Das 4. Rundfunkurteil. Das "Niedersachsen-Urteil"


Hausarbeit, 2005

24 Seiten, Note: 19 aus 20


Leseprobe


Inhaltsangabe

I. EINFÜHRUNG

II. LEITSÄTZE

III. ZUR GESCHICHTE

IV. DIE VERFASSUNGSBESCHWERDE
1. Zur Begründung der Antragsteller
2. Zur Stellungnahme der Landesregierung
3. Zur Stellungnahme anderer Parteien

V. DAS VERFAHREN

VI. DIE BEGRÜNDUNG
1. Die verfassungsrechtliche Beurteilung
2. Aufgabe der Rundfunkfreiheit
3. Basiserfordernis für die Gewährleistung dieser Aufgabe
4. Grundlinien der Rundfunkordnung
5. Entwicklungen auf dem Gebiet des Rundfunks
5.1. Wirtschaftliche Bedingungen
5.2. Auslegung dieser Entwicklungen
6. Grundversorgung – Sache der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
6.1. Anforderungen an die privaten Veranstaltern
7. Aufgabe des Gesetzgebers
8. Zu den einzelnen Normen
8.1. § 15 LRG
8.1.1. Zu den Mängeln des § 15 LRG
8.1.2. Schlussfolgerung zu § 15 LRG
8.2. Über die Lösung der
Programmkontrolle
8.2.1. Zweckuntaugliche Maßnahme des § 28 Abs. 2 Satz 2 LRG
8.2.2. Bestimmtheit der Kontrollmaßstäbe
8.2.3. Zureichende Mittel der Programmkontrolle durch den Rundfunkausschuss
8.3. Vorbeugung der Entstehung vorherrschender Meinungsmacht
8.3.1. § 5 Abs. 2 Satz 1 LRG
8.3.2. § 5 Abs. 6 Satz 2 LRG
8.3.3. Über die „publizistische Gewaltenteilung“
8.4. Finanzierung
8.5. Verfassungsmäßigkeit der Erlaubnis zur Veranstaltung von Rundfunk

VII. SCHLUSSFOLGERUNG

Das 4. Rundfunkurteil

Das „Niedersachsen-Urteil“

I. EINFÜHRUNG

Urteil des Ersten Senats

vom 4. November 1986 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom

3. Juni 1986

in dem Verfahren über den Antrag zu prüfen, ob das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz vom 23. Mai 1984 (GVBl. S. 147) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es ging um die zeitlich erste landesgesetzliche Normierung privaten Rundfunks nach der verunglückten saarländischen Novelle vom 7.6.1967.

Antragsteller: Dr. Hans-Jochen Vogel und weitere 200 Mitglieder des Deutschen Bundestages.

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage der Vereinbarkeit des Niedersächsischen Landesrundfunkgesetzes vom 23. Mai 1984 (LRG) mit dem Grundgesetz – Normenkontrollklage.

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3.6.1986 verkündete das Bundesverfassungsgericht am 4.11.1986 sein „4. Rundfunk-Urteil“, das für die Rundfunkverfassung grundlegend wirkte und wirkt.

II. LEITSÄTZE

Im Leitsatz erkärt das Bundesverfassungsgericht, dass in der dualen Ordnung des Rundfunks die unerlässliche „Grundversorgung“ Sache der öffentlichen Anstalten sei.

„1 a) In der dualen Ordnung des Rundfunks, wie sie sich gegenwärtig in der Mehrzahl der deutschen Länder auf der Grundlage der neuen Mediengesetze herausbildet, ist die unerläßliche "Grundversorgung" Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren terrestrischen Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen und die zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage sind. Die damit gestellte Aufgabe umfaßt die essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik. Darin finden der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine besondere Eigenart ihre Rechtfertigung. Die Aufgaben, welche ihm insoweit gestellt sind, machen es notwendig, die technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen ihrer Erfüllung sicherzustellen.

b) Solange und soweit die Wahrnehmung der genannten Aufgaben durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam gesichert ist, erscheint es gerechtfertigt, an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Vorkehrungen, welche der Gesetzgeber zu treffen hat, müssen aber bestimmt und geeignet sein, ein möglichst hohes Maß gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichern.“

III. ZUR GESCHICHTE

„Die Veranstaltung von Rundfunksendungen war in der Bundesrepublik Deutschland bis vor kurzer Zeit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorbehalten. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Rundfunksystems ergaben sich weitgehend aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts von 1961, 1971 und 1981 (BVerfGE 12, 205 - Deutschland-Fernsehen; 31, 314 - Umsatzsteuer; 57, 295 - Privatfunk im Saarland). In diesen Entscheidungen hat das Gericht der "Sondersituation" des Rundfunks im Vergleich zur Presse Bedeutung beigemessen, die sich aus der Knappheit der verfügbaren Frequenzen und dem außergewöhnlich hohen finanziellen Aufwand für die Veranstaltung von Rundfunksendungen ergab. Diese Situation ist in neuerer Zeit nicht entfallen; sie hat sich jedoch verändert. Kennzeichnend erscheinen namentlich folgende Umstände:

a) Die technischen Voraussetzungen der Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen haben sich durch die Entwicklung der "Neuen Medien" verbessert und werden dies weiterhin tun. [...]

b) Wenn sich damit die technischen Voraussetzungen der Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunksendungen verbessert haben oder verbessern werden, kann Gleiches nicht für die ökonomischen Bedingungen gelten. Namentlich im Fernsehbereich führen Anfangsinvestitionen und Betrieb sowie erhebliche Aufwendungen für die Verbreitung der Programme zu hohen Kosten, während die Finanzierungsmöglichkeiten im wesentlichen auf Werbeeinnahmen beschränkt sein werden. Nach verbreiteter Ansicht werden sich zwei, höchstens drei bundesweite private, auf Werbeeinnahmen angewiesene Anbieter von Vollprogrammen behaupten können.“

„Bundesweit bestehen zwei deutschsprachige Fernsehprogramme, die über Fernmeldesatellit abgestrahlt und in neun Bundesländern in die Kabelnetze eingespeist werden. Eines dieser Programme wird in Luxemburg nach dortigem Recht unter deutscher Beteiligung veranstaltet. Weitere Interessenten für bundesweite Programme sind bislang nicht aufgetreten. [...] Private Hörfunkprogramme werden derzeit in Bayern (lokal), Rheinland-Pfalz (überregional) und Schleswig-Holstein (landesweit) ausgestrahlt. In Niedersachsen hat eine Verlegergruppe die Sendeerlaubnis für ein vierundzwanzigstündiges landesweites Vollprogramm erhalten.“

„Das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz vom 23. Mai 1984 gehört zu den ersten der neuen Landesmediengesetze. Seine Aufgabe besteht nach der Begründung des Regierungsentwurfs darin, einen umfassenden Ordnungsrahmen für den Rundfunk in privater Trägerschaft zu schaffen, der absehbare Fehlentwicklungen und Wildwuchs ausschließen soll. Danach sollen die materiellen, organisatorischen und Verfahrensregelungen des Gesetzes die Entwicklung vom öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopol zu einer Vielfalt der Informationsanbieter und -angebote einleiten und fördern. Hierzu sieht das Gesetz eine Übergangsform vor, die eine kontinuierliche und geordnete Entwicklung des Rundfunks in privater Trägerschaft schrittweise von der Veranstaltung einer geringen Zahl von Rundfunkprogrammen bis hin zu einem Zustand ermöglichen soll, bei dem sich auf Dauer eine externe - außenplurale - Vielfalt eingestellt hat.“

IV. DIE VERFASSUNGSBESCHWERDE

201 Mitglieder des Deutschen Bundestages, die der SPD angehören, haben nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG („Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: 2. bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages“), § 13 Nr. 6 BverfGG („Das Bundesverfassungsgericht entscheidet 6. bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages (Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2 des Grundgesetzes)“) und § 76 Nr. 1 BverfGG: („Der Antrag der Bundesregierung einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages gemäß Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2 des Grundgesetzes ist nur zulässig, wenn der Antragssteller Bundes- oder Landesrecht 1. wegen seiner förmlichen oder sachlichen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht für nichtig hält“) beantragt, das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz für nichtig zu erklären. Nach ihrer Ansicht verstoßen die wesentlichen Bestimmungen des Gesetzes gegen Art. 5 Abs. 1 GG; dies habe die Verfassungswidrigkeit des ganzen Gesetzes zur Folge.

1. Zur Begründung der Antragsteller:

Zur Begründung führen die Antragsteller im wesentlichen aus:

- die verfassungsrechtlich gebotene gegenstänliche und inhaltliche Vielfalt wäre unzureichend geregelt und nicht wirksam gesichert
- unzureichende Vorkehrungen gegen die Entstehung vorherrschender Meinungsmacht, die sich aus einer Konzentration im Bereich des privaten Rundfunks oder einer Medienverflechtung ergeben könnte
- keine Regelung über den erforderlichen Umfang der einzelnen Programmsparten
- inhaltliche Programmvielfalt werde nicht hinreichend gewährleistet. Die Mindestpflichten des § 13 LRG würden da nicht ausreichen, da sie nur auf Informationssendungen beschränkt seien.
- dem Ausgewogenheitsgebot des § 15 LRG liege ausschließlich die Veranstalterperspektive zugrunde; diejenige des Rundfunkteilnehmers werde vernachlässigt. Nicht einmal dieses unzureichende Maß an Ausgewogenheit vermöge § 15 LRG mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu sichern, da § 28 Abs. 2 Satz 2 LRG für die Sanktionierung von Verstößen gegen den Ausgewogenheitsprinzip eine umgekehrte Beweislastregelung aufstelle, indem er dem Landesrundfunkausschuß den Negativbeweis fehlender Ausgewogenheit des Gesamtprogramms aufbürde. Der Landesrundfunkausschuß sei aber kaum in der Lage, diesen Nachweis im Einzelfalle zu führen.
- die Finanzierungsregelungen trügen nicht in hinreichendem Umfang zur Vielfaltssicherung bei. Das Gesetz schließe unkontrollierte Einflußnahmen durch den Einsatz von Finanzmitteln des Veranstalters oder Dritter, durch Spenden oder Sponsorenfinanzierung nicht aus.
- für die Verbreitung von Rundfunksendungen sehe das Landesrundfunkgesetz keine wettbewerbssichernden Vorkehrungen vor. Es biete kein Instrumentarium, um marktbeherrschende Stellungen zu beseitigen, die von Anfang an bestünden oder auf innerem Wachstum beruhten. § 23 LRG biete hiergegen keinen hinreichenden Schutz und schließe jedenfalls den Einfluß von Großverlegern auf die Programme selbst auf lokaler oder regionaler Ebene nicht aus.
- Verstoß gegen die Staatsferne, da bei der Erteilung der Zulassung dem Ministerpräsidenten als staatliche Erlaubnisbehörde eine dominierende Stellung zukomme -> Gefahr der Bevorzugung regierungsfreundlicher Veranstalter.
- Verfassungswidrig sei es schließlich, daß das Gesetz nicht in allen wichtigen, für die Rundfunkfreiheit bedeutsamen Angelegenheiten eine Beteiligung des Landesrundfunkausschusses vorsehe.
- das Recht auf Gegendarstellung sei unzureichend gesichert.

2. Zur Stellungnahme der Landesregierung:

- Die verfassungsrechtlichen Anforderungen, welche die Antragsteller an den Vielfaltsstandard stellten, seien überhöht und müßten jede gesetzliche Ausgestaltung trotz der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit privaten Rundfunks scheitern lassen. Der Gesetzgeber brauche nur einen Mindeststandard an Meinungsgleichheit und Meinungsvielfalt zu sichern; zur optimalen Gewährleistung der Rundfunkfreiheit sei er nicht verpflichtet. Bei der Ausgestaltung der verfassungsrechtlich geforderten positiven Ordnung des Rundfunks müsse ihm ein Prognosespielraum zugestanden werden.
- Das Landesrundfunkgesetz enthalte in § 6 Abs. 1 hinreichende Sicherungen des verfassungsrechtlich geforderten Mindestmaßes an gegenständlicher und inhaltlicher Vielfalt.
- Einer Gefährdung der intermediären Vielfalt bei der Vergabe von Vollprogrammlizenzen begegneten die Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Eine darüber hinausgehende Bekämpfung von Konzentration sei nicht Aufgabe des Landesrundfunkgesetzgebers. Nähere Regelungen zur Sicherung gegenständlicher Vielfalt seien entbehrlich, da sich eine am Rezeptionsinteresse orientierte Spartenvielfalt der Programme von selbst einstellen werde.
- Mit § 15 LRG stehe dem Landesrundfunkausschuß ein praktikabler Kontrollmaßstab zur Verfügung. Die Informationsrechte und Sanktionsmöglichkeiten des Landesrundfunkausschusses seien geeignet und ausreichend, ein ausgewogenes Gesamtprogramm zu erreichen und zu erhalten.
- Die verfassungsrechtlich geforderte Staatsferne des privaten Rundfunks werde durch das Landesrundfunkgesetz dadurch gesichert, daß die staatliche Erlaubnisbehörde die gesetzlich gebundenen Entscheidungen oder die gesetzlich gebundenen Elemente von Entscheidungen treffe und dem Landesrundfunkausschuß die wertenden Elemente der Entscheidungen vorbehalten blieben.

3. Zur Stellungnahme anderer Parteien:

„Die Hessische Landesregierung hält in ihrer Stellungnahme [...] das Landesrundfunkgesetz für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe darauf verzichtet, privaten Veranstaltern die Verpflichtung einer - möglicherweise sogar von Verfassungs wegen geforderten - binnenpluralistischen Organisation aufzuerlegen, ohne hierfür ausreichende Ersatzregelungen vorzusehen, die geeignet wären, die Rundfunkfreiheit mit vergleichbarer Wirksamkeit zu gewährleisten.“

„Die ARD hält in ihrer Stellungnahme [...] das Landesrundfunkgesetz für verfassungswidrig. Es enthalte keine effektiven Vorkehrungen für die Gewährleistung von Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit. Dem materiellen Ausgewogenheitserfordernis des § 15 Satz 3 LRG ermangele es an den notwendigen organisatorischen und Verfahrenssicherungen. § 3 Abs. 3 Satz 4 LRG verstoße gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit. Verfassungsrechtliche Bedenken seien auch gegenüber den Finanzierungsregelungen zu erheben: § 26 Abs. 1 LRG lasse Unterbrechungswerbung zu und verstoße deshalb gegen die verfassungsrechtlichen Gebote der Transparenz und der Informationsklarheit; § 26 Abs. 2 LRG schließe eine verfassungsrechtlich unzulässige reine Werbefinanzierung der privaten Rundfunkprogramme nicht aus; verfassungswidrig sei schließlich, daß das Landesrundfunkgesetz keine Verpflichtung enthalte, Spenden von einer gewissen Größenordnung an transparent und publik zu machen.“

„Nach Ansicht des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger können gegen das Landesrundfunkgesetz keine verfassungsrechtlichen Einwände erhoben werden. Seiner Verpflichtung zur Sicherung eines Mindestmaßes an Vielfalt sei der Gesetzgeber nachgekommen. [...]Die gesetzlichen Sicherungen der Funktionsfähigkeit des ökonomischen Wettbewerbs seien ausreichend.“

V. DAS VERFAHREN

„Die Antragsteller leiten die Verfassungswidrigkeit des ganzen Gesetzesnicht aus der Verfassungswidrigkeit jeder einzelnen seiner Vorschriftenher, wie es etwa bei einem kompetenzwidrigen Gesetz der Fall wäre. Vielmehr gehen sie - von ihrem Standpunkt aus folgerichtig -von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtsaus, nach der bei Nichtigkeit einer oder mehrerer Bestimmungen eines Gesetzes das gesamte Gesetz für nichtig zu erklären ist, wenn dienichtigen Bestimmungen mit den übrigen so verflochtensind, daß sie eineuntrennbare Einheitbilden, die nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt werden kann.“

VI. DIE BEGRÜNDUNG

1. Maßgebend für dieverfassungsrechtliche Beurteilungist die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit des Rundfunks.
2.Aufgabe der Rundfunkfreiheit: die Meinungsbildung in einem umfassenden Sinn, „nicht nur durch Nachrichtensendungen, politische Kommentare oder Sendereihen über Probleme der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft, sondern ebenso in Hör- und Fernsehspielen, musikalischen Darbietungen oder Unterhaltungssendungen.“
3.Basiserfordernis für die Gewährleisung dieser Aufgabeist die Freiheit des Rundfunks „von staatlicher Beherrschung oder Einflußnahme“ - Staatsferne. Es bedarf aber nicht nur einer negatorischen Ordnung, sondern auch einer Positiven, damit die Vielfalt der verschiedenen Meinungen im vollen Umfang Ausdruck finden kann. Dazu sind Regelungen materieller, organisatorischer und verfassungsrechtlicher Art erforderlich. „Wie der Gesetzgeber seine Aufgabe erfüllen will, ist [...] Sache seiner eigenen Entscheidung“
4.Grundlinien der Rundfunkordnung: Der Gesetzgeber hat „dafür Sorge zu tragen, dass das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im wesentlichen entspricht, daß der Rundfunk nicht einer oder einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird und daß die in Betracht kommenden Kräfte im Gesamtprogrammangebot zu Wort kommen können.“ Ob er die Gestaltungsform der Innenpluralität oder der Außenpluralität wählt, bleibt ihm überlassen. „Darüber hinaus hat der Gesetzgeber Leitgrundsätze verbindlich zu machen, die einMindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtunggewährleisten. Er muß einebegrenzte Staatsaufsichtvorsehen, denZugang zur Veranstaltung privater Rundfunksendungen regelnund, solange dieser nicht jedem Bewerber eröffnet werden kann,Auswahlregelungen treffen, welche den Bewerbern eine gleiche Chance eröffnen.“
5.Entwicklungen auf dem Gebiet des Rundfunks, die bei der Beurteilung der Aufforderungen, die der Rundfunkgesetzgebung berücksichtigt werden sollten: damals war die Zahl der empfangbaren Programme im landesweiten oder lokalen Bereich auf terrestrisch verbreitete Programme beschränkt und die Prognose hieß, es würde für längere Zeit auf diese beschränkt bleiben.

5.1. Wirtschaftliche Bedingungen: „außergewöhnlich hoher finanzieller Aufwand für Fernsehprogramme, der im wesentlichen durch Einnahmen aus Wirtschaftswerbung gedeckt werden muß, und eine ähnliche, wenn auch im ganzen günstigere Situation für private Hörfunkprogramme.“

5.2. Auslegung dieser Entwicklungen: „Die Programme privater Anbieter vermögen der Aufgabe umfassender Information nicht in vollem Ausmaß gerecht zu werden. [...] Von privatem Rundfunk (kann) kein in seinem Inhalt breit angelegtes Angebot erwartet werden, weil die Anbieter zur Finanzierung ihrer Tätigkeit nahezu ausschließlich auf Einnahmen aus Wirtschaftswerbung angewiesen sind. Diese können nur dann ergiebiger fließen, wenn die privaten Programme hinreichend hohe Einschaltquoten erzielen.“

Über gleichgewichtige Vielfalt: „Wann ‚gleichgewichtige Vielfalt’ besteht oder zu erwarten ist, läßt sich nicht exakt bestimmen, weil es hierfür an eindeutigen Maßstäben fehlt; es handelt sich um einen Zielwert, der sich stets nur annäherungsweise erreichen läßt. [...]Ausschlaggebend ist vielmehr, daß das Rundfunksystem in seiner Gesamtheit dem verfassungsrechtlich Gebotenen im Rahmen des Möglichen entspricht.“

6.Grundversorgung – Sache der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten: „In dieser Ordnung ist die unerläßliche "Grundversorgung" Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, zu der sie imstande sind, weil ihre terrestrischen Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen und weil sie nicht in gleicher Weise wie private Veranstalter auf hohe Einschaltquoten angewiesen“ sind. Der klassische Rundfunkauftrag umfasst die Meinungs- und politische Willensbildung, neben Unterhaltung und über laufende Berichterstattung hinausgehender Information - kulturelle Verantwortung.

6.1. Anforderungen an die privaten Veranstaltern, die sich daraus ergeben: „Solange und soweit jedoch die Wahrnehmung der genannten Aufgaben jedenfalls durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam sichergestellt ist, erscheint es gerechtfertigt, an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlichrechtlichen Rundfunk.“ Trotzdem ist die totale Deregulierung, das Überlassen des privaten Rundfunks den freien Kräften der Marktwirtschaft mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.

So lange die Ungleichgewichtigkeiten im privaten Rundfunk nicht gravierend sind, „werden sie hinnehmbar unter der Voraussetzung, daß in den Programmen der öffentlich-rechtlichen Anstalten die Vielfalt der bestehenden Meinungsrichtungen unverkürzt zum Ausdruck gelangt.“

7.Aufgabe des Gesetzgebers: Die wesentlichen Voraussetzungen von Meinungsvielfalt gegen konkrete und ernsthafte Gefährdungen zu schützen; „die strikte Durchsetzung dieses Grundstandards durch materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen sicherzustellen.“ Vor allem geht es dem Bundesverfassungsgericht darum, „Tendenzen zur Konzentration rechtzeitig und so wirksam wie möglich entgegenzutreten, zumal Fehlentwicklungen gerade insoweit schwer rückgängig zu machen sind.“

Die Grundbestandteile des Niedersächsischen Landesmediengesetzes (materiellrechtliche Bestimmungen, die neben allgemeinen Mindestvoraussetzungen die Anforderungen an die gebotene Sicherung von Vielfalt und Ausgewogenheit der Programme umschreiben, und die Sorge für deren Einhaltung durch ein externes, vom Staat unabhängiges, unter dem Einfluß der maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte und Richtungen stehendes Organ) sind im Prinzip verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, trotzdem steht das Gesetz in mehrfacher Hinsicht hinter den Regelungen der anderen Landesmediengesetze und reichte in der damaligen Gestalt nicht aus.

8 Zu den einzelnen Normen:

8.1. §15 LRG - im wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar; entgegen der Auffassung der Antragsteller hat § 15 LRG die Anforderungen an private Rundfunkprogramme mit hinreichender Vollständigkeit und Bestimmtheit umschrieben. Im Zusammenhang mit Satz 3 fehlt es jedoch an einer näheren Regelung der Verpflichtung zu interner Ausgewogenheit der einzelnen Programme.

„Wenn nach der Vorschrift die im Geltungsbereich des Gesetzes veranstalteten und verbreiteten (inländischen) privaten Rundfunkprogramme in ihrer Gesamtheit die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen angemessen zu Wort kommen lassen müssen (Satz 1), diese Gesamtheit nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder Weltanschauung dienen darf (Satz 2) und jedes zugelassene Programm als einzelnes den Anforderungen der Sätze 1 und 2 genügen muß, sofern die Ausgewogenheit nicht in Verbindung mit den anderen Programmen gewährleistet ist (Satz 3), so entspricht dies der verfassungsrechtlichen Grundanforderung gleichgewichtiger Vielfalt, die in der Rundfunkfreiheit enthalten ist.“

Geboten ist keine gesetzliche Verpflichtung, Sendungen bestimmter Art in bestimmtem zeitlichem Umfang zu veranstalten; die Ausgewogenheit kann sich nicht mathematisch messen. So lange der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine oben genannten Aufgaben erfüllt, „ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehalten, detaillierte oder gar lückenlose Regelungen des in Frage stehenden Inhalts zu treffen und ihre Befolgung durch organisatorische und Verfahrensregelungen zu sichern. Es muß genügen, wenn er eine Grundregel schafft, in welcher das Wesentliche zum Ausdruck gelangt. Das ist in § 15 LRG geschehen.“

8.1.1. Zu den Mängeln des §15 LRG: § 15 Satz 3 LRG begründet für jedes einzelne Programm eine Verpflichtung zu interner Ausgewogenheit; diese soll jedoch entfallen, wenn die Ausgewogenheit in Verbindung mit anderen Programmen gewährleistet ist. Darüber, wann das der Fall ist, schweigt das Gesetz – Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.

8.1.2. Schlussfolgerung zu § 15 LRG: § 15 LRG ist mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.

8.2. Über die Lösung der Programmkontrolle: - die niedersächsische Lösung der Programmkontrolle ist mit der Staatsfreiheit des Rundfunks vereinbar.

Die Aufgabe der Kontrolle wird im LRG dem Landesrundfunkausschuss, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, von dem Staat unabhängigen Organisationseinheit, unterworfen. Diese Versammlung ist weder ein Organ unmittelbarer Staatsverwaltung, noch unterliegt sie staatlichem Einfluß bei der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben. Das Gesetz schreibt vor, dass dem Ausschuss keine staatlichen Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden dürfen (§ 27 Abs. 1 LRG) und dass die Mitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten haben (§ 32 Abs. 1 Nr. 5 LRG).

Diese Befugnisse greifen auch nicht verfassungswidrig in die Rundfunkfreiheit der Veranstalter.

8.2.1. Zweckuntaugliche Maßnahme des § 28 Abs. 2 Satz 2 LRG: „Dieser Vorschrift zufolge kann ein Programm nach § 15 Satz 3 nur beanstandet werden, wenn die Ausgewogenheit durch andere Programme nicht gewährleistet ist. [...] Der Mangel der Vorschrift liegt [...] in der Konsequenz, die der Landesrundfunkausschuß bei fehlender Ausgewogenheit der Programme in ihrer Gesamtheit zu ziehen hat. [...]

Mit welchem Recht der Landesrundfunkausschuß einen oder nur einzelne Veranstalter herausgreifen und diesen möglicherweise aufgeben könnte, Sendungen mit bestimmter Tendenz aufzunehmen oder zu unterlassen, ist nicht erkennbar; denn es läßt sich nicht belegen, daß gerade das beanstandete Programm Ursache der mangelnden Ausgewogenheit der Programme in ihrer Gesamtheit sei.“ Die Bestimmungen des § 28 Abs. 2 Satz 2 verfehlen ihren Zweck und sind deshalb verfassungswidrig und nichtig.

8.2.2. Bestimmtheit der Kontrollmaßstäbe: „§ 13 LRG normiert Sorgfaltspflichten, die einer weiteren Konkretisierung nicht bedürfen. Der Ausgewogenheitsmaßstab des § 15 Satz 3 LRG ist zwar in der Tat in hohem Maße unbestimmt; er läßt sich aber nicht näher konkretisieren.“

8.2.3. Zureichende Mittel der Programmkontrolle durch den Rundfunkausschuss: „Die Beanstandung nach § 28 Abs. 2 Satz 1 LRG ist ein typisches und effektives Mittel der Rechtsaufsicht, zumal sie durch das äußerste Mittel des Widerrufs der Erlaubnis sanktioniert ist (§ 28 Abs. 4 LRG). Daß dieses nur bei schwerwiegenden Verstößen eingesetzt werden darf, einfache Gesetzesverstöße also nicht sanktioniert werden können, läßt noch nicht das Defizit einer mangelnden Abstufung erkennen, weil die Erwartung gerechtfertigt erscheint, daß den Beanstandungen des Landesrundfunkausschusses Rechnung getragen wird. Sollte sich allerdings ergeben, daß Anweisungen mißachtet werden, einfache Verstöße, etwa gegen Vorschriften über die Werbung, zu unterlassen, wird es dem Gesetzgeber obliegen, die Durchsetzung solcher Anweisungen im Wege der Nachbesserung sicherzustellen. Daß der Widerruf der Erlaubnis nur nach Androhung und nur im Wiederholungsfall ausgesprochen werden darf, entspricht allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit.“

Der Programmkontrolle durch den Landesrundfunkausschuß unter dem Gesichtspunkt ihrer Mittel kann die Wirksamkeit nicht abgesprochen werden.

8.3. Vorbeugung der Entstehung vorherrschender Meinungsmacht: - nicht im vollem Umfang durch das Niedersächsische Landesmediengesetz geboten.

8.3.1. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 LRG dürfen Veranstalter von Vollprogrammen in dieser Programmart nicht mehr als je ein Hörfunk- und ein Fernsehprogramm veranstalten. Das Gesetz lässt es aber zu, „daß derselbe Anbieter neben je einem Fernseh- und Hörfunkvollprogramm eine unbegrenzte Zahl von Spartenprogrammen veranstaltet und daß dazu noch Programme treten, die er in anderen Ländern veranstaltet und in Niedersachsen in Kabel einspeisen läßt.“ Der Verzicht auf eine Einbeziehung der Spartenprogramme, sowie der herangeführten Programme kann eher zu der Gefahr einer Konzentration führen als in den Fällen des Satzes 1. Dem Gesetzgeber obliegt „eine Ergänzung des § 5 Abs. 2 LRG“.

8.3.2. § 5 Abs. 6 Satz 2 LRG – ungenügend.

„§ 5 Abs. 6 Satz 2 LRG sucht der Gefahr einer Konzentration durch Zusammenschlüsse von Rundfunkveranstaltern Rechnung zu tragen. Danach kann die Erlaubnisbehörde von einem Antragsteller verlangen, durch das Anmeldeverfahren beim Bundeskartellamt nachzuweisen, daß Vorschriften der Zusammenschlußkontrolle dem Vorhaben nicht entgegenstehen.“ Neben der wirtschaftlichen Komponente, hat der niedersächsische Gesetzgeber versucht, auch der Entstehung von Meinungsmacht entgegenzuwirken. „Im Falle eines die Ausgewogenheit der Programme aufhebenden Zusammenschlusses tritt die Verpflichtung zur Binnenpluralität des Programms ein (§ 15 Satz 3 LRG). Kommt der Veranstalter dieser Verpflichtung nicht nach, so hat der Landesrundfunkausschuß die Maßnahme des § 28 LRG bis hin zur Veranlassung des Widerrufs der Erlaubnis zu treffen.“

Das Gesetz scheiterte aber, sonstige Fälle der Entstehung vorherrschender Meinungsmacht im privaten Rundfunk zu regeln. „Grundsätzlich müssen die gesetzlichen Vorkehrungen zur Erhaltung der Meinungsvielfalt um so effektiver sein, je weiter der private Rundfunk von einer Lage funktionierender Außenpluralität entfernt ist; dies entspricht auch der Logik des niedersächsischen Übergangsmodells. Solange mehrere Anbieter im Lande veranstalteter privater Fernseh- oder Hörfunkprogramme miteinander konkurrieren, sind die genannten Sicherungen als ausreichend zu erachten. [...] In Fällen hingegen, in denen ein solcher Einfluß von einem alleinigen Veranstalter ausgeübt werden könnte, kann das nicht gelten; hier bedarf es weiterer Sicherungen.“ Das Gesetz muss daher mit einer entsprechenden Regelung ergänzt werden.

8.3.3. Über die „publizistische Gewaltenteilung“: Presseunternehmen wird der Zugang zum Rundfunk nicht verwehrt. „Über die erörterten Gefahren vorherrschenden Einflusses auf die öffentliche Meinung hinaus sind daher gleiche, möglicherweise größere Gefahren zu befürchten, wenn Meinungsmacht im Bereich des Rundfunks sich mit Meinungsmacht im Bereich der Presse verbindet.“ Im Falle eines Zusammenschlusses von Zeitungsverlegern zur Veranstaltung von Rundfunksendungen greift das Kartellrecht ein, auf das § 5 Abs. 6 Satz 2 LRG Bezug nimmt. Dehnt sich hingegen ein Printmedienunternehmen in den Bereich der elektronischen Medien, insbesondere des Rundfunks, aus, dann fehlt es an einem Tatbestand des geltenden Kartellrechts. Aus dieser Lücke kann die Verpflichtung des Rundfunkgesetzgebers abgeleitet werden, Vorkehrungen zu treffen, der Entstehung multimedialer Meinungsmacht vorzubeugen, soweit sie die Meinungsvielfalt im Rundfunk bedroht.

Fazit: „Das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz entspricht der genannten Anforderung mit der Maßgabe, daß seine Regelungen, soweit sie den Landesbereich betreffen, ergänzungsbedürftig sind und daß § 23 LRG verfassungskonform weit auszulegen ist. Abgesehen von der Vorschrift des § 5 Abs. 6 Satz 2 LRG enthält das Gesetz für die Medienverflechtung im Landesbereich keine ausdrückliche Regelung. Doch wirkt § 5 Abs. 2 LRG, der die Zahl der Programme beschränkt, welche ein Unternehmen oder ein mit ihm im Sinne der §§ 17 f. AktG verbundenes Unternehmen veranstalten darf, auch der Entstehung multimedialer Meinungsmacht entgegen. Ebenso greifen auch gegenüber vorherrschender Meinungsmacht von Großverlagen im Rundfunk § 15 Satz 3 und § 28 LRG ein. Diese Regelungen bedürfen allerdings der oben (1 a und c) dargelegten Ergänzungen.“

8.4. Finanzierung: Das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz erlaubt die Finanzierung aus Werbemitteln, aus Spenden, aus Entgelten oder aus eigenen finanziellen Mitteln. „Ausführliche Regelungen zur Werbung enthält § 26: Sie ist vom übrigen Programm deutlich zu trennen (Abs. 1 Satz 1), darf nur in Blöcken verbreitet werden und nur dann zu einer im voraus angegebenen Zeit das Programm unterbrechen, wenn die Dauer der Sendung 100 Minuten übersteigt (§ 26 Abs. 1 Satz 2 und 3). Sie ist auf 20 vom Hundert des wöchentlichen Sendeumfangs beschränkt (Abs. 2), nur im gesamten Verbreitungsgebiet des Programms zulässig und muß grundsätzlich mindestens landesweiten Bezug haben (Abs. 2 und 5). [...] Nach Abs. 4 schließlich ist ein Einfluß von Werbungtreibenden auf das übrige Programm sowie von Dritten auf von ihnen finanzierte Sendungen nicht zulässig.“

Die ARD hatte in ihrer Stellungnahme die Bedenken geäußert, eine Vollfinanzierung durch Werbung eröffne die Tore für die Kommerzialisierung und sei eine Gefahr für die Meinungsvielfalt. Laut dem Bundesverfassungsgericht ist „eine mehr oder minder weitgehende Kommerzialisierung - nicht nur bei einer Vollfinanzierung durch Werbung - zwangsläufig mit der Konzeption verbunden, die den neuen Landesmediengesetzen zugrunde liegt. Solange, wie in der Bundesrepublik, eine rentable Entgeltfinanzierung nicht erwartet werden kann, fehlt es an einer praktischen Alternative zur Werbefinanzierung. Dies kann jedoch unter der oben dargelegten Voraussetzung hingenommen werden, daß die Vielfalt der bestehenden Meinungsrichtungen unverkürzt in den Programmen der öffentlich-rechtlichen Anstalten Ausdruck findet.“

Außerdem überwacht laut § 28 Abs. 1 LRG darüber, dass das ausgesprochene Verbot einer Einflußnahme eingehalten wird – es gibt also auch keine Lücken der verfassungsrechtlichen Vorkehrungen zur Sicherung gegen Einflußnahme. Das Gesetz hat auch die Möglichkeit der Meinungsvielfaltgefährdung durch Werbung in Erwägung gezogen und genügend geregelt: „Mit den Vorschriften des § 15 Satz 3 und des § 28 LRG hat er eine Regelung geschaffen, die auch im Fall einer Gefährdung der Meinungsvielfalt durch Werbung eingreift: Sollte eine Entwicklung der von den Antragstellern und den Stellungnahmen befürchteten Art eintreten, dann hätte der Landesrundfunkausschuß einzuschreiten und im äußersten Fall den Widerruf der Erlaubnis zu veranlassen. Es bestehen also organisatorische und Verfahrensvorschriften, die geeignet sind, der Gefährdung entgegenzutreten.“

8.5. Verfassungsmäßigkeit der Erlaubnis zur Veranstaltung von Rundfunk: - zum Teil mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Um Rundfunk zu veranstalten, setzt das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz eine Erlaubnis voraus. „Es regelt die Zuständigkeiten, das Verfahren, die Voraussetzungen der Erteilung, der Rücknahme und des Widerrufs der Erlaubnis und stellt Grundsätze für die Auswahl sowie für die Zuweisung von Sendezeiten auf. Regelungen dieser Art sind verfassungsrechtlich geboten.“

Gesetzgeber anderer Länder haben diese Entscheidung staatsfreier Anstalten überlassen. „Werden, wie im Niedersächsischen Landesrundfunkgesetz, die Entscheidung über den Zugang, die Auswahl sowie die Rücknahme und den Widerruf der Erlaubnis oder die maßgebliche Mitwirkung an diesen Entscheidungen einer staatlichen Behörde übertragen, so ist hiernach ein wirksamer Schutz der Programmfreiheit der privaten Veranstalter nur bei strengen Anforderungen gewährleistet: Der staatlichen Behörde dürfen keine Handlungsund Wertungsspielräume eingeräumt sein, die es ermöglichen, daß sachfremde, insbesondere die Meinungsvielfalt beeinträchtigende Erwägungen Einfluß auf die Entscheidung über den Zugang privater Interessenten zum Rundfunk gewinnen können. Das gilt um so mehr, als sich derartige Wertungsfreiräume nicht nur auf die konkrete Entscheidung, sondern bereits im Vorfeld als Druckmittel oder gar als ‚Selbstzensur’ auf Interessenten oder Veranstalter auswirken können. [...] Verfassungswidrig sind auch solche Regelungen, die der Behörde - etwa durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe - Beurteilungsfreiräume eröffnen, welche eine inhaltliche Bewertung des Programms notwendig machen oder deren Ausfüllung zumindest mittelbare Auswirkungen auf den Programminhalt nach sich zieht.“

Das Recht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt „nicht nur vor unmittelbaren Einflüssen auf Auswahl, Inhalt und Gestaltung der Programme, sondern ebenso vor einer Einflußnahme, welche die Programmfreiheit mittelbar beeinträchtigen könnte.“

Dass das Gesetz die Erteilung der Erlaubnis einer staatlichen Behörde überlässt istper senicht verfassungswidrig; „Dagegen verstoßen die Vorschriften des Gesetzes insoweit gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit, als danach die Entscheidung der staatlichen Erlaubnisbehörde nicht hinreichend streng an gesetzlich bestimmte Voraussetzungen gebunden ist und Bewertungen des Inhalts von Programmen ermöglicht werden.“

§ 5 Abs. 4 LRG verlangt von der Behörde, die die Erlaubnis erteilt, eine prognostizierende Fähigkeit, die nicht nur schwierig, sondern auch subjektiv und unsicher ist (Die Erlaubnis wird nicht erteilt, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller bei der Veranstaltung gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen wird“). „Der durch die Regelung der staatlichen Erlaubnisbehörde eröffnete Einfluß auf den Zugang privater Veranstalter schließt die Möglichkeit nicht aus, unliebsame Veranstalter nicht nur - wie bei der Programmkontrolle - nachträglich zu disziplinieren, sondern von vornherein nicht zu Wort kommen zu lassen. [...]Es können daher sachfremde, namentlich vielfaltsbeschränkende Erwägungen in die Entscheidung eingehen, denen unmittelbare wie mittelbare Wirkung auf das Programm zukommt.“

§ 3 Abs. 3 Satz 4 verstößt grundsätzlich gegen das Gebot der Staatsferne. „rifft danach der Landesrundfunkausschuß bis zum Ablauf einer Frist von höchstens 5 Monaten keine Auswahlentscheidung, so gilt diese als entsprechend dem Vorschlag der Erlaubnisbehörde getroffen; ob die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 LRG gegeben sind und wer unter mehreren Antragstellern auszuwählen ist, prüft und entscheidet im Ergebnis also eine staatliche Behörde.“ § 3 Abs. 3 Satz 4 LRG ist deshalb verfassungswidrig und nichtig, was § 3 Abs. 3 Satz 3 LRG gegenstandslos macht.

„Soweit das Gesetz der Erlaubnisbehörde eine eigene Bewertung eröffnet, die sich auf den Inhalt des Programmangebots auswirken kann, verstößt das gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks.“

VII. SCHLUSSFOLGERUNG

Die Begründung des „4. Rundfunkurteils“ beginnt mit der „Freiheit des Rundfunks“ (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG): Sie verlange auch eine „positive Ordnung“, die die Entscheidung über die „Grundlinien der Rundfunkordnung“ sowie „Leitgrundsätze“ für Programminhalte und –gestaltung enthalte. Nach einem Blick auf die technische Entwicklung der letzten Zeit (Kabel, Satellit, Einstrahlungen aus dem Ausland) konstatiert das Bundesverfassungsgericht:

„Programme privater Anbieter vermögen der Aufgabe umfassender Information nicht im vollem Ausmaß gerecht zu werden.“ Die von der Verfassung geforderte umfassende Information zur Darstellung der „Vielfalt der bestehenden Meinungsrichtungen“ als unerlässliche „Grundversorgung“ sei Sache der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten; und „solange und soweit“ dies sichergestellt sei, brauche man von Verfassungs wegen an die „Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichwertiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“ Ein „Grundstandard gleichgewichtiger Vielfalt“ müsse freilich auch beim privaten Rundfunk gewährleistet und durch Kontrolle gesichert werden.

Es stellte sich auch die Frage nach Konzentration und publizistischer Gewaltenteilung. Das Bundesverfassungsgericht erklärte, dass „vorherrschende Meinungsmacht“ nicht entstehen darf. Gleichwohl negiert das Bundesverfassungsgericht das Bestehen eines solchen Zieles als Verfassungssatz: „Das Grundgesetz verwehrt Presseunternehmen nicht den Zugang zum Rundfunk; der Satz, solche Unternehmen hätten sich im Sinne einer ‚publizistischen Gewaltenteilung’ auf die Printmedien zu beschränken, ist kein Verfassungssatz.“ Mit dem Hinweis auf die Gefahr, „wenn Meinungsmacht im Bereich des Rundfunks sich mit Meinungsmacht im Bereich der Presse verbindet“, erklärt das Bundesverfassungsgericht im Niedersachsen-Urteil: „Demgemäß erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung freier Meinungsbildung gesetzliche Vorkehrungen auch dagegen, dass vorherrschende Meinungsmacht sich aus einer Kombination der Einflüsse in Rundfunk und Presse ergibt.“

An diesen Maßstäben hat das Bundesverfassungsgericht die einzelnen Bestimmungen des Niedersächsischen Landesmediengesetzes gemesssen.

Einige Vorschriften erscheinen dabei als verfassungswidrig: z.B. die Regelung, nach der die staatliche Behörde, praktisch der Ministerpräsident, dass bei Entscheidungen über die Zulassung eines privaten Bewerbers zu wenig an fest umrissene Kriterien gebunden worden ist, außerdem das Fehler einer Gewährleistung von Gegendarstellung bei allen durch Kabel verbreiteten Programmen; einige Vorschriften bestätigte das Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß.

Die wichtigste Erklärung, die das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung abgegeben hat, bleibt bis zum heutigen Tag bestehen und kommt jedes Mal zur Geltung, wenn die Frage über Sinn und Zweck des Bestehens der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei der Angebotsvielfalt der Privaten aufkommt: den privaten Rundfunkveranstaltern kann nur dann eine geringerer Qualitätsstandard der Meinungsvielfaltssicherung aufgestellt werden, solange die Rundfunkanstalten die Aufgabe der Grundversorgung erfüllen. Was die Privaten immer wieder verkennen, ist, dass sie die binnenplurale Programmstruktur übernehmen müssten, was durch Werbefinanzierung nie tragbar wäre.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das 4. Rundfunkurteil. Das "Niedersachsen-Urteil"
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Fallstudien zu Rundfunkverfassungsrecht
Note
19 aus 20
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V109610
ISBN (eBook)
9783640077892
Dateigröße
580 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rundfunkurteil, Niedersachsen-Urteil, Fallstudien, Rundfunkverfassungsrecht
Arbeit zitieren
Anca Klein (Autor:in), 2005, Das 4. Rundfunkurteil. Das "Niedersachsen-Urteil", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109610

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