Faschistische Entvölkerungspolitik in Osteuropa


Essay, 2005

29 Seiten


Leseprobe


Walter Grode

FASCHISTISCHE ENTVÖLKERUNGSPOLITIK IN OSTEUROPA

Exkurs zur >Sonderbehandlungsaktion 14f13< in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern

Einführende Notiz: Bis auf wenige Ausnahmen gehörte das gesamte Stammpersonal der drei Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka, in denen zwischen dem Frühjahr 1942 und dem Herbst 1943 mehr als 1,5 Millionen jüdische Menschen ermordet wurden, der 'Organisation T4' an, einer zum Zweck der Vernichtung von 'lebensunwerten' Insassen der Heil- und Pflegeanstalten gegründeten Unternehmung. Die vorliegende Untersuchung weist nach, daß die 'T4'-Mitarbeiter vor ihrer Abkommandierung zur 'Endlösung der Judenfrage' durch die Tötung von Konzentrationslagerhäftlingen im Rahmen der 'Sonderbehandlung 14f13' systematisch auf weitere Mordaktionen vorbereitet worden waren. Die im folgenden - allein auf die 18 Dokumentenbände 'Nürnberger Prozesses' gestützte These - von einer faschistischen Entvölkerungspolitik in Osteuropa stieß 1986/87 auf fast einhellige Skepsis. Nach Öffnung der sowjetischen Archive ist die These, daß es sich um ernährungspolitisch kalkulierte Morde handelte, von Christian Gerlach (1998) - >Krieg, Ernährung, Völkermord<. Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg< eindrucksvoll bestätigt worden: Der folgende Exkurs ist (das leicht gekürzte) vierte Kapitel des Hauptteils der Studie des Verfassers aus dem Jahre 1987: >Die "Sonderbehandlung 14f13" in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches. Ein Beitrag zur Dynamik faschistischer Vernichtungspolitik<. (1a)

Die Tätigkeit der 'Organisation T4' in den Konzentrationslagern bildete für einen großen Teil ihrer Mitarbeiter eine Vorübung für ihre Teilnahme an der sog. 'Aktion Reinhard'(1) Der im Rahmen dieser Aktion, maßgeblich von ehemaligen Mitarbeitern der 'Aktion 14f3' praktizierte Mord an hunderttausenden polnischen Menschen jüdischen Glaubens in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka war lediglich ein Teil des vom Nazi-Regime begangenen millionenfachen Massenmordes, insbesondere an den jüdischen Menschen, in Osteuropa. Dennoch erscheint es auf den ersten Blick, als stünde die faschistischr "Entvölkerungspolitik"(2) im Osten Europas nurmehr in einem zufälligen Zusammenhang mit dem Thema dieser Arbeit, der Vernichtungsaktion '14f13'. Dieser scheinbaren Nichtzusammengehörigkeit soll durch die Bezeichnung dieses Kapitels als "Exkurs" Rechnung getragen werden.

Während der Aufarbeitung der Vernichtungsaktion in den Konzentrationslagern zeigte es sich hingegen immer deutlicher, daß gerade der Gesamtzusammenhang mit der faschistischen Entvölkerungspolitik in der Sowjetunion, vom Winter 1941/42 an, seinerseits den weiteren Verlauf der 'Aktion 14f13' entscheidend prägte. Eine Untersuchung der Tätigkeit der 'Organisation T4' in den KZ muß deshalb m.E. zumindest ansatzweise diese Massenverbrechen mit aufnehmen und insbesondere der Frage nachgehen, ob und wieweit die faschistischen Massenmorde in Osteuropa und, im Zusammenhang mit der Tätigkeit der 'Organisation T4', besonders die Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung Polens, Teil eines im faschistischen Sinne funktionalen Gesamtkonzepts waren.

Erklärungsversuche bundesrepublikanischer Historiker und Publizisten für das faschistische Morden in Osteuropa gelangen vielfach zu der, in unterschiedlichen Formen dargestellten Erkenntnis, daß der Grund für diese Taten letztlich in der nationalsozialistischen Rassenideologie gelegen habe.(3) Bezogen auf die Motive der Führung der faschistischen Partei und des von ihr installierten Terrorapparats hat ein solcher Erklärungsansatz sicherlich eine weitgehende Berechtigung.

Bezogen auf den Gesamtzusammenhang geht der Verfasser jedoch davon aus, daß es sich bei der NS-Rassenideologie um ein Spezialinteresse von maßgeblichen Teilen der Führung der NSDAP handelte, die ihre Machtposition im wesentlichen ihrer Funktion als Bündnispartner der Monopol-Konzerne und der Führungsspitze der Wehrmacht verdankte.(4)

1. Planungen zur Umgestaltung der unterworfenen Sowjetunion in eine Agrarkolonie des 'Großdeutschen Reiches'

Die unmittelbaren organisatorischen Vorbereitungen und Planungen der wirtschaftlichen Seite des Raubzugs gegen die UdSSR begannen, so weist Czollek nach, im Herbst 1940, also mehr als sechs Monate vor Beginn des militärischen Überfalls.(27)

Anfang Januar 1941, so schreibt die Autorin weiter, stellte General Georg Thomas, Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungshauptamtes des OKW, auf Weisung Görings einen 'Arbeitskreis Rußland' zusammen(28), aus dem heraus sich, wie aus den Dokumenten des Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozesses, auf die sich der Verfasser bei den folgenden Ausführungen im wesentlichen stützen wird, hervorgeht, unter Einschaltung "zuverlässiger Persönlichkeiten deutscher Konzerne"(29) im Laufe des Frühjahrs 1941 der sog. 'Wirtschaftsführungsstab Ost' entwickelte.(30)

Diese Leitungsgruppe legte im Juni 1941, noch vor dem Einfall in die UdSSR, das zentrale Programm für die Ausraubung der sowjetischen Territorien, die 'Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neubesetzten Ostgebieten', die sog. 'Grüne Mappe Görings', vor.(31)

Gemäß den in der 'Grünen Mappe' festgelegten grundsätzlichen Richtlinien war es die oberste Maxime "die sofortige und höchstmögliche Ausnutzung der besetzten Gebiete zugunsten Deutschlands herbeizuführen", wobei dieses sich "in erster Linie auf den Gebieten der Ernährungs- und Mineralölwirtschaft vollziehen" sollte.(32)

Vor allen anderen industriellen Zielen wurde der Beschaffung von Mineralöl in den 'Richtlinien' "unter allen Umständen der Vorrang" eingeräumt.(33) Für die Durchführung der auf dem Mineralölgebiet, insbesondere in Kaukasien, zu treffenden Maßnahmen, wurde am 27. März 1941 unter maßgeblichem Einfluß der deutschen Bank und der IG Farben(34) gegründete Monopolgesellschaft, die "Kontinentale Öl AG", eingesetzt.(35)

Ähnliches Gewicht wie der Mineralölwirtschaft kam in den Planungen des `Wirtschaftsführungsstabes Ost' lediglich noch der Ernährungswirtschaft zu.(36)

Da aber gerade die Ausplünderungsvorhaben im landwirtschaftlichen Bereich im direkten Zusammenhang mit Vorhaben standen, die Bevölkerung bestimmter Territorien der Sowjetunion systematisch zu reduzieren, sollen die Absichten der faschistischen Planer auf dem Agrarsektor im folgenden detaillierter betrachtet werden.

Die Ausplünderungsziele auf dem Agrarsektor waren im einzelnen in dem bereits Ende Mai 1941 fertiggestellten 'Wirtschaftspolitischen Richtlinien für die Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft'(37) festgelegt und in der 'Grünen Mappe' lediglich noch einmal summarisch aufgeführt worden.(38)

Das "Minimalziel" des Programms der 'Gruppe Landwirtschaft' war die "Versorgung der Wehrmacht aus Feindesland im dritten und evtl. weiteren Kriegsjahr"(39) und die Aufstockung der Lebensmittelrationen und - reserven in Deutschland mit der weiter gesteckten Absicht, den europäischen Teil der Sowjetunion auf den Status einer Agrarkolonie herabzudrücken und die volkswirtschaftliche Struktur von 1909/1913 oder möglichst sogar diejenige von 1900/1902 wieder herzustellen.(40)

Das strategische Ziel der 'Wirtschaftspolitischen Richtlinien für die Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft' war die "Autarkie des europäischen Großwirtschaftsraumes"(41)

Um dieses Ziel zu erreichen, sollte das Problem des Ersatzes der Übersee-Einfuhren durch "Einfuhren aus dem Osten ... unter allen Umständen, selbst durch rücksichtsloseste Drosselung des russischen Eigenkonsums" gelöst werden, "Wobei unterschiedlich gegenüber der Konsumzone und der Produktionszone verfahren werden" müsse.(42)

Diese unterschiedliche Vorgehensweise sei, so wurde in den 'Wirtschaftspolitischen Richtlinien' erklärt, im Gegensatz zu den bisherigen besetzten Gebieten, auch deshalb praktikabel, weil es sich in der Sowjetunion nicht um eine "Gemengelage" handele, sondern das "Hauptüberschußgebiet" vom "Hauptzuschußgebiet" räumlich scharf getrennt sei.(43) Die "Überschußgebiete" lägen im "Schwarzerdegebiet" im Süden und Südosten, während sich die "Zuschußgebiete" auf den sog. "Podsolböden" in der "Waldzone des Nordens" befänden.(44)

Gemäß den Planungen der "Gruppe Landwirtschaft" sollte in den südlichen Territorien des europäischen Teils der UdSSR mit einer "Erzeugungsschlacht" nach deutschem Muster, aber mit kontinentalen Methoden, in der Art einer Plantagenwirtschaft begonnen werden. Aus diesem Grunde wurden auch in den 'Wirtschaftspolitischen Richtlinien für die Wirtschaftsorganisation Ost' ausdrücklich darauf hingewiesen, daß jeder Versuch, die bestehenden landwirtschaftlichen Großbetriebe aufzulösen, mit härtesten Mitteln zu bekämpfen sei.(45)

Das angestrebte Resultat der Ausraubungsaktion sah für 1941/1942 bereits genau berechnete Mindestanforderungen vor: 4,5 bis 5 Millionen Tonnen Getreide (Fleisch auf Futtergetreide umgerechnet) für die Ernährung der Wehrmacht aus dem Lande und 1,5 Millionen Tonnen Ölsaaten (das entsprach 400.000 bis 500.000 Tonnen Öl und einer Millionen Tonnen Ölkuchen) für die "Ausfuhr" nach Deutschland.(46).

Den deutschen Zugriff auf die Überschüsse der "Schwarzerdegebiete" wollten die Autoren(47) der 'Wirtschaftspolitischen Richtlinien' durch eine systematische Abriegelung dieser Territorien von den übrigen Teilen der Sowjetunion sicherstellen.(48)

Die Konsequenz dieser Absicht, so verkündeten die Planer, würde die "Nichtbelieferung der gesamten Waldzone einschließlich der wesentlichen Industriezentren Moskau und Petersburg"(49) sein. Die Bevölkerung dieser Gebiete, insbesondere der Städte, so hieß es weiter, würde "größter Hungersnot entgegensehen" müssen.(50)

Da man davon ausging, daß später, wenn der Hunger einsetze, in diesen Gebieten nichts mehr zu holen sein würde, schlugen die Planer vor, in höchster Beschleunigung alles Vorhandene an Getreide, Vieh, Öl- und Faserpflanzen usw. in den 'Zuschußgebieten' schlagartig zu requirieren.(51)

Am zweckmäßigsten scheine es deshalb, die Einwohner frühzeitig in den sibirischen Raum "abzulenken", was allerdings in den Augen ein "schwieriges Problem" darstellen würde, da ein Eisenbahntransport "nicht in Frage" käme.(52)

Auf gar keinen Fall, so die 'Richtlinien' der 'Gruppe Landwirtschaft', dürften Teile der industriellen Struktur der 'Zuschußgebiete' erhalten bleiben, und dieses gelte insbesondere mit Blick auf die "fernere Friedenszukunft Deutschlands".(53), in Zukunft müsse "Südrußland das Gesicht nach Europa" wenden.(54) Denn die Nahrungsmittelüberschüsse dieser Territorien würden, so blicken die Autoren der landwirtschaftlichen Ausplünderungspläne voraus, nur bezahlt werden können, wenn "Südrußland" seine industriellen Verbrauchsgegenstände aus Deutschland bzw. dem "europäischen Großwirtschaftsraum" bezöge und deswegen die "russische Konkurrenz" der 'Waldzone' vorher vernichtet worden sei.(55)

"Aus all dem folgt", so schließt der Abschnitt der 'Wirtschaftspolitischen Richtlinien für die Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft' über die geplante Behandlung der nördlichen und mittleren Gebiete der UdSSR, "viele 10 Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen. Versuche, die Bevölkerung dort, (in den sog. 'Zuschußgebieten', W.G.) vor dem Hungertod dadurch zu retten, daß man aus der Schwarzerdezone Überschüsse heranzieht, können nur auf Kosten der Versorgung Europas gehen. Sie unterbinden die Blockadefestigkeit Deutschlands und Europas".(56)

Dieses Programm einer nicht zuletzt ökonomisch motivierten Ausrottung schien, nach Ansicht des Verfassers, vortrefflich mit den Plänen des 'Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums' und des 'Ministeriums für die besetzten Ostgebiete', wie sie auch im sog. 'Generalplan Ost' dokumentiert sind(57), zur 'Sonderbehandlung' gerade der russischen Nation, im Gegensatz, besonders zur ukrainischen, zu harmonisieren.

2. Zur Mordpraxis der 'SS-Einsatzgruppen' in der Sowjetunion

Mit Beginn der Überfalls auf die UdSSR wurde von den deutschen Okkupanten m.E. damit begonnen, auch das oben skizzierte Program einer nicht zuletzt ökonomisch motivierten selektiven Ausrottung, ansatzweise in die Tat umzusetzen.

Zur Untermauerung dieser These soll im folgenden die Mordpraxis der 'SS-Einsatzgruppen' in den besetzen sowjetischen Gebieten einer gezielten Betrachtung unterzogen werden.

Zwischen Juni und Dezember 1941 wurden, so schreibt u.a. auch Höhne in seiner "Geschichte des SS", auf dem Territorium der Sowjetunion von den vier dort stationierten 'Einsatzgruppen' der SS annähernd 300.000 Menschen ermordet.(58)

Dieser etwa 3.000 Mann starken SS-Truppe(59) war von RSHA-Chef Reinhard Heydrich zunächst mündlich und am 2. Juli 1941 schriftlich, der Befehl erteilt worden, in den besetzten sowjetischen Territorien "alle Funktionäre der Komintern (wie überhaupt alle kommunistischen Berufspolitiker schlechthin), die höheren, mittleren und radikalen unteren Funktionäre der Partei, des Zentralkommitees, der Gau- und Gebietskommitees, Volkskommissare, Juden in Partei- und Staatsstellungen, sonstige radikale Elemente (Saboteure, Propagandeure, Heckenschützen, Attentäter, Hetzer usw.)" zu exekutieren.(60)

Die vier Einsatzgruppen waren bestimmten Heeresverbänden zugeteilt worden, denen sie, wie Hillgruber betont, "hinsichtlich Marsch, Versorgung und Unterkunft" unterstanden(61) und mit denen sie auch in vieler Hinsicht einvernehmlich zusammenarbeiteten(62):

- Die Einsatzkommandos der "Einsatzgruppe A" waren der deutschen "Heeresgruppe Nord" zugeteilt und operierten überwiegend in den baltischen Republiken der UdSSR.
- Die Einsatzkommandos der "Einsatzgruppe B", zugeordnet der "Heeresgruppe Mitte", waren im wesentlichen für die Weißrussische SSR zuständig.
- Die Einsatzkommandos der "Einsatzgruppe C" waren der "Heeresgruppe Süd" zugeteilt und in der Ukrainischen SSR stationiert.
- Die Einsatzkommandos der "Einsatzgruppe D" waren der in der südlichen Ukraine und auf der Krim eingesetzten 11. Armee zugeordnet.(63)

Aus den täglichen Meldungen der vier Einsatzgruppen an das Reichssicherheitshauptamt, indenen u.a. auch ihre "Ergebnisse" mitgeteilt wurden, ist, wie bei Drobisch/Goguel/Müller angeführt, ersichtlich, daß die Einsatzgruppen "A" und "B", in den balischen Republiken der Sowjetunion und in Weißrußland stationiert, zusammen genommen von Beginn des Überfalls bis Mitte Oktober 1941 ca. 180.000 Menschen ermordeten.(64)

Die in der Ukraine operierenden Einsatzgruppen "C" und "D" fielen während des gleichen Zeitraums ca. 90.000 Menschen zum Opfer.(65)

Ein Vergleich dieser Zahlen deutet darauf hin, daß von den SS-Einsatzgruppen in den besetzten sowjetischen Gebieten nicht nur, wie im o.g. RSHA-Befehl angeordnet, sämtliche aktiven Widerstandskräfte gejagt und ermordet wurden.

Wäre nämlich nach diesem Maßstab vorgegangen worden, so hätte die Zahl der Opfer in den baltischen Republiken und der Weißrussischen SSR operierenden Einsatzgruppen "A" und "B", entsprechend der Bevölkerungszahl dieser Gebiete, kaum mehr als ein Drittel der Opfer der in der wesentlich dichter besiedelten Ukraine stationierten Einsatzgruppen "C" und "D" betragen haben dürften.

Von vielen Autoren, so beispielsweise von Gilbert, wird die ganz offenbar unterschiedliche Vorgehensweise der Einsatzgruppen der SS im Norden und Süden der Sowjetunion damit erklärt, daß der RSHA-Befehl selbstverständlich kein Maßstab für das Morden der Einsatzkommandos gewesen sei, da dieses letztlich das eigentliche Ziel gehabt habe, die jüdische Bevölkerung der besetzten Territorien, weitgehend unabhängig von irgendwelchen anderen Überlegungen, vollkommen zu vernichten.(66)

Eine solche Argumentation erklärt, nach Auffassung des Verfassers, die unterschiedlichen Mordziffern jedoch keineswegs. Sie übersieht, wie aus dem Besprechungsprotokoll der sog. 'Wannsee-Konferenz' vom Januar 1942 deutlich hervorgeht, daß in der Ukraine ca. drei Millionen jüdische Menschen lebten, in den nördlichen und mittleren Territorien der UdSSR, dem Operationsgebiet der Einsatzgruppen "A" und "B", hingegen nur ca. 600.000.(67)

Sicherlich spielte die Nähe der Front und die Aktivitäten der sowjetischen Widerstandskämpfer im Zusammenhang mit den Entfaltungsmöglichkeiten der Einsatzkommandos eine wesentliche Rolle. Doch scheint auch dieser Umstand, meiner Meinung nach, eher für eine geringere Zahl an Opfern, gerade in den nördlichen und mittleren Gebieten der Sowjetunion zu sprechen. So mußten, wie Henkys schreibt, die fünf Einsatzkommandos der (in Weißrußland stationierten) Einsatzgruppe "B" ihre Tätigkeit stärker auf die Partisanenbekämpfung konzentrieren und blieben deshalb zeitweilig hinter den Ergebnissen der Einsatzkommandos der übrigen Einsatzgruppen zurück.(68)

Nach Auffassung des Verfassers scheint es dementsprechend gerechtfertigt, die unterschiedlichen Ergebnisse der SS-Einsatzgruppen in der Sowjetunion als Resultat ihrer unterschiedlichen Stationierungsgebiete zu interpretieren:

Gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl der jeweiligen Territorien fielen den Einsatzgruppen "A" und "B", die in den Regionen operierten, die in den 'Wirtschaftspolitischen Richtlinien für die Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft' als "Zuschußgebiete" ausgewiesen waren sechsmal mehr Menschen (jüdische, wie nichtjüdische) zum Opfer, als den Einsatzkommandos der Einsatzgruppen "C" und "D", die im "Hauptüberschußgebiet" der Ukraine, stationiert waren.(69)

[...]


(1) Vgl. Kapitel V. : Die 'Organisation T4' und die 'Endlösung der Judenfrage', Abschnitt 2.

(2) Der Begriff "Entvölkerungspolitik" wurde übernommen von: Heydecker und Leeb, Der Nürnberger Prozeß. Neue Dokumente, Erkenntnisse und Analysen.

(3) So u.a. Höhne (1967), Fest (1973) aber auch Kogon(1983).

(4) Vgl. Kühnl (1983), S. 38-41 und S. 156

(5) - (26) entfällt

(27) Vgl. Czollek (1968), S. 146.

(28) Vgl. ebd., S. 143-147.

(29) Vgl. IMG (1984), Bd. 3, S. 390.

(30) Vgl. Czollek (1968), S. 148/149.

(31) Vgl. die 'Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neubesetzten Ostgebieten, in IMG (1947-49), Bd. 28, S. 3-15 (Dokument "PS 1743")

(32) Ebd., S. 6.

(33) Ebd., S. 8.

(34) Vgl. Czollek (1968), S. 150.

(35) Vgl. ebd.

(36) Vgl. Dokument "PS 1743" in: IMG (1947-49), Bd. 28, S.6/7.

(37) Vgl. 'Wirtschaftspolitische Richtlinien für die Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft', in: IMG (1947-49), Bd. 36, S. 135-157 (Dokument "EC 126")

(38) Vgl. IMG (1947-49), Bd. 28, S. 7 (Dokument "PS 1743")

(39) Vgl. IMG (1947-49), Bd. 36, S. 148 (Dokument "EC 126")

(40) Vgl. ebd., S. 140.

(41) zum nationalsozialistischen 'Autarkie-Gedanken' vgl. Hillgruber (1965), S. 255/256.

(42) IMG (1947-49), Bd. 36, S. 157 (Dokument "EC 126").

(43) Vgl. ebd. S. 138.

(44) Vgl. ebd.

(45) Vgl. ebd., S. 146.

(46) Vgl. ebd., S. 149/150.

(47) Die Autoren waren der Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Herbert Backe (vgl. Czollek (1968), S. 148) und der Leiter der Hauptgruppe Landwirtschaft im Wirtschaftsstab Ost, Hans-Joachim Rieke (vgl. ebd., S. 149).

(48) Vgl. IMG (1947-49), Bd. 36, S. 138 (Dokument "EC 126").

(49) Ebd.

(50) Ebd., S. 141.

(51) Vgl. ebd., S. 151.

(52) Vgl. ebd., S. 141.

(53) Vgl. ebd., S. 144.

(54) Ebd.

(55) Vgl. ebd.

(56) Ebd., S. 145.

(57) Vgl. 'Der Generalplan Ost'. Bericht über eine Sitzung am 4.2.1942 im 'Ostministerium' über Fragen der Eindeutschung, insbesondere in den baltischen Ländern und Stellungnahme und Gedanken zum Generalplan Ost des 'Reichsführers SS', vom 27.4.1942, dokumentiert und eingeleitet von Helmut Heiber (1958)

(58) Vgl. Höhne (1967), S. 333.

(59) Vgl. ebd. S. 328.

(60) Befehl Heydrichs vom 2. Juli 1941, zit. nach Drobisch/Goguel/Müller (1975), S. 277.

(61) Hillgruber (1972), S. 144.

(62) Vgl. Streit (1980), S. 109-125.

(63) Vgl. Henkys (1964), S. 114-116.

(64) Vgl. Drobisch/Goguel/Müller (1975), S. 279.

(65) Vgl. ebd.

(66) Vgl. Gilbert (1982), S. 64 ff..

(67) Vgl. das Besprechungsprotokoll der sog. "Wannsee-Konferenz", dokumentiert bei: Poliakov/Wulf (1983), S. 119-126.

(68) Vgl. Henkys (1964), S. 115.

(69) Den Einsatzgruppen "A" und "B" fielen zusammen 180.000 Menschen ( = 1,22% der Gesamtbevölkerung der baltischen Republiken der UdSSR und der Weißrussischen SSR) zum Opfer; den Einsatzgruppen "C" und "D" entsprechend 90.000 Menschen ( = 0,2 % der Gesamtbevölkerung der Urkainischen SSR)

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Faschistische Entvölkerungspolitik in Osteuropa
Autor
Jahr
2005
Seiten
29
Katalognummer
V109982
ISBN (eBook)
9783640081608
ISBN (Buch)
9783656247173
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Faschistische, Entvölkerungspolitik, Osteuropa
Arbeit zitieren
Dr. phil. Walter Grode (Autor:in), 2005, Faschistische Entvölkerungspolitik in Osteuropa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109982

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