Wiederaufbau der SPD nach 1945 in Ostfriesland


Facharbeit (Schule), 2005

22 Seiten, Note: 12 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Facharbeit

1 Einleitung

2 Politische Situation im Nachkriegsdeutschland mit Schwerpunkt Ostfriesland
2.1 Aufbau der Militärverwaltung in Ostfriesland
2.2 Verhältnis der Besatzungsmacht zur Neugründung von Parteien
2.3 Allgemeiner Wiederaufbau der SPD-Organisation in den Westzonen

3 Wiederaufbau der SPD in Ostfriesland
3.1 Wiederaufbau der SPD in Norden
3.2 Der Wiederaufbau der SPD in anderen ostfriesischen Städten und Landkreisen
3.3 Führende Persönlichkeiten der osfriesischen Nachkriegs-SPD

4 Politik der ostfriesischen Nachkriegs-SPD
4.1 Programm der ostfriesischen Nachkriegs-SPD
4.2 Aufbau und Struktur der SPD in Ostfriesland nach 1945
4.3 Verhältnis der ostfriesischen SPD zu anderen Parteien

5 Die Rolle der SPD in den ersten ostfriesischen Nachkriegs-Wahlen
5.1 Gemeindewahlen
5.2 Landtagswahlen
5.3 Kommunalwahlen
5.4 Bundestagswahlen

6 Abschließende Beurteilung – Die Bedeutung der SPD für den politischen Neuanfang in Ostfriesland

Anhang

Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In dieser Einleitung möchte ich einen groben Überblick über den Inhalt und die Ziele meiner Facharbeit mit dem Thema „Wiederaufbau der SPD nach 1945 in Ostfriesland – Personen, Strukturen, Ideen“ geben. In dem Titel stecken bereits wesentliche inhaltliche Schwerpunkte:

Wiederaufbau - Ich möchte mit meiner Facharbeit einen Beitrag leisten zur Erläuterung und Untersuchung der Geschichte der ostfriesischen Nachkriegs-SPD und darstellen, wie diese Partei in dem schwierigen politischen Umfeld nach 12 Jahre nationalsozialistischer Diktatur und 2. Weltkrieg wiedergegründet wurde und es geschafft hat, sich gesellschaftlich zu etablieren.

Personen – Ich möchte auch die führenden Persönlichkeiten der ostfriesischen Sozialdemokratie nach 1945 vorstellen. Besonders interessant ist dieser Punkt, da die meisten SPD-Funktionäre schon in der Weimarer Republik Ämter in der Partei innehatten, eine gewisse Kontinuität trotz der Hitler-Ditatur also durchaus vorhanden war.

Strukturen – Die Struktur der Nachkriegs-SPD in Ostfriesland ist ein weiterer Bestandteil dieser Facharbeit. Die Strukturierung und Gliederung der Partei auf Landes- bis hinunter zur Ortsebene ist hier der Fokus.

Ideen – Ein wichtiges Ziel meiner Arbeit ist die Darstellung der Programme und Ideen der SPD nach 1945 mit Schwerpunkt Ostfriesland und ihre Politik. Die Programme und Vorstellungen der Sozialdemokratie werde ich erläutern und außerdem beschrieben, inwieweit diese Vorstellungen in der ostfriesischen Bevölkerung angenommen worden sind (Wahlergebnisse der Nachkriegswahlen) und auch inwiefern man der Meinung war, mit den Idealen und Ideen der KPD als zweiter Arbeiterpartei übereinzustimmen oder eben nicht.

In einem abschließenden Urteil werde ich beschreiben, wie wichtig die SPD für den Demokratisierungsprozess in Ostfriesland war und wie man ihre Rolle in der damaligen Politik zu bewerten hat.

2 Politische Situation im Nachkriegsdeutschland mit Schwerpunkt Ostfriesland

2.1 Aufbau der Militärverwaltung in Ostfriesland

Die theoretischen Grundlagen für die spätere Besatzungspolitik wurden von den zuständigen britischen-amerikanischen Behörden bereits 1944, als die Niederlage Hitler-Deutschlands absehbar war, im sogenannten „SHAEF[1] -Handbuch“ angefertigt: Ein alliierter Oberbefehlshaber sollte die höchste Gewalt im besetzten Land innehaben, das Prinzip der indirekten Herrschaft wurde bereits als Grundprinzip anerkannt und sollte zuerst vor allem auf Kreisebene gelten, außerdem sollten möglichst schnell „normale Verhältnisse“ wiederhergestellt und die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sichergestellt werden.[2]

Im Mai 1945 marschierten kanadische und polnische Truppen in Ostfriesland ein und besetzten Leer (5.5.), Aurich (6.5.) Norden (6.5.) und Emden (7.5.). Danach machten sich die Alliierten an den Aufbau einer funktionierenden Militärverwaltung und bestellten zunächst Major Baxter zum Kommandeur im Regierungsbezirk Aurich (MilGovDet.613), anfangs leisteten 13 Offiziere hier Dienst, eine Zahl, die allerdings in den folgenden Wochen stark anstieg.[3]

Bis Ende Juni wurde für jeden Kreis ein Kommandeur bestellt: Oberstleutnant Bowers für Aurich, Major Rose für Leer, Oberstleutnant Mackay für Norden, Major Harrington für Wittmund und Major Newroth für den Stadtkreis Emden. Am 6.6. wurde Major Baxter als Kommandeur durch Oberst Baird ersetzt. Für Emden wurde außerdem ein „Port Control Officer“ eingesetzt, der Hafen wurde erst Ende 1947 wieder von Deutschen geführt.[4]

Übergeordnet bildete der Regierungsbezirk Aurich in der Besatzungszeit einen Teil der Provinz Hannover, der zusammen mit den Provinzen Braunschweig und Oldenburg das „Military Government Detachment“ Hannover bildete, 1946 entstand hieraus das Bundesland Niedersachsen.

Im Zuge des Grundprinzips der „indirect rule“[5] ernannten die Briten den liberalen Demokraten Jann Berghaus (ehemals DDP-Mitglied) zum Regierungspräsidenten von Aurich, ein hoch geachteter Mann, den auch die Militärs sehr schätzten.[6]

In allen ostfriesischen Städten wurden bereits 1945 Bürgermeister ernannt, in Norden etwa Dr. Albert Schöneberg, ein Rechtsanwalt, der bereits von 1929-1937 Bürgermeister von Norden gewesen war. Generell wurden „bürgerliche“ Politiker bei der Ämtervergabe besonders bedacht.[7]

Das Verhältnis der Ostfriesen zur Besatzungsmacht hatte in der ersten Zeit unter den Beschlagnahmungen, etwa in Aurich oder Leer, zu leiden. Aufgrund der akuten Wohnungsnot beschlagnahmte das englische Militär Wohnraum für ihre Truppen. In Aurich mussten z.B. etwa 200 Familien ihre Wohnungen räumen. Auch Leer, wo die polnischen Besatzungstruppen stationiert waren, war schwer betroffen.[8]

Generell lässt sich sagen, dass das Verhältnis der Ostfriesen zu der britischen Besatzungsmacht nicht genau definiert werden kann. Die ersten jungen Offiziere, die nach Ostfriesland kamen, fühlten sich als Sieger und ließen das die Deutschen auch fühlen: So wurde auf Anweisung eines engl. Landwirtschaftsoffiziers in Wiesmoor eine ganze Rhododendrenkolonie grundlos vernichtet.[9] Aber nach einer ersten Kennenlernphase und dem Sammeln von Erfahrungen auf beiden Seiten zeigten sich die britischen Kreiskommandanten durchaus kooperativ und interessiert am Demokratisierungsprozess in Ostfriesland. Der Auricher Kommandeur Bowers referierte z.B. oft vor Gemeinderäten über die Demokratie. Der Norder Kommandeur Mackay war allerdings nicht so beliebt, da er den Einfluss der Parteien auf das öffentliche Leben als zu stark einschätzte.[10]

2.2 Verhältnis der Besatzungsmacht zur Neugründung von Parteien

Nach der Besetzung Deutschlands durch die alliierten Streitkräfte war die Bildung von Parteien zunächst verboten: Die Besatzungsmächte fürchteten, dass „Parteien als selbstständige Machtinstrumente vor Einzelpersonen oder kleinen Gruppen aufgebaut werden könnten“.[11]

Erst Anfang August verkündete der alliierte Oberbefehlshaber Montgomery die Erlaubnis zur Bildung von Parteien, die förmliche Verordnung der Militärregierung wurde jedoch erst am 15.9.1945 in den Verordnungen Nr. 10 und Nr. 12 erlassen. In Verordnung Nr. 12 wurde, nach dem Grundprinzip eines demokratischen Aufbaus von unten nach oben, die Parteibildung zunächst nur auf Kreisebene erlaubt. Jede Partei musste einen schriftlichen Zulassungsantrag mit Satzung, Richtlinien, Programm, einer Liste der Personen etc. an die zuständige Dienststelle der Militärverwaltung schicken. Verordnung Nr. 10 regelte das Genehmigungsverfahren itischen Veranstaltungen oder Demonstrationen.[12]

Die Alliierten orientierten sich bei ihrer Zulassungspolitik an das Parteiensystem der Weimarer Republik: SPD, KPD, die liberalen Parteien (DU, FDP u.ä.) und die Deutsche Zentrumspartei wurden relativ schnell lizenziert.[13]

In Ostfriesland war die Militärregierung, wohl aufgrund der großen NSDAP-Erfolge hierzulande, eher weniger an einer schnellen Neugründung von Parteien interessiert. Erst gegen Ende des Jahres 1945 kam sie richtig in Schwung.

2.3. Allgemeiner Wiederaufbau der SPD-Organisation in den Westzonen

Im Frühjahr 1945 rückten amerikanische, britische und kanadische Truppen in Westdeutschland ein und befreiten es vom Naziregime, das am 8.5.1945 in Berlin kapitulierte.

Schon gleich nach Kriegsende trafen sich Vertreter der politischen Linken und Christen in sog. „Wiederaufbau-Ausschüssen“ oder „Antifaschistischen Komitees“, die die Briten aber im Juni für ihre Zone verboten, da sie die vorherrschende Stellung der Sozialdemokraten und Kommunisten in diesen Gremien nicht guthieß.[14]

Trotzdem zeigten Sozialdemokraten in dieser ersten Phase der Illegalität großes Engagement und begannen sich zu reorganisieren. Im Juli 1945 fand in Emden die erste SPD-Demonstration der britischen Besatzungszone mit ca. 3000-4000 Teilnehmern statt.[15]

Ebenfalls im Juli beauftragen elf westdeutsche Parteibezirke den früheren Reichstagsabgeordneten, KZ-Häftling und SPD-Vorsitzenden von Hannover, Kurt Schumacher, mit der organisatorischen und politischen Führung der Partei im ganzen Reich. Schumacher stellte sich nun gegen den mittlerweile ebenfalls gegründeten „Zentralausschuss“ der SPD in Berlin unter Otto Grotewohl, der von der Sowjetunion beeinflusst war.[16]

Auf der „Wennigser Konferenz“ in Hannover vom 5.-8.10.1945 konnte sich Schumacher als „Beauftragter für die Westzone“ durchsetzen, der Zentralausschuss sollte nur für die sowjetische Besatzungszone zuständig sein. Die dortigen Sozialdemokraten wurden 1946 mit der KPD zur „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ zwangsvereinigt.[17]

Bis zur Jahreswende 1946 war die Reorganisation der SPD in den Westzonen auch im ländlichen Bereich relativ abgeschlossen, die meisten Kreisvereine wurden von den zuständigen Kommandanturen der Besatzungsmächte lizenziert.

3 Wiederaufbau der SPD in Ostfriesland

3.1. Wiederaufbau der SPD in Norden

Obwohl in Norden keine Widerstandsorganisation gegen das nationalsozialistische Regime existierte, bestanden die persönlichen Kontakte unter den Norder Sozialdemokraten auch während der Diktatur soweit fort, dass bereits unmittelbar nach Kriegsende im Mai 1945 mehrere Funktionäre den Wiederaufbau der Partei betrieben.[18]

Der organisatorische Neuaufbau wurde vor allem drei Personen übertragen: Johann Fischer, 1929-1933 Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Norden, sollte sich um den Wiederaufbau in der Stadt Norden selbst kümmern; Georg Peters, 1926-1933 Vorsitzender des Ortsvereins Hage, sollte sich um die ländlichen Gebiete auf Kreisebene bemühen und Fritz Bremer, in der Weimarer Republik Leiter der Norder Sektion des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, sollte den Neuaufbau der Gewerkschaften in Norden betreiben.[19]

Bis zum Oktober 1945 beschränkte sich die politische und organisatorische Arbeit der Sozialdemokraten aber auf die Sammlung von früher aktiven Parteimitgliedern und die Knüpfung von Kontakten nach Wilhelmshaven, vor 1933 Sitz der Bezirksorganisation sowie nach Aurich und Emden.[20]

Ende September bemühten sich Fischer und Peters um eine offizielle Einladung zur Konferenz von Wennigsen (s.o.), welche sie aber nicht bekamen. Die beiden Politiker reisten inoffiziell nach Hannover und mussten mit einer parallel stattfindenden Zusammenkunft von SPD’lern in einem Lokal Vorlieb nehmen, auf der Otto Grotewohl sprach.[21]

Johann Fischer und Poppe Schumann, ein Norder Sozialdemokrat der als stellvertr. Vorsitzender des Kreisvereins vorgesehen war, reichten am 19.10. den Zulassungsantrag für die Gründung eines Kreisvereins der SPD Norden bei der Norder Militärdienststelle ein.[22]

Am 20.10. fand eine Funktionärssitzung in der Gastwirtschaft „Höting“ zur Vorbereitung der Wiedergründung statt, am 7.11. kam es zu einer öffentlichen Versammlung der SPD Norden im Hotel „Deutsches Haus“[23]

Bei der förmlichen Zulassung des Kreisvereins Norden kam es aber zu bürokratischen Hindernissen, verursacht durch Zuständigkeitsprobleme und Beanstandungen des Norder Kommandeurs Mackay. Bereits am 5.10. hatte die Militärregierungsbehörde Aurich zu einer Konferenz mit Vertretern aller für eine Zulassung in Frage kommenden Parteien geladen. In dieser Konferenz wurden die Parteien aufgefordert, binnen 14 Tagen für jeden Kreis einen Sekretär und vorläufigen Vorstand, aber auch bereits einen Vorsitzenden für den Regierungsbezirk Aurich zu benennen.

Oberstleutnant Mackay wies den am 19.10. bei ihm eingegangen Zulassungsantrag der SPD am 30.10. mit der Begründung zurück, dass der Antrag in Aurich hätte eingereicht werden müssen, da auf der Konferenz vom 5.10. die Gründung von Parteien auf Regierungsbezirks-Ebene beschlossen worden war.[24]

Außerdem beanstandete Mackay die fehlende Festlegung eines Wahlmodus für die Organe der Partei und sowie die fehlende Definierung deren Amtsdauer und wünschte eine ausdrückliche Erklärung, dass die Mitgliedschaft auch für Frauen offen ist.

Nach einiger Zeit erwies sich allerdings, dass die Norder Sozialdemokraten ihren Antrag doch bei der richtigen Stelle abgegeben hatten, da am 1.11. die Militärregierung in Aurich erklärte, dass sich künftig im Hinblick auf die Verordnung Nr. 12 (siehe Kap. 1.1) alle Parteigründungen auf Kreis- und nicht auf Bezirksebene zu bewegen haben.[25]

Am 18.11. kam es zu einer weiteren öffentlichen Versammlung der Norder SPD unter dem Thema „Die Sozialdemokratie, ihr Weg – ihr Ziel“ und am 20. Januar 1946 fand die Gründungsversammlung des SPD-Ortsvereins Norden im Hotel „Henschen“ statt.[26]

Johann Fischer lobte vor den Zuhörern die gute Zusammenarbeit mit der Militärregierung, was angesichts der Zeitverzögerung bei der Zulassung erstaunend war.

Bei den ersten Vorstandswahlen wurden wie erwartet Johann Fischer als Vorsitzender, Georg Peters als sein Stellvertreter und Poppe Schumann als Schriftführer gewählt. Bis auf den 18jährigen Theo Ufen (stellvertr. Kassierer) und vier weitere Funktionäre waren alle Politiker im 16köpfigen Vorstand schon vor 1933 Mitglieder der SPD gewesen.[27]

Bis Anfang März 1946 führte die SPD in fast allen Gemeinden des Altkreises Norden öffentliche Versammlungen durch, am 3.2. wurde eine Kreiskonferenz abgehalten, auf der beschlossen wurde, dass der Vorstand des Ortsvereins Nordens zugleich den Kreisvorstand übernehmen sollte. Damit war der Wiederaufbau der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Kreis Norden praktisch abgeschlossen.[28]

3.2 Der Wiederaufbau der SPD in den anderen ostfriesischen Städten und Landkreisen

Emden war die große sozialdemokratische Hochburg in der Weimarer Republik Noch bei den Märzwahlen 1933 erreichte die SPD 20,2% der Stimmen und zusammen mit der KPD (18,7%) war Emden damit eine letzte sozialistische Bastion im ansonsten braunen Ostfriesland, wo die NSDAP Spitzenergebnisse von 67,3% (Aurich) oder 56,2% (Leer) feierte.[29]

So verwundert es auch nicht, dass die Emder SPD die „erste Parteiorganisation in Ostfriesland war“, die „gleich nach der Kapitulation wieder aktiv wurde“.[30]

Bereits im Juni 1945 fand eine erste Konferenz von SPD-Parteifunktionären statt, im Juli hielten die Sozialdemokraten eine öffentliche Kundgebung mit etwa 3.000-4.000 Teilnehmern ab, die erste in der britischen Besatzungszone überhaupt, bereits die große Bedeutung der Emder SPD zeigt.

Der konkrete Neuaufbau begann allerdings wie auch in Norden erst im Herbst 1945. Am 19.10. reichte die Emder SPD den Zulassungsantrag bei der zuständigen Militärdienststelle ein, am gleichen Tag wie die Sozialdemokraten in Norden. Dem Antrag nach war als Vorsitzender Max Schieritz vorgesehen, 1933 als Schriftführer der Partei tätig und als sein Stellvertreter Freerk Tobias, ebenfalls 1933 im Vorstand des Ortsvereins. Als Parteisekretär wurde Hilrich Wielts gewählt (1933 2. Vorsitzender der SPD-Emden.) Mit Ernst Pollack (30 Jahre) wurde nur ein in der Weimarer Republik noch nicht tätiger Politiker in den Vorstand gewählt, er entstammte aber einer sozialdemokratischen Familie. Damit waren die Posten auch in der Emder SPD unter den „alten“ Sozialdemokraten der Weimarer Zeit aufgeteilt worden.[31]

Gleichzeitig mit dem Ortsverein beantragten die Emder Sozialdemokraten auch die Zulassung der Partei auf Kreisebene, der die umliegenden Gemeinden umfassen sollte. Man dachte zu der Zeit noch, dass der „1932 aufgelöste Landkreis Emden wiederhergestellt werden würde“, eine Vermutung, die sich aber später als Irrtum herausstellte.

Im November 1945 hielt die SPD Emden ihre erste öffentliche Parteiversammlung und die erste Funktionärssitzung ab, am 19.1.1946 wurde sie förmlich zugelassen. Nach den Vorstandswahlen war der Wiederaufbau der Emder SPD abgeschlossen.[32]

In Leer kam die Reorganisation der SPD weit schleppender voran, obwohl die Leeraner Genossen in der Weimarer

Republik mit Hermann Tempel (Reichstagsabgeordneter und Mitbegründer der sozialdemokratischen Wochenzeitung „Volksbote“) den wohl bekanntesten ostfriesischen SPD-Politiker in ihren Reihen hatte, der bedauerlicherweise aber schon 1944 in den Niederlanden starb.

Wie auch die SPD-Verbände in Norden und Emden beantragten auch die Leeraner Sozialdemokraten Ende Oktober, am 22.10., die förmliche Zulassung als Partei bei der Militärregierung. Einen Parteisekretär oder Vorstand hatten sie aber im Gegensatz zu den oben genannten Verbänden noch nicht bestimmt, was auf einen schleppenden Wiederaufbau oder auch fehlendem Personal schließen lässt.

Eine erste öffentliche Versammlung der SPD Leer wurde erst am 23.1.1946 abgehalten (einen Monat nach der ersten öffentlichen Versammlung der KPD), zu der der als Vorsitzender nominierte Thelemann auch den Regierungspräsidenten und den Vertreter der Militärregierung in Leer, Major Massy, geladen hatte. Am 14.2.1946, etwa einen Monat nach der Norder und Emder SPD, wurde auch die SPD Leer förmlich zugelassen.

Im Landkreis Leer reorganisierte sich die Sozialdemokratie dagegen schneller als in der Stadt selbst, nach einer Kundgebung in Loga am 5.12.1945 folgten im Dezember ganze ca. 15 weitere Veranstaltungen.[33]

In Aurich, wo in der Endphase der Weimarer Republik die NSDAP besonders stark war, lief der Reorganisationsprozess der SPD in etwa so schnell wie in den bereits genannten ostfriesischen Städten und Landkreisen. Die Auricher Sozialdemokraten reichten am 25. Oktober 1945 ihre Unterlagen für die Zulassung bei der Miltitärregierung ein. Zum vorläufigen Vorsitzenden wurde Hermann Labohm, als Bürgervorsteher und Gewerkschafter ein aktiver Auricher Sozialdemokrat vor der Machtergreifung der Nazis, zum Sekretär Theodor Fischer, ein „weitgehend unbekannter“ Leeraner und mit 36 Jahren im Vergleich zu den anderen führenden Personen der ostfriesischen Nachkriegs-SPD noch relativ jung.

Am 18.11. fand die erste öffentliche Versammlung der SPD in Aurich statt, im Dezember folgten acht weitere Veranstaltungen, auf denen Sekretär Fischer über die Geschichte der SPD und den Sozialismus als Ziel referierte. Auf dem Land wurden im Jahr 1946 „zahlreiche Ortsgruppen“ gebildet.[34]

In Wittmund zeigte sich vor allem ein auswärtiger Sozialdemokrat verantwortlich. Anton Pawlowski, ehemals Mitglied im Vorstand der SPD Wilhelmshaven, übernahm die führende Rolle beim Wiederaufbau der SPD in Wittmund, die vor 1933 im Landkreis nur eine weniger bedeutende Rolle gespielt hatte. Bereits Ende September/Anfang Oktober erfolgten zwei Antragsstellungen zwecks Parteizulassung und die Parteigründung erfolgte schon am 7.10. mit 10 Genossen. Erwartungsgemäß wurde Pawlowski als Vorsitzender gewählt. Das Amt das Stellvertreters übernahm Eduard Wittenbrecher, ehemals Kreistags- und Ratsmitglied.

Am 16.12. fand in Wiesmoor die erste öffentliche SPD-Versammlung im Kreis Wittmund statt, ab Januar 1946 auch in anderen Gemeinden. Pawlowski wurde auch zum Vorsitzenden auf Kreisebene berufen.[35]

Bis Anfang 1946 war die SPD damit in Ostfriesland in allen Landkreisen reorganisiert und wiederaufgebaut worden, im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands zwar relativ spät, aber immerhin flächendeckend aktiv. Bis auf Wittmund war es die Initiative ehemals in den jeweiligen Ortsverbänden organisierter Sozialdemokraten, die zu den Wiedergründungen führte.[36]

3.3 Führende Persönlichkeiten der ostfriesischen Nachkriegs-SPD

Als herausragende Persönlichkeit vor allem für die SPD in Norden nach dem Zweiten Weltkrieg gilt Johann Fischer. 1885 auf Norderney geboren, absolvierte Fischer nach acht Jahren Volksschule eine Lehre als Schriftsetzer, 1913 trat er der Gewerkschaft bei. 1915 wurde er Soldat in der Kaiserlichen Marine, 1918 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft nach Norderney zurück und trat dort der SPD bei.

Von 1920 bis 1928 arbeitete Fischer bei der Druckerei Soltau in Norden als Schriftsetzer, 1926 wurde er Mitglied des Bürgervorsteherkollegiums und des Kreistages. 1929-1933 war er Ortsvorsitzender der SPD Norden und wechselte auf Anraten seiner Gewerkschafts- und Parteikollege seine Arbeitstelle. Er war bis 1937 als Filialleiter für die Konsumgenossenachaft Norden tätig.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten arbeitete Fischer zunächst illegal weiter für die Partei und war mit für diverse Flugblatt-Aktionen verantwortlich, heimliche Zusammenkünfte wurden als Skatabende getarnt. Aufgrund dieser Tätigkeiten wurde Johann Fischer am 24.10.1937 von der Gestapo verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.

Im Mai 1944 wurde Fischer als bekannter Nazi-Gegner zur Zwangsarbeit nach Frankreich abkommandiert, wo es ihm im Spätsommer nach der alliierten Invasion gelang nach Norden zu fliehen.

Nach der Besetzung durch kanadische Truppen leitete Johann Fischer den Wiederaufbau der SPD in Norden und wurde deren erster Vorsitzender, dieses Amt behielt er bis 1960 und dann wieder von 1964-1957. Nach den ersten Stadtratswahlem im September 1946 wählten die Vertreter aller Parteien Johann Fischer zum Bürgermeister der Stadt Norden. Seine politische und parteipolitische Ämterlaufbahn sah danach so aus: 1945-1959 und 1964-1967 Mitglied des Norder Stadtrats, 1946-1948 und 1955-1959 Bürgermeister der Stadt Norden, 1945-1959 Mitglied des Kreistags sowie Landrat von 1949-1952 und Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag 1947-1952 und 1955-1959. 1967 schied er als 72-jähriger aus der aktiven Politik aus. In der SPD brachte er es zum Vorsitzenden des Unterbezirks Ostfrieslands und Mitglied im Vorstand des SPD-Bezirks Weser-Ems. 1967 schied Johann Fischer als 72jähriger aus der aktiven Politik aus und verstarb 1983.[37]

Ein weitere führende Persönlichkeit der ostfriesischen Nachkriegs-SPD war Georg Peters, 1908 in Marienhafe geboren und ebenfalls wie Johann Fischer ein gelernter Schriftsetzer. Er trat 1922 in die Gewerkschaft und 1926 in die SPD ein. Im Jahre 1932 übernahm er die Vertretung eines Emder Zeitungsverlages. Im Dritten Reich zunächst arbeitslos, stellte ihn dann aber ein liberaler Tabakfrabikant ein. Von 1942-1945 leistete Georg Peters Kriegsdienst.

Nach Kriegsende stellte er sich sofort in den Dienst des Wiederaufbaus und war von 1946-1949, 1956-1964 und 1972-1976 Landrat des Kreises Norden und von 1964-1971 Bürgermeister. 1949 wurde Peters außerdem mit 22,1% Vorsprung vor dem CDU-Konkurrenten direkt gewählter Vertreter des Wahlkreises Aurich-Emden im Bundestag, dem er bis 1971 angehörte. Hier machte er sich u.a. für eine Senkung der Teesteuer stark. In der SPD-Ämterlaufbahn wurde Georg Peters von 1952-1966 1. Vorsitzender des SPD-Bezirks Weser-Ems, außerdem gehörte er dem Kontrollrat der SPD und den Landesausschuss der niedersächsischen SPD an. Georg Peters verstarb 1992.[38]

Johann Fischer und Georg Peters waren ohne Zweifel die beiden führenden Köpfe der Nachkriegs-SPD in Ostfriesland.

4 Politik der ostfriesischen Nachkriegs-SPD

4.1 Programm der ostfriesischen Nachkriegs-SPD

Das Programm der ostfriesischen SPD lässt sich nicht isoliert betrachten. Wichtig sind auch die programmatischen Standpunkte der niedersächsischen SPD, vor allem, da SPD-Chef Kurt Schumacher seinen Sitz in Hannover hatte.

Aus der Region Ostfriesland-Wilhelmshaven sind zwei Entwürfe für ein Parteiprogramm vorhanden. Einmal die „Satzungen und Richtlinien für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands / SPD / für den Kreis Aurich.“ In diesem

Dokument sind die politischen Forderungen noch recht knapp und allgemein gehalten. Darunter fallen unter anderem die Forderung nach „Bekämpfung des Nationalsozialismus und Militarismus“, die „Demokratisierung [...] der Verwaltung, des Handels und Gewerbes“ sowie die Forderung nach bürgerlichen Freiheiten wie die „Gleichstellung aller Personen vor Gericht“ oder die „kulturelle und religiöse Freiheit für Jedermann“. Konkret formulierten die Sozialdemokraten Vorschläge für die „Freie Entwicklung der landwirtschaftlichen Betrieb“ mittels Kultivierung von Mooren und Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe. Außerdem machten sie sich in dem Entwurf für eine „Förderung des heimatlichen Handels“ sowie für „Arbeitsbeschaffung“ und „Aufbau der zerstörten Häuser“ stark.[39]

Radikaler und sozialistischer als dieses relativ allgemeine Programm sind die „Richtlinien für ein Parteiprogramm“ von der SPD Wilhelmshaven, die teilweise auch Einfluss auf die Norder SPD hatten. Neben Forderungen nach „Ausrottung des Nationalsozialismus“ und der Entfernung von Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Dienst, der Wirtschaft etc. werden hier auch Vorschläge nach „Errichtung einer sozialistischen Republik“, „Verstaatlichung aller Großbetriebe in Industrie, Gewerbe und Handel“ oder „Staatskontrolle über die gesamte nichtverstaatlichte Privatwirtschaft“ getätigt.[40]

Die Forderung nach demokratischem Sozialismus und Planwirtschaft verfocht auch die SPD-Zentrale in Hannover, wie es in einem zusammen mit standardisierten Antragsunterlagen verschickten Grundlagentext hervorgeht, der ebenfalls wie die beiden vorhergehenden Text in der Abteilung „Kreisverein Norden“ im „Archiv der sozialen Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung archiviert sind.. In diesem Grundlagentext wird unter anderem gesagt, dass das „Großkapital“ niemals wieder „politischen Einfluss“ erlangen soll und die „Ideale des Klassenkampfes heute die Ideale der Nation und der gesamten Menschheit“ sind. Deshalb könne der Wiederaufbau Deutschlands auch nur „planmäßig gelenkt vor sich gehen“.[41]

Die Sozialisierung der Großindustrie war eine zentrale Forderung der niedersächsischen Nachkriegs-SPD und der Sozialdemokratie in Deutschland insgesamt. In den Jahren 1946/47 versuchten die niedersächsischen Sozialdemokraten diese Forderung sogar – ohne Erfolg – im Landtag durchzusetzen.[42]

4.2 Aufbau und Struktur der SPD in Osfriesland nach 1945

Die niedersächsische SPD gliederte sich 1946 in drei Bezirke. Hannover, Braunschweig und Bremen-Nordwest. Zu letzterem Bezirk gehörten die Regierungsbezirke Bremen, Bremerhaven, Stade, Oldenburg, Osnabrück und Aurich (Ostfriesland). Der Bezirk Bremen-Nordwest wurde im Juli 1947 in die beiden Bezirke Weser-Ems mit Sitz in Oldenburg und Hamburg-Nordwest für Hamburg, Bremen und Stade getrennt.

Der Bezirk galt als „Schaltstelle zwischen den kleineren Teilorganisationen der SPD und den Gremien der Parteispitze“ und war wiederum in mehrere Teilbereiche unterteilt.[43]

Für Ostfriesland lässt sich deswegen der Aufbau und die Struktur der SPD wie folgt erläutern: Der Regierungsbezirk Aurich gehörte ab 1947 zum Bezirk Weser-Ems, der wiederum in mehrere Unterbezirke unterteilt war. Im April 1946 wurde der SPD-Unterbezirk Ostfriesland gebildet, der zuerst dem Bezirk Bremen-Nordwest und ab 1947 zusammen mit den Unterbezirken Oldenburg und Osnabrück dem Bezirk Weser-Ems angehörte. Georg Peters aus Norden wurde einer der beiden stellvertretenden Vorsitzenden des Unterbezirks.[44]

Der Unterbezirk Ostfriesland war wiederum unterteilt in fünf Kreisvereine (Norden, Aurich, Emden, Leer, Wittmund), die wiederum aus einer unterschiedlich hohen Anzahl von Ortsvereinen bestanden. Für den Kreisverein Norden waren dies z.B. Ortsvereine wie die Stadt Norden selber oder Marienhafe, Hage etc.

Ab 1950 änderte sich die Struktur der SPD insofern, dass die Kreisvereine abgeschafft und in der Regel zu Unterbezirken gemacht wurden. Damit änderte sich die Hierarchie der niedersächsischen SPD von fünf auf vier Stufen. In jeder Stufe der Organisation gab es einen gewählten Vorstand, der durch Revisoren oder einer Kontrollkommission überprüft wurde. Gewählt wurde der Vorstand von den Mitgliedern, im Ortsverein nannte sich das „Mitgliederversammlung“, auf Unterbezirksebene „Unterbezirkskonferenz“ und auf Bezirksebene schließlich „Bezirksparteitag“ bis hin zum Landesparteitag als höchstes Organ der niedersächsischen SPD.[45]

4.3. Verhältnis der ostfriesischen SPD zu anderen Parteien

Besonders wichtig in dieser Frage war das Verhältnis der

ostfriesischen SPD zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), der zweiten sozialistisch orientierten Partei in Deutschland. Die Spaltung der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, die den Aufstieg der Nationalsozialisten zumindest befördert hat, führten dazu, dass vor diesem Hintergrund viele Sozialdemokraten einen Zusammenschluss mit den Kommunisten befürworteten, wie er dann auch in der sowjetischen Zone mit der Gründung der SED geschehen ist.

In Ostfriesland gab es durchaus ebenfalls Bestrebungen für einen Zusammenschluss mit der KPD, im Frühjahr 1946 gab es in Emden rege Diskussionen darüber und im Mai 1946 fand im Emder Ortsteil Larrelt „eine gemeinsame Versammlung von SPD und KPD statt, auf der eine Resolution verabschiedet wurde, die die ‚Notwendigkeit der Einheit der Arbeiterklasse’ hervorhob.“

Erst nach dem SPD-Parteitag in Hannover im Juni schwank die Emder SPD auf den Kurs des Vorsitzenden Schumacher ein, wonach eine partielle Zusammenarbeit mit der KPD zwar sinnvoll, eine Vereinigung aber ausgeschlossen sei.[46]

In Norden waren die Vereinigungspläne anfangs sogar weit stärker gediegen als in Emden. Im November 1945 sprach sich der vorläufige Vorsitzende Johann Fischer positiv für eine Vereinigung der Parteien aus und es wurde eine Einheitsliste für die von der Militärregierung ernannte Stadtvertretung eingelegt. Eine gemeinsame Aktion fand im Frühjahr 1946 statt, als beide Parteien die angebliche Bevorzugung des in Lütetsburg ansässigen Fürsten von Knyphausen bei der Brennstoffverteilung anprangerten und erst im Mai 1946, nach der von den Norder SPD-Genossen verurteilten Zwangsvereinigung von SPD und KPD in der Ostzone, wurden die Einigungspläne fallengelassen.[47]

Zu den „bürgerlichen“ Parteien wie die Freie Demokratische Union (FDU), die Christlich-Demokratische Union (CDU) oder anfangs die Demokratische Union (DU; deren Mitglieder sich später auf CDU und FDP verteilten) stand die SPD in Gegnerschaft. Allerdings gab es auch hier durchaus Ansätze zur Zusammenarbeit. Nach den ersten Stadtratswahlen in Norden 1946 wählte der Rat trotz knapper „bürgerlicher Mehrheit“ von CDU und FDP den beliebten Johann Fischer (SPD)einstimmig zum Bürgermeister.

Auch in Leer wurde der Sozialdemokrat Louis Thelemann parteiübergreifend zum neuen Bürgermeister gewählt.[48]

Erst bei den nachfolgenden Wahlen kristallisierte sich in den meisten ostfriesischen Gemeinden eine Art „Blockbildung“ zwischen der SPD auf der einen und der CDU auf der anderen Seite. So kandidierten in den beiden Wahlkreisen bei der Bundestagswahl 1949 SPD- und CDU-Politiker gegeneinander.[49]

5 Die Rolle der SPD in den ersten ostfriesischen Nachkriegs-Wahlen

5.1 Gemeindewahlen 1946

Die ersten Nachkriegswahlen, die Gemeindewahlen am 15.9.1946, hatten eine relativ enttäuschende Wahlbeteiligung. In fast der Hälfte aller Gemeinden war wegen fehlender Kandidaten nicht gewählt worden, in den anderen lag die Wahlbeteiligung bei ca. 70%.

SPD, CDU, KPD und die konservative Niedersächsische Landespartei (NLP) stellten Kandidaten auf, die CDU aufgrund ihres noch nicht abgeschlossenen Parteiaufbaus nur in Norden und Leer. Desweiteren stellten sich viele unabhängige Kandidaten zur Wahl.

Für die SPD war das Ergebnis mit insgesamt 30,2% der Stimmen und 20,2% der Mandate eher enttäuschend, was aber auch daran lag, dass der Verteilungsschlüssel manche Gruppierungen stark bevorzugte und eher zu Lasten großer Flächenparteien wie der SPD ging. Die Unabhängigen etwa stellt trotz 27,6% der Stimmen ganze 41,5% aller Mandate.

Die Sozialdemokraten konnten im Norder Stadtrat 9 der 21 Sitze besetzen und trotz „bürgerlicher“ Mehrheit ihren Vertreter Johann Fischer zum Bürgermeister wählen.

Absolute Mehrheiten konnte die SPD in Norderney und Leer erobern, in Aurich war sie dagegen wegen der Popularität des liberalen Regierungspräsidenten Jann Berghaus gegen die FDP chancenlos, die 17 von 21 Sitzen eroberte.[50]

5.2 Landtagswahlen 1947

Bei der Landtagswahl vom 20.4.1947 wurde Ostfriesland in fünf Wahlkreise eingeteilt (Leer, Teile des Landkreise Leers und Borkum, Aurich, Emden-Stadt und Norden sowie Wittmund mit den ostfriesischen Inseln).

Die SPD startete mit guten Voraussetzungen in den Wahlkampf, sie hielt die meisten Veranstaltungen ab und ihr stand die Zeitung „Nordwestdeutsche Rundschau“ mit einer Auflage von 100.000 und eine Menge Wahlhelfer zur Verfügung, weit mehr als die CDU, die auf Bezirksebene „ihren Aufbauprozess noch nicht abgeschlossen hatte“.[51]

Die Wahlbeteiligung lag mit 55,6% noch unter der niedrigen Beteiligung bei den Gemeindewahlen 1946 und ließ auf eine allgemeine politische Resignation schließen.

Die SPD konnte sich mit 47,2% der Stimmen in Ostfriesland als stärkste Partei behaupten und lag als Wahlgewinnerin sogar über dem Landesdurchschnitt von 43,2%. Die Sozialdemokraten konnten die Direktwahl in allen fünf ostfriesischen Wahlkreisen gewinnen, teilweise mit Spitzenergebnissen wie 52,9% in Norden. In Leer verbesserte die SPD sich von 37,7% im Jahr 1946 auf 48,2%.

Nur in Wittmund waren sie mit 41,4% nicht die stärkste Partei, sondern lag hinter der FDP.[52]

5.3 Kommunalwahlen 1948

Die Kommunalwahlen am 28.11.1948 bestätigten die Sozialdemokratie als stärkste politische Kraft in Ostfriesland mit insgesamt 45,5% der Stimmen, im Vergleich zu den Gemeindewahlen 1946 ein deutliches Plus. In Norden konnte die SPD ihre Mehrheit ausbauen, während in Leer weiterhin die CDU mit einem einzigen Sitz Vorsprung an der Macht blieb.

Dagegen schafften die Sozialdemokraten den Wechsel in Aurich, wo die FDP die absolute Mehrheit innegehabt hatte. SPD und KPD hatten ihr mit 19 Sitzen nur einen Sitz mehr als CDU und die aus der NLP hervorgegangene Deutsche Partei (DP), was aber zur Wahl eines neuen Landrats reichte.

In Emden, der einzigen Stadt wo die SPD im Vergleich zu 1946 nicht zulegen konnte, war sie auf eine Zusammenarbeit mit der CDU angewiesen, da eine Zusammenarbeit mit der KPD aufgrund der Spannungen zwischen den beiden Arbeiterparteien nicht möglich war. Hier kam es also zur ersten schwarz-roten „Regierungskoalition“ in Ostfriesland.

In Wittmund konnte die FDP ihre absolute Mehrheit knapp verteidigen, auch wenn die SPD stark zulegen konnte.[53]

5.4 Bundestagswahlen 1949

Die ersten Bundestagswahlen am 14.8.1949 fanden mit der wirtschaftlichen Krise seit 1948, der Währungsreform, der Gründung der NATO und der Zuspitzung des Kalten Krieges auf einer völlig anderen Grundlage als die vorhergehenden Wahlen statt.

Dies hatte auch Auswirkungen auf Ostfriesland, welches in die beiden Wahlkreise Emden-Norden-Aurich und Wittmund-Leer geteilt wurde. Die Wahlbeteiligung war mit 68,6% (BRD: 78,5%) eher gering. Die SPD wurde mit 35,3% zwar stärkste Partei, hatte aber im Vergleich zu den Landtagswahlen 1947 und den Kommunalwahlen 1948 starke Verluste zu beklagen. Überall waren die Folgen eines starken Rechtsrutsches zu spüren. In Emden erreichte die SPD nur noch 32,1% (1948: 45,8%) und wurde damit fast von der rechtsradikalen Deutschen Rechtspartei (DReP) eingeholt, die 26,3% der Stimmen erreichte. Allgemein war die schlechte wirtschaftliche Situation der Hafenarbeiter dafür verantwortlich. Auch in Norden (40,7%) und Leer (37,0%) hatten die Sozialdemokraten im Vergleich zu den Wahlen 1947 und 1948 hohe Verluste zu beklagen und legten die Rechtsradikalen stark zu. Das SPD-Ergebnis blieb aber trotzdem noch knapp über dem niedersächsischen Landesdurchschnitt von 33,4% und in beiden Wahlkreisen konnten sich Sozialdemokraten durchsetzen. In Aurich-Emden relativ deutlich Georg Peters und in Leer sehr knapp Louis Thelemann.[54]

6 Abschließende Beurteilung – Die Bedeutung der SPD für den politischen Neuanfang in Ostfriesland

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hatte durchaus einen großen Anteil an dem politischen und dem gesellschaftlichen Wiederaufbau und Neuanfang in Ostfriesland.

Die SPD war die erste Partei, die sich nach 12 Jahren nationalsozialistischer Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg wieder reorganisierte und vielen ehemaligen Verfolgten, Inhaftierten oder auch Emigranten ein politisches Betätigungsfeld bot.

In Ostfriesland hatte die SPD nach den ersten Wahlen in mehreren Gemeinden und Städten, darunter auch Norden, die Mehrheit inne und nutzte sie zum demokratischen Neuaufbau der politischen Strukturen. Als sozialistische Partei setzte sie sich für die Rechte der Arbeiter, auch insbesondere für die Rechte der vielen Flüchtlinge aus den Ostgebieten in Ostfriesland ein.

Mit Johann Fischer, dem Norder SPD-Chef und dem Bundestagsabgeordneten Georg Peters verfügte sie über zwei Vertreter, die auch überregional – auf Landes- und auf Bundesebene – sich einen Namen machten und über eine Menge persönlicher Integrität und Popularität verfügten.

Es ist wohl kein Zufall, dass man heutzutage von Ostfriesland als einer Hochburg der Sozialdemokratie spricht. Die Grundsteine für diesen Erfolg wurden bereits in den ersten Nachkriegsjahren gelegt.

Quellen- und Literaturverzeichnis:

Lüpke-Müller, Inge; Ostfriesische Landschaft (Hrsg.):

Eine Region im politischen Umbruch – Der Demokratisierungsprozeß in Ostfriesland nach dem Zweiten Weltkrieg. Verlag der Ostfriesischen Landschaft, Aurich 1998

von Pezold, Johann Dietrich:

Sozialdemokraten in Niedersachsen 1945/16 – Materialien zur Regorganisation der SPD im außergroßstädtischen Bereich. Verlag August Lax Hildesheim, Göttingen 1982

Franke, Konrad A.:
Die SPD in Niedersachsen – Demokratie der ersten Stunde. Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung, Göttingen 1972

Schmidt, Heinrich:

Politische Geschichte Ostfrieslands (Ostfriesland im Schutze des Deiches Band V). Verlag Gerhard Rautenberg, Pewsum 1975

SPD-Ortsverein Norden (Hrsg.):

75 Jahre SPD Norden. Eigendruck, Norden 1979

SPD-Ortsverein Norden (Hrsg.):

1904-1004 – 90 Jahre Sozialdemokratische Partei Deutschlands in Norden. Eigendruck, Norden 1994

SPD-Ortsverein Norden (Hrsg.):

1902-2002 – 100 Jahre Sozialdemokratie in Norden. Eigendruck, Norden 2002

Internetseiten:

Mehrere anonyme Autoren:

http://de.wikipedia.org/wiki/SPD

Stand 15. März 2005 (abgerufen am 24. Februar 2005)

Mehrere anonyme Autoren:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Schumacher

Stand 15. März 2005 (abgerufen am 24. Februar 2005)

[...]


[1] Supreme Headquarter of Allied Expeditionary Force

[2] Johann D. von Pezold: Sozialdemokraten in Niedersachsen 1945/56, Göttingen 1982, S. 2

[3] Inge Lüke-Müller: Eine Region im politischen Umbruch – Der Demokratisierungsprozeß in Ostfriesland nach dem Zweiten Weltkrieg, Aurich 1998, S. 57

[4] Ebenda, S. 58

[4] Ebenda, S. 65

[5] dt. indirekte Herrschaft, Begriff aus der Kolonialgeschichte, bezeichnet das Zurückgreifen einer Kolonialmacht auf einheimische Verwaltungs- und Amtsstrukturen

[6] Ebenda, S. 70

[7] Ebenda S. 83

[8] Ebenda, S. 60f.

[9] Ebenda, S. 138

[10] Ebenda, S. 139ff.

[11] Ebenda, S. 164

[12] von Pezold, a.a.o., S. 7

[13] Lüke-Müller, a.a.O., S. 165

[14] Konrad A. Franke: SPD in Niedersachsen, Göttingen 1972, S. 11f.

[15] Ebenda, S. 13

[16] http://de.wikipedia.org/wiki/SPD

[17] http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Schumacher

[18] von Pezold, a.a.O., S. 62

[19] Lüke-Müller, a.a.O., S. 171

[20] von Pezold, a.a.O., Seite 62f.

[21] Ebenda, S. 63

[22] Lüke-Müller, a.a.O., S. 171

[23] SPD-Ortsverein Norden (Hrsg.): 1902-2002 – 100 Jahre Sozialdemokratie in Norden, Norden 2002, S. 14

[24] von Pezold, a.a.O., S. 63ff.

[25] Ebenda, S.66

[26] 100 Jahre Sozialdemokratie in Norden, a.a.O., S. 14

[27] von Pezold, a.a.O., S. 68

[28] Ebenda, S.69

[29] Heinrich Schmidt: Politische Geschichte Ostfrieslands, Pewsum 1975, S. 480

[30] Lüke-Müller, a.a.O., S. 169

[31] Ebenda, S. 170

[32] Ebenda, S. 171

[33] Ebenda. S. 173

[34] Ebenda, S. 174

[35] Ebenda, S. 175

[36] Ebenda, S. 175f.

[37] SPD-Ortsverein Norden (Hrsg.): 75 Jahre SPD Norden, Norden 1977, S. 25ff. und von Pezold, a.a.O., S. 153f.

[38] SPD-Ortsverein Norden (Hrsg.): 1904-1994 – 90 Jahre Sozialdemokratische Partei Deutschlands in Norden, Norden 1994, S. 17f.

[39] von Pezold, a.a.O., S. 194

[40] Ebenda, S. 188

[41] Ebenda. S. 199

[42] Franke, a.a.O., S. 45ff.

[43] Franke, a.a.O., S. 24f.

[44] Lüpke-Müller, a.a.O., S. 176

[45] A. Franke, a.a.O., S. 25

[46] Lüpke-Müller, a.a.O., S. 179

[47] Ebenda, S. 180f. und von Pezold, a.a.O., S. 112f.

[48] Ebenda., S. 334

[49] Ebenda. S. 366ff.

[50] Ebenda, S. 342 ff.

[51] Ebenda, S. 355

[52] Ebenda, S. 356ff.

[53] Ebenda, S. 358ff.

[54] Ebenda, S. 366ff.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wiederaufbau der SPD nach 1945 in Ostfriesland
Veranstaltung
Geschichts-LK
Note
12 Punkte
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V109962
ISBN (eBook)
9783640081400
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wiederaufbau, Ostfriesland, Geschichts-LK
Arbeit zitieren
Sebastian Türk (Autor:in), 2005, Wiederaufbau der SPD nach 1945 in Ostfriesland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109962

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