – belegen, „dass die Bildungsleistung stark vom sozialen Hintergrund der SchülerInnen abhängt“ [SCHLEICHER 2005]. Der PISA Koordinator der OECD, Andreas Schleicher, zeigte sich beunruhigt, dass „es Schulsystemen, wie in Österreich, nur unzureichend gelinge … ungünstige soziale und familiäre Voraussetzungen auszugleichen“. In einigen OECD-Staaten hängt Bildungsleistung stark vom sozialen Hintergrund ab, „wodurch Bildungs- und Lebenschancen verspielt werden“. [vgl. N.N.: „Pisa Koordinator der OECD Schleicher fordert mehr Chancengleichheit im Bildungssystem“, OTS, vom 7. Juni 2005. www.ahs-aktuell.at]

Die Haupthürde, die Kinder im österreichischen Schulsystem benachteiligt, ist „nicht so sehr die ethnische Herkunft, sondern die soziale Schichtzugehörigkeit. Das verbindet Migrantenkinder mit Kindern aus sozial schwachen österreichischen Familien“ [NIMMERVOLL 2005]. Darauf stützt sich auch die Soziologin Anna UNTERWURZACHER von der Universität Wien in ihrer (noch unveröffentlichten) Studie über den „Bildungs(miss)erfolg von Jugendlichen der zweiten Migrantengeneration“.

Diese österreichweite Studie zeigt unter anderem auf, dass fast fünfzig Prozent der Einwandererkinder zweiter Generation nur die Pflichtschule (österreichische Kinder 23,4 Prozent) und lediglich 7,7 Prozent eine Höhere Schule (österreichische Kinder 20,9 Prozent) abschließen. Diese Benachteiligung existiert auch bei sozial integrierten oder anpassungswilligen Ausländerfamilien, wodurch als Ursache kulturelle Defizite zugunsten schichtspezifischer eliminiert werden können. Nach Einschätzung der Migrations- und Bildungsexpertin Gudrun BIFFL vom Wirtschaftsforschungsinstitut „haben unsere Arbeiterkinder ein vergleichbares Integrationsproblem im Bildungssystem wie Migrantenkinder“.

[vgl. NIMMERVOLL Lisa, „Soziale Schicht als Haupthürde“, in Der Standard, vom 12. November 2005]

2.2. Schichtzugehörigkeit von SchülerInnen im Bildungswesen

Der Statistik-Professor Erich NEUWIRTH stellte in einer Detailanalyse der PISA-Ergebnisse fest, dass das Verständnis der Fragestellung (z.B. das Lesevermögen) von großer Bedeutung ist, ob SchülerInnen die Aufgaben lösen können. Dies wiederum steht in engem Zusammenhang mit dem Bildungsgrad der Eltern [vgl. SEIDL Conrad: „Pisa-Studie zeigt soziale Defizite“, In: „Der Standard“, vom 21. Oktober 2005].

2.2.1. Unterschiedliche soziale und kognitive Fähigkeiten

„Das schulische Normensystem entspricht vor allem den Normen und Zielen … der statusorientierten Mittelschicht“ [LÖSEL 1975]. Die LehrerInnen und die Verhaltens- und Leistungsnormen in den Schulen stammen zumeist aus dieser Mittelschicht, wodurch Kinder aus der Mittelschicht auf „bereits bekannte Interaktionsmuster zurückgreifen. Kinder aus Unterschichten müssen dagegen einen stärkeren Anpassungsprozess vollziehen. Schule bedeutet für diese Kinder die Konfrontation mit einer anderen Kultur“ [LÖSEL 1975]. [vgl. LÖSEL Friedrich: „Stigmatisierung 2, Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen“, Darmstadt, 1975, S 7 bis 32]

2.2.2. „Wer sprachlich nicht auf der Höhe ist, hat kaum andere Chancen“ [ ]

[vgl. GIDDENS Anthony: „Bildung und Ungleichheit“, in GIDDENS[5] Anthony: „Soziologie“, Graz-Wien 1995, S 457 bis 470]

[vgl. DE CILLA Rudolf: „… dass der Mensch im Grunde mehrsprachig ist. Für einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Schule, 2004]

Laut Basil BERNSTEIN [ ] [6] sprechen die Mitglieder unterschiedlicher sozialer Schichten unterschiedliche Sprachstile, so genannte „Codes“ innerhalb ihrer Familie und ihres sozialen Umfeldes. „Der Sprachstil der Kinder aus unteren sozialen Schichten stellt einen restringierten Code dar, d.h. einen Sprachgebrauch, für den eine Vielzahl stillschweigender Voraussetzungen typisch ist“ [GIDDENS 1995, S 460]. Hingegen lernen die Kinder aus den mittleren und oberen sozialen Schichten einen elaborierten Sprachstiel, d.h. einen Sprachgebrauch, der es ermöglicht, den jeweiligen Anforderungen einer Situation gerecht zu werden. Die unterschiedlichen Sprachstile sind weder minder- bzw. höherwertig, sondern „kollidieren“ [GIDDENS 1995, S 461].

Die LehrerInnen sprechen den Sprachstil der Mittelschicht, wodurch bereits beim Schuleintritt Kinder aus unteren sozialen Schichten, die einen anderen Sprachstil beherrschen, benachteiligt sind. Im Laufe der Schulzeit wird die sprachliche Differenz zwischen den sozialen Schichten beibehalten oder teilweise vergrößert [LÖSEL 1975].

In Österreich kommt noch hinzu, dass ein bedeutender Anteil der SchülerInnen nicht Deutsch als Muttersprache hat. Bei der Volkszählung 2001 wurden ca. sechzig Sprachen erhoben: „88,6 Prozent der österreichischen Bevölkerung sprechen (nur) Deutsch, ca. 4,3 Prozent Sprachen des ehemaligen Jugoslawien, ca. 2,3 Prozent Türkisch oder Kurdisch. Die offiziell anerkannten Minderheiten (…)[7] machen insgesamt ca. 1,5 Prozent, die so genannten „Weltsprachen“ Englisch, Französisch, Italienisch insgesamt ca. ein Prozent aus“ [DE CILLA 2004]. Nicht offiziell als Sprachminderheit anerkannt sind bisweilen die Gehörlosen, die die Österreichische Gebärdensprache benutzen. Sie müssen in den Schulen (für Behinderte) verpflichtend „oralistisches“ Deutschsprechen lernen, jedoch die Gebärdensprache bekommen sie nur als Freifach angeboten. Das österreichische Bildungssystem geht vorrangig von einer „Einsprachigkeit“ aus. „Die Unterrichtssprache, die vom Gesetz vorgegeben ist, müssen alle SchülerInnen gleich gut beherrschen“ [DE CILLA 2004].

Während die Kinder anerkannten Sprachminderheiten mehrsprachig aufwachsen, mehrsprachige Schulen (inkl. Oberstufe) besuchen können, sind die Kinder nicht anerkannter Sprachen schon bei Schuleintritt mit der fremden Unterrichtssprache (Deutsch) konfrontiert. Zweisprachige Alphabetisierung ist derzeit noch die Ausnahme. Hinzukommt, dass – wie bereits erwähnt – in der Unterrichtssprache ein Sprachcode verwendet wird, der selten jenem der sozialen Schicht der Migrantenkinder entspricht.[8]

Nach Gerd LAU haben viele ausländische Kinder „kollektiv verminderte Bildungschancen. … Sie verfehlen positive Noten aus rein vorläufigen Defiziten des Spracherwerbes, erhalten aber keinen Bonus für ihre Zweisprachigkeit; sie landen in der Hauptschule statt im Gymnasium; sie verweilen sogar in der Sonderschule – oft bis zum bitteren Ende lebenslang versäumter Aufstiegschancen“ [vgl. LAU Gerd: „Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer, Über die Lage der Lehrer zu einer Zeit, da sich Zölle und Sprachenvielfalt reziprok verhalten“, In: „Deutschunterricht zwischen Realität und Utopie. Modelle, Konzepte und Erfahrungen. Zum 60. Geburtstag von Josef Donnerberg“, Stuttgart 1991, S 123 bis 139].

Das Modellprogramm „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (FörMig)“ des Instituts für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg (BRD) beinhaltet die Annahme, dass „jeder Unterricht auch Sprachunterricht ist. Jedes Unterrichtsfach hat seine eigene besondere Sprache, die Sprache der Mathematik funktioniert anders als die Sprache der Musik“. Die Kinder aus sozialen Mittel- und Oberschichten haben eher die Fähigkeit, sich der jeweiligen Unterrichtssprache anzupassen.

2.2.3. Kulturelles Kapital nach Pierre-Félix BOURDIEU

[vgl. NAIRZ-WIRTH Erna: „Migration und Schullaufbahn in Österreich“, In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No 15/2003. http://www.inst.at/trans/15Nr/08_1/nairz-wirth15.htm]

Sprache bzw. Sprachstil stellt eine Form von inkorporiertem (verinnerlichtem) kulturellem Kapital […][9] nach Pierre-Félix BOURDIEU dar. Das bedeutet Sprache ist an eine bestimmte Person gebunden und „setzt einen Verinnerlichungsprozess voraus, …der Zeit kostet“ [BOURDIEU 1992, S 55]. „Inkorporiertes Kapital ist ein Besitztum, das zu einem festen Bestandteil der Person, zum Habitus geworden ist“ [BOURDIEU 1992, S 56]. Wodurch sich erklärt, dass es zum festen Bestandteil der Person gehört und kurzfristig nicht weitergegeben werden kann.[10]

Sprache bedeutet nicht nur die Fähigkeit zur Kommunikation, sondern auch „komplexe, logische oder ästhetische Strukturen aufzuschlüsseln und anzuwenden, und ist von der Komplexität der ‚mitgebrachten’ Sprache abhängig“ [NAIRZ-WIRTH 2003]. Das sprachliche Kapital wird vorwiegend in der familiären Situation erworben, wodurch sich die Unterschiede der sozialen Schichten offenbaren. Kulturelles Kapital hat jedoch im Bildungssystem einen wichtigen Stellenwert (…)[11], der wiederum die Chancenungleichheiten der Kinder unterschiedlicher sozialer Schichten erhärtet.

2.2.4. Stigmatisierungsprozesse in der Schule

[vgl. LÖSEL Friedrich: „Stigmatisierung 2, Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen“, Darmstadt, 1975, S 7 bis 32]

Die LehrerInnen erwarten von ihren SchülerInnen gewisse Verhaltensweisen, die Unterschichtskinder weniger erfüllen können, da sie in den Schulen sprachliche und normative Barrieren erfahren, die sie kaum überwinden können. Sie werden „verhaltensauffällig“ für die LehrerInnen und von diesen gewissen Stereotypen zugeordnet (Stigmatisierung). Diese Typisierung beeinflusst die weitere Wahrnehmung und Beurteilung der LehrerInnen gegenüber den betroffenen SchülerInnenn (…)[12] (Stigma-Verfestigung), bis hin zur Rollenübernahme durch die SchülerInnen selbst (Stigma-Identifikation). Die SchülerInnen übernehmen irgendwann die (stigmatisierten) Erwartungen und erhalten dadurch auch ein neues (negatives) Selbstbild.[13]

Hinzukommt noch, dass bei Kindern aus höheren sozialen Schichten die Eltern die weitere Schullaufbahn bestimmen. Hingegen bei Kindern aus unteren sozialen Schichten haben die LehrerInnen oft eine wichtige Funktion. „Schüler der Unterschichten werden, … , im Verhältnis zur Oberschicht zu selten für weiterführende Schulen empfohlen. Viele LehrerInnen betrachten Unterschicht-Zugehörigkeit als zentrales Hemmnis für den erfolgreichen Besuch weiterführender Schulen…“ [LÖSEL 1975]. Dem entspricht auch der Umstand, dass in stigmatisierten Schultypen, wie zum Beispiel der Sonderschule, Unterschichtskinder überrepräsentiert sind.

Zusammenfassung

Die Ergebnisse der Volkszählung 2001 zeigen deutlich, dass Chancengleichheit im österreichischen Bildungssystem nicht verwirklicht ist. Das sozioökonomische Herkunftsmilieu der Kinder ist nach wie vor maßgeblich verantwortlich, welche Bildungsmöglichkeiten die SchülerInnen erhalten. Diese schichtspezifischen Unterschiede zeigen sich in verschiedenen kognitiven und sozialen Fähigkeiten, von denen der (Mutter-)Sprache bzw. dem erlernten Sprachstil die wahrscheinlich größte Bedeutung zukommt. Weiters besteht bei Kindern aus sozialen Unterschichten die Gefahr der Stigmatisierung durch die LehrerInnen bzw. die Stigma-Übernahme durch die SchülerInnen selbst. Die Kinder aus Migrantenfamilien sehen sich diesen Barrieren noch deutlicher gegenüber, da sie einerseits Deutsch als Fremdsprache lernen müssen und andererseits – sie stammen selbst häufig aus sozial unteren Schichten – auch mit der fremden Unterrichtssprache, die dem Sprachstil des Mittelstandes entspricht, konfrontiert sind.

Sprachliche Fertigkeiten sind eine Form von kulturellem Kapital, welches viel verborgener erworben wird als ökonomisches Kapital. Der Erwerb von kulturellem Kapital findet primär in den Familien statt, und somit unter ungleichen Voraussetzungen, wodurch die Chancen der Kinder im weiteren Leben erfolgreich zu sein, schon sehr früh mitbestimmt werden [vgl. NAIRZ-WIRTH Erna: „Migration und Schullaufbahn in Österreich“, In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No 15/2003. http://www.inst.at/trans/15Nr/08_1/nairz-wirth15.htm].

Quellenverzeichnis

Verwendete Literatur

- BAUER Adelheid: “Volkszählung 2001, Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteiligung“, In: Statistische Nachrichten 2/2005, S 108 bis 120
- BERNSTEIN Basil: „Soziale Struktur, Sozialisation und Sprachverhalten. Aufsätze 1958 bis 1970, Amsterdam 1970
- BOURDIEU Pierre-Félix: „Kapitalarten: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital“, In: Die Verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 1992,
S 49 bis 79
- BREIT Simone: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm? Zum Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Herkunft und Schulleistung“, In: Übersicht Einzelbeiträge, 5. ÖFEB Jahrestagung in Linz vom 29. September bis 01. Oktober 2005, Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen.
- Brenner, Cerha, Hoepke, Trauttmannsdorff, Waldstein, Wilhelm: „Eliteschulen als Karrieresprungbrett“, In: Gewinn 1/06, S 76 ff
- DE CILLA Rudolf: „… dass der Mensch im Grunde mehrsprachig ist. Für einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Schule“, 2004
- FörMig – Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund der Universität Hamburg, Institut für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, http://www.bik.foermig.uni-hamburg.de, Zugriff am 5. Jänner 2005
- GIDDENS Anthony: „Bildung und Ungleichheit“, In: GIDDENS Anthony: Soziologie, Graz/Wien 1995, S 457 bis 470
- LAU Gerd: „Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer. Über die Lage der Lehrer zu einer Zeit, da sich Zölle und Sprachenvielfalt reziprok verhalten“, In: Deutschunterricht zwischen Realität und Utopie. Modell, Konzepte und Erfahrungen. Zum 60. Geburtstag von Josef Donnerberg, Stuttgart 1991, S 123 bis 139
- LÖSEL Friedrich: „Stigmatisierung 2, Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen“, Darmstadt 1975, S 7 bis 32, vergriffen, zur Verfügung gestellt auf www.bidok.uibk.ac.at, Zugriff am 2. Jänner 2006
- NAIRZ-WIRTH Erna: „Migration und Schullaufbahn in Österreich“, In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No 15/2003. http://www.inst.at/trans/15Nr/08_1/nairz-wirth15.htm, Zugriff am 5. Jänner 2005
- NIMMERVOLL Lisa: „Soziale Schicht als Haupthürde für Migrantenkinder“,
In: Der Standard, Wien, 12. November 2005
- N.N.: „Schüler nicht deutsche Muttersprache: Gegenläufige Trends in Ländern“, APA,
11. November 20005. http://www.ahs-aktuell.at/news/11/111105b.html, Zugriff am
29. Dezember 2005
- N.N.: „PISA Koordinator der OECD Schleicher fordert mehr Chancengleichheit im Bildungssystem“, OTS, 7. Juni 20005. http://www.ahs-aktuell.at/news/06/070605b.html, Zugriff am 29. Dezember 2005 bzw. http://wien.arbeiterkammer.at
- ROSENTHAL R. und JACOBSEN L.: „Pygmalion im Unterricht“, Weinheim 1971
- SEIDL Conrad: „PISA Studie zeigt soziale Defizite“, In: Der Standard, Wien,
21. Oktober 2005

Verwendete Graphiken

BAUER Adelheid: “Volkszählung 2001, Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteiligung“, In: Statistische Nachrichten 2/2005, Tabelle S 117 – Eigene Berechnungen

BAUER Adelheid: “Volkszählung 2001, Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteiligung“, In: Statistische Nachrichten 2/2005, Tabelle S 117 – Eigene Berechnungen

Der Standard vom 12. November 2005

BAUER Adelheid: “Volkszählung 2001, Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteiligung“, In: Statistische Nachrichten 2/2005, Tabelle S 117 – Eigene Berechnungen

BAUER Adelheid: “Volkszählung 2001, Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteiligung“, In: Statistische Nachrichten 2/2005, Tabelle S 117 – Eigene Berechnungen

[...]


[1] Im Pflichtschulalter wohnen fast 100 Prozent der SchülerInnen im Elternhaushalt, bei den Studierenden sind es ungefähr zwei Drittel [BAUER 2005, S 115].

[2] (Universitäten, Fachhochschulen und Akademien)

[3] (Universitäten, Fachhochschulen und Akademien)

[4] Graphik – Quelle: www.gesamtschule-ruhrort.de

[5] [SEIDL Conrad: „Pisa-Studie zeigt soziale Defizite“, In: „Der Standard“, vom 21. Oktober 2005]

[6] [vgl. z.B. BERNSTEIN Basil: „Soziale Struktur, Sozialisation und Sprachverhalten“, Aufsätze 1958 bis 1970,
Amsterdam, 1970]

[7] (dies sind: Kärntner Slowenen, Burgenlandkroaten, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Roma/Sinti)

[8] Graphik – Quelle: http://www.hiddenhausen.de/gif/sonstiges/Schueler.gif

[9] [vgl. BOURDIEU Pierre-Félix: „Kapitalarten: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital“,
In: „Die verborgenen Mechanismen der Macht“, Hamburg 1992, S 49 bis 79]

[10] Photo: Pierre-Félix BOURDIEU, Quelle: www.faculty.umb.edu

[11] (vgl. Brenner, Cerha, Hoepke, Trauttmannsdorff, Waldstein, Wilhelm: „Eliteschulen als Karrieresprungbrett“, In: Gewinn 1/06, S 76 ff – z.B. Schulen die durch ein ‚Netzwerk’, Internationalität oder besondere Förderprogramme ihren Absolventen hervorragende berufliche Positionen ermöglichen. )

[12] (vgl. die „Pygmalion“-Studie von Rosenthal und Jacobsen, 1971, die nach einem IQ-Test den LehrerInnen willkürlich zehn Prozent der SchülerInnen als „Aufblüher“ angaben, worauf diese nach einem Jahr tatsächlich überproportional Steigerungen vorwiesen.)

[13] Graphik – Quelle: www.rf-news.de

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Chancen(un)gleichheiten im Bildungswesen
Hochschule
Wirtschaftsuniversität Wien
Veranstaltung
Grundlagen der Erziehungswissenschaften II
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V110015
ISBN (eBook)
9783640081936
ISBN (Buch)
9783640129973
Dateigröße
584 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Seminararbeit basierend auf dem Artikel: "Volkszählung 2001: Soziodemographische Determinanten der Bildungsbeteilung", in Statistische Nachrichten 2/2005, Seiten 108 bis 120, von Mag. Adelheid BAUER, mit ergänzenden Bemerkungen zu den Chancen(un)gleichheiten im Bildungswesen, LV im WS 2005/2006
Schlagworte
Chancen(un)gleichheiten, Bildungswesen, Grundlagen, Erziehungswissenschaften, Schule, Bildung, Soziale Herkunft, Schullaufbahn, Selektion, Sprache, Kapital
Arbeit zitieren
Claudia Tusek (Autor:in), 2006, Chancen(un)gleichheiten im Bildungswesen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110015

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